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Gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Hintergründe<br />

31<br />

system der Kunst“. Obwohl der Gegensatz<br />

von Kitsch und Kunst sich in der Nachmoderne<br />

schon sehr stark abgeschwächt<br />

hat – man denke an Kitsch-Art, Trash Couture<br />

und Camp – gilt bis heute das Postulat,<br />

dass Kunst den Denkapparat, Kitsch<br />

hingegen bloß Gefühl und Sinne anzusprechen<br />

habe. Damit ist nicht gemeint,<br />

dass Kunst nicht auch sinnlich erfahrbar<br />

sei und Gefühle auslösen könne. Voraussetzung<br />

dafür ist aber immer die – auch<br />

kognitive – Auseinandersetzung mit dem<br />

Kunstwerk; man muss sich so „verdienen“,<br />

die „harmonische Totalität“ (Braungart<br />

2002: 9) des Kunstwerks erfahren zu dürfen<br />

(vgl. Braungart 2002: 6–10). „Der Kitsch<br />

behauptet, dass [sic] diese Erfahrung des<br />

Harmonischen und Abgeschlossenen ganz<br />

einfach zu haben ist (Braungart 2002: 10).<br />

Gelfert (2000: 7–8, 12–30) erläutert nach<br />

einem Vergleich von Kitsch mit verschiedenen<br />

Arten von „schlechter Kunst“, dass<br />

Kitsch nicht nur eine ästhetische Komponente<br />

(„Massengeschmack bedienen, Konsens“),<br />

sondern immer auch eine ethische<br />

umfasst. So sei Kitsch nicht etwa durch<br />

eine mangelhafte Ausführung charakterisiert,<br />

sondern vielmehr durch die Diskrepanz<br />

zwischen Anspruch und tatsächlichem<br />

Ausdruck. Ein höherer Anspruch<br />

werde zwar vorgegeben, in der Realität befriedige<br />

der Kitsch jedoch nur ein Bedürfnis<br />

nach schnellem Sinnengenuss (vgl.<br />

Pross 1985: 27, Moles 1985: 31). So erhalte er<br />

seine typische „schwülstige“ (Projektionskitsch)<br />

oder „schmalzige“ (Regressionskitsch)<br />

Form, das „Zuviel“ an Perfektion<br />

und Emotionalität. Bei Projektionskitsch<br />

handelt es sich zumeist um niedliche, gemütliche<br />

Gegenstände, die Geborgenheit<br />

vermitteln oder den Beschützerinstinkt<br />

wecken und bei der Flucht aus der Realität<br />

helfen sollen. Regressionskitsch hingegen<br />

umfasst Erhabenes und Mondänes und<br />

fordert zu Selbsterhöhungsträumen und<br />

der Identifikation mit Autorität auf (vgl.<br />

Gelfert 2000: 65–80, Liessmann 2002: 5–14).<br />

Kitsch hat somit immer „das Unproblematische,<br />

Schöne und Idealisierte im Sinne<br />

eines klischeehaften Begriffs von Schönheit“<br />

(Sommer 2002: 161) zum Thema; er<br />

lebt von Stereotypen, Sentimentalität und<br />

Übertreibung. Auch von Hermann Broch<br />

stammt die Unterscheidung von Kunst und<br />

Kitsch durch die Art der Arbeitsanweisung:<br />

Kunst entstehe durch „gutes“ Arbeiten,<br />

Kitsch jedoch durch „schönes“ Arbeiten.<br />

Nur die guten Arbeitserzeugnisse brächten<br />

dabei die Gesellschaft voran, die anderen<br />

ruhten sich auf der Wiederverwertung<br />

altbewährter Formen aus (vgl. Broch 1933,<br />

zit. n. Dettmar/Küpper 2007: 223). Dies<br />

habe auch mit „dem Mangel an Eigenart<br />

der ästhetischen Kultur“ (Sachs 1932, zit. n.<br />

Dettmar/Küpper 2007: 187) einer Epoche<br />

zu tun. Moles (1971: 7) nennt Kitsch gar<br />

ein „‚ja nicht zuviel‘ an Fortschritt“. Er sei<br />

– um die Gesellschaft nicht zu überfordern<br />

– angesiedelt zwischen dem „Modischen<br />

und dem Konservativen“ (Moles 1971: 29),<br />

wodurch „[d]er kleine Mann [zum] Maß aller<br />

Dinge“ (1971: 24) werde. Eine interessante<br />

Parallele zu den Ausführungen zum<br />

Thema Erlebnisgesellschaft stellt zudem<br />

eine Annahme Moles’ (1971: 19–24, 85–89,<br />

vgl. auch Roller 2002) dar, die auf die Verkitschung<br />

und Überhöhung von Alltagsgegenständen<br />

(Briefbeschwerer in Form<br />

des Kölner Doms, Wecker mit Hahnenkrähen<br />

oder Ballerinen, Zigarettenigel…) anspielt:<br />

Auch hier stellt die Gebrauchsfunktion<br />

des Gegenstandes nur noch einen<br />

Vorwand zum Kauf dar, während der Konsument<br />

ohne schlechtes Gewissen Kitsch<br />

anhäufen darf. Der eigentliche Wert des<br />

Gegenstandes liegt jedenfalls nicht in seiner<br />

Nützlichkeit, sondern vielmehr in seiner<br />

gesellschaftlichen Aussage begründet,<br />

die den Besitzer zu einer bestimmten sozialen<br />

Gruppe zuordnet, ihn bestätigt und<br />

ihm Sicherheit verleiht.<br />

Obwohl das Wort „Kitsch“ als eines der wenigen<br />

deutschen Wörter in verschiedene<br />

andere Sprachen eingegangen ist, handelt<br />

es sich jedoch um ein in allen Kulturen<br />

und Epochen vorkommendes Phänomen<br />

(vgl. Bystrina 1985: 11, Moles 19717: 8,<br />

Mongardini 1985: 83). Aufgrund der Spezifika<br />

der deutschen Geschichte – späte Herausbildung<br />

von Nationalstaat und Demokratie<br />

– ist Kitsch laut Gelfert hierzulande<br />

jedoch weiter verbreitet als in manchen anderen<br />

Ländern: „Der Druck der Obrigkeit<br />

führte zur Flucht in den Regressionskitsch,<br />

und die Sehnsucht nach einem schützenden<br />

Ganzen zur Flucht in den Projektionskitsch“<br />

(Gelfert 2000: 94). Er identifiziert<br />

drei Formen spezifisch deutschen<br />

Kitsches, von denen zwei hier von Interesse<br />

sind: Gemütlichkeitskitsch (als typisch<br />

deutsche Ausprägung von Regressionskitsch),<br />

Erhabenheitskitsch (als typisch

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