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288 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143 wieder aufgebauten Stadt Wesel ist über einen langen Zeitraum kaum ein Verlustempfinden thematisiert worden, so dass auch davon gesprochen wird, ihre historische Identität sei den Weselern „ausgebombt“ worden (vgl. Brandenburg 28.9.2009). Nur wenige Bürger scheint das Fehlen des ehemaligen Rathauses bewusst gewesen sein, und es ist von ihnen kaum als ausreichend negativ bewertet worden, um dies zu thematisieren und – zunächst ohne Erfolg – einen Wiederaufbau zu fordern. Diese weitgehende Nicht-Wahrnehmung änderte sich in den 1980er und 1990er Jahren offenbar durch zwei Faktoren: Einerseits wird – wahrscheinlich auch aufgrund eines gesteigerten Problembewusstseins hinsichtlich der innerstädtischen Brachfläche und einer Kritik der autogerechten Orientierung des Städtebaus – eine Neubebauung der Fläche wahrscheinlicher. Diese wird von den wenigen alteingesessenen Wiederaufbaubefürwortern als endgültiger Verlust und Verhinderung einer Chance auf Wiederaufbau wahrgenommen, so dass sie während der Diskussion um ein neues Wettbewerbsverfahren einen „Freundeskreis“ als Ausgangspunkt für die Wiederaufbauinitiative gründen. Andererseits hat mittlerweile ein erheblicher Zuzug nach Wesel stattgefunden, der auch innerhalb der 1990er Jahre anhält. Diese Personen kommen mit einer auf der Lebenserfahrung in anderen Städten basierenden Wahrnehmung und anderen Bewertungsmustern in die Stadt. Sie empfinden den Großen Markt zwar nicht unbedingt als einen Verlust, da sie keine Erinnerung an den früheren Zustand haben, wohl aber als eine städtebauliche „Leerstelle“, einen „Unort“. Zudem fehlen ihnen in Wesel insgesamt Orte, die ihre Bedürfnisse nach angenehmem Aufenthalt und Erlebnis – letztlich nach Identifikation und Distinktion – befriedigen. Die Verbindung dieser beiden Faktoren – ein Stück weit personifiziert durch Dagmar Ewert-Kruse, die als Neubürgerin mit der Erfahrung der Wiederaufbauintiative um die Alte Oper in Frankfurt nach Wesel kommt – und die politisch-mediale Strategie der Initiative führen letztlich dazu, dass sich auch innerhalb der zunächst uninteressierten, eher ablehnenden alteingesessenen Bevölkerungsmehrheit und den politischen Entscheidungsgremien eine Verlustwahrnehmung durchsetzt und die „Leerstelle“ als negativ bewertet wird. 7.13 Umgang mit „Leerstellen“ innerhalb von Wiederaufbauvorhaben Schließlich soll nun untersucht werden, welche Möglichkeiten des Umgangs mit den Vornutzungen bzw. „Leerstellen“ innerhalb des Wiederaufbauvorhabens insbesondere hinsichtlich der baulichräumlichem Ergebnisse wahrgenommen werden. Anhand der in der ersten Projektphase ermittelten Wiederaufbauvorhaben, die bereits zur Entwicklung der oben angeführten Typologie baulich-räumlicher Ausgangspunkte verwendet wurde, wurden folgende Formen des Umgangs mit dieser hier auch als „Leerstelle“ bezeichneten Situation identifiziert, die im Folgenden näher analysiert werden sollen: • Restaurativer Wiederaufbau • Abriss und Zerstörung zeitgeschichtlicher Spuren • Gestalterische Hervorhebung der Bauwerksgeschichte • Integration zusätzlicher zeitgenössischer Gebäudeteile und gestalterischer Elemente • Translokation von Gebäudeteilen und Nutzungen • Erhalt des Nachfolgerbaus durch Integration oder Standortverlagerung Hinzu kommen Formen der – in der Regel fachlichen – Auseinandersetzung mit der Ausgangssituation im Rahmen des Wiederaufbauvorhabens. Dabei weisen die verschiedenen Formen des Umgangs mit den „Leerstellen“ zum Teil deutliche Ähnlichkeiten mit den eingangs beschriebenen Ausgangspunkten auf. Dies betrifft zum einen Fälle, in denen der Wiederaufbau „verspätetet“ erfolgt und wo die Ausgangssituation aufgrund von ruinösen Resten oder „Tabula rasa“ dem Nachkriegszustand ähnelt. Zum anderen geht es um Situationen, in denen der Rekonstruktionswunsch ebenso auf ein bestehendes Gebäude trifft, wie man andernorts in der Nachkriegszeit auf mehr oder weniger gut erhaltene historische Gebäude stieß.

