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198 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143 Idee des Wiederaufbaus des Historischen Rathauses nicht durch eine andere Bebauung unmöglich werden zu lassen. (Zu diesem Zeitpunkt wurde noch eine Rekonstruktion des vollständigen Baukörpers des Historischen Rathauses angestrebt.) Im Ergebnis entstand erst Mitte der 1990er Jahre eine Bebauung durch einen lokalen Investor, die eine spätere Fassadenre konstruktion ermöglichte. Die entsprechenden Absprachen wurden direkt zwischen Bürgerinitiative und Investor getroffen. Wesentlich konkreter wurde das Wiederaufbauvorhaben, als 1995 eine gerade zugezogene ehemalige Kunstlehrerin zum Verein stieß und mit erheblichem Engagement die Sache vorantrieb, weitere Mitstreiter mobilisierte und die Vereinsgeschäfte „professionalisierte“. Der Verein orientierte sich fortan wesentlich an den großen Wiederaufbauinitiativen in Frankfurt, Hildesheim, Berlin und Dresden aber auch Danzig, übernahm aus diesen Vorhaben wesentliche Aktions- und Partizipationsformen und konzentrierte sich auf die zeitnahe Durch- und Umsetzung sowie der Aktivierung eines stadtgesellschaftlichen Diskussionsprozesses um dieses Rekonstruktionsvorhaben. Neben der Freisetzung eines erheblichen zivilgesellschaftlichen Engagements, das neben der Information und Präsentation schon bald auch ganz erheblich auf Spendeneinwerbung ausgerichtet war, bestand ein wesentlicher Erfolgsfaktor in der geschickten Verhandlung mit politischen und administrativen Entscheidungsträgern. Dabei wurde zunächst eine finanzielle Unterstützung durch das Land Nordrhein-Westfalen erreicht, die weniger durch eine inhaltliche Überzeugung zustande kam – seitens des Ministers herrschte zunächst erhebliche Skepsis –, sondern vielmehr als Würdigung der ehrenamtlichen Arbeit durch die damalige rot-grüne Landesregierung verstanden werden kann. Erst mit dieser, zumal von einer kommunalen Gegenfinanzierung abhängigen Mittelzusage trat die Bürgerinitiative an die Stadt Wesel und den Rat heran und überführte das Vorhaben mit einer gesamten Kostensumme von 2,7 Mio. Euro somit in die lokale, öffentliche Diskussion. Dies erschien notwendig, um die finanziellen Bedenken innerhalb der Administration und Politik vorwegzunehmen. Die im gesamten Prozess relativ späte lokalpolitische Entscheidung (2006) entwickelte sich dann zu einer erheblichen Kontroverse, die allerdings kaum die Rekonstruktion an sich in Frage stellte – hier hatte die Bürgerinitiative stets die Normalität eines solchen Vorgehens außerhalb Wesels betont –, sondern vor allem um die Verwendung der städtischen Gelder geführt wurde. Die parteiübergreifende Opposition wollte das städtische Fördervolumen von rund 400 000 Euro vielmehr in – nicht weiter konkretisierten – sozialen Projekten verwendet sehen oder sparen, während die ebenso parteiübergreifende Mehrheit schließlich wie zuvor die Landesregierung vor allem das bürgerschaftliche Engagement würdigen wollte. Zudem hatte sich die Basis der Unterstützung in der zunächst skeptischen Bürgerschaft mittlerweile sichtlich verbreitert. 5.31 Vorgeschichte Baugeschichte Zwei wesentliche Epochen prägen die Geschichte der Stadt Wesel vor 1945: die Hansezeit und damit die „Blütezeit“ der Stadt, in der Wesel zeitweise „wichtigste Stadt zwischen Amsterdam und Köln“ (Bürgerinitiative Historisches Rathaus Wesel 2002) gewesen sein soll und in der 1456 auch das Rathaus errichtet wurde, und die Zeit preußischer Herrschaft, in der Wesel zu einem bedeutenden Militärstandort ausgebaut wurde. Aus dieser preußischen Zeit sind auch nach den Kriegszerstörungen vom Februar 1945 noch Hinterlassenschaften