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88 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143 Systemen sowohl West- wie auch Osteuropas. Rensmann (2006: 77) verweist zudem auf mehrere für das politische System gefährliche Aspekte. So könne Populismus in Extremismus umschlagen, da er die freiheitliche Demokratie auf die anti-pluralistische Souveränität eines vermeintlich homogenen „Volkswillens“ reduziere. Damit richte er sich nicht nur gegen horizontale wie vertikale Gewaltenteilung, sondern auch gegen die liberal-universalistische Begründung moderner Verfassungsstaatlichkeit. Der Populismus sei in diesem Sinne eine „Anti-Establishment“-Ideologie, die sich in der Regel reformerisch gegen den liberalen Konstitutionalismus richte. Neben der Verlagerung von Regierungsmacht auf überstaatliche Einheiten und dem daraus folgenden weit verbreiteten Gefühl der Einflusslosigkeit in der Bevölkerung (Rensmann 2006: 77) werden die in den letzten Jahrzehnten zum Dauerphänomen in Massendemokratien gewordenen Modernisierungskrisen als tiefere Ursache für populistische Tendenzen angesehen (vgl. auch i. F. Meyer 2006: 81). Die mit ihnen einhergehende Verunsicherung der Bevölkerung bringt demnach Unzufriedenheit und Protest hervor, die wiederum die Voraussetzung für eine populistische Mobilisierung darstellen. Für orientierungslose und sozial isolierte Modernisierungsverlierer wirke die populistische Bezugnahme auf das „Volk“ als „romantischer“ Balsam und schaffe so ein Zugehörigkeitsgefühl (Spier 2006: 33–37). Jedoch können kulturelle, soziale oder ökonomische Bedrohungsängste, Entwurzelungserfahrungen und Unsicherheiten lediglich einen Katalysator für populistische Tendenzen darstellen. In „populistischen Momenten“ (Goodwyn 1976; vgl. Spier 2006: 56) werden Modernisierungsverlierer zwar eher politisch heimatlos und für Populismus empfänglich, es bedarf aber weiterhin eines speziellen politischen Rahmens, „der durch einen kulturell-institutionellen Anknüpfungspunkt bestimmte Reaktionsmuster nahe legt“ (Meyer 2006: 81). Die aktuellen populistischen Tendenzen sind somit auch als Reaktion auf die Undurchschaubarkeit und Komplexität des politischen Entscheidungsprozesses und die damit verbundene Entwertung der verfassungsmäßigen Institutionen zu verstehen (Decker 2006: 25–26). Der Populismus wirkt attraktiv, weil er zwar den Eindruck von transparenten Entscheidungen vermittelt, die komplexe demokratische Wirklichkeit allerdings zunehmend anders aussieht (Canovan 2002). Bei engeren politischen Handlungsspielräumen müssen sich die Parteien auf eine Unterscheidbarkeit in Details oder eine gezielte „Depolitisierung“ durch symbolische Handlungen oder eine Personalisierung der Politik und die rhetorischen Herstellung eines Bezugs zum Volk verlegen. Innerhalb der Mediengesellschaft (vgl. 4.2.4) ist dabei die zweite Alternative in der Regel die attraktivere. Meyer (2006: 81) sieht in der „durch die Logik der Massenmedien forcierte[n] politische[n] Kommunikationskultur der modernen Mediendemokratien“ sogar einen ausschlaggebenden Faktor für den Aufstieg des Populismus. Auch die mediale Orientierung am Massengeschmack arbeite dem Populismus in die Hände. Für die in ihrer Theorie anders interpretierten populistischen Tendenzen führt Priester (2007: 8–9) jedoch auch abweichende Ursachen an: Die Entstehung neuer Governanceformen im Zuge der Krisen von Wohlfahrtstaat und Fordismus führt hierbei zu einer Einbeziehung von privaten Unternehmen und der Zivilgesellschaft in gesellschaftliche Entscheidungsprozesse. Vor dem Hintergrund des in der Krise des Fordismus bedeutender gewordenen unabhängigen Mittelstands sowie postmodernen Zeitströmungen wie Dezentrierung, Pluralisierung und normativer Antistaatlichkeit erleben auch populistisch-plebiszitäre Mitwirkungsformen tendenziell einen Aufstieg, da sie lokal angepasste Formen der politischen Selbstregulierung erlauben, wo nationalstaatliche Lösungen an ihre Grenzen stoßen. Populismus, Architektur und räumliche Entwicklung Schon Tocqueville stellte fest: „Legitim erscheint in der Demokratie, wenn sie die Kultur ergreift, nur noch das was mehrheitsfähig ist“ (zit. in: Meyer 2006: 90; vgl. ebd.: 90–91). Eben dies scheint auch für die Baukultur zu gelten, zumal wenn zutrifft, was Lootsma (2008) aus dem Blickwinkel des Architekten feststellt: dass Architektur

