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32 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

deutsche Form von Projektionskitsch) und<br />

Edelkitsch (Gelfert 2000: 94–105). Das „Wesen<br />

der Gemütlichkeit“, für Gelfert „die Intimität<br />

eines von allen Spannungen befreiten<br />

gesellschaftlichen Innenraums“<br />

(beide Zitate Gelfert 2000: 34), habe im<br />

18. Jahrhundert mit der Verbürgerlichung<br />

der Kultur begonnen, Einfluss auf die<br />

Kunst zu nehmen. Das Gemüt werde seit<br />

der Romantik (vgl. dazu den entsprechenden<br />

Abschnitt im vorliegenden Bericht)<br />

als das „nationaltypische Seelenvermögen“<br />

(Gelfert 2000: 95) der Deutschen begriffen,<br />

vergleichbar etwa mit dem e s p r it<br />

der Franzosen oder dem common sense<br />

der Engländer. Heute werde das Bedürfnis<br />

nach Gemütlichkeitskitsch klischeemäßig<br />

durch Volksmusiksendungen, Familienserien<br />

und Kuckucksuhren befriedigt. Auch<br />

der Erhabenheitskitsch kam im späten 18.<br />

Jahrhundert auf, war durch das ganze 19.<br />

Jahrhundert hinweg sehr populär und erlebte<br />

seinen „Kulminationspunkt“ (Gelfert<br />

2000: 55) in der Zeit des Nationalsozialismus.<br />

Das Bedürfnis nach Erhabenheitskitsch<br />

sei der späten Herausbildung eines<br />

schützenden deutschen Staates geschuldet,<br />

das in den Deutschen eine Sehnsucht nach<br />

Autorität und Schutz geweckt habe (vgl.<br />

Gelfert 2000: 95–98). Beide Formen werden<br />

mit der spezifisch deutschen Innerlichkeit,<br />

dem „Drang nach Ernst und Tiefe“ (Gelfert<br />

2000: 104) und einem „spannungsfreien<br />

Innenraum“ (Gelfert 2000: 105) erklärt, die<br />

mit einer starken Provinzialität und Natursehnsucht<br />

einhergehen.<br />

Fischer (1980) argumentiert in eine ähnliche<br />

Richtung, stellt aber eine gesellschaftliche<br />

Grundstimmung der Nostalgie in den<br />

Mittelpunkt seiner Ausführungen. Dabei<br />

handelt es sich zwar um kein neues Phänomen;<br />

seit es erstmals im 17. Jahrhundert<br />

als pathologische, stark mit der Sehnsucht<br />

nach der Heimat in Verbindung stehende<br />

psychische Disposition (vor allem von Soldaten)<br />

festgestellt wurde, wurde der Begriff<br />

aber inhaltlich weiterentwickelt (vgl. Fischer<br />

1980: 9–14). Heute bezeichnet er ein<br />

allgemeines Sehnen, das durch eine defizitär<br />

erlebte Gegenwart ausgelöst wird und<br />

das nicht auf einen „fasslichen [sic] oder<br />

nahe liegenden Gegenstand, sondern auf<br />

etwas nicht Eindeutiges, bzw. nicht mehr<br />

Vorhandenes“ gerichtet ist (Roters 1973, zit.<br />

n. Fischer 1980: 16). Auch bleibt sie nicht<br />

allein auf Orte („Heimat“) bezogen, son­<br />

dern erhält in ihrer heutigen Bedeutung<br />

eine starke zeitliche Komponente (Kindheit,<br />

„früher“). Laut Fischer drückt sie<br />

ein Verlustgefühl, einen „bedrückende[n]<br />

Wunsch nach etwas Entzogenem“ aus, das<br />

gesellschaftliche Bedürfnisse bzw. Stimmungen<br />

vor allem an „kulturell vermittelbaren<br />

Objekten“ (beide Zitate Fischer<br />

1980: 16) festmacht. Damit wird ein biografischer<br />

Bezug vermittelt – dieser lässt<br />

sich jedoch auch „pseudo- oder kryptobiografisch“<br />

(Fischer 1980: 16) erzeugen<br />

und bezieht sich zuweilen auch auf weiter<br />

zurück liegende Epochen als diejenigen,<br />

die der Nostalgiker tatsächlich selbst miterlebt<br />

hat. Meyers Enzyklopädisches Lexikon<br />

erklärt den Begriff Nostalgie im Jahr<br />

1976 wie folgt:<br />

„In der sog. N.welle (etwa seit 1972) gilt N.<br />

als Schlüsselwort für die schwärmerische<br />

Rückwendung zu Jugendstil und ‚Gartenlaube‘,<br />

zu Kitsch und Kunst der frühindustriellen<br />

Kultur und umschreibt das<br />

Bedürfnis nach Idylle und sentimentaler<br />

Verspieltheit. Mode und Musik, Film<br />

und Literatur propagierten mit Nostalgie<br />

die dekorative Hinwendung zu Hollywood<br />

und den Zwanziger Jahren. Inzwischen<br />

ist man (unter starker kommerzieller Einflussnahme)<br />

dazu übergegangen, selbst<br />

spätere, gerade noch zeitgenössisch erlebte<br />

Epochen nostalgisch aufzubereiten“<br />

(Baacke 1976: 447 in: Meyers Enzyklopädisches<br />

Lexikon, zit. n. Fischer 1980: 16).<br />

Bemerkenswert ist das recht genau bezifferte<br />

Anfangsdatum der Nostalgiewelle im<br />

Jahr 1972, das sich so bereits in einem Artikel<br />

im Magazin „Der Spiegel“ von 1973<br />

wiederfindet. Im Zweiten Weltkrieg und<br />

der direkten Nachkriegszeit sei Nostalgie<br />

im gesellschaftlichen Bewusstsein allerdings<br />

überhaupt nicht aufgetaucht und<br />

erst langsam aus den USA nach Westeuropa<br />

zurückgekommen. Fischer (1980: 15)<br />

interpretiert diesen Umstand als Beleg dafür,<br />

dass „Situationen wie Krieg, Wiederaufbau,<br />

Kampf ums Überleben, also äußerer<br />

Leidensdruck, [...] Formen des inneren<br />

überlagern [...] können. Die amerikanische<br />

Schriftstellerin und Gesellschaftskritikerin<br />

Susan Sontag hält Nostalgie<br />

und Utopie für zwei entgegen gesetzte<br />

Pole des modernen Denkens. Eine Zeit, in<br />

der es wenig Nostalgie gibt, ist für sie somit<br />

eine utopische Zeit, in der nach vorne

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