PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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Fallstudien<br />
151<br />
Zum einen prägte das Ensemble den Karl-<br />
Marx-Platz, ideell sollte die Universität als<br />
eine der wichtigsten Bildungseinrichtungen<br />
des Landes eine wesentliche Funktion<br />
bei der Eliteausbildung des neuen<br />
Staates erhalten und die Architektur diese<br />
Aufgabe widerspiegeln, „den Aufbruch<br />
in eine ‚Glück verheißende Zukunft‘ symbolisieren“.<br />
Er zitiert einen nicht-öffentlichen<br />
Vortrag Fröhlichs, indem er gut eine<br />
Woche vor der Sprengung den Entwurf für<br />
den neuen Universitätskomplex und sein<br />
gesellschaftliches Transformationspotenzial<br />
(Delitz 2006) pries:<br />
„So etwas ist einmalig Genossen, städtebaulich,<br />
architektonisch, künstlerisch.<br />
... Es sind neue Kunstwerke, die wir hier<br />
schaffen. Das ist die größte humanistische<br />
Tat der Arbeiter- und Bauern-Macht. Der<br />
Bau einer solchen Universität ist die größte<br />
humanistische Tat der Deutschen Demokratischen<br />
Republik, weil darin Wissenschaftler<br />
ausgebildet werden für die Mehrung<br />
des Nationaleinkommens, für den<br />
ersten sozialistischen Staat in Deutschland.“<br />
(Fröhlich, 22.5.1968; zit. in Richter<br />
2009)<br />
Entsprechend bewertet er die eindeutige<br />
Positionierung von Stadt und Universität<br />
als „Schützenhilfe“ gegenüber kirchlichen<br />
und denkmalpflegerischen Widerständen,<br />
die nach seinem Dafürhalten dazu geführt<br />
haben, dass sich die DDR-Regierung lange<br />
Zeit vor einem Abriss und Neuaufbau<br />
scheute.<br />
Mit dem Bild der politisch gewollten Zerstörung<br />
ist für Kowa (2009: 7) sowohl die<br />
Erinnerung an die Schändung der Stadt als<br />
auch die „Schmach, der Obrigkeit nicht getrotzt<br />
zu haben, wie das in Dresden beim<br />
Residenzschloss der Fall gewesen war“,<br />
verbunden. Offenbar gereichte dieser Erinnerungskomplex<br />
jedoch – anders als bei<br />
der Dresdner Frauenkirche – nicht dazu,<br />
eine originalgetreue Wiederherstellung<br />
Jahrzehnte nach der Zerstörung innerhalb<br />
der Entscheidungsträger als auch der Bevölkerung<br />
durchzusetzen. An dieser Interpretation<br />
interessant ist auch der Hinweis<br />
auf die Städtekonkurrenz zu Dresden.<br />
Während die Bürgerinnen und Bürger der<br />
einstigen Residenzstadt deren Hinterlassenschaften<br />
wahren konnten, gelang dies<br />
der ausgerechnet Bürgerstadt Leipzig mit<br />
ihrer Referenz an ihre Vergangenheit als<br />
Geistesstadt, in der Religion und Wissenschaft<br />
zeitweise (Häuser 10.9.2009) durchaus<br />
verbunden waren, nicht. Kaum mehr<br />
nachzuvollziehen ist wohl, inwieweit diese<br />
Unfähigkeit auch darin begründet gelegen<br />
haben mag, dass ein nicht mehr nutzbarer<br />
Herrschaftssitz für das SED-Regime<br />
letztlich weniger problematisch war als der<br />
Verweis auf die christliche Tradition einer<br />
nunmehr reformierten Hochschule. Kowa<br />
(2009: 7) geht davon aus, dass sich mit der<br />
Zerstörung nur die Erinnerung an das Kirchenäußere,<br />
insbesondere die platzbeherrschende<br />
Ostfassade von Arwed Rossbach<br />
(1897), erhalten hat, die ihrerseits bereits<br />
kaum Bezug mehr zu dem weitgehend aus<br />
dem 13. Jahrhundert stammenden Inneren<br />
hatte, und argumentiert damit implizit gegen<br />
die Vorstellung des Paulinervereins für<br />
eine Wiederherstellung der Fassade.<br />
Frühere Auseinandersetzungen um Erhalt/<br />
Wiederherstellung<br />
Wenngleich letztlich nicht erfolgreich, erscheint<br />
die Einschätzung, die Leipziger<br />
Bevölkerung habe „der Obrigkeit nicht getrotzt“<br />
(Kowa 2009: 7), zumindest nicht<br />
vollständig zutreffend. Vielmehr sind relativ<br />
umfangreiche Protestaktionen vor<br />
und nach der Sprengung dokumentiert,<br />
gleichzeitig war der Vollzug von erheblichen<br />
staatlichen, sich zum Teil anti-klerikal<br />
gebärdenden Legitimationsbemühungen<br />
und Repressionen begleitet. Inwieweit<br />
allerdings Berichte über einen starken Widerstand<br />
der Bevölkerung tatsächlich zutreffen,<br />
ist heute kaum überprüfbar. So ist<br />
es durchaus möglich, „dass Teile der Bevölkerung<br />
einen in die Zukunft weisenden<br />
Neubau dem Erhalt der historischen Substanz<br />
vorzogen“ (Richter 2009; vgl. Engmann<br />
2008: 6) Koch/Koch (2006: 27–61;<br />
vgl. insg. auch Koch 2000, 2008) beschreiben<br />
insbesondere den studentischen Widerstand<br />
bzw. Protest in einiger Detailliertheit,<br />
während unklar ist, in welchem<br />
Umfang sich auch Nicht-Universitätsangehörige<br />
an den nach dem Beschluss am 23.<br />
Mai 1968 täglich stattfindenden Versammlungen<br />
beteiligten. Obgleich von einem<br />
vollständig friedlichen Protest berichtet<br />
wird, kam es wiederholt zu Festnahmen<br />
und zum Teil ausführlichen Verhören. Ihren<br />
Höhepunkt erreichte die Opposition<br />
gegen den Kirchenabriss erst drei Wochen<br />
nach der Sprengung, als fünf Physikstu