Wiederaufbauprozesse: Zentrale Einflussfaktoren 89 Hierin deutet sich das wesentliche Argument Lootsmas (2008) bereits an, dass Postmoderne und populistische Rhetorik verschmelzen. Der Populismus profitiere teilweise von der (architektonischen) Postmoderne, und seine Ergebnisse könnten daher sowohl postmodern – und damit zeitgenössisch – oder historisierend sein. So erkennt er auch die moderne Großwohnsiedlung als „gemeinsames Feindbild“ beider Strömungen, die sich beide gegen die Moderne richteten: entweder als Architektur in entfremdetster Form oder als Zeichen staatlichen Bauens. Entsprechend seiner weitgehenden Gleichsetzung von Populismus und Liberalisierung ist seine Bewertung dieser Entwicklung weit negativer als die de Bruyns (2003). Dieser sieht im „Pop […] die Demokratisierung des Konsums: Der Käufer soll Mitspracherecht erhalten in der Gestaltung einer Lebenswelt, die im Ganzen Warencharakter annimmt. Er amputiert bloß den pädagogischen Zeigefinger der Lebensreformer, der im expandierenden Reich des Konsums nichts mehr zu melden hat.“ Dahingegen spricht Lootsma (2008) von einem Marktpopulismus, der letztlich einer kleinen Finanzelite diene und auch von ihr erund Stadtplanung Lieblingsthemen populistischer Politiker seien. Während Populismusvorwürfe in der Architektur zumeist darauf abzielen, ein Architektin appelliere an das vermeintliche Schönheitsgefühl der Menschen (vgl. die Einleitung zu de Bruyn 2003), geht Lootsma (2008) allerdings davon aus, dass es dabei weniger um Architekturstile als um die Freiheiten des Bauherren gehe. Populistische Politik spreche im Kern davon, dem Bauherrn das Recht einzuräumen zu bauen, was er wolle, um sein Eigentum frei gestalten zu können. Damit werden zumindest zwei mögliche dezidierte Verbindungen von Architektur – im Weiteren aber auch von Städtebau und räumlicher Entwicklung – und populistischen Tendenzen der Gesellschaft beschrieben: einerseits die Orientierung des Baugeschehens am (ästhetischen) Massengeschmack im Sinne einer Populärkultur, andererseits eine stärker der Populismusauffassung Priesters (2007) entsprechende Verschränkung von postmoderner, zum Teil historisierender Architektur und anti-modernen Haltungen des Liberalismus. Schließlich sind Architektur und Städtebau durch öffentliches Bauwesen und (lokal-) staatliche Planung in erheblichem Maße von politischen Entscheidungen abhängig, die den beschriebenen populistischen Tendenzen unterliegen. Daraus folgt, dass sie sowohl bauliche Symbole und damit Medien eines populistischen Politikstils sein können und als symbolische Handlung dienen können, wie sie auch zum Inhalt populistischer Politik werden, die für oder gegen ein bestimmtes Bauwerk, eine Planung oder Gestaltung agitiert. Dies betrifft zunächst öffentliche Bauten, dann aber durch Planungshoheit und Genehmigungstätigkeit auch privatfinanziertes Bauen. Von besonderer Bedeutung für die Rekonstruktionsdebatte sind Fälle, in den „das Volk“ im Sinne einer zivilgesellschaftlichen Organisation und Spendenfinanzierung zum Bauherrn wird. Allerdings soll auf diesen Komplex ausführlich erst im Zusammenhang mit den Wiederaufbauvorhaben erläutert werden. Anders als viele andere Architekturtheoretiker kritisiert de Bruyn (2003) die zunehmende Popularisierung der Architektur nicht, sondern erhofft sich darin eine „frische, modernen Lebensformen entspringende Quelle der ästhetischen Vor­ stellungskraft“. Allerdings verweist er darauf, dass die Architekten der Moderne sich entschieden gegen eine populistische Orientierung am Volkswillen ausgesprochen hätten und stattdessen im krassen Kontrast gar auf die Erschaffung eines „neuen Menschen“ als Bewohner und Nutzer ihrer Gebäude gesetzt hätten. Dabei habe schon Otto Wagner 1896 auf die Diskrepanz zwischen Experten- und Massengeschmack als dem gesellschaftlichen Konflikt zwischen Stil und Mode verwiesen und anstelle einer Erziehung der Allgemeinheit eine Orientierung an deren „Feingefühl“ für Mode gefordert. Den damaligen Jugendstil wertet er als Vorboten des Pop und gewissermaßen populistischen Rekurs auf die Volkstümlichkeit. De Bruyn sieht dies als Vorgriff auf die Partizipationsdebatte der 1970er Jahre. Die damals aufkommende Forderung nach Partizipation und „Entmachtung des Expertengeschmacks zugunsten der ästhetischen ‚Vorlieben wirtschaftlich eingeschränkter Gruppen‘“ (Denise Scott Brown 1971) habe gegen moderne Architekten durchgesetzt werden müssen.