und Strukturen innerhalb des Weseler Stadtgrundrisses vorhanden, so z. B. das Berliner Tor als Teil der preußischen Festungsanlagen. Lediglich die für die Stadt Wesel bedeutende Phase der Hansezeit ist in ihrer baulichen Ausprägung – bis auf den Willibrordi-„Dom“, welcher eigentlich eine evangelische Kirche ist und somit aufgrund der Konfession und der Größe kein formaler Dom sein kann, allerdings das Selbstverständnis der Weseler Bürger widerspiegelt – in Wesel nicht mehr vorhanden. Das Historische Rathaus in seiner spätgotisch-flämischen Formensprache galt bis zu seiner Zerstörung als wichtiger Repräsentant dieses recht kurzen Baustils am unteren Niederrhein. Als drittes Rat
Fallstudien 199 Der Nachkriegswiederaufbau folgte zwar im Wesentlichen dem alten Stadtgrundriss, da das Verkehrsnetz, die unterirdische Infrastruktur und Baudenkmäler wichtige Grundstrukturen für den Wiederaufbau herangezogen wurde, orientierte sich in seiner Architektur des gemäßigten modernen Städtebaus der 1950/1960er Jahre allerdings kaum an der Vorbebauung. Dabei wurde eher auf die Zweckmäßigkeit der Bauten und einer schnellen Umsetzung geachtet. Daher fand eine Auseinandersetzung mit der historischen Bausubshaus der Stadt Wesel – nach der Errichtung des ersten Rathauses mit der Stadternennung 1241 und der Neuerrichtung 1389– 1396 nach einem verheerenden Stadtbrand – wurden ab 1455 mit dem Bau begonnen und in den ersten ein bis zwei Jahren der Baukörper erstellt, die aufwendig verzierte, spätgotische Fassade im flämischen Stil wurde dann aufgrund der zeitintensiven Bildhauerarbeiten bis zum Ende des 15. Jahrhunderts fertig gestellt. Mit den Ende der baulichen Arbeiten des Gebäudes – nicht der Fassade – in den Jahren 1474 bzw. 1476 konnte das Gebäude als Rathaus genutzt werden, so dass ab diesem Zeitraum der Bürgermeister und der Rat der Stadt Wesel sowie das Ortsgericht in den Räumlichkeiten residierte und von 1458 bis 1470 der Hansedritteltag mit Abgesandten von wichtigen Hansestädten aus Westeuropa in Wesel tagte. (Rotthauwe 1975: 54 ff.; Deurer: 6 f.) Das Rathaus wurde bis 1945 durchgehend genutzt, allerdings mehrfach baulich verändert: 1698 und 1740 wurden die Fassade verändert und ein zusätzliches Portal mit Freitreppen, Türmchen und Barockhaube eingefügt. Bis vor kurzem ging man noch davon aus, dass bei diesen Baumaßnahmen auch eine Erweiterung um eine Fensterbreite stattgefunden hat (Rotthauwe 1972). Hiergegen sprechen aber neuere Erkenntnisse (Ewert-Kruse/Schröder 28.9.2009). Im 19. Jahrhundert wurden die Rathausfassade zudem restauriert und dabei von den preußischen Restauratoren die in der Fassade befindlichen Heiligenfiguren durch weltliche Personen (Karl der Große, Rudolf von Habsburg, zwei Grafen und zwei Kurfürsten) ersetzt. Lediglich Willibrord, „Vater der Stadt, Patron der großen Stadtkirche und mit dieser Kirche Symbol der Stadt“ (Rotthauwe 1972: 34), wurde erhalten. Zudem wurde die Rathausnutzung immer weiter auf die benachbarten Gebäude ausgeweitet, um Platz für die wachsende Stadtverwaltung zu finden. oder bestimmte Stadtviertel, sondern nahezu die gesamte Stadtfläche. Wesel gilt daher als die am stärksten zerstörte deutsche Stadt. Vom abgebrannten Rathaus blieben nur marginale Reste der Fassade und ein Teil des Unterbaus, die in eine in den 1990ern gebaute Tiefgarage integriert wurden. Die Trümmer – auch des Rathauses – wurden zu größten Teilen beseitigt oder für den Wiederaufbau als Baumaterial genutzt. Abbildung 16 Das spätgotische Rathaus (ca. 1900) Zerstörung Die Stadt Wesel wurde in drei Bombenangriffen im Februar 1945 „over-bombed“ (TIME Magazine) und nahezu vollständig zerstört. Im Gegensatz zu vielen Großstädten betraf dies nicht nur die Innenstadt Quelle: gemeinfrei
