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Wiederaufbauprozesse: Zentrale Einflussfaktoren<br />

103<br />

sensgesellschaft (Bell 1973, Böhme/Stehr<br />

1986, Heidenreich 2003) sind immaterielle<br />

Werte insgesamt wichtiger geworden, was<br />

etwa auch im Denkmalschutz mit den Anstrengungen<br />

der UNESCO zur Bewahrung<br />

der „Meisterwerke des mündlichen und<br />

immateriellen Erbes der Menschheit“ zum<br />

Ausdruck kommt. Zu solchen Werken können<br />

nach der Argumentation mancher Rekonstruktionsbefürworter<br />

dann auch die<br />

Baupläne bedeutender Bauwerke oder Architekten<br />

gehören. Ihrer Bewahrung kann<br />

dann auch eine erneute „Materialisierung“<br />

durch Rekonstruktion dienen. Entsprechend<br />

wird in mehreren Wiederaufbaudebatten<br />

auf das Vorhandensein alter<br />

Pläne verwiesen. Die Medialisierung vieler<br />

Sinneseindrücke, die Echtheit der sinnlichen<br />

Erfahrung insbesondere durch die<br />

Allgegenwart bewegter Bilder verstärkt<br />

zusätzlich die Abwertung in einem ursprünglicheren<br />

Sinn „echter“ Erlebnisse.<br />

Damit diese gesellschaftlichen Trends<br />

die Geschichtsvermittlung von Rekonstruktionen<br />

vor Ort tatsächlich ermöglichen<br />

können, ist allerdings eine wesentliche zusätzliche<br />

Voraussetzung erforderlich: Das<br />

gesellschaftliche Klima muss die Erinnerung<br />

an den rekonstruierten Ort und damit<br />

an die Umstände seiner Zerstörung<br />

auch zulassen. Wenn diese im Rahmen eines<br />

traumatischen, beschämenden Ereignisses<br />

stattgefunden hat – in vielen Fällen<br />

wird der Zweite Weltkrieg, die damit<br />

verbundenen Bombardierungen und die<br />

letztendliche Niederlage des nationalsozialistischen<br />

Deutschlands genannt – dauert<br />

es meist Jahrzehnte, bis das Thema Wiederaufbau<br />

zur Sprache kommt. Mit dem<br />

Wandel des Generationengedächtnisses<br />

nach 80 bis 100 Jahren verändert sich auch<br />

der gesellschaftliche Bezug zu den Umständen<br />

der Zerstörung. Die jüngeren Generationen<br />

können unbefangener fordern,<br />

dass auch die Erinnerung an vorhergehende<br />

Epochen baulich dargestellt wird. „Perfekt“<br />

wird die „Täuschung“, die von Rekonstruktionen<br />

in diesem Sinne letztlich<br />

ausgeht, dann, wenn so wesentliche Teile<br />

der Bevölkerung nach relativ kurzer Zeit<br />

den Zustand vor dem Wiederaufbau aus<br />

dem Bewusstsein verlieren.<br />

Sofern es um einen entsprechend ungerichteten,<br />

nicht-selektiven Geschichtsverweis<br />

geht, ist eine solche Wirkung durch<br />

Rekonstruktionen möglich, wenn sie hin­<br />

reichend originaltreu erfolgen und ggf. sogar<br />

eine Wiederherstellung von Gebrauchsund<br />

Alterungsspuren einbeziehen, so dass<br />

Laien gewissermaßen ein altes Gebäude<br />

erleben. Im Vergleich zu anderen Formen<br />

der musealen oder medialen Geschichtsvermittlung<br />

kann die Wirkung sogar stärker<br />

sein. Damit ist allerdings zunächst nur<br />

eine sehr banale Form der Überlieferung<br />

gelungen: der Hinweis, dass es an dieser<br />

Stelle einmal Gebäude gab, die so ähnlich<br />

aussahen und dass der Ort insgesamt<br />

über eine Historie verfügt, die mindestens<br />

so alt ist, wie der Baustil es der kundigen<br />

Betrachterin zeigt. Für alle darüber<br />

hinaus gehenden Bezüge zur Stadthistorie,<br />

geschichtlichen Erzählungen und Erläuterungen<br />

sowie erinnerungskulturellen<br />

Leistungen sind weitergehende Vermittlungsstrategien<br />

erforderlich, die durch Rekonstruktionen<br />

je nach Ausführung, vor<br />

allem aber je nach Vermittlungsinhalt bestärkt<br />

oder geschwächt werden können.<br />

Stark verallgemeinernd kann davon ausgegangen<br />

werden, dass die Vermittlung<br />

von Ereignissen und historischen Zusammenhängen,<br />

die sich auf die Existenz des<br />

Bauwerks und seinen historischen Kontext<br />

beziehen, vereinfacht wird: Erschwert<br />

wird hingegen der Verweis auf die Zerstörung<br />

und die Weiterentwicklung des Ortes<br />

zwischen Zerstörung und Wiederaufbau,<br />

so lange hierfür nicht entsprechend deutliche<br />

Hinweise auf die Zeitgenossenschaft<br />

des Bauwerks vorgesehen werden.<br />

Anknüpfen an lokale Bautraditionen<br />

Ein weiteres, allerdings eher untergeordnetes<br />

Argument ist die Fortführung bzw.<br />

Betonung lokaler Bautraditionen durch<br />

Wiederaufbauvorhaben. Die Wiederherstellung<br />

von Gebäuden aus einer Zeit, in<br />

der zumindest nach dieser Argumentation<br />

eine größere Eigenständigkeit und Ortsbezogenheit<br />

bestanden habe, könne diese<br />

insgesamt erhalten bzw. wiederbeleben.<br />

Rekonstruktionen werden damit in direkte<br />

Verbindung mit traditionsorientiertem<br />

Bauen gestellt. In der Regel wird darin<br />

auch eine Form des Widerstands gegen internationale<br />

Angleichungstendenzen der<br />

modernen und zeitgenössischen Architektur<br />

gesehen, die zur Monotonie und „Austauschbarkeit“<br />

von Städten und insbesondere<br />

ihrer Zentren geführt habe.

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