Grundlagen für eine Qualifizierung der Debatten über „Identität durch Rekonstruktion“ 289 Restaurativer Wiederaufbau Bei den allermeisten Wiederaufbauvorhaben, bei denen Ruinen oder ruinöse Rest quasi vervollständigt werden, folgt die Rekonstruktion einer Vorstellung der in der Regel möglichst originalgetreuen Vervollständigung fehlender Teile. Dabei wird der Übergang der Originalsubstanz zur Ergänzung nicht sonderlich hervorgehoben, sondern allenfalls durch das unterschiedliche Alter solange deutlich, bis die neuen Teile ebenfalls Patina angesetzt haben. Zum Teil wird der Unterschied sogar eher vermindert bis aufgehoben, in dem die Originalsubstanz gesäubert, verputzt, verkleidet, bemalt etc. wird. Umgekehrt wird die neue Substanz teilweise auch „auf alt“ getrimmt. Eine entsprechende Handhabung ist auch aus der restaurativen Praxis bekannt, wenngleich es sich hier in der Regel um Ergänzungen von relativ wie absolut weit geringerem Umfang geht. Abriss und Zerstörung zeitgeschichtlicher Spuren Wo keine Reste erhalten sind, ist die Negierung der Ausgangssituation und der in ihr vorhandenen zeitgeschichtlichen Spuren der stadträumlichen Entwicklung seit dem „Verschwinden“ des früheren Gebäudes vorherrschend. Bei allen recherchierten Wiederaufbauvorhaben, die auf einer Freifläche errichtet werden, ist nach Kenntnisstand diese Methode angewendet worden. Wie gezeigt, ist bzw. war die Qualität dieser Freiräume aus heutiger Sicht häufig – zumindest bezogen auf die Nutzbarkeit – eher fragwürdig. Auch erscheint es durchaus schwierig, mit den nachfolgend für einige Nachfolgerbauten dargestellten Methoden an eine wieder überbaute Freifläche zu erinnern. Doch auch viele nach dem Abtragen von Resten erneut baulich genutzte Grundstücke wurden für die Realisierung von Rekonstruktionsvorhaben erneut geräumt und bestehende Gebäude abgerissen, obwohl sie zum Teil mittlerweile selber aufgrund ihres baukünstlerischen oder zeitgeschichtlichen Wertes von Kritikern als erhaltenswert eingestuft wurden. Als Beispiel hierfür wird häufig der Berliner Palast der Republik angeführt, der für den Wiederaufbau des Stadtschlosses abgerissen wurde und dessen Eintragung auf die Denkmalliste beantragt war. In nächster Nähe musste zudem das Außenministerium der DDR für die Wiederherstellung der Alten Kommandantur durch den Bertelsmann-Konzern weichen. Ebenso wurden für Knochenhaueramtshaus und Kaiserhaus in Hildesheim jeweils Gebäude abgetragen, die in der Nachkriegszeit im Rahmen des „Wiederaufbaus“ der Altstadt errichtet worden waren. Bei einigen Bauten wie etwa dem Fernmeldeturm in Frankfurt a. M. wäre der Abriss hier aufgrund der anderweitigen Nutzungsvorstellungen für das Filetgrundstück, andernorts wegen funktionaler Mängel (Paulinerkirche bzw. Innenstadtcampus Leipzig) oder anderer stadtfunktionaler Anforderungen (U-Bahnbau und Römerberg Ostzeile in Frankfurt a. M.) auch ohne Wiederaufbauvorhaben wahrscheinlich gewesen. Gestalterische Hervorhebung der Bauwerksgeschichte Recht selten sind hingegen die verschiedenen Formen, darauf aufmerksam zu machen, dass zwischen dem Originalzustand und dem Wiederaufbau eine geschichtliche Entwicklung stattgefunden hat, die mit der Zerstörung beginnt und mit dem Prozess um den Wiederaufbau endet. So wurden beim Wiederaufbau der Frauenkirche die erhaltenen Spolien in ihrem verwitterten und insbesondere von der Brandnacht rußgeschwärzten Zustand belassen und als sichtbares Zeichen der Zerstörung in den Neubau eingebracht. Im weniger stark zerstörten Berliner Dom wurden das Mauerwerk ebenfalls nicht gesäubert und zudem auch Kriegsspuren erhalten, während in der Neuen Synagoge für die wiedererrichteten Teile leicht unterschiedliche Farben etwa der reichen Kachelverzierungen gewählt wurden. Alle diese Techniken dienen der Darstellung der Zerstörung und ggf. auch der Wiederherstellung, nicht aber dem Zeitraum dazwischen. Ein wenig anders ist dies möglicherweise beim Neuen Museum in Berlin, das auch nach der Wiederherstellung die ruinöse Optik und damit den Zustand der vergangenen sechzig Jahre so stark betont, dass hier auch eine Verbindung zu dieser Zwischenzeit entsteht. Eine eher unbewusste Form der Erinnerung an den Wiederaufbauprozess selbst ist zudem die Anbringung von Spendertafeln und Ähnlichem, wie es etwa für