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Fallstudien<br />
199<br />
Der Nachkriegswiederaufbau folgte zwar<br />
im Wesentlichen dem alten Stadtgrundriss,<br />
da das Verkehrsnetz, die unterirdische Infrastruktur<br />
und Baudenkmäler wichtige<br />
Grundstrukturen für den Wiederaufbau<br />
herangezogen wurde, orientierte sich<br />
in seiner Architektur des gemäßigten modernen<br />
Städtebaus der 1950/1960er Jahre<br />
allerdings kaum an der Vorbebauung. Dabei<br />
wurde eher auf die Zweckmäßigkeit<br />
der Bauten und einer schnellen Umsetzung<br />
geachtet. Daher fand eine Auseinandersetzung<br />
mit der historischen Bausubshaus<br />
der Stadt Wesel – nach der Errichtung<br />
des ersten Rathauses mit der Stadternennung<br />
1241 und der Neuerrichtung 1389–<br />
1396 nach einem verheerenden Stadtbrand<br />
– wurden ab 1455 mit dem Bau begonnen<br />
und in den ersten ein bis zwei Jahren der<br />
Baukörper erstellt, die aufwendig verzierte,<br />
spätgotische Fassade im flämischen Stil<br />
wurde dann aufgrund der zeitintensiven<br />
Bildhauerarbeiten bis zum Ende des 15.<br />
Jahrhunderts fertig gestellt. Mit den Ende<br />
der baulichen Arbeiten des Gebäudes –<br />
nicht der Fassade – in den Jahren 1474 bzw.<br />
1476 konnte das Gebäude als Rathaus genutzt<br />
werden, so dass ab diesem Zeitraum<br />
der Bürgermeister und der Rat der Stadt<br />
Wesel sowie das Ortsgericht in den Räumlichkeiten<br />
residierte und von 1458 bis 1470<br />
der Hansedritteltag mit Abgesandten von<br />
wichtigen Hansestädten aus Westeuropa<br />
in Wesel tagte. (Rotthauwe 1975: 54 ff.;<br />
Deurer: 6 f.)<br />
Das Rathaus wurde bis 1945 durchgehend<br />
genutzt, allerdings mehrfach baulich verändert:<br />
1698 und 1740 wurden die Fassade<br />
verändert und ein zusätzliches Portal<br />
mit Freitreppen, Türmchen und Barockhaube<br />
eingefügt. Bis vor kurzem ging man<br />
noch davon aus, dass bei diesen Baumaßnahmen<br />
auch eine Erweiterung um eine<br />
Fensterbreite stattgefunden hat (Rotthauwe<br />
1972). Hiergegen sprechen aber neuere<br />
Erkenntnisse (Ewert-Kruse/Schröder<br />
28.9.2009). Im 19. Jahrhundert wurden<br />
die Rathausfassade zudem restauriert und<br />
dabei von den preußischen Restauratoren<br />
die in der Fassade befindlichen Heiligenfiguren<br />
durch weltliche Personen (Karl<br />
der Große, Rudolf von Habsburg, zwei<br />
Grafen und zwei Kurfürsten) ersetzt. Lediglich<br />
Willibrord, „Vater der Stadt, Patron<br />
der großen Stadtkirche und mit dieser<br />
Kirche Symbol der Stadt“ (Rotthauwe<br />
1972: 34), wurde erhalten. Zudem wurde<br />
die Rathausnutzung immer weiter auf die<br />
benachbarten Gebäude ausgeweitet, um<br />
Platz für die wachsende Stadtverwaltung<br />
zu finden.<br />
oder bestimmte Stadtviertel, sondern nahezu<br />
die gesamte Stadtfläche. Wesel gilt<br />
daher als die am stärksten zerstörte deutsche<br />
Stadt. Vom abgebrannten Rathaus<br />
blieben nur marginale Reste der Fassade<br />
und ein Teil des Unterbaus, die in eine in<br />
den 1990ern gebaute Tiefgarage integriert<br />
wurden. Die Trümmer – auch des Rathauses<br />
– wurden zu größten Teilen beseitigt<br />
oder für den Wiederaufbau als Baumaterial<br />
genutzt.<br />
Abbildung 16<br />
Das spätgotische Rathaus (ca. 1900)<br />
Zerstörung<br />
Die Stadt Wesel wurde in drei Bombenangriffen<br />
im Februar 1945 „over-bombed“<br />
(TIME Magazine) und nahezu vollständig<br />
zerstört. Im Gegensatz zu vielen Großstädten<br />
betraf dies nicht nur die Innenstadt<br />
Quelle: gemeinfrei