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172 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143 Akt der Zerstörung selbst und sein Kontext zu einem Argument der Wiederaufbaubefürworter. Koch und Koch (2006: 15) schrecken hier auch nicht davor zurück, die Sprengung der Paulinerkirche als den „Höhepunkt kultureller Säuberungen unter dem SED-Regime der Ära Walter Ulbricht“ zu bezeichnen und mit der Zerstörung der quasi nachträglich anerkannten UNESCO- Welterbestätte im afghanischen Bamian-Tal durch die Taliban 2001 zu vergleichen. Daran schließt sich das Argument der „Normalität“ von Rekonstruktion an, da für Afghanistan davon ausgegangen wird, dass eine Wiederherstellung die vorherrschende Meinung in internationalen Fachkreisen sei. Die UNESCO begründete die Aufnahme in die Welterbeliste mit der Hoffnung, „dass [sic] sich Handlungen extremer Intoleranz wie die vorsätzliche Zerstörung der Buddha-Statuen niemals wiederholen“ (ebd.). Implizit wird damit auch ausgedrückt, dass auch die Leipziger Universitätskirche als ein solches Symbol dienen könne. Umgekehrt sei ein Unterlassen eines Wiederaufbaus eine Wiederholung oder zumindest Bestätigung der Ulbricht zugeschriebenen Zerstörung (vgl. CDU Leipzig 14.1.2002). Ebenfalls häufig wird die Bedeutung, der kulturhistorische Wert und das Alter der gesprengten Kirche angeführt, die in ihren Grundzügen nahezu 700 Jahre der Leipziger Stadtentwicklung mit geprägt habe. Dies wird zwar an den erhaltenen Teilen der Innenausstattung und einigen Steinen der Roßbachfassade dokumentiert, seltener genannt wird aber das – z. B. in der Auseinandersetzung um den Wiederaufbau des Frankfurter Goethehauses in den 1950er Jahren wesentliche – Argument, dass immerhin achtzig Prozent der Ausstattung der Kirche noch vorhanden sind und einen angemessenen Platz brauchen. Wesentlich häufiger hingegen wird der kulturgeschichtliche, insbesondere musikgeschichtliche Aspekt benannt: Die Paulinerkirche habe eine große Bedeutung für die „Musikstadt Leipzig“, da Bach, Mendelssohn-Bartholdy, der hier auch zur Trauerfeier aufgebahrt war, Reger und weitere Größen der Musikgeschichte hier gewirkt haben. Hier verbindet sich die Begründung des Rekonstruktionswunsches mit der historischen Bedeutung des Originalbauwerks mit dem Argument der touristischen Vermarktung: Leipvorangegangenen Diskussion, dass die Position des Paulinervereins als komplex wahrgenommen wurde und dadurch medial schwierig zu vermitteln war (vgl. Heymann 26.8.2009). So kommt es, dass die Hauptbeweggründe und damit eigentlichen Kernargumente der im Paulinerverein versammelten früheren Nutzer der Universitätskirche nirgends so deutlich formuliert werden, wie der derzeitige Pauliner-Vorsitzende Stötzner (28.8.2009) dies im Interview tut: Als Christen in einer nicht-christlichen Stadt sei man eine Minderheit und dennoch fordere man die Wiederherstellung des Baus, der ihnen bis zur mutwilligen Zerstörung als wesentlicher Identifikationsort – nämlich als geistliches und politisches Zentrum und „Ort des freien Worts“ in Zeiten der Diktatur – gedient habe. Nach der Sprengung sei auch ein wesentlicher Teil des vom SED-Regime als Widerstand wahrgenommenen bürgerlichen Lebens, das zuvor in der Kirche beheimatet gewesen sei, zerstört worden. Wegen dieser immensen Bedeutung dürfe es auch eine Rekonstruktion sein. Die angeführten Argumente allerdings waren – angefangen von dem Beharren auf eine in Umfragen belegte