288 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

wieder aufgebauten Stadt Wesel ist über<br />

einen langen Zeitraum kaum ein Verlustempfinden<br />

thematisiert worden, so dass<br />

auch davon gesprochen wird, ihre historische<br />

Identität sei den Weselern „ausgebombt“<br />

worden (vgl. Brandenburg<br />

28.9.2009). Nur wenige Bürger scheint das<br />

Fehlen des ehemaligen Rathauses bewusst<br />

gewesen sein, und es ist von ihnen kaum<br />

als ausreichend negativ bewertet worden,<br />

um dies zu thematisieren und – zunächst<br />

ohne Erfolg – einen Wiederaufbau zu fordern.<br />

Diese weitgehende Nicht-Wahrnehmung<br />

änderte sich in den 1980er und<br />

1990er Jahren offenbar durch zwei Faktoren:<br />

Einerseits wird – wahrscheinlich auch<br />

aufgrund eines gesteigerten Problembewusstseins<br />

hinsichtlich der innerstädtischen<br />

Brachfläche und einer Kritik der autogerechten<br />

Orientierung des Städtebaus<br />

– eine Neubebauung der Fläche wahrscheinlicher.<br />

Diese wird von den wenigen<br />

alteingesessenen Wiederaufbaubefürwortern<br />

als endgültiger Verlust und Verhinderung<br />

einer Chance auf Wiederaufbau<br />

wahrgenommen, so dass sie während der<br />

Diskussion um ein neues Wettbewerbsverfahren<br />

einen „Freundeskreis“ als Ausgangspunkt<br />

für die Wiederaufbauinitiative<br />

gründen. Andererseits hat mittlerweile<br />

ein erheblicher Zuzug nach Wesel stattgefunden,<br />

der auch innerhalb der 1990er<br />

Jahre anhält. Diese Personen kommen mit<br />

einer auf der Lebenserfahrung in anderen<br />

Städten basierenden Wahrnehmung<br />

und anderen Bewertungsmustern in die<br />

Stadt. Sie empfinden den Großen Markt<br />

zwar nicht unbedingt als einen Verlust, da<br />

sie keine Erinnerung an den früheren Zustand<br />

haben, wohl aber als eine städtebauliche<br />

„Leerstelle“, einen „Unort“. Zudem<br />

fehlen ihnen in Wesel insgesamt Orte, die<br />

ihre Bedürfnisse nach angenehmem Aufenthalt<br />

und Erlebnis – letztlich nach Identifikation<br />

und Distinktion – befriedigen.<br />

Die Verbindung dieser beiden Faktoren –<br />

ein Stück weit personifiziert durch Dagmar<br />

Ewert-Kruse, die als Neubürgerin mit<br />

der Erfahrung der Wiederaufbauintiative<br />

um die Alte Oper in Frankfurt nach Wesel<br />

