Die Geschichte(n) des - Eintracht-Archiv
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Diva vom Main I 29<br />
Über Toni Hübler werden rund um die <strong>Eintracht</strong> viele <strong>Geschichte</strong>n<br />
erzählt, doch noch viel mehr weiß er selbst zu berichten: <strong>Geschichte</strong>n,<br />
die kaum einer so erzählt wie er. Es sind <strong>Geschichte</strong>n, in denen<br />
aus großen Triumphen und bitteren Niederlagen der Riederwälder<br />
persönliche Erlebnisse werden und aus bewunderten Fußballstars<br />
Menschen, die einem nach Tonis Erzählung so nahe stehen wie<br />
gute Freunde. Denn Toni erzählt diese <strong>Geschichte</strong>n so, wie es in<br />
diesen Tagen, in denen Menschen wie nie zuvor öffentlich an den<br />
Pranger gestellt werden, selten geworden ist: Toni erzählt mit Herz.<br />
Nie rückt er sich bei seinen <strong>Geschichte</strong>n aus fünf Jahrzehnten <strong>Eintracht</strong><br />
Frankfurt in den Vordergrund, nie erhebt er sich über andere,<br />
immer zeigt er bei seinen Erzählungen Verständnis für die Fehler<br />
und Schwächen anderer. Und wenn es selbst ihm schwerfällt,<br />
einen <strong>Eintracht</strong>ler in Schutz zu nehmen, winkt er kurz ab, macht<br />
eine Pause und erzählt lieber eine andere <strong>Geschichte</strong>.<br />
» <strong>Die</strong> Odyssee zur <strong>Eintracht</strong><br />
Im Sommer <strong>des</strong> Weltmeisterjahres 1954 zieht es einen jungen<br />
Landschaftsgärtner, der bislang in Württemberg lebte, ins Hessische.<br />
Ziel ist die kleine, seinerzeit noch eigenständige Gemeinde<br />
Urberach im damaligen Landkreis <strong>Die</strong>burg, in der bereits sein Vater<br />
wohnt. <strong>Die</strong> Gründe für den Umzug sind eher lapidar, wie Toni<br />
Hübler heute berichtet: „Ich war jung, gerade 25 geworden, und<br />
wollte einfach einmal einen Tapetenwechsel.“<br />
Gleich bei seiner Ankunft in der neuen Heimat, der er bis heute<br />
treu geblieben ist, geht Toni auf Arbeitssuche. Erfolglos bleibt der<br />
Besuch <strong>des</strong> Arbeitsamts Langen, das er mit dem Tipp verlässt, es<br />
einmal in Frankfurt zu versuchen. Und dort muss Toni nicht lange<br />
warten, bis er eine Stelle angeboten bekommt. Denn er trifft vor<br />
Ort zwei Herren der <strong>Eintracht</strong>, die für den im August 1952 eingeweihten<br />
Riederwald einen jungen Landschaftsgärtner suchen. „<strong>Die</strong><br />
haben mich regelrecht hofiert“, so Toni, „haben den damaligen<br />
Spielausschussvorsitzenden Balles hinzugerufen, mich bewirtet<br />
und mit mir gleich einen Vorstellungstermin für den nächsten Tag<br />
am Riederwald ausgemacht, um die Einzelheiten zu besprechen.“<br />
Wie in all den darauffolgenden Jahren versetzt die <strong>Eintracht</strong> Toni<br />
Hübler in Aufregung. Mit 3 Mark in der Tasche steigt er in den<br />
Zug gen Hauptbahnhof, vergisst jedoch, sich eine Fahrkarte zu besorgen<br />
und muss nachlösen. 1,50 Mark hätte die einfache Fahrt<br />
gekostet, weitere 1,50 kostet die Strafe; Toni ist damit zwar in<br />
Frankfurt, hat aber keinen Pfennig mehr in der Tasche. Zu Fuß geht<br />
es kreuz und quer durch die unbekannte Stadt, bis ihm am Schauspielhaus<br />
endlich ein freundlicher Herr den Weg ins Stadion weist.<br />
Dort im Glauben angekommen, sein Ziel erreicht zu haben, wird<br />
er schnell eines Besseren belehrt. Denn als er nach der <strong>Eintracht</strong><br />
fragt, wird er belehrt: „Ach du lieber Gott, die is grad uff de annern<br />
Seit‘.“ Weiter geht es also auf Schusters Rappen, zurück in die<br />
Innenstadt und bis zum Riederwald. Um 14 Uhr ist Toni endlich am<br />
Ziel, für 10 hatte man sich verabredet.<br />
Zum Glück für Toni scheint die Sonne an diesem Tag nicht nur für<br />
ihn, sondern auch für Fritz Becker, der das schöne Wetter nutzt,<br />
um am Riederwald „Überstunden“ in Form eines Sonnenba<strong>des</strong> zu<br />
