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30 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

Von diesem Spannungsfeld zwischen Inszenierung,<br />

Reproduzierbarkeit und Massengeschmack<br />

ist es nur ein kleiner Schritt<br />

zur theoretischen Diskussion um Kitsch<br />

und Kitschkunst: Auch Kitsch wird nämlich<br />

als ein Phänomen begriffen, das mit<br />

der Herausbildung des Bürgertums und<br />

noch stärker mit der Konsumgesellschaft<br />

überhaupt erst entstehen konnte; und auch<br />

Kitsch soll erlebte Gefühle wiederholbar<br />

machen, indem sie an den „wahrnehmbaren<br />

Reiz des Objekts“ gekoppelt werden<br />

und dadurch ein „lebenspraktische[r]<br />

Sachverhalt affektiv besetzt“ wird (beide<br />

Zitate Gelfert 2000: 12). Die erste Schwierigkeit<br />

entsteht allerdings bereits bei der<br />

exakten Eingrenzung des Sujets, denn, wie<br />

Braungart (2002: 1) treffend formuliert:<br />

„Jeder weiß, was Kitsch ist, und keiner<br />

kann es sagen“. Die Herkunft des Wortes<br />

ist nicht ganz eindeutig, alle Herleitungen<br />

haben jedoch einen deutlich abwertenden<br />

Anklang. Besonders diffizil ist die Abgrenzung<br />

von Kitsch in Bezug auf Kunst, die<br />

oftmals nur sehr unscharf zu vollziehen<br />

ist (vgl. Braungart 2002: 1, Gelfert 2000: 8,<br />

23). Aus einem Essay von Hermann Broch<br />

aus dem Jahr 1933 stammt der vielfach zitierte<br />

Satz, Kitsch sei „das Böse im Wertehin<br />

die Frage erläutert werden, ob und inwiefern<br />

Rekonstruktionen als eine Form<br />

von Kitsch gelten können und auf welche<br />

gesellschaftlichen Faktoren die Entstehung<br />

und Verbreitung beider Phänomene<br />

gründet.<br />

In verschiedenen Zusammenhängen wurde<br />

bereits häufig die Frage gestellt, warum<br />

viele Wiederaufbau-Vorhaben von relativ<br />

jungen Leuten bzw. Menschen, die<br />

das Original nur aus medialer Überlieferung<br />

kennen, vorangetrieben werden.<br />

Opaschowski (2000a: 11–18) geht davon<br />

aus, dass die Grenzen zwischen Original<br />

und Inszenierung seit der Erfindung und<br />

massenweisen Verbreitung der Fotografie<br />

immer mehr verschwimmen und das<br />

Original damit in eine tiefe Krise gestürzt<br />

wurde, in der es nach wie vor steckt. Nicht<br />

mehr das objektive Feststellen der Echtheit<br />

eines Bauwerks oder eines anderen Kunstwerks<br />

oder Kulturereignisses sei maßgeblich<br />

für das Erleben desselben, sondern<br />

vielmehr die Disposition eines Subjekts,<br />

etwas Inszeniertes oder Rekonstruiertes<br />

als das Original wahrzunehmen und zu<br />

behandeln. Rekonstruktionsbefürwortern<br />

fällt die Herstellung dieser Bereitschaft<br />

vielleicht gerade deshalb leichter, weil sie<br />

keinen selbst erlebten Vergleich mit dem<br />

Original anstellen können. Besonders die<br />

jüngere Generation ist mit Inszenierungen<br />

und Fälschungen in verschiedenster<br />

Form aufgewachsen und kann ganz<br />

selbstverständlich lernen, mit ihnen zu leben,<br />

auch wenn sie dadurch durchschaut<br />

werden. Zuweilen wird die Inszenierung<br />

der Realität auch vorgezogen, da sie aufregender<br />

und fesselnder ist (vgl. Opaschowski<br />

2000a: 2–4, 12–13). Mit Turkle (1998)<br />

spricht Opaschowski (200a: 13) vom „Artificial-Crocodile-Effect“:<br />

Ein künstliches<br />

Krokodil in Disneyland, das umherkriecht<br />

und -schwimmt, ist faszinierender zu beobachten<br />

als ein echtes Krokodil in der<br />

Wildnis, das den größten Teil des Tages ruhend<br />

zubringt. Diese Art von Realitätsproduktion<br />

– wenn auch nicht im eigentlichen<br />

Sinne authentisch – muss allerdings nicht<br />

zwangsläufig inkorrekt sein. Im „Zeitalter<br />

virtueller Realitäten“ (Opaschowski<br />

2000a: 1) ist sowohl die Illusion von karibischem<br />

Urlaubsflair auf der unbewohnten<br />

Insel Coco Cay für Kreuzfahrtreisende<br />

als auch die Veröffentlichung von zusammengetragenen<br />

Erinnerungen mehre­<br />

rer Holocaust-Überlebender als Autobiografie<br />

einer Einzelperson (vgl. Assmann<br />

2007: 144–163) legitim – wenngleich festgehalten<br />

werden muss, dass es sich um völlig<br />

unterschiedliche Arten von Inszenierung<br />

handelt – denn genau so, wie es dort dargestellt<br />

wird, könnte es sein bzw. hätte es<br />

sein können.<br />

Bereits Walter Benjamin sieht in seinem<br />

berühmten Aufsatz „Das Kunstwerk im<br />

Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“<br />

(hier in der Fassung von 1939 vorliegend,<br />

neu verlegt 2007) das Aufkommen<br />

neuer Technologien – in seinem Fall handelte<br />

es sich dabei um Fotografie und Film<br />

– als Grund für eine veränderte Rezeption<br />

von Kunstwerken. Im Zuge der Technisierung<br />

löse sich das Kunstwerk ab von seiner<br />

meist religiösen Ritualfunktion und werde<br />

vielmehr nach seinem Ausstellungswert<br />

beurteilt. Hinzu komme das Bedürfnis einer<br />

zunehmend bürgerlichen, wohlhabenden<br />

Gesellschaft, Kunstwerke bzw. deren<br />

Reproduktionen zu besitzen. Somit richte<br />

sich die Kunst immer stärker auf Massenproduktion<br />

und Massengeschmack aus<br />

(vgl. Benjamin 2007: 9–17).

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