Mehrheit innerhalb der Bevölkerung – stets andere. Als wesentliche Argumente nennt Stötzner (28.8.2009) zwar auch den kirchlich-theologischen Aspekt des Wiederaufbaus eines zerstörten „Tempels“ (mit Verweis auf das Alte Testament), doch verweist er auch darauf, dass sich die Pauliner in der Anfangsphase nicht als „Kirchenbauverein“ betrachtet hätten. Dies scheint erst in der Debatte um die Nutzung, die Innenraumge staltung und insbesondere den von der Universität vorgesehenen Raumteiler wirklich deutlich zu werden. Die Besonderheit der Universitätskirche, die wesentliche Bedeutung der theologischen Fakultät in der Hochschulgeschichte, aber auch die Bedeutung für den „Widerstand“ gegen den SED-Staat werden auch allenfalls erwähnt, während vor allem angeführt wird, die Sprengung sei ein „politischer Willkürakt des SED-Regimes und bleibe ständiger Ausdruck kommunistischer Barbarei“ (CDU Leipzig 14.1.2002, vgl. LVZ 15.1.2002), der mit der Rekonstruktion „wiedergutgemacht“ werden müsse. Stärker als bei anderen Wiederaufbauvorhaben werden der
Fallstudien 173 zig wolle sich als Musikstadt darstellen, doch seien z. B. kaum originale Bachstätten vorhanden. Eine in dieser Form seltene Verkehrung des üblichen Arguments der touristischen Attraktivität formuliert der damalige Pauliner-Vorsitzende Blobel, als er von der Leipziger Volkszeitung (23.4.2003) angesprochen auf die Entscheidung des Nationalen Olympischen Komitees für Leipzig als Kandidat für die Spiele im Jahr 2012 sagte, dass im Falle eines Zuschlags „der Augustusplatz so gestaltet sein [müsse], dass er wieder der schönste Platz von Leipzig und dessen Highlight die wieder errichtete Paulinerkirche ist“. Damit wird eine (potenziell) bestehende touristische Attraktivität als Anlass für eine Stadtverschönerung ausgegeben. Wiederum weniger prominent war das Argument der anstehenden Feierlichkeiten zum fünfhundertsten Jahrestag der Reformation im Jahr 2017. Mit der wiederaufgebauten, einst von Luther geweihten Universitätskirche, hätte sich Leipzig auch in diesem Kontext präsentieren können. Allerdings sei bereits der Tourismusverein hiervon nicht zu überzeugen gewesen (Stötzner 28.8.2009). Deutlich wird in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung einer möglichst großen Nähe zum Original für die touristische Vermittlung: In einer neuen Aula sei einem ausländischen Tourist nicht vermittelbar, dass hier Luther gepredigt habe oder Bachs Motette uraufgeführt worden sei. Einige dieser Argumente werden im Aufruf der 27 Nobelpreisträger staatstragend überprägt, wenn hier formuliert wird: „Der Beschluss, den Wiederaufbau der Kirche im Wettbewerb auszuschließen, ist eine nationale Schande.“ (www.paulinerverein. de) Während eine Nicht-Rekonstruktion „die Kulturbarberei Ulbrichts“ sanktioniere und den „heroische[n] Widerstand vieler Leipziger“ ignoriere, könne die wiederaufgebaute Kirche eine Gedenkstätte für den studentischen Widerstand in den 1950er Jahren, die Opfer des 17. Juni und die friedliche Revolution 1989 werden. Zum Teil werden sehr persönliche Argumente angeführt, die auch eine deutlich andere Qualität besitzen als die Schilderung persönlicher Erlebnisse in anderen Wiederaufbauvorhaben. Die Sprengung der Paulinerkirche liegt gerade gut vierzig und keine 65 Jahre zurück, womit auch damalige Akteure noch heute an der Diskussion teilnehmen. Dies gilt insbesondere für Mitglieder des studentischen Widerstands, für die es nicht nur um