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4/2005<br />

BRAK<br />

15. 8. 2005 36. Jahrgang<br />

Mitteilungen<br />

Herausgeber<br />

BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER<br />

<strong>Aus</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>Inhalt</strong><br />

Beirat<br />

RAuN Dr. Eberhard Haas, Bremen<br />

RA Dr. Christian Kirchberg, Karlsruhe<br />

RA JR Heinz Weil, Paris<br />

Akzente<br />

Wenn morgen gewählt wird (RAuN Dr. Bernhard Dombek) 149<br />

Aufsätze<br />

3. Zivilprozessrechts-Symposion <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

in Potsdam (RAin Barbara Schwerin) 150<br />

Zum wissenschaftlichen Anspruch anwaltsorientierter Lehrinhalte<br />

(Prof. Dr. Christian Berger) 169<br />

Berufsrechtliche Zulassung <strong>de</strong>r Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft<br />

kraft Richterrecht<br />

(RA Dr. Fritz-Eckehard Kempter/RA Stephan Kopp) 174<br />

Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts<br />

Das aktuelle Urteil (RA Holger Grams)<br />

Beratungspflichten vor Vergleichswi<strong>de</strong>rruf<br />

(OLG Düsseldorf v. 17.2.2005) 179<br />

Amtliche Bekanntmachungen<br />

Beschlüsse <strong>de</strong>r 4. Sitzung <strong>de</strong>r 3. Satzungsversammlung 183<br />

Berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Fachanwalt – zur Beschränkung <strong>de</strong>s Führens von Fachanwaltsbezeichnungen<br />

auf zwei Rechtsgebiete<br />

(BGH v. 4.4.2005) 188<br />

Zur Verfassungsgemäßheit <strong>de</strong>r Vorschriften über die Zulassung<br />

als Rechtsanwalt bei <strong><strong>de</strong>m</strong> Bun<strong>de</strong>sgerichtshof<br />

(BGH v. 18.2.2005) 190<br />

Verstoß gegen das Verbot wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen<br />

(Bayerischer AGH v. 6.4.2005) 195<br />

Werbung – wettbewerbswidrige Formulierungen in einem Rundschreiben<br />

(OLG Thüringen v. 20.4.2005) 201<br />

BRAKMagazin<br />

Brennpunkt Rechtspolitik<br />

Fortbildung und Marketing


BRAK-Mitt. 4/2005 III<br />

4/2005<br />

Akzente<br />

Wenn morgen gewählt wird (B. Dombek) . . . . . . . . . . . 149<br />

Aufsätze<br />

3. Zivilprozessrechts-Symposion <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

in Potsdam (B. Schwerin) . . . . . . . . . . 150<br />

Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts<br />

im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess (R. Greger). . . . . . . . . . . . . 150<br />

Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts<br />

im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess (L. Schmu<strong>de</strong>) . . . . . . . . . . . 155<br />

Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren – Verfahrensrechtliche<br />

Konzepte zur effizienten Abwicklung von<br />

Massenklagen (H. Koch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159<br />

Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren – Verfahrensrechtliche<br />

Konzepte zur effizienten Abwicklung von<br />

Massenklagen (M. Weigel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164<br />

Zum wissenschaftlichen Anspruch anwaltsorientierter<br />

Lehrinhalte (Ch. Berger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169<br />

Berufsrechtliche Zulassung <strong>de</strong>r Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft<br />

kraft Richterrecht (F.-E. Kempter/S. Kopp) . 174<br />

Bericht über die 4. Berufsrechtsreferentenkonferenz<br />

(S. Kopp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176<br />

Anbringung eines Kanzleischil<strong>de</strong>s als Voraussetzung<br />

für die Einrichtung einer Kanzlei (S. Kopp) . . . . . . . . . 178<br />

Einre<strong>de</strong> <strong>de</strong>r beschränkten Erbenhaftung<br />

(KG v. 3.2.2005 – 20 U 11/04). . . . . . . . . . . . . . . . . . 180<br />

Beratung bei Versicherung für frem<strong>de</strong> Rechnung<br />

(OLG Saarbrücken v. 10.11.2004 – 5 U 143-02-14) . 180<br />

Fristen<br />

Beiläufige Fristenüberprüfung<br />

(BGH v. 13.4.2005 – VIII ZB 77/04 und<br />

BGH v. 19.4.2005 – X ZB 31/03) . . . . . . . . . . . . . . . . 181<br />

Zweiter Fristverlängerungsantrag und Einwilligung<br />

<strong>de</strong>s Gegners<br />

(BGH v. 22.3.2005 – XI ZB 36/04) . . . . . . . . . . . . . . . 181<br />

Einzelweisung zur Faxübermittlung eines Schriftsatzes<br />

(BGH. v. 3.5.2005 – XI ZB 41/04) . . . . . . . . . . . . . . . 181<br />

Vertretungsregelung im Krankheitsfall<br />

(BGH v. 17.3.2005 – IX ZB 74/04) . . . . . . . . . . . . . . . 181<br />

Prüfung <strong>de</strong>r Faxnummer<br />

(BGH v. 1.3.2005 – VI ZB 65/04). . . . . . . . . . . . . . . . 182<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK<br />

Empfehlungen <strong>de</strong>s <strong>Aus</strong>schusses Internationale<br />

Sozietäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182<br />

Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts<br />

Das aktuelle Urteil (H. Grams)<br />

Beratungspflichten vor Vergleichswi<strong>de</strong>rruf<br />

(OLG Düsseldorf v. 17.2.2005 – I-24 U 119/04 . . . . . 179<br />

Rechtsprechungsleitsätze (B. Chab/A. Jungk/H. Grams)<br />

Haftung<br />

Zurechnungszusammenhang bei mehreren hintereinan<strong>de</strong>r<br />

tätigen Anwälten<br />

(BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 132/01) . . . . . . . . . . . . . . . 180<br />

Amtliche Bekanntmachungen<br />

Beschlüsse <strong>de</strong>r 4. Sitzung <strong>de</strong>r 3. Satzungsversammlung<br />

bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

am 21.2.2005 in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . 183<br />

Personalien<br />

Personalien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185


IV <strong>Inhalt</strong><br />

BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Europäischer Gerichtshof/Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

EuGH 10.3.2005 C-235/03 Ersatzfähigkeit von Rechtsanwaltskosten als Beitreibungskosten nur<br />

bei nationaler Regelung (LS) 185<br />

BVerfG 12.4.2005 2 BvR 1027/02 Verfassungsrechtliche Anfor<strong>de</strong>rungen an die Beschlagnahme von Daten<br />

einer Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei (LS) 186<br />

BVerfG 5.4.2005 1 BvR 774/02 Beitragspflicht zur berufsständischen Anwaltsversorgung während<br />

einkommensloser Kin<strong>de</strong>rerziehungszeiten (LS) 186<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

BGH 18.4.2005 AnwZ (B) 35/04 Werbung – Kanzleibezeichnung „K.-Associates“ 186<br />

BGH 18.4.2005 AnwZ (B) 31/04 Fachanwalt – Drei-Jahres-Zeitraum <strong>de</strong>r Praxiserfahrung bei Zulassung 187<br />

BGH 4.4.2005 AnwZ (B) 19/04 Fachanwalt – zur Beschränkung <strong>de</strong>s Führens von Fachanwaltsbezeichnungen<br />

auf zwei Rechtsgebiete 188<br />

BGH 7.3.2005 AnwZ (B) 7/04 Versagung <strong>de</strong>r Zulassung wegen Vermögensverfalls (LS) 190<br />

BGH 18.2.2005 AnwZ (B) 3/03 Zur Verfassungsgemäßheit <strong>de</strong>r Vorschriften über die Zulassung als<br />

Rechtsanwalt bei <strong><strong>de</strong>m</strong> Bun<strong>de</strong>sgerichtshof 190<br />

Schleswig-Hol- 2.5.2005 2 AGH 12/04 (n.r.) Zulassung – Wi<strong>de</strong>rruf wegen Vermögensverfalls (LS) 193<br />

steinischer AGH<br />

Bayerischer AGH 28.4.2005 BayAGH I – 4/05 Pflicht <strong>de</strong>s Sozius zur Übernahme <strong>de</strong>r Mandate eines verstorbenen<br />

(n.r.) Kollegen 194<br />

Bayerischer AGH 6.4.2005 BayAGH I – 31/04 Verstoß gegen das Verbot wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen 195<br />

Schleswig-Hol- 17.3.2005 1 AGH 1/2005 Fachanwalt – zur Anerkennungsfähigkeit von Online-Seminaren als<br />

steinischer AGH (n.r.) Fortbildung (LS) 197<br />

AGH Rheinland- 21.1.2005 1 AGH 27/01 Abwickler – zum Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit (LS) 197<br />

Pfalz<br />

Bayerischer AGH 18.1.2005 BayAGH II – 8/04 Verbot <strong>de</strong>r Vereinbarung eines Erfolgshonorars (LS) 198<br />

(n.r.)<br />

AGH Nordrhein- 7.11.2003 2 ZU 10/03 Werbung – Angabe eines Kooperationspartners 198<br />

Westfalen<br />

AGH NW (n.r.)<br />

AGH Nordrhein- 4.7.2003 (2) 6 EVY 4/02 Pflicht zur Entgegennahme von Zustellungen (LS) 199<br />

Westfalen<br />

AGH NW (n.r.)<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

BGH 24.2.2005 I ZR 128/02 Rechtsberatung – För<strong>de</strong>rmittelberatung (LS) 199<br />

BGH 27.1.2005 I ZR 202/02 Werbung mit „optimaler Vertretung“ 199<br />

OLG Karlsruhe 17.6.2005 14 U 16/05 Unterlassungsanspruch wegen Berichterstattung über Straftaten eines Sozius (LS) 201<br />

OLG Thüringen 20.4.2005 2 U 948/04 Werbung – wettbewerbswidrige Formulierungen in einem Rundschreiben 201<br />

LG Hamburg 3.9.2004 312 O 801/04 Werbung – <strong>Aus</strong>führungen einer Kanzlei zu <strong>de</strong>n Dienstleistungen ihres<br />

Mandanten 204<br />

BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER<br />

Berufliche Vertretung aller Rechtsanwälte in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland; 28<br />

Mitgliedskammern (27 regionale Rechtsanwaltskammern und Rechtsanwaltskammer<br />

beim Bun<strong>de</strong>sgerichtshof). Körperschaft <strong>de</strong>s öffentlichen Rechts. Die Rechtsanwaltskammern<br />

und die Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer als Dachorganisation sind die Selbstverwaltungsorgane<br />

<strong>de</strong>r Anwaltschaft.<br />

GESETZLICHE GRUNDLAGE: Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung vom 1. August 1959,<br />

BGBl. I S. 565, in <strong>de</strong>r Fassung vom 2. 9. 1994, BGBl. I S. 2278.<br />

ORGANE: Hauptversammlung bestehend aus <strong>de</strong>n 28 gewählten Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r<br />

Rechtsanwaltskammern; Präsidium, gewählt aus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>r Hauptversammlung;<br />

Präsi<strong>de</strong>nt: Rechtsanwalt und Notar Dr. Bernhard Dombek, Berlin. Vorbereitung <strong>de</strong>r<br />

Organentscheidungen durch Fachausschüsse.<br />

AUFGABEN: Befassung mit allen Angelegenheiten, die für die Anwaltschaft von allgemeiner<br />

Be<strong>de</strong>utung sind; Vertretung <strong>de</strong>r Anwaltschaft gegenüber Gesetzgeber, Gerichten,<br />

Behör<strong>de</strong>n; För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Fortbildung; Berufsrecht; Satzungsversammlung;<br />

Koordinierung <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern, z. B. Zulassungswesen, Berufsaufsicht,<br />

Juristenausbildung (Mitwirkung), <strong>Aus</strong>bildungswesen, Gutachtenerstattung,<br />

Mitwirkung in <strong>de</strong>r Berufsgerichtsbarkeit.<br />

BRAK-MITTEILUNGEN<br />

Informationen zu Berufsrecht und Berufspolitik<br />

HERAUSGEBER: Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer (Littenstr. 9, 10179 Berlin, Tel. 030/<br />

284939-0, Telefax 030/284939-11).<br />

E-Mail: zentrale@<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>, Internet: http://www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>.<br />

Redaktion: Rechtsanwalt Stephan Göcken (Sprecher <strong>de</strong>r Geschäftsführung/Schriftleiter),<br />

Rechtsanwalt Christian Dahns, Frauke Karlstedt (sachbearbeitend).<br />

VERLAG: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln (Bayenthal),<br />

Tel. (02 21) 9 37 38-01; Telefax 02 21/ 9 37 38-9 21.<br />

E-Mail: info@otto-schmidt.<strong>de</strong><br />

Konten: Sparkasse KölnBonn (BLZ 37050198) 30602155; Postgiroamt Köln (BLZ<br />

37010050) 53950-508.<br />

ERSCHEINUNGSWEISE: Zweimonatlich jeweils zum 15. 2., 15. 4., 15. 6., 15. 8., 15.<br />

10., 15. 12.<br />

BEZUGSPREISE: Den Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Rechtsanwaltskammern wer<strong>de</strong>n die BRAK-Mitteilungen<br />

im Rahmen <strong>de</strong>r Mitgliedschaft ohne Erhebung einer beson<strong>de</strong>ren Bezugsgebühr<br />

zugestellt. Jahresabonnement 89 € (zzgl. Zustellgebühr); Einzelheft 19,80 €<br />

(zzgl. Versandkosten). In diesen Preisen ist die Mehrwertsteuer mit 6,54% (Steuersatz<br />

7%) enthalten.<br />

ANZEIGEN: an <strong>de</strong>n Verlag.<br />

Anzeigenleitung: Renate Becker (verantwortlich).<br />

Gültig ist Preisliste Nr. 20 vom 1. 1. 2005<br />

DRUCKAUFLAGE dieser <strong>Aus</strong>gabe: 136 700 Exemplare (Verlagsausgabe).<br />

DRUCK: Boyens Offset, Hei<strong>de</strong>. Hergestellt auf chlorfrei gebleichtem Papier.<br />

URHEBER- UND VERLAGSRECHTE: Die in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beiträge<br />

sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbeson<strong>de</strong>re das <strong>de</strong>r Übersetzung in<br />

frem<strong>de</strong> Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeitschrift darf ohne schriftliche Genehmigung<br />

<strong>de</strong>s Verlages in irgen<strong>de</strong>iner Form durch Fotokopie, Mikrofilm o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

Verfahren reproduziert o<strong>de</strong>r in eine von Maschinen, insbeson<strong>de</strong>re von Datenverarbeitungsanlagen<br />

verwendbare Sprache übertragen wer<strong>de</strong>n. Das gilt auch für die veröffentlichten<br />

Entscheidungen und <strong>de</strong>ren Leitsätze, wenn und soweit sie von <strong>de</strong>r Schriftleitung<br />

bearbeitet sind. Fotokopien für <strong>de</strong>n persönlichen und sonstigen eigenen Gebrauch<br />

dürfen nur von einzelnen Beiträgen o<strong>de</strong>r Teilen daraus als Einzelkopien hergestellt<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

IVW-Druckauflage 1. Quartal 2005: 134 800 Exemplare.<br />

ISSN 0722-6934


BRAK-Mitt. 4/2005 Aktuelle Hinweise<br />

V<br />

Aktuelle Hinweise<br />

Buchbesprechungen<br />

Schöttle, Hendrik, Anwaltliche Rechtsberatung<br />

via Internet, Recht und Neue<br />

Medien, Band 7, 2004, 342 Seiten, kartoniert,<br />

Euro 38, Richard Boorberg Verlag<br />

GmbH & Co. KG, Stuttgart, ISBN-<br />

Nr.: 3-415-03462-3<br />

Mit <strong>Aus</strong>weitung <strong>de</strong>r elektronischen<br />

Kommunikation wird es für <strong>de</strong>n Rechtsanwalt<br />

immer interessanter, seine<br />

Rechtsberatung auch im Internet anzubieten.<br />

Doch welche Regeln muss <strong>de</strong>r<br />

Anwalt, <strong>de</strong>r sich zu diesem Schritt entschließt,<br />

im Netz beachten Dieser Frage<br />

geht Hendrik Schöttle in seiner Arbeit<br />

„Anwaltliche Rechtsberatung via Internet“<br />

nach. Dabei wird nur zu <strong>de</strong>utlich:<br />

Die Rechtskreise von Internet und<br />

Rechtsberatung harmonieren nur selten<br />

miteinan<strong>de</strong>r. Im anwaltlichen Berufsrecht<br />

gibt es keine Regelungen speziell<br />

für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s Internet. Probleme<br />

ergeben sich zum Beispiel bereits hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r Pflichtangaben auf „Briefbögen“.<br />

Umgekehrt wer<strong>de</strong>n die Vorschriften<br />

<strong>de</strong>s E-Commerce und <strong>de</strong>s<br />

Datenschutzrechts <strong><strong>de</strong>m</strong> beson<strong>de</strong>ren Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Anwalt und<br />

Mandant kaum gerecht. Insgesamt stellt<br />

sich <strong><strong>de</strong>m</strong> Anwalt ein Dschungel von<br />

Regelungen entgegen, <strong>de</strong>n er sicher<br />

durchqueren muss.<br />

Der erste Teil <strong>de</strong>s Buches beschäftigt<br />

sich mit <strong>de</strong>r Einrichtung <strong>de</strong>r technischen<br />

und organisatorischen Infrastruktur wie<br />

E-Mail, Homepage und <strong>de</strong>r Verwendung<br />

von Online-Formularen.<br />

Dabei kommt die Anwendung von Vorschriften<br />

aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Teledienstgesetz, <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Bun<strong>de</strong>sdatenschutzgesetz, <strong><strong>de</strong>m</strong> Fernabsatzgesetz<br />

und <strong><strong>de</strong>m</strong> Strafgesetzbuch in<br />

Betracht, <strong>de</strong>ren Geltung im Hinblick auf<br />

die Rechtsberatung durch <strong>de</strong>n Anwalt<br />

eingehend untersucht wird.<br />

Nach Ansicht <strong>de</strong>s Autors kann <strong>de</strong>r<br />

Anwalt grundsätzlich per unverschlüsselter<br />

E-Mail kommunizieren, auch ohne<br />

Zustimmung <strong>de</strong>s Mandanten, ohne<br />

dabei gegen das anwaltliche Berufsgeheimnis<br />

zu verstoßen. Die Vertraulichkeit<br />

sei durch das Fernmel<strong>de</strong>geheimnis,<br />

§ 206 StGB, und <strong>de</strong>n Tatbestand <strong>de</strong>s<br />

<strong>Aus</strong>spähens von Daten, § 202a StGB,<br />

geschützt. Doch sei im Einzelfall eine<br />

Einschränkung möglich, etwa für beson-<br />

<strong>de</strong>rs sensible Informationen. Letztendlich<br />

liegt wohl das Schutzniveau <strong>de</strong>r E-<br />

Mail unter <strong><strong>de</strong>m</strong> von Brief und Telefon,<br />

ist vielmehr <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>s Telefax vergleichbar.<br />

Der Einsatz von Verschlüsselungstechniken<br />

wird im Ergebnis als bisher<br />

wenig tauglich angesehen, weil <strong>de</strong>r<br />

Mandant jeweils über die passen<strong>de</strong> Entschlüsselungs-Software<br />

verfügen müsste.<br />

Die E-Mail unterliege zu<strong><strong>de</strong>m</strong> § 10<br />

BORA, was bei Rechtsanwaltsgesellschaften<br />

beson<strong>de</strong>re Pflichtangaben nach<br />

sich zieht.<br />

Da <strong>de</strong>r Anwalt über seine Homepage<br />

neue Mandanten akquiriere, sei diese<br />

als Teledienst anzusehen, so dass die<br />

Anbieterkennzeichnung nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Teledienstgesetz<br />

beachtet wer<strong>de</strong>n muss. Im<br />

Kontakt mit Verbrauchern sei zu<strong><strong>de</strong>m</strong> das<br />

Fernabsatzgesetz zu beachten, außer<strong><strong>de</strong>m</strong><br />

die Regelungen über <strong>de</strong>n elektronischen<br />

Geschäftsverkehr, soweit Online-<br />

Formulare verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Bei Verstoß<br />

gegen eine <strong>de</strong>r daraus entstehen<strong>de</strong>n<br />

Organisations- und Informationspflichten<br />

könnten je nach<strong><strong>de</strong>m</strong> Ansprüche<br />

gegen <strong>de</strong>n Anwalt aus § 1 UWG, § 2<br />

Abs. 1 UWG, § 12 TDG o<strong>de</strong>r § 2 Abs. 1<br />

UKlaG entstehen.<br />

Auf Daten, die zum Homepage-Abruf<br />

erfor<strong>de</strong>rlich sind, soll außer<strong><strong>de</strong>m</strong> das<br />

Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG)<br />

anwendbar sein, nicht hingegen auf die<br />

anwaltliche E-Mail-Kommunikation. Zur<br />

Erstellung von Nutzerstatistiken sei jedoch<br />

eine Datenschutzerklärung sowie<br />

ein Hinweis auf das Wi<strong>de</strong>rspruchsrecht<br />

gem. § 6 Abs. 3 Satz 2 TDDSG notwendig.<br />

Die Vorschriften <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sdatenschutzgesetz<br />

(BDSG) hingegen kollidieren<br />

größtenteils mit <strong>de</strong>n Berufspflichten<br />

<strong>de</strong>s Anwalts, so die Benachrichtigungsund<br />

<strong>Aus</strong>kunftspflichten mit <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />

Verschwiegenheitspflicht. <strong>Aus</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Subsidiaritätsgrundsatz <strong>de</strong>s BDSG<br />

ergebe sich jedoch ein Vorrang <strong>de</strong>s<br />

anwaltlichen Berufsrechts.<br />

Nach <strong>de</strong>r ausführlichen Prüfung all dieser<br />

in Betracht kommen<strong>de</strong>n Regelungen<br />

ist die Zusammenfassung <strong>de</strong>r Informations-<br />

und Organisationspflichten zur<br />

Homepage und zur Verwendung von<br />

Online-Formularen für <strong>de</strong>n Leser hilfreich.<br />

Im zweiten Teil <strong>de</strong>s Buches geht <strong>de</strong>r<br />

Autor auf Fragen <strong>de</strong>r konkreten Mandatsabwicklung<br />

ein, in<strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>r Ablauf<br />

eines Beratungsfalles beginnend mit <strong>de</strong>r<br />

Kontaktaufnahme durch <strong>de</strong>n Mandanten<br />

bis hin zur Abrechnung <strong>de</strong>s Honorars<br />

theoretisch durchgespielt wird.<br />

Das E-Mail-Postfach solle vom Anwalt<br />

min<strong>de</strong>stens zu Beginn und En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Bürozeiten überprüft wer<strong>de</strong>n, da eine<br />

auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Server eintreffen<strong>de</strong> E-Mail<br />

zugegangen sei.<br />

Bei Zugang eines neuen Auftrags habe<br />

<strong>de</strong>r Anwalt die Informationspflichten<br />

nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Recht <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Vertriebsformen<br />

zu beachten. Ansonsten<br />

riskiere er einen verzögerten Lauf <strong>de</strong>r<br />

Wi<strong>de</strong>rrufsfrist, soweit das Fernabsatzrecht<br />

anwendbar ist, und mögliche<br />

Ansprüche aus § 1 UWG und § 2 UKlaG<br />

gegen ihn.<br />

Der Anwalt könne, so Schöttle, im Internet<br />

eine Honorarvereinbarung mit <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

<strong>Inhalt</strong> einer Zeitvergütung abschließen<br />

o<strong>de</strong>r eine Pauschalvergütung vereinbaren,<br />

wenn sie individuell nach einer<br />

ersten Prüfung <strong>de</strong>s Mandats vereinbart<br />

wird.<br />

Problematisch am Begriff <strong>de</strong>s Beratungsgesprächs<br />

sei, dass dieser auf <strong>de</strong>n E-<br />

Mail-Schriftverkehr nicht übertragbar<br />

sei, weil dieser eine zeitversetzte Kommunikation<br />

und damit je<strong>de</strong>nfalls kein<br />

Beratungs„gespräch“ darstelle.<br />

Die E-Mail, so stellt <strong>de</strong>r Verfasser<br />

abschließend fest, sei <strong><strong>de</strong>m</strong> persönlichen<br />

Beratungsgespräch unter vier Augen bisher<br />

nach wie vor unterlegen. Als Vorteil<br />

<strong>de</strong>r Internet-Rechtsberatung nennt er die<br />

Zeitersparnis und Einfachheit. Um sich<br />

auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Markt zu behaupten, müssten<br />

jedoch an<strong>de</strong>re Nachteile, wie die Problematik<br />

<strong>de</strong>r digitalen Signatur, die im<br />

Netz nicht genug verbreitet ist, um eine<br />

ernsthafte Alternative zum Versand von<br />

Schriftstücken darzustellen, o<strong>de</strong>r datenschutzrechtliche<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen, die die<br />

anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />

und das Recht auf informationelle<br />

Selbstbestimmung <strong>de</strong>s Mandanten ignorieren,<br />

beseitigt wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Arbeit Schöttles gibt einen interessanten<br />

Überblick über die Situation <strong>de</strong>r<br />

(Fortsetzung Seite VI)


VI Aktuelle Hinweise<br />

BRAK-Mitt. 4/2005<br />

(Fortsetzung von Seite V)<br />

anwaltlichen Rechtsberatung im Internet,<br />

von <strong>de</strong>r Akquisition <strong>de</strong>s Mandanten<br />

über die Homepage bis zur Abwicklung<br />

<strong>de</strong>r Honorarzahlung, auch wenn <strong>de</strong>r<br />

erste Teil für <strong>de</strong>n praktischen Anwen<strong>de</strong>r<br />

etwas zu wissenschaftlich und <strong>de</strong>tailliert<br />

sein mag. Die Abrechnungsfragen richten<br />

sich noch nach <strong>de</strong>r BRAGO, wobei<br />

<strong>de</strong>r Verfasser in manchen Bereichen<br />

bereits auf <strong>de</strong>n Entwurf zum RVG eingeht.<br />

Rechtsreferendarin Sonja Detlefsen,<br />

Berlin<br />

Veranstaltungshinweise<br />

UIA-Kongress 2005 vom<br />

31.8. bis 4.9.2005 in Fès/<br />

Marokko<br />

Der 49. UIA-Kongress wird dieses Jahr<br />

vom 31.8. bis 4.9.2005 in Fès/Marokko<br />

stattfin<strong>de</strong>n. Die Hauptthemen <strong>de</strong>s Kongresses<br />

wer<strong>de</strong>n „Lawyers of the world: a<br />

single co<strong>de</strong> of ethnics“ und „Digital<br />

world: challenges for the legal system“<br />

sein.<br />

Anmeldungen und weitere Informationen<br />

unter<br />

E-Mail: uiacentre@uianet.org<br />

Internet: www.uianet.org.<br />

3. Europäischer Juristentag<br />

vom 7. bis 9.9.2005 in Genf<br />

Der 3. Europäische Juristentag wird vom<br />

7. bis 9.9.2005 in Genf stattfin<strong>de</strong>n. <strong>Aus</strong>richter<br />

dieser Veranstaltung ist <strong>de</strong>r<br />

Schweizerische Juristenverein.<br />

Die drei Abteilungen befassen sich mit<br />

<strong>de</strong>n Themen „Verantwortlichkeit <strong>de</strong>r<br />

Gesellschafts- und Aufsichtsorgane in<br />

Europa“, „Entwicklung eines gemeineuropäischen<br />

Zivilprozessrechts“ und<br />

„Koordination <strong>de</strong>s Grundrechtsschutzes<br />

in Europa“.<br />

Anmeldungen und weitere Informationen<br />

unter: www.jurist2005.org.<br />

IBA-Konferenz vom 25. bis<br />

30.9.2005 in Prag<br />

Anwälte aus aller Welt wer<strong>de</strong>n zum<br />

diesjährigen IBA-Jahreskongress vom 25.<br />

bis 30.9.2005 in Prag erwartet. Das<br />

umfassen<strong>de</strong> Programm, das über 100<br />

Arbeitsgruppen anbietet, und weitere<br />

Informationen im Internet unter http://<br />

www.ibanet.org/images/downloads/<br />

prelimprogrammeforweb.pdf.<br />

7. Fachtagung <strong>de</strong>s Forum<br />

Justizgeschichte<br />

Die 7. Fachtagung <strong>de</strong>s Forum Justizgeschichte<br />

tagt zu <strong><strong>de</strong>m</strong> Thema „Juristenausbildung<br />

– kritisch besichtigt“ vom<br />

1.–5.10.2005 in <strong>de</strong>r Deutschen Richteraka<strong><strong>de</strong>m</strong>ie<br />

in Wustrau.<br />

<strong>Aus</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong> Programm:<br />

– Warum die jüngste Rechtsgeschichte<br />

uns so viel zu sagen hat<br />

– Juristenausbildung im Nationalsozialismus<br />

– Juristenausbildung in <strong>de</strong>r SBZ/DDR<br />

– Kappung <strong>de</strong>r Reformen <strong>de</strong>r 60er- und<br />

70er-Jahre; wie und was lehren – <strong>Aus</strong><br />

<strong>de</strong>r Sicht junger Juristen<br />

– Die mündliche Prüfung als Initiationsritual<br />

– Zur prägen<strong>de</strong>n Wirkung <strong>de</strong>r Juristenausbildung<br />

auf die Mentalität im<br />

Berufsvollzug<br />

– Juristenausbildung: Eine Veranstaltung<br />

zur Beför<strong>de</strong>rung o<strong>de</strong>r zur <strong>Aus</strong>treibung<br />

kritischen Denkvermögens<br />

Anmeldung und weitere Informationen:<br />

Forum Justizgeschichte e.V., Herrenbreite<br />

18 A, 38302 Wolfenbüttel, Tel.:<br />

0 53 31/7 11 35; Fax: 0 53 31/3 33 29;<br />

E-Mail: info@forum-justizgeschichte.<strong>de</strong>,<br />

Homepage:<br />

www.forum-justizgeschichte.<strong>de</strong><br />

Tagungsgebühr inkl. Vollpension:<br />

150 Euro, 100 Euro für Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />

Forums, 50 Euro für Stu<strong>de</strong>nten und Referendare.<br />

Vermischtes<br />

Bericht über die 32. Tagung<br />

<strong>de</strong>r DACH Europäische<br />

Anwaltsvereinigung<br />

vom 19. bis 21. Mai 2005<br />

in Zürich<br />

Nach nunmehr 15 Jahren lud <strong>de</strong>r Vorstand<br />

<strong>de</strong>r DACH seine Mitglie<strong>de</strong>r erneut<br />

in die Bankenstadt Zürich ein, wo im<br />

Hotel Marriott zum Thema <strong>de</strong>r Sicherung<br />

von For<strong>de</strong>rungen Län<strong>de</strong>rberichte<br />

aus Deutschland, <strong>de</strong>r Schweiz, Österreich,<br />

<strong>de</strong>n Nie<strong>de</strong>rlan<strong>de</strong>n, Spanien, Italien<br />

und Polen von Kolleginnen und Kollegen<br />

gegeben wur<strong>de</strong>n. Knapp 90 Teilnehmer<br />

fan<strong>de</strong>n sich am 19.5.2005 zum<br />

traditionellen Begrüßungsaben<strong>de</strong>ssen im<br />

Rainbowroom <strong>de</strong>s Tagungshotels ein.<br />

Die Referate wur<strong>de</strong>n am folgen<strong>de</strong>n Freitag<br />

sowie dann Samstag vormittag gehalten.<br />

Frau RAin Brigitte Umbach-Spahn,<br />

Zürich, berichtete als Erste aus <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Tagungsland Schweiz über die dortigen<br />

Sicherungsinstitute. Als mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Konkurs<br />

<strong>de</strong>r Swissair befasste RAin einer renommierten<br />

Zürcher Kanzlei berichtete sie<br />

nicht nur einen sehr anschaulichen aktuellen<br />

Fall über das Schicksal eines Faustpfandrechts<br />

an einem Flugsimulator<br />

unter Beteiligung eines US-amerikanischen<br />

Leasinggebers und einer italienischen<br />

Bank, son<strong>de</strong>rn gab auch einen<br />

guten Überblick über sonstige Sicherungsinstitute<br />

<strong>de</strong>r Schweiz.<br />

Im zweiten Vormittagsreferat stellte Herr<br />

RA Dr. Max Wieland, München,<br />

schwerpunktmäßig die gebräuchlichste,<br />

weil im Gegensatz zur Schweiz, Italien<br />

und Spanien keiner Registrierungspflicht<br />

unterliegen<strong>de</strong>n Lieferantensicherheit<br />

sowie <strong>de</strong>n Eigentumsvorbehalt in seinen<br />

in Deutschland sehr weitreichen<strong>de</strong>n<br />

Erscheinungsformen dar. Äußerst übersichtlich<br />

wur<strong>de</strong>n in einem weiteren<br />

herausgegriffenen Schwerpunkt das Institut<br />

<strong>de</strong>s sog. Poolvertrages zur Begründung<br />

einer Sicherheiten-Verwertungsgemeinschaft<br />

im Insolvenzfall mit einem<br />

Vertragsmuster sowie die damit zusammenhängen<strong>de</strong>n<br />

umsatzsteuerrechtlichen<br />

Probleme erläutert.<br />

Nach <strong>de</strong>r Mittagspause widmete sich<br />

Herr RA Dr. Lothar Giesinger, Feldkirch,<br />

<strong>de</strong>n in Österreich gängigen Sicherungsmitteln<br />

wie Garantie, Bürgschaft und<br />

Schuldbeitritt. Nach <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>s<br />

Pfandrechtes an beweglichen und unbeweglichen<br />

Sachen ging <strong>de</strong>r Referent sehr<br />

ausführlich auf die Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s<br />

österreichischen Eigentumsvorbehalts<br />

und <strong>de</strong>r Sicherungsabtretung ein.<br />

Den spanischen Sicherungsinstituten<br />

widmete sich Herr RA Dr. Oliver Helfrich,<br />

Madrid, wobei er insbeson<strong>de</strong>re auf<br />

die Registrierungspflicht <strong>de</strong>s Eigentumsvorbehalts<br />

einging. Von nicht nur unterhaltsamem<br />

Wert waren seine auf ausländische<br />

Exporteure zugeschnittenen Fallbeispiele<br />

mit Beson<strong>de</strong>rheiten zur grenzüberschreiten<strong>de</strong>n<br />

Vereinbarung von<br />

AGB.<br />

(Fortsetzung Seite VIII)


VIII Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 4/2005<br />

(Fortsetzung von Seite VI)<br />

Das letzte Freitagsreferat war <strong><strong>de</strong>m</strong> holländischen<br />

Recht <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rungssicherung<br />

gewidmet. Frau RAin Birgitt <strong>de</strong><br />

Boer-Kühn, Amsterdam, wies ganz<br />

beson<strong>de</strong>rs auf län<strong>de</strong>rspezifische Beson<strong>de</strong>rheiten<br />

bei <strong>de</strong>r Verwertung von<br />

Sicherheiten hin. Sie gab neben einer<br />

allgemeinen Übersicht zu einzelnen<br />

Sicherungsformen auch wertvolle Hinweise<br />

zu Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>r Vertragsgestaltung.<br />

Der Samstag war <strong>de</strong>n Berichten für die<br />

Län<strong>de</strong>r Italien und Polen vorbehalten.<br />

Frau RAin Susanne Hein, Mailand,<br />

zeigte die in Italien beson<strong>de</strong>rs strengen<br />

Publizitätserfor<strong>de</strong>rnisse für die Wirksamkeit<br />

<strong>de</strong>s Eigentumsvorbehaltes gegenüber<br />

Dritten auf und erstreckte die Fallbeispiele<br />

auf sehr anschauliche IPR-<br />

Fälle. Wie bei solchen Tagungen durchaus<br />

auch erwünscht, lernten die Teilnehmer<br />

auch einiges „Neues“ kennen, wie<br />

z.B. die Möglichkeit einer Hypothekenbestellung<br />

an einem Kraftfahrzeug in Italien<br />

o<strong>de</strong>r, um nun zum polnischen Referat<br />

zu kommen, <strong>de</strong>r dortigen Möglichkeit<br />

<strong>de</strong>r privatrechtlichen Schaffung<br />

eines Vollstreckungstitels durch Bankinstitute.<br />

Hierauf ging Herr RA Prof. Dr.<br />

hab. Andrzej Kubas, Krakau, ein, freilich<br />

ein noch bestehen<strong>de</strong>s Relikt aus <strong>de</strong>r Zeit<br />

<strong>de</strong>s Kommunismus sowie die Problematik<br />

<strong>de</strong>r Kollision mit EU-Regelungen.<br />

Interessant waren seine <strong>Aus</strong>führungen<br />

zu Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>r Sicherungsverfügungen<br />

von Ehegatten.<br />

Für <strong>de</strong>n Freitagabend lud <strong>de</strong>r Vorstand<br />

die Teilnehmer zunächst zu einer Führung<br />

durch die Masoala-Halle <strong>de</strong>s Zürcher<br />

Zoos ein, einem in Europa völlig<br />

einzigartigen Objekt <strong>de</strong>r authentischen<br />

Darstellung <strong>de</strong>s Regenwal<strong>de</strong>s von<br />

Madagaskar. Nach <strong><strong>de</strong>m</strong> einstündigen,<br />

äußerst informativen, aber auch sehr<br />

schwül-warmen Tête-à-tête mit Flora<br />

und Fauna <strong>de</strong>r subtropischen Insel fand<br />

das Aben<strong>de</strong>ssen statt im eigens für die<br />

DACH um<strong>de</strong>korierten Restaurant<br />

nebenan. Als Ehrengast gesellte sich<br />

Herr Dr. Rainer Klopfer, Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s<br />

Obergerichts <strong>de</strong>s Kantons Zürich, zur<br />

Run<strong>de</strong>.<br />

Am Samstag vormittag fand nach <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

fachlichen Teil die 18. Mitglie<strong>de</strong>rversammlung<br />

<strong>de</strong>r DACH statt. Neben <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

üblichen Vereins- und Kassenbericht<br />

und Entlastung <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s für 2004<br />

fan<strong>de</strong>n die Vorstandswahlen statt.<br />

Auf Empfehlung <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r nun fünf Jahre als Präsi<strong>de</strong>nt und insgesamt<br />

16 Jahre im Vorstand <strong>de</strong>r DACH<br />

tätige Verfasser dieses Berichts, Herr RA<br />

Dr. Peter Wieland, München, <strong>de</strong>r nicht<br />

mehr für eine Wie<strong>de</strong>rwahl kandidiert<br />

hatte, abgelöst. Einstimmig erfolgte die<br />

Wahl von Herrn RA Dr. Peter Zimmermann,<br />

Düsseldorf, zum neuen Präsi<strong>de</strong>nten<br />

<strong>de</strong>r DACH. Ebenfalls abgelöst wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r nicht mehr kandidieren<strong>de</strong> und ebenfalls<br />

seit 16 Jahren im Amt befindliche<br />

Schatzmeister <strong>de</strong>r DACH, Herr RA Dr.<br />

Norbert Seeger, Vaduz, durch Herrn RA<br />

Dr. Alexan<strong>de</strong>r Ospelt, Schaan. Somit<br />

verbleibt die Kassenhoheit <strong>de</strong>r DACH<br />

weiterhin im Fürstentum Liechtenstein.<br />

Die bisherige Vizepräsi<strong>de</strong>ntin, Frau RAin<br />

Dr. Susanne Hüppi, Zürich, sowie <strong>de</strong>r<br />

Schriftführer, Herr RA Dr. Hubert Kinz,<br />

Bregenz, wur<strong>de</strong>n für eine weitere Amtsperio<strong>de</strong><br />

bestätigt, und zwar ebenfalls<br />

einstimmig. Die anwesen<strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>r<br />

und die bei<strong>de</strong>n neu gewählten Vorstän<strong>de</strong><br />

dankten <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n ausgeschie<strong>de</strong>nen<br />

Vorstän<strong>de</strong>n für ihre ausdauern<strong>de</strong><br />

und kontinuierliche Arbeit. Gedacht<br />

wur<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>s 1999 verstorbenen Erstpräsi<strong>de</strong>nten,<br />

Herrn RA Prof. Dr. Walter<br />

Schuppich, Wien, <strong>de</strong>r vielen mit seiner<br />

unverwechselbar vorbildlichen Art noch<br />

sehr lange in Erinnerung bleiben wird.<br />

Dem in <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rversammlung<br />

anwesen<strong>de</strong>n und 2003 ausgeschie<strong>de</strong>nen<br />

langjährigen Vizepräsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r<br />

