Volken und die Keller, von 1314 bis 1888 - Gemeinde Volken
Volken und die Keller, von 1314 bis 1888 - Gemeinde Volken
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1865 muss ein ereignisreiches Jahr gewesen sein. Die Übernahme der Poststelle zeichnete sich ab, ein Um<strong>und</strong><br />
Ausbau der Liegenschaft wurde in Angriff genommen <strong>und</strong> zog eine Erhöhung des Gebäudeversicherungswertes<br />
nach sich 92 . Johann Conrad löste wieder sein Wirtepatent <strong>und</strong> wurde als <strong>Gemeinde</strong>ammann gewählt.<br />
Das schien bösen, <strong>bis</strong>sigen <strong>und</strong> neidischen Kommentaren zu rufen. Wie das nebenstehende Urteil zeigt, setzte<br />
sich Frau Anna aber gegen solche Provokationen „aktenk<strong>und</strong>ig <strong>und</strong> erfolgreich“ zur Wehr. Dem Zwischenfall<br />
vorangegangen war eine Beleidigung durch <strong>die</strong> Ehefrau des Klägers, Johannes Schuler. Anlässlich der Heimkehr<br />
der Familie <strong>von</strong> Johann Conrad <strong>Keller</strong> über einen Feldweg rief <strong>die</strong>se: „Das ist kein Weg, <strong>und</strong> wenn<br />
schon, nur für rechte Leute <strong>und</strong> nicht für schlechte“. Nach weiteren Wortwechseln schloss Frau Schuler den<br />
Streit: „du <strong>bis</strong>t der schlechteste Mensch, wo auf Erden lebt, geh nur du schlechte Person, sonst schlage ich dir<br />
<strong>die</strong> Beine ab“, wobei sie <strong>die</strong>se Drohung mit zwei Steinen in der Hand unterstrich. Die <strong>Keller</strong> klagten, Johann<br />
Conrad nahm einen Anwalt <strong>und</strong> beharrte auf einer Verurteilung. – Die Retourkutsche folgte auf dem Fuss.<br />
Anna <strong>Keller</strong>-Wiesendanger beschimpfte Johannes Schuler mit ähnlichen Worten. 93 . Die Gegenklage folgte<br />
<strong>und</strong> zeitigte das nebenstehende Urteil.<br />
Dann begann der Auszug des Nachwuchses. Die zweitälteste Tochter zog im gleichen Jahr 1865 nach Winterthur.<br />
Als fünf Jahre später auch ihre beiden älteren Söhne den väterlichen Hof verlassen hatten, wollte sie<br />
wenigstens ihren Jüngsten, Gustav, unbedingt zurückhalten. Um ihn zum Bleiben zu überreden, soll sie ihm<br />
Wein in grossen Mengen zu seiner Feldarbeit gebracht haben, aber ohne Erfolg (es war ja üblich, z.B. Tagelöhnern<br />
täglich 3½ Liter Wein zu geben). So kam es, dass mit Gustav auch das letzte ihrer Kinder <strong>Volken</strong> verliess.<br />
Die älteste Tochter Anna kehrte nach ihrer Scheidung zurück <strong>und</strong> heiratete den Witwer Conrad Gisler, der<br />
zwei Tage älter war als ihre Mutter. Conrad Gisler brachte einen Sohn in <strong>die</strong> Ehe, der zum Stammvater der<br />
Familien Blapp wurde, <strong>die</strong> heute in <strong>Volken</strong> leben oder noch nicht lange aus <strong>Volken</strong> weggezogen sind. Erstaunlich<br />
ist, dass auch zu Beginn des 21. Jahrh<strong>und</strong>erts immer noch in hohen Tönen <strong>von</strong> ihrer Warmherzigkeit<br />
<strong>und</strong> Gastfre<strong>und</strong>schaft gesprochen wird. Sie hat ohne Zweifel das F<strong>und</strong>ament gelegt, dass heute noch Blapps<br />
mit den <strong>Keller</strong>-Familien fre<strong>und</strong>schaftlich verkehren.<br />
Leider kann nicht festgestellt werden, wohin sie nach dem Tod ihres Mannes zog. Der Hof war ja schon verkauft.<br />
Sie musste aber noch ihre restlichen Sachen liqui<strong>die</strong>ren, wie <strong>die</strong> Inserate aufzeigen, <strong>die</strong> auf den vergangenen<br />
Seiten aufgeführt sind. Es ist am ehesten anzunehmen, dass ihre Tochter Anna Gisler-<strong>Keller</strong> sie zu sich<br />
nahm.<br />
Am 18. September 1904 schlug der Tod nochmals zu. Ihre Tochter Anna verstarb <strong>und</strong> kurz darauf auch deren<br />
Mann Conrad Gisler. Anna <strong>Keller</strong>-Wiesendanger musste somit zwei ihrer drei Töchter zu ihren Lebzeiten<br />
hergeben. In <strong>Volken</strong> war sie nun allein. Kein direktes Familienmitglied lebte mehr dort. Ihr lediger Sohn Johann<br />
Hermann holte sie deshalb zu sich nach Neuenburg.<br />
Wie hat es eine Bauernfrau aus dem verkehrsmässig abgelegenen <strong>Volken</strong> wohl ertragen, nun in einer grösseren<br />
Stadt zu leben, wo darüber hinaus noch eine ganz andere Mentalität herrschte, eine fremde Sprache gesprochen<br />
<strong>und</strong> eine fast achtzigjährige Frau aus der Deutschschweiz wohl nicht mit grossem Enthusiasmus<br />
willkommen geheissen wurde Es darf wohl angenommen werden, dass sie sich recht entwurzelt fühlte, obwohl<br />
sie bei ihrem Sohn leben konnte. Das ganze soziale Netz aus <strong>Volken</strong>, wo sie immerhin r<strong>und</strong> 50 Jahre<br />
gelebt hatte, musste sie zurücklassen. Und Eschlikon, woher sie stammte <strong>und</strong> wo ihre Familie wohnte, war<br />
noch weiter weg. - Alles ausser ihr Sohn muss ihr sehr fremd gewesen sein.<br />
In Neuenburg verstarb sie am Abend des 25. April 1906 um 21.50 Uhr an Grippe <strong>und</strong> wurde im Cimetière de<br />
Beauregard begraben 94 . Johann Hermann setzte ein Legat aus, dass ihr Grab während der ganzen Liegedauer<br />
bepflanzt <strong>und</strong> unterhalten werde. In <strong>Volken</strong> wohnte ja niemand mehr, der ihr Grab hätte pflegen können, wie<br />
es Brauch war.<br />
Man kann <strong>die</strong>ser Frau, wie auch ihren Vorgängerinnen an der Seite unserer Ahnen, nur <strong>die</strong> grösste Hochachtung<br />
<strong>und</strong> Wertschätzung entgegenbringen. Mit ihr starb <strong>die</strong> letzte in <strong>Volken</strong> lebende Vertreterin des Familienstammes<br />
des Verfassers.<br />
92 Siehe Seiten 88 – 90 im Anhang<br />
93 StAZH Z 411.245 Seiten 337-340<br />
94 Brief des Office des Archives de l’Etat de Neuchâtel vom 13.2.2007 bei H.P.<strong>Keller</strong><br />
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