kommt – und die politisch-mediale Strategie<br />

der Initiative führen letztlich dazu,<br />

dass sich auch innerhalb der zunächst uninteressierten,<br />

eher ablehnenden alteingesessenen<br />

Bevölkerungsmehrheit und den<br />

politischen Entscheidungsgremien eine<br />

Verlustwahrnehmung durchsetzt und die<br />

„Leerstelle“ als negativ bewertet wird.<br />

7.13 Umgang mit „Leerstellen“<br />

innerhalb von Wiederaufbauvorhaben<br />

Schließlich soll nun untersucht werden,<br />

welche Möglichkeiten des Umgangs mit<br />

den Vornutzungen bzw. „Leerstellen“ innerhalb<br />

des Wiederaufbauvorhabens<br />

insbesondere hinsichtlich der baulichräumlichem<br />

Ergebnisse wahrgenommen<br />

werden. Anhand der in der ersten Projektphase<br />

ermittelten Wiederaufbauvorhaben,<br />

die bereits zur Entwicklung der oben angeführten<br />

Typologie baulich-räumlicher<br />

Ausgangspunkte verwendet wurde, wurden<br />

folgende Formen des Umgangs mit<br />

dieser hier auch als „Leerstelle“ bezeichneten<br />

Situation identifiziert, die im Folgenden<br />

näher analysiert werden sollen:<br />

• Restaurativer Wiederaufbau<br />

• Abriss und Zerstörung zeitgeschichtlicher<br />

Spuren<br />

• Gestalterische Hervorhebung der Bauwerksgeschichte<br />

• Integration zusätzlicher zeitgenössischer<br />

Gebäudeteile und gestalterischer<br />

Elemente<br />

• Translokation von Gebäudeteilen und<br />

Nutzungen<br />

• Erhalt des Nachfolgerbaus durch Integration<br />

oder Standortverlagerung<br />

Hinzu kommen Formen der – in der Regel<br />

fachlichen – Auseinandersetzung mit der<br />

Ausgangssituation im Rahmen des Wiederaufbauvorhabens.<br />

Dabei weisen die verschiedenen Formen<br />

des Umgangs mit den „Leerstellen“ zum<br />

Teil deutliche Ähnlichkeiten mit den eingangs<br />

beschriebenen Ausgangspunkten<br />

auf. Dies betrifft zum einen Fälle, in denen<br />

der Wiederaufbau „verspätetet“ erfolgt<br />

und wo die Ausgangssituation aufgrund<br />

von ruinösen Resten oder „Tabula<br />

rasa“ dem Nachkriegszustand ähnelt. Zum<br />

anderen geht es um Situationen, in denen<br />

der Rekonstruktionswunsch ebenso auf<br />

ein bestehendes Gebäude trifft, wie man<br />

andernorts in der Nachkriegszeit auf mehr<br />

oder weniger gut erhaltene historische Gebäude<br />

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