die Aufarbeitung eines Stücks DDR-Vergangenheit geht, sondern auch um Entschädigung für persönlich erlittenes Unrecht, zum Teil – wohl in Unkenntnis der geschichtswissenschaftlichen Begrenzung auf (jüdische) Opfer des Nationalsozialismus – als „Wiedergutmachung“ bezeichnet. Außergewöhnlich deutlich wird die persönliche Konnotation der öffentlichen Auseinandersetzung, wenn Eckhard Koch im Vorwort der 2006 erschienen Denkschrift zur Diskussion um die Paulinerkirche schreibt: „Wir müssen uns der Entscheidung fügen, aber wir können sie nicht akzeptieren. Das ist nicht nur eine Frage der Satzung, sondern auch eine der Selbstachtung und Glaubwürdigkeit.“ (Koch/Koch 2006: 9) Dass er im Weiteren für diese Haltung den gleichen Respekt der Universitätsleitung einfordert, die der SED-Bezirksstaatssekretär der Enthaltung des Theologie-Dekans gegen die Zerstörung der Kirche gezollt hat, unterstreicht das Maß der persönlichen Betroffenheit. Schließlich wurde in jedem Stadium die technische Machbarkeit angeführt – sowohl der vollständigen Rekonstruktion als auch der weiterhin möglichen originalgetreuen Innenraumgestaltung. Selbst eine Demontage von „Gips und Plaste“ (Stötzner 28.8.2009) der derzeit vorgesehenen Pfeiler und Decken zu einem späteren Zeitpunkt sei möglich. Immer wieder verwiesen wird dabei auf die Möglichkeit des Wiederaufbaus der Dresdener Frauenkirche und ihres erheblichen Erfolgs. (Angeführte) Argumente gegen einen Wiederaufbau Auch für die Position der Wiederaufbaugegner ist keine einheitliche und durchgängige Argumentationslinie festzustellen, was sich hier allerdings auch aus einer durch das Fehlen einer entsprechenden Initiative gegebenen Vielstimmigkeit ergibt. Gleichwohl sind aus unterschiedlichsten Quellen wie offiziellen Stellungnahmen, Reden und Diskussionsbeiträgen sowie schriftlichen Kommentaren diverse Argumente bekannt. Aufgrund der daraus
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Fallstudien<br />
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zig wolle sich als Musikstadt darstellen,<br />
doch seien z. B. kaum originale Bachstätten<br />
vorhanden. Eine in dieser Form seltene<br />
Verkehrung des üblichen Arguments<br />
der touristischen Attraktivität formuliert<br />
der damalige Pauliner-Vorsitzende Blobel,<br />
als er von der Leipziger Volkszeitung<br />
(23.4.2003) angesprochen auf die Entscheidung<br />
des Nationalen Olympischen Komitees<br />
für Leipzig als Kandidat für die Spiele<br />
im Jahr 2012 sagte, dass im Falle eines<br />
Zuschlags „der Augustusplatz so gestaltet<br />
sein [müsse], dass er wieder der schönste<br />
Platz von Leipzig und dessen Highlight<br />
die wieder errichtete Paulinerkirche<br />
ist“. Damit wird eine (potenziell) bestehende<br />
touristische Attraktivität als Anlass<br />
für eine Stadtverschönerung ausgegeben.<br />
Wiederum weniger prominent war<br />
das Argument der anstehenden Feierlichkeiten<br />
zum fünfhundertsten Jahrestag der<br />
Reformation im Jahr 2017. Mit der wiederaufgebauten,<br />
einst von Luther geweihten<br />
Universitätskirche, hätte sich Leipzig auch<br />
in diesem Kontext präsentieren können.<br />
Allerdings sei bereits der Tourismusverein<br />
hiervon nicht zu überzeugen gewesen<br />
(Stötzner 28.8.2009). Deutlich wird in diesem<br />
Zusammenhang auch die Bedeutung<br />
einer möglichst großen Nähe zum Original<br />
für die touristische Vermittlung: In einer<br />
