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164 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143 Wirkung ihrer Entscheidung machen und erhielten zudem durch den Rücktritt der Architekten Martha Döhler und Roland Quester die Mehrheit in der Jury. Schließlich wird auch davon ausgegangen, dass die in der LVZ-Umfrage unterlegenen Architekten anschließend ihre Entwürfe überarbeiteten und insbesondere stärker dem populären Wunsch nach einem Spitzgiebel anglichen, was ihnen jedoch nur bedingt gelang. (Quester 25.8.2009, Stötzner 28.8.2009, Gormsen 10.9.2009) Zumindest für einen kurzen Moment erschien der Sieg van Egeraats tatsächlich als der „perfekte Kompromiss“ (van Egeraat zit. in LVZ 10.4.2004), als den ihn der Architekt selber bezeichnete und kann das Ergebnis als Erfolg eines – wenngleich im Verlauf unüblichen – Wettbewerbs angesehen werden. Dabei wurde allerdings nicht hinreichend vermittelt, dass Wettbewerbsentwürfe stets einer Überarbeitung bedürfen und bereits durch die Jury erhebliche Anmerkungen stattfanden. Dies erklärt in Teilen, warum nach dem vermeintlichen Kompromiss, der von allen Seiten bejubelt wurde – einschließlich des Paulinervereins, der sich darauf verständigte, gegen den Entwurf nicht vorgehen zu können (Stötzner 28.8.2009) –, recht bald wieder Konflikte und damit verbundene Durchsetzungsstrategien in der keineswegs beendeten Debatte auftauchten (vgl. Häuser 10.9.2008). Zudem wurde in die wenigen veröffentlichten Wettbewerbsabbildungen durch den Verein eine Rekonstruktion des Innenraums interpretiert, die vom Architekten so nie vorgesehen war (vgl. Stötzner 28.8.2009). Die Diskussion wurde in dieser zweiten Phase schärfer, noch weniger sachlich, nahm zum Teil polemische bis persönlich verletzende Züge an (vgl. u. a. Schroth/Tesch 26.8.2009) und verlagerte sich weg von Fragen der baulichen Gestaltung hin zu Fragen der Nutzung und Symbolik (vgl. Wolff 10.9.2009). Während Heymann (26.8.2009) kritisiert, dass die Stadt ihrer potentiellen Rolle als Vermittlerin oder Ombudsmann nicht nachgekommen sei, fand ein tatsächlicher Vermittlungsversuch erst Ende 2008 statt, als sich die Bundesanwältin Monika Harms, als ehemalige Leipzigerin mit dem Thema vertraut und der Stadt verbunden, einschaltete. Durch ihre Vermittlung konnten zumindest die meisten Kontro­ versen zwischen Universität, Stadt, Freistaat und Landeskirche beigelegt werden (Harms 15.12.2008, LVZ 16.12.2009) und zudem eine Befriedung der öffentlichen Diskussion durchgesetzt werden (Schroth/ Tesch 26.8.2009, Stötzner 28.8.2009). Allerdings wurde mit dem Paulinerverein ein wesentlicher Akteur erst gar nicht eingeladen und erkennt dieser die gefundene Einigung nicht an (Stötzner 28.8.2009), zumal unterschiedliche Interpretationen bestehen. So wird etwa der Name „Paulinum – Aula Universitätskirche St. Pauli“ zwar das offizielle Schild zieren, ansonsten allerdings von der Universität nicht verwendet (Stötzner 28.8.2009). Die Universität hat im Harms-Papier zwar einer kirchlichen Nutzung zu den „üblichen Zeiten“ zugestimmt, sieht nun aber wieder Probleme mit der innerhalb kirchlicher Kreise präferierten allsonntäglichen Nutzung um 11 Uhr (Häuser 10.9.2009). Rolle der Bevölkerung Zumindest nach außen erscheint das Schicksal von Augusteum und vor allem Kirche als ein in der Leipziger Bevölkerung „bis heute hoch emotionalisiertes Thema“ (Friedrich 2002). Anders als bei vielen anderen zeitgenössischen Wiederaufbauvorhaben besteht innerhalb der Leipziger Bevölkerung noch eine relativ große Gruppe von Menschen, die die Zerstörung des Gebäudes aktiv miterlebt hat, da diese nicht bereits im Zweiten Weltkrieg oder in unmittelbarer Folge, sondern erst 1968 erfolgte. Eine tatsächliche Beziehung hatten allerdings schon damals nur kirchliche Kreise innerhalb der Universität, die relativ kleine katholische Innenstadtgemeinde sowie möglicherweise Teile des regimekritischen Bürgertums, das den Bau als Ort des freien Worts kennen lernte (vgl. Stötzner 28.8.2009). Daraus erklärt sich, warum trotz einer emotionalen, medienwirksamen Debatte von dem Wiederaufbauvorhaben keine Breitenwirkung ausging, die Bevölkerung sich lediglich sporadisch interessierte und zumindest heute auch Pauliner-Vorsitzender Stötzner (28.8.2009) davon ausgeht, eine Minderheit – als Christen in einer mehrheitlich nichtchristlichen Stadt – zu repräsentieren. Dies war nicht immer so. Verschiedene Umfrage- bzw. Abstimmungsergebnis­

