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Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe<br />

73<br />

Somit entwirft Schulze das Bild einer Gesellschaft,<br />

die sich in ihren strukturbildenden<br />

Merkmalen stark von der Nachkriegsgesellschaft<br />

der 1950er und frühen<br />

1960er Jahre in Deutschland unterscheidet.<br />

Die vormals bestehende dichotomische<br />

Einteilung von Geschmacksmuster in<br />

stilvoll und stillos hat sich weitgehend aufgelöst,<br />

und die Hochkultur hat viel von ihrem<br />

Nimbus eingebüßt. Die frei zur Verfügung<br />

stehende Zeit hat gegenüber der<br />

Arbeitszeit an Bedeutung gewonnen, und<br />

ihr werden zunehmend identitätsstiftende<br />

Funktionen zugesprochen. Auch die<br />

ökonomischen Ressourcen, die für Freizeitvergnügen<br />

aufgewandt werden können,<br />

sind stark gestiegen (vgl. Müller/<br />

Hennings 1998: 11, Luger 1994: 44). Damit<br />

entsteht eine neue Erlebnisnachfrage, die<br />

sich nicht mehr nur auf den Feierabend<br />

konzentriert, sondern den ganzen Tag besteht:<br />

Auch ständige Stadtbewohnern verhalten<br />

sich in ihren Heimatstädten immer<br />

mehr wie Touristen, die „etwas geboten“<br />

bekommen möchten. Dank zunehmender<br />

Verwischung von Arbeits- und Freizeit und<br />

einem sich ständig erhöhenden Anteil an<br />

hoch spezialisierten, „kreativen“ Dienstleistungsberufen<br />

ohne zwingende Arbeitsplatzbindung<br />

haben sie zudem sehr viel<br />

stärker als früher die Möglichkeit zur flexiblen<br />

Nutzung des bestehenden Angebots.<br />

Letzteres ist jedoch längst zu einer<br />

Selbstverständlichkeit geworden und der<br />

Wunsch, es zu nutzen nicht mehr so brennend<br />

wie noch bei der Herausbildung der<br />

Erlebnisgesellschaft bzw. des innenorientierten<br />

Konsums (vgl. Florida 2004, 2005,<br />

Müller-Schneider 1998: 141–151, Schulze<br />

1992: 531–543). Schulze vergleicht das Ermer<br />

bewerten. Genau umgekehrt verhält<br />

es sich in Bezug auf das Harmoniemilieu:<br />

In dessen Suche nach Geborgenheit und<br />

Gemütlichkeit in der Alltagsästhetik würde<br />

das Befürworten von Rekonstruktionen<br />

gut hineinpassen. Auch die Mitglieder dieses<br />

Milieus hüten sich vor zu avantgardistischen<br />

Stileinflüssen, vornehmlich weil<br />

sie ihnen unheimlich sind. Andererseits<br />

sind sie auch diejenigen, die öffentlich am<br />

wenigsten wahrgenommen werden, da sie<br />

sich politisch passiv verhalten. Auf dem<br />

Weg in ihr privates Paradies möchten sie<br />

sich nicht auflehnen oder Aufmerksamkeit<br />

auf sich ziehen. Es ist zu vermuten,<br />

dass es sich bei dieser Gruppe nicht um<br />

diejenigen handelt, die Wiederaufbauinitiativen<br />

ins Leben rufen, vielleicht schalten<br />

sich aber einige später im Prozess ein<br />

und unterstützen das Ansinnen. Das Integrationsmilieu<br />

steht auch hier zwischen<br />

den Extremen der beiden erstgenannten.<br />

Die Argumente der Rekonstruktionsbefürworter<br />

könnten bei Angehörigen dieses<br />

Milieus deshalb auf besonders fruchtbaren<br />

Boden fallen: Sie interessieren sich<br />

ebenso wie die Angehörigen des Niveaumilieus<br />

für Kultur und Geschichte, haben<br />

aber vielleicht nicht deren absoluten Authentizitätsanspruch.<br />

Sie sind zudem lokal<br />

verbunden und überdurchschnittlich<br />

häufig in Vereinen aktiv, was Wiederaufbauinitiativen<br />

einschließen könnte. Im<br />

Selbstverwirklichungsmilieu spielt politisches<br />

und gesellschaftliches Engagement<br />

ebenso eine große Rolle. Die Mitglieder<br />

sind stark überzeugt davon, durch<br />

eigenes Aktiv-Werden etwas verändern zu<br />

können. Meist werden neue Themen in der<br />

Gesellschaft von ihnen zuerst aufgegriffen,<br />

was einen Erklärungsansatz für die relativ<br />

hohe Zahl von jungen Leuten auf Seiten<br />

der Rekonstruktionsbefürworter darstellen<br />

könnte. Zudem sind sie diejenigen,<br />

die die Stadt und ihre Angebote besonders<br />

intensiv nutzen und deshalb wahrscheinlich<br />

das höchste Interesse an einer attraktiven<br />

Gestaltung haben. Ihre Neigung zur<br />

Opposition – die sich auch auf stadtgestalterische<br />

Themen richten kann – sowie ihre<br />

ständige Suche nach Abwechslung könnten<br />

dazu beitragen, dass auch sie sich für<br />

Wiederaufbauten einsetzen. Das Unterhaltungsmilieu<br />

schließlich beweist zwar<br />

eine gewisse Sympathie für politische Bewegungen<br />

und auch weniger Bereitschaft<br />

zur Unterordnung als das Harmoniemilieu,<br />

gleichzeitig legt es aber auch ein insgesamt<br />

geringes Interesse an öffentlichen<br />

Angelegenheiten oder an der Nutzung des<br />

öffentlichen Raums an den Tag. Auch die<br />

Beschreibung ihrer Präferenzen in Bezug<br />

auf Alltagsästhetik lässt kein Interesse an<br />

Architektur oder (Kultur-)Geschichte erkennen.<br />

Zudem ist ihr Geschmack eindeutig<br />

auf moderne Produkte gerichtet. Einzig<br />

ihr Wunsch nach Abwechslung und<br />

Stimulation könnte mit einer Unterstützung<br />

von Rekonstruktionen vereinbar sein,<br />

wenn die Mitglieder des Unterhaltungsmilieus<br />

auch sicher nicht in der ersten Reihe<br />

zu finden sind.

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