DACH, Herrn RA Dr. Max Oesch,<br />

Zürich, gebührte ebenfalls ein langer<br />

Applaus für seine effiziente Aufbauarbeit.<br />

An dieser Stelle möchte ich mich – <strong>de</strong>n<br />

Wechsel in die sprachliche „Ich-Form“<br />

möge man mir nachsehen – wirklich von<br />

ganzem Herzen bedanken bei allen<br />

DACH-Mitglie<strong>de</strong>rn, die durch ihre Teilnahme<br />

an unseren jährlich zweimal<br />

stattfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Tagungen in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Städten im Herzen Europas zum<br />

eigentlichen „Erfolg“ <strong>de</strong>r DACH einen<br />

ganz maßgeblichen Beitrag geleistet<br />

haben und hoffentlich weiterhin leisten<br />

wer<strong>de</strong>n. Ein ganz beson<strong>de</strong>rer Dank gilt<br />

weiterhin <strong>de</strong>n vielen Kolleginnen und<br />

Kollegen aus verschie<strong>de</strong>nen Län<strong>de</strong>rn,<br />

die fachlich sowie wissenschaftlich mit<br />

insgesamt weit mehr als 250 Beiträgen<br />

„unsere DACH-Tagungen“ zu einer Institution<br />

in <strong>de</strong>r Anwaltschaft gemacht<br />

haben. Unterstützung erfuhr die DACH<br />

insbeson<strong>de</strong>re auch seit <strong>de</strong>r Gründung im<br />

Jahre 1989 durch die vielen Kolleginnen<br />

und Kollegen im Deutschen Anwaltsverein<br />

und <strong>de</strong>r BRAK, <strong><strong>de</strong>m</strong> Österreichischen<br />

Rechtsanwaltskammertag sowie<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Schweizerischen und auch Liechtensteinischen<br />

Anwaltsverband, die uns<br />

tatkräftig unterstützt und beraten haben.<br />

Die Fachpublikationen dieser großen<br />

Organisationen druckten regelmäßig<br />

unsere Tagungsberichte ab, sodass wir in<br />

<strong>de</strong>n vielen Jahren auch immer wie<strong>de</strong>r<br />

neue Mitglie<strong>de</strong>r werben konnten. Nicht<br />

zuletzt möchte ich auch meiner Ehefrau,<br />

Frau RAin Petra Heck-Wieland ganz<br />

herzlich für die treue Verbun<strong>de</strong>nheit bei<br />

unserer oftmals „gemeinsamen“ ehrenamtlichen<br />

Tätigkeit im Dienste <strong>de</strong>r<br />

DACH danken.<br />

Viele sind uns treu geblieben; die DACH<br />

versteht sich nicht nur als Fachforum.<br />

Viele Mitglie<strong>de</strong>r kommen fast regelmäßig<br />

zu unseren Tagungen. Es sind neue<br />

Freundschaften entstan<strong>de</strong>n sowie auch<br />

einzelne wie dauerhafte Mandatsbeziehungen<br />

begrün<strong>de</strong>t und vermittelt wor<strong>de</strong>n.<br />

Wen wun<strong>de</strong>rt es daher, wenn sich<br />

unsere langjährigen Tagungsteilnehmer<br />

als „Familie“ sehen. Ich bin mir sicher,<br />

dass das mit <strong><strong>de</strong>m</strong> neu zusammengesetzten<br />

Vorstandsteam auch so bleiben wird.<br />

Die nächste, 33. DACH-Tagung fin<strong>de</strong>t<br />

statt in Düsseldorf im neuen Hotel<br />

InterConti an <strong>de</strong>r Königsallee vom<br />

29.9. bis 1.10.2005 mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Thema<br />

„Errichtung einer Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

im <strong>Aus</strong>land“.<br />

Informationen über die DACH erhalten<br />

Sie bei <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>rverwaltung, c/o<br />

Frau RAin Dr. Susanne Hüppi, Klosbachstr.<br />

110, CH – 8032 Zürich, Tel.: 0041-<br />

1-252 66 88 o<strong>de</strong>r im Internet unter<br />

www.dach-ra.<strong>de</strong>.<br />

Dr. Peter Wieland, RA und<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht, München<br />

Zuständigkeit <strong>de</strong>r Amtsgerichte<br />

in Hamburg<br />

Das Amtsgericht Hamburg weist auf<br />

Än<strong>de</strong>rungen seiner Stadtteilgerichte<br />

hin. Seit <strong><strong>de</strong>m</strong> 1.4.2002 sind zu <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Amtsgericht Hamburg-Mitte durch<br />

Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Zuständigkeitsgrenzen<br />

die Amtsgerichte Hamburg-Barmbek<br />

und Hamburg-St. Georg hinzugekommen.<br />

Fast ein Viertel <strong>de</strong>r an das<br />

Amtsgericht Hamburg-Mitte gerichteten<br />

Klagen gehörten nicht in die dortige<br />

Zuständigkeit, son<strong>de</strong>rn wer<strong>de</strong>n bisher<br />

an die neugegrün<strong>de</strong>ten Amtsgerichte in<br />

Barmbek und St. Georg weitergeleitet.<br />

Das Amtsgericht Hamburg bittet um<br />

Beachtung <strong>de</strong>r Zuständigkeiten, da in<br />

Zukunft über das übliche Proze<strong>de</strong>re<br />

einer Verweisung nach § 281 ZPO ein<br />

Zeitverlust von rund 1 Monat entstehen<br />

kann.<br />

(Fortsetzung Seite XVI)


VIII XVI Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 4/2005<br />

(Fortsetzung von Seite VIII)<br />

Deutscher Fußball-CUP <strong>de</strong>r<br />

Rechtsanwälte 2006<br />

Was in an<strong>de</strong>ren europäischen Län<strong>de</strong>rn<br />

schon lange zum regelmäßigen sportlichen<br />

Veranstaltungsprogramm bei RAen<br />

gehört, soll es in Deutschland zum ersten<br />

Mal im Jahre 2006 geben: Ein Fußball-Turnier<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen RAe. Teilnehmen<br />

können Anwaltsmannschaften, die<br />

in Kammern organisiert sind o<strong>de</strong>r sich<br />

„frei“ zusammenfin<strong>de</strong>n.<br />

Deutschland ist im Jahre 2006 geprägt<br />

von <strong>de</strong>r Fußball-Weltmeisterschaft als<br />

größtes sportliches Highlight. Vom 9.<br />

Juni bis 9. Juli 2006 regiert König Fußball<br />

die Anhänger <strong>de</strong>s run<strong>de</strong>n Le<strong>de</strong>rs.<br />

Der <strong>de</strong>utsche Fußball-CUP <strong>de</strong>r RAe soll<br />

vom<br />

Donnerstag (Fronleichnam), 15. Juni,<br />

bis Sonntag, 18. Juni 2006,<br />

ausgetragen wer<strong>de</strong>n.<br />

Natürlich kann das Turnier parallel zur<br />

WM eine doppelte Wirkung entfalten,<br />

weil alle Teilnehmer gemeinsam die<br />

Spiele verfolgen können.<br />

Der <strong>Aus</strong>tragungsort wird gera<strong>de</strong> ermittelt.<br />

Fest steht, dass er zentral liegen, gut<br />

erreichbar sein und ein attraktives<br />

Umfeld aufweisen wird. Die Veranstalter<br />

wür<strong>de</strong>n gerne im Sommer 2005 wissen,<br />

wie das Interesse <strong>de</strong>r Anwälte an diesem<br />

Turnier ist. Zwölf Teams sollten min<strong>de</strong>stens<br />

aufgestellt wer<strong>de</strong>n. Gespielt wird<br />

auf „Kleinfeld“.<br />

Deshalb unsere dringen<strong>de</strong> Bitte an alle,<br />

die an diesem Turnier interessiert sind:<br />

Teilen Sie uns so früh als möglich per<br />

Fax, Mail o<strong>de</strong>r Telefon mit, ob Sie kommen<br />

wür<strong>de</strong>n und mit wie vielen Personen.<br />

Selbstverständlich kann die Zahl<br />

<strong>de</strong>r Teilnehmer später noch konkretisiert<br />

wer<strong>de</strong>n, doch für uns als Veranstalter<br />

ist eine ungefähre Angabe wichtig,<br />

um entsprechend planen zu können.<br />

Die Meisterschaft soll zukünftig alle<br />

zwei Jahre in einem an<strong>de</strong>ren Bun<strong>de</strong>sland<br />

ausgetragen wer<strong>de</strong>n. Neben <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

sportlichen Einsatz <strong>de</strong>r Advokaten soll<br />

natürlich die Kommunikation <strong>de</strong>r Kollegen<br />

untereinan<strong>de</strong>r, verbun<strong>de</strong>n mit Spaß<br />

und Erlebnis im Vor<strong>de</strong>rgrund <strong>de</strong>r Begegnungen<br />

stehen, <strong>de</strong>nn wie heißt es Elf<br />

Freun<strong>de</strong> müsst ihr sein ...!<br />

Die ausrichten<strong>de</strong> Agentur hat im Jahre<br />

2003 gemeinsam mit einer <strong>Aus</strong>wahl <strong>de</strong>r<br />

Anwaltskammer Frankfurt die Europa-<br />

Meisterschaft <strong>de</strong>r RAe im Fußball in <strong>de</strong>r<br />

Bankenstadt umgesetzt und organisiert<br />

(European Lawyers Football Cup).<br />

Die dritte Auflage ging mit großem<br />

Erfolg Mitte Mai 2005 in Salzburg zu<br />

En<strong>de</strong>, aus <strong>de</strong>r das Team Wien <strong>de</strong>n Titel<br />

nach einem spannen<strong>de</strong>n Spiel gegen die<br />

Kollegen aus London mit nach Hause<br />

nehmen konnte.<br />

Rückmeldungen und/o<strong>de</strong>r Fragen an:<br />

Deutscher Fußball Cup <strong>de</strong>r RAe 2006<br />

Organisationsbüro/Veranstalter<br />

Ansprechpartner: Jochen Schnei<strong>de</strong>r<br />

Postfach 600 846<br />

D-60338 Frankfurt<br />

Löwengasse 27, C 2<br />

D-60385 Frankfurt<br />

Telefon 069-945 08 444<br />

Telefax 069-945 08 446<br />

Mobil 0172-66 45 976<br />

E-Mail: info@elfcup.com


BRAK-Mitt. 4/2005 149<br />

4/2005<br />

15. 8. 2005 36. Jahrgang<br />

Akzente<br />

Wenn morgen gewählt wird<br />

– Die Stimme <strong>de</strong>r Anwaltschaft –<br />

Eigentlich sollte sie erst im nächsten Jahr stattfin<strong>de</strong>n, die Bun<strong>de</strong>stagswahl.<br />

Nach <strong>de</strong>r überraschen<strong>de</strong>n Vertrauensfrage <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>skanzlers<br />

und <strong>de</strong>r nicht mehr so überraschen<strong>de</strong>n Entscheidung <strong>de</strong>s<br />

Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nten, <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>stag aufzulösen, fällt die sonst übliche<br />

parlamentarische Sommerpause in diesem Jahr aus. Im September<br />

soll gewählt wer<strong>de</strong>n. Also dürfen die Parteien nicht pausieren.<br />

Sie rüsten sich für einen zwar kurzen, aber wahrscheinlich<br />

heißen Wahlkampf. Abgekühlt hat sich hingegen die politische<br />

<strong>Aus</strong>einan<strong>de</strong>rsetzung über eine Reform <strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes.<br />

Aufgeschoben, jedoch nicht aufgehoben, ist <strong>de</strong>r Entwurf <strong>de</strong>s<br />

Bun<strong>de</strong>sjustizministeriums zum Rechtsdienstleistungsgesetz, ebenso<br />

wie viele an<strong>de</strong>re rechtspolitische Vorhaben, die entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Diskontinuität anheimfallen o<strong>de</strong>r zurückgestellt wer<strong>de</strong>n, solange<br />

nicht klar ist, ob eine sich erneuern<strong>de</strong> alte o<strong>de</strong>r eine neue Regierung<br />

ab Oktober das Zepter <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns in <strong>de</strong>r Hand hält.<br />

Die Gerichtsferien sind schon lange abgeschafft. Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte kennen daher keine Sommerpause. In diesem<br />

Jahr sollten jedoch auch wir eine kurze Pause in unserer täglichen<br />

Arbeit einlegen und uns <strong><strong>de</strong>m</strong> Wahlkampf widmen. Wir müssen<br />

die Gelegenheit nutzen, vor <strong>de</strong>r Wahl unsere Meinung zur<br />

Rechtspolitik zu sagen. Wir müssen mit <strong>de</strong>n zukünftigen politischen<br />

Entscheidungsträgern re<strong>de</strong>n. Wir wollen hören, wie sie zu unseren<br />

rechtspolitischen Positionen stehen. 135.000 Anwältinnen und<br />

Anwälte sind eine starke, unübersehbare Wählergruppe. Aber nicht<br />

nur das – die Anwaltschaft hat eine ebenso starke Stellung in <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft. Wir sind im täglichen Kontakt mit unseren Mandanten,<br />

wir sind Arbeitgeber, wir sind engagiert in Vereinen und Organisationen<br />

– wir sind Multiplikatoren. Wir haben eine Stimme.<br />

Unsere Wahlprüfsteine 2005:<br />

Rechtsdienstleistungsgesetz<br />

Wir lehnen eine radikale Liberalisierung <strong>de</strong>s Rechtsberatungsmarktes<br />

ab. Unentgeltliche und entgeltliche Rechtsbesorgung in sog.<br />

einfachen Rechtsfällen und die Rechtsberatung als Nebenleistung<br />

wür<strong>de</strong>n nicht <strong><strong>de</strong>m</strong> Schutz <strong>de</strong>s Rechtssuchen<strong>de</strong>n vor unqualifizierter<br />

Rechtsdienstleistung dienen. Im Gegenteil – die Qualität <strong>de</strong>r<br />

Rechtsberatung wür<strong>de</strong> sinken, da in Zukunft verstärkt mit falscher,<br />

nicht interessengerechter Beratung zu rechnen ist. Fehlerhafte<br />

Rechtsberatung führt auch zu einer unnötigen stärkeren Beanspruchung<br />

<strong>de</strong>r Gerichte. Der rechtsuchen<strong>de</strong> Verbraucher, <strong>de</strong>r durchschnittlich<br />

in seinem Leben in zwei Rechtsstreitigkeiten verwickelt<br />

ist, kann in <strong>de</strong>n seltensten Fällen erkennen, ob er es mit einem<br />

„guten Rechtsberater“ zu tun hatte. Nur die hierfür ausgebil<strong>de</strong>te<br />

Anwaltschaft kann allen Verbrauchern <strong>de</strong>n gleichen Zugang zum<br />

Recht gewährleisten.<br />

Justizreform<br />

Nach einer Umfrage <strong>de</strong>s DIHK ist die Rechtssicherheit ein großer<br />

Pluspunkt in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Wirtschaft für <strong>de</strong>n Standort Deutschland.<br />

Es darf <strong>de</strong>shalb keine weitere Beschränkungen und Verkürzungen<br />

<strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Instanzenzüge geben. Eine von manchen<br />

Lan<strong>de</strong>sjustizministerinnen und -justizministern diskutierte Reduzierung<br />

von Rechtsmitteln auf das verfassungsmäßig gera<strong>de</strong> noch<br />

Vertretbare ist eines Rechtsstaats unwürdig. Recht auf einem Minimalniveau<br />

kann es in einer freiheitlichen Demokratie nicht geben.<br />

Eine ausschließlich fiskalischen Grün<strong>de</strong>n geschul<strong>de</strong>te Beschränkung<br />

<strong>de</strong>r Instanzenzüge führt auch erfahrungsgemäß nicht zu<br />

einem Entlastungseffekt und <strong>de</strong>r gewünschten Verstärkung <strong>de</strong>r ersten<br />

Instanz. Im Gegenteil – die Richter <strong>de</strong>r ersten Instanz wer<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>utlich mehr belastet, da wir Anwälte im Interesse unserer Mandanten<br />

in <strong>de</strong>r ersten Instanz noch umfassen<strong>de</strong>r vortragen müssten.<br />

Juristenausbildung<br />

Die Einführung von Bachelor- und Masterabschlüssen in <strong>de</strong>r Juristenausbildung<br />

ist bisher völlig unausgegoren. Wir wollen die Qualität<br />

<strong>de</strong>r Rechtsberatung sichern, statt einen Qualitätsabbau <strong>de</strong>r<br />

universitären Juristenausbildung zu för<strong>de</strong>rn. Bevor nicht gesichert<br />

ist, welchen Beruf <strong>de</strong>r juristische Bachelor ausüben kann, ist die<br />

beabsichtigte Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r falsche Weg.<br />

Seit Jahren beklagen wir einen Verfall <strong>de</strong>r Rechtskultur. Seit Jahren<br />

erleben wir eine Justiz als Steinbruch. Sog. Verfahrensbeschleunigungsgesetze,<br />

die <strong>de</strong>n Bürgern als Reformgesetze verkauft wer<strong>de</strong>n,<br />

tatsächlich aber zu einem weniger an Justiz und Gerechtigkeit führen,<br />

wer<strong>de</strong>n immer wie<strong>de</strong>r neu aufgelegt. Wir kämpfen gegen<br />

Qualitätsverlust nicht nur im Interesse unserer Mandanten, son<strong>de</strong>rn<br />

insbeson<strong>de</strong>re unserer Gesellschaft, in <strong>de</strong>r wir alle leben. Jetzt,<br />

vor <strong>de</strong>n Wahlen, ist es Zeit, unsere Meinung zu sagen und unsere<br />

Stimme zu erheben. Sprechen Sie <strong>de</strong>shalb mit <strong>de</strong>n Kandidaten in<br />

Ihrem Wahlkreis und auf <strong>de</strong>n Wahllisten <strong>de</strong>r Parteien.<br />

Der Bun<strong>de</strong>spräsi<strong>de</strong>nt hat uns bei seiner Entscheidung, <strong>de</strong>n Bun<strong>de</strong>stag<br />

aufzulösen, gesagt:<br />

„Jetzt haben Sie es in <strong>de</strong>r Hand. Schauen Sie bitte genau hin.<br />

Demokratie heißt, die Wahl zu haben zwischen politischen Alternativen.“<br />

Bernhard Dombek


150 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Schwerin, 3. Zivilprozessrechts-Symposion <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer in Potsdam<br />

3. Zivilprozessrechts-Symposion <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer in Potsdam<br />

Rechtsanwältin Barbara Schwerin, Berlin<br />

1 Die Beiträge von RA Lothar Schmu<strong>de</strong>, Prof. Dr. Reinhard Greger,<br />

RA Dr. Michael Weigel und Prof. Dr. Harald Koch zum ersten und<br />

zweiten Block <strong>de</strong>s Fachprogramms sind im Anschluss in diesem Heft<br />

abgedruckt. Die Beiträge von RAuN Jens-Peter Lachmann und Vors.<br />

RiLG Dr. Heinz Hawickhorst <strong>de</strong>s dritten Blocks wer<strong>de</strong>n aus Platzgrün<strong>de</strong>n<br />

in Heft 5/2005 publiziert.<br />

Am 4./5.3.2005 fand in Potsdam das 3. Zivilprozessrechts-Symposion<br />

<strong>de</strong>r BRAK statt. Der Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r BRAK Dr. Dombek<br />

begrüßte im Cecilienhof als Teilnehmer Hochschullehrer, Richter,<br />

Angehörige <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministeriums <strong>de</strong>r Justiz und <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sjustizverwaltungen<br />

sowie die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s ZPO/GVG-<br />

<strong>Aus</strong>schusses <strong>de</strong>r BRAK.<br />

Nach<strong><strong>de</strong>m</strong> das 1. Symposion im Jahre 1999 Vorüberlegungen<br />

für eine Rechtsmittelreform erarbeitet hatte und auf <strong><strong>de</strong>m</strong> 2.<br />

Symposion 2003 berufsübergreifen<strong>de</strong> Grundsatzthemen für<br />

Rechtsanwälte und Richter behan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>n, waren Themen<br />

<strong>de</strong>s diesjährigen Symposions berufsübergreifen<strong>de</strong> Fragen <strong>de</strong>s<br />

Zivilprozessrechts.<br />

Das Fachprogramm <strong>de</strong>s Symposions teilte sich in drei Themenkomplexe<br />

auf, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r erste Bereich <strong><strong>de</strong>m</strong> Thema „Verän<strong>de</strong>rungen<br />

und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen<br />

Zivilprozess“ gewidmet war. RA Lothar Schmu<strong>de</strong> (Köln) bereitete<br />

das Thema aus anwaltlicher Sicht auf, während Prof. Dr.<br />

Reinhard Greger (Erlangen) die Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Beweisrechts<br />

aus wissenschaftlicher Sicht beleuchtete. Im Anschluss<br />

an die höchst informativen Vorträge <strong>de</strong>r Referenten 1 entspann<br />

sich zwischen <strong>de</strong>n Teilnehmern eine sehr lebhafte und konstruktive<br />

Debatte. Kontrovers wur<strong>de</strong> dabei insbeson<strong>de</strong>re die<br />

Neuregelung <strong>de</strong>s § 142 ZPO diskutiert: Während <strong>de</strong>r Vorschrift<br />

von einigen Teilnehmern ein hoher Wert eingeräumt wur<strong>de</strong>,<br />

<strong>de</strong>r Verfahren für <strong>de</strong>n Beweispflichtigen retten könnte, stan<strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>re Teilnehmer <strong>de</strong>r Vorschrift skeptisch gegenüber, zumal<br />

nicht verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n könnte, dass Parteien ihre Beibringungspflicht<br />

bewusst zurückzuhalten versuchen.<br />

Der zweite Komplex <strong>de</strong>s Fachprogramms stand unter <strong><strong>de</strong>m</strong> Thema:<br />

„Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren – Verfahrensrechtliche<br />

Konzepte zur effizienten Abwicklung von Massenklagen“.<br />

<strong>Aus</strong> Sicht <strong>de</strong>r Anwaltschaft trug zu diesem Thema RA Dr. Michael<br />

Weigel (Frankfurt/Main) vor, wissenschaftlich referierte<br />

zu <strong><strong>de</strong>m</strong> Thema Prof. Dr. Harald Koch (Rostock). In <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n<br />

Diskussion waren sich die Teilnehmer zum größten Teil<br />

einig, dass das <strong>de</strong>utsche Zivilprozessrecht ein Verfahren für die<br />

Behandlung von gleichgerichteten Klageansprüchen benötige.<br />

Diskutiert wur<strong>de</strong> in diesem Zusammenhang insbeson<strong>de</strong>re auch<br />

<strong>de</strong>r Gesetzesentwurf für ein Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz,<br />

<strong>de</strong>r als richtiger Ansatz, jedoch nicht auf sämtliche Arten<br />

gleichgerichteter Ansprüche übertragbar angesehen wur<strong>de</strong>. Intensiv<br />

diskutierten die Teilnehmer zu<strong><strong>de</strong>m</strong> die Vor- und Nachteile<br />

<strong>de</strong>r Einbringung mehrerer gleichgerichteter Ansprüche in<br />

eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts.<br />

Der dritte Block <strong>de</strong>s Fachprogramms beschäftigte sich mit Fragen<br />

<strong>de</strong>r „Effektivität <strong>de</strong>s Rechtsschutzes vor <strong>de</strong>n Schiedsgerichten<br />

und <strong>de</strong>n staatlichen Gerichten im Vergleich“. <strong>Aus</strong> anwaltlicher<br />

Sicht trug zu diesem Themenkomplex RA Jens-Peter<br />

Lachmann (Berlin) vor; die richterliche Sicht wur<strong>de</strong> in einem<br />

Referat <strong>de</strong>s VRiLG Dr. Heinz Hawickhorst (Berlin) dargestellt.<br />

In <strong>de</strong>r anschließen<strong>de</strong>n Diskussion wur<strong>de</strong>n als Vorteile <strong>de</strong>r<br />

Schiedsgerichte gegenüber <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlichen Gerichtsbarkeit<br />

insbeson<strong>de</strong>re die Möglichkeit genannt, die Schiedsrichter selbst<br />

zu wählen und auch sachverständige Laien beiziehen zu können<br />

sowie <strong>de</strong>r gegenüber <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlichen Gerichtsbarkeit<br />

nicht begrenzte zeitliche Rahmen für die mündliche Verhandlung<br />

und die Möglichkeit <strong>de</strong>r nicht öffentlichen Verhandlung.<br />

Gelobt wur<strong>de</strong> jedoch auch die hohe fachliche Kompetenz <strong>de</strong>r<br />

or<strong>de</strong>ntlichen Gerichtsbarkeit. Die Teilnehmer konnten sich<br />

durchaus vorstellen, dass auch die or<strong>de</strong>ntliche Gerichtsbarkeit<br />

für Großverfahren über die Möglichkeit <strong>de</strong>r Prorogation von<br />

bestimmten Spruchkörpern attraktiver sein könnte, wobei hinsichtlich<br />

eines völligen Gleichlaufes von Schiedsgerichtsbarkeit<br />

und or<strong>de</strong>ntlicher Gerichtsbarkeit unüberwindliche verfassungsrechtliche<br />

Probleme, wie das Recht auf <strong>de</strong>n gesetzlichen Richter<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n durch die Europäische Menschenrechtskonvention<br />

gesicherten Grundsatz <strong>de</strong>r Öffentlichkeit, gesehen wur<strong>de</strong>n.<br />

Die überaus informativen Referate, <strong>de</strong>ren positive Aufnahme<br />

durch die Teilnehmer sich auch in <strong>de</strong>n lebhaften Diskussionen<br />

zeigte, wur<strong>de</strong>n durch einige fachfrem<strong>de</strong> Aktivitäten im noch<br />

sehr winterlichen Potsdam abgerun<strong>de</strong>t: Neben <strong>de</strong>n traditionellen<br />

gemeinsamen Aben<strong>de</strong>ssen im Schloss Cecilienhof und<br />

Schloss Glienicke hatten die Teilnehmer zu<strong><strong>de</strong>m</strong> die Möglichkeit,<br />

die historischen Räumlichkeiten <strong>de</strong>s Cecilienhofes zu besichtigen<br />

und das ganz beson<strong>de</strong>re Vergnügen, in einem kleinen<br />

Privatkonzert <strong><strong>de</strong>m</strong> Pianisten Ruben Meliksetian zu lauschen.<br />

Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess 1<br />

Prof. Dr. Reinhard Greger, Erlangen<br />

I. Einführung<br />

Die Sachverhaltsfeststellung im Zivilprozess ist seit jeher von<br />

einem Spannungsverhältnis zwischen Parteiherrschaft und<br />

1 Erweiterte und mit Anmerkungen versehene Fassung eines Vortrags<br />

anlässlich <strong>de</strong>s 3. ZPR-Symposions <strong>de</strong>r BRAK am 4./5.3.2005 in Potsdam.<br />

Richtermacht sowie zwischen Freiheit und Reglementierung<br />

gekennzeichnet. In jüngster Zeit haben Gesetzgebung und<br />

Rechtsprechung die Pole auf diesem Feld jedoch neu justiert.<br />

Die weithin noch nicht genügend wahrgenommenen Folgen<br />

dieser Eingriffe sollen nachstehend dargestellt wer<strong>de</strong>n. Gedanken<br />

zur weiteren Entwicklung, insbeson<strong>de</strong>re auch im Hinblick<br />

auf die angekündigte Große Justizreform und auf die Situation<br />

in an<strong>de</strong>ren Rechtsordnungen, schließen sich an.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 151<br />

Greger, Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess<br />

II. Neue Ten<strong>de</strong>nzen bei <strong>de</strong>r Informationsbeschaffung<br />

2 Detaillierte Wie<strong>de</strong>rgabe <strong>de</strong>r Rechtsentwicklung bei Damrau, Die<br />

Entwicklung einzelner Prozessmaximen seit <strong>de</strong>r Reichscivilprozessordnung<br />

von 1877 (1975).<br />

3 BGH NJW 1990, 3151 = ZZP 104 (1991), 203 m. abl. Anm. Stürner<br />

= JZ 1991, 630 m. abl. Bespr. Schlosser 599 ff.; Stein/Jonas/Leipold,<br />

ZPO Bd. 3, 22. Aufl. 2005, § 138 Rdnr. 25 ff. Zur Gegenposition<br />

eingehend Stürner, Die Aufklärungspflicht <strong>de</strong>r Parteien <strong>de</strong>s Zivilprozesses<br />

(1976).<br />

4 BGH NJW 1995, 2111, 2112.<br />

5 Exemplarisch BGH NJW 1990, 3151. Weitere Nachw. z.B. bei Zöller/Greger,<br />

ZPO, 25. Aufl. 2005, vor § 284 Rdnrn. 34 ff.<br />

Nach <strong>de</strong>r Verhandlungsmaxime, die bei Schaffung <strong>de</strong>r vom Liberalismus<br />

<strong>de</strong>s aufstreben<strong>de</strong>n Bürgertums beseelten CPO von<br />

1877 die Fe<strong>de</strong>r führte, ist es ausschließlich Sache <strong>de</strong>r Parteien,<br />

die Tatsachen vorzutragen, die das Gericht seiner Entscheidung<br />

zugrun<strong>de</strong> legen soll. Ursprünglich schränkte nur die richterliche<br />

Fragepflicht nach § 130 CPO diese Domäne <strong>de</strong>r Parteien<br />

ein; sie entwickelte sich im Zuge mehrerer Novellen 2 seit 1909<br />

bis zu <strong>de</strong>r mit <strong><strong>de</strong>m</strong> ZPO-Reform-Gesetz vom 27.7.2001 <strong>de</strong>utlich<br />

verstärkten Erörterungs- und Hinweispflicht nach § 139<br />

ZPO. Nach wie vor gilt aber, dass <strong>de</strong>r Richter nicht von sich aus<br />

neue Tatsachen in <strong>de</strong>n Prozess einführen darf.<br />

Die daraus folgen<strong>de</strong> Darlegungslast hat allerdings fatale Folgen<br />

für eine Partei, die selbst nicht über die hierzu erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Informationen verfügt. Da unser Zivilprozessrecht nach ständiger<br />

Rechtsprechung keine prozessuale Aufklärungspflicht <strong>de</strong>r<br />

nicht beweisbelasteten Partei kennt 3 und zu<strong><strong>de</strong>m</strong> einen Beweisantrag<br />

dann für unbeachtlich erklärt, wenn die zu beweisen<strong>de</strong><br />

Behauptung nicht ausreichend substantiiert o<strong>de</strong>r ohne jeglichen<br />

tatsächlichen Anhaltspunkt „ins Blaue hinein“ aufgestellt<br />

ist 4 , wird eine solche Partei u.U. an <strong>de</strong>r Durchsetzung ihres<br />

Rechts durch ihr Unvermögen gehin<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Tatsachenvortrag zu erbringen.<br />

Die Rechtsprechung 5 sieht sich daher zunehmend veranlasst,<br />

korrigierend in die Verteilung <strong>de</strong>r Darlegungslast einzugreifen,<br />

die <strong>de</strong>r seit 1877 inhaltlich unverän<strong>de</strong>rte § 138 ZPO vorgibt.<br />

Unter <strong><strong>de</strong>m</strong> Begriff <strong>de</strong>r sekundären Behauptungslast hat sie in<br />

<strong>de</strong>n letzten Jahren eine umfangreiche Kasuistik entwickelt, <strong>de</strong>ren<br />

Grundgedanke darin besteht, die Substantiierung <strong>de</strong>s Tatsachenvortrags<br />

von <strong>de</strong>r darlegungspflichtigen Partei auf <strong>de</strong>n Gegner<br />

abzuwälzen. Hierfür stellt <strong>de</strong>r BGH zwei Voraussetzungen<br />

auf:<br />

(1) Die darlegungspflichtige Partei besitzt keine nähere Kenntnis<br />

<strong>de</strong>r maßgeben<strong>de</strong>n Tatsachen, weil sie außerhalb <strong>de</strong>s von<br />

ihr darzulegen<strong>de</strong>n Geschehensablaufs steht.<br />

(2) Der Prozessgegner verfügt über die entsprechen<strong>de</strong>n Informationen<br />

und es ist ihm zuzumuten, sie durch „substantiiertes<br />

Bestreiten“ einzuführen.<br />

Da diese sehr einzelfallbezogene Rechtsprechung noch keinen<br />

Eingang ins Gesetz gefun<strong>de</strong>n hat, stellen die Instanzgerichte in<br />

vielen Fällen zu hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an die Substantiierung. In<br />

<strong>de</strong>r Vergangenheit eröffnete oftmals erst <strong>de</strong>r BGH <strong>de</strong>n Weg zu<br />

einer sachgerechten Tatsachenfeststellung; nach <strong><strong>de</strong>m</strong> neuen<br />

Revisionsrecht wird auch diese Korrekturmöglichkeit künftig<br />

weithin entfallen. Viel prozessualer Leerlauf und nicht wenige<br />

Fehlurteile ließen sich vermei<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>r Gesetzgeber dieser<br />

grundlegen<strong>de</strong>n Frage <strong>de</strong>r Informationsbeschaffung im Zivilprozess<br />

verstärktes Augenmerk widmete.<br />

Dass es möglich ist, prozessuale Informationspflichten durch<br />

Gesetz festzuschreiben, hat <strong>de</strong>r Gesetzgeber 1998 mit <strong>de</strong>r Einfügung<br />

<strong>de</strong>s § 643 ZPO bewiesen. Nach dieser Vorschrift kann<br />

<strong>de</strong>r Richter im Unterhaltsprozess von sich aus von <strong>de</strong>n Parteien<br />

<strong>Aus</strong>künfte und Belege über Einkünfte, Vermögen, persönliche<br />

und wirtschaftliche Verhältnisse, soweit für die Unterhaltsbemessung<br />

relevant, verlangen und, falls eine Partei <strong><strong>de</strong>m</strong> nicht<br />

nachkommt, die entsprechen<strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>künfte bei Arbeitgebern,<br />

Sozialleistungsträgern, Versicherungsunternehmen, Finanzämtern<br />

usw. von Amts wegen einholen. Diese Regelung geht<br />

weit über die materiellrechtliche <strong>Aus</strong>kunftspflicht nach § 1605<br />

BGB hinaus; es han<strong>de</strong>lt sich – soweit ersichtlich – um die erste<br />

Normierung eines parteiunabhängigen richterlichen Informationsbeschaffungsrechts.<br />

6<br />

III. Neue Ten<strong>de</strong>nzen bei <strong>de</strong>r Beibringung <strong>de</strong>r Beweismittel<br />

In diesem Bereich sah die CPO von Anfang an gewisse <strong>Aus</strong>nahmen<br />

vom Verhandlungsgrundsatz vor: Einen Augenschein, eine<br />

Begutachtung und (unter engen Voraussetzungen) eine Parteivernehmung<br />

sollte <strong>de</strong>r Richter auch von Amts wegen anordnen<br />

dürfen, 7 ebenso die Vorlage von Urkun<strong>de</strong>n und sonstigen<br />

Unterlagen, auf die sich die Partei selbst bezogen und die sie in<br />

Besitz hat. 8<br />

Für die Vorlage von schriftlichen Unterlagen und Augenscheinsobjekten<br />

hat das ZPO-Reform-Gesetz vom 27.7.2001<br />

die Anordnungsbefugnis <strong>de</strong>s Richters erheblich erweitert. Nach<br />

§ 142 ZPO n.F. kann das Gericht nunmehr die Vorlage einer<br />

Urkun<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r einer sonstigen Unterlage, auf die sich eine Partei<br />

bezogen hat, auch gegenüber <strong><strong>de</strong>m</strong> Prozessgegner o<strong>de</strong>r einer<br />

nicht am Prozess beteiligten Person anordnen, letzterer gegenüber<br />

sogar mit <strong>de</strong>n Beugemitteln <strong>de</strong>s Zeugenbeweises erzwingen<br />

(§ 142 Abs. 2 Satz 2, § 390 ZPO). Dabei sind an die<br />

Bezugnahme keine beson<strong>de</strong>ren Anfor<strong>de</strong>rungen zu stellen; es<br />

genügt, dass sich aus <strong><strong>de</strong>m</strong> hinreichend substantiierten Parteivortrag<br />

(auf <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Richter ggf. nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO<br />

hinzuwirken hat) die Existenz eines schriftlichen Belegs für die<br />

streitige Tatsachenbehauptung ergibt. 9 § 144 Abs. 1 Satz 2,<br />

Abs. 2 ZPO eröffnet eine entsprechen<strong>de</strong> Handhabe für die Vorlage<br />

von Gegenstän<strong>de</strong>n zum Zweck eines Augenscheins o<strong>de</strong>r<br />

einer Begutachtung; einer Bezugnahme bedarf es hier nicht.<br />

Dass auf diesem Wege beweismäßig verwertbare Erkenntnismittel<br />

gewonnen wer<strong>de</strong>n können, war schon vor <strong>de</strong>r Reform<br />

anerkannt. 10 Daran hat sich nichts geän<strong>de</strong>rt. Nach <strong>de</strong>r Begründung<br />

<strong>de</strong>s Reformgesetzes kann sogar die Verweigerung <strong>de</strong>r<br />

Vorlage als Beweis <strong>de</strong>r gegnerischen Behauptung gewürdigt<br />

wer<strong>de</strong>n. 11<br />

Die Vorschriften über <strong>de</strong>n Urkun<strong>de</strong>nbeweis (§§ 420 ff. ZPO)<br />

behalten daneben ihre Be<strong>de</strong>utung, weil die Vorlageanordnung<br />

nach § 142 ZPO im Ermessen <strong>de</strong>s Gerichts steht. 12 Durchsetzen<br />

kann <strong>de</strong>r Beweisführer die Urkun<strong>de</strong>nvorlage durch <strong>de</strong>n<br />

Gegner (wie bisher) nur durch einen Antrag nach §§ 421, 424<br />

ZPO (mit <strong><strong>de</strong>m</strong> ein Rechtsanspruch auf die Vorlegung glaubhaft<br />

6 Auf die <strong>Aus</strong>wirkungen <strong>de</strong>s Übereinkommens über han<strong>de</strong>lsbezogene<br />

Aspekte <strong>de</strong>r Rechte <strong>de</strong>s geistigen Eigentums (TRIPS-Abkommen) v.<br />

15.4.1994 (BGBl II 1994, 1730) kann hier nicht eingegangen wer<strong>de</strong>n.<br />

Vgl. hierzu Tilmann/Schreibauer, in: Festschrift Erdmann<br />

(2002), S. 901 ff.<br />

7 §§ 135, 413 CPO; heute §§ 144, 448 ZPO.<br />

8 § 133 CPO; heute § 142 ZPO. S. ferner §§ 102, 258 HGB zur Vorlage<br />

von Han<strong>de</strong>lsbüchern.<br />

9 Näher hierzu Greger, DStR 2005, 479, 482. Eingehend zum Substantiierungserfor<strong>de</strong>rnis<br />

Leipold, in: Festschrift Gerhardt (2004),<br />

S. 563, 569 ff.<br />

10 Vgl. Stein/Jonas/Leipold (o. Fußn. 3), § 142 Rdnr. 1. BGH NJW<br />

2000, 3488, 3490 spricht sogar von „Beweiserhebung von Amts<br />

wegen“.<br />

11 BT-Drs. 14/4722, 78 verweist ausdrücklich auf § 427 ZPO. Allerdings<br />

setzt dies wie im originären Anwendungsbereich dieser Vorschrift<br />

voraus, dass die Partei selbst auf die Urkun<strong>de</strong> Bezug genommen<br />

hat o<strong>de</strong>r zur Herausgabe materiellrechtlich verpflichtet ist; vgl.<br />

Leipold (o. Fußn. 9), S. 584; Greger, DStR 2005, 479, 482; a.A. Musielak/Stadler,<br />

ZPO, 4. Aufl. 2005, § 142 Rdnr. 7 a.E.<br />

12 Ebenso Leipold (o. Fußn. 9), S. 575 f.


152 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Greger, Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n muss). Für die Vorlage von im Besitz eines<br />

Dritten stehen<strong>de</strong>n Urkun<strong>de</strong>n hat das ZPO-Reform-Gesetz in<strong>de</strong>ssen<br />

eine wesentliche Erleichterung gebracht: Während <strong>de</strong>r<br />

Beweisführer bisher <strong>de</strong>n Dritten auf Vorlegung verklagen und<br />

beim Gericht <strong>de</strong>n befristeten Stillstand <strong>de</strong>s Verfahrens beantragen<br />

musste (§ 428 Alt. 1, § 429 Satz 1 Halbs. 2 ZPO), kann er<br />

nach <strong>de</strong>r neuen Alt. 2 <strong>de</strong>s § 428 ZPO auch einen Antrag auf<br />

eine Anordnung nach § 142 ZPO stellen. Das Gericht muss<br />

dann die Vorlage unabhängig von einem Anspruch hierauf anordnen,<br />

wenn es davon überzeugt ist, dass sich die Urkun<strong>de</strong> im<br />

Besitz <strong>de</strong>s Dritten befin<strong>de</strong>t, die durch die Urkun<strong>de</strong> zu beweisen<strong>de</strong><br />

Tatsache entscheidungserheblich ist und <strong>de</strong>r <strong>Inhalt</strong> <strong>de</strong>r<br />

Urkun<strong>de</strong> zum Beweis dieser Tatsache geeignet erscheint. 13<br />

Die Gefahr, dass durch die neue Urkun<strong>de</strong>nherausgabepflicht<br />

<strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>forschung von Prozessparteien Tür und Tor geöffnet<br />

wer<strong>de</strong>n, 14 hat <strong>de</strong>r Gesetzgeber gesehen, aber wegen <strong>de</strong>s Substantiierungserfor<strong>de</strong>rnisses<br />

und <strong>de</strong>s richterlichen Ermessens, bei<br />

<strong>de</strong>ssen <strong>Aus</strong>übung auch ein etwaiges Geheimhaltungsinteresse<br />

<strong>de</strong>s Urkun<strong>de</strong>ninhabers zu berücksichtigen ist, als ausgeräumt<br />

erachtet. 15<br />

Allerdings muss <strong>de</strong>r Richter, will er keinen Verfahrensfehler wegen<br />

unterlassener Ermessensausübung begehen, sich je<strong>de</strong>nfalls<br />

mit <strong>de</strong>r Frage einer Vorlageanordnung auseinan<strong>de</strong>r setzen, und<br />

zwar nicht nur bei entsprechen<strong><strong>de</strong>m</strong> Antrag einer Partei, son<strong>de</strong>rn<br />

von Amts wegen. Es ist schwer vorstellbar, wie er eine<br />

Vorlageanordnung sollte unterlassen können, wenn von <strong>de</strong>r<br />

Urkun<strong>de</strong> ein Beitrag zur Wahrheitserforschung erwartet wer<strong>de</strong>n<br />

kann und keine schutzwürdigen Interessen entgegenstehen. 16<br />

Eine Urteilsaufhebung im Rechtsmittelwege ist hier vorprogrammiert.<br />

Alles in allem ist durch §§ 142, 144 ZPO n.F. <strong>de</strong>r Verhandlungsgrundsatz<br />

zwar nicht für <strong>de</strong>n Tatsachenvortrag, wohl aber<br />

für die Beibringung <strong>de</strong>r Erkenntnismittel partiell aufgegeben<br />

wor<strong>de</strong>n. 17<br />

IV. Neue Ten<strong>de</strong>nzen bei <strong>de</strong>r Verwertung <strong>de</strong>r Erkenntnisquellen<br />

In diesem <strong><strong>de</strong>m</strong> Richter vorbehaltenen Bereich, <strong>de</strong>r weniger von<br />

Maximen als vom Prinzip <strong>de</strong>r freien Beweiswürdigung, <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

verfassungsrechtlichen Anspruch auf Beweiserhebung und <strong>de</strong>n<br />

Vorschriften über das Beweisaufnahmeverfahren beherrscht<br />

wird, sind in letzter Zeit ebenfalls neue Entwicklungen zu verzeichnen.<br />

1. Freibeweis<br />

Nach § 284 Satz 2 ZPO n.F. 18 kann <strong>de</strong>r Richter die Beweise „in<br />

<strong>de</strong>r ihm geeignet erscheinen<strong>de</strong>n Art“ aufnehmen, wenn sich<br />

die Parteien damit einverstan<strong>de</strong>n erklärt haben. Diese Vorschrift<br />

verleitet zu Fehl<strong>de</strong>utungen. Sie stellt <strong>de</strong>n Richter nur von<br />

<strong>de</strong>n Vorschriften über das Beweisaufnahmeverfahren frei, nicht<br />

von <strong>de</strong>n sonstigen Beweisgrundsätzen <strong>de</strong>r ZPO. Unberührt<br />

bleiben insbeson<strong>de</strong>re Verhandlungsgrundsatz, <strong>Aus</strong>forschungsverbot,<br />

Beweisverbote, die Pflicht, über das Beweisergebnis mit<br />

<strong>de</strong>n Parteien zu verhan<strong>de</strong>ln (§ 279 Abs. 3, § 285 ZPO) sowie<br />

das Beweismaß <strong>de</strong>r vollen richterlichen Überzeugung. Es ist<br />

auch nicht möglich, die ei<strong>de</strong>sstattliche Versicherung als Beweismittel<br />

zuzulassen. Sie ist nach § 294 ZPO nur Mittel <strong>de</strong>r<br />

Glaubhaftmachung und selbst dort, wo das Gesetz dieses geringere<br />

Beweismaß vorsieht, nur beschränkt zulässig (vgl. § 44<br />

Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2, § 406 Abs. 3 Halbs. 2, § 511 Abs. 3<br />

Halbs. 2 ZPO).<br />

Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Vorschrift reduziert sich somit darauf, dass<br />

die Beweisaufnahme nicht unmittelbar vor <strong><strong>de</strong>m</strong> erkennen<strong>de</strong>n<br />

Gericht (§ 355 Abs. 1 ZPO) und nicht in Anwesenheit <strong>de</strong>r Parteien<br />

(§ 357 ZPO) durchgeführt wer<strong>de</strong>n muss. Der Richter kann<br />

einen benannten Zeugen (nicht einen selbst erwählten!) auch<br />

telefonisch o<strong>de</strong>r per E-Mail o<strong>de</strong>r anlässlich einer Ortsbesichtigung<br />

befragen o<strong>de</strong>r von einem Sachverständigen formlos <strong>Aus</strong>künfte<br />

einholen. Allerdings wer<strong>de</strong>n gut beratene Parteien angesichts<br />

<strong>de</strong>r darin liegen<strong>de</strong>n Beschneidung ihrer Mitwirkungsund<br />

Kontrollrechte mit <strong>de</strong>r Zustimmung zu solchen Maßnahmen<br />

(erst recht mit einer pauschalen Ermächtigung zum Freibeweis)<br />

äußerst zurückhaltend sein, zumal <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>s<br />

Einverständnisses nur sehr beschränkt möglich ist (§ 284 Satz 4<br />

ZPO).<br />

Erfreulich ist, dass <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Rechtsprechung schon bisher<br />

zur Klärung bestimmter verfahrensrechtlich relevanter Umstän<strong>de</strong><br />

praeter legem zugelassene Freibeweis 19 jetzt eine gesetzliche<br />

Regelung erfahren hat, die dieses nicht unbe<strong>de</strong>nkliche<br />

Verfahren 20 vom Einverständnis <strong>de</strong>r Parteien abhängig macht.<br />

Auch über die Zulässigkeit von Klagen o<strong>de</strong>r Rechtsmitteln darf<br />

das Gericht also nicht mehr an <strong>de</strong>n Parteien vorbei Beweis erheben<br />

– eine begrüßenswerte Stärkung <strong>de</strong>r Parteiautonomie. 21<br />

2. Verwertung von Gutachten aus an<strong>de</strong>ren Verfahren<br />

Der neue § 411a ZPO schafft die Möglichkeit, ein in einem an<strong>de</strong>ren<br />

gerichtlichen Verfahren (z.B. einem dieselbe Sache betreffen<strong>de</strong>n<br />

Strafverfahren) erstattetes Gutachten als Sachverständigenbeweis,<br />

nicht wie bisher nur als Urkun<strong>de</strong>nbeweis, 22 zu<br />

verwerten, und zwar auch ohne Einwilligung <strong>de</strong>r Parteien. Der<br />

Richter entschei<strong>de</strong>t nach seinem Ermessen darüber, ob er eine<br />

gebotene Gutachtenerstattung durch Verwertung eines schon<br />

vorliegen<strong>de</strong>n Gerichtsgutachtens ersetzt. Zuvor muss er selbstverständlich<br />

<strong>de</strong>n Parteien unter Übersendung einer Abschrift<br />

<strong>de</strong>s Gutachtens Gelegenheit zur Stellungnahme geben.<br />

Da es sich um Sachverständigenbeweis han<strong>de</strong>lt, müssen die für<br />

diesen gelten<strong>de</strong>n Rechtsschutzgarantien auch hier gelten, also<br />

insbeson<strong>de</strong>re das Ablehnungsrecht <strong>de</strong>r Parteien nach § 406<br />

ZPO sowie die Vorschriften über Beeidigung (§ 410 ZPO), persönliche<br />

Anhörung (§ 411 Abs. 3 ZPO), Haftung (§ 839a BGB)<br />

und Vergütung <strong>de</strong>s Sachverständigen (§§ 8 ff. JVEG). Für die Ersetzung<br />

nach § 411a ZPO wird es daher eines Beschlusses bedürfen,<br />

durch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r betr. Sachverständige auch für das vorliegen<strong>de</strong><br />

Verfahren bestellt und zugleich von <strong>de</strong>r Erstattung eines<br />

neuen schriftlichen Gutachtens entbun<strong>de</strong>n wird. 23 Dieser Beschluss<br />

ist auch <strong><strong>de</strong>m</strong> Sachverständigen mitzuteilen. Nur auf<br />

diese Weise können auch urheberrechtliche Komplikationen<br />

vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. 24<br />

13 Näher dazu Leipold (o. Fußn. 9), S. 578 ff.; Greger, DStR 2005, 479,<br />

483.<br />

14 Vgl. Lipke/Müller, NZI 2002, 588; Dombek, BRAK-Mitt. 2001, 122,<br />

124.<br />

15 Bericht <strong>de</strong>s BT-Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/6036, 120 f.<br />

16 Musielak/Stadler (o. Fußn. 11), § 142 Rdnr. 7 spricht von Ermessensreduzierung<br />

auf Null. Vgl. auch OLG Saarbrücken, MDR 2003,<br />

1250.<br />

17 Ebenso Stadler, in: Festschrift Beys Bd. 2 (2003), S. 1646; weitergehend<br />

Schlosser, JZ 2003, 427, 428.<br />

18 Eingefügt durch das 1. Justizmo<strong>de</strong>rnisierungsgesetz v. 24.8.2004<br />

(BGBl I, 2198).<br />

19 BGH NJW 1951, 441; 1987, 2875; 1990, 1734; 1992, 627; 2002,<br />

3027, 2003, 1123 u. öfter.<br />

20 Grundlegen<strong>de</strong> Kritik bei Peters, Der sog. Freibeweis im Zivilprozess<br />

(1962), u. ZZP 101 (1988), 296 ff. Weitere Nachw. bei Zöller/Greger<br />

(o. Fußn. 5), § 284 Rdnr. 1.<br />

21 In einem kurz nach Inkrafttreten erlassenen Beschluss (BGHReport<br />

2005, 189) hat <strong>de</strong>r BGH die Än<strong>de</strong>rung allerdings noch nicht zur<br />

Kenntnis genommen.<br />

22 BGH NJW 1983, 121, 122; 1997, 3381, 3382.<br />

23 Zöller/Greger (o. Fußn. 5), § 411a Rdnr. 1.<br />

24 S. dazu Zöller/Greger (o. Fußn. 5), § 411a Rdnrn. 4 f.; Greger, NJW-<br />

Son<strong>de</strong>rheft BayObLG 2005, 36, 40.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 153<br />

Greger, Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess<br />

Das Verfahren nach § 411a ZPO mag in Routinefällen zur Zeitund<br />

Kostenersparnis angezeigt sein, jedoch kann in solchen<br />

Fällen wohl auch wie bisher eine einvernehmliche Verwertung<br />

im Wege <strong>de</strong>s Urkun<strong>de</strong>nbeweises herbeigeführt wer<strong>de</strong>n. Wo ein<br />

solches Einvernehmen nicht erreicht wer<strong>de</strong>n kann, die beweisführen<strong>de</strong><br />

Partei vielmehr auf einem neuen Gutachten besteht,<br />

wird sie gute Grün<strong>de</strong> haben, <strong>de</strong>ren Übergehen in <strong>de</strong>r Regel<br />

trotz <strong>de</strong>s gerichtlichen Ermessensspielraums einen Verfahrensfehler<br />

begrün<strong>de</strong>n wird.<br />

3. Disposition über Verfügbarkeit von Beweismitteln<br />

Oft kann eine Partei für eine von ihr zu beweisen<strong>de</strong> Behauptung<br />

we<strong>de</strong>r eine Urkun<strong>de</strong> vorlegen noch einen Zeugen benennen.<br />

Sich selbst als Beweismittel zu präsentieren, scheitert zumeist<br />

an <strong>de</strong>n restriktiven Regeln über die Parteivernehmung<br />

nach §§ 445 ff. ZPO. Allerdings gibt es Möglichkeiten, sich –<br />

z.B. durch Abtretung <strong>de</strong>s Klageanspruchs – die Stellung eines<br />

Zeugen zu verschaffen. Diese manchmal als trickreiche Manipulation<br />

empfun<strong>de</strong>ne (und von Richtern oft auch so gewertete)<br />

Vorgehensweise ist durch <strong>de</strong>n BGH jüngst gewissermaßen „salonfähig“<br />

gemacht wor<strong>de</strong>n. Der BGH lastete es einem Rechtsanwalt<br />

als Verschul<strong>de</strong>n an, dass er die von ihm vertretene<br />

GmbH nicht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, durch Abberufung<br />

<strong>de</strong>s Geschäftsführers <strong>de</strong>ssen Zeugenstellung zu begrün<strong>de</strong>n.<br />

25 Auch wenn die Entscheidung durch Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s<br />

konkreten Falles veranlasst wor<strong>de</strong>n sein mag, kommt ihr je<strong>de</strong>nfalls<br />

eine negative Signalwirkung zu. Sähe sich tatsächlich je<strong>de</strong>r<br />

Rechtsanwalt in <strong>de</strong>r Pflicht, durch For<strong>de</strong>rungsabtretung,<br />

Abberufung von Organen usw. künstlich Zeugen zu erzeugen,<br />

wür<strong>de</strong> die Zahl fruchtloser Beweisaufnahmen gewaltig ansteigen,<br />

womit nieman<strong><strong>de</strong>m</strong> gedient wäre.<br />

Einer an<strong>de</strong>ren Metho<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Zeugenerschaffung haben<br />

BVerfG 26 und (ihm folgend) BGH 27 dagegen jüngst eine Absage<br />

erteilt: Wahrnehmungen, die beim Mithören eines Telefongesprächs<br />

(über Zweithörer o<strong>de</strong>r Lautsprecher) gemacht wur<strong>de</strong>n,<br />

dürfen nach dieser neuen Rechtsprechung nicht verwertet wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn <strong>de</strong>r Gesprächspartner nicht über das Mithören aufgeklärt<br />

wur<strong>de</strong>. Damit wur<strong>de</strong> ohne nähere Begründung die frühere<br />

Linie <strong>de</strong>s BGH verlassen, wonach das Mithören je<strong>de</strong>nfalls<br />

im geschäftlichen Bereich, aber auch im privaten Bereich bei<br />

nicht erkennbar vertraulichen Gesprächen <strong>de</strong>rart üblich sei,<br />

dass man mit ihm rechnen und ggf. auf Vertraulichkeit ausdrücklich<br />

bestehen müsse 28 – ein angesichts <strong>de</strong>r immer<br />

freizügiger wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Kommunikationsgewohnheiten überraschen<strong>de</strong>r<br />

Wan<strong>de</strong>l.<br />

Der <strong>Inhalt</strong> von Zwei-Personen-Gesprächen einer Partei wird<br />

sich daher auch künftig oft nur im Wege <strong>de</strong>r Parteianhörung<br />

nach § 141 ZPO in <strong>de</strong>n Prozess einführen lassen. An <strong>de</strong>r Verwertbarkeit<br />

solcher Äußerungen bei <strong>de</strong>r Beweiswürdigung<br />

nach § 286 ZPO hält <strong>de</strong>r BGH fest, ebenso an <strong>de</strong>r Wertung,<br />

dass kein Verstoß gegen das Gebot <strong>de</strong>r Waffengleichheit vorliegt,<br />

wenn <strong>de</strong>r Gesprächspartner seine Darstellung <strong>de</strong>s Gesprächsinhalts<br />

mittels Zeugenbeweises in <strong>de</strong>n Prozess einführen<br />

kann. 29<br />

Zunehmend wird aber auch durch Parteivereinbarungen, sog.<br />

Beweismittelverträge, über die Verfügbarkeit von Beweismitteln<br />

disponiert. 30 So kann z.B. die Vertraulichkeit von Mediationsgesprächen<br />

dadurch gesichert wer<strong>de</strong>n, dass die Beteiligten<br />

25 BGH MDR 2003, 928, 929.<br />

26 BVerfG NJW 2002, 3619, 3623.<br />

27 BGH NJW 2003, 1727 = JZ 2003, 1109 m. krit. Anm. Foerste.<br />

28 BGH NJW 1964, 165; 1982, 1397, 1398.<br />

29 BGH NJW 1999, 363, 364; s. auch Zöller/Greger (o. Fußn. 5), § 448<br />

Rdnr. 2a u. Lange, NJW 2002, 482, jeweils m. w. Nachw., auch zur<br />

starken Gegenmeinung.<br />

sich verpflichten, <strong>de</strong>n Mediator nicht als Zeugen zu benennen.<br />

Im Geschäftsverkehr wird häufig vereinbart, Unternehmensmitarbeiter<br />

nicht als Zeugen zu präsentieren, um unerfreuliche<br />

Prozesssituationen zu vermei<strong>de</strong>n. Derartige Selbstbeschränkungen<br />

sind sehr be<strong>de</strong>nkenswert, da die Vernehmung von<br />

Zeugen aus <strong>de</strong>n jeweiligen „Lagern“ außer Leerlauf und<br />

atmosphärischen Trübungen zumeist nichts bringt.<br />

4. Bindung an Tatsachenfeststellungen<br />

Gesetzentwürfe <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung 31 und <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>srats 32<br />

aus <strong>de</strong>r laufen<strong>de</strong>n Legislaturperio<strong>de</strong> sahen eine grundsätzliche<br />

Bindung <strong>de</strong>s Zivilgerichts an tatsächliche Feststellungen eines<br />

zum gleichen Sachverhalt ergangenen Strafurteils vor. Auf die<br />

unterschiedlichen Regelungsmo<strong>de</strong>lle und die gegen sie zu erheben<strong>de</strong>n<br />

Be<strong>de</strong>nken braucht hier nicht mehr eingegangen zu<br />

wer<strong>de</strong>n, da die entsprechen<strong>de</strong>n Pläne mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Erlass <strong>de</strong>s<br />

1. Justizmo<strong>de</strong>rnisierungsgesetzes vom 24.8.2004 aufgegeben<br />

wur<strong>de</strong>n. 33<br />

Gelten<strong>de</strong>s Recht ist aber § 529 Abs. 1 ZPO, <strong>de</strong>r das Berufungsgericht<br />

grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen <strong>de</strong>r ersten<br />

Instanz bin<strong>de</strong>t und nur bei konkreten Anhaltspunkten für Zweifel<br />

eine nochmalige Überprüfung zulässt. Diese Regelung hat<br />

we<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Gerichten noch bei <strong>de</strong>r Anwaltschaft Akzeptanz<br />

gefun<strong>de</strong>n und durch ein Urteil <strong>de</strong>s V. Zivilsenats <strong>de</strong>s BGH<br />

jüngst auch <strong>de</strong>n To<strong>de</strong>sstoß erhalten. 34 Nach <strong>de</strong>r dortigen <strong>Aus</strong>legung<br />

<strong>de</strong>s § 529 ZPO muss <strong>de</strong>r Berufungsrichter das erstinstanzliche<br />

Vorbringen auf Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit o<strong>de</strong>r<br />

Unvollständigkeit <strong>de</strong>r Tatsachenfeststellungen auch unabhängig<br />

von einer Rüge <strong>de</strong>s Berufungsführers überprüfen und, wenn<br />

sich die Möglichkeit einer abweichen<strong>de</strong>n Feststellung ergibt,<br />

die Beweisaufnahme wie<strong>de</strong>rholen. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>r Intention<br />

<strong>de</strong>s Gesetzgebers, die Kontrolldichte im zweiten Rechtszug<br />

einzuschränken, hat die Rechtsprechung damit die Aufgaben<br />

<strong>de</strong>s Berufungsrichters ausgeweitet. 35 Darin kommt die im<br />

Grun<strong>de</strong> positiv zu bewerten<strong>de</strong> Haltung <strong>de</strong>r Richterschaft zum<br />

<strong>Aus</strong>druck, sich nicht durch (vermeintlich) unzutreffen<strong>de</strong> Feststellungen<br />

<strong>de</strong>n Weg zur gerechten Entscheidung <strong>de</strong>s konkreten<br />

Einzelfalls verstellen zu lassen. Allerdings hat das damit besiegelte<br />

Fehlgehen <strong>de</strong>r Rechtsmittelreform von 2002 schon wie<strong>de</strong>r<br />

die Rechtspolitik auf <strong>de</strong>n Plan gerufen, die nun nach einem<br />

zweigliedrigen Instanzenzug ruft. 36 Außer<strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>utet die uneinheitliche,<br />

teilweise exzessive Anwendung <strong>de</strong>s Beschlussverfahrens<br />

nach § 522 Abs. 2 ZPO 37 darauf hin, dass die<br />

Berufungsgerichte auf an<strong>de</strong>re Weise Entlastung suchen.<br />

V. Gesamtbewertung<br />

Alle Reformbestrebungen <strong>de</strong>r vergangenen 100 Jahre, auch die<br />

jüngsten, mit <strong>de</strong>n Etiketten „ZPO-Reform“ und „Justizmo<strong>de</strong>rnisierung“<br />

versehenen, haben nichts daran zu än<strong>de</strong>rn vermocht,<br />

dass die Sachverhaltsfeststellung im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess von<br />

einer unübersichtlichen Gemengelage aus Parteiherrschaft und<br />

Richtermacht, aus Erleichterungen und Einschränkungen <strong>de</strong>r<br />

Wahrheitsermittlung gekennzeichnet ist: Der BGH beharrt auf<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> überkommenen prozessualen Grundsatz, dass keine Partei<br />

30 BGHZ 109, 19, 29. Eingehend Wagner, Prozessverträge (1998),<br />

S. 683 ff.<br />

31 BT-Drs. 15/1508, Art. 1 Nr. 15.<br />

32 BT-Drs. 15/1491, Art. 1 Nr. 1.<br />

33 Vgl. Beschlussempfehlung <strong>de</strong>s BT-Rechtsausschusses, BT-Drs. 15/<br />

3482, 17.<br />

34 BGH NJW 2004, 1876.<br />

35 Krit. auch Lechner, NJW 2004, 3593 ff.: Gehrlein, BGHReport<br />

2004, 837, 838.<br />

36 S. Beschluss <strong>de</strong>r Justizministerkonferenz v. 25.11.2004, abrufbar unter<br />

www.mj.nie<strong>de</strong>rsachsen.<strong>de</strong>.<br />

37 Statistische Angaben bei Greger, JZ 2004, 805, 813.


154 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Greger, Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess<br />

gehalten ist, „<strong><strong>de</strong>m</strong> Gegner für seinen Prozesssieg das Material<br />

zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt“,<br />

und unterläuft ihn gleichzeitig durch richterrechtliche Modifizierungen<br />

von Beweis- o<strong>de</strong>r Darlegungslasten.<br />

– Der Gesetzgeber gibt <strong><strong>de</strong>m</strong> Richter neue Instrumente <strong>de</strong>r<br />

amtswegigen Sachverhaltsaufklärung an die Hand, mahnt<br />

aber zugleich die Beachtung <strong>de</strong>s <strong>Aus</strong>forschungsverbotes an.<br />

– Die Rechtsprechung hält am Verdikt <strong>de</strong>r Zeugenschaft in eigener<br />

Sache fest und för<strong>de</strong>rt Vorgehensweisen, die zu <strong><strong>de</strong>m</strong>selben<br />

Ergebnis führen; sie betont das Prinzip <strong>de</strong>r Waffengleichheit<br />

und schlägt <strong>de</strong>n Parteien gleichwohl bestimmte<br />

Waffen aus <strong>de</strong>r Hand.<br />

– Der Reformgesetzgeber versucht, die Sachverhaltsfeststellung<br />

auf eine Instanz zu konzentrieren; die Rechtspraxis konserviert<br />

<strong>de</strong>ssen ungeachtet <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>r Berufung als<br />

zweiter Tatsacheninstanz.<br />

Es soll an dieser Stelle nicht <strong>de</strong>r Frage nachgegangen wer<strong>de</strong>n,<br />

wie sich dieses Konglomerat aus geschriebenen und ungeschriebenen<br />

Operationsregeln auf die Qualität <strong>de</strong>r Rechtsprechung<br />

auswirkt. Auch wenn unterstellt wird, dass am En<strong>de</strong> dieses<br />

Verfahrens eine <strong>de</strong>r wirklichen Sach- und Rechtslage entsprechen<strong>de</strong><br />

Entscheidung steht, lässt sich je<strong>de</strong>nfalls nicht leugnen,<br />

dass dieses Ergebnis mit einem viel zu hohen Aufwand erreicht<br />

wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Unter verfahrensökonomischen und rechtsstaatlichen Aspekten<br />

ist es nicht hinnehmbar, dass<br />

– erst in <strong>de</strong>r dritten Instanz festgestellt wird, wer für einen bestimmten<br />

Umstand die Darlegungslast trägt,<br />

– die Parteien als die unmittelbarsten Wissensträger ihre Informationen<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Gericht grundlos vorenthalten dürfen,<br />

– <strong>de</strong>r Richter aus einem Wust von bestrittenem Vorbringen und<br />

unklaren Beweisergebnissen <strong>de</strong>n von ihm zu beurteilen<strong>de</strong>n<br />

Sachverhalt heraus<strong>de</strong>stillieren<br />

– und <strong>de</strong>r Prozessbevollmächtigte sich unter großem Zeit- und<br />

Arbeitsaufwand mit Verdunkelungsstrategien und beweistaktischen<br />

Manövern <strong>de</strong>r Gegenseite herumschlagen muss.<br />

VI. <strong>Aus</strong>blick<br />

Eine wirksame Reform <strong>de</strong>s Prozessrechts sollte ihr Augenmerk<br />

vor allem jenem Bereich <strong>de</strong>s Zivilprozesses zuwen<strong>de</strong>n, in <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

<strong>de</strong>r größte Teil richterlicher wie anwaltlicher Arbeitskraft verbraucht<br />

wird: <strong>de</strong>r Feststellung <strong>de</strong>s Sachverhalts. Dabei darf es<br />

nicht mehr nur um graduelle Korrekturen o<strong>de</strong>r Detailfragen gehen.<br />

Der <strong>de</strong>utsche Zivilprozess muss grundlegend von prozessdarwinistischem<br />

38 Gedankengut <strong>de</strong>s 19. Jahrhun<strong>de</strong>rts befreit<br />

wer<strong>de</strong>n und Anschluss an ein von Rationalismus geprägtes, <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Informationsgesellschaft entsprechen<strong>de</strong>s Konfliktmanagement<br />

fin<strong>de</strong>n. Nur dadurch lässt sich auch vermei<strong>de</strong>n,<br />

dass er international und im Vergleich zur Schiedsgerichtsbarkeit<br />

ins Hintertreffen gerät. 39<br />

1. Internationaler Vergleich<br />

Schon ein kurzer Blick in ausländische Rechtsordnungen zeigt,<br />

dass auch an<strong>de</strong>re Formen prozessualer Tatsachenfeststellung<br />

mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Wesen <strong>de</strong>s Zivilprozesses ohne weiteres vereinbar<br />

sind.<br />

An erster Stelle ist hier die Entwicklung in <strong>de</strong>n USA zu nennen,<br />

auch wenn sie von <strong>de</strong>n Gegnern erweiterter prozessualer Aufklärungspflichten<br />

gerne als Schreckgespenst an die Wand ge-<br />

38 Formulierung von Stürner, ZZP 104 (1991) 208, 216.<br />

39 S. dazu Schlosser, JZ 1991, 599 ff.; Wagner, ZEuP 2001, 441, 465 ff.<br />

malt wird. Bekanntlich haben dort die Fe<strong>de</strong>ral Rules of Civil<br />

Procedure von 1938 das Prinzip <strong>de</strong>r wechselseitigen Offenlegung<br />

aller prozessrelevanten Informationen eingeführt. Beson<strong>de</strong>rheiten<br />

<strong>de</strong>r amerikanischen Rechtskultur haben dazu geführt,<br />

dass diese Regelung extrem missbraucht wor<strong>de</strong>n ist und<br />

wie<strong>de</strong>rholten Korrekturen – im Sinne eines kooperativeren Prozessstils<br />

und einer richterlichen Aufsicht – unterworfen wer<strong>de</strong>n<br />

musste. 40 Dies darf jedoch kein Argument gegen <strong>de</strong>n Grundgedanken<br />

als solchen sein, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Supreme Court 1947 wie folgt<br />

gewürdigt hat: „Wechselseitige Kenntnis aller von bei<strong>de</strong>n Parteien<br />

gesammelten Tatsachen ist unerlässlich für ein korrektes<br />

Verfahren.“ 41<br />

Frankreich hat schon 1975 die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle bei <strong>de</strong>r<br />

Sachverhaltsaufklärung <strong><strong>de</strong>m</strong> Gericht übertragen und allgemeine<br />

Mitwirkungspflichten <strong>de</strong>r Parteien ohne Rücksicht auf die<br />

Beweislast statuiert. 42 Gemäß Art. 10, 143, 144 <strong>de</strong>s Nouveau<br />

Co<strong>de</strong> <strong>de</strong> Procédure Civile kann das Gericht von Amts wegen<br />

Beweisaufnahmen je<strong>de</strong>r Art anordnen; lediglich die Anordnung<br />

<strong>de</strong>r Herausgabe von Beweismitteln, insbeson<strong>de</strong>re<br />

Dokumenten, durch eine Partei o<strong>de</strong>r einen Dritten, kann nur<br />

auf Antrag einer Partei ergehen. 43<br />

In Österreich gilt statt <strong>de</strong>r Verhandlungsmaxime ein auch als<br />

Kooperationsmo<strong>de</strong>ll bezeichneter abgeschwächter Untersuchungsgrundsatz.<br />

44 Der Vorsitzen<strong>de</strong> darf Beweiserhebungen<br />

von Amts wegen anordnen (§ 183 Abs. 1 öZPO); Zeugen und<br />

Urkun<strong>de</strong>n können die Parteien jedoch gemeinsam ausschließen<br />

(§ 183 Abs. 2 öZPO). 45 Die Vernehmung <strong>de</strong>r Parteien lässt<br />

§ 371 Abs. 1 öZPO ohne Einschränkung auf Antrag o<strong>de</strong>r von<br />

Amts wegen zu; lediglich die für Zeugen gelten<strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>schlusso<strong>de</strong>r<br />

Weigerungsrechte bestehen größtenteils auch hier. 46<br />

Auch in <strong>de</strong>n Prozessordnungen Schweizer Kantone gibt es zum<br />

Teil sehr weit gehen<strong>de</strong> Möglichkeiten amtswegiger Beweisaufnahme<br />

sowie vom materiellen Recht unabhängige <strong>Aus</strong>kunftsund<br />

Vorlagepflichten. 47<br />

England hat in jüngster Zeit eine beson<strong>de</strong>rs bemerkenswerte<br />

Entwicklung durchlaufen. Auf <strong>de</strong>r einen Seite wur<strong>de</strong> die in <strong>de</strong>r<br />

angelsächsischen Tradition wurzeln<strong>de</strong> Trennung in ein von<br />

<strong>de</strong>n Parteien beherrschtes Aufklärungsstadium (pre-trial) und<br />

die Hauptverhandlung vor <strong><strong>de</strong>m</strong> Richter (trial) zwar aufrecht erhalten,<br />

ja sogar noch betont, an<strong>de</strong>rerseits aber die volle richterliche<br />

Leitung und Kontrolle <strong>de</strong>s gesamten Beweisverfahrens<br />

begrün<strong>de</strong>t. 48 Der Sachverhalt muss von <strong>de</strong>n Parteien selbst<br />

aufbereitet und – soweit möglich – aufgeklärt wer<strong>de</strong>n, bevor er<br />

in die Gerichtsverhandlung gelangt; <strong>de</strong>r Richter steuert aber<br />

auch diesen Verfahrensabschnitt, z.B. durch Fragebögen, mit<br />

<strong>de</strong>nen von <strong>de</strong>n Parteien bestimmte <strong>Aus</strong>künfte verlangt wer<strong>de</strong>n,<br />

sowie durch Anweisungen in Bezug auf die Beweisthemen,<br />

die Beweismittel und <strong>de</strong>ren Präsentation gegenüber <strong><strong>de</strong>m</strong> Ge-<br />

40 <strong>Aus</strong>führlich Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht,<br />

3. Aufl. 2003, S. 44 ff.; Gottwald, BeitrZPr V, S. 22 ff. Zur<br />

Reform von 1993 s. Junker, ZZPInt 1 (1996), 235 ff.<br />

41 Hickmann v. Taylor 329 U.S. 495, 507 (1947); wörtlich zitiert bei<br />

Schlosser, JZ 1991, 599, 600 Fußn. 12.<br />

42 Art. 11 Nouveau Co<strong>de</strong> <strong>de</strong> Procédure Civile; vgl. Rouhette, in: Nagel/Bajons,<br />

Beweis – Preuve – Evi<strong>de</strong>nce, 2003, S. 167, 176; Schlosser,<br />

JZ 1991, 599, 602.<br />

43 Näher Wagner, ZEuP 2001, 441, 460 f., 468; Rouhette (o. Fußn. 42),<br />

S. 190.<br />

44 Rechberger/Fucik, ZPO, 2. Aufl. 2000, vor § 171 Rdnr. 3; Rechberger/Simotta,<br />

Grundriss <strong>de</strong>s österreichischen Zivilprozessrechts, Erkenntnisverfahren,<br />

5. Aufl. 2000, Rdnr. 269.<br />

45 S. dazu Stadler (o. Fußn. 17), S. 1634, m. Nachw.<br />

46 Vgl. §§ 372, 380 i.V.m. §§ 320, 321 öZPO. Näher Wagner, ZEuP<br />

2001, 441, 494 f.<br />

47 S. Stadler (o. Fußn. 17), S. 1631 f., 1635; Gottwald, BeitrZPR V<br />

S. 21, 36 ff. m. w. Nachw.<br />

48 Bajons in: Nagel/Bajons (o. Fußn. 42), S. 727, 735 f.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 155<br />

Schmu<strong>de</strong>, Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess<br />

richt. 49 Dadurch wird ein Abgleiten in die <strong>Aus</strong>wüchse <strong>de</strong>r USamerikanischen<br />

pre-trial discovery vermie<strong>de</strong>n. Die Parteien<br />

sind gehalten, im Wege eines geordneten Informationsaustauschs<br />

<strong>de</strong>n relevanten Tatsachenvortrag so abzugleichen, dass<br />

die Notwendigkeit förmlicher Beweiserhebung soweit wie<br />

möglich zurückgedrängt wird. Für bestimmte Verfahrensarten<br />

wird sogar schon vor <strong>de</strong>r Klageerhebung ein entsprechen<strong>de</strong>r<br />

<strong>Aus</strong>tausch von standardisierten „pre-action protocols“ vorgeschrieben,<br />

50 für Bausachen die vorläufige Beurteilung durch<br />

einen sachkundigen adjudicator. 51 Einer <strong>Aus</strong>forschung wird<br />

durch Begrenzung auf unmittelbar entscheidungsrelevante<br />

Unterlagen und spezielle Weigerungsrechte entgegengewirkt. 52<br />

Dieses Verfahren dient nicht nur <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>Aus</strong>tausch prozessrelevanter<br />

Informationen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Verschlankung und<br />

Strukturierung <strong>de</strong>s Prozessstoffs und – last, but not least – <strong>de</strong>r<br />

För<strong>de</strong>rung einvernehmlicher Streitbeilegung. 53 Oft ent<strong>de</strong>cken<br />

die Parteien und ihre Anwälte nämlich in diesem Vorklärungsverfahren,<br />

dass <strong>de</strong>r Konflikt durch Missverständnisse o<strong>de</strong>r Fehleinschätzungen<br />

hervorgerufen wur<strong>de</strong> und dass es Möglichkeiten<br />

zu einer konstruktiven Lösung gibt. Auch darin liegt ein<br />

großer Vorteil gegenüber <strong>de</strong>r in Deutschland häufig auftreten<strong>de</strong>n<br />

Situation, dass es infolge <strong>de</strong>s Zurückhaltens von Informationen<br />

und gestörter Kommunikation zu einem Eskalieren <strong>de</strong>s<br />

Rechtsstreits kommt. Bildlich gesprochen: Während die durch<br />

<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Zivilprozess geprägte Streitkultur nahe legt, die<br />

Trümpfe im Ärmel zu halten, gilt in England „cards on the<br />

table“ – und zwar „face up“. 54<br />

2. Gesetzgebungsvorschläge<br />

Dass <strong>de</strong>r BGH seinen gegenteiligen, auf Nichtoffenbaren gerichteten<br />

Standpunkt von sich aus aufgibt, ist nicht zu erwarten.<br />

Hier erscheint ein Eingreifen <strong>de</strong>s Gesetzgebers unabweisbar<br />

geboten 55 – im Interesse erleichterter Prozessführung, gerechter<br />

49 Part 28.3, 28.5, 32.1 Civil Procedure Rules 1999. S. dazu Wagner,<br />

ZEuP 2001, 441, 462; Greger JZ 2002, 1020, 1024 f.<br />

50 Vgl. Greger, JZ 2002, 1020, 1022 m. w. Nachw.<br />

51 Section 108 Housing Grants, Construction and Regeneration Act<br />

1996 i.V.m. „The Scheme for Construction Contracts“; dazu näher<br />

Harbst, SchiedsVZ 2003, 68 ff.; Schramke, NZBau 2002, 409,<br />

411 ff.<br />

52 Näher Wagner, ZEuP 2001, 441, 471 f., 477 ff.; Stadler (o. Fußn.<br />

16), S. 1632 f.<br />

53 Über 70 % <strong>de</strong>r Verfahren en<strong>de</strong>n schon vor <strong><strong>de</strong>m</strong> trial durch Vergleich<br />

o<strong>de</strong>r Klagerücknahme; vgl. Greger JZ 2002, 1020, 1022.<br />

54 Court of Appeal in Davies v. Ely Lilly & Co., [1987] 1 W. L. R. 428,<br />

431 (zit. bei Wagner aaO, S. 464). Ebenso O’Hare & Hill, Civil Litigation,<br />

10. Aufl. 2001, Rdnr. 6.006.<br />

55 Für Einführung einer prozessualen Aufklärungspflicht <strong>de</strong> lege ferenda<br />

auch Gottwald, Gutachten zum 61. Deutschen Juristentag 1996,<br />

S. A 15 ff.; Schlosser, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1991, Rdnr. 426 ff.;<br />

<strong>de</strong>rs. JZ 1991, 599. Grundlegend Stürner (o. Fußn. 3).<br />

Ergebnisse, aber auch <strong>de</strong>r europäischen Rechtsangleichung. 56<br />

Ziel darf dabei nicht die Amtsaufklärung durch <strong>de</strong>n Richter<br />

sein. Was Prozessstoff wer<strong>de</strong>n soll, müssen weiterhin allein die<br />

Parteien zu bestimmen haben – aber eben bei<strong>de</strong> Parteien, nicht<br />

nur die eine, die nur ihr zugängliche Erkenntnisse o<strong>de</strong>r Erkenntnismittel<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Richter vorenthält. Und einem <strong>de</strong>rart<br />

mo<strong>de</strong>rnisierten Verhandlungsgrundsatz 57 entspräche es wohl<br />

auch, die Aufbereitung <strong>de</strong>s Prozessstoffs so weit wie möglich<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Richter abzunehmen und <strong>de</strong>n Parteien selbst zu überantworten.<br />

Dazu müsste in die ZPO zweierlei eingefügt wer<strong>de</strong>n:<br />

– eine maßvolle Aufklärungspflicht <strong>de</strong>r Parteien, wie sie Stürner<br />

58 bereits vor fast 30 Jahren vorgeschlagen hat,<br />

– ein Verfahren zur weitestgehen<strong>de</strong>n Aufbereitung <strong>de</strong>s Tatsachenstoffs<br />

vor <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung.<br />

3. Konsequenzen für die Anwaltschaft<br />

Dieses Plädoyer für einen kommunikativen (o<strong>de</strong>r auch kooperativen)<br />

Prozessstil soll nicht ohne einen Blick auf die Rolle <strong>de</strong>r<br />

Anwaltschaft schließen. Mit einem solchen Verfahren wür<strong>de</strong>n<br />

neue Aufgaben auf die Anwälte zukommen. Viel von <strong>de</strong>r<br />

Aufklärungsarbeit, die im bisherigen System <strong>de</strong>r Richter zu leisten<br />

hat, fiele ihr zu. Wäre dies – kapazitätsmäßig und wirtschaftlich<br />

– leistbar<br />

Bei <strong>de</strong>r Beurteilung dieser Frage darf nicht übersehen wer<strong>de</strong>n,<br />

dass auch die herkömmliche Form prozessualer Sachverhaltsaufklärung<br />

in hohem Maße Kräfte <strong>de</strong>r Anwaltschaft bin<strong>de</strong>t: für<br />

das Anfertigen vorbereiten<strong>de</strong>r, später dann beweiswürdigen<strong>de</strong>r<br />

Schriftsätze, für die nicht selten zeitrauben<strong>de</strong> Beweisaufnahme,<br />

die Verhandlung über das Beweisergebnis usw. Dieser Zeitaufwand<br />

lässt sich u.U. einsparen, wenn er in die unmittelbare<br />

Aufklärung investiert wird, <strong>de</strong>ren Ablauf zu<strong><strong>de</strong>m</strong> von <strong>de</strong>n Anwälten<br />

weithin selbst bestimmt wer<strong>de</strong>n kann. Im Übrigen<br />

müsste dann selbstverständlich das Vergütungssystem neu<br />

überdacht, etwa ein Äquivalent zur früheren Beweisgebühr (für<br />

die außergerichtliche Aufklärungstätigkeit) erwogen wer<strong>de</strong>n.<br />

Ein letzter Aspekt: Ein wesentliches Motiv <strong>de</strong>r englischen Zivilprozessreform<br />

von 1999 war die Befürchtung, London könnte<br />

wegen <strong>de</strong>s aufwendigen, schwerfälligen Verfahrens alter Prägung<br />

international an Be<strong>de</strong>utung als Gerichtsplatz verlieren. 59<br />

England hat inzwischen einen attraktiven, mo<strong>de</strong>rnen Zivilprozess<br />

…<br />

56 Zu <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Vorschlägen <strong>de</strong>r Kommission für ein europäisches<br />

Zivilprozessgesetzbuch s. Roth, ZZP 109 (1996) 271,<br />

291 ff.<br />

57 Zutr. weist Stürner, ZZP 104 (1991) 215 darauf hin, dass eine verstärkte<br />

Aufklärungspflicht <strong><strong>de</strong>m</strong> Verhandlungsgrundsatz nicht wi<strong>de</strong>r-,<br />

son<strong>de</strong>rn gera<strong>de</strong> entspricht.<br />

58 O. Fußn. 3.<br />

59 Lord Woolf, Access to Justice, Interim Report 1995, Ch. 3 para. 28<br />

(abrufbar unter www.zr1.jura.uni-erlangen.<strong>de</strong>/justizreform/ausland.<br />

htm); Wagner, ZEuP 2001, 443, 452 f.<br />

Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess 1<br />

Rechtsanwalt Lothar Schmu<strong>de</strong>, Köln<br />

1 Vortrag gehalten anlässlich <strong>de</strong>s 3. ZPR-Symposions <strong>de</strong>r BRAK am<br />

4./5.3.2005 in Potsdam.<br />

I. Nach § 395 Abs. 1 ZPO ist je<strong>de</strong>r Zeuge vor seiner Vernehmung<br />

zur Wahrheit zu ermahnen. In <strong>de</strong>r Praxis pflegt das Gericht<br />

dazu nicht nur auf die Strafbarkeit auch uneidlicher <strong>Aus</strong>sagen<br />

hinzuweisen; in aller Regel führt <strong>de</strong>r Richter <strong><strong>de</strong>m</strong> Zeugen<br />

mit beson<strong>de</strong>rer Deutlichkeit vor Augen, dass die Wahrheit seiner<br />

<strong>Aus</strong>sage für die Richtigkeit <strong>de</strong>s späteren Urteils entschei<strong>de</strong>nd<br />

ist: „Wenn Sie hier eine falsche <strong>Aus</strong>sage machen, kann<br />

unser Urteil nur falsch sein.“


156 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Schmu<strong>de</strong>, Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess<br />

Es erscheint mir wichtig, vor unseren Überlegungen zum Beweisverfahren<br />

damit noch einmal auf <strong>de</strong>n Sinn je<strong>de</strong>r Beweisaufnahme<br />

nachdrücklich hinzuweisen: Sie dient <strong>de</strong>r Feststellung<br />

<strong>de</strong>s Sachverhalts, <strong>de</strong>n das Gericht seiner Entscheidung zugrun<strong>de</strong><br />

zu legen hat. Entspricht <strong>de</strong>r so vom Gericht festgestellte<br />

Sachverhalt nicht <strong>de</strong>n wahren Tatsachen, ist das Urteil notwendigerweise<br />

falsch, mag es auch zum materiellen Recht auf das<br />

Scharfsinnigste begrün<strong>de</strong>t sein. Eine gewissenhafte und zutreffen<strong>de</strong><br />

Tatsachenfeststellung ist also einer <strong>de</strong>r wesentlichen<br />

Grundpfeiler einer Rechtspflege, die diesen Namen verdient.<br />

Betrachtet man sich die rechtliche und praktische Entwicklung<br />

<strong>de</strong>r letzten Jahre, dann zeigt sich eine Ten<strong>de</strong>nz, diese grundlegen<strong>de</strong><br />

Be<strong>de</strong>utung richtiger Tatsachenfeststellung aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Blick<br />

zu verlieren. Ich will mich im Folgen<strong>de</strong>n zunächst mit <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

erstinstanzlichen Verfahren und im Anschluss daran mit <strong>de</strong>n<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Überprüfungen im Berufungsverfahren beschäftigen.<br />

II. 1. Wesentliche gesetzliche Verän<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Beweisaufnahmeverfahrens<br />

erster Instanz hat es auch mit <strong>de</strong>r letzten so<br />

genannten Großen ZPO-Reform nicht gegeben.<br />

Eine eher unmerkliche, in <strong>de</strong>r Praxis aber durchaus spürbare<br />

Än<strong>de</strong>rung hat <strong><strong>de</strong>m</strong>gegenüber die Entscheidung <strong>de</strong>s Europäischen<br />

Gerichtshofs für Menschenrechte vom 27.10.1993 bewirkt.<br />

Mit dieser Entscheidung wur<strong>de</strong>n die Gerichte unter <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Waffengleichheit verpflichtet, von <strong>de</strong>r Möglichkeit<br />

<strong>de</strong>r Parteianhörung nach § 141 ZPO insbeson<strong>de</strong>re<br />

dann Gebrauch zu machen, wenn die Partei ihrerseits kein geeignetes<br />

Beweismittel aus <strong><strong>de</strong>m</strong> abschließen<strong>de</strong>n Katalog <strong>de</strong>r<br />

Zivilprozessordnung präsentieren konnte, auf <strong>de</strong>r Gegenseite<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong>gegenüber ein Zeuge zur Verfügung stand. Die klassischen<br />

Fälle sind Streitigkeiten zwischen Unternehmen, bei <strong>de</strong>nen auf<br />

<strong>de</strong>r einen Seite <strong>de</strong>r Inhaber selbst die Verhandlungen geführt<br />

hat, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite ein Angestellter, <strong>de</strong>r dann als Zeuge<br />

für <strong>de</strong>n <strong>Inhalt</strong> dieser Verhandlung zur Verfügung stand. Weiteres<br />

klassisches Beispiel sind Verkehrsunfälle, bei <strong>de</strong>nen auf <strong>de</strong>r<br />

einen Seite ein Pkw voller Mitfahrer, also voller Zeugen, auf<br />

einen Pkw trifft, in <strong><strong>de</strong>m</strong> allein <strong>de</strong>r Halter selbst gefahren war.<br />

Die Entscheidung <strong>de</strong>s Straßburger Gerichtshofes ist erst verhältnismäßig<br />

langsam in das Bewusstsein <strong>de</strong>r Gerichte und <strong>de</strong>r<br />

Prozessbevollmächtigten gedrungen. Sie hat aber nach meinem<br />

Eindruck insoweit auch über <strong>de</strong>n engeren Anwendungsbereich<br />

hinaus Gutes bewirkt, als sie das Verständnis dafür geschärft<br />

hat, <strong>de</strong>n Parteivortrag und die mündlichen Erklärungen einer<br />

Partei vor Gericht <strong>de</strong>utlicher in die Beweiswürdigung einzubeziehen.<br />

Es war in <strong>de</strong>r Vergangenheit nicht selten, dass die Gerichte<br />

eher formal nach <strong>de</strong>r förmlichen Zeugenstellung geschaut<br />

und entschie<strong>de</strong>n haben und dass auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite<br />

die Prozessbevollmächtigten entsprechend taktierten.<br />

Nach meinen – zugegebenermaßen nur subjektiven – Beobachtungen,<br />

die allerdings auch von Kollegen und Sozien, die<br />

ich dazu befragt habe, geteilt wer<strong>de</strong>n, ist diese zu formale Vorgehensweise<br />

bei Beweiswürdigungen eher zurückgegangen.<br />

Ich halte das für eine gute Entwicklung. § 286 ZPO erlaubt es<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Gericht, die erhobenen Beweise frei zu würdigen, unter<br />

Einschluss <strong>de</strong>s Parteivortrages.<br />

2. Was die bereits angesprochene letzte ZPO-Reform <strong>de</strong>s Jahres<br />

2002 angeht, so hat sie im Gerichtsalltag <strong>de</strong>r Beweisaufnahme<br />

kaum eine Verän<strong>de</strong>rung gebracht. Dem steht die damalige<br />

gesetzgeberische Vorstellung gegenüber, „die erste Instanz zu<br />

stärken“, um auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite im Berufungsverfahren die<br />

Kontrolle und Überprüfung <strong>de</strong>r Tatsachenfeststellung erster Instanz<br />

eher eingeschränkt zu sehen. In <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>r ersten Instanz<br />

hat sich <strong><strong>de</strong>m</strong>gegenüber wenig geän<strong>de</strong>rt, mit <strong>Aus</strong>nahme<br />

<strong>de</strong>r Tatsache, dass Beweisaufnahmen durch <strong>de</strong>n Einzelrichter<br />

zahlreicher – und nahezu die Regel – gewor<strong>de</strong>n sind. Das allerdings<br />

ist nicht Folge einer Verän<strong>de</strong>rung von Regelungen zum<br />

Beweisverfahren, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r generellen Neugestaltung <strong>de</strong>r<br />

Einzelrichterzuständigkeit. Das Verfahren selbst ist das alte geblieben<br />

und <strong>de</strong>ssen praktische Handhabung ebenso.<br />

Unter diesem Aspekt einer Stärkung und damit Verbesserung<br />

<strong>de</strong>r Rechtspflege in <strong>de</strong>r ersten Instanz ist mit Nachdruck auf die<br />

immer schon bestehen<strong>de</strong>n Defizite in <strong>de</strong>r Beweisaufnahme<br />

und hier insbeson<strong>de</strong>re bei <strong>de</strong>r Vernehmung von Zeugen und<br />

Sachverständigen hinzuweisen:<br />

Der Volljurist, <strong>de</strong>r das zweite Staatsexamen soeben bestan<strong>de</strong>n<br />

hat und in <strong>de</strong>n richterlichen Dienst übernommen wird, hat in<br />

<strong>de</strong>r Regel keine o<strong>de</strong>r nur äußerst geringe Erfahrungen in <strong>de</strong>r<br />

Vernehmung von Zeugen. Zeugenpsychologie, die Deutung<br />

eines bestimmten <strong>Aus</strong>sageverhaltens, von Körpersprache und<br />

Ähnlichem sind zwar Gegenstand von Anleitungsbüchern,<br />

wer<strong>de</strong>n aber – da nicht examensrelevant – nicht gelernt und<br />

nicht geübt. Ebenso wenig gelernt und geübt wird die Technik<br />

einer Befragung. Es gibt <strong>de</strong>n Richter, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Zeugen ausre<strong>de</strong>n<br />

lässt – um so manchmal zufällig wertvolle Informationen zu<br />

erhalten –, und es gibt <strong>de</strong>n Richter, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Zeugen nach je<strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Satz unterbricht, häufig um Satz für Satz zu protokollieren, weil<br />

er sonst in Vergessenheit geraten wür<strong>de</strong>.<br />

Ähnlich steht es mit <strong>de</strong>r Fähigkeit, ein Protokoll sachgemäß zu<br />

formulieren. Im Vorbereitungsdienst wird das kaum gelernt<br />

noch geübt, und ebenso wenig wer<strong>de</strong>n Richter während ihrer<br />

Tätigkeit hierin geschult. Dies Letztere umso weniger, als die<br />

Möglichkeiten <strong>de</strong>r praktischen <strong>Aus</strong>bildung eines jungen Richters<br />

als Beisitzer in einer Kammer mehr und mehr eingeschränkt<br />

sind.<br />

Richter sind im Hinblick auf die handwerkliche Durchführung<br />

einer Zeugenbefragung und Protokollierung letztlich Autodidakten.<br />

Entsprechend breit gestreut sind die Fähigkeiten und<br />

Defizite bei <strong>de</strong>n einzelnen. Man hat dies bislang nahezu als<br />

gottgegeben hingenommen, auch wegen <strong>de</strong>r Möglichkeiten <strong>de</strong>r<br />

Kontrolle <strong>de</strong>r Tatsachenfeststellungen in <strong>de</strong>r zweiten Instanz.<br />

Will man aber die Tatsachenfeststellung zunehmend auf die<br />

erste Instanz konzentrieren, dann wird man ernsthaft erwägen<br />

müssen, <strong><strong>de</strong>m</strong> auch in <strong>de</strong>r richterlichen <strong>Aus</strong>bildung ein größeres<br />

Gewicht beizumessen. Es genügt nicht, wie bisher in <strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>bildungsordnungen<br />

eine Empfehlung aufzunehmen, <strong><strong>de</strong>m</strong> Referendar<br />

auch Zeugenvernehmungen in einfach gelagerten Fällen<br />

zu übertragen. Was nicht examensrelevant ist, wird nicht gelernt.<br />

Die Kontroll- und Eingriffsmöglichkeiten <strong>de</strong>s Anwalts im Hinblick<br />

auf die Zeugenbefragung und <strong>de</strong>ren Protokollierung sind<br />

zwar vorhan<strong>de</strong>n, in <strong>de</strong>r Praxis allerdings begrenzt; mit Nachfragen<br />

und Ergänzungen lassen sich grundlegen<strong>de</strong> Schwierigkeiten<br />

nicht beseitigen.<br />

Zusammengefasst: Die <strong>de</strong>rzeitige praktische Handhabung <strong>de</strong>r<br />

Beweisaufnahme selbst unterschei<strong>de</strong>t sich von <strong>de</strong>rjenigen vor<br />

10 Jahren kaum. Sie hängt nach wie vor von <strong>de</strong>r persönlichen<br />

Fähigkeit <strong>de</strong>s jeweils befragen<strong>de</strong>n Richters ab, davon, ob er<br />

Geduld, Einfühlungsvermögen und Konzentration aufbringen<br />

kann und ob er die Fähigkeit besitzt, das Ergebnis sogleich in<br />

die zutreffen<strong>de</strong>n Worte zu fassen. Eine Stärkung <strong>de</strong>r ersten Instanz<br />

zu diesen Zielen ist nicht zu erkennen.<br />

3. Neu ist bekanntlich die Vorschrift <strong>de</strong>s § 142 ZPO, <strong>de</strong>r die<br />

Beiziehung von Urkun<strong>de</strong>n nicht nur aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Besitz <strong>de</strong>r Parteien,<br />

son<strong>de</strong>rn auch aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Besitz Dritter erlaubt.<br />

Praktische Be<strong>de</strong>utung hat diese Möglichkeit bislang nicht erlangt.<br />

Ich kenne keinen einzigen Fall, in <strong><strong>de</strong>m</strong> hiernach verfahren<br />

wor<strong>de</strong>n wäre, auch wenn dies von einer Partei ausdrücklich<br />

beantragt wor<strong>de</strong>n war.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 157<br />

Schmu<strong>de</strong>, Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess<br />

Die Grün<strong>de</strong> liegen zum einen darin, dass diese Möglichkeit zu<br />

einer Art Amtsermittlung führen kann, die unserem Zivilprozessrecht<br />

fremd ist. <strong>Aus</strong>forschung soll mit diesem Instrument<br />

nicht betrieben wer<strong>de</strong>n dürfen, so zu Recht die Kommentarliteratur.<br />

Es bleibt damit im Prozessalltag so gut wie kein Anwendungsspielraum.<br />

Die fehlen<strong>de</strong> praktische Be<strong>de</strong>utung belegt letztlich auch die<br />

Fehleinschätzung, die zur Einführung geführt hatte. Man erhoffte<br />

sich, ausgehend von Überlegungen von Gottwald in <strong>de</strong>ssen<br />

Gutachten zum Deutschen Juristentag 1996, unter an<strong>de</strong>rem<br />

eine Verfahrensersparnis, weil damit die Zahl vorgeschalteter<br />

<strong>Aus</strong>kunftsprozesse vermin<strong>de</strong>rt wür<strong>de</strong>. Bereits damals wur<strong>de</strong><br />

übersehen, dass es solche Prozesse nur in geringer Zahl gibt,<br />

und dass tatsächlich für die Parteien nur in wenigen <strong>Aus</strong>nahmefällen<br />

<strong>de</strong>r Zugang zu <strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Prozess benötigten Urkun<strong>de</strong>n<br />

versperrt ist. Es bleiben <strong>de</strong>swegen tatsächlich nur die Fälle <strong>de</strong>r<br />

<strong>Aus</strong>forschung, mit <strong><strong>de</strong>m</strong> eingangs skizzierten Ergebnis.<br />

Angelehnt wer<strong>de</strong>n sollte die Möglichkeit <strong>de</strong>s § 142 ZPO an die<br />

angelsächsische disclosure, die in<strong>de</strong>ssen ihrerseits zu einem<br />

vollständig an<strong>de</strong>ren System <strong>de</strong>r Tatsachenfeststellung gehört,<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>r Erarbeitung <strong>de</strong>s Sachverhalts und <strong>de</strong>r Beweismittel in<br />

<strong>de</strong>r Verantwortung <strong>de</strong>r Anwälte, außerhalb <strong>de</strong>s Gerichts. Dies<br />

führt bekanntlich zu Kosten, die <strong>de</strong>n Zivilprozess fast unbezahlbar<br />

wer<strong>de</strong>n lassen. Man kann nicht mit Erfolg solche einzelnen,<br />

hier systemfrem<strong>de</strong>n Elemente in das <strong>de</strong>utsche Prozessrecht<br />

implementieren.<br />

4. Schließlich hat es mit <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes<br />

zum 1.7.2004 eine Rechtsentwicklung gegeben,<br />

die zwar nicht das Beweisaufnahmeverfahren selbst, wohl<br />

aber <strong>de</strong>ssen Grundlagen empfindlich verän<strong>de</strong>rt.<br />

Um es zugespitzt zu formulieren: Keiner <strong>de</strong>r professionellen<br />

Prozessbeteiligten kann seit<strong><strong>de</strong>m</strong> ein an<strong>de</strong>res als ein i<strong>de</strong>elles Interesse<br />

daran haben, eine Beweisaufnahme überhaupt durchzuführen.<br />

Auf Seiten <strong>de</strong>s Gerichts war dies auch vor <strong><strong>de</strong>m</strong> 1.7.2004 <strong>de</strong>r<br />

Fall: Der Pensenschlüssel unterschei<strong>de</strong>t im Hinblick auf die Erledigung<br />

von Verfahren nicht danach, ob das Verfahren eine<br />

Beweisaufnahme nötig gemacht hat o<strong>de</strong>r nicht. Die Durchführung<br />

<strong>de</strong>r Beweisaufnahme be<strong>de</strong>utet also zusätzliche Arbeit, für<br />

die es keinerlei materielle Kompensation gibt. Das persönliche<br />

Interesse, in eine Beweisaufnahme einzutreten, ist mithin i<strong>de</strong>eller<br />

Natur; je<strong>de</strong>r von uns kennt <strong>de</strong>swegen Beispiele dafür, dass<br />

bestimmte Richter sich bemühen, „um eine Beweisaufnahme<br />

herumzukommen“.<br />

Gera<strong>de</strong> aus anwaltlicher Sicht gab es <strong>de</strong>swegen regelmäßig<br />

<strong>de</strong>n Kampf um die Durchführung einer Beweisaufnahme, unter<br />

<strong>de</strong>n vielfältigsten Aspekten; umgekehrt war und ist es eine gängige<br />

Klage von Mandanten – rechtsuchen<strong>de</strong>n Bürgern –, dass<br />

„ihre Zeugen nicht gehört“ wor<strong>de</strong>n seien, mag dies nun zu<br />

Recht o<strong>de</strong>r zu Unrecht geschehen sein. Entschei<strong>de</strong>nd erscheint<br />

mir die Feststellung, dass aus staatlicher Sicht die Beweisaufnahme<br />

für die damit verbun<strong>de</strong>ne Arbeit keinerlei materielle<br />

Kompensation mit sich bringt, we<strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Richter selbst<br />

noch für <strong>de</strong>n Staat, <strong>de</strong>ssen Gerichtsgebühren unabhängig von<br />

<strong>de</strong>r Durchführung einer Beweisaufnahme immer in gleicher<br />

Höhe erhoben wer<strong>de</strong>n. Dafür, dass tatsächlich Beweis erhoben<br />

wird, steht mithin ausschließlich die Bindung <strong>de</strong>s Richters an<br />

das Gesetz.<br />

Um nicht missverstan<strong>de</strong>n zu wer<strong>de</strong>n: Diese Bindung wird von<br />

allen Richtern, die ich kenne, sehr ernst genommen, und ich<br />

möchte auch an dieser Stelle betonen, dass ich nach wie vor<br />

die Erfahrung gemacht habe, dass das berufliche Ethos hoch ist.<br />

Gleichwohl gibt es Spielräume in <strong>de</strong>r Beurteilung sowohl <strong>de</strong>s<br />

materiellen Rechts als auch darin, was bisher aus Urkun<strong>de</strong>n<br />

und <strong><strong>de</strong>m</strong> Akteninhalt als bewiesen angesehen wer<strong>de</strong>n könnte.<br />

Diese Spielräume wer<strong>de</strong>n durchaus unterschiedlich genutzt.<br />

Mit <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>s Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes fin<strong>de</strong>t<br />

sich <strong>de</strong>r Anwalt nun in <strong>de</strong>rselben Situation wie das Gericht: Für<br />

ihn ist die Beweisgebühr seit <strong><strong>de</strong>m</strong> 1.7.2004 weggefallen, alle<br />

im Verfahren erzielbaren Gebühren sind mit <strong><strong>de</strong>m</strong> ersten Verhandlungstermin<br />

verdient – mit <strong>Aus</strong>nahme lediglich <strong>de</strong>r Vergleichsgebühr<br />

–, die Beweisaufnahme geschieht gewissermaßen<br />

nur noch gratis. Außer <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ellen Motivation gibt es mithin<br />

auch für <strong>de</strong>n Anwalt keinen materiellen Anreiz mehr dafür,<br />

sich für die Durchführung einer Beweisaufnahme einzusetzen.<br />

Dem kann man auch nicht entgegenhalten, mit <strong>de</strong>r neuen Vergütungsordnung<br />

sei dies pauschal in <strong>de</strong>n übrigen Gebühren<br />

durch die entsprechen<strong>de</strong> Erhöhung berücksichtigt. Denn im<br />

konkreten Verfahren fällt diese Überlegung nicht ins Gewicht.<br />

Hier ist für je<strong>de</strong>n Anwalt fühlbar, dass er Stun<strong>de</strong>n um Stun<strong>de</strong>n<br />

in umfangreichen Beweisaufnahmen verbringt, Zeit aufwen<strong>de</strong>t,<br />

die nicht vergütet wird, und in <strong>de</strong>r er keine an<strong>de</strong>ren Aktivitäten<br />

entfalten, we<strong>de</strong>r neue Mandate akquirieren noch Mandate bearbeiten<br />

kann.<br />

Ein wesentlicher Teil forensischer Tätigkeit besteht in <strong>de</strong>r Tatsachenfeststellung.<br />

Die jeweils zu beantworten<strong>de</strong>n Rechtsfragen<br />

sind häufig bei weitem nicht so kompliziert wie die Frage danach,<br />

was wirklich geschehen ist, welcher Sachverhalt <strong>de</strong>r<br />

rechtlichen Beurteilung zugrun<strong>de</strong> zu legen ist. Dies ist, wie eingangs<br />

bereits hervorgehoben, eine <strong>de</strong>r Grundlagen einer geordneten<br />

Rechtspflege.<br />

Nun hat aber auch <strong>de</strong>r Anwalt keinen materiellen Anreiz mehr,<br />

sich diesen Grundlagen tatsächlich zu widmen. Es wiegt dies<br />

umso schwerer, als <strong>de</strong>r Anwalt darauf angewiesen ist, aus <strong>de</strong>n<br />

Gebühren seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. In<strong>de</strong>ssen halte<br />

ich es auch ganz abgesehen davon für unerträglich, dass wesentliche<br />

Teile anwaltlicher Tätigkeit nach <strong>de</strong>r neuen Vergütungsregelung<br />

nicht mehr vergütet wer<strong>de</strong>n.<br />

Die Zielrichtung dieser Gestaltung scheint mir ein<strong>de</strong>utig: Gericht<br />

wie Prozessbevollmächtigte sollen ein gesteigertes Interesse<br />

an einer gütlichen Streitbeilegung haben, an einem möglichst<br />

frühen Vergleich. Der „Rechtsfrie<strong>de</strong>n“ soll möglichst<br />

rasch hergestellt wer<strong>de</strong>n, die „Sache“ möglichst frühzeitig „erledigt“<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Ich bin überzeugt davon, dass dies, öffentlich in <strong>de</strong>r richtigen<br />

Klarheit ausgesprochen, in keiner Hinsicht auf das Verständnis<br />

und die Zustimmung <strong>de</strong>r Bürger stieße. Je<strong>de</strong>r rechtsuchen<strong>de</strong><br />

Bürger – und ich kann dies aus zahllosen Mandatsgesprächen<br />

berichten – erwartet vom Staat und seinen Gerichten eine Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s Konflikts, in <strong><strong>de</strong>m</strong> er sich befin<strong>de</strong>t. Man trifft in<br />

solchen Gesprächen immer wie<strong>de</strong>r auf die Befürchtung, dass<br />

das Gericht ein großes Interesse daran habe, die Sache schnell<br />

durch einen Vergleich zu erledigen, um sich weitere Arbeit zu<br />

ersparen. Die Achtung vor <strong><strong>de</strong>m</strong> Staat und seiner Rechtspflege<br />

schwin<strong>de</strong>t in <strong><strong>de</strong>m</strong> Maße, in <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>r Bürger das Gefühl hat,<br />

man wolle ihn zu einem als „Zwangsvergleich“ empfun<strong>de</strong>nen<br />

Nachgeben nötigen. Der materielle Anreiz, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r jüngsten<br />

Rechtsän<strong>de</strong>rung zum Vergütungsgesetz aufgebaut wor<strong>de</strong>n<br />

ist, führt genau in diese Richtung. Heute muss man fairerweise<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Mandanten sagen, dass auch <strong>de</strong>r Anwalt kein materielles<br />

Interesse mehr an <strong>de</strong>r Durchführung eines Beweisaufnahmeverfahrens<br />

hat, und umso misstrauischer wird <strong>de</strong>r Mandant,<br />

wenn ihm dann angesonnen wird, sich doch möglichst rasch<br />

zu vergleichen.<br />

Abgesehen von dieser Beobachtung ist darüber hinaus die Feststellung<br />

zu treffen, dass die auf diese Weise geschehene mittelbare<br />

Zurückdrängung von Beweisaufnahmen überhaupt im Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

zur propagierten „Stärkung <strong>de</strong>r ersten Instanz“ steht.<br />

Die Durchführung einer Beweisaufnahme be<strong>de</strong>utet immer er-


158 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Schmu<strong>de</strong>, Verän<strong>de</strong>rungen und Entwicklungen <strong>de</strong>s Beweisrechts im <strong>de</strong>utschen Zivilprozess<br />

hebliche zusätzliche Arbeit, für das Gericht ebenso wie für die<br />

Prozessbeteiligten. Diese Zeit und Arbeit kosten Geld, das <strong>de</strong>r<br />

Staat offenbar nicht mehr bereit ist, an dieser Stelle zu investieren.<br />

Ich halte es für eine folgenschwere Fehlentscheidung, diesen<br />

wesentlichen Teil <strong>de</strong>r Rechtspflege so auszuhöhlen, wie es<br />

<strong>de</strong>rzeit geschieht. Dazu gehören schließlich auch die jüngsten<br />

Versuche einer weiteren „Großen Justizreform“, in <strong>de</strong>r die<br />

Überprüfung <strong>de</strong>r Tatsachenfeststellungen erster Instanz noch<br />

weiter beschnitten wer<strong>de</strong>n soll.<br />

5. Eine Gesetzesän<strong>de</strong>rung, die in jüngster Zeit in das Beweisaufnahmeverfahren<br />

eingreift, liegt in <strong>de</strong>r Neuregelung <strong>de</strong>s<br />

§ 284 <strong>de</strong>r ZPO, mit <strong>de</strong>r im Einverständnis bei<strong>de</strong>r Parteien auch<br />

an<strong>de</strong>re als die Beweismittel <strong>de</strong>r ZPO zugelassen wer<strong>de</strong>n dürfen.<br />

Die ausweislich <strong>de</strong>r Gesetzesbegründung erhoffte weitergehen<strong>de</strong><br />

Entlastung <strong>de</strong>r Gerichte wird kaum eintreten; <strong>de</strong>nn an<br />

dieser Stelle gibt es kaum ein nennenswertes Einsparungspotential,<br />

und dort, wo die Dinge wirklich wichtig sind, wird<br />

keine Partei sich damit begnügen, eine telefonische o<strong>de</strong>r per<br />

E-Mail an einen Zeugen o<strong>de</strong>r Sachverständigen gerichtete Frage<br />

zu erlauben. Entsprechend sind die Reaktionen in <strong>de</strong>r Literatur<br />

auf diese Vorschrift auch durchweg ablehnend.<br />

6. Zusammengefasst:<br />

Am Beweisaufnahmeverfahren <strong>de</strong>r ersten Instanz hat sich kaum<br />

Wesentliches geän<strong>de</strong>rt; die schon immer vorhan<strong>de</strong>nen Defizite<br />

bestehen nach wie vor; auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite steht <strong>de</strong>r Versuch,<br />

durch indirekte Einflussnahme die Zahl <strong>de</strong>r Beweisaufnahmen<br />

möglichst zu vermin<strong>de</strong>rn, letztlich aus fiskalischen Grün<strong>de</strong>n.<br />

III. Im zweitinstanzlichen Verfahren steht seit <strong>de</strong>r letzten ZPO-<br />

Reform die Neuregelung in § 529 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Prüfstand.<br />

Wie nicht an<strong>de</strong>rs zu erwarten, waren die ersten Reaktionen<br />

und Handhabungen <strong>de</strong>r Berufungsgerichte höchst unterschiedlich.<br />

Während die einen eher die Bindung an die Tatsachenfeststellung<br />

<strong>de</strong>r ersten Instanz betonen und <strong>de</strong>n Grad <strong>de</strong>r Zweifel<br />

an <strong>de</strong>ren Richtigkeit möglichst hoch ansetzten, ließen an<strong>de</strong>re<br />

bereits schon leichte Zweifel genügen. Da sich die Intensität<br />

eines Zweifels auf <strong>de</strong>r Grundlage persönlicher Wertung und<br />

Würdigung beurteilt, rechne ich damit, dass wir auch hier<br />

durchaus unterschiedliche Handhabungen nach wie vor fin<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Die unser Thema berühren<strong>de</strong> Frage geht dahin, was bei Zweifeln<br />

an <strong>de</strong>r Tatsachenfeststellung zu geschehen hat: Darf das<br />

Berufungsgericht die erhobenen Beweise ohne weiteres an<strong>de</strong>rs<br />

würdigen o<strong>de</strong>r muss es die Beweisaufnahme wie<strong>de</strong>rholen<br />

Der Bun<strong>de</strong>sgerichtshof hat die Frage in einer Entscheidung v.<br />

12.3.2004 (NJW 2004, 4876) in aus meiner Sicht erfreulicher<br />

Weise beantwortet:<br />

„(Leitsatz 2) Ist eine Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht<br />

geboten, so beurteilt sich die Frage, ob und inwieweit<br />

das Berufungsgericht zu einer Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r<br />

erstinstanzlichen Beweisaufnahme gerichtet ist, nach <strong>de</strong>nselben<br />

Grundsätzen wie aus <strong>de</strong>r Zeit vor Geltung <strong>de</strong>s Zivilprozessreformgesetzes.“<br />

Für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Beweisaufnahme durch Sachverständige<br />

be<strong>de</strong>utet dies, dass immer dann eine Wie<strong>de</strong>rholung, zumin<strong>de</strong>st<br />

eine Ergänzung <strong>de</strong>r erstinstanzlichen Begutachtung durchzuführen<br />

ist, wenn aus Sicht <strong>de</strong>s Berufungsgerichts Lücken o<strong>de</strong>r Unklarheiten<br />

bestehen, und selbstverständlich erst recht dann,<br />

wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Gutachten insgesamt<br />

auf unrichtigen Grundlagen beruht o<strong>de</strong>r Fehler aufweist.<br />

Für <strong>de</strong>n Zeugenbeweis galt bislang die Grundregel, dass eine<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> erstinstanzlichen Gericht entgegengesetzte Beweiswürdigung<br />

allenfalls dann ohne erneute Zeugenvernehmung möglich<br />

war, wenn es nicht um die Glaubwürdigkeit und <strong>de</strong>n persönlichen<br />

Eindruck <strong>de</strong>s Zeugen ging; an<strong>de</strong>rnfalls, insbeson<strong>de</strong>re bei<br />

Fragen <strong>de</strong>r Glaubwürdigkeit eines Zeugen, musste die Vernehmung<br />

wie<strong>de</strong>rholt wer<strong>de</strong>n. Diese Grundsätze sind nun auch für<br />

das neue Rechtsmittelrecht festgeschrieben.<br />

Von beson<strong>de</strong>rer Be<strong>de</strong>utung ist es, dass das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

in jüngster Zeit <strong>de</strong>n Grundrechtsgehalt dieser Verfahrensgarantien<br />

bestätigt hat (2 BvR 779/04 v. 19.10.2004 und<br />

1 BvR 1935/03 v. 22.11.2004).<br />

Einen allgemeinen Grundsatz formuliert das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

in <strong>de</strong>r Entscheidung v. 19.10.2004. Es führt dazu<br />

aus:<br />

„Das Rechtsstaatsprinzip <strong>de</strong>s Grundgesetzes enthält auch die<br />

Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, <strong>de</strong>r<br />

die grundsätzlich umfassen<strong>de</strong> tatsächliche und rechtliche<br />

Prüfung <strong>de</strong>s Verfahrensgegenstan<strong>de</strong>s ermöglichen muss. Artikel<br />

2 Absatz 1 GG in Verbindung mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Rechtsstaatsprinzip<br />

verleiht <strong><strong>de</strong>m</strong> Einzelnen einen Anspruch auf eine tatsächlich<br />

wirksame gerichtliche Kontrolle. Dieses Grundrecht ist<br />

verletzt, wenn die Gerichte die prozessrechtlichen Möglichkeiten<br />

zur Sachverhaltsfeststellung zu eng auslegen, dass ihnen<br />

eine sachliche Prüfung <strong>de</strong>rjenigen Fragen, die ihnen vorgelegt<br />

wor<strong>de</strong>n sind, nicht möglich ist, und das vom Gesetzgeber<br />

verfolgte Verfahrensziel <strong>de</strong>swegen nicht erreicht wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Nichts an<strong>de</strong>res gilt für <strong>de</strong>n Fall, dass ein Gericht<br />

seine Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung unvertretbar eng<br />

auslegt o<strong>de</strong>r faktisch entsprechend verfährt.“<br />

Die zutreffen<strong>de</strong> <strong>Aus</strong>legung <strong>de</strong>s § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat also<br />

gleichzeitig Verfassungsrelevanz.<br />

Konkret zu dieser Vorschrift äußert sich die zweite Entscheidung<br />

v. 22.11.2004. Dort führt das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

aus:<br />

„Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht<br />

grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen <strong>de</strong>s ersten<br />

Rechtszugs gebun<strong>de</strong>n. Bei Zweifeln an <strong>de</strong>r Richtigkeit und<br />

Vollständigkeit <strong>de</strong>r entscheidungserheblichen Feststellungen,<br />

die sich schon aus <strong>de</strong>r Möglichkeit unterschiedlicher Wertungen<br />

ergeben können, ist nach <strong>de</strong>r gesetzlichen Neuregelung<br />

eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten. Insbeson<strong>de</strong>re<br />

muss das Berufungsgericht einen bereits in erster<br />

Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen, wenn<br />

es <strong>de</strong>ssen Glaubwürdigkeit abweichend vom Erstrichter beurteilen<br />

will (vgl. BGH NJW 2004, 876 …).“<br />

Damit ist festgestellt, dass eine Verletzung <strong>de</strong>r Grundsätze, wie<br />

sie <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sgerichtshof im eingangs zitierten Urteil aufgestellt<br />

hat, gleichzeitig auch immer eine Grundrechtsverletzung<br />

darstellt. Dabei geht das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht nach <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

vorstehen<strong>de</strong>n Zitat sogar weiter: Die Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r Beweisaufnahme<br />

ist danach grundsätzlich zwingend geboten, die<br />

Frage <strong>de</strong>r Überprüfung <strong>de</strong>r Glaubwürdigkeit eines Zeugen ist<br />

lediglich ein beson<strong>de</strong>rer Anwendungsfall.<br />

Letztlich führt diese Rechtsprechung dazu, dass die Überprüfung<br />

<strong>de</strong>s in erster Instanz festgestellten Sachverhalts nunmehr<br />

auch nach neuem Prozessrecht <strong>de</strong>n gleichen Regeln wie bisher<br />

unterliegt. Die „Bindung“ an die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung<br />

dürfte damit praktisch obsolet gewor<strong>de</strong>n sein. Auch<br />

nach altem Recht beließ es das Berufungsgericht bei <strong>de</strong>r Tatsachenfeststellung<br />

<strong>de</strong>r ersten Instanz, wenn es ebenso <strong>de</strong>r Meinung<br />

war, dass das Beweisergebnis zutreffend ermittelt wur<strong>de</strong>.<br />

Man hat damals nicht von Bindung gesprochen, faktisch hat<br />

sich dies aber so ausgewirkt. Wenn nunmehr sogar das Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

ausspricht, dass sich Zweifel an <strong>de</strong>r Richtigkeit<br />

und Vollständigkeit <strong>de</strong>r entscheidungserheblichen Feststellungen<br />

schon aus <strong>de</strong>r „Möglichkeit unterschiedlicher Wertung“<br />

ergeben können, entspricht dies <strong>de</strong>r früheren Handhabung:<br />

Das Berufungsgericht, das seine Überzeugung von <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit o<strong>de</strong>r Unwahrheit einer Tatsache nicht ebenso wie das


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 159<br />

Koch, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

Amts- bzw. Landgericht aus <strong>de</strong>n dort erhobenen Beweisen und<br />

<strong>de</strong>ren Würdigung bil<strong>de</strong>n konnte, trat in <strong>de</strong>r Regel in eine neue<br />

Beweisaufnahme ein, es sei <strong>de</strong>nn, die an<strong>de</strong>re Würdigung ergab<br />

sich bereits zweifelsfrei aus <strong>de</strong>n bereits vorhan<strong>de</strong>nen Beweisergebnissen.<br />

Es ist gera<strong>de</strong> aus anwaltlicher Sicht erfreulich, dass sich damit<br />

die Kontrollmöglichkeit tatrichterlicher Feststellungen <strong>de</strong>r ersten<br />

Instanz behauptet hat. Fehler, die in <strong>de</strong>r Fülle <strong>de</strong>r täglichen<br />

erstinstanzlichen Arbeit notwendigerweise unterlaufen, können<br />

damit einfacher, leichter und ohne aufwendige Erörterung <strong>de</strong>r<br />

formalen Voraussetzungen einer erneuten Beweisaufnahme<br />

korrigiert wer<strong>de</strong>n.<br />

Auch für die neuen Anstöße zu einer zweiten „Großen Justizreform“,<br />

wie sie <strong>de</strong>rzeit von <strong>de</strong>n Län<strong>de</strong>rn initiiert wird, wird man<br />

diese verfassungsgerichtliche Rechtsprechung in <strong>de</strong>n Blick nehmen<br />

müssen. Darüber hinaus ist es auch aus wirtschaftlicher,<br />

prozessökonomischer Sicht sinnvoller, <strong>de</strong>r Berufungsinstanz<br />

die Überprüfung tatrichterlicher Feststellungen im vorstehen<strong>de</strong>n<br />

Umfang zu ermöglichen. Die jetzige Intensität und Qualität<br />

<strong>de</strong>r tatrichterlichen Feststellungen erster Instanz müsste wesentlich<br />

verbessert wer<strong>de</strong>n, wenn man auf die Kontrolle durch<br />

die zweite Instanz im bisherigen Umfang verzichten wollte.<br />

Der notwendige Aufwand übersteigt die erhoffte Ersparnis<br />

<strong>de</strong>utlich.<br />

Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

– Verfahrensrechtliche Konzepte zur effizienten Abwicklung von Massenklagen 1<br />

Prof. Dr. Harald Koch, Rostock<br />

I. Anlass und Gesetzes-Initiativen 1<br />

Vor <strong><strong>de</strong>m</strong> Landgericht Frankfurt ist <strong>de</strong>rzeit ein Prozess anhängig,<br />

mit <strong><strong>de</strong>m</strong> „Rechtsgeschichte geschrieben wer<strong>de</strong>n dürfte“. 2 Er hat<br />

nicht nur unsere heutige Diskussion, son<strong>de</strong>rn auch bereits<br />

mehrere Gesetzgeber-Inititativen ausgelöst und damit bestätigt,<br />

was Prozessualisten schon seit langem ahnen, aber nicht wahr<br />

haben wollen: dass sich mit unserem gelten<strong>de</strong>n Zivilprozessrecht<br />

solche Verfahren schlechthin nicht bewältigen lassen –<br />

o<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>s Frankfurter Landgerichtspräsi<strong>de</strong>nten<br />

Kramer: „Das <strong>de</strong>utsche Regelwerk ist auf ein solches Mammutverfahren<br />

überhaupt nicht eingerichtet.“ – In jenem Prozess<br />

klagen ca. 16.000 enttäuschte Kapitalanleger gegen die Deutsche<br />

Telekom (u.a.) und for<strong>de</strong>rn in 2.200 (ursprünglich selbständigen)<br />

Verfahren Scha<strong>de</strong>nsersatz, weil sie beim sog. dritten<br />

Börsengang <strong>de</strong>r Telekom von dieser mit angeblich mangelhaften<br />

Informationen und frisierten Bilanzen über <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>r<br />

Aktien getäuscht wor<strong>de</strong>n seien und infolge <strong>de</strong>r Kursverluste insgesamt<br />

über 100 Mio. Euro verloren hätten. 754 Anwälte repräsentieren<br />

die Kläger, die aufgrund einer beson<strong>de</strong>ren Zuständigkeitsregelung<br />

im Börsengesetz (jetzt § 48) alle an die 7. Kammer<br />

für Han<strong>de</strong>lssachen <strong>de</strong>s Landgerichts Frankfurt gelangt sind<br />

und dort nicht nur für beispiellose logistische Probleme (Aktenaufstellung;<br />

Faxgeräte-Belastung; Zählkarten; Sitzungssaal;<br />

Geschäftsstellenkapazität), son<strong>de</strong>rn auch für Fragen nach Geschäftsverteilung<br />

und gesetzlichem Richter, nach <strong>de</strong>r Gleichbehandlung<br />

und praktischen Konkordanz aller Verfahren und damit<br />

nach wirklich „effektivem Rechtsschutz“ gesorgt haben,<br />

einmal ganz zu schweigen von Fragen nach <strong>de</strong>r Akquisition <strong>de</strong>r<br />

Mandate und ihrer kosten-/gebührenrechtlichen Behandlung,<br />

nach <strong><strong>de</strong>m</strong> rechtlichen Gehör für die an<strong>de</strong>ren als die Musterkläger<br />

o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r Verbindlichkeit jetziger Prozesshandlungen<br />

und Erkenntnisse für die zurückgestellten Verfahren.<br />

II. Generalisierung<br />

Mir liegt allerdings daran, diese Diskussion von solchem aktuellen<br />

Anlass zu lösen und sie nicht allein unter <strong><strong>de</strong>m</strong> Eindruck<br />

1 Vortrag, gehalten anlässlich <strong>de</strong>s 3. ZPR-Symposions <strong>de</strong>r BRAK am<br />

4./5.3.2005 in Potsdam.<br />

2 Süd<strong>de</strong>utsche Zeitung Nr. 271/04 v. 22.11.2004, S. 2 (Themen <strong>de</strong>s<br />

Tages: Mammutprozess gegen die Telekom).<br />

augenblicklicher Schwierigkeiten zu führen, die die Justiz mit<br />

einem solchen komplexen Großverfahren hat. Denn bekanntlich<br />

hat je<strong>de</strong>s Rechtsgebiet – und erst recht je<strong>de</strong>r konkrete Fall –<br />

seine Eigenheiten, und wenn wir „Konzepte zur effizienten Abwicklung<br />

von Massenklagen“ entwickeln wollen, dann müssen<br />

wir uns auch über verfahrensrechtliche Grundsatzfragen Gedanken<br />

machen.<br />

Natürlich sind es die akuten Bedürfnisse <strong>de</strong>r spezifischen Branchen<br />

und Rechtsgebiete, die <strong>de</strong>n Ruf nach Reform beson<strong>de</strong>rs<br />

plastisch begrün<strong>de</strong>n. Wenn Frau Ministerin Künast zu Sammelklagen<br />

wegen <strong>de</strong>r Belieferung mit nitrofenverseuchten Futtermitteln<br />

auffor<strong>de</strong>rt, 3 wenn Anwälte und Netzwerke im Internet<br />

zu gebün<strong>de</strong>lter Geltendmachung von Ansprüchen aufrufen und<br />

sich dabei als „Wegbereiter für Anlegerrechte“ bezeichnen und<br />

mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Slogan werben: „Gemeinsam kommen Sie zu Ihrem<br />

Recht!“, 4 dann ist es <strong>de</strong>r jeweilige Futtermittelskandal o<strong>de</strong>r Anleger-Scha<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r die erneute Diskussion über Sammelklagen<br />

anstößt.<br />

Zu<strong><strong>de</strong>m</strong> sollten wir nicht vergessen, dass es oft erst die <strong>Aus</strong>weitung<br />

materiellrechtlicher Haftungsgrundlagen 5 ist, die dieser<br />

Diskussion eine praxisrelevante Perspektive verschafft.<br />

Das Prozessrecht hat mit seiner relativen Autonomie vom materiellen<br />

Recht <strong>de</strong>n Vorzug, dass es seinen Blick ungetrübt von<br />

<strong>de</strong>n je beson<strong>de</strong>ren Bedürfnissen <strong>de</strong>s materiellen Rechts auf die<br />

Verfahrenseffizienz und -gerechtigkeit konzentrieren kann. Es<br />

muss freilich stets <strong>de</strong>n Test <strong>de</strong>r Bewährung im konkreten<br />

Prozess bestehen.<br />

Die angesprochenen konzeptionellen Fragen tauchen nicht nur<br />

in <strong>de</strong>r Kammer 17 für Han<strong>de</strong>lssachen in Frankfurt auf. Auch im<br />

Zusammenhang mit an<strong>de</strong>ren, auf Zahlung gerichteten Massenklagen,<br />

die bereits geführt wur<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r auf die wir uns in Zukunft<br />

vorbereiten müssen, gerät unser gelten<strong>de</strong>s Verfahrensrecht<br />

schnell an seine quantitativen wie qualitativen Grenzen.<br />

3 http://www.vistaver<strong>de</strong>.<strong>de</strong>/news/politik/0206/20_nitrofen.htm.<br />

4 S. z.B. http://www.tilp.com/pa/66_168.htm; http://www.sammelklagen-forum.<strong>de</strong>/anwalt/;<br />

http://www.rotter-rechtsanwaelte.info; http://<br />

www.dr-schulte.<strong>de</strong>/sammelklagen.htm.<br />

5 Wie z.B. §§ 37b, c WpHG o<strong>de</strong>r die geplanten haftungsrechtlichen<br />

Neuregelungen im Kapitalmarktrecht.


160 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Koch, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

Ich möchte <strong>de</strong>n Blick nur beispielhaft lenken auf Massenverfahren<br />

6<br />

– bei an<strong>de</strong>ren Formen <strong>de</strong>r Täuschung von Kapitalanlegern,<br />

– bei Großunfällen mit Verkehrsmitteln,<br />

– bei Arzneimittelschä<strong>de</strong>n,<br />

– bei Massenkonflikten im Arbeitsrecht (diskriminieren<strong>de</strong> Bezahlung,<br />

Massen-Än<strong>de</strong>rungs-Kündigungen),<br />

– bei Verbraucherklagen gegen unbillige Formularbedingungen,<br />

zu hohe Zinsbelastungen o<strong>de</strong>r Serienschä<strong>de</strong>n bei<br />

Produktfehlern,<br />

– bei Umweltschä<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen zahlreiche Bürger betroffen<br />

sind.<br />

Eine solche Aufzählung disparater Erscheinungsformen von<br />

Massenverfahren, die sich noch durch Beispiele aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Verwaltungs-<br />

und sogar Verfassungsprozessrecht ergänzen ließe,<br />

müsste eigentlich geordnet und systematisiert wer<strong>de</strong>n. Ich will<br />

mich dieser Mühe hier aber noch nicht unterziehen, weil die<br />

prozessualen Probleme, <strong>de</strong>nen ich mich vor allem widmen<br />

möchte, in <strong>de</strong>n unterschiedlichen Gebieten ganz vergleichbar<br />

sind: All diese bereits erfahrenen o<strong>de</strong>r zu erwarten<strong>de</strong>n Beispiele<br />

machen, wenn man sie verfahrensrechtlich durchspielt,<br />

<strong>de</strong>utlich, was <strong>de</strong>r Frankfurter Landgerichtspräsi<strong>de</strong>nt mit seiner<br />

eingangs zitierten Bemerkung über unser unzureichen<strong>de</strong>s Prozessrecht<br />

gemeint hat: Es ist in keiner Weise für solche Massenverfahren<br />

gerüstet.<br />

III. Unzulängliches <strong>de</strong>utsches Zivilprozessrecht<br />

6 Überblick über die vielfältigen Rechtsgebiete: Hopt/Baetge, Rechtsvergleichung<br />

und Reform <strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Rechts – Verbandsklage<br />

und Gruppenklage, in: Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bün<strong>de</strong>lung<br />

gleichgerichteter Interessen im Prozess, 1999, 13 ff.; Koch/Willingmann,<br />

Großschä<strong>de</strong>n und ihre Abwicklung, in: dies., Großschä<strong>de</strong>n –<br />

Complex Damages. Rechtliche und alternative Regulierungsstrategien<br />

im In- und <strong>Aus</strong>land (1998), 11 ff.; Koch, Haftung für Massenschä<strong>de</strong>n,<br />

JZ 1998, 801.<br />

7 Heß, Sammelklagen im Kapitalmarktrecht, AG 2003, 113, 114. Nw.<br />

aus <strong>de</strong>r älteren Lit. bei Koch, Alternativen zum Zweiparteiensystem<br />

im Zivilprozess, KritV 1989, 323.<br />

8 Heß, a.a.O.; Fleischer, in: Gutachten F. 117 zum 64. DJT (Bd. I<br />

2002), spricht von „Abstoßungsreaktion“ bei Transplantationsversuchen<br />

ausländischer Sammelklageregeln.<br />

1. Grün<strong>de</strong> für Verfahrensrechts-Defizite<br />

a) Dem <strong>de</strong>utschen Zivilprozessrecht liegt das traditionelle Mo<strong>de</strong>llverständnis<br />

zugrun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Prozess sei ein Streit zwischen<br />

zwei individuellen Parteien. 7 Daher kann es auch bei evi<strong>de</strong>nten<br />

multilateralen und Massenkonflikten nur mit <strong>de</strong>ren Reduktion<br />

auf eine bilaterale Streitstruktur reagieren, also macht es aus<br />

hun<strong>de</strong>rten von Klägern mit gleichem Anliegen nur „die Kläger“<br />

und platziert sie (nicht nur im Gerichtssaal und im Entscheidungsrubrum)<br />

alle zusammen auf einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Seiten <strong>de</strong>r<br />

Verfahrensbeteiligten.<br />

„Im <strong>de</strong>utschen Prozessrecht trifft die Diskussion um die Einführung<br />

kollektiver Rechtsbehelfe auf strukturelle Abwehr“, heißt<br />

es <strong>de</strong>nn auch in immer wie<strong>de</strong>rkehren<strong>de</strong>n, nur scheinbar beschreiben<strong>de</strong>n<br />

Kommentaren, 8 die wohl so viel be<strong>de</strong>uten sollen<br />

wie: solche spezifischen Formen von Sammelklagen sind unerwünscht,<br />

überflüssig.<br />

b) Das führt zu zwei (aufeinan<strong>de</strong>r aufbauen<strong>de</strong>n) Fragen: Weist<br />

das gelten<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsche Prozessrecht wirklich einen <strong>de</strong>fizitären<br />

Befund an geeigneten Rechtsbehelfen bei Massenklagen auf<br />

Und wenn dies bejaht wird: Lassen sich aus <strong>de</strong>n vielfältigen Erfahrungen,<br />

die man im <strong>Aus</strong>land mit kollektiven Rechtsschutzformen<br />

gesammelt hat, Anregungen für entsprechen<strong>de</strong> Abhilferegeln<br />

gewinnen<br />

Wenn von „geeigneten Rechtsbehelfen“ und von „Abhilferegelungen“<br />

die Re<strong>de</strong> ist, so sind damit zwei zu unterschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Kriterien gemeint, an <strong>de</strong>nen die Eignung zu messen ist und die<br />

zusammengefasst mit „effiziente Rechtsdurchsetzung“ bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n können. Einmal geht es um das prozessökonomische<br />

Anliegen <strong>de</strong>s Frankfurter Landgerichtspräsi<strong>de</strong>nten: Wie<br />

lassen sich hun<strong>de</strong>rte o<strong>de</strong>r tausen<strong>de</strong> von Verfahren mit im Wesentlichen<br />

gleichen Rechtsschutzanliegen mit vertretbarem<br />

Aufwand bei Beachtung <strong>de</strong>r grundlegen<strong>de</strong>n Verfahrensgarantien<br />

bewältigen Zum an<strong>de</strong>ren ist das Effizienzkriterium auch i.S.<br />

<strong>de</strong>r wirkungsvollen Umsetzung materiell-rechtspolitischer Ziele<br />

auszulegen: Wenn z.B. das Vertrauen in die Kapitalmärkte<br />

und in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Börsenplatz wie<strong>de</strong>rhergestellt wer<strong>de</strong>n<br />

soll, dann sind auch die Rechtsschutz-Möglichkeiten geschädigter<br />

Anlieger zu verbessern.<br />

2. Möglichkeiten <strong>de</strong>r Anspruchsbün<strong>de</strong>lung im gelten<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen<br />

Recht<br />

Wenn auch die Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Zivilprozess, mit komplexen<br />

und Massenverfahren fertig zu wer<strong>de</strong>n, erst in neuerer<br />

Zeit verstärkt an ihn gestellt wer<strong>de</strong>n, gibt es doch sowohl im<br />

gelten<strong>de</strong>n Prozessrecht als auch in verschie<strong>de</strong>nen materiellrechtlichen<br />

Zusammenhängen ansatzweise Möglichkeiten <strong>de</strong>r<br />

Bün<strong>de</strong>lung von Ansprüchen. Sie sind schon verschie<strong>de</strong>ntlich<br />

auf ihre Eignung für die aktuellen Anfor<strong>de</strong>rungen überprüft<br />

wor<strong>de</strong>n 9 und sollen an dieser Stelle nur noch überblickartig mit<br />

Hinweisen zu ihren Leistungsgrenzen erwähnt wer<strong>de</strong>n.<br />

a) Der klassische Weg <strong>de</strong>r Streitgenossenschaft (§§ 59 ff. ZPO)<br />

und <strong>de</strong>r gerichtlichen Prozessverbindung (§ 147 ZPO) ist in<br />

vielen <strong>de</strong>r hier diskutierten Massenklagen entwe<strong>de</strong>r mangels<br />

gleichzeitiger Anhängigkeit o<strong>de</strong>r gemeinsamer Zuständigkeit<br />

für alle Verfahren nicht gangbar o<strong>de</strong>r erweist sich wegen begrenzter<br />

Repräsentations- und Bindungswirkung als wenig effizient.<br />

10<br />

b) Wird <strong>de</strong>r Versuch gemacht, zahlreiche, auf die gleiche Ursache<br />

zurückzuführen<strong>de</strong> Ansprüche durch Abtretung o<strong>de</strong>r Einziehungsermächtigung<br />

an einen Treuhän<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r an eine Interessengemeinschaft<br />

zu bün<strong>de</strong>ln, so scheitert dies bisher an <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

(m.E. funktionswidrig angewandten) Rechtsberatungsverbot <strong>de</strong>s<br />

Art. 1 § 1 RBerG. 11 Selbst wenn eine solche Abtretung ausdrücklich<br />

gesetzlich ermöglicht wird – wie jüngst im Falle <strong>de</strong>r<br />

Einziehungs- o<strong>de</strong>r Musterverbandsklage <strong>de</strong>s Art. 1 § 3 Nr. 8<br />

RBerG –, versperrt das OLG Düsseldorf mit gera<strong>de</strong>zu sinnwidriger<br />

Argumentation diese Verfahrensmöglichkeit, in<strong><strong>de</strong>m</strong> es die<br />

Aktivlegitimation <strong>de</strong>s Zessionars mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Hinweis verneint, die<br />

Einziehung <strong>de</strong>r konkret abgetretenen For<strong>de</strong>rung könne nicht im<br />

allgemeinen Interesse <strong>de</strong>s Verbraucherschutzes liegen. 12 Hier<br />

9 Vgl. W. Lüke, Die Beteiligung Dritter im Zivilprozess (1993), 12 ff.;<br />

Hopt/Baetge (o. Fn. 6), 54 ff.; Koch, Prozessführung im öffentlichen<br />

Interesse (1983), 126 ff., 141 ff.; Haß, Die Gruppenklage – Wege<br />

zur prozessualen Bewältigung von Massenschä<strong>de</strong>n (1996), 63 ff.;<br />

Heß, AG 2003, 113, 119 ff.; Stadler, Bün<strong>de</strong>lung von Verbraucherinteressen<br />

im Zivilprozess, in: Brönneke (Hg.), Kollektiver Rechtsschutz<br />

im Zivilprozessrecht (2001), 3 ff.; Baums (Hg.), Bericht <strong>de</strong>r<br />

Regierungskommission „Corporate Governance“ (2001), Rdnr. 189.<br />

10 Stadler, Bün<strong>de</strong>lung von Verbraucherinteressen (o. Fn. 9), 4; Koch, JZ<br />

1998, 801, 804.<br />

11 Stadler, Bün<strong>de</strong>lung von Verbraucherinteressen (o. Fn. 9), 7; Haß,<br />

Gruppenklage (o. Fn. 9), 169 ff.<br />

12 NJW 2004, 1532; dazu krit. Micklitz/Beuchler, das. 1502. Zur zutreffen<strong>de</strong>n<br />

Charakterisierung dieser Klage als Fall <strong>de</strong>r gesetzlichen<br />

Prozessstandschaft vgl. Stadler, Musterverbandsklagen nach künftigem<br />

<strong>de</strong>utschen Recht, in: FS Schumann (2001), 465.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 161<br />

Koch, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

hilft wohl nur eine Klarstellung im neuen Rechtsdienstleistungsgesetz<br />

(RDG). 13<br />

c) Mit seiner Anerkennung <strong>de</strong>r Parteifähigkeit <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

bürgerlichen Rechts 14 hat <strong>de</strong>r BGH noch einen an<strong>de</strong>ren Weg<br />

für die gemeinsame Verfolgung zahlreicher Ansprüche eröffnet:<br />

Sie kann <strong>de</strong>n Gesellschaftszweck darstellen, so dass zahlreiche<br />

Betroffene als GbR klagen können, es also einer prozessualen<br />

Bün<strong>de</strong>lung gar nicht bedarf: Es tritt nur ein Kläger auf, nämlich<br />

die Geschädigten-GbR. Da sie eine Gelegenheitsgesellschaft ist<br />

und kaum eine aufwendige Organsiationsstruktur erfor<strong>de</strong>rt, betreibt<br />

sie keine geschäftsmäßige Rechtsbesorgung i.S. <strong>de</strong>s<br />

RBerG. Auch kann angesichts <strong>de</strong>r nur gesamthän<strong>de</strong>rischen Bindung<br />

<strong>de</strong>r Gesellschafter-Ansprüche nicht von Besorgung frem<strong>de</strong>r<br />

Rechtsangelegenheiten die Re<strong>de</strong> sein, 15 so dass die Geschädigten-GbR<br />

nicht durch das RBerG behin<strong>de</strong>rt wird. Da es sich<br />

um eine Klage han<strong>de</strong>lt, gibt es auch keine Probleme mit unterschiedlichen<br />

Zuständigkeiten, verschie<strong>de</strong>nartiger Bindungswirkung<br />

o<strong>de</strong>r Verjährungshemmung, so dass diese Form <strong>de</strong>r Kumulierung<br />

mit <strong><strong>de</strong>m</strong> geringsten Aufwand verbun<strong>de</strong>n ist. Dass sie<br />

bisher noch wenig genutzt wird, dürfte einmal an <strong>de</strong>r noch ungewohnten<br />

Form <strong>de</strong>r Bün<strong>de</strong>lung, zum an<strong>de</strong>ren an <strong>de</strong>r immerhin<br />

erfor<strong>de</strong>rlichen Initiative je<strong>de</strong>s einzelnen Geschädigten liegen,<br />

<strong>de</strong>r seinen Anspruch in die Gesellschaft einbringen und<br />

sich mit <strong>de</strong>n übrigen Beteiligten auf gemeinsames prozessuales<br />

Vorgehen (je<strong>de</strong>nfalls Mandatierung eines Anwalts) verständigen<br />

muss. Auch die Grenzen anwaltlicher Werbung könnten dabei<br />

eine Rolle spielen, auch wenn sie immer weiter hinausgeschoben<br />

wer<strong>de</strong>n. Vielleicht ist auch das anwaltliche Interesse an solcher<br />

Kon<strong>de</strong>nsierung zu einem Mandat (Gebühren<strong>de</strong>gression,<br />

nur einmalige Gebühr nach § 7 RVG ohne Erhöhung) nicht so<br />

ausgeprägt wie bei an<strong>de</strong>ren insoweit ertragreicheren Formen<br />

<strong>de</strong>r Kollektivierung wie bei <strong>de</strong>r Streitgenossenschaft.<br />

d) Die Verbandsklage <strong>de</strong> lege lata hat selbst <strong>de</strong>r europäische<br />

Richtliniengeber auf <strong>de</strong>n Unterlassungsrechtsschutz beschränkt.<br />

16 Versuche, mit einer Verbandsklage auch Zahlungsansprüche<br />

gebün<strong>de</strong>lt geltend zu machen, scheitern entwe<strong>de</strong>r<br />

an <strong>de</strong>n bereits erwähnten Zweifeln an <strong>de</strong>r Aktivlegitimation<br />

o<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n hohen Anfor<strong>de</strong>rungen an eine gewillkürte Prozessstandschaft,<br />

die die Rechtsprechung bisher nur vereinzelt als<br />

erfüllt angesehen hat. 17<br />

e) Musterprozesse sind folglich die am häufigsten genutzte<br />

Möglichkeit <strong>de</strong>r Bün<strong>de</strong>lung von Massenklagen – wenn es <strong>de</strong>nn<br />

eine solche Bün<strong>de</strong>lung ist: Denn es wer<strong>de</strong>n dabei gera<strong>de</strong> nicht<br />

zahlreiche Klagen zusammengefasst, son<strong>de</strong>rn einzelne, möglichst<br />

repräsentative Verfahren exemplarisch herausgegriffen<br />

(wie in Frankfurt), um später die zahlreichen an<strong>de</strong>ren Ansprüche/Verfahren<br />

nach diesem Mo<strong>de</strong>ll behan<strong>de</strong>ln zu können.<br />

Was heißt Musterprozess Er kann seine exemplarische Funktion<br />

entwe<strong>de</strong>r im Wege <strong>de</strong>r Vereinbarung zwischen <strong>de</strong>n Parteien<br />

erhalten 18 – vorausgesetzt, es gelingt, alle o<strong>de</strong>r möglichst viele<br />

Beteiligte dafür zu gewinnen. Allerdings kann eine echte<br />

Rechtskrafterstreckung damit noch nicht erreicht wer<strong>de</strong>n. 19<br />

O<strong>de</strong>r aber – wie in Frankfurt geschehen – es ist das Gericht, das<br />

13 Der DiskE <strong>de</strong>s BMJ, NJW Beilage zu Heft 38/04 entspricht in <strong>de</strong>r<br />

Formulierung im Wesentlichen nur <strong><strong>de</strong>m</strong> bisherigen § 3 Nr. 8 RBerG:<br />

„Rechtsdienstleistungen durch … Verbraucherverbän<strong>de</strong> … sind erlaubt,<br />

soweit sie innerhalb <strong>de</strong>s jeweiligen Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs<br />

erbracht wer<strong>de</strong>n“ (§ 8 Nr. 3 RDG).<br />

14 BGHZ 146, 341.<br />

15 So auch Heß, AG 2003, 113, 123.<br />

16 Rl. 98/27/EG v. 19.5.1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz<br />

<strong>de</strong>r Verbraucherinteressen, ABl. EG 11.6.1998, L 166/51.<br />

17 Vgl. BGHZ 89, 2; Zöller/Vollkommer, ZPO (24. Aufl. 2004), Vor<br />

§ 50 Rdnr. 60.<br />

18 Zu <strong>de</strong>n unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten vgl. Jakoby,<br />

Der Musterprozessvertrag (2000).<br />

19 Statt vieler Zöller/Vollkommer, ZPO § 325 Rdnr. 43a, 43b.<br />

von zahlreichen, gleichzeitig anhängigen Verfahren einzelne<br />

herausgreift, vorzugsweise terminiert und entschei<strong>de</strong>t, um sodann<br />

die zurückgestellten Verfahren später in gleicher Weise<br />

wie das Musterverfahren zu entschei<strong>de</strong>n (o<strong>de</strong>r aber um die an<strong>de</strong>ren<br />

Verfahren mit <strong>de</strong>r Präze<strong>de</strong>nzwirkung <strong>de</strong>r Musterentscheidung<br />

einer vergleichsweisen Lösung zuzuführen). Eine<br />

Selbstbindung im prozessualen Sinne ist dies freilich nicht.<br />

Vielmehr hat eine Musterentscheidung insoweit nur „persuasive<br />

authority“. – Ob eine solche abgestufte Terminierung im<br />

Hinblick auf das Beschleunigungsgebot <strong>de</strong>s § 272 Abs. 3 und<br />

<strong>de</strong>n prozessualen Gleichbehandlungsgrundsatz vom richterlichen<br />

Terminsbestimmungs-Ermessen 20 ge<strong>de</strong>ckt ist, ist bekanntlich<br />

umstritten. Immerhin lässt sich eines <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen<br />

Probleme (das in Frankfurt aufgetaucht ist), nämlich das<br />

<strong>de</strong>r Gleichbehandlung bei richterlichen Hinweisen, wohl dadurch<br />

lösen, dass diese schriftlich und allen Beteiligten eines<br />

Massenverfahrens mitgeteilt wer<strong>de</strong>n. 21 Mit <strong><strong>de</strong>m</strong> geplanten Kap-<br />

MuG soll dies bekanntlich auf eine gesetzliche Grundlage gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n; darauf ist zurückzukommen.<br />

IV. Kollektive Rechtsschutzformen im <strong>Aus</strong>land<br />

Auch hier kann ich mich angesichts intensiver rechtsvergleichen<strong>de</strong>r<br />

Vorarbeiten auf wenige Hinweise beschränken. 22<br />

1. Class action in <strong>de</strong>n USA (Canada, <strong>Aus</strong>tralien, Neuseeland)<br />

Inbegriff <strong>de</strong>r Sammelklage und für viele das Allheilmittel, für<br />

an<strong>de</strong>re das Schreckgespenst schlechthin ist die US-amerikanische<br />

class action. 23 Sie ist nicht nur unter rechtspolitischer und<br />

rechtsvergleichen<strong>de</strong>r Perspektive für uns interessant, son<strong>de</strong>rn<br />

auch <strong>de</strong>swegen, weil in <strong>de</strong>r internationalen forensischen Praxis<br />

immer häufiger auch hiesige geprellte Verbraucher, Anleger,<br />

Unfallopfer sich an class actions in <strong>de</strong>n USA auch gegen europäische<br />

beklagte Unternehmen beteiligen. Dies wird einmal<br />

durch die ungewöhnlich großzügigen Zuständigkeitsregeln in<br />

<strong>de</strong>n USA ermöglicht und verleiht <strong><strong>de</strong>m</strong> Wettbewerb <strong>de</strong>r „Justizplätze“<br />

immer größere Be<strong>de</strong>utung. Das „forum shopping“ wird<br />

durch die jeweilige Anwaltschaft daher nachdrücklich betrieben.<br />

24 Man <strong>de</strong>nke an das amerikanische Telekom-Parallelverfahren<br />

(u. Fn. 26) o<strong>de</strong>r an die im März 2005 in New York begonnene<br />

Verhandlung um die WorldCom-Pleite, in <strong>de</strong>r auch<br />

<strong>de</strong>utsche Anleger gegen die Deutsche Bank, Morgan Chase,<br />

Warburg u. a. klagen.<br />

Die class action eröffnet einer Partei (und ihrem Anwalt) die<br />

Möglichkeit, vor Gericht das Interesse vieler gleichartig Betroffener<br />

zusammen mit ihrem eigenen geltend zu machen, ohne dass<br />

diese formal beteiligt wer<strong>de</strong>n müssten. Die (Rechtskraft-)-Wirkung<br />

einer Entscheidung 25 erstreckt sich gleichwohl auf sämtli-<br />

20 Vgl. dazu Zöller/Stöber, ZPO § 216 Rdnr. 18.<br />

21 So Papst, NJW-Aktuell Heft 1 – 2/2005, XVIII.<br />

22 Statt vieler Basedow/Hopt/Kötz/Baetge, Die Bün<strong>de</strong>lung gleichgerichteter<br />

Interessen im Prozess (o. Fn. 6).<br />

23 Im Internet fin<strong>de</strong>n sich bei google unter <strong><strong>de</strong>m</strong> Begriff „Sammelklagen“<br />

mehr als 500 Einträge, die überwiegend die amerikanische<br />

class action betreffen und die erörterten Bewertungen z.T. in drastischer<br />

Formulierung enthalten. – In <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Literatur wur<strong>de</strong><br />

die class action monographisch zuerst vorgestellt von Koch, Kollektiver<br />

Rechtsschutz im Zivilprozess (1976); aus neuerer Zeit Eichholtz,<br />

Die US-amerikanische class action und ihre <strong>de</strong>utschen Funktionsäquivalente<br />

(2002); Haß, Gruppenklage (o. Fn. 9); Stadler, in:<br />

Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht (o. Fn. 9)<br />

13 ff.<br />

24 Vgl. Koch, Klagetourismus für höheren Scha<strong>de</strong>nsersatz bei Großschä<strong>de</strong>n<br />

Forum Shopping in <strong>de</strong>n USA und seine Grenzen, in: Koch/<br />

Willingmann (Hg.), Mo<strong>de</strong>rnes Scha<strong>de</strong>nsmanagement bei Großschä<strong>de</strong>n<br />

(2002), 15 ff.<br />

25 Nicht nur im (seltenen) Fall eines Urteils, son<strong>de</strong>rn auch im Falle <strong>de</strong>s<br />

häufigeren gerichtlich bestätigten Vergleichs, s. Koch, ZZP 2000,<br />

413, 424.


162 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Koch, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

che Betroffene (die gerichtlich bezeichneten class-Mitglie<strong>de</strong>r),<br />

die nicht ausdrücklich ihren <strong>Aus</strong>schluss aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Verfahren begehrt<br />

haben. Es sind also zwei Charakteristika <strong>de</strong>r US-amerikanischen<br />

class action, die diese von ähnlichen Klageformen in Kanada,<br />

<strong>Aus</strong>tralien und Schwe<strong>de</strong>n unterschei<strong>de</strong>n und die je<strong>de</strong>n<br />

Transplantationsversuch in das übrige Europa massiv behin<strong>de</strong>rn:<br />

– Das eine Merkmal ist die bereits ange<strong>de</strong>utete unternehmerische<br />

Rolle, die <strong>de</strong>r Anwalt <strong>de</strong>s „class representative“ spielt.<br />

Die sog. American rule <strong>de</strong>s Kostenrechts und die Zulässigkeit<br />

von Erfolgshonorarvereinbarungen sowie die weitgehen<strong>de</strong><br />

anwaltliche Werbefreiheit haben die class action zu einem<br />

höchst effektiven, aber auch missbrauchsanfälligen Instrument<br />

in <strong>de</strong>r Hand amerikanischer Anwälte gemacht, das in<br />

<strong>de</strong>r Regel dazu führt, dass die Parteien schon bei bloßer Zulassung<br />

<strong>de</strong>r Klage als class action eine vergleichsweise Beendigung<br />

<strong>de</strong>s Rechtsstreits suchen – nicht zum Nachteil <strong>de</strong>r Anwälte,<br />

versteht sich. 26<br />

– Das zweite Charakteristikum <strong>de</strong>r damages class action nach<br />

Rule 23 b (3) Fed. R. Civ. Proc. ist <strong>de</strong>r sog. opt-out-Mechanismus:<br />

Wer als Betroffener nicht vom „class representative“<br />

vertreten wer<strong>de</strong>n will, muss seinen <strong>Aus</strong>tritt aus <strong>de</strong>r class erklären.<br />

Wer untätig bleibt, wird von <strong>de</strong>r Bindungswirkung einer<br />

Entscheidung o<strong>de</strong>r eines Vergleichs erfasst.<br />

Die immer noch an<strong>de</strong>rsartige Rolle <strong>de</strong>s Anwalts in Europa und<br />

die Probleme, die eine solche Regelung im Lichte <strong>de</strong>s Grundsatzes<br />

rechtlichen Gehörs mit sich bringt, stehen einer einfachen<br />

Übertragung <strong>de</strong>r class action nach Deutschland zweifellos im<br />

Wege, wenn wir es uns auch in <strong>de</strong>r aktuellen rechtspolitischen<br />

Diskussion um Justiz-Standort und angemessenen Rechtsschutz<br />

für große Gruppen Betroffener nicht so leicht machen und die<br />

class action in Bausch und Bogen verdammen sollten.<br />

2. Grupptalan in Schwe<strong>de</strong>n<br />

Das für die passiven Gruppenmitglie<strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rliche rechtliche<br />

Gehör hat übrigens dazu geführt, dass bei <strong>de</strong>r jüngst in<br />

Schwe<strong>de</strong>n nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Vorbild <strong>de</strong>r class action eingeführten<br />

„Grupptalan“ 27 gera<strong>de</strong> dieser opt-out-Mechanismus zugunsten<br />

eines opting in ersetzt wur<strong>de</strong>: Wer ohne formelle Beteiligung<br />

am Prozess an <strong>de</strong>ssen Ergebnis gleichwohl teilhaben (also im<br />

positiven wie im negativen Sinne gebun<strong>de</strong>n sein) will, muss zuvor<br />

seine Beteiligung am Verfahren beantragen. Interessant sind<br />

die schwedische Zulassung von Einzelpersonen, aber auch von<br />

Verbän<strong>de</strong>n und sogar Behör<strong>de</strong>n als Gruppenkläger, und die<br />

dortige Lösung <strong>de</strong>s Prozesskostenproblems: Das einfache<br />

Gruppenmitglied haftet dafür nicht, aber <strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die Gruppenkläger<br />

können ihr Kostenrisiko durch eine gerichtlich zu genehmigen<strong>de</strong><br />

Erfolgsbeteiligungsvereinbarung mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Anwalt<br />

begrenzen. Für risikofreudige Anwälte eröffnet sich damit ein<br />

attraktives Betätigungsfeld. – Von einigen solcher Verfahren<br />

wird bereits berichtet (z.B. gegen die Skandia-Versicherungsgruppe<br />

wegen ver<strong>de</strong>ckter Gewinnausschüttungen); die befürchtete<br />

Klageflut ist freilich ausgeblieben.<br />

3. Group litigation in England<br />

Das neue englische Zivilprozessrecht 28 sieht bei „multi-party<br />

cases“ vor allem ein weites gerichtliches Verfahrensermessen<br />

26 So auch im amerikanischen Parallelprozess zum Frankfurter Telekom-Verfahren:<br />

In re Deutsche Telekom AG Securities Litigation,<br />

229 F.Supp. 2nd 277 (S.D.N.Y. 2002), <strong>de</strong>r nach Zulassung am<br />

29.10.2002 bekanntlich mit einer Zahlung von ca. 100 Mio. $ an<br />

die amerikanischen Aktionäre verglichen wur<strong>de</strong>.<br />

27 Lag (2002: 599) om Grupprättegång, dazu Stengel/Hakeman, Gruppenklage<br />

– Ein neues Institut im schwedischen Zivilverfahrensrecht,<br />

RIW 2004, 221. Dazu schon Dopffel/Scherpe, in: Basedow et al.<br />

Die Bün<strong>de</strong>lung gleichgerichteter Interessen (o. Fn. 6), 429 ff.; Lindblom<br />

45 Am.J.Comp.L. (1997), 805, bes. 824 ff.<br />

vor: So kann das Gericht eine Group Litigation Or<strong>de</strong>r erlassen,<br />

mit <strong>de</strong>r nach öffentlicher Bekanntmachung ein Klageregister<br />

eingerichtet wird, in das sich Betroffene eintragen müssen, um<br />

im Verfahren berücksichtigt zu wer<strong>de</strong>n. Das Gericht ernennt einen<br />

„lead solicitor“, kann das Verfahren weiter strukturieren,<br />

einzelne „test cases“ herausgreifen, <strong>de</strong>ren Entscheidung für zurückgestellte<br />

Verfahren dann verbindlich ist, und auch über die<br />

Verteilung <strong>de</strong>r Verfahrenskosten entschei<strong>de</strong>n.<br />

4. Mo<strong>de</strong>lle und europäische Trends<br />

Die rechtsvergleichen<strong>de</strong> Umschau ließe sich durch einen Blick<br />

auf noch an<strong>de</strong>re und nicht unbedingt exotische Rechte erweitern:<br />

In Frankreich wird jüngst die Einführung einer class action<br />

kontrovers diskutiert; 29 Verbandsklagen auf Scha<strong>de</strong>nsersatz,<br />

wenngleich auf <strong>de</strong>n immateriellen Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Allgemeinheit<br />

begrenzt – sind im gelten<strong>de</strong>n französischen und griechischen<br />

Recht verbreitet, 30 und beson<strong>de</strong>re Vertreterklagen im österreichischen<br />

und schweizerischen Recht ermöglichen als actiones<br />

pro socio in beson<strong>de</strong>ren Gebieten ebenfalls gesammelte<br />

Geltendmachung von Ansprüchen. 31 Diese Erscheinungsformen<br />

beginnen sich unter massivem europäischen Einfluss anzunähern,<br />

je<strong>de</strong>nfalls in ihrem Ziel verbesserter effektiver Rechtsdurchsetzung<br />

in bestimmten Politikbereichen (wie Verbraucherund<br />

Umweltschutz). Die prozessualen Instrumente zur Erreichung<br />

solcher Ziele sind (wie Art. 249 Abs. 3 EG dies zulässt) in<br />

<strong>de</strong>n Mitgliedsstaaten noch unterschiedlich und lassen sich vereinfachend<br />

in drei Mo<strong>de</strong>llkonzepte – nämlich Verbandsklagen<br />

– Sammelklagen – Musterklagen – einteilen. Die Verbandsklage<br />

spielt allerdings in diesem Arsenal insofern eine Son<strong>de</strong>rrolle, als<br />

sie nicht notwendig die an<strong>de</strong>ren Mo<strong>de</strong>lle ausschließt, son<strong>de</strong>rn<br />

durchaus auch als Musterverfahren durch Verbän<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r gar als<br />

Sammelklage mit einem Verband als Repräsentanten <strong>de</strong>nkbar<br />

ist. 32 Wenn wir nämlich die Bedürfnisse nach Verbesserungen<br />

im kollektiven Rechtsschutz nach ihren materiell-rechtlichen<br />

und verfahrensrechtlichen Ursachen unterschei<strong>de</strong>n, so zeigt<br />

sich alsbald, dass Verbandsklagen unter Effizienzgesichtspunkten<br />

beson<strong>de</strong>rs dort an<strong>de</strong>ren Bün<strong>de</strong>lungsformen überlegen sind,<br />

wo Rechtsdurchsetzung und -bewährung durch private Kläger<br />

mangels hinreichen<strong>de</strong>r Anreize kaum stattfin<strong>de</strong>t (also z.B. bei<br />

Bagatell- o<strong>de</strong>r diffusen Umwelt- und Verbraucherschä<strong>de</strong>n).<br />

Dort geht es also eher um die Verfolgung rechtspolitischer (materiell-rechtlicher)<br />

Zielsetzungen. – An<strong>de</strong>rs, wo Einzelklagen<br />

durchaus <strong>de</strong>n Aufwand lohnen, also unabhängig davon erhoben<br />

wür<strong>de</strong>n, ob dies auch an<strong>de</strong>re tun: In diesem Falle geht es<br />

bei zahlreichen Klagen um Prozessökonomie. Auf solche Massenklagen<br />

will ich mich abschließend konzentrieren und Sammelklagen<br />

und Musterverfahren einan<strong>de</strong>r gegenüberstellen.<br />

V. Sammelklage und Musterverfahren: Vorzüge und Nachteile<br />

1. Vertretung Betroffener<br />

Sammelklage und Musterverfahren unterschei<strong>de</strong>n sich zunächst<br />

voneinan<strong>de</strong>r in <strong><strong>de</strong>m</strong> gänzlich unterschiedlichen Repräsentationskonzept:<br />

28 Civil Procedure Rules 1998 und Practice Directions 2000; dazu<br />

Andrews, ZZPInt (2000), 3; Hodges, Multi-Party Actions (2001);<br />

Greger, JZ 2002, 1020.<br />

29 Han<strong>de</strong>lsblatt, 5.2.2005, S. 7: „Frankreich will Sammelklagen zulassen“.<br />

NJW-aktuell Nr. 8/2005 XII.<br />

30 Puttfarken/Franke und Papathoma-Baetge, in: Basedow/Hopt/Kötz/<br />

Baethge, Die Bün<strong>de</strong>lung gleichgerichteter Interessen (o. Fn. 6), 147<br />

und 187; Koch, ZZP 113 (2000), 413, 420 ff.<br />

31 Heß, AG 2003, 113, 117 f.<br />

32 In diese Richtung gehen die rechtspolitischen Vorschläge von Stadler<br />

und Micklitz in ihrem Gutachten für das BMVEL: Das Verbandsklagerecht<br />

in <strong>de</strong>r Informations- und Dienstleistungsgesellschaft,<br />

hrsg. vom Institut für Europäisches Wirtschafts- und Verbraucherrecht<br />

VIEW 2005.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 163<br />

Koch, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

In einem Musterverfahren wer<strong>de</strong>n unabhängig davon, ob mit<br />

o<strong>de</strong>r ohne gesetzliche Grundlage praktiziert, an<strong>de</strong>re gleichartig<br />

Betroffene nicht vom Musterkläger in irgen<strong>de</strong>iner Weise rechtlich<br />

vertreten. Allenfalls wer<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>re Verfahren (vom Gericht<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Parteien) nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Vorbild dieses Musterprozesses<br />

behan<strong>de</strong>lt und abgewickelt.<br />

Das ist bei <strong>de</strong>r Sammelklage an<strong>de</strong>rs: Bei ihr fin<strong>de</strong>t eine echte<br />

Repräsentation statt, die nur unterschiedlich weit reicht: Die<br />

„representative party“ einer amerikanischen class action vertritt<br />

zugleich die (vom Gericht näher bezeichneten) class-Mitglie<strong>de</strong>r<br />

im Verfahren; jene gelten also ebenfalls als Parteien im Prozess,<br />

obwohl sie völlig untätig bleiben können. Wir haben es<br />

also mit einer Art „Selbstorganschaft“ zu tun: Der Kläger macht<br />

zugleich eigene Ansprüche und die <strong>de</strong>r class-Mitglie<strong>de</strong>r geltend.<br />

2. Bindungswirkung<br />

Dieses Repräsentationskonzept hat natürlich Folgen für die<br />

Bindungswirkung. Der Unterschied zwischen Sammelklage<br />

und Musterverfahren besteht vor allem darin, wie das repräsentativ<br />

vor Gericht verhan<strong>de</strong>lte Verfahren für die größere Zahl <strong>de</strong>r<br />

repräsentierten Verfahren Verbindlichkeit erlangen kann.<br />

Im Falle <strong>de</strong>r Sammelklage nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Muster <strong>de</strong>r class action<br />

o<strong>de</strong>r grupptalan wird die Bindung <strong>de</strong>r passiven Anspruchsteller<br />

dadurch erreicht, dass sie vom Verfahren benachrichtigt wer<strong>de</strong>n,<br />

so dass sie die Möglichkeit <strong>de</strong>r Beteiligung haben. Eine<br />

gerichtliche Entscheidung bin<strong>de</strong>t daher alle, die sich haben registrieren<br />

lassen, auch diejenigen, die am Verfahren nicht aktiv<br />

teilnehmen. Denn sie gelten als vollwertige Prozessparteien,<br />

für die nur <strong>de</strong>r Sammelkläger han<strong>de</strong>lt.<br />

An<strong>de</strong>rs beim Musterprozess: Unabhängig davon, ob bereits<br />

weitere Parallelverfahren anhängig sind o<strong>de</strong>r ob <strong>de</strong>r Musterprozess<br />

zunächst allein stattfin<strong>de</strong>t, kann eine Musterentscheidung<br />

zunächst nur faktische (materielle) Präze<strong>de</strong>nzwirkung entfalten,<br />

kann also nicht verhin<strong>de</strong>rn, dass zahlreiche weitere Verfahren<br />

in <strong>de</strong>rselben Sachen angestrengt wer<strong>de</strong>n, und sei es<br />

auch nur um die Verjährung zu hemmen. Der KapMuG-Entwurf<br />

will weitere Verfahren dadurch überflüssig machen, dass<br />

er in § 16 <strong>de</strong>n Musterentscheid für die übrigen Verfahrensbeteiligten<br />

nach Art <strong>de</strong>r Nebenintervention (§§ 67, 68 ZPO) für verbindlich<br />

erklärt. Da dies aber nur für diejenigen gilt, die bereits<br />

Klage erhoben haben (und nach <strong>Aus</strong>wahl eines Musterklägers<br />

beigela<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n), erspart es nur die Fortführung <strong>de</strong>r übrigen<br />

Klagen nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Musterentscheid. Um auch zahlreiche an<strong>de</strong>re<br />

Anspruchsteller von <strong>de</strong>r Klageerhebung abzuhalten, die trotz<br />

Kenntnis <strong>de</strong>s Musterverfahrens noch selbständig klagen wollen,<br />

um die Verjährung zu hemmen o<strong>de</strong>r verbindlich partizipieren<br />

zu können, sind Vereinfachungen in <strong>de</strong>r Anmeldung von Ansprüchen<br />

bei Gericht erfor<strong>de</strong>rlich, die nicht sogleich <strong>de</strong>n vollen<br />

gerichtlichen Aufwand einer wirksamen Klageerhebung auslösen<br />

(z. B. nach Art eines Mahnbescheid-Antrags). 33<br />

3. Streitgegenstand und Rechtskraft<br />

Ein weiterer Unterschied zwischen Sammel- und Musterklage<br />

besteht in <strong>de</strong>n objektiven Rechtskraftgrenzen: Welcher Streitgegenstand<br />

wird in <strong>de</strong>r Sammel- und Musterklage verhan<strong>de</strong>lt und<br />

entschie<strong>de</strong>n Das ist nicht nur eine Lehrbuchfrage, son<strong>de</strong>rn hat<br />

sehr praktische Relevanz: Wird eine Sammelklage mit einem<br />

bestimmten rechtswidrigen Verhalten <strong>de</strong>s Beklagten begrün<strong>de</strong>t,<br />

dann ist sehr fraglich, ob davon auch Anspruchsteller erfasst<br />

wer<strong>de</strong>n, die ihren entsprechen<strong>de</strong>n Haftungsanspruch auf ein<br />

an<strong>de</strong>res Verhalten <strong>de</strong>s Beklagten stützten – mit <strong>de</strong>r Folge, dass<br />

33 Braun/Rotter, BKR 2004, 296, 299 f.<br />

jene Kläger getrennt vorgehen könnten, weil sie nicht vom<br />

Musterverfahren erfasst wer<strong>de</strong>n.<br />

Wie<strong>de</strong>rum kann das Telekom-Verfahren als Beispiel dienen:<br />

Wer<strong>de</strong>n auch diejenigen Ansprüche mit einer Sammelklage repräsentiert,<br />

die zwar gleichfalls mit Prospektfehlern begrün<strong>de</strong>t<br />

wer<strong>de</strong>n, dabei aber nicht auf die Überbewertung von Immobilien,<br />

son<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>n umstrittenen Voicestream-Kauf Bezug<br />

nehmen Das New Yorker Bun<strong>de</strong>sgericht hat in <strong>de</strong>r dort anhängigen<br />

class action bei<strong>de</strong> Begründungen als eine gemeinsame<br />

Rechts- und Tatsachenfrage angesehen (common question of<br />

law or fact). 34 Geht man mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Rspr. vom zweigliedrigen<br />

Streitgegenstandsbegriff aus, wonach Antrag und<br />

„Lebensvorgang“ die I<strong>de</strong>ntität <strong>de</strong>s Verfahrens kennzeichnen, 35<br />

so ergeben sich bei unterschiedlichen Tatsachengrün<strong>de</strong>n (zwei<br />

verschie<strong>de</strong>ne Prospektfehler) für eine Anspruchsgrundlage<br />

auch zwei Streitgegenstän<strong>de</strong> (keine Anspruchsgrundlagenkonkurrenz!).<br />

– Sieht man hingegen <strong>de</strong>n Klaggrund nur in <strong><strong>de</strong>m</strong> enttäuschten<br />

Vertrauen <strong>de</strong>r Anleger in die Richtigkeit und Vollständigkeit<br />

<strong>de</strong>s Prospektes, so wird es nicht mehr darauf ankommen,<br />

welche ad hoc-Informationen <strong>de</strong>r Emittent <strong>de</strong>nn hätte<br />

konkret geben müssen, um die Prospektwahrheit zu erhalten<br />

(also ein Streitgegenstand).<br />

Eine Sammelklage nach amerikanischem, schwedischem o<strong>de</strong>r<br />

englischem Muster käme hier zweifellos zu einem einheitlichen<br />

Streitgegenstand. Der Musterentscheid hingegen fasst<br />

auch nach <strong>de</strong>r vorgeschlagenen gesetzlichen Regelung (Kap-<br />

MuG) nur zahlreiche anhängige Einzelverfahren zusammen<br />

und behan<strong>de</strong>lt und beurteilt einige – aber keineswegs alle –<br />

Tatsachen- und Rechtsfragen verbindlich gemeinsam. Musterverfahren<br />

heißt insoweit nur: Kompromiss auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Wege zu<br />

einem Streitgegenstand. Denn nach wie vor haben die passiven<br />

Kläger (Beigela<strong>de</strong>nen) eine gewisse Selbständigkeit (wie <strong>de</strong>r<br />

einfache Nebenintervenient), die aber durch die mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Musterprozess<br />

verbun<strong>de</strong>ne Verfahrenskonzentration sinnvoll eingeschränkt<br />

ist.<br />

4. Kosten und Finanzierung<br />

Mit <strong>de</strong>n herkömmlichen Mitteln <strong>de</strong>r massenweisen Klageerhebung<br />

(also Streitgenossenschaft, fiduziarische Abtretung, Klage<br />

einer GbR) lässt sich das Kostenrisiko für die Kläger insgesamt<br />

allenfalls mit Hilfe <strong>de</strong>r Zusammenrechnung <strong>de</strong>s Streitwerts (§ 5<br />

ZPO, §§ 39, 48 Abs. 1 GVG, § 22 RVG) und <strong>de</strong>r damit verbun<strong>de</strong>nen<br />

Gebühren-Degression herabsetzen. Gelingt eine gemeinsame<br />

anwaltliche Vertretung nicht, so kommt es für die<br />

Anwaltsgebühr nicht einmal zu dieser Degression. Immerhin<br />

kann es im Falle <strong>de</strong>r Streitgenossenschaft gem. § 100 ZPO zu<br />

einer Kostenrisikoverteilung auf viele Schultern kommen, was<br />

z.B. bei aufwendiger Beweisaufnahme schon einen Entlastungseffekt<br />

bringt.<br />

Eine Sammelklage, in <strong>de</strong>r die Ansprüche also von vornherein<br />

durch einen Repräsentanten o<strong>de</strong>r Treuhän<strong>de</strong>r gebün<strong>de</strong>lt geltend<br />

gemacht wür<strong>de</strong>n, könnte nur die Zusammenrechnung <strong>de</strong>s<br />

Gebührenstreitwerts sicherstellen. Das Problem außenstehen<strong>de</strong>r,<br />

also abwarten<strong>de</strong>r Anspruchsteller, die auf <strong>de</strong>n Präze<strong>de</strong>nzcharakter<br />

<strong>de</strong>r Entscheidung vertrauen und ohne je<strong>de</strong>s eigene<br />

Kostenrisiko davon profitieren wollen, lässt sich nur mit Sammelklagen<br />

amerikanischen Stils (opt out-Mechanik) lösen.<br />

Ein einfacher Musterprozess, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Verfahren vorausgeht<br />

und <strong>de</strong>ssen Entscheidung nur materielle Präze<strong>de</strong>nzwirkung<br />

entfaltet, senkt das Kostenrisiko für <strong>de</strong>n hypothetischen Gesamtstreit<br />

zwar erheblich, verlagert es jedoch allein auf <strong>de</strong>n<br />

Musterkläger, es sei <strong>de</strong>nn, im Hinblick auf <strong>de</strong>n Mustercharakter<br />

34 In re Deutsche Telekom AG Securities Litigation (o. Fn. 26), 281.<br />

35 BGH NJW 1991, 1047; Zöller/Vollkommer, ZPO Einl. Rdnr. 71.


164 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Weigel, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

seien an<strong>de</strong>re Prozessfinanzierungsabsprachen getroffen wor<strong>de</strong>n.<br />

Auch bleibt das Trittbrettfahrer-Phänomen kostenrechtlich<br />

unbefriedigend.<br />

Eine aus zahlreichen Verfahren herausgehobene Musterklage –<br />

wie jetzt im Telekom-Verfahren – bedarf auch im Hinblick auf<br />

die Kostenverteilung dringend einer gesetzlichen Regelung, da<br />

sie <strong>de</strong> lege lata nicht nur zu einer Kostenrisikoentlastung führt,<br />

son<strong>de</strong>rn sogar in erheblichen Zusatzkosten <strong>de</strong>s Musterklägers<br />

resultieren kann, <strong>de</strong>ssen Anwalt das Verfahren ja beson<strong>de</strong>rs arbeitsaufwendig<br />

betreiben wird. Es bedarf also einer Regelung,<br />

die einmal <strong>de</strong>r Tatsache Rechnung trägt, dass es sich bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Musterverfahren im Kern um eine Feststellungsklage han<strong>de</strong>lt,<br />

<strong>de</strong>ren Entscheidung für die zurückgestellten Verfahren verbindlich<br />

sein soll. Zu <strong>de</strong>nken ist also an eine entsprechen<strong>de</strong> Reduzierung<br />

<strong>de</strong>s Gesamtstreitwerts o<strong>de</strong>r an eine Befreiung von <strong>de</strong>n<br />

Gerichtskosten im Hinblick auf die mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Musterverfahren<br />

erreichte Entlastung <strong>de</strong>r Justiz. 36 Zum an<strong>de</strong>ren müssen <strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r<br />

die aktiven Musterkläger für ihren im Vergleich zu <strong>de</strong>n passiven<br />

Beteiligten größeren Aufwand im Erfolgsfall geson<strong>de</strong>rt vergütet<br />

wer<strong>de</strong>n und im Misserfolgsfall die übrigen Kläger anteilig zu<br />

<strong>de</strong>n höheren Kosten heranziehen können. 37 Damit ist freilich<br />

noch nicht das free ri<strong>de</strong>r-Problem gänzlich außenstehen<strong>de</strong>r<br />

Gläubiger gelöst.<br />

VI. Zusammenfassung in Thesen<br />

1. Das gelten<strong>de</strong> <strong>de</strong>utsche Zivilprozessrecht ist für Probleme,<br />

die sich mit Verfahren <strong>de</strong>s kollektiven Rechtsschutzes stellen,<br />

nicht hinreichend gerüstet, weil das ihm zugrun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong> 2-<br />

Parteien-Konzept das Ziel effizienter Rechtsdurchsetzung weitgehend<br />

verfehlt.<br />

2. Effiziente Rechtsdurchsetzung kann zweierlei heißen: Prozessökonomische<br />

Bewältigung von Massenverfahren und wirkungsvolle<br />

Umsetzung materiell-rechtspolitischer Ziele, wo<br />

bisher Einzelverfahren mangels hinreichen<strong>de</strong>r Anreize nicht<br />

stattfin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n.<br />

3. Eine neue gesetzliche Regelung kollektiven Rechtsschutzes<br />

sollte <strong>de</strong>shalb nicht bei <strong>de</strong>r Verbesserung <strong>de</strong>s Verfahrensrechts<br />

für bereits anhängige Massenklagen stehen bleiben. Denn das<br />

Ziel effizienter Rechtsdurchsetzung bei massenhaften Rechtsverletzungen<br />

ist nur zu erreichen, wenn diese auch tatsächlich<br />

verfolgt wer<strong>de</strong>n, z.B. durch Haftungssanktionen.<br />

36 Stadler, in: Brönneke, Kollektiver Rechtsschutz im Zivilprozessrecht<br />

(o. Fn. 9), 35 f.<br />

37 Stadler, a.a.O.., 36, Braun/Rotter, BKR 2004, 296, 301; Heß/Michaelidu,<br />

ZIP 2004, 1381, 1386.<br />

4. Die Verfolgung zahlreicher gleichartiger Verstöße durch private<br />

Betroffene kann entwe<strong>de</strong>r gebün<strong>de</strong>lt geschehen (Sammelklage).<br />

Dann bedarf es einer Reihe von Än<strong>de</strong>rungen einschlägiger<br />

Verfahrensvorschriften, angefangen von einheitlicher Zuständigkeit<br />

über Prozessführungsbefugnisse und Beteiligungsrechte<br />

(opt-in/opt-out) bis hin zu anwaltlichen Vertretungs- sowie<br />

Kostenregeln, die eine solche gebün<strong>de</strong>lte Geltendmachung<br />

von Ansprüchen erleichtern können.<br />

5. Ein Musterverfahren hingegen soll einzelne, geeignete und<br />

repräsentative Mo<strong>de</strong>llfälle vorzugsweise behan<strong>de</strong>ln und muss<br />

daher, um prozessökonomisch erfolgreich zu sein, für die zurückgestellten<br />

Fälle verbindlich sein. Eine entsprechen<strong>de</strong> gesetzliche<br />

Regelung muss das rechtliche Gehör <strong>de</strong>r zurückgestellten<br />

Kläger gewährleisten. Um auch Klagen weiterer gleichartig<br />

Betroffener überflüssig zu machen, sind vereinfachte Anmel<strong>de</strong>verfahren<br />

einzuführen, die ebenfalls Bindungswirkung<br />

entfalten.<br />

6. Sammelklage und Musterverfahren können sich zwar bei<br />

gleichartigem Streitgegenstand im konkreten Fall gegenseitig<br />

ausschließen, nicht aber als generelle Möglichkeit <strong>de</strong>r Verfolgung<br />

zahlreicher gleichartiger Beschwer<strong>de</strong>n. Ein Musterverfahren<br />

erscheint dort geeignet, wo Einzelrechtsschutz wegen geringwertigen<br />

Individualinteresses kaum in Anspruch genommen<br />

wür<strong>de</strong>. Sammelklagen sind vor allem bei zahlreichen bereits<br />

anhängigen, im Kern gleichartigen Prozessen sinnvoll.<br />

7. Die Sperr- und Bindungswirkung, die ein anhängiges Verfahren<br />

für alle gleichartigen Streitgegenstän<strong>de</strong> entfaltet, erfor<strong>de</strong>rt<br />

eine (auch europäisch geprägte) Bestimmung <strong>de</strong>s Streitgegenstan<strong>de</strong>s<br />

von Sammel- und Musterklagen: Es liegen im Kern<br />

i<strong>de</strong>ntische Rechts- und Tatsachenfragen vor, soweit ein Verhalten<br />

<strong>de</strong>s Beklagten als rechtswidrig angegriffen wird, selbst<br />

wenn davon viele Einzelkläger und in unterschiedlichem Maße<br />

betroffen sind.<br />

8. Sowohl Sammelklagen als auch Musterverfahren müssen<br />

durch kostenrechtliche Regelungen begleitet wer<strong>de</strong>n, die Aufwand<br />

und Risiko nicht allein <strong><strong>de</strong>m</strong> aktiven Prozessführer bzw.<br />

seinem Anwalt überlassen. Dies kann entwe<strong>de</strong>r durch externe<br />

Prozesskosten-Finanzierungsvereinbarungen geschehen. O<strong>de</strong>r<br />

aber <strong><strong>de</strong>m</strong> Gericht wer<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>re Befugnisse <strong>de</strong>r Streitwertbegrenzung<br />

und Kostenbelastung übertragen. Das Trittbrettfahrer-Problem<br />

könnte kostenrechtlich dadurch aufgefangen wer<strong>de</strong>n,<br />

dass Außenstehen<strong>de</strong> bei nachträglicher Anmeldung ihrer<br />

For<strong>de</strong>rung zu <strong>de</strong>n vorangegangenen Prozesskosten <strong>de</strong>s Mustero<strong>de</strong>r<br />

Sammelverfahrens nach GoA-Grundsätzen herangezogen<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

– Verfahrensrechtliche Konzepte zur effizienten Abwicklung von Massenklagen 1<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Weigel, Frankfurt/Main<br />

I. Problemstellung<br />

1 Vortrag, gehalten anlässlich <strong>de</strong>s 3. ZPR-Symposions <strong>de</strong>r BRAK am<br />

4./5.3.2005 in Potsdam.<br />

In letzter Zeit wur<strong>de</strong>n wir zunehmend mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Phänomen konfrontiert,<br />

dass von Scha<strong>de</strong>nsereignissen nicht nur eine Vielzahl<br />

von Personen betroffen wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn diese die ihnen aufgrund<br />

<strong>de</strong>ssen (vermeintlich) zustehen<strong>de</strong>n Rechte dann auch gerichtlich<br />

geltend machen. Bisheriger Höhepunkt dieser Entwicklung<br />

sind die beim Landgericht Frankfurt anhängigen Prospekthaftungsklagen<br />

gegen die Deutsche Telekom. Dort sind rd.<br />

2.000 Klagen von Anlegern anhängig, weitere 15.000 befin<strong>de</strong>n<br />

sich noch bei Schiedsstellen wie insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r in Hamburg<br />

(ÖRA), wo die Ansprüche, zum Zwecke die Verjährung zu<br />

hemmen, zunächst angemel<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>n.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 165<br />

Weigel, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

Gera<strong>de</strong> dieses Verfahren hat gezeigt, dass das vorhan<strong>de</strong>ne Instrumentarium<br />

<strong>de</strong>r ZPO und vor allem die bei <strong>de</strong>n Gerichten<br />

vorhan<strong>de</strong>ne Infrastruktur mit <strong>de</strong>rartigen Fallgestaltungen überfor<strong>de</strong>rt<br />

ist, was u.a. bereits zur Anrufung <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sverfassungsgerichts<br />

wegen vermeintlich überlanger Verfahrensdauer<br />

geführt hat, weil ca. 3 Jahre nach Einreichung <strong>de</strong>r ersten Klagen<br />

im August 2001 noch keine mündliche Verhandlung stattgefun<strong>de</strong>n<br />

hatte (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3320). Nach<strong><strong>de</strong>m</strong> im November<br />

2004 in 10 sog. „Musterverfahren“ o<strong>de</strong>r „Pilotverfahren“<br />

mündlich verhan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>, ist dann aus Anwaltskreisen<br />

Kritik wegen (vermeintlicher) Ungleichbehandlung laut gewor<strong>de</strong>n<br />

(Pabst, NJW 2004, Heft 1, XIX).<br />

II. Der Regierungsentwurf eines Kapitalanleger-Musterklageverfahrens<br />

sowie <strong>de</strong>r Alternativentwurf <strong>de</strong>r Professoren<br />

Micklitz und Stadler<br />

Das Justizministerium hat inzwischen mit einem Entwurf für ein<br />

Musterklageverfahrensgesetz reagiert, <strong>de</strong>r im November 2004<br />

vom Kabinett verabschie<strong>de</strong>t und am 18.2.2004 vom Bun<strong>de</strong>srat<br />

behan<strong>de</strong>lt wur<strong>de</strong>. In seiner abschließen<strong>de</strong>n Stellungnahme<br />

(BR-Drs. 2/05) hat <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srat umfangreiche Kritik geäußert,<br />

die z.T. mit <strong>de</strong>n vom ZPO-<strong>Aus</strong>schuss <strong>de</strong>r BRAK und vom Zivilrechtsausschuss<br />

<strong>de</strong>s DAV geäußerten Be<strong>de</strong>nken übereinstimmt<br />

und eine Reihe von Än<strong>de</strong>rungsvorschlägen unterbreitet. Mit einer<br />

Verabschiedung <strong>de</strong>s Gesetzes ist vor En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Jahres wohl<br />

nicht zu rechnen.<br />

In <strong>de</strong>r Erwartung, dass das Gesetz bereits im Frühjahr 2005 in<br />

Kraft treten wür<strong>de</strong>, ist über die Anwendung <strong>de</strong>s Musterklageverfahrens<br />

in <strong>de</strong>r ersten mündlichen Verhandlung <strong>de</strong>s Telekom-<br />

Verfahrens im November letzten Jahres bereits öffentlich diskutiert<br />

wor<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>r Vors. Richter hat sich offenbar darauf eingerichtet,<br />

dass das KapMuG schon für die Telekom-Verfahren<br />

Anwendung fin<strong>de</strong>t.<br />

Ich unterstelle, dass <strong>de</strong>r aktuelle Regierungsentwurf für ein Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz<br />

allen Anwesen<strong>de</strong>n im Wesentlichen<br />

bekannt ist. Deshalb will ich <strong>de</strong>n <strong>Inhalt</strong> nachfolgend<br />

nur kurz zusammenfassen.<br />

Das KapMuG ermöglicht es <strong>de</strong>n Parteien einer Scha<strong>de</strong>nersatzklage<br />

wegen unzutreffen<strong>de</strong>r Kapitalmarktinformation für die<br />

Entscheidung vorgreifliche Tatbestandsmerkmale und/o<strong>de</strong>r Einwendungen<br />

durch das übergeordnete OLG in einem Musterverfahren<br />

für alle Parteien rechtskräftig klären zu lassen, in <strong>de</strong>ren<br />

Rechtsstreiten diese Punkte entscheidungserheblich sind.<br />

Voraussetzung ist, dass neben <strong><strong>de</strong>m</strong> ersten Musterfeststellungsantrag<br />

binnen vier Monaten nach Bekanntgabe in einem elektronischen<br />

Klageregister 9 weitere gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge<br />

eingetragen wer<strong>de</strong>n. Das Prozessgericht legt<br />

dann die Vorlagefragen <strong><strong>de</strong>m</strong> OLG in Form einer Art Beweisbeschluss<br />

vor. Mit Bekanntgabe dieses Vorlagebeschlusses im Klageregister<br />

wer<strong>de</strong>n neben <strong>de</strong>n Rechtsstreiten, die infolge Einreichung<br />

eines Musterfeststellungsantrags bereits unterbrochen<br />

waren, auch alle weiteren Rechtsstreite ausgesetzt, für <strong>de</strong>ren<br />

Entscheidung die Vorlagefragen vorgreiflich sind, auch wenn<br />

dort kein Musterfeststellungsantrag gestellt wur<strong>de</strong>.<br />

Das OLG bestimmt dann aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Kreis <strong>de</strong>r Kläger, die bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

vorlegen<strong>de</strong>n Gericht Klage erhoben haben, einen Musterkläger.<br />

Die übrigen Kläger haben in <strong><strong>de</strong>m</strong> anschließen<strong>de</strong>n Musterfeststellungsverfahren<br />

beim OLG die Stellung von so genannten<br />

Beigela<strong>de</strong>nen, d.h., sie wer<strong>de</strong>n behan<strong>de</strong>lt wie Streitverkün<strong>de</strong>te,<br />

wobei sie allerdings Kopien <strong>de</strong>r Schriftsätze <strong>de</strong>r Hauptparteien<br />

nur auf beson<strong>de</strong>ren Antrag erhalten und ihre Schriftsätze nur<br />

<strong>de</strong>n Musterparteien und <strong><strong>de</strong>m</strong> Gericht zugeleitet wer<strong>de</strong>n.<br />

Das OLG klärt dann die Vorlagefragen und erhebt hierzu, soweit<br />

erfor<strong>de</strong>rlich, Beweis auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s Vorlagebeschlusses.<br />

Eine Abän<strong>de</strong>rung dieses Beschlusses ist auf Antrag<br />

<strong>de</strong>s Musterklägers o<strong>de</strong>r -beklagten sowie von min<strong>de</strong>stens 10<br />

Beigela<strong>de</strong>nen möglich. Die Kosten <strong>de</strong>r Beweiserhebung wer<strong>de</strong>n<br />

von <strong>de</strong>r Staatskasse vorgelegt.<br />

Nach mündlicher Verhandlung, zu <strong>de</strong>r die Beigela<strong>de</strong>nen durch<br />

Bekanntmachung im elektronischen Klageregister gela<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n<br />

können, entschei<strong>de</strong>t das OLG dann durch Beschluss über<br />

die Vorlagefragen. Dieser Musterentscheid bin<strong>de</strong>t neben Musterkläger<br />

und Musterbeklagten auch alle Beigela<strong>de</strong>nen, d.h.<br />

alle Kläger, <strong>de</strong>ren Rechtsstreite gegen <strong>de</strong>n Musterbeklagten wegen<br />

Vorgreiflichkeit <strong>de</strong>r Vorlagefragen bis zur Beendigung <strong>de</strong>s<br />

Musterverfahrens ausgesetzt wor<strong>de</strong>n sind. Ihnen gegenüber unterliegt<br />

die Rechtskraftbindung allerdings <strong>de</strong>nselben Grenzen<br />

wie gegenüber einem Streitverkün<strong>de</strong>ten.<br />

Die Kosten <strong>de</strong>s Musterverfahrens wer<strong>de</strong>n entsprechend <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

quotalen Anteil <strong>de</strong>s jeweiligen Streitwerts am Gesamtstreitwert<br />

aller ausgesetzten Rechtsstreite auf diese verteilt und dann jeweils<br />

in <strong>de</strong>r Kostenentscheidung <strong>de</strong>n dortigen Parteien nach allgemeinen<br />

Regeln zugewiesen. Zusätzliche Anwaltsgebühren<br />

wer<strong>de</strong>n durch das Musterverfahren nicht ausgelöst.<br />

Gegen <strong>de</strong>n Musterbescheid kann von <strong>de</strong>n Parteien o<strong>de</strong>r Beigela<strong>de</strong>nen<br />

Rechtsbeschwer<strong>de</strong> zum BGH eingelegt wer<strong>de</strong>n, wobei<br />

diese stets grundsätzliche Be<strong>de</strong>utung hat. An<strong>de</strong>rs als bei <strong>de</strong>n<br />

Musterverfahren selbst sind hier allerdings nur die Musterparteien<br />

und die Beigela<strong>de</strong>nen beteiligt, die <strong><strong>de</strong>m</strong> Verfahren beigetreten<br />

sind. Über die Kosten <strong>de</strong>r Rechtsbeschwer<strong>de</strong> wird geson<strong>de</strong>rt<br />

entschie<strong>de</strong>n, wobei die Kostenlast <strong>de</strong>r Kläger und Beigela<strong>de</strong>nen<br />

jeweils auf <strong>de</strong>n Betrag beschränkt ist, <strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>m</strong> Wert <strong>de</strong>r<br />

von ihnen erhobenen Klage entspricht.<br />

Demgegenüber dürfte <strong>de</strong>r inzwischen veröffentlichte Alternativentwurf<br />

noch weitgehend unbekannt sein. Er beruht auf einem<br />

Gutachten, das das Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung<br />

und Landwirtschaft bei <strong>de</strong>n Professoren Dr. Hans<br />

Micklitz und Dr. Astrid Stadler eingeholt hat.<br />

Der Alternativentwurf sieht vor, alle Verbands-, Muster-, Sammel-<br />

und Gruppenklagen in einem einheitlichen Gesetz zu regeln.<br />

Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich um eine Än<strong>de</strong>rung und Ergänzung<br />

<strong>de</strong>s vorhan<strong>de</strong>nen Unterlassungsklagegesetztes. Neben <strong>de</strong>n bereits<br />

bekannten Verbandsunterlassungsklagen enthält <strong>de</strong>r Entwurf<br />

eine Reihe neuer Klageformen.<br />

Zunächst sieht <strong>de</strong>r Alternativentwurf für alle vorsätzlichen o<strong>de</strong>r<br />

grob fahrlässigen Verletzungen von Verbraucherschutzvorschriften<br />

eine so genannte Abschöpfungsklage vor, durch die<br />

Verbraucherschutzverbän<strong>de</strong> zugunsten eines Fonds Bagatellansprüche<br />

von Verbrauchern im Wert von unter 25,00 Euro geltend<br />

machen können. Hierdurch soll erreicht wer<strong>de</strong>n, dass<br />

durch eine sog. Muster- o<strong>de</strong>r Sammelklage so genannte „Unrechtsgewinne“<br />

abgeschöpft wer<strong>de</strong>n, die in Folge ihres geringen<br />

Wertes an<strong>de</strong>renfalls nicht geltend gemacht wür<strong>de</strong>n.<br />

Daneben soll es Verbraucherschutzverbän<strong>de</strong>n in einem weitaus<br />

stärkeren Maße, als es <strong>de</strong>rzeit im Rechtsberatungsgesetz<br />

bereits vorgesehen ist, gestattet wer<strong>de</strong>n, in Form einer sog.<br />

Muster- o<strong>de</strong>r Sammelklage For<strong>de</strong>rungen von Verbrauchern im<br />

Wege <strong>de</strong>r gewillkürten Prozessstandschaft o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Abtretung<br />

gerichtlich geltend zu machen.<br />

Schließlich soll je<strong>de</strong>rmann die Möglichkeit eröffnet wer<strong>de</strong>n, als<br />

Repräsentant für min<strong>de</strong>stens 20 weitere Personen auch mit<br />

Rechtswirkungen für diese eine so genannte Gruppenklage einzuleiten,<br />

für die dann das OLG erstinstanzlich zuständig ist.<br />

Dies setzt einen entsprechen<strong>de</strong>n Antrag voraus, aus <strong><strong>de</strong>m</strong> sich<br />

ergeben muss, dass <strong>de</strong>n Mitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Gruppe auf <strong>de</strong>rselben<br />

tatsächlichen rechtlichen Grundlage Ansprüche zustehen und<br />

diese nicht ebenso gut durch individuelle Klagen geltend gemacht<br />

wer<strong>de</strong>n können sowie, dass <strong>de</strong>r Kläger geeignet ist, die<br />

Interessen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Betroffenen sachgerecht zu vertreten<br />

und die Finanzierung <strong>de</strong>s Rechtsstreites zu organisieren.


166 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Weigel, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

Der Antrag wird dann von <strong><strong>de</strong>m</strong> angerufenen Gericht in einem<br />

elektronischen Klageregister mit <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung veröffentlicht,<br />

dass potentiell betroffene Gruppenmitglie<strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>m</strong> Verfahren<br />

durch Erklärung gegenüber <strong><strong>de</strong>m</strong> Prozessgericht o<strong>de</strong>r gegenüber<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Klageregister innerhalb einer bestimmten Frist beitreten.<br />

Dieser Beitritt hat ebenso wie die Klageerhebung zur Folge,<br />

dass <strong>de</strong>r Ablauf <strong>de</strong>r Verjährung gehemmt wird.<br />

Nach Fristablauf entschei<strong>de</strong>t das Gericht durch Beschluss aufgrund<br />

mündlicher Verhandlung über die Eröffnung <strong>de</strong>s Verfahrens.<br />

Hierzu hat es zu prüfen, ob die Klagegrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Beitreten<strong>de</strong>n<br />

hinreichend übereinstimmen. Personen, bei <strong>de</strong>nen dies<br />

nicht <strong>de</strong>r Fall ist, kann das Gericht ausschließen. Sofern bei<br />

min<strong>de</strong>stens 20 weiteren Teilnehmern parallele Klagegrün<strong>de</strong><br />

vorliegen, eröffnet das Gericht das Gruppenverfahren und<br />

macht diese Entscheidung im Klageregister bekannt. Nach Fristablauf<br />

können weitere Teilnehmer nur zugelassen wer<strong>de</strong>n, soweit<br />

dies nach Maßgabe <strong>de</strong>r ZPO sachdienlich ist.<br />

Die Rechte <strong>de</strong>r übrigen Teilnehmer wer<strong>de</strong>n in <strong><strong>de</strong>m</strong> anschließen<strong>de</strong>n<br />

Verfahren ausschließlich von <strong><strong>de</strong>m</strong> Gruppenkläger<br />

wahrgenommen. Das Gericht kann jedoch anordnen, dass <strong>de</strong>n<br />

übrigen Teilnehmern über das elektronische Klageregister Informationen<br />

zur Verfügung gestellt wer<strong>de</strong>n, soweit es dies für erfor<strong>de</strong>rlich<br />

hält. Zu benachrichtigen sind die Gruppenmitglie<strong>de</strong>r<br />

insbeson<strong>de</strong>re über Grund-, Teil- o<strong>de</strong>r Endurteile sowie über beabsichtigte<br />

Prozessvergleiche. Der Gruppenkläger soll die teilnehmen<strong>de</strong>n<br />

Mitglie<strong>de</strong>r darüber hinaus hinsichtlich wichtiger<br />

Verfahrensereignisse konsultieren, soweit ihm dies mit vertretbarem<br />

Aufwand möglich ist.<br />

Erweist sich <strong>de</strong>r Gruppenkläger als ungeeignet, so hat ihn das<br />

Gericht abzusetzen und aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Kreis <strong>de</strong>r übrigen Teilnehmer<br />

einen neuen Gruppenkläger zu ernennen.<br />

Dem Gericht kommt nach <strong>de</strong>n Vorstellungen <strong>de</strong>s Alternativentwurfs<br />

eine über das bisher bekannte Maß weit hinausgehen<strong>de</strong><br />

Verantwortung für <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>s Verfahrens zu. Der Richter<br />

soll insbeson<strong>de</strong>re darauf hinwirken, zu klären, ob ein Leistungs-<br />

o<strong>de</strong>r Feststellungsantrag gestellt wird o<strong>de</strong>r ob gegebenenfalls<br />

Untergruppen gebil<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n sollen. Es kann nach<br />

Ermessen über einzelne Sach- o<strong>de</strong>r Rechtsfragen Teilfeststellungsurteile<br />

o<strong>de</strong>r ein Grundurteil erlassen.<br />

Sofern das Gericht ein rechtskräftiges Grund- o<strong>de</strong>r Teilfeststellungsurteil<br />

erlassen hat, kann es alle Beteiligten zu einer Anhörung<br />

la<strong>de</strong>n, um einen Vergleich herbeizuführen. Gelingt dies<br />

nicht, entschei<strong>de</strong>t es durch Endurteil – das dann für alle Gruppenmitglie<strong>de</strong>r<br />

bin<strong>de</strong>nd ist – über <strong>de</strong>n Klageantrag o<strong>de</strong>r die Beendigung<br />

<strong>de</strong>s Gruppenklageverfahrens, bleibt für die sich anschließen<strong>de</strong>n<br />

Einzelverfahren dann aber weiter zuständig.<br />

Gegen dieses Urteil kann von <strong>de</strong>n Parteien Revision eingelegt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Gerichtskosten <strong>de</strong>s Verfahrens sind auf die Hälfte<br />

herabgesetzt. Dem Anwalt <strong>de</strong>s Gruppenklägers steht eine zusätzliche<br />

Gebühr zu. Für die Kosten <strong>de</strong>s Verfahrens haften die<br />

Gruppenmitglie<strong>de</strong>r nur anteilig.<br />

III. Erörterung <strong>de</strong>r Entwürfe vor <strong><strong>de</strong>m</strong> Hintergrund<br />

verschie<strong>de</strong>ner Problemstellungen<br />

Nachfolgend wer<strong>de</strong> ich die bei<strong>de</strong>n Regelungsmo<strong>de</strong>lle anhand<br />

einer Reihe von Problemfel<strong>de</strong>rn erörtern. Der Vergleich ist allerdings<br />

nicht ganz fair, da <strong>de</strong>r vom Verbraucherschutzministerium<br />

initiierte Alternativentwurf nicht <strong>de</strong>n Anspruch erhebt, bis<br />

ins Detail ausgearbeitet zu sein. Auf dieser Grundlage will ich<br />

dann versuchen, aus Sicht <strong>de</strong>r Praxis eine erste Einschätzung<br />

dazu abzugeben, ob und inwieweit die Regelungsmo<strong>de</strong>lle geeignet<br />

sind, die sich aus Massenverfahren ergeben<strong>de</strong>n Probleme<br />

zu lösen, ohne an<strong>de</strong>rerseits unangemessen in die Rechte<br />

<strong>de</strong>r Betroffenen einzugreifen.<br />

1. Streitgegenstand<br />

Ein grundlegen<strong>de</strong>s Problem bei <strong>de</strong>r Behandlung von Massenklagen<br />

ist die Abgrenzung <strong>de</strong>s Streitgegenstan<strong>de</strong>s, über <strong>de</strong>n<br />

eine allgemeine verbindliche Entscheidung getroffen wer<strong>de</strong>n<br />

soll.<br />

Der Alternativentwurf sieht insoweit sowohl eine Abgrenzung<br />

nach außen – durch <strong>Aus</strong>schluss potentieller Gruppenmitglie<strong>de</strong>r<br />

– als auch die Bildung von Untergruppen vor. Die Frage, in<br />

welchem Umfang individuelle Umstän<strong>de</strong> in das Verfahren eingebracht<br />

wer<strong>de</strong>n, hängt im Übrigen von <strong>de</strong>r Parteidisposition<br />

und damit auch von <strong>de</strong>n Einflussmöglichkeiten <strong>de</strong>r Gruppenmitglie<strong>de</strong>r<br />

auf <strong>de</strong>n Gruppenkläger ab. Da die Rechtskraftwirkungen<br />

sich nur auf die freiwillig Beigetretenen erstreckt, ist<br />

dies aber m.E. akzeptabel, zumal das Gericht eine weitgehen<strong>de</strong><br />

Hinweispflicht hat.<br />

Der Anwendungsbereich <strong>de</strong>s KapMuG ist von vornherein auf<br />

kapitalmarktrechtliche Ansprüche beschränkt, obwohl das Phänomen<br />

von Massenklagen auch in an<strong>de</strong>ren Bereichen auftreten<br />

kann und die Beschränkung auf diesen Bereich rechtspolitisch<br />

durchaus zweifelhaft sein kann, wie <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srat in seiner<br />

Stellungnahme rügt. Auch innerhalb dieses Bereiches ist die<br />

Abgrenzung <strong>de</strong>s Streitgegenstan<strong>de</strong>s m.E. nur unvollkommen<br />

geregelt.<br />

In <strong>de</strong>n Telekom-Verfahren etwa wird eine Prospektunrichtigkeit<br />

sowohl hinsichtlich <strong>de</strong>r Immobilienbewertung als auch bezüglich<br />

<strong>de</strong>s Erwerbs von Voice Stream geltend gemacht, und darüber<br />

hinaus sind auch die Abgrenzung <strong>de</strong>r Prospektverantwortlichen<br />

und etwaigen Exculpationsmöglichkeiten erheblich.<br />

Nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Regierungsentwurf muss es sich lediglich um Sachund<br />

Rechtsfragen han<strong>de</strong>ln, die für min<strong>de</strong>stens 10 Klagen vorgreiflich<br />

sind. Der Umfang <strong>de</strong>s Streitgegenstan<strong>de</strong>s hängt damit<br />

im Wesentlichen von <strong><strong>de</strong>m</strong> Vortrag in <strong>de</strong>n ersten 10 Klagen ab,<br />

in <strong>de</strong>nen ein Musterfeststellungsantrag gestellt wur<strong>de</strong>. Eine spätere<br />

Abän<strong>de</strong>rungsmöglichkeit ist nur für <strong>de</strong>n Fall vorgesehen,<br />

dass die Musterparteien diese in das Verfahren einbringen o<strong>de</strong>r<br />

min<strong>de</strong>stens 10 Beigela<strong>de</strong>ne dies übereinstimmend anregen. In<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Gesetzentwurf wird nicht ein<strong>de</strong>utig klargestellt, ob sämtliche<br />

im Hinblick auf eine bestimmte Kapitalmarktinformation<br />

vorgebrachten Rügen und alle im Hinblick auf eine etwaige<br />

Haftung aus dieser Kapitalmarktinformation möglicherweise<br />

bestehen<strong>de</strong>n Einwendungen dasselbe Feststellungsziel zum<br />

Gegenstand haben und <strong>de</strong>shalb in <strong><strong>de</strong>m</strong>selben Musterverfahren<br />

geklärt wer<strong>de</strong>n sollen – auch wenn die Formulierungen in <strong>de</strong>r<br />

Entwurfsbegründung darauf hin<strong>de</strong>uten – o<strong>de</strong>r ob es sich hierbei<br />

um unterschiedliche Streitgegenstän<strong>de</strong> han<strong>de</strong>lt, so dass Klagen,<br />

in <strong>de</strong>nen unterschiedliche Aspekte geltend gemacht wer<strong>de</strong>n,<br />

insoweit auch nicht als gleichgerichtet angesehen wer<strong>de</strong>n.<br />

Dies hätte zur Folge, dass im Hinblick auf dieselben Kapitalmarktinformationen<br />

mehrere Musterklageverfahren <strong>de</strong>nkbar<br />

sind, obwohl dies nur wenig sinnvoll erscheint. Wie <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srat<br />

in seiner Stellungnahme rügt, ist es an<strong>de</strong>rerseits problematisch,<br />

von einem Musterkläger zu erwarten, auch solche Aspekte<br />

<strong>de</strong>r Kapitalmarktinformation in <strong><strong>de</strong>m</strong> Musterverfahren anzufechten,<br />

die er in seiner Klage nicht geltend gemacht hatte<br />

o<strong>de</strong>r zu seinem Vortrag sogar in Wi<strong>de</strong>rspruch stehen.<br />

2. Individuelle Tatbestandsvoraussetzungen und<br />

Einwendungen<br />

Ein Schwerpunkt <strong>de</strong>r bei Massenklagen auftreten<strong>de</strong>n Probleme<br />

ergibt sich daraus, dass die Gerichtsorganisation nicht hinreichend<br />

ausgestattet ist, um eine große Anzahl von Verfahren logistisch<br />

abwickeln zu können. Dies wird daran <strong>de</strong>utlich, dass<br />

bei <strong>de</strong>n Telekom-Verfahren Erlass und Zustellung einfacher<br />

Verfügungen mehrere Monate in Anspruch nehmen und diese<br />

zum Teil bereits überholt waren, als sie zugingen. Zwischen<br />

<strong>de</strong>r Erhebung <strong>de</strong>r ersten Klagen im August 2001 und <strong>de</strong>r ersten


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 167<br />

Weigel, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

mündlichen Verhandlung in einigen wenigen Musterverfahren<br />

im November 2004 vergingen mehrere Jahre. Die Voraussetzungen<br />

für eine Beweiserhebung – und damit auch für eine<br />

Verwendung <strong>de</strong>s Instrumentariums <strong>de</strong>s KapMuG – liegen bis<br />

heute nicht vor. Es mag sein, dass die Verfahrensführung durch<br />

das Gericht an<strong>de</strong>rs gelaufen wäre, wenn die Möglichkeit, ein<br />

Musterverfahren durchzuführen, bereits von Anfang an abzusehen<br />

gewesen wäre. Auch dies wür<strong>de</strong> jedoch nichts an <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Umstand än<strong>de</strong>rn, dass diese individuellen anspruchsbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

o<strong>de</strong>r -ausschließen<strong>de</strong>n Fragen in <strong>de</strong>n Einzelrechtsstreiten<br />

spätestens dann entschie<strong>de</strong>n und verwaltungstechnisch abgewickelt<br />

wer<strong>de</strong>n müssen, nach<strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>r Musterentscheid ergangen<br />

ist. Es steht zu vermuten, dass <strong>de</strong>r Gesetzgeber stillschweigend<br />

auf eine Einigung <strong>de</strong>r Parteien hofft, sofern sich<br />

nicht aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Musterentscheid ohnehin ergibt, dass ein Anspruch<br />

bereits <strong><strong>de</strong>m</strong> Grun<strong>de</strong> nach nicht besteht. Der Bun<strong>de</strong>srat<br />

schlägt <strong>de</strong>shalb in seiner Stellungnahme vor, das in § 14 Abs. 3<br />

Satz 2 vorgesehene Verbot eines Vergleichsschlusses im Musterverfahren<br />

dann nicht eingreifen zu lassen, wenn alle Beteiligten<br />

zustimmen (Bl. 16).<br />

In <strong><strong>de</strong>m</strong> Alternativentwurf wird dieses Problem dadurch gelöst,<br />

dass entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Muster-/Gruppenkläger die individuellen<br />

Anspruchsmerkmale sammelt und sie <strong><strong>de</strong>m</strong> Gericht dann in einer<br />

Leistungsklage konsolidiert unterbreitet o<strong>de</strong>r das Gruppenklageverfahren<br />

nur auf eine Feststellung anspruchsbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r<br />

o<strong>de</strong>r anspruchsausschließen<strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong> begrenzt ist. In<br />

letzterem Falle müssten die individuellen Ansprüche grundsätzlich<br />

auch in Einzelrechtsstreiten geklärt wer<strong>de</strong>n. Der Alternativentwurf<br />

sieht in diesem Zusammenhang jedoch ausdrücklich<br />

die Möglichkeit vor, dass das Gericht alle Gruppenmitglie<strong>de</strong>r<br />

nach Erlass einer Zwischenentscheidung über <strong>de</strong>n Grund<br />

<strong>de</strong>s Anspruchs zu einem Gütetermin lädt.<br />

Da das <strong>de</strong>utsche Recht von einer individuellen und konkreten<br />

Scha<strong>de</strong>nsberechnung ausgeht und an<strong>de</strong>rs als an<strong>de</strong>re Rechtsordnungen<br />

eine pauschale Behandlung – außer in <strong>de</strong>n Grenzen<br />

<strong>de</strong>s § 287 ZPO – gera<strong>de</strong> nicht vorsieht, wird sich dieses<br />

Problem verfahrensrechtlich allerdings auch wohl nicht lösen<br />

lassen. Man kann lediglich versuchen, <strong>de</strong>n Arbeitsaufwand<br />

möglichst auf <strong>de</strong>n Muster-/Gruppenkläger zu verlagern, um die<br />

Ressourcen <strong>de</strong>s Gerichts soweit möglich zu entlasten, wie es<br />

<strong>de</strong>r Alternativentwurf vorsieht.<br />

3. Informations- und Teilnahmerechte<br />

Die überwiegen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r Teilnehmer von Massenverfahren<br />

sind reine erfahrungsgemäß „Trittbrettfahrer“, die aus eigenem<br />

Antrieb nicht das Bestreben haben, sich aktiv am Verfahren zu<br />

beteiligen. In Telekom-Verfahren waren ihre Klagen z.T. nur<br />

wenige Seiten lang und aus Internetveröffentlichungen „abgekupfert“.<br />

Im Hinblick auf die sich auch für sie ergeben<strong>de</strong>n<br />

Rechtskraftwirkungen müssen ihre Rechte trotz<strong><strong>de</strong>m</strong> angemessen<br />

gewahrt wer<strong>de</strong>n. Aufgrund <strong>de</strong>s insoweit bestehen<strong>de</strong>n Einsparpotentials<br />

ist die effektive Gestaltung <strong>de</strong>r Behandlung <strong>de</strong>r<br />

„Trittbrettfahrer“ an<strong>de</strong>rerseits eine <strong>de</strong>r wichtigsten Regelungsmaterien<br />

für Muster-/Gruppenklagen.<br />

In <strong><strong>de</strong>m</strong> Alternativentwurf wird die Information <strong>de</strong>r und Konsultation<br />

mit <strong>de</strong>n übrigen Anspruchsinhabern im Wesentlichen<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Muster-/Gruppenkläger überlassen. Für das Gruppenklageverfahren<br />

ist lediglich vorgesehen, dass das Gericht <strong>de</strong>n<br />

Gruppenmitglie<strong>de</strong>rn über das Klageregister Informationen über<br />

grundlegen<strong>de</strong> Ereignisse wie Zwischenurteile und Vergleichsvorschläge<br />

zukommen lässt. Im Hinblick darauf, dass die übrigen<br />

Gruppenmitglie<strong>de</strong>r ihre Rechte <strong><strong>de</strong>m</strong> Kläger zur Geltendmachung<br />

übertragen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gruppe zumin<strong>de</strong>st freiwillig beigetreten<br />

sind, erscheint dies akzeptabel. Ob das im Gesetzentwurf<br />

vorgesehene Instrumentarium ausreicht, um Missbräuchen<br />

vorzubeugen, bleibt abzuwarten.<br />

Im KapMuG haben die übrigen Anspruchsinhaber als Beigela<strong>de</strong>ne<br />

grundsätzlich die Stellung einfacher Streitverkün<strong>de</strong>ter,<br />

wobei ein genereller Verweis auf die Vorschriften über die Nebenintervention<br />

und insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n dort vorgesehenen Beitritt<br />

zum Verfahren allerdings fehlt, obwohl die Figur <strong>de</strong>s „Beigela<strong>de</strong>nen“<br />

zivilprozessual noch nicht <strong>de</strong>finiert ist. Im Hinblick<br />

darauf, dass die Rechtskraftwirkungen <strong>de</strong>s Musterentschei<strong>de</strong>s<br />

die Beigela<strong>de</strong>nen Kraft Gesetzes treffen, ohne dass ihnen insoweit<br />

eine Wahlmöglichkeit offen steht, erscheint dies nicht unproblematisch.<br />

Solange ihnen die Option eröffnet wird, sich<br />

die notwendigen Informationen aktiv zu verschaffen und dann<br />

gegebenenfalls auch auf <strong>de</strong>n Ablauf <strong>de</strong>s Verfahrens Einfluss zu<br />

nehmen, ist dies aber wohl noch akzeptabel.<br />

Vor diesem Hintergrund erscheint es jedoch be<strong>de</strong>nklich, dass<br />

<strong>de</strong>n Beigela<strong>de</strong>nen im KapMuG, an<strong>de</strong>rs als normalen Streitverkün<strong>de</strong>ten,<br />

nicht die Möglichkeit gegeben wird, sich durch Beitritt<br />

zum Rechtsstreit ein umfassen<strong>de</strong>s Bild über <strong>de</strong>n Ablauf zu<br />

verschaffen, weil sie die Schriftsätze <strong>de</strong>r Musterpartei nur auf<br />

Antrag und die <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Beigela<strong>de</strong>nen überhaupt nicht zugeleitet<br />

erhalten, zumal dies über das elektronische Klageregister<br />

unschwer möglich wäre, wie auch <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srat in seiner<br />

Stellungnahme vorschlägt.<br />

Be<strong>de</strong>nklich ist dies aber vor allem im Hinblick auf diejenigen<br />

Anspruchsinhaber, die sich selbst aktiv an <strong><strong>de</strong>m</strong> Musterklageverfahren<br />

beteiligen wollen, ohne selbst Musterkläger zu sein. Ihnen<br />

wird die Teilnahme an <strong><strong>de</strong>m</strong> Verfahren in einer m.E. unakzeptablen<br />

Weise verwehrt. Hinzu kommt, dass auch <strong>de</strong>r Verfahrensablauf<br />

und <strong>de</strong>r Gerichtsbetrieb unnötig beeinträchtigt<br />

wer<strong>de</strong>n, wenn aktive Anspruchsinhaber gezwungen wer<strong>de</strong>n,<br />

sich die notwendigen Informationen durch Einsicht in die Gerichtsakte<br />

zu verschaffen o<strong>de</strong>r – fast noch schlimmer – in Unkenntnis<br />

<strong>de</strong>s Vortrages an<strong>de</strong>rer Beigela<strong>de</strong>nen dasselbe nochmals<br />

schriftsätzlich vorbringen.<br />

In diesem Zusammenhang ist auch zu erwägen, ob es im Hinblick<br />

darauf, dass <strong>de</strong>r Musterkläger vom Gericht ausgewählt<br />

wird, angemessen erscheint, <strong>de</strong>n übrigen Anspruchsstellern lediglich<br />

die Stellung einfacher und nicht streitgenössischer Nebenintervenienten<br />

einzuräumen. Dies geht zwar mit einer entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Beschränkung <strong>de</strong>r Rechtskraftbindung einher. Die<br />

Zwecke, die <strong>de</strong>r Gesetzgeber <strong>de</strong>s KapMuG verfolgt, wer<strong>de</strong>n<br />

aber auch dann verfehlt, wenn die Beschränkungen <strong>de</strong>r Rechtskraftbindung<br />

<strong>de</strong>s Musterbeschei<strong>de</strong>s greifen, weil keine hinreichen<strong>de</strong><br />

Einflussnahmemöglichkeit <strong>de</strong>r Beigela<strong>de</strong>nen bestand<br />

und <strong>de</strong>shalb weitere Verfahren nötig wer<strong>de</strong>n. Das in <strong>de</strong>r Regierungsbegründung<br />

als einziger Grund gegen eine streitgenössische<br />

Nebenintervention angeführte Problem divergieren<strong>de</strong>r<br />

Rechtsmittelfristen lässt sich m.E. <strong><strong>de</strong>m</strong>gegenüber einfach dadurch<br />

lösen, dass man insoweit an die Bekanntmachung <strong>de</strong>s<br />

Musterentscheids im elektronischen Klageregister anknüpft.<br />

Ob solche aktiven Anspruchsinhaber bereit sein wer<strong>de</strong>n, sich<br />

mit <strong>de</strong>n ihnen nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Alternativentwurf vom Muster-/Gruppenkläger<br />

eröffneten Informations- und Einflussnahmemöglichkeiten<br />

zu begnügen, bleibt abzuwarten. Da die dahingehen<strong>de</strong>n<br />

Pflichten <strong>de</strong>s Klägers in <strong><strong>de</strong>m</strong> Gesetzentwurf ausdrücklich unter<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Vorbehalt stehen, dass ihm dies mit vertretbarem Aufwand<br />

möglich ist, erscheint dies fraglich. Es steht daher zu befürchten,<br />

dass aktive Anspruchsinhaber sich bei <strong><strong>de</strong>m</strong> vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Regelungsmo<strong>de</strong>ll dazu veranlasst sehen, separat Rechtsstreite<br />

zu führen, was <strong>de</strong>n Intentionen eines Gruppen-/Musterverfahrens<br />

zuwi<strong>de</strong>rläuft.<br />

Meines Erachtens sollte erwogen wer<strong>de</strong>n, aktiven Anspruchsinhabern<br />

die Möglichkeit eines Beitritts als Nebenintervenient<br />

zur Gruppenklage einzuräumen. Die Notwendigkeit, hierzu<br />

einen Rechtsanwalt zu beauftragen, und die damit verbun<strong>de</strong>nen<br />

Kosten dürften ein hinreichen<strong>de</strong>s Mittel sein, um die Zahl


168 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Weigel, Sammelklagen o<strong>de</strong>r Musterverfahren<br />

<strong>de</strong>r in diesem Wege zusätzlichen Verfahrensbeteiligten gering<br />

zu halten.<br />

4. Mehrere Beklagte<br />

Gera<strong>de</strong> bei Massenklageverfahren richtet sich <strong>de</strong>r Focus verständlicherweise<br />

auf die Vielzahl <strong>de</strong>r Kläger. Dass darüber<br />

hinaus auch die Möglichkeit besteht, dass die Ansprüche gegen<br />

mehrere Beklagte gerichtet sind, wird <strong><strong>de</strong>m</strong>gegenüber oft übersehen.<br />

So fin<strong>de</strong>n sich in manchen Telekom-Verfahren neben<br />

dieser und <strong><strong>de</strong>m</strong> Vorstand Ron Sommer auch die KfW und die<br />

Bun<strong>de</strong>srepublik Deutschland sowie die Deutsche Bank und gera<strong>de</strong><br />

in letzter Zeit auch Goldman Sachs auf <strong>de</strong>r Beklagtenseite,<br />

ohne dass dies jedoch an<strong>de</strong>rerseits bei allen Verfahren <strong>de</strong>r Fall<br />

wäre. Gera<strong>de</strong> bei Prospekthaftungsverfahren ist die Möglichkeit<br />

mehrerer Prospektverantwortlicher nur zu nahe liegend.<br />

Trotz<strong><strong>de</strong>m</strong> fin<strong>de</strong>t sich in <strong><strong>de</strong>m</strong> KapMuG keine Regelung hierfür.<br />

In <strong>de</strong>r Gesetzesbegründung ist lediglich erwähnt, dass eine<br />

Streitgenossenschaft auch auf Beklagtenseite möglich sei. Dies<br />

kann sich aber wohl nur auf die Beklagten <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>gangsverfahren<br />

beziehen. Was mit Beklagten geschieht, die in <strong>de</strong>n späteren<br />

Verfahren neben <strong><strong>de</strong>m</strong> Musterbeklagten Partei sind o<strong>de</strong>r sogar<br />

als einzige in Anspruch genommen wer<strong>de</strong>n, ist im Gesetz nicht<br />

geregelt. Eine Beiladung fin<strong>de</strong>t gem. § 8 Abs. 3 nur hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>r „Kläger“ <strong>de</strong>r übrigen Verfahren statt.<br />

Obwohl die Parteistellung we<strong>de</strong>r in § 7 noch in § 16 als Tatbestandsmerkmal<br />

erwähnt ist, kommt eine <strong>Aus</strong>setzung o<strong>de</strong>r gar<br />

Rechtskrafterstreckung gegenüber Beklagten, die nicht Partei <strong>de</strong>s<br />

Musterverfahrens sind, wohl kaum in Betracht. Trotz<strong><strong>de</strong>m</strong> fin<strong>de</strong>t<br />

sich im Gesetzentwurf keine Regelung dafür, wie weitere potentielle<br />

Beklagte in das Musterverfahren einbezogen wer<strong>de</strong>n, sofern<br />

sie nicht Partei <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>gangsverfahren sind, was allein vom<br />

Zufall abhängt. So waren etwa die KfW, Goldmann Sachs und<br />

<strong>de</strong>r Bund bei <strong>de</strong>n ersten Telekom-Klagen nicht beteiligt.<br />

Nach allgemeinen prozessualen Möglichkeiten dürfte potentiellen<br />

weiteren Beklagten zwar die Möglichkeit einer Nebenintervention<br />

auf Beklagtenseite offen stehen, geregelt o<strong>de</strong>r auch<br />

nur erwähnt wird dies jedoch we<strong>de</strong>r in <strong><strong>de</strong>m</strong> Gesetzesentwurf<br />

noch in <strong>de</strong>r Begründung.<br />

Eine zwangsweise Einbeziehung ist nicht vorgesehen, so dass<br />

wegen <strong>de</strong>rselben Kapitalmarktinformation gegebenenfalls mehrere<br />

Musterverfahren durchgeführt wer<strong>de</strong>n müssten, soweit unterschiedliche<br />

Beklagte in Betracht kommen. Schon aus Grün<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Parität wür<strong>de</strong> es nahe liegen, auch an<strong>de</strong>ren (potentiellen)<br />

Beklagten die Stellung von Beigela<strong>de</strong>nen einzuräumen, soweit<br />

sie in einem <strong>de</strong>r sonstigen Klageverfahren Partei sind, wobei<br />

gera<strong>de</strong> sie allerdings meines Erachtens die Stellung streitgenössischer<br />

Nebenintervenienten haben sollten.<br />

Der Alternativentwurf geht auf diese Frage überhaupt nicht ein.<br />

Da eine Wirkungserstreckung auf nicht unmittelbar am Muster-/<br />

Gruppenverfahren Beteiligte nicht vorgesehen ist und eine Nebenintervention<br />

Interessierter zumin<strong>de</strong>st möglich erscheint, ist<br />

dies allerdings hier auch nicht ganz so tragisch.<br />

5. Kosten<br />

Ein erhebliches Problem bei Massenverfahren sind die Verfahrenskosten.<br />

Zum einen summieren sich auch bei mo<strong>de</strong>raten<br />

Streitwerten <strong>de</strong>r einzelnen Verfahren die Gesamtkosten für <strong>de</strong>n<br />

Beklagten, wenn er es mit einer Vielzahl von Klägern zu tun<br />

hat. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite ist bei <strong>de</strong>rartigen Verfahren die Beweiserhebung<br />

oft sehr teuer. So sind beim Telekom-Verfahren<br />

die Kosten für die Neubewertung <strong>de</strong>s Immobilienvermögens<br />

auf 17 Mio. Euro veranschlagt. Wenn mehrere gleichgerichtete<br />

Gutachten hierzu eingeholt wer<strong>de</strong>n müssten, hätte dies für die<br />

Beklagtenseite prohibitive Kosten zur Folge. Hinzu kommt,<br />

dass sich wohl auch eine ausreichen<strong>de</strong> Anzahl von Sachverständigen<br />

nur schwer fin<strong>de</strong>n lassen wür<strong>de</strong>.<br />

Der Entwurf <strong>de</strong>s KapMuG sieht vor, die Kläger von ihrer normalen<br />

Kostenvorschusspflicht zu befreien. Das hätte zur Folge,<br />

dass zunächst die Staatskasse mit diesen Kosten belastet wird<br />

und sie nur dann auf alle Kläger umgelegt wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>ren<br />

Klage nicht erfolgreich ist. Der Bun<strong>de</strong>srat geht <strong>de</strong>shalb in seiner<br />

Stellungnahme – wohl zu Recht – davon aus, dass dies eine<br />

Vermehrung solcher Klagen – auch wenn die Anspruchsberechtigung<br />

unklar ist – und damit eine Mehrbelastung <strong>de</strong>r Justiz<br />

zur Folge haben wird. Ferner rügt er, dass dies eine unangemessene<br />

Bevorzugung von Kapitalanlegern darstelle, die angesichts<br />

leerer Staatskassen nicht zu rechtfertigen sei. Die Beklagten<br />

hätten zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>n Vorteil, dass nicht mehrere solcher Gutachten<br />

eingeholt wer<strong>de</strong>n müssten.<br />

Dieser Bün<strong>de</strong>lungseffekt tritt auch bei einer Muster- o<strong>de</strong>r Gruppenklage<br />

nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Alternativentwurf ein, weil auch hier mehrere<br />

Verfahren zusammengefasst wer<strong>de</strong>n. Eine Kostenentlastung<br />

<strong>de</strong>r Kläger ist hier allerdings nicht vorgesehen. Es ist vielmehr<br />

die Aufgabe <strong>de</strong>s Musterklägers o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Verbraucherschutzvereinigung,<br />

die als Kläger auftritt, sich um die Finanzierung<br />

zu kümmern.<br />

Im Hinblick auf die bei <strong>de</strong>n Telekom-Verfahren prognostizierten<br />

Kosten hätte dies auf Klägerseite allerdings nur dann einen<br />

Entlastungseffekt zur Folge, wenn es <strong><strong>de</strong>m</strong> Kläger gelingt, diese<br />

Kosten auf eine Vielzahl an<strong>de</strong>rer Beteiligter zu verteilen. An<strong>de</strong>rerseits<br />

dürfte hierdurch <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n USA bekannten Gefahr<br />

entgegengewirkt wer<strong>de</strong>n, dass durch kreative „Klageanwälte“<br />

aufgestachelte Geschädigte nach Großschä<strong>de</strong>n dubiose Ansprüche<br />

als Gruppenklage geltend machen, ohne eigene Investitionen<br />

befürchten zu müssen, die normalerweise eine sorgfältige<br />

Anspruchsprüfung zur Folge haben.<br />

6. Zuständiges Gericht<br />

Um die notwendige Sachkompetenz <strong>de</strong>s Gerichts sicherzustellen,<br />

sieht <strong>de</strong>r Entwurf <strong>de</strong>s KapMuG auch die Einführung einer<br />

einheitlichen Zuständigkeit für alle Klagen wegen fehlerhafter<br />

Kapitalmarktinformationen vor. Dieses Ziel ist zu begrüßen.<br />

<strong>Aus</strong> diesem Grund – und um einige bei lokalen Gerichten aufgetretene<br />

<strong>Aus</strong>wüchse zu verhin<strong>de</strong>rn – wur<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n USA die<br />

Zuständigkeit für das actions auf die jeweiligen Bun<strong>de</strong>sgerichte<br />

verlagert (Class Action fairness act). Nach <strong><strong>de</strong>m</strong> neu vorgesehenen<br />

§ 32b ZPO soll das Gericht am Sitz <strong>de</strong>s Emittenten bzw.<br />

<strong>de</strong>r Zielgesellschaft zuständig sein.<br />

Gegenüber <strong>de</strong>r gegenwärtigen Rechtslage gemäß § 48 BörsenG<br />

und § 18 VerkaufsprospektG, die auf <strong>de</strong>n Ort <strong>de</strong>r Börsenzulassung<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Sitz <strong>de</strong>s BaFin abstellen, hat die Neuregelung<br />

allerdings eine Zersplitterung <strong>de</strong>r Gerichtsstän<strong>de</strong> zur Folge.<br />

Während bisher die überwiegen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r Prospekthaftungsklagen<br />

bei <strong>de</strong>r entsprechend sachkundigen Kammer <strong>de</strong>s Landgerichts<br />

Frankfurt stattfand, muss zukünftig wohl je<strong>de</strong>s Landgericht<br />

entsprechen<strong>de</strong> Kammern einrichten, die dann auch regelmäßig<br />

das Klageregister überwachen müssen. Der Bun<strong>de</strong>srat<br />

schlägt <strong>de</strong>shalb in seiner Stellungnahme vor, statt<strong>de</strong>ssen auf<br />

<strong>de</strong>n Börsenstandort o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Sitz <strong>de</strong>s BaFin abzustellen<br />

(Bl. 16 f.).<br />

Darüber hinaus trägt <strong>de</strong>r Gesetzentwurf insofern nicht gera<strong>de</strong><br />

zur Klarheit bei, als er auf <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s „Emittenten“ abstellt,<br />

obwohl die bisher gängige Begriffsbestimmung auf einige <strong>de</strong>r<br />

in § 1 aufgeführten Kapitalmarktinformationen nicht passt. Gemeint<br />

ist hier wohl je<strong>de</strong>r Herausgeber einer Kapitalmarktinformation,<br />

d.h. die Gesellschaft selbst.<br />

Der Alternativentwurf sieht lediglich vor, dass die Klagen am<br />

Sitz <strong>de</strong>s Beklagten erhoben wer<strong>de</strong>n, wobei für Gruppenklagen<br />

die erstinstanzliche Zuständigkeit <strong>de</strong>s OLG und ganz allgemein,<br />

d.h. nicht nur für die einheitliche Feststellung, <strong>de</strong>r allgemein<br />

verbindlichen Vorfragen, begrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n soll. Die<br />

oben angesprochenen Be<strong>de</strong>nken gelten daher auch hier.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 169<br />

Berger, Zum wissenschaftlichen Anspruch anwaltsorientierter Lehrinhalte<br />

IV. Resümee<br />

Im Ergebnis lässt sich aufgrund <strong>de</strong>r vorstehen<strong>de</strong>n Erwägungen<br />

festhalten, dass we<strong>de</strong>r das KapMuG noch <strong>de</strong>r Alternativvorschlag<br />

<strong>de</strong>s Verbraucherministeriums alle im Zusammenhang<br />

mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Phänomen von Massenklagen auftreten<strong>de</strong>n Probleme<br />

zu lösen imstan<strong>de</strong> sind. Insgesamt erscheint das Regelungsmo<strong>de</strong>ll<br />

<strong>de</strong>s Alternativentwurfs flexibler und damit wohl auch praxisnäher,<br />

weil es im stärkeren Maße auf die Initiative <strong>de</strong>s Musterklägers<br />

und die Eigenverantwortung <strong>de</strong>r beitreten<strong>de</strong>n Gruppenmitglie<strong>de</strong>r<br />

setzt. <strong>Aus</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong>selben Grund dürfte dieses Mo<strong>de</strong>ll<br />

auch einen größeren Entlastungseffekt für die Gerichte haben<br />

als das KapMuG, das wegen <strong>de</strong>r zwingen<strong>de</strong>n Rechtskrafterstreckung<br />

viel rigi<strong>de</strong>r sein muss, als es bei einem opt in-Mo<strong>de</strong>ll<br />

<strong>de</strong>r Fall ist. Auch <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srat scheint <strong>de</strong>shalb in seiner<br />

Stellungnahme ein solches Mo<strong>de</strong>ll zu favorisieren.<br />

In Anlehnung an <strong>de</strong>n Alternativentwurf <strong>de</strong>r Professoren Micklitz<br />

und Stadler erscheint mir ein Mo<strong>de</strong>ll am erfolgsversprechendsten,<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> sich entwe<strong>de</strong>r eine überschaubare Zahl<br />

von Klägern darauf einigt, ihren (vermeintlichen) Zahlungsanspruch<br />

durch einen Kläger gebün<strong>de</strong>lt im Wege <strong>de</strong>r Leistungsklage<br />

geltend zu machen, in<strong><strong>de</strong>m</strong> dieser entwe<strong>de</strong>r zur Prozessführung<br />

ermächtigt wird o<strong>de</strong>r die Ansprüche abgetreten erhält.<br />

<strong>Aus</strong> Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r „Hygiene“ wäre meines Erachtens allerdings<br />

zu erwägen, die Klägerstellung in solchen Verfahren vertrauenswürdigen<br />

Obleuten, möglicherweise nicht unbedingt Verbraucherschutzverbän<strong>de</strong>n,<br />

vorzubehalten.<br />

Daneben sollte es die Möglichkeit geben, mit verjährungshemmen<strong>de</strong>r<br />

Wirkung im Wege eines Feststellungsverfahrens vorgreifliche<br />

Sach- und Rechtsfragen mit Wirkung für alle Anspruchsinhaber<br />

klären zu lassen, die einem solchen Verfahren<br />

zustimmen (opt in) o<strong>de</strong>r – soweit sie glauben, sich einbringen<br />

zu müssen – als Nebenintervenienten beitreten. Diese Möglichkeit<br />

muss dann aber auch auf <strong>de</strong>r Beklagtenseite bestehen.<br />

Ich <strong>de</strong>nke, private Eigeninitiative ist eher geeignet, die sich aus<br />

<strong>de</strong>r Vielzahl ergeben<strong>de</strong>n logistischen Probleme zu bewältigen,<br />

als die Gerichtsverwaltung.<br />

Wie das Problem <strong>de</strong>r individuellen Anspruchsvoraussetzungen<br />

gelöst wer<strong>de</strong>n kann, falls die Anspruchsvoraussetzungen als<br />

bestehend festgestellt wor<strong>de</strong>n sind, aber entwe<strong>de</strong>r die Kläger<br />

o<strong>de</strong>r die Beklagten nicht einigungsbereit sind, vermag ich nicht<br />

zu erkennen. Es bleibt m.E. nur auf die Vernunft <strong>de</strong>r Beteiligten<br />

zu hoffen.<br />

Zum wissenschaftlichen Anspruch anwaltsorientierter Lehrinhalte 1<br />

Prof. Dr. Christian Berger, Leipzig<br />

I. Einleitung<br />

1 Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Verfasser auf <strong>de</strong>r<br />

6. Soldan-Tagung zur anwaltsorientierten Juristenausbildung am<br />

23. April 2004 an <strong>de</strong>r Universität Leipzig gehalten hat. Die Vortragsform<br />

wur<strong>de</strong> beibehalten. – Der Verfasser ist Direktor <strong>de</strong>s Instituts für<br />

Anwaltsrecht an <strong>de</strong>r Juristenfakultät <strong>de</strong>r Universität Leipzig.<br />

2 Haverkate, JuS 1996, 478.<br />

3 Barton, in: Barton/Jost, Die inhaltliche Neuausrichtung <strong>de</strong>s rechtswissenschaftlichen<br />

Studiums – 5. Soldan-Tagung zur anwaltsorientierten<br />

Juristenausbildung, S. 15.<br />

4 Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, 2. Aufl.<br />

2003, Rdnr. 6.<br />

Görg Haverkate hat 1996 in einem Beitrag in <strong>de</strong>r JuS 2 die<br />

Grundlagen und die Ziele <strong>de</strong>r anwaltsorientierten Juristenausbildung<br />

an <strong>de</strong>r Universität Hei<strong>de</strong>lberg dargestellt. Er wirft dabei<br />

die Frage auf: „Rechtswissenschaft o<strong>de</strong>r Rechtskun<strong>de</strong>“. Darin<br />

kommt die Besorgnis zum <strong>Aus</strong>druck, dass die Einbindung <strong>de</strong>r<br />

anwaltlichen Sichtweise <strong>de</strong>n wissenschaftlichen Anspruch <strong>de</strong>s<br />

juristischen Studiums trüben könnte. Diese Besorgnis ist verständlich,<br />

meines Erachtens aber unbegrün<strong>de</strong>t: Wer sich nicht<br />

nur vor<strong>de</strong>rgründig mit Rechtsnormen befassen möchte, son<strong>de</strong>rn<br />

sich für die Entstehungsbedingungen und Wirkungsweisen<br />

von Recht interessiert, darf die Perspektive <strong>de</strong>r Vertragsgestaltung<br />

nicht übergehen. „Praxisbezug und Wissenschaftlichkeit<br />

stellen richtig verstan<strong>de</strong>n keine Gegensätze dar.“ 3<br />

Bemerkenswert ist allerdings, dass die wissenschaftliche Komponente<br />

in <strong>de</strong>r Diskussion über die anwaltsorientierte Juristenausbildung<br />

nur am Ran<strong>de</strong> eine Rolle spielt. Man begrün<strong>de</strong>t die<br />

Notwendigkeit anwaltsbezogener Lehrinhalte mit <strong>de</strong>r hohen<br />

Zahl <strong>de</strong>r Absolventen, die <strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>s RA ergreifen 4 ; <strong>de</strong>n zukünftigen<br />

Anwälten sollen bereits innerhalb <strong>de</strong>s Studiums erste<br />

Einblicke in die Tätigkeit <strong>de</strong>s RA ermöglicht wer<strong>de</strong>n.<br />

Allein dieser Begründungsansatz – so wichtig er ist – vermag<br />

allerdings die Befassung mit Rechtsgestaltung an <strong>de</strong>r Universität<br />

nicht zu rechtfertigen. Die Universitäten sind zwar verpflichtet,<br />

die ihr anvertrauten Stu<strong>de</strong>nten auf die Berufsausübung<br />

vorzubereiten 5 . Das entbin<strong>de</strong>t sie aber nicht von <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Postulat <strong>de</strong>r Wissenschaftlichkeit.<br />

Auch die Protagonisten anwaltsorientierter Juristenausbildung<br />

behan<strong>de</strong>ln das Thema bislang eher zurückhaltend. Man betont,<br />

Anwaltsorientierung müsse selbstverständlich „kritisch“ erfolgen;<br />

sie habe „keine Abstriche an Wissenschaftlichkeit“ 6 zur<br />

Folge. Eine positive Begründung hierfür wird nicht gegeben.<br />

Diese <strong>de</strong>fensive Grundhaltung überrascht. Es sollte nämlich<br />

nicht übersehen wer<strong>de</strong>n, dass an <strong>de</strong>r Einbindung <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung<br />

in <strong>de</strong>n aka<strong><strong>de</strong>m</strong>ischen Unterricht grundsätzliche Kritik<br />

geübt wird: Stu<strong>de</strong>nten sollten nicht zu früh mit <strong>de</strong>n Möglichkeiten<br />

<strong>de</strong>r Interessenwahrnehmung vertraut gemacht wer<strong>de</strong>n. Die<br />

Interessenverfolgung durch Vertragsgestaltung sieht man als mit<br />

einer <strong>de</strong>r „Gerechtigkeit“ verpflichteten Rechtsordnung nicht in<br />

Einklang stehend. Lehrgegenstand sollte zunächst einmal die<br />

„objektive“ Rechtsordnung sein.<br />

Ich möchte im Folgen<strong>de</strong>n die Gegenposition einnehmen und<br />

begrün<strong>de</strong>n. Meine Thesen lauten:<br />

– Rechtsgestaltung ist ein unverzichtbarer Baustein <strong>de</strong>r Privatrechtsordnung.<br />

– Rechtsgestaltung ist ein <strong>de</strong>r Richterperspektive gleichwertiges<br />

Instrument einer wissenschaftlichen Befassung mit Recht.<br />

– Rechtsgestaltung ist daher nicht nur ein zu dul<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn<br />

ein sachlich unentbehrlicher Bestandteil <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />

Lehre.<br />

5 Vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Sächsisches Hochschulgesetz.<br />

6 Otte, Diskussionsbericht in Barton/Jost, Die inhaltliche <strong>Aus</strong>richtung<br />

<strong>de</strong>s rechtswissenschaftlichen Studiums, 5. Soldan-Tagung zur anwaltsorientierten<br />

Juristenausbildung, S. 131, 132 (unter 9.).


170 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Berger, Zum wissenschaftlichen Anspruch anwaltsorientierter Lehrinhalte<br />

Damit ist wie<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r „Wissenschaftlichkeit“ gefallen,<br />

<strong>de</strong>ssen Klärung <strong>de</strong>n hier gegebenen Rahmen sprengen<br />

wür<strong>de</strong>.<br />

Verständigen können wir uns freilich über Elemente rechtswissenschaftlicher<br />

Lehre. Neben <strong>de</strong>r unverzichtbaren Vermittlung<br />

positiven Wissens, die von einer kritischen Grundhaltung getragen<br />

sein sollte, befasst sich Rechtswissenschaft mit <strong>de</strong>n Entstehungsbedingungen<br />

und Wirkungsweisen von Recht. Ferner hat<br />

Wissenschaft die Aufgabe <strong>de</strong>r Systematisierung. Und speziell<br />

die Rechtswissenschaft sollte die Rechtspraxis kritisch begleiten<br />

und Vorschläge zur Lösung praktischer Fragestellungen entwickeln.<br />

II. Bestandsaufnahme<br />

Was wur<strong>de</strong> bislang wissenschaftlich auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Gebiet <strong>de</strong>r<br />

Rechtsgestaltung erreicht<br />

Betrachtet man die Publikationen zur Vertragsgestaltung, fällt<br />

auf, dass zahlreiche Bücher und Aufsatzreihen sich schwerpunktmäßig<br />

mit <strong>de</strong>r Lösung von Gestaltungsaufgaben befassen<br />

7 . Darin kommt <strong>de</strong>r Praxisbezug zum <strong>Aus</strong>druck. Diese Werke<br />

eigenen sich vorzüglich für Übungen.<br />

Recht weit gehen die Darstellungen freilich schon bei <strong>de</strong>r „Metho<strong>de</strong><br />

anwaltlicher Vertragsgestaltung“ 8 . Wenngleich hier nicht<br />

alles, was unter <strong><strong>de</strong>m</strong> Metho<strong>de</strong>nbegriff dargeboten wird, über<br />

einfache Hilfen hinausgeht, so sind hier doch wichtige Erkenntnisse<br />

formuliert wor<strong>de</strong>n. Schritte <strong>de</strong>r Vertragsgestaltung wie 9 :<br />

– Bestimmung <strong>de</strong>s Gestaltungsziels<br />

– Untersuchung <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Rechtslage<br />

– Bestimmung <strong>de</strong>s Gestaltungsbedarfs<br />

– Ermittlung und Bewertung <strong>de</strong>r Gestaltungsinstrumente<br />

– Formulierung <strong>de</strong>r Gestaltung (gewöhnlich in einer Urkun<strong>de</strong><br />

o<strong>de</strong>r einem Schriftsatz)<br />

eröffnen die Möglichkeit <strong>de</strong>r Rationalität, Kontrolle und Reflexion<br />

über die Tätigkeit.<br />

In diesem Rahmen kann <strong>de</strong>r kritische Umgang mit <strong>de</strong>n Formularbüchern<br />

und Musterverträgen gelehrt wer<strong>de</strong>n 10 . Die Funktion<br />

<strong>de</strong>r rechtlichen Rahmenbedingungen und das Postulat <strong>de</strong>s<br />

„sichersten Wegs“ 11 lassen sich darstellen. Schließlich ermöglicht<br />

dieses Vorgehen die Einbindung <strong>de</strong>s herkömmlichen materiellen<br />

Rechts und <strong>de</strong>s Prozessrechts.<br />

Neben Fragen <strong>de</strong>r Methodik fällt einer wissenschaftlichen Disziplin<br />

die Aufgabe <strong>de</strong>r Systematisierung zu. Insoweit sind die<br />

Anstrengungen nicht über erste Ansätze hinausgekommen. Ich<br />

möchte Ihnen dazu im Folgen<strong>de</strong>n einige Überlegungen vortragen.<br />

Mehr als Denkanstöße können es nicht sein. Ich erhebe<br />

hier nicht <strong>de</strong>n Anspruch, auch nur Prolegomena einer Theorie<br />

<strong>de</strong>r Lehre vom rechtlichen Gestalten vorzutragen. Es han<strong>de</strong>lt<br />

sich dabei um Früchte einer ergänzen<strong>de</strong>n Lehrveranstaltung,<br />

die ich in Leipzig vor einigen Jahren angeboten hatte. Ich beschränke<br />

mich auf das Privatrecht.<br />

7 Vgl. beispielsweise die Fälle und Lösungen bei Barton/Jost, Anwaltsorientierung<br />

im rechtswissenschaftlichen Studium, 2002, und Rittershaus/Teichmann,<br />

Anwaltliche Vertragsgestaltung, 2. Aufl. 2003,<br />

Rdnr. 326 ff.<br />

8 Vgl. Langenfeld, Vertragsgestaltung, 2. Aufl. 1997; Weber, JuS 1989,<br />

636 ff., 818 ff.; Teichmann, JuS 2001, 870 ff., 973 ff., 1078 ff.,<br />

1181 ff., JuS 2002, 40 ff.<br />

9 Vgl. Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, 2. Aufl.<br />

2003, Rdnr. 223 ff.<br />

10 Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, 2. Aufl.<br />

2003, Rdnr. 46.<br />

11 Dazu Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung,<br />

2. Aufl. 2003, Rdnr. 53.<br />

III. Begriff<br />

Unverzichtbarer Bestandteil wissenschaftlicher Befassung mit<br />

einem Gegenstand ist eine exakte Begrifflichkeit. Daher zunächst<br />

einige Worte zum Begriff:<br />

Ich halte <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „Vertragsgestaltung“ für eine unzulässige<br />

Verkürzung. Es geht nicht nur um Verträge, son<strong>de</strong>rn um<br />

<strong>de</strong>n gestalterischen Umgang mit allen von <strong>de</strong>r Rechtsordnung<br />

zur Verfügung gestellten Instrumenten. Der Vertrag nimmt dabei<br />

zweifelsfrei eine herausragen<strong>de</strong> Stellung ein. Daneben treten<br />

aber auch einseitige Gestaltungsmöglichkeiten wie Vollmachtserteilung,<br />

Kündigung und Testament.<br />

Ferner muss eine Verengung auf das materielle Recht vermie<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n. Gera<strong>de</strong> auch die Rechtsverwirklichung und damit<br />

Verfahren und Vollstreckung sind unverzichtbar für das Verständnis<br />

von Recht 12 . Dieser weite Ansatz muss sich in <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Begriff nie<strong>de</strong>rschlagen. Wir sollten daher nicht von „Vertragsgestaltung“<br />

sprechen, die unser Anliegen auf eine Handlungsform<br />

<strong>de</strong>s materiellen Rechts verengt, son<strong>de</strong>rn von „Rechtsgestaltung“.<br />

Rechtsgestaltung in diesem weiten Sinne umfasst <strong>de</strong>n Weg und<br />

das Gestaltungsergebnis, beispielsweise die Vertragsurkun<strong>de</strong>.<br />

Wir betrachten das Verfahren und sein Resultat.<br />

IV. Be<strong>de</strong>utung und Funktion<br />

1. Rechtsanwendung<br />

Rechtliches Gestalten unterschei<strong>de</strong>t sich von <strong>de</strong>r streitigen<br />

Rechtsanwendung durch <strong>de</strong>n Richter. Gleichwohl bleibt es<br />

Rechtsanwendung. Das be<strong>de</strong>utet, dass Rechtskenntnisse und<br />

die Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Gesetzesauslegung auch bei <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung<br />

ihre Be<strong>de</strong>utung behalten. Das folgt schon daraus, dass<br />

sich das abzu<strong>de</strong>cken<strong>de</strong> Regelungsspektrum (<strong>de</strong>r Regelungsbedarf)<br />

nicht ohne Ermittlung <strong>de</strong>r gesetzlichen <strong>Aus</strong>gangslage bestimmen<br />

lässt 13 . Ferner sind bei <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>wahl und <strong>de</strong>r Bewertung<br />

<strong>de</strong>r möglichen Gestaltungsmittel und bei ihrer Umsetzung<br />

Rechtskenntnisse unverzichtbar.<br />

2. Interessenwahrnehmung<br />

Rechtsgestaltung dient <strong>de</strong>r Interessenverfolgung. Dies scheint<br />

mit <strong><strong>de</strong>m</strong> „I<strong>de</strong>al“ <strong>de</strong>s rechtswissenschaftlichen Studiums nicht in<br />

Einklang zu stehen, wonach Rechtsfragen möglichst objektiv zu<br />

beurteilen seien 14 .<br />

Rechtliche Regelungen wer<strong>de</strong>n mit Recht an einem Gerechtigkeitsanspruch<br />

gemessen. Der <strong>Inhalt</strong> eines Vertrags freilich entzieht<br />

sich diesem Maßstab. Er spiegelt Verhandlungsstärke und<br />

Machtverhältnisse wi<strong>de</strong>r. Nur die Rahmenbedingungen seines<br />

Zustan<strong>de</strong>kommens unterliegen rechtlicher Prägung, die <strong>Inhalt</strong>e<br />

entziehen sich weithin rechtlichen Vorgaben.<br />

Für das gesamte Gebiet <strong>de</strong>r rechtlichen Gestaltung gilt: Interessenverfolgung<br />

ist zulässig und legitim 15 . Es wür<strong>de</strong> einen nachhaltigen<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch be<strong>de</strong>uten, wenn die Rechtsordnung einerseits<br />

<strong>de</strong>n RA aufgrund <strong>de</strong>s Anwaltsvertrags dazu verpflichtet,<br />

einseitig die Interessen <strong>de</strong>s Mandanten optimal wahrzunehmen<br />

16 , an<strong>de</strong>rerseits aber dieses Verhalten unter <strong>de</strong>n Verdacht<br />

12 Daher hat die Leipziger Juristenfakultät sich nicht auf Rechtsgestaltung<br />

beschränkt, son<strong>de</strong>rn auch die Rechtsdurchsetzung mit in <strong>de</strong>n<br />

Schwerpunktbereich einbezogen.<br />

13 Hommelhoff/Hillers, Jura 1983, 592, 593.<br />

14 Vgl. Kahlo, Gedächtnisschrift Meurer, 2002, S. 583, 602.<br />

15 Interessanterweise hat man gegenüber <strong><strong>de</strong>m</strong> Prozessrecht, das ebenfalls<br />

<strong>de</strong>r Interessendurchsetzung dient, sehr viel weniger Be<strong>de</strong>nken<br />

geäußert.<br />

16 Dies betonen Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung,<br />

2. Aufl. 2003, Rdnr. 9.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 171<br />

Berger, Zum wissenschaftlichen Anspruch anwaltsorientierter Lehrinhalte<br />

unethischen Han<strong>de</strong>lns stellte. Mittel und Wege <strong>de</strong>r Interessenverfolgung<br />

dürfen nicht zum Tabu erklärt wer<strong>de</strong>n. Ob ein Gestaltungsergebnis<br />

„gerecht“ ist o<strong>de</strong>r nicht, mag dahinstehen. Es<br />

darf nur die Grenzen <strong>de</strong>r Privatautonomie nicht verletzen.<br />

Damit ist <strong>de</strong>r Aspekt angesprochen, <strong>de</strong>r die Rechtsgestaltung<br />

über die skizzierten Einwän<strong>de</strong> hinwegführt. Rechtsgestaltung<br />

ist <strong>Aus</strong>übung <strong>de</strong>r Privatautonomie 17 . Folglich nimmt sie auch<br />

normativ eine ganz herausragen<strong>de</strong> Stellung ein. Sie ist unverzichtbarer<br />

Bestandteil einer freiheitlichen Privatrechtsordnung.<br />

Damit sollten Legitimations<strong>de</strong>fizite ein für alle mal behoben<br />

sein. Rechtsgestaltung ist die Krone <strong>de</strong>s Privatrechts, nicht ihr<br />

illegitimes Kind.<br />

3. Verfassungsrechtliche Absicherung<br />

Nicht zuletzt steht Rechtsgestaltung auf einem gesicherten verfassungsrechtlichen<br />

Fundament, wenn man sie als <strong>Aus</strong>übung<br />

<strong>de</strong>r Privatautonomie versteht. Nach ständiger Rspr. <strong>de</strong>s BVerfG<br />

genießt die Gestaltung <strong>de</strong>r Rechtsverhältnisse durch <strong>de</strong>n Einzelnen<br />

nach seinem Willen als <strong>Aus</strong>prägung <strong>de</strong>r allgemeinen<br />

Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlichen<br />

Schutz. Der Gesetzgeber muss <strong>de</strong>r Selbstbestimmung <strong>de</strong>s Einzelnen<br />

im Rechtsleben einen angemessenen Betätigungsraum<br />

eröffnen. Die Gewährleistung <strong>de</strong>r Privatautonomie „<strong>de</strong>nkt die<br />

justitielle Realisierung gleichsam mit und begrün<strong>de</strong>t daher die<br />

Pflicht <strong>de</strong>s Gesetzgebers, rechtsgeschäftliche Gestaltungsmittel<br />

zur Verfügung zu stellen, die als rechtsverbindlich zu behan<strong>de</strong>ln<br />

sind und auch im Streitfall durchsetzbare Rechtspositionen<br />

begrün<strong>de</strong>n.“ 18 Wenn aber <strong>de</strong>r Gesetzgeber verfassungsrechtlich<br />

verpflichtet ist, Gestaltungsmittel vorzusehen, so bedarf<br />

die wissenschaftliche Befassung mit diesen Instrumenten<br />

keiner weiteren Legitimation.<br />

V. Allgemeiner Teil <strong>de</strong>r Lehre von <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung<br />

Wir hatten uns in Erinnerung gerufen, dass eine <strong>de</strong>r wesentlichen<br />

Aufgaben einer Wissenschaftsdisziplin in <strong>de</strong>r Systematisierung<br />

<strong>de</strong>s Stoffs besteht. Wie lässt sich <strong>de</strong>r handlungsbezogene<br />

Aspekt <strong>de</strong>s Rechts systematisch darstellen Ich möchte im<br />

Folgen<strong>de</strong>n einige Überlegungen anstellen zu einem „Allgemeinen<br />

Teil <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung“.<br />

1. Was ist Rechtsgestaltung<br />

Rechtsgestaltung ist ein durch die Rechtsordnung <strong>de</strong>terminiertes<br />

Verfahren zur Erreichung bestimmter Ziele 19 .<br />

Die Lehre von <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung ist die Lehre von <strong>de</strong>n rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen und <strong>de</strong>n Gestaltungsmitteln, die<br />

die Rechtsordnung zur Erreichung bestimmter Handlungsziele<br />

in <strong>Aus</strong>übung verfassungsrechtlich verbürgter Freiheit bereit<br />

stellt.<br />

Unter Rahmenbedingungen verstehe ich dabei insbeson<strong>de</strong>re<br />

die Schranken <strong>de</strong>r Privatautonomie. Die Privatrechtsordnung<br />

lässt sich allerdings nicht allein als eine Schrankenordnung darstellen,<br />

selbst wenn man die verfassungsrechtlich verbürgte Privatautonomie<br />

als Prämisse setzt.<br />

Vielmehr sind Gestaltungsmittel mit klar <strong>de</strong>finierten Voraussetzungen<br />

und Rechtsfolgen erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

2. Normentheorie<br />

Nur am Ran<strong>de</strong> sei ange<strong>de</strong>utet, dass sich <strong><strong>de</strong>m</strong> Thema auch<br />

normtheoretische Aspekte entnehmen lassen: Die Perspektive<br />

17 Rittershaus/Teichmann, Anwaltliche Vertragsgestaltung, 2. Aufl.<br />

2003, Rdnr. 212.<br />

18 BVerfGE 89, 214, 231 f.<br />

19 Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung für die Rechtsordnung betont<br />

Re<strong>de</strong>kker, NJW 1989, 1141.<br />

<strong>de</strong>r Rechtsgestaltung ist <strong>de</strong>r handlungsbezogene Aspekt <strong>de</strong>s<br />

Rechts. Es geht nicht darum, Verhalten nachträglich – etwa aus<br />

haftungsrechtlichen Grün<strong>de</strong>n – zu bewerten. Recht wird nicht<br />

als Bewertungsnorm gesehen. Es geht nicht um Ge- und Verbote,<br />

son<strong>de</strong>rn um die Frage <strong>de</strong>r Wirksamkeit einer Gestaltung.<br />

Diese Perspektive lässt zugleich erkennen, wie wenig tragfähig<br />

die „Imperativentheorie“ ist. Diese führt bekanntlich alle<br />

Rechtssätze auf Sollenssätze zurück. Die Be<strong>de</strong>utung beispielsweise<br />

<strong>de</strong>r Vormerkung (§ 883 BGB) lässt sich aber nicht aus einem<br />

Sollenssatz ableiten.<br />

Privatautonomie lässt sich zwanglos in ein „Normengebäu<strong>de</strong>“<br />

einbin<strong>de</strong>n. Anzuerkennen ist, dass auch <strong>de</strong>r Vertrag Normqualität<br />

hat. Die Privatautonomie enthält damit auch eine Ermächtigung<br />

an die Rechtssubjekte zur Normsetzung. Nicht nur das<br />

subjektive Recht 20 , son<strong>de</strong>rn auch die Privatautonomie legitimiert<br />

zur Normsetzung.<br />

3. Subjekte rechtlicher Gestaltung – Beteiligtenlehre<br />

Bei <strong>de</strong>n han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Subjekten möchte ich unterschei<strong>de</strong>n zwischen<br />

<strong>de</strong>n Vertragssubjekten, <strong>de</strong>n Verhandlungssubjekten, Zustimmungsberechtigten<br />

und Dritten, die <strong>de</strong>n Gestaltungsinhalt<br />

bestimmen.<br />

a) Vertragssubjekte<br />

Beteiligtenfragen spielen eine Rolle im Verfahrensrecht, im Zivilprozessrecht<br />

bei <strong>de</strong>r Parteilehre, in <strong>de</strong>r freiwilligen Gerichtsbarkeit<br />

im Beteiligtenbegriff. Es geht dabei um die Problematik,<br />

wer Subjekt eines Verfahrens ist und wer dies sein darf bzw.<br />

sein muss.<br />

Vergleichbare Fragen stellen sich bei <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung. Soll<br />

beispielsweise ein Grundstück aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Nachlass einer Miterbengemeinschaft<br />

im Zuge <strong>de</strong>r Erbschaftsauseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

übertragen wer<strong>de</strong>n, kann dieses Ziel nur erreicht wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn alle Miterben als Vertragspartei auftreten. Diese Erkenntnis<br />

ist trivial. Gleichwohl lässt sich an ihr die grundlegen<strong>de</strong><br />

Funktion <strong>de</strong>r Verfügungsbefugnis darstellen.<br />

Die Frage stellt sich bei je<strong>de</strong>r Rechtsübertragung. Soll sie wirksam<br />

wer<strong>de</strong>n, muss <strong>de</strong>r Vertrag mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Inhaber <strong>de</strong>s Rechts geschlossen<br />

wer<strong>de</strong>n. Nur dann kann <strong>de</strong>r Vertrag die gewollten<br />

Wirkungen auch herbeiführen. Damit erweist sich die Verfügungsbefugnis<br />

als dasjenige Kriterium, das – ähnlich wie die<br />

Prozessführungsbefugnis – <strong>de</strong>n Beteiligtenkreis umreißt.<br />

Zugleich lässt sich daran die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Rechtsscheinsträger<br />

wie Grundbuch, Han<strong>de</strong>lsregister o<strong>de</strong>r Erbschein <strong>de</strong>utlich<br />

machen.<br />

b) Verhandlungssubjekte<br />

Die Eigengestaltung <strong>de</strong>s Vertrags durch die Vertragspartei ist je<strong>de</strong>nfalls<br />

bei umfassen<strong>de</strong>ren Geschäften eher selten. Von <strong>de</strong>n<br />

Vertragssubjekten sind die Verhandlungssubjekte zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Verhandlungssubjekte agieren als Vertreter. Ihre Rechtsmacht<br />

ist entschei<strong>de</strong>nd für die Wirksamkeit <strong>de</strong>s Geschäfts. Die Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>r Innenbindung zum eigentlichen Vertragssubjekt ist<br />

groß, wie das Beispiel <strong>de</strong>s RA zeigt.<br />

Als Teilnehmer <strong>de</strong>r Gestaltung nehmen ferner Notare eine beson<strong>de</strong>re<br />

Rolle ein, überdies Verbän<strong>de</strong> beispielsweise bei Musterverträgen<br />

und Testamentsvollstrecker bei Nachlassauseinan<strong>de</strong>rsetzungen.<br />

20 Vgl. Buchner, Subjektives Recht als Rechtssetzungsbefugnis.


172 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Berger, Zum wissenschaftlichen Anspruch anwaltsorientierter Lehrinhalte<br />

Die wissenschaftliche Fragestellung lautet hier, in welcher Weise<br />

<strong>de</strong>r unterschiedliche „Status“ <strong>de</strong>r Verhandlungssubjekte und<br />

ihre persönliche Pflichtenlage Einfluss auf die Vertragsgestaltung<br />

nehmen.<br />

c) Zustimmungsberechtigte<br />

Eine weitere Form <strong>de</strong>r Beteiligung an einem Rechtsgeschäft ist<br />

die Zustimmung. Der Zustimmungsberechtigte kann <strong>de</strong>n <strong>Inhalt</strong><br />

<strong>de</strong>s Geschäfts nicht unmittelbar beeinflussen, son<strong>de</strong>rn nur „Ja“<br />

sagen.<br />

In <strong>de</strong>r universitären Lehre lassen sich die Fragen anhand <strong>de</strong>r<br />

Zustimmung <strong>de</strong>s Ehegatten bei Rechtsgeschäften über das Gesamtvermögen<br />

(§§ 1365, 1366 BGB) exemplarisch aufgreifen.<br />

Be<strong>de</strong>utung erlangt diese bekanntlich bei Gesellschaftsverträgen<br />

und Grundstücksgeschäften.<br />

d) Regelung durch Dritte<br />

Von <strong>de</strong>n zuvor genannten Beteiligten zu unterschei<strong>de</strong>n sind<br />

Personen, die durch das Rechtsgeschäft in die Gestaltungsentscheidung<br />

eingebun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Beispiele hierfür bil<strong>de</strong>n die Möglichkeit <strong>de</strong>r Leistungsbestimmung<br />

durch Dritte nach § 317 BGB und die Bestimmung <strong>de</strong>s<br />

Zuwendungsempfängers bei Verfügungen von To<strong>de</strong>s wegen.<br />

Die wissenschaftliche Lehre wird erstens die Möglichkeiten <strong>de</strong>r<br />

Drittbestimmung <strong>de</strong>s Gestaltungsinhalts darstellen, zweitens<br />

ihre Bezüge zu an<strong>de</strong>ren Fällen <strong>de</strong>r Fremdgestaltung wie beispielsweise<br />

die Vollmacht aufarbeiten, ferner <strong>de</strong>n Umfang (und<br />

die Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich) <strong>de</strong>r gerichtlichen<br />

Kontrolle <strong>de</strong>r gewählten Bestimmung untersuchen und nicht<br />

zuletzt Grün<strong>de</strong> für die unterschiedliche gesetzliche Schrankenregelung<br />

bei Drittgestaltungen analysieren.<br />

Ein sehr lehrreiches Beispiel bietet das Erbrecht. Bekanntlich<br />

schei<strong>de</strong>t nach § 2065 Abs. 2 BGB eine Bestimmung <strong>de</strong>s Erben<br />

durch Dritte aus, wohl aber kann nach § 2151 BGB <strong>de</strong>r Vermächtnisnehmer<br />

durch einen Dritten bestimmt wer<strong>de</strong>n. Wir<br />

haben die Grün<strong>de</strong> dieser uneinheitlichen <strong>Aus</strong>gestaltung privatautonomer<br />

Handlungsfreiheit darzustellen, zu bewerten und<br />

vor diesem Hintergrund die von <strong>de</strong>r Kautelarjurispru<strong>de</strong>nz entwickelten<br />

„Umgehungskonstruktionen“ – <strong>de</strong>r Erblasser überlässt<br />

nicht die „Bestimmung“, wohl aber die „Bezeichnung“<br />

<strong>de</strong>s Erben nach vorgegebenen Kriterien einem Dritten 21 – zu<br />

analysieren.<br />

4. Mittel rechtlicher Gestaltung – Handlungsformen<br />

Unter <strong>de</strong>n Gestaltungsmitteln lassen sich Handlungsformen<br />

systematisieren.<br />

Lehrreich ist hierbei eine nähere Analyse <strong>de</strong>r Unterschie<strong>de</strong> einseitiger<br />

und konsensualer Handlungsformen im Hinblick auf<br />

die gerichtliche Kontrolldichte.<br />

Als Beispiel böte sich die Beendigung eines Rechtsverhältnisses<br />

(Arbeitsvertrag, Mietvertrag, Gesellschaftsvertrag) durch Kündigung<br />

einerseits und durch einen Aufhebungsvertrag an<strong>de</strong>rerseits<br />

an. Darzustellen ist, dass einseitige Handlungsformen gewöhnlich<br />

einer intensiveren gerichtlichen <strong>Inhalt</strong>skontrolle unterliegen<br />

als konsensuales Han<strong>de</strong>ln. Der Aufhebungsvertrag<br />

schafft daher höhere Rechtssicherheit als die Kündigung. An<strong>de</strong>rerseits<br />

hat die Mitwirkung <strong>de</strong>s Vertragspartners am Aufhebungsvertrag<br />

regelmäßig einen Preis.<br />

Neben <strong>de</strong>r Systematisierung bietet es sich an, die Funktion einzelner<br />

Gestaltungen näher darzustellen und zu analysieren. In<br />

<strong>de</strong>r Praxis spielt die „Option“ eine überragen<strong>de</strong> Rolle, und<br />

21 Gelungene Darstellung bei Leipold, Erbrecht, 14. Aufl. 2002,<br />

Rdnr. 281 ff.<br />

zwar in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, etwa beim<br />

Vertrieb von Baugrundstücken, bei Finanzgeschäften o<strong>de</strong>r im<br />

Lizenzhan<strong>de</strong>l. Der Reiz dieser Gestaltung besteht darin, dass<br />

nur eine Partei <strong>de</strong>s Optionsvertrags gebun<strong>de</strong>n ist, die an<strong>de</strong>re<br />

Seite jedoch frei bleibt und die Möglichkeit hat, <strong>de</strong>n Rechtserwerb<br />

zu einem späteren Zeitpunkt durch einseitige Erklärung<br />

zu vollen<strong>de</strong>n. Es lassen sich an diesem Beispiel Gestaltungsinteressen,<br />

die verschie<strong>de</strong>nen Gestaltungsmittel und die Sicherung<br />

(im Beispiel <strong>de</strong>s Grundstücks durch Vormerkung) darstellen.<br />

Bei <strong>de</strong>r Lehre von <strong>de</strong>n Gestaltungsmitteln sollte <strong>de</strong>r Hinweis<br />

nicht fehlen, dass das Gesetz selbst Vorbil<strong>de</strong>r einer interessengerechten<br />

Gestaltung bereithält.<br />

Ein Beispiel hierfür bil<strong>de</strong>t die Anfechtung eines Vertrags infolge<br />

arglistiger Täuschung nach § 123 BGB. Es ist durchaus bemerkenswert<br />

und lehrreich, dass das BGB einen Vertrag, <strong>de</strong>r durch<br />

(Eingehungs-)Betrug (§ 263 StGB) zustan<strong>de</strong> kam, nicht nach<br />

§ 134 BGB für nichtig erachtet. Vielmehr legt das Gesetz die<br />

Entscheidung über die Nichtigkeit in die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Betrogenen.<br />

Die Willensfreiheit ist kein Dogma <strong>de</strong>s BGB. Der Betrogene<br />

soll über <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>s Vertrags disponieren können. Diese<br />

Lösung steht repräsentativ für einen Weg kluger Vertragsgestaltung:<br />

Nicht selten ist es günstiger, für <strong>de</strong>n Fall nachträglicher<br />

Störungen eines Vertragsverhältnisses Handlungsrechte vorzusehen<br />

und nicht schon vorab einen Automatismus an Rechtsfolgen<br />

zu vereinbaren, die sich später nicht mehr als interessengerecht<br />

erweisen können.<br />

5. Objekte rechtlicher Gestaltung – Gegenstän<strong>de</strong><br />

Angesichts <strong>de</strong>r Vielzahl möglicher <strong>Inhalt</strong>e von Rechtsgeschäften<br />

wür<strong>de</strong> es zu weit führen, hier eine Systematisierung zu versuchen.<br />

Ein Aspekt sei jedoch hervorgehoben. Vertragsgestaltung als<br />

Teil <strong>de</strong>s rechtlichen Gestaltens dient sehr häufig <strong><strong>de</strong>m</strong> Gütertransfer.<br />

Grundvoraussetzung vertraglichen Güteraustauschs bil<strong>de</strong>t die<br />

Zuordnung von Gegenstän<strong>de</strong>n (Sachen, Erfindungen, Kennzeichen,<br />

auch For<strong>de</strong>rungen) zu einer Person. Die Zuordnung ist<br />

rechtlich insbeson<strong>de</strong>re durch <strong>Aus</strong>schließlichkeitsrechte organisiert.<br />

Diese bil<strong>de</strong>n zugleich <strong>de</strong>n Gegenstand <strong>de</strong>r Verfügung.<br />

Wir übertragen nicht Gegenstän<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn Rechte an Gegenstän<strong>de</strong>n.<br />

Diese lassen sich ohne Einbuße vom bisherigen<br />

Rechtsträger lösen und gehen unverän<strong>de</strong>rt auf <strong>de</strong>n Erwerber<br />

über. Dieses I<strong>de</strong>ntitäts<strong>de</strong>nken ist eine herausragen<strong>de</strong> rechtskulturelle<br />

Leistung.<br />

Die Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen, wie das Beispiel<br />

eines Lizenzvertrags über ein Betriebsgeheimnis lehrt.<br />

Das Betriebsgeheimnis ist kein übertragbares Recht, son<strong>de</strong>rn<br />

nach § 17 UWG gegen <strong>Aus</strong>spähung geschützt. Gleichwohl<br />

wer<strong>de</strong>n Verträge darüber geschlossen. Dies wirft die Frage<br />

nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Vertragsgegenstand auf.<br />

Rechtsübertragung setzt ferner eine Befreiung von aktionenrechtlichem<br />

Denken voraus. Die „actio“ als Klagerecht kann<br />

nicht übertragen wer<strong>de</strong>n, wohl aber ein materiellrechtlich gedachter<br />

Anspruch. Die berühmte Schrift von Windscheid, die<br />

entschei<strong>de</strong>nd zur heute gedanklichen Trennung von Prozessund<br />

materiellem Recht beigetragen hat, enthält in ihrem zweiten<br />

Teil <strong>de</strong>nn auch eine umfassen<strong>de</strong> Zessionslehre.<br />

Didaktisch überaus ertragreich ist eine Analyse <strong>de</strong>r Voraussetzungen<br />

und Folgen, die sich für die Rechtsgestaltung aus unterschiedlichen<br />

Gestaltungsobjekten bei gleich bleiben<strong><strong>de</strong>m</strong> Gestaltungsziel<br />

ergeben. Als Beispiel genannt sei <strong>de</strong>r bei einer<br />

Erbauseinan<strong>de</strong>rsetzung auftreten<strong>de</strong> Unterschied zwischen <strong>de</strong>r<br />

Übertragung aller Erbanteile einer Erbengemeinschaft an einen<br />

Dritten und <strong>de</strong>r Übertragung (nur) <strong>de</strong>s Nachlassgrundstücks.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 173<br />

Berger, Zum wissenschaftlichen Anspruch anwaltsorientierter Lehrinhalte<br />

6. Schranken <strong>de</strong>r Gestaltung<br />

Vor <strong><strong>de</strong>m</strong> Hintergrund <strong>de</strong>r Privatautonomie spielen die Schranken<br />

<strong>de</strong>r rechtlichen Gestaltung eine herausragen<strong>de</strong> Rolle. Dies<br />

ist die Stelle, an <strong>de</strong>r Gerechtigkeitsvorstellungen <strong>de</strong>r Rechtsordnung<br />

wirksam wer<strong>de</strong>n.<br />

Die systematisieren<strong>de</strong> Darstellung wird dabei die Erscheinungsformen<br />

von Schranken weniger im Hinblick auf die<br />

Rechtsfolgen unterschei<strong>de</strong>n. Unter <strong><strong>de</strong>m</strong> Handlungsaspekt <strong>de</strong>s<br />

Rechts wichtiger sind die „Vorwirkungen“ <strong>de</strong>r Rechtsfolgen für<br />

das Verhalten <strong>de</strong>r Gestaltungssubjekte.<br />

Gestaltungsverbote (§§ 134, 138 BGB) richten sich gegen <strong>de</strong>n<br />

<strong>Inhalt</strong> eines Rechtsgeschäfts und zwingen dazu, das Geschäft<br />

gar nicht o<strong>de</strong>r mit einem an<strong>de</strong>ren <strong>Inhalt</strong> abzuschließen.<br />

Zahlreiche Gestaltungsschranken wen<strong>de</strong>n sich aber nicht gegen<br />

<strong>de</strong>n <strong>Inhalt</strong> <strong>de</strong>r Gestaltung, son<strong>de</strong>rn begrün<strong>de</strong>n Vorgaben<br />

für die Voraussetzungen <strong>de</strong>s Rechtsgeschäfts. Hierzu zählen<br />

die im Verbraucherschutzrecht verbreiteten Obliegenheiten zu<br />

Information und Belehrung, ferner alle Formvorschriften.<br />

In <strong>de</strong>n Zusammenhang <strong>de</strong>r Schranken rechtlicher Gestaltung<br />

gehört auch die Frage <strong>de</strong>s „gerechten Preises“ o<strong>de</strong>r die Voraussetzungen<br />

eines „Umgehungsgeschäfts“.<br />

Selbstverständlich sollten auch die „Schranken <strong>de</strong>r Schranken“<br />

<strong>de</strong>r Privatautonomie ihren Platz fin<strong>de</strong>n, die sich insbeson<strong>de</strong>re<br />

aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Verfassungsrecht und <strong>de</strong>r gesetzgeberischen Vernunft<br />

ergeben.<br />

7. Rahmenbedingungen <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung<br />

Zu <strong>de</strong>n Rahmenbedingungen gestalterischen Han<strong>de</strong>lns zählen<br />

die Pflichten, die die Rspr. hinsichtlich <strong>de</strong>r Haftung wegen Verschul<strong>de</strong>ns<br />

bei Vertragsverhandlungen entwickelt hat, namentlich<br />

Informationspflichten, ferner die Vorgaben über <strong>de</strong>n Abbruch<br />

von Vertragsverhandlungen.<br />

„Weiche“ Gestaltungsbedingungen wie das Steuerrecht und<br />

zunehmend auch das Sozialrecht haben große Be<strong>de</strong>utung.<br />

8. Abschluss <strong>de</strong>r Gestaltung<br />

Erfolgreiche Vertragsverhandlungen mün<strong>de</strong>n in einen Vertragsabschluss.<br />

Hier spielen neben Formfragen Probleme <strong>de</strong>s Aufbaus<br />

<strong>de</strong>r Urkun<strong>de</strong>, ihre Glie<strong>de</strong>rung und <strong>de</strong>r Wortlaut <strong>de</strong>r einzelnen<br />

Formulierungen eine Rolle. In Übungen kann <strong>de</strong>r gestalterische<br />

Umgang mit <strong>de</strong>r Rechtsordnung gelehrt wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn die Teilnehmer vor die Aufgabe gestellt wer<strong>de</strong>n, eigenständig<br />

eine Gestaltung zu formulieren.<br />

Lehrreich ist in diesem Zusammenhang auch die Rechtsvergleichung.<br />

Sie lässt <strong>de</strong>n Einfluss <strong>de</strong>r objektiven Rechtsordnung auf<br />

die Formulierung von Vertragsurkun<strong>de</strong>n erkennen. Eine Kodifikation<br />

reduziert <strong>de</strong>n zu leisten<strong>de</strong>n Gestaltungsaufwand. Die<br />

„Amerikanisierung <strong>de</strong>r Vertragspraxis“ 22 mit seitenlangen Definitionen<br />

und langatmigen Klauseln fin<strong>de</strong>t hier eine Erklärung.<br />

Es ist kein Zeichen einer selbstbewussten Kultur rechtlichen<br />

Gestaltens, dass sie auf rein inner<strong>de</strong>utsche Verträge ausstrahlt.<br />

9. Sicherung <strong>de</strong>r Vertragsdurchführung<br />

Ferner sollte sich die Lehre von <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung befassen<br />

mit <strong>de</strong>n überaus wichtigen Fragen <strong>de</strong>r Vertragsdurchführung<br />

und <strong>de</strong>r Sicherung <strong>de</strong>r vereinbarten Gestaltungen insbeson<strong>de</strong>re<br />

für <strong>de</strong>n Insolvenzfall.<br />

Hier verdienen die Instrumente Synallagma, Bedingung, Rücktritt,<br />

die Sicherungsrechte wie Eigentumsvorbehalt und Vormerkung,<br />

Verwirkungsklauseln usw. beson<strong>de</strong>re Beachtung, ferner<br />

22 Vgl. <strong>de</strong>n Leserbrief von Vorbrugg, FAZ v. 3.1.2002.<br />

prozessuale Fragen wie Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen<br />

sowie Titulierungsmöglichkeiten.<br />

10. Kosten rechtlicher Gestaltung<br />

Nicht übergangen wer<strong>de</strong>n dürfen schließlich die Fragen <strong>de</strong>r<br />

Kosten rechtlicher Gestaltung. Transaktionskosten sind ein<br />

wichtiger Faktor für die Akzeptanz einer vorgeschlagenen Gestaltung<br />

durch <strong>de</strong>n Mandanten. Sie bil<strong>de</strong>n damit einen nicht zu<br />

unterschätzen<strong>de</strong>n Gestaltungsfaktor. Unter Kostenaspekten mag<br />

sich auch die Frage stellen, ob eine Urkun<strong>de</strong> im <strong>Aus</strong>land nicht<br />

preiswerter errichtet wer<strong>de</strong>n kann.<br />

VI. Schluss<br />

Lassen Sie mich mit drei Bemerkungen schließen:<br />

1. Wem diese Überlegungen zu theoretisch erscheinen, <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

sei entgegnet: Alles das, was hier skizziert wor<strong>de</strong>n ist, fin<strong>de</strong>t<br />

sich im Vertrag wie<strong>de</strong>r. Betrachten Sie einen beliebigen Grundstückskaufvertrag!<br />

Sie fin<strong>de</strong>n dort von <strong>de</strong>n Beteiligten in ihren<br />

unterschiedlichen Rollen, <strong>de</strong>r Bezeichnung <strong>de</strong>s Vertragsgegenstands,<br />

Pflichten, Zusicherungen und Haftungsfreizeichnungen<br />

bis hin zu Sicherheiten, Abwicklung und Kostenfragen alle die<br />

genannten Aspekte wie<strong>de</strong>r.<br />

Es ist lehrreich und für ein vertieftes Verständnis <strong>de</strong>r Privatrechtsordnung<br />

unverzichtbar, <strong>de</strong>utlich zu machen, dass sich sogar<br />

so fundamentale Weichenstellungen wie beispielsweise das<br />

Trennungsprinzip – die Unterscheidung zwischen Verpflichtung<br />

und Verfügung – in je<strong><strong>de</strong>m</strong> Grundstückskaufvertrag mit<br />

Verpflichtung und Auflassung wie<strong>de</strong>rfin<strong>de</strong>n.<br />

2. Das alles ist nicht neu! Die Darstellung <strong>de</strong>s Privatrechts unter<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Blickwinkel <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung greift große Teile <strong>de</strong>r<br />

Rechtsgeschäftslehre auf. Insofern bewegt sie sich auf gesicherter<br />

Grundlage.<br />

Die Betonung liegt aber auf <strong>de</strong>r Erkenntnis, dass Recht nicht<br />

vorgegeben ist, son<strong>de</strong>rn „gemacht“ wird. Der Stu<strong>de</strong>nt soll heraustreten<br />

aus <strong>de</strong>r passiven Rolle <strong>de</strong>s Rechtsunterworfenen, in<br />

<strong>de</strong>r er sich erlebt, und an die Aufgaben herangeführt wer<strong>de</strong>n,<br />

die sich ihm in Zukunft stellen wer<strong>de</strong>n. Die Perspektive <strong>de</strong>r<br />

Rechtsgestaltung betont die Subjektsqualität <strong>de</strong>s Staatsbürgers.<br />

3. Der skizzierte „Allgemeine Teils <strong>de</strong>r Lehre von <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung“<br />

stellt das Privatrecht unter <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s gestalterischen<br />

Umgangs mit <strong>de</strong>r Rechtsordnung dar.<br />

Er stellt damit zugleich ein Fundament bereit, auf das an<strong>de</strong>re<br />

Veranstaltungsformen wie beispielsweise die Vermittlung <strong>de</strong>r<br />

Gestaltungspraxis in <strong>de</strong>n Einzelgebieten (Vertragsrecht, Familien-<br />

und