neuen Aula sei einem ausländischen<br />
Tourist nicht vermittelbar, dass hier Luther<br />
gepredigt habe oder Bachs Motette uraufgeführt<br />
worden sei.<br />
Einige dieser Argumente werden im Aufruf<br />
der 27 Nobelpreisträger staatstragend<br />
überprägt, wenn hier formuliert wird: „Der<br />
Beschluss, den Wiederaufbau der Kirche<br />
im Wettbewerb auszuschließen, ist eine<br />
nationale Schande.“ (www.paulinerverein.<br />
de) Während eine Nicht-Rekonstruktion<br />
„die Kulturbarberei Ulbrichts“ sanktioniere<br />
und den „heroische[n] Widerstand vieler<br />
Leipziger“ ignoriere, könne die wiederaufgebaute<br />
Kirche eine Gedenkstätte für den<br />
studentischen Widerstand in den 1950er<br />
Jahren, die Opfer des 17. Juni und die friedliche<br />
Revolution 1989 werden.<br />
Zum Teil werden sehr persönliche Argumente<br />
angeführt, die auch eine deutlich<br />
andere Qualität besitzen als die Schilderung<br />
persönlicher Erlebnisse in anderen<br />
Wiederaufbauvorhaben. Die Sprengung<br />
der Paulinerkirche liegt gerade gut vierzig<br />
und keine 65 Jahre zurück, womit auch damalige<br />
Akteure noch heute an der Diskussion<br />
teilnehmen. Dies gilt insbesondere für<br />
Mitglieder des studentischen Widerstands,<br />
für die es nicht nur um die Aufarbeitung<br />
eines Stücks DDR-Vergangenheit geht, sondern<br />
auch um Entschädigung für persönlich<br />
erlittenes Unrecht, zum Teil – wohl in<br />
Unkenntnis der geschichtswissenschaftlichen<br />
Begrenzung auf (jüdische) Opfer<br />
des Nationalsozialismus – als „Wiedergutmachung“<br />
bezeichnet. Außergewöhnlich<br />
deutlich wird die persönliche Konnotation<br />
der öffentlichen Auseinandersetzung,<br />
wenn Eckhard Koch im Vorwort der 2006<br />
erschienen Denkschrift zur Diskussion<br />
um die Paulinerkirche schreibt: „Wir müssen<br />
uns der Entscheidung fügen, aber wir<br />
können sie nicht akzeptieren. Das ist nicht<br />
nur eine Frage der Satzung, sondern auch<br />
eine der Selbstachtung und Glaubwürdigkeit.“<br />
(Koch/Koch 2006: 9) Dass er im Weiteren<br />
für diese Haltung den gleichen Respekt<br />
der Universitätsleitung einfordert,<br />
die der SED-Bezirksstaatssekretär der Enthaltung<br />
des Theologie-Dekans gegen die<br />
Zerstörung der Kirche gezollt hat, unterstreicht<br />
das Maß der persönlichen Betroffenheit.<br />
Schließlich wurde in jedem Stadium die<br />
technische Machbarkeit angeführt – sowohl<br />
der vollständigen Rekonstruktion als<br />
auch der weiterhin möglichen originalgetreuen<br />
Innenraumgestaltung. Selbst eine<br />
Demontage von „Gips und Plaste“ (Stötzner<br />
28.8.2009) der derzeit vorgesehenen<br />
Pfeiler und Decken zu einem späteren<br />
Zeitpunkt sei möglich. Immer wieder verwiesen<br />
wird dabei auf die Möglichkeit des<br />
Wiederaufbaus der Dresdener Frauenkirche<br />
und ihres erheblichen Erfolgs.<br />
(Angeführte) Argumente gegen einen<br />
Wiederaufbau<br />
Auch für die Position der Wiederaufbaugegner<br />
ist keine einheitliche und durchgängige<br />
Argumentationslinie festzustellen,<br />
was sich hier allerdings auch aus einer<br />
durch das Fehlen einer entsprechenden<br />
Initiative gegebenen Vielstimmigkeit ergibt.<br />
Gleichwohl sind aus unterschiedlichsten<br />
Quellen wie offiziellen Stellungnahmen,<br />
Reden und Diskussionsbeiträgen<br />
sowie schriftlichen Kommentaren diverse<br />
Argumente bekannt. Aufgrund der daraus