PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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48 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
An dieser Stelle kann nicht auf die vielfältigen<br />
anderen Formen ideologischer Ersatzreligiosität<br />
eingegangen werden. Verwiesen<br />
werden soll allerdings auf die<br />
Situation innerhalb der Sowjetunion, in<br />
der deutlicher noch als im Nationalsozialismus<br />
durch die kommunistische Staatsführung<br />
eine gewalttätige Bekämpfung<br />
der Religion betrieben wurde. Diese richtete<br />
sich insbesondere gegen die in der<br />
Orthodoxen Kirche noch wesentlich ausgeprägtere<br />
Heiligen- und Reliquienverehfenbaren<br />
das spezifische Zeugnis des Nationalgeistes“<br />
(Angenendt 1994: 324, vgl.<br />
insg. Nipperdey 1981: 602,608), dienen dabei<br />
aber in der kultischen Vergegenwärtigung<br />
insbesondere der „Erneuerung [und]<br />
Beschwörung der Zukunft“ (Angenendt<br />
1994: 324). In den Nationaldenkmalen erhielt<br />
der Nationalismus seine „heiligen<br />
Orte“, die einerseits einen sakralen Charakter,<br />
andererseits einen transzendenten<br />
Verweischarakter aufwiesen:<br />
„Es ist Tempel und Heiligtum, herausgehoben<br />
aus dem Getriebe der Stadt, der Weg<br />
zu dieser Stätte ist als Wallfahrtsweg konzipiert,<br />
und kultisch-religiöse Feiern sollen<br />
dort begangen werden. Das Denkmal<br />
mutet darum dem Besucher eine andächtige,<br />
glaubensähnliche Stimmung zu […].<br />
Wir haben hier einen Ansatz zur Erhebung<br />
des Profanen ins Sakrale, zur Sakralisierung<br />
der Nation. […] In seiner Sichtbarkeit<br />
auf ein Unsichtbares, in seiner Bedingtheit<br />
auf ein Unbedingtes, in seiner Individualität<br />
auf ein Allgemeines, auf eine Idee, es<br />
hat formal eine sich selbst transzendierende<br />
Struktur“ (Nipperdey 1968: 537–538, zit.<br />
n. Angenendt 1994: 325).<br />
Neben diesen baulichen „Mittel[n] der Religion“<br />
verweist Angenendt (1994: 325–26,<br />
vgl. insg. 321–327) auf die Priesterschaft<br />
der „Nationalheiligen“, die insbesondere<br />
in der Geschichtswissenschaft, – schreibung<br />
und -vermittlung zu suchen seien<br />
(Nora 1990: 43).<br />
Dabei ist eine deutlich geringere Distanz<br />
des Nationalismus zum Protestantismus<br />
als zur katholischen Kirche feststellbar:<br />
„Luther wurde zum deutschen<br />
Heros, und deutscher Glaube konnte eigentlich<br />
nur lutherisch sein“ (Angenendt<br />
1994: 327, vgl. insg. 324–327), lutherische<br />
Feste wurden kommunalisiert und Lutherdenkmäler<br />
auf öffentlichen Plätzen errichtet<br />
(Burghardt 1988), evangelische Geistliche<br />
scheuten sich im Gegensatz zu ihren<br />
katholischen Kollegen nicht, etwa an der<br />
Verehrung Schillers als „Heiland“ teilzunehmen<br />
(Noltenius 1988: 239). Zudem bezeugen<br />
die großen Kirchenbauten der<br />
Wilhelminischen Zeit (Berliner Dom, Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche<br />
mit integrierten<br />
National- und Hohenzollerndenkmalen)<br />
die Verknüpfung von Kirche und<br />
preußischer Monarchie. Den Katholiken<br />
blieb hingegen lediglich eine Renaissance<br />
der Verehrung Bonifatius’ als „Apostel“ der<br />
Deutschen, der somit auch den protestantischen<br />
Vorwurf der „Vaterlandslosigkeit“<br />
widerlegen sollte (Lenhart 1954).<br />
Schließlich ist im Zusammenhang mit säkularisierten<br />
Kultformen insbesondere<br />
auch auf den deutschen Nationalsozialismus<br />
zu verweisen. Selbst gegenüber anderen<br />
Diktaturen des 20. Jahrhunderts tritt<br />
die herausgehobene Bedeutung öffentlich<br />
sanktionierter, quasi-religiöser Feiern<br />
und Rituale innerhalb des deutschen<br />
Faschismus hervor. Neben der Besetzung<br />
biografischer Stationen (Lebens-, Jugend-,<br />
Ehe- und Totenweihe), Tagesriten wie der<br />
Morgenfeier und der Besetzung des Kalenders<br />
durch auf die Volksgemeinschaft<br />
oder den Nationalsozialismus bezogene<br />
Feiern ist zudem ein ausgeprägter Personenkult<br />
festzustellen. Der Führerkult mit<br />
deutlichen Formen der Heiligenverehrung<br />
wurde in abgeschwächter Form auch<br />
auf andere Nationalhelden bzw. Helden<br />
der Bewegung übertragen, am deutlichsten<br />
ist dies wohl für die als „Märtyrer“ bezeichneten<br />
Toten der „mit Blut besiegelten<br />
Urtat“, des Putschversuchs von 1923, gegeben,<br />
deren „Blutfahne“ zudem wie eine<br />
Reliquie behandelt wurde. Als Reliquiar<br />
wurde am „heiligen Ort“ eine „Ehrenhalle“<br />
mit einer „ewigen Wache“ für das „heilige<br />
Blut“ errichtet und am 9. November jeweils<br />
eine „Heldische Feier“ „als Fest des<br />
Sieges und der Auferstehung“ (Angenendt<br />
1994: 327, vgl. insg. 327–328) zelebriert, in<br />
dem ein ideologischer Unsterblichkeitsglaube<br />
deutlich wird: „Da sich das neue<br />
Realissimum – das Blut – im Volk aktualisiert<br />
und jedes Mitglied der Volksgemeinschaft<br />
insofern am ‚Heiligen‘ partizipiert,<br />
wird das Volk im nationalsozialistischen<br />
Kult konsekriert und erfährt eine Apotheose“<br />
(Vondung 175–176, vgl. 1971: 159–209).