schieben. Becker ist nicht nur der erste Nationalspieler der Frankfurter<br />
als Stürmer der Frankfurt Kickers und der erste Torschütze<br />
einer DFB-Elf im ersten Länderspiel gegen die Schweiz anno 1908,<br />
sondern aktuell auch der Vorsitzende <strong>des</strong> Platzausschusses. Toni<br />
erzählt Becker die <strong>Geschichte</strong> seiner Odyssee und erntet dafür von<br />
Becker nicht nur ein Lachen, sondern auch einen Probevertrag und<br />
geliehene 10 Mark, damit er wieder nach Hause kommt.<br />
» Sumpfbrache Riederwald<br />
Acht Wochen sollte Toni ursprünglich auf Probe werkeln, doch<br />
bereits nach sechs Wochen ist für die <strong>Eintracht</strong> klar: Mit diesem<br />
jungen Gärtner haben sie den Richtigen gefunden. Toni erhält einen<br />
festen Arbeitsvertrag und damit eine anspruchsvolle Aufgabe.<br />
Denn der neue Riederwald ist zu dieser Zeit zwar eines der<br />
modernsten Stadien in Deutschland, die gesamte Sportanlage präsentiert<br />
sich allerdings noch als sumpfiges Brachland mit hohem<br />
Grundwasserspiegel und niedrigem Freizeitwert. „Da stand kein<br />
einziger Baum, kein Strauch, kein gar nichts“, erinnert sich Toni.<br />
Mit Gartenbaurat Vollmer, der fast täglich vorbeischaut und als<br />
Verantwortlicher <strong>des</strong> Sport- und Badeamtes der Stadt für die Planungen<br />
zuständig ist, gewinnt der ehrgeizige und selbstbewusste<br />
Toni einen einflussreichen Verbündeten. „Er mochte mich und<br />
fragte, ob ich mir vorstellen könne, den Riederwald zu bepflanzen,<br />
was ich natürlich bejaht habe.“ Zusammen mit zwei Hilfskräften<br />
nimmt Toni die Arbeit in Angriff: „Wenn du mal in einer Gärtnerei<br />
gearbeitet und das Eintönige dort kennengelernt hast, bist du für<br />
so eine Aufgabe sehr dankbar.“ So finden unter anderem die Pappeln,<br />
für Jahrzehnte quasi ein Wahrzeichen <strong>des</strong> Riederwalds, ihren<br />
Weg aufs Sportgelände. Toni pflanzt sie, um das Grundwasser zu<br />
senken und so die Tribüne vor Hochwasser zu schützen.<br />
» Ein Letzter Wille<br />
Mit seiner Arbeit als Gärtner rückt für den ehemaligen Handballer<br />
Hübler, der seine aktive Zeit aufgrund einer Schulterverletzung beenden<br />
musste, nun der Fußball in den Fokus. Denn am Riederwald<br />
trainiert die Oberligamannschaft der <strong>Eintracht</strong>, zu der unter anderem<br />
Egon Loy, Adolf Bechtold, Ernst Kudrass, „Ali“ Remlein, Hans<br />
Weilbächer, Richard Kreß, Alfred Pfaff und Hermann Höfer zählen.<br />
Spieler, die für lange Jahre einen gemeinsamen Weg mit Toni gehen<br />
und die teilweise noch heute in freundschaftlichem Kontakt<br />
mit ihrem „Gärtner“ stehen.<br />
Neben den Aktiven tritt ein weiterer <strong>Eintracht</strong>ler in Tonis Leben;<br />
ein kleiner Mann, meist mit dicker Zigarre im Mund: Karl Schildger.<br />
„Das Karlchen“ ist nicht nur ein echtes Unikat und das Maskottchen<br />
der <strong>Eintracht</strong>, er sorgt auch seit vielen Jahren dafür, dass die<br />
Schuhe der Spieler in Ordnung gehalten und die Trikots gewaschen<br />
werden. „Wir hatten ja nur drei oder vier Sätze Trikots. <strong>Die</strong> Trainingskleidung<br />
haben die Spieler bis 1957 mit nach Hause genommen<br />
und gewaschen“, erinnert sich Toni. „Erst 1957, als Trainer<br />
Patek kam, hat die <strong>Eintracht</strong> mit Karl Krause einen Schuhmacher<br />
eingestellt und einen Schuhraum am Riederwald eingerichtet.<br />
Krauses Frau hat dann das Waschen der Trikots übernommen.“<br />
Mit Karl Schildger verbindet Toni einer seiner bewegendsten Erinnerungen<br />
an den Riederwald: „An einem Herbstabend im Jahr<br />
1960 ist Karl zu mir gekommen. Eigentlich hatte ich ja schon alles<br />
abgeschlossen, wir sind dann aber doch noch in mein kleines Büro<br />
gegangen. Karlchen hat immer gesagt, er möchte am Riederwald<br />
sterben. An diesem Abend saßen wir da, auf einmal sagt Karl: