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286 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

Die eigentliche Auseinandersetzung um<br />

den Wiederaufbau des Thurn-und-Taxis-<br />

Palais’ fand bereits in der Nachkriegszeit<br />

statt und endete damals mit einem baulichen<br />

Kompromiss: Die Stadtverwaltung<br />

hatte sich für einen vollständigen Wiederrungsteil<br />

als ein wesentlicher Identitätsanker:<br />

Sie wurde bis zu ihrer Sprengung<br />

als religiöser Ort der evangelischen Studierendengemeinde,<br />

seit der Bombardierung<br />

der katholischen Pfarrkirche aber<br />

auch als deren Versammlungsort genutzt.<br />

Zudem fanden hier politische Diskussionen<br />

statt, die von einem regimekritischen<br />

Teil der Bürgerschaft, vermutlich überwiegend<br />

mit Bezug zur Universität, besucht<br />

wurden. Die breite Bevölkerungsmehrheit<br />

hingegen hatte zur Kirche lediglich durch<br />

ihre repräsentative Schaufassade zum<br />

wichtigen Augustusplatz eine Beziehung.<br />

Bereits die Universitätsleitung betrachtete<br />

Kirche und das angrenzende, stark kriegsbeschädigte<br />

Augusteum hingegen eher als<br />

Ballast. Sie musste die zuvor nationalsozialistisch<br />

orientierte und insgesamt stark<br />

tradi tionsverbundene Universität mit religionswissenschaftlichem<br />

Schwerpunkt<br />

in eine moderne, sozialistische Karl-Marx-<br />

Universität reformieren. Nachdem eine<br />

Campusverlagerung nicht mehr in Aussicht<br />

stand, bemühte man sich um einen<br />

der Reformuniversität entsprechenden<br />

Innenstadtcampus, auf dem für die<br />

Paulinerkirche kein Platz mehr war. Die<br />

durch die Staats- und Parteiführung zu einem<br />

umfassenden Stadtumbau gedrängten<br />

Stadtoberen bezogen bald den in Karl-<br />

Marx-Platz umbenannten Augustusplatz<br />

in die Planungen einer sozialistischen Innenstadt<br />

mit ein. Die Paulinerkirche wurde<br />

dort als nicht angemessen empfunden,<br />

sollte zunächst – wohl aufgrund ihrer<br />

historischen und baukünstlerischen Bedeutung<br />

– transloziert werden und wurde<br />

dann, auch aus finanziellen Erwägungen<br />

zum Abriss vorgesehen. Während die<br />

Haltung der Bevölkerung zu der schließlich<br />

1968 durchgeführten Sprengung unterschiedlich<br />

dargestellt wird, ist von Seiten<br />

der ehemaligen Nutzer ein im Rahmen<br />

der damaligen Möglichkeiten erheblicher<br />

Widerstand bekannt, der bei mehreren<br />

Personen zu Verhaftungen und Gerichtsverfahren<br />

führte und die Identifikation<br />

mit dem Gebäude zusätzlich stärkte. Die<br />

Sprengung wurde schließlich von einer<br />

großen Menschenmenge beobachtet, während<br />

sich die Leipziger Pfarrer in der Thomaskirche<br />

zum Gebet versammelten.<br />

Nach Fertigstellung der neuen Universitätsgebäude<br />

wurden die Umstände ihrer<br />

Entstehung offiziell wie auch in Tei­<br />

len der Bevölkerung tabuisiert, innerhalb<br />

der Darstellung der Universitätsgeschichte<br />

wurde vor allem auf die moderne Errungenschaft<br />

des neuen Gebäudes verwiesen,<br />

wenngleich sich hier zunehmend Mängel<br />

und Schäden einstellten. Gleichzeitig wurde<br />

die neue Sinnstiftung des Ortes mit einer<br />

Großplastik betont, die Karl Marx’ Leben<br />

und Wirken darstellte. Innerhalb der<br />

Studierendengemeinde hingegen wurde<br />

die Geschichte weitererzählt und bestand<br />

offenbar eine Tendenz zur Legendenbildung.<br />

Da die Sprengung vor allem auch als staatlicher<br />

Willkürakt verstanden wurde und<br />

es in Leipzig wie auch in anderen Teilen<br />

der DDR deutliche Überlagerungen zwischen<br />

kirchlichen und regimekritischen<br />

Kreisen gab, wurde die Zerstörung der<br />

Paulinerkirche bald nach der friedlichen<br />

Revolu tion im Rahmen von Bürgerforen<br />

thematisiert und es entstand schließlich<br />

die Idee des Wiederaufbaus – bzw. wurde<br />

diese Idee wiederbelebt, da eine Rekonstruktion<br />

bereits kurz nach der Sprengung<br />

gefordert worden war. In der dadurch entstanden<br />

Diskussion beharrt die Universität<br />

vor allem auf eine hohe Nutzbarkeit<br />

des Ortes für ihre Zwecke, was insbesondere<br />

in der Auseinandersetzung Kirche<br />

vs. Aula deutlich wird, zugleich geht es ihr<br />

aber auch um eine Repräsentanz im Stadtbild,<br />

die ihrem neuerlich reformiertes<br />

Selbstbild entspricht, obwohl dieses selbst<br />

über weite Teile der Kontroverse noch in<br />

der Diskussion war. Unter den Wiederaufbaubefürwortern<br />

dominierten zunächst<br />

diejenigen, denen es um die Herstellung<br />

der alten stadträumlichen Wirkung ging.<br />

Schon bald traten solche hinzu, denen es<br />

um eine Erinnerung an den Willkürakt der<br />

Sprengung und ihren Widerstand dagegen<br />

ging. Schließlich allerdings wurde der frühere<br />

Identifikationsort – das Kircheninnere<br />

als religiöser und gesellschaftlicher Ort –<br />

hier zum bedeutendsten Faktor.<br />

Die „Leerstelle“ des Thurn-und-Taxis-Palais<br />

Frankfurt a. M.

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