PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe<br />
69<br />
Grundstücksgrenzen und Bauvorschriften<br />
in der Regel wenig auf die jeweiligen lokalen<br />
Besonderheiten eingehen.<br />
Entsprechend scheint die Architektur in<br />
Form der Rekonstruktionen in besonderer<br />
Art anfällig für den Wunsch nach einer<br />
– zumeist national, seltener regional oder<br />
gar europäisch geprägten – „Leitkultur“<br />
(Tibi 1998). Dabei wurde diese Leitkultur<br />
häufig auf eine Integrationsforderung an<br />
Zuwanderer reduziert und teilweise entgegen<br />
Tibis Definition einer Kombina tion<br />
der modernen Werte „Demokratie, Laizismus,<br />
Aufklärung, Menschenrechte<br />
und Zivilgesellschaft” (ebd.: 154) zumeist<br />
mit traditio nellen bzw. wertkonservativen<br />
Vorstellungen in Verbindung gebracht,<br />
die auch einem Wunsch nach Vertrautheit<br />
angesichts der Auflösung des Nationalem<br />
entspringen. Allerdings formulierte Nolte<br />
(2004) auch den Ansatz einer nach innen<br />
wirkenden „bürgerlichen Leitkultur“,<br />
an der sich das „Prekariat“ orientieren solle.<br />
Während den gelegentlich aufkommenden<br />
Diskussionen zur Leitkultur auf nationaler<br />
Ebene wegen ihrer Verbindungen zu<br />
dem in der Bundesrepublik weiterhin weitgehend<br />
abgelehnten patriotischen oder<br />
natio nalistischen Denken zumeist ein<br />
schnelles Ende beschert ist (Arning 2006),<br />
haben weder „Lokalpatriotismus“ noch<br />
die Rückkehr zu traditionellem Bauen bzw.<br />
historischen Bauten dieses Problem und<br />
können demnach ihren Beitrag zur Leitkultur<br />
liefern. Sie können in Zeiten zunehmender<br />
Unübersichtlichkeit eine positive<br />
Projektionsfläche für die Suche nach einer<br />
die Gesellschaft einenden Leitkultur sein.<br />
Ungeklärt ist, inwiefern auch zeitgenössische<br />
Bauten diesem Anspruch gerecht<br />
werden können. Während Göttlich/Winter<br />
(2004: 83) etwa den Potsdamer Platz als<br />
„Kristallisationspunkt eines neuen Nationalstolzes“<br />
bezeichnen, widerspricht Hanika<br />
(2002; zit. in Makropoulos 2004: 159)<br />
entschieden, in dem er ihm jegliche Aufenthaltsqualität<br />
abspricht.<br />
3.46 Erlebnisgesellschaft<br />
Bereits 1992 hat Gerhard Schulze seine<br />
viel beachtete „Kultursoziologie der Gegenwart“<br />
vorgelegt, in der er eine Charakterisierung<br />
der „Erlebnisgesellschaft“<br />
in Deutschland im ausgehenden 20. Jahrhundert<br />
vornimmt. 17 Jahre später ist zwar<br />
auch das „Ende der Erlebnisgesellschaft“<br />
bereits mehrfach diagnostiziert worden<br />
(vgl. Opaschowski 2006); trotzdem wirken<br />
seine Diagnosen noch in weiten Teilen<br />
aktuell und werden nach wie vor aufgegriffen.<br />
Im folgenden Abschnitt soll<br />
herausgearbeitet werden, inwiefern Rekonstruktionen<br />
als Teilphänomen einer<br />
Gesellschaft gelten können, in der vor allem<br />
die Erfüllung von Erlebnisbedürfnissen<br />
im Vordergrund steht. Weiterhin wird<br />
diskutiert, in welchen der fünf von Schulze<br />
ausgemachten sozialen Milieus, die sich<br />
durch spezifische alltagsästhetische und<br />
erlebnisbezogene Vorlieben auszeichnen<br />
(„Erlebnismilieus“), wohl mit einer Unterstützung<br />
der „Rekonstruktionswelle“ zu<br />
rechnen ist.<br />
Schulze geht davon aus, dass sich aufgrund<br />
des hohen Wohlstandsniveaus in<br />
der Bundesrepublik die Basismotivation<br />
für die Handlungen der Menschen nicht<br />
mehr auf die Beseitigung eines Mangels,<br />
auf das Überleben zurückführen lässt.<br />
Diese sei vielmehr vorrangig an der Gestaltung<br />
eines subjektiv als schön und<br />
aufregend empfundenen Lebens, also<br />
am Erleben orientiert. Die Devise „Erlebe<br />
dein Leben!“ erhebt Schulze zur wichtigsten<br />
Maxime in der Erlebnisgesellschaft<br />
(1992: 59). Erlebnisse definiert er dabei<br />
als „psychophysische Konstruktionen, die<br />
sich nicht durch Gegenstände substituieren<br />
oder an Dienstleistungsunternehmen<br />
delegieren lassen“ – sie haben also sowohl<br />
eine sinnlich wahrnehmbare, außersubjektive<br />
als auch eine innerliche Komponente<br />
und müssen vom Individuum selbst<br />
erlebt werden (Schulze 1992: 14, vgl. auch<br />
Opaschowski 2000). Entscheidend für das<br />
tatsächliche Erleben sind dabei nur in relativ<br />
geringem Maße die äußeren Umstände,<br />
in denen sich die Menschen befinden<br />
und die sie bis zu einem gewissen<br />
Punkt auch in ihrem Sinne manipulieren<br />
können, sondern auch die innere Einstellung<br />
zu eben diesen Umständen. Das Erlebnis<br />
läuft nämlich im Rahmen einer Situation<br />
in den Menschen selbst und sehr<br />
individuell ausgeprägt ab. Hervorgerufen<br />
werden kann es durch alle möglichen Dinge,<br />
denen der Mensch „Zeichen zuordnet“<br />
– sie also mit kultureller Bedeutung auflädt<br />
und so vornehmlich über ihren Erlebniswert<br />
definiert. Dabei kann es sich um<br />
„Texte, Geräusche, Personen, Skulpturen,