Fallstudien 165 • Die externe Unterstützung durch Prominente und Auswärtige – wenngleich nicht genannt, wohl auch der Landesse geben zwar ein uneindeutiges Bild wieder, die darin angedeuteten Trends scheinen aber gut zu sonstigen Interpretationen des Prozessverlaufs zu passen. Eine erste Telefonumfrage Mitte 2001 bringt eine knappe Mehrheit (52 Prozent zu 48 Prozent für einen originalgetreuen Wiederaufbau (LVZ 12.7.2001). In einer zweiten Telefonumfrage (LVZ 8.8.2002) sind aber nur ein Drittel dafür (34 Prozent zu 66 Prozent). In einer Befragung des Instituts für Marktforschung Leipzig spricht sich im Jahr 2002 nur eine Minderheit (39 Prozent bei 56 Prozent Gegnern) für einen Wiederaufbau aus. Interessanterweise sind vor allem jüngere Befragte mehrheitlich für den Wiederaufbau (Leipziger Volkszeitung vom 05.11.2002). Anfang 2003 stellen sich sogar über 7 6Prozent der Befragten gegen einen Kabinettsbeschluss des Landes Sachsen zum Wiederaufbau (LVZ 31.1.2003, Universität Leipzig 2008: 10). Nach der Veröffentlichung der Beiträge des zweiten Wettbewerbs Anfang 2004 führen gleich drei Medien unterschiedlich gelagerte Umfragen durch. Bei einer Anrufaktion der Bild- Zeitung am 13.2.2004 findet sich eine 89- Prozent-Mehrheit für einen Wiederaufbau der Paulinerkirche, von der 59,5 Prozent zudem auch das Augusteum wiedererrichtet sehen wollen. Es folgen die Entwürfe von Kollhoff (29,5 Prozent), der zu diesem Zeitpunkt bereits ausgeschieden war, und erst mit deutlichem Abstand der van Egeraats (7,4 Prozent). Wesentlich stärker war allerdings die Wirkung einer Online-Abstimmung der LVZ am 12.2.2004, bei der sich die Leser nur zwischen den vier Entwürfen entscheiden konnten, die in die zweite Runde gekommen waren. Immerhin 37 Prozent votierten daher noch für keinen der vier, fast die Hälfte, 47 Prozent, allerdings für Egeraat mit entsprechend großem Vorsprung vor Merz (6,5 Prozent), Behet + Bondzio (5,5 Prozent) und Kulka (2 Prozent). Gerade die LVZ-Abstimmung verstärkt den oben bereits erwähnten Vorwurf eines fingierten Volksvotums, das wenn nicht mit Wissen der Jury, so doch mit dem Wohlwollen der Staatsregierung durchgeführt wurde (Stötzner 28.8.2009, Gormsen 10.9.2009, Häuser 10.9.2009). Stötzner (28.8.2009) weist darauf hin, dass in TED-Umfragen zur Glaswand sich jeweils deutliche Mehrheiten von rund siebzig Prozent gegen die Glaswand und damit für die Position des Vereins ausgesprochen hätten (vgl. LVZ 13.10.2008). Interessant auch das Ergebnis einer Online-Abstimmung des MDR: Danach stimmten 84 Prozent der Teilnehmer für eine stärkere Beteiligung der Leipziger Bürger an der Entscheidung über die bauliche Gestaltung des Innenstadtcampus. (vgl. insg. www.paulinerkirche.de) Allerdings zeigt sich insgesamt, dass die Leipziger tatsächlich nur dann beteiligten, wenn sie – etwa durch die Presse – dazu aufgefordert wurden (Heymann 26.8.2009). Ausführlich beschäftigt sich Richter (2009) mit der Haltung der Bevölkerung zum Wiederaufbau der Paulinerkirche. Er geht davon aus, dass die Leipziger zunächst ein relativ geringes Interesse an der „Erinnerung an ihr kulturelles Erbe“, wie er es nennt, hatten. Trotz – bzw. möglicherweise auch wegen – des erheblichen medialen Interesses und des Einsatzes „auswärtiger Eliten“ könne die Leipziger Wiederaufbauinitiative nicht als Massenveranstaltung angesehen werden. Im Gegensatz zum Frauenkirchenverein mit 3 800 Mitgliedern zählte der Paulinerverein 1995 lediglich zweihundert – nach Angaben Stötzners (28.8.2009) drei- und in der Hochphase der Auseinandersetzung vierhundert. Verschiedene Umfragen zur Thematik stellen für ihn eher die schwankende Haltung als eine tatsächliche „Rückbesinnung der Leipziger auf ihre kulturellen Wurzeln“ dar. Da er in anderen Zusammenhängen sehr wohl einen starken Lokalpatriotismus der Leipziger festgestellt hat, geht Richter (2009) davon aus, dass der Wiederaufbau der Paulinerkirche für viele Bewohner nicht automatisch als ein lokalpatriotischer Akt gesehen wurde. Er führt dafür mehrere Erklärungen an: • In einer zu achtzig Prozent nicht-religiösen Stadt sei der Wert einer Kirche relativ gering, zumal wenn diese „zwanzig Jahre komplett aus dem Stadtbild verschwunden“ gewesen sei. • Der für die Wiederherstellung notwendige Abriss der DDR-Architektur würde als reaktionärer Akt und Entwertung der DDR-Geschichte wahrgenommen.

164 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />

Wirkung ihrer Entscheidung machen und<br />

erhielten zudem durch den Rücktritt der<br />

Architekten Martha Döhler und Roland<br />

Quester die Mehrheit in der Jury. Schließlich<br />

wird auch davon ausgegangen, dass<br />

die in der LVZ-Umfrage unterlegenen Architekten<br />

anschließend ihre Entwürfe<br />

überarbeiteten und insbesondere stärker<br />

dem populären Wunsch nach einem Spitzgiebel<br />

anglichen, was ihnen jedoch nur<br />

bedingt gelang. (Quester 25.8.2009, Stötzner<br />

28.8.2009, Gormsen 10.9.2009) Zumindest<br />

für einen kurzen Moment erschien<br />

der Sieg van Egeraats tatsächlich als der<br />

„perfekte Kompromiss“ (van Egeraat zit. in<br />

LVZ 10.4.2004), als den ihn der Architekt<br />

selber bezeichnete und kann das Ergebnis<br />

als Erfolg eines – wenngleich im Verlauf<br />

unüblichen – Wettbewerbs angesehen<br />

werden. Dabei wurde allerdings nicht hinreichend<br />

vermittelt, dass Wettbewerbsentwürfe<br />

stets einer Überarbeitung bedürfen<br />

und bereits durch die Jury erhebliche<br />

Anmerkungen stattfanden. Dies erklärt in<br />

Teilen, warum nach dem vermeintlichen<br />

Kompromiss, der von allen Seiten bejubelt<br />

wurde – einschließlich des Paulinervereins,<br />

der sich darauf verständigte, gegen<br />

den Entwurf nicht vorgehen zu können<br />

(Stötzner 28.8.2009) –, recht bald wieder<br />

Konflikte und damit verbundene Durchsetzungsstrategien<br />

in der keineswegs beendeten<br />

Debatte auftauchten (vgl. Häuser<br />

10.9.2008). Zudem wurde in die wenigen<br />

veröffentlichten Wettbewerbsabbildungen<br />

durch den Verein eine Rekonstruktion des<br />

Innenraums interpretiert, die vom Architekten<br />

so nie vorgesehen war (vgl. Stötzner<br />

28.8.2009). Die Diskussion wurde in dieser<br />

zweiten Phase schärfer, noch weniger<br />

sachlich, nahm zum Teil polemische bis<br />

persönlich verletzende Züge an (vgl. u. a.<br />

Schroth/Tesch 26.8.2009) und verlagerte<br />

sich weg von Fragen der baulichen Gestaltung<br />

hin zu Fragen der Nutzung und Symbolik<br />

(vgl. Wolff 10.9.2009).<br />

Während Heymann (26.8.2009) kritisiert,<br />

dass die Stadt ihrer potentiellen Rolle als<br />

Vermittlerin oder Ombudsmann nicht<br />

nachgekommen sei, fand ein tatsächlicher<br />

Vermittlungsversuch erst Ende 2008<br />

statt, als sich die Bundesanwältin Monika<br />

Harms, als ehemalige Leipzigerin mit<br />

dem Thema vertraut und der Stadt verbunden,<br />

einschaltete. Durch ihre Vermittlung<br />

konnten zumindest die meisten Kontro­<br />

versen zwischen Universität, Stadt, Freistaat<br />

und Landeskirche beigelegt werden<br />

(Harms 15.12.2008, LVZ 16.12.2009) und<br />

zudem eine Befriedung der öffentlichen<br />

Diskussion durchgesetzt werden (Schroth/<br />

Tesch 26.8.2009, Stötzner 28.8.2009). Allerdings<br />

wurde mit dem Paulinerverein ein<br />

wesentlicher Akteur erst gar nicht eingeladen<br />

und erkennt dieser die gefundene Einigung<br />

nicht an (Stötzner 28.8.2009), zumal<br />

unterschiedliche Interpretationen<br />

bestehen. So wird etwa der Name „Paulinum<br />

– Aula Universitätskirche St. Pauli“<br />

zwar das offizielle Schild zieren, ansonsten<br />

allerdings von der Universität nicht verwendet<br />

(Stötzner 28.8.2009). Die Universität<br />

hat im Harms-Papier zwar einer kirchlichen<br />

Nutzung zu den „üblichen Zeiten“<br />

zugestimmt, sieht nun aber wieder Probleme<br />

mit der innerhalb kirchlicher Kreise<br />

präferierten allsonntäglichen Nutzung um<br />

11 Uhr (Häuser 10.9.2009).<br />

Rolle der Bevölkerung<br />

Zumindest nach außen erscheint das<br />

Schicksal von Augusteum und vor allem<br />

Kirche als ein in der Leipziger Bevölkerung<br />

„bis heute hoch emotionalisiertes<br />

Thema“ (Friedrich 2002). Anders als<br />

bei vielen anderen zeitgenössischen Wiederaufbauvorhaben<br />

besteht innerhalb der<br />

Leipziger Bevölkerung noch eine relativ<br />

große Gruppe von Menschen, die die Zerstörung<br />

des Gebäudes aktiv miterlebt hat,<br />

da diese nicht bereits im Zweiten Weltkrieg<br />

oder in unmittelbarer Folge, sondern<br />

erst 1968 erfolgte. Eine tatsächliche Beziehung<br />

hatten allerdings schon damals nur<br />

kirchliche Kreise innerhalb der Universität,<br />

die relativ kleine katholische Innenstadtgemeinde<br />

sowie möglicherweise Teile<br />

des regimekritischen Bürgertums, das<br />

den Bau als Ort des freien Worts kennen<br />

lernte (vgl. Stötzner 28.8.2009). Daraus erklärt<br />

sich, warum trotz einer emotionalen,<br />

medienwirksamen Debatte von dem Wiederaufbauvorhaben<br />

keine Breitenwirkung<br />

ausging, die Bevölkerung sich lediglich<br />

sporadisch interessierte und zumindest<br />

heute auch Pauliner-Vorsitzender Stötzner<br />

(28.8.2009) davon ausgeht, eine Minderheit<br />

– als Christen in einer mehrheitlich nichtchristlichen<br />

Stadt – zu repräsentieren.<br />

Dies war nicht immer so. Verschiedene<br />

Umfrage- bzw. Abstimmungsergebnis­

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