PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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152 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
Der Paulinerverein geht auch dem Namen<br />
nach auf die bereits im Herbst 1990<br />
gegründete „Bürgerinitiative zum Wiedenten<br />
mit Verbindung zu den Studierendengemeinden<br />
das Abschlusskonzert der<br />
dritten Internationalen Bachkonzerte zum<br />
Protest nutzten. Mittels eines automatischen<br />
Mechanismus entrollten sie über<br />
der Bühne ein Plakat, das mit „Wir fordern<br />
Wiederaufbau!“ beschriftet war und bis<br />
heute vom Paulinerverein und mittlerweile<br />
von Pro Paulinerkirche e. V. ähnlich einem<br />
Logo geführt wird. Von diesen ersten<br />
Wiederaufbaubefürwortern wurde letztlich<br />
nur Dietrich Koch verurteilt und später<br />
in den Westen abgeschoben; die übrigen<br />
Mitglieder des „AK Universitätskirche<br />
und Demokratische Aktion“ wurden bis<br />
1976 weiter beobachtet und waren in dieser<br />
Zeit insbesondere in der evangelischen<br />
und katholischen Studentengemeinde aktiv,<br />
wo sie in Verbindung zum Protest gegen<br />
die Stellung der Kirche in der neuen<br />
DDR-Verfassung standen. 1976 vermerkte<br />
das Ministerium für Staatssicherheit dann<br />
die Zerschlagung der „aktiven staatsfeindlichen<br />
Gruppierung“. Spätestens nach der<br />
Wende traten mehrere Aktivisten wieder<br />
für ihr Ansinnen ein, so dass auch die Erinnerung<br />
an diese „spektakulärste, erfolgreichste<br />
und wohl auch bedeutendste Aktion<br />
studentischen Gruppenwiderstands<br />
1968 in der DDR“ (Hartmut Zwahr; zit. auf<br />
dem Buchrücken von Koch 2008) wieder<br />
auflebte.<br />
Für die weitere DDR-Zeit wird nicht selten<br />
von einer Tabuisierung der Sprengung<br />
(Engmann 2008: 5) und sogar von der<br />
Nicht-Erwähnung der vormaligen Bebauung<br />
(Topfstedt 2000: 329) berichtet. Engemann<br />
(2008: 5) verweist allerdings auch<br />
auf stadthistorische Literatur aus den<br />
1980er Jahren, in der bereits „ein gewisses<br />
Bedauern, dass zumindest die gotische<br />
Kirche damals ‚leider‘ nicht in den Neubaukomplex<br />
mit einbezogen wurde“, zum<br />
Ausdruck gebracht worden sei. Aus eigener<br />
Erinnerung schildert er auch den Umgang<br />
mit dem Andenken an das zerstörte<br />
Bauwerk im Schulunterricht der späten<br />
1980er Jahre und dass die „Brisanz in der<br />
jüngeren Geschichte dieser Kirche“ allen<br />
bewusst gewesen sei, folglich auch die Geschichte<br />
der Sprengung durchaus Teil der<br />
oral history der Leipziger war. Heymann<br />
(26.8.2009) berichtet, dass eine solche Weitergabe<br />
vor allem innerhalb der Studentengemeinde<br />
stattgefunden habe, wo zudem<br />
eine gewisse – wohl eher ironische<br />
– Legendenbildung betrieben wurde, indem<br />
erzählt wurde, der wellige Innenhof<br />
des Campus sei die „Rache der PK“, deren<br />
Fundamente sich senkten. Offiziell sei<br />
hingegen lediglich darauf verwiesen worden,<br />
dass es einen Vorgängerbau gab, dass<br />
dann aber Platz gemacht wurde für ein<br />
„tolles neues Gebäude“.<br />
Unklar ist, in welchem Umfang es bereits<br />
vor 1989 Rekonstruktionswünsche gab<br />
und diese in irgendeiner Weise in entsprechende<br />
Bestrebungen mündeten. Wolff<br />
(10.9.2009) geht davon aus, dass es ohne<br />
Weiteres möglich sei, dass für die heutigen<br />
„Pauliner“ – obgleich häufig Zeugen und<br />
Betroffene der Sprengung und nicht selten<br />
Mitglieder des „Widerstands“ (Stötzner<br />
28.8.2009) – durch die Wende nicht nur<br />
ein Möglichkeitsfenster, sondern überhaupt<br />
erst der Wunsch entstanden sei. Dafür<br />
spricht auch, dass Stötzner (28.8.2009)<br />
berichtet, im Herbst 1989 in einer Diskussionsrunde<br />
lediglich die Idee einer „Gedächtniskapelle“<br />
geäußert zu haben.<br />
5.22 Politisch-gesellschaftlicher<br />
Prozess<br />
Anlass<br />
Richter (2009) geht davon aus, dass nach<br />
1990 „plötzlich“ eine neue Diskussion über<br />
die „Gestaltung des wichtigsten Platzes in<br />
Leipzig“ bzw. den Wiederaufbau der zerstörten<br />
Bauwerke entstanden sei. Tatsächlich<br />
ist über den Ursprung der Diskussion<br />
um eine Rekonstruktion der Paulinerkirche<br />
wohl auch deshalb recht wenig bekannt,<br />
weil dieses Vorhaben zunächst mit<br />
sehr wenig Nachdruck verfolgt und selbst<br />
von den späteren Hauptverfechtern lediglich<br />
als „Fernziel“ in die Satzung des am 15.<br />
Januar 1992 gegründeten Paulinervereins<br />
aufgenommen wurde. Wesentlich wichtiger<br />
erschien zunächst die Erinnerung an<br />
die Sprengung und das damit verbundene<br />
DDR-Unrecht (Stötzner 28.8.2009) innerhalb<br />
der „großen[n] öffentliche[n] Abrechung<br />
mit den Fehlleistungen des SED-Regimes“<br />
(Topfstedt 2000: 329). Zerstörung<br />
und Widerstand sind mehrfach in den<br />
Bürgerforen der Wendezeit thematisiert<br />
worden.