Wiederaufbauprozesse: Zentrale Einflussfaktoren<br />

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Hierin deutet sich das wesentliche Argument<br />

Lootsmas (2008) bereits an, dass<br />

Postmoderne und populistische Rhetorik<br />

verschmelzen. Der Populismus profitiere<br />

teilweise von der (architektonischen)<br />

Postmoderne, und seine Ergebnisse könnten<br />

daher sowohl postmodern – und damit<br />

zeitgenössisch – oder historisierend sein.<br />

So erkennt er auch die moderne Großwohnsiedlung<br />

als „gemeinsames Feindbild“<br />

beider Strömungen, die sich beide<br />

gegen die Moderne richteten: entweder als<br />

Architektur in entfremdetster Form oder<br />

als Zeichen staatlichen Bauens. Entsprechend<br />

seiner weitgehenden Gleichsetzung<br />

von Populismus und Liberalisierung ist<br />

seine Bewertung dieser Entwicklung weit<br />

negativer als die de Bruyns (2003). Dieser<br />

sieht im „Pop […] die Demokratisierung<br />

des Konsums: Der Käufer soll Mitspracherecht<br />

erhalten in der Gestaltung einer Lebenswelt,<br />

die im Ganzen Warencharakter<br />

annimmt. Er amputiert bloß den pädagogischen<br />

Zeigefinger der Lebensreformer,<br />

der im expandierenden Reich des Konsums<br />

nichts mehr zu melden hat.“ Dahingegen<br />

spricht Lootsma (2008) von einem<br />

Marktpopulismus, der letztlich einer kleinen<br />

Finanzelite diene und auch von ihr erund<br />

Stadtplanung Lieblingsthemen populistischer<br />

Politiker seien. Während Populismusvorwürfe<br />

in der Architektur zumeist<br />

darauf abzielen, ein Architektin appelliere<br />

an das vermeintliche Schönheitsgefühl der<br />

Menschen (vgl. die Einleitung zu de Bruyn<br />

2003), geht Lootsma (2008) allerdings davon<br />

aus, dass es dabei weniger um Architekturstile<br />

als um die Freiheiten des Bauherren<br />

gehe. Populistische Politik spreche<br />

im Kern davon, dem Bauherrn das Recht<br />

einzuräumen zu bauen, was er wolle, um<br />

sein Eigentum frei gestalten zu können.<br />

Damit werden zumindest zwei mögliche<br />

dezidierte Verbindungen von Architektur<br />

– im Weiteren aber auch von Städtebau<br />

und räumlicher Entwicklung – und populistischen<br />

Tendenzen der Gesellschaft beschrieben:<br />

einerseits die Orientierung des<br />

Baugeschehens am (ästhetischen) Massengeschmack<br />

im Sinne einer Populärkultur,<br />

andererseits eine stärker der Populismusauffassung<br />

Priesters (2007) entsprechende<br />

Verschränkung von postmoderner, zum<br />

Teil historisierender Architektur und anti-modernen<br />

Haltungen des Liberalismus.<br />

