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66 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

In vorindustrieller Zeit bezeichnete Heimat<br />

als rechtliche Kategorie den Besitz<br />

an Haus und Hof, wurde im 19. Jahrhundert<br />

verklärend als Synonym für natürliche<br />

Idylle und eine „ausgeglichene, schöne<br />

Spazierwelt“ (Korfkamp 2006: 40)<br />

gebraucht und schließlich von den Nationalsozialisten<br />

ideologisch instrumentalisiert,<br />

woraufhin der Begriff in der Nachkriegszeit<br />

lange nicht unvoreingenommen<br />

gebraucht werden konnte und auch heute<br />

noch entsprechend problematisiert bzw.<br />

abgelehnt wird. Generalisierend lässt sich<br />

sagen, dass die Sehnsucht nach Heimat<br />

immer dann erhöhte Bedeutung erlangte,<br />

wenn ein tief greifender und plötzlicher<br />

gesellschaftlicher Wandel den Menschen<br />

die Orientierung nahm und in ihnen das<br />

Bedürfnis nach Überschaubarkeit weckte.<br />

Im 19. und 20. Jahrhundert sorgten Industrialisierung,<br />

Kriege und erzwungene Migrationsbewegungen<br />

sowie die beginnende<br />

Individualisierung für unterschiedlich<br />

stark ausgeprägte Heimatlosigkeitsempfindungen,<br />

heute werden u. a. wirtschaftliche<br />

und kulturelle Globalisierungsprozesse<br />

und ein damit einhergehender gefühlter<br />

Verlust lokaler Einzigartigkeit als Grundlage<br />

für eine erneute Konjunktur gesehen<br />

(vgl. Kropp 2002: 141 ff.). Rekonstruktionen<br />

stellen dabei eine Möglichkeit dar, diesen<br />

als unangenehm empfundenen Entwicklungen<br />

aktiv etwas entgegen zu setzen und<br />

lokale, durch die Zerstörung von Gebäuden<br />

vermeintlich verloren gegangene Geschichte<br />

subjektiv wieder sichtbar und erlebbar<br />

zu machen.<br />

Traditionell ist Heimat in Deutschland<br />

stark mit Bewahrung von Bräuchen, Ehrfurcht<br />

gegenüber der überlieferten Kultur<br />

und Natur und der Betonung lokaler<br />

Eigenheiten bei gleichzeitiger Ablehnung<br />

von Neuem und Fremdem verbunden. Bereits<br />

im 19. Jahrhundert wird der industriegesellschaftliche<br />

Modernisierungsprozess<br />

durch die Ausbildung eines subjektiven,<br />

sentimentalen und letztlich ideologischen<br />

Heimatbegriffs begleitet. Auch im Kaiserreich<br />

existierte schon eine gewisse Distanziertheit<br />

gegenüber den „stillosen“ zeitgenössischen<br />

Kulturerzeugnissen, die sich<br />

insbesondere auch gegen historistisches<br />

Bauen richtete und hier bis in die 1970er<br />

Jahre fortbestand. Bis vor dem Zweiten<br />

Weltkrieg haftete dem Begriff stets eine<br />

idealisierend auf die Vergangenheit ge­<br />

richtete Sehnsuchtshaltung an, die gesellschaftlichen<br />

Veränderungen generell skeptisch<br />

gegenüber stand, sich aber nicht mit<br />

konkreten positiven oder negativen Eigenschaften<br />

der jeweiligen Zeit auseinander<br />

setzte. Vielmehr wurde der „Versuch [gemacht],<br />

dem Neuen das mutmaßlich bessere<br />

Alte gegenüberzustellen“ (Neumeyer<br />

1992: 25, Hervorhebungen im Original).<br />

Das Bedürfnis nach Harmonie, Gemütlichkeit<br />

und Gemeinschaft wurde in den<br />

Vordergrund gestellt, auch um das Selbstbewusstsein<br />

des noch jungen Nationalstaats<br />

kulturell und emotional zu unterfüttern<br />

(vgl. Ditt 1990).<br />

Durch die Nationalsozialisten als auf<br />

Schutz nach außen und Einigkeit nach innen<br />

zielendes Element ideologisch vereinnahmt<br />

und damit diskreditiert, hatte der<br />

Begriff Heimat im Nachkriegsdeutschland<br />

zunächst keinen Platz. Alle Bemühungen<br />

waren zudem auf den Wiederaufbau<br />

gerichtet, dessen nüchterne und klare<br />

architektonische Sprache Fortschritt und<br />

Modernität verhieß. Etwaiges Verlustempfinden<br />

wurde sich nicht eingestanden oder<br />

vor dem Hintergrund des dringend zu lösenden<br />

Wohnungsnotstands schlichtweg<br />

verdrängt (vgl. Vortrag Peter Bürger). Bereits<br />

in den 1950er Jahren kamen zwar die<br />

so genannten Heimatfilme in Mode, diese<br />

dienten jedoch vor allem als völlig unpolitische,<br />

klischierte „Fetteinreibung gegen<br />

den Weltfrost“ (Meckel 1980: 174, zit.<br />

nach Neumeyer 1992: 43) für einen vergleichsweise<br />

kleinen Teil der Bevölkerung<br />

– als Zielgruppe werden ältere Konsumentinnen<br />

mit geringer Schulbildung<br />

genannt – und ohne Bezug auf einen konkreten<br />

Raum. Auch die Heimatvertriebenen,<br />

die noch 1950 in Stuttgart die „Charta<br />

der deutschen Heimatvertriebenen“ inklusive<br />

der Forderung nach dem „Recht<br />

auf die Heimat“ (im Sinne der verloren gegangenen<br />

Heimat in den ehemaligen deutschen<br />

Ostgebieten, Hervorhebung im Original)<br />

verabschiedeten, integrierten sich<br />

nach und nach in die bundesdeutsche Gesellschaft<br />

und profitierten wie der Rest der<br />

Bevölkerung zusehends vom Wirtschaftswunder<br />

und dem allgemeinen materiellen<br />

Aufschwung. Heimat als Hoffnung gebendes<br />

Konzept trat angesichts der neuen<br />

Konsummöglichkeiten und des technischen<br />

Fortschritts in den Hintergrund, so<br />

dass man davon ausgehen kann, dass beim

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