PDF-Download - Newsletter Urbane Transformationen
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106 Positionen zum Wiederaufbau verlorener Bauten und Räume Forschungen Heft 143<br />
Konflikthaftigkeit eines Wiederaufbauprozesses<br />
birgt ein solches Vorhaben aber im<br />
Extremfall auch die Gefahr einer stärkeren<br />
Fragmentierung der Stadtgesellschaft (von<br />
Saldern/Wagner-Kyora 2005).<br />
Dies alles bedeutet allerdings nicht, dass<br />
das eigentliche Vorhaben der Rekonstruktionsbefürworter,<br />
nämlich die Stärkung<br />
der Identifikation und der Identitätsbildung<br />
für sie selber, nicht funktionieren<br />
würde: Sie können ihre eigene Identität als<br />
Teil der Gruppe der Wiederaufbau-Unterstützer<br />
stabilisieren und ihren Platz innerhalb<br />
der Stadtgesellschaft finden bzw. festigen.<br />
Da Wiederaufbauvorhaben bislang<br />
in der Regel – wenn auch erst nach einem<br />
langen, zum Teil mit Rückschlägen verbundenem<br />
Zeitraum – zu einem für die<br />
Befürworter zumindest befriedigendem<br />
Ergebnis führen, wird ihnen in der Regel<br />
darüber hinaus Anerkennung zuteil. Je<br />
stärker das eigene Engagement bzw. die<br />
Identifizierung mit der engagierten Gruppe,<br />
desto stärker wirkt das wieder errichtete<br />
Objekt dabei auch als Distinktionsmittel<br />
gegenüber den kritischen oder weniger<br />
engagierten Teilen der Stadtgesellschaft.<br />
Um zumindest für einen über die Engagierten<br />
hinaus reichenden Teil der Stadtgesellschaft<br />
eine identifikationsstärkende<br />
Funktion zu besitzen, erscheinen insbesondere<br />
hinsichtlich des politischen Prozesses<br />
zum Wiederaufbau mehrere, häufig<br />
nur bedingt beeinflussbare Punkte hilfreich:<br />
zum einen ein breiter bürgerschaftlicher<br />
Diskurs, der durchaus kontrovers<br />
geführt werden kann, am Ende aber in einer<br />
gemeinsam getragenen Entscheidung<br />
endet. Auch eine Durchsetzung gegen äußere<br />
Vorbehalte oder Partikularinteressen<br />
(z. B. Investoren) kann hier helfen. Zum<br />
anderen die Auswahl eines Gebäudes bzw.<br />
Ortes mit herausragender, möglichst positiver<br />
Bedeutung für die Stadtgeschichte.<br />
Negativ können hingegen Gebäude wirken,<br />
die entweder zeitweise eine mehrheitlich<br />
als negativ angesehene Symbolkraft oder<br />
Nutzung aufwiesen (etwa die mit einer NS-<br />
Vergangenheit „belasteten“ Braunschweiger<br />
Beispiele) oder Bauwerke, deren besondere<br />
Bedeutung im Wesentlichen nur<br />
für eine Minderheit erkennbar ist (etwa<br />
die Leipziger Paulinerkirche). Besonders<br />
„konsensfeindlich“ erscheint es, wenn für<br />
den Wiederaufbau bestehende Gebäude,<br />
die zumindest von Teilen der Bevölkerung<br />
akzeptiert bzw. positiv aufgefasst werden,<br />
abgerissen werden (siehe die Auseinandersetzungen<br />
um den Palast der Republik<br />
am Standort des Berliner Stadtschlosses).<br />
Schließlich ist auch eine allgemein zugängliche,<br />
als positiv anerkannte Nutzung<br />
förderlich für die Identifikationsleistung,<br />
die das Gebäude zu erbringen vermag.<br />
Prägung der Geschichtswahrnehmung<br />
und Erinnerungskultur<br />
Wie gezeigt, werden Rekonstruktionen innerhalb<br />
der lokalen Debatten verschiedene<br />
(stadt-)historische Funktionen zugeschrieben,<br />
die aus Sicht der Befürworter<br />
zudem einen positiven Einfluss auf die<br />
Geschichtswahrnehmung innerhalb der<br />
Stadtgesellschaft haben können. Hierin<br />
wird ein Geschichtsverständnis deutlich,<br />
das entweder davon ausgeht, dass<br />
es der jeweils aktuellen Generation zusteht,<br />
die Geschichtswahrnehmung zu<br />
selektieren und zu prägen; oder es behauptet,<br />
die enormen und damit als ahistorisch<br />
empfundenen Zerstörungen des<br />
Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit<br />
hätten die Geschichte in einer Weise<br />
überprägt, die einer damnatio memoriae<br />
gleichkomme und die ein Wiederanknüpfen<br />
an die Zeit davor legitimiere – wenn<br />
nicht sogar erforderlich mache, da ansonsten<br />
wichtige geschichtliche Zeugnisse<br />
für immer für die Nachwelt verloren wären.<br />
Diese Geschichtsauffassung wird in<br />
zweierlei Hinsicht kritisch reflektiert: Einerseits<br />
wird in Frage gestellt, ob es überhaupt<br />
legitim ist, Geschichte durch bauliche<br />
Erinnerungsangebote zu produzieren<br />
bzw. hierfür die Mittel der „Geschichtsfälschung“<br />
– gemeint ist damit gleichermaßen<br />
das Vergessenmachen der Zerstörung<br />
wie die Herstellung einer täuschend „echten“<br />
Nachbildung – einzusetzen. Andererseits<br />
wird die vorgenommene Selektion<br />
kritisiert – generell aufgrund der bewussten<br />
Entscheidung einer Nivellierung der<br />
Zerstörungswahrnehmung (einschließlich<br />
der damit ggf. verbundenen Schuldzuschreibung)<br />
und in vielen Einzelfällen wegen<br />
der damit wiederhergestellten Bezüge<br />
zu einer vordemokratischen Vergangenheit<br />
(siehe hierzu den nachfolgenden Abschnitt<br />
zur Restauration historischer Gesellschaftsmuster).