Schließlich sind Architektur und Städtebau<br />

durch öffentliches Bauwesen und (lokal-)<br />

staatliche Planung in erheblichem Maße<br />

von politischen Entscheidungen abhängig,<br />

die den beschriebenen populistischen<br />

Tendenzen unterliegen. Daraus folgt, dass<br />

sie sowohl bauliche Symbole und damit<br />

Medien eines populistischen Politikstils<br />

sein können und als symbolische Handlung<br />

dienen können, wie sie auch zum Inhalt<br />

populistischer Politik werden, die für<br />

oder gegen ein bestimmtes Bauwerk, eine<br />

Planung oder Gestaltung agitiert. Dies betrifft<br />

zunächst öffentliche Bauten, dann<br />

aber durch Planungshoheit und Genehmigungstätigkeit<br />

auch privatfinanziertes<br />

Bauen. Von besonderer Bedeutung für die<br />

Rekonstruktionsdebatte sind Fälle, in den<br />

„das Volk“ im Sinne einer zivilgesellschaftlichen<br />

Organisation und Spendenfinanzierung<br />

zum Bauherrn wird. Allerdings soll<br />

auf diesen Komplex ausführlich erst im<br />

Zusammenhang mit den Wiederaufbauvorhaben<br />

erläutert werden.<br />

Anders als viele andere Architekturtheoretiker<br />

kritisiert de Bruyn (2003) die zunehmende<br />

Popularisierung der Architektur<br />

nicht, sondern erhofft sich darin eine<br />

„frische, modernen Lebensformen entspringende<br />

Quelle der ästhetischen Vor­<br />

stellungskraft“. Allerdings verweist er darauf,<br />

dass die Architekten der Moderne sich<br />

entschieden gegen eine populistische Orientierung<br />

am Volkswillen ausgesprochen<br />

hätten und stattdessen im krassen Kontrast<br />

gar auf die Erschaffung eines „neuen<br />

Menschen“ als Bewohner und Nutzer ihrer<br />

Gebäude gesetzt hätten. Dabei habe schon<br />

Otto Wagner 1896 auf die Diskrepanz zwischen<br />

Experten- und Massengeschmack<br />

als dem gesellschaftlichen Konflikt zwischen<br />

Stil und Mode verwiesen und anstelle<br />

einer Erziehung der Allgemeinheit<br />

eine Orientierung an deren „Feingefühl“<br />

für Mode gefordert. Den damaligen Jugendstil<br />

wertet er als Vorboten des Pop<br />

und gewissermaßen populistischen Rekurs<br />

auf die Volkstümlichkeit. De Bruyn<br />

sieht dies als Vorgriff auf die Partizipationsdebatte<br />

der 1970er Jahre. Die damals<br />

aufkommende Forderung nach Partizipation<br />

und „Entmachtung des Expertengeschmacks<br />

zugunsten der ästhetischen<br />

‚Vorlieben wirtschaftlich eingeschränkter<br />

Gruppen‘“ (Denise Scott Brown 1971) habe<br />

gegen moderne Architekten durchgesetzt<br />

werden müssen.

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