PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Die aktuelle Fachdebatte – Tendenzen eines inter- und transdisziplinären Diskurses<br />
259<br />
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass<br />
im Zuge der Rekonstruktionsdebatten einige<br />
der alten fachlichen Dogmen von Architektur<br />
und Denkmalpflege aus dem<br />
eigenen professionellen Kontext heraus angegriffen<br />
werden, sich aber noch keine klare<br />
Neusortierung von Prinzipien herausgebildet<br />
hat. In der Architektur wird gerne<br />
auf die Spezifik jedes Einzelfalls abgehoben<br />
(vgl. Schäche 2000); damit ist aber eine<br />
kriteriengeleitete Debatte schwer zu führen,<br />
und insbesondere Rekonstruktionsvorhaben<br />
werden äußerst instrumentalisierungsanfällig.<br />
Dagegen scheint sich in<br />
der Denkmalpflege das Rekonstruktionstabu<br />
nur allmählich zu lockern, und zwar<br />
im Wesentlichen unter Zurkenntnisnahme<br />
der schon immer bestehenden Vielschichgewählten<br />
diskursiven Formats unmöglich<br />
zu erfüllende Erwartung. Der Verein Stadtbild<br />
Deutschland e.V. hingegen begrüßt,<br />
dass sich das Ministerium nunmehr des<br />
Themas angenommen und durch die Tagung<br />
„ein wichtiges Signal […] in die richtige<br />
Richtung“ gesetzt habe. Gerade noch<br />
rechtzeitig beschäftige sich das BMVBS<br />
mit dem Thema, pflichtet auch Zajonz<br />
(2008) bei – schließlich sei es mit dem Berliner<br />
Stadtschloss bald Bauherr eines „der<br />
größten Rekonstruktionsvorhaben überhaupt.<br />
Allerdings verweist er auch auf den<br />
Veranstaltungsort, wenn er mit Bärensaal<br />
und Neuem Museum zwei Beispiele nennt,<br />
die eine Alternative zur Rekonstruk tion<br />
darstellen könnten: Geschichtsspuren<br />
sichtbar werden zu lassen.<br />
6.3 Aktuelle Tendenzen<br />
Mit der Zunahme von realisierten Wiederaufbauvorhaben<br />
hat sich die Debatte insoweit<br />
verändert, als kritische Stimmen<br />
durchaus weniger und vor allem weniger<br />
laut erscheinen. Das hat aber wohl weniger<br />
mit einem grundsätzlichen Stimmungsumschwung<br />
oder Überzeugung zu<br />
tun als vielmehr mit einer gewissen Resignation<br />
und dem Versuch, der leidig gewordenen<br />
Diskussion aus dem Weg zu gehen.<br />
Deutlich erkennbar ist dies sicher bei<br />
der BMVBS-Baukulturwerkstatt im Oktober<br />
2008, aber selbst bei der weitgehend<br />
unter Architekten und Planern verlaufenden<br />
Diskussionsveranstaltung „Rekonstruktivismus<br />
– was tun“ hat – schon wegen<br />
des Fehlens eines konkreten Vorhabens in<br />
Kassel – die Schärfe und Eindeutigkeit in<br />
vielen Aussagen gefehlt. Dies könnte allerdings<br />
auch zur allgemeinen Tendenz werden.<br />
So geht Bartezko (24.9.2009) davon<br />
aus, dass das Phänomen Rekonstruktion<br />
mittlerweile von allen Berufsgruppen anerkannt<br />
sei und somit als fester Bestandteil<br />
des Baugeschehens in Deutschland akzeptiert<br />
werden, um den „man nicht mehr<br />
drum herum kommt“. Wie auch die Darstellung<br />
der Berliner Schlossdebatte zeigt,<br />
bemüht sich zwar die Feuilletondebatte<br />
momentan noch um Differenzierung,<br />
doch werden die Fronten zunehmend widersprüchlicher<br />
und versucht der Großteil<br />
der Fachjournalisten mittlerweile, fallabhängig<br />
zu urteilen. Bartetzko führt dies<br />
auf einen „Gewöhnungseffekt“ zurück. So<br />
ist auch für einige Fachvertreter Rekonstruktion<br />
schon wesentlich länger Alltag,<br />
hat Winfried Nerdinger (vgl. dens. 2008)<br />
aus Anlass der Tagung „Das Prinzip Rekonstruktion“<br />
doch bereits umfängliche<br />
Indizien für eine lange Rekonstruktionspraxis<br />
präsentiert. Dabei nähert sich die<br />
akademische Denkmalpflege im Januar<br />
2008 vermutlich gründlicher dem Thema<br />
Rekonstruktion an, und zwar offensichtlich<br />
ebenfalls vor dem Hintergrund der in<br />
der Praxis zu beobachtenden Rekonstruktionswelle<br />
und dabei unbeeinflusst von<br />
entscheidungsrelevanten Debatten im<br />
Schutzraum einer wissenschaftlichen<br />
Tagung an der ETH Zürich (vgl. Kerkhoff<br />
2008, Stimmann 2008). Sie soll offenbar<br />
zunächst zu einer Entdogmatisierung<br />
der Debatte beitragen, indem anerkannte<br />
Denkmalpfleger und andere Wissenschaftler<br />
hochkarätige Einzelbeispiele von<br />
Rekonstruktionen aus verschiedenen Kontexten<br />
präsentieren. Schließlich widmen<br />
sich nunmehr, wenn auch zaghaft, weitere<br />
Disziplinen dem Phänomen zeitgenössischer<br />
Rekonstruktionen, wie die im<br />
Wesentlichen geisteswissenschaftlich bestrittene<br />
Tagung der AG Architektursoziologie<br />
zu „Rekonstruktion Dekonstruktion<br />
Konstruktion“ zeigt. Entsprechend<br />
der Neuheit der Beforschung kommen<br />
dabei wenige Beiträge über eine – wenngleich<br />
ausführliche – Phänomenbeschreibung<br />
hinaus, wenngleich Joachim Fischer<br />
hier einen wesentlichen Beitrag damit leistet,<br />
dass er das Phänomen mit dem Entstehen<br />
der neuen Risikogesellschaften nach<br />
dem Zerfall des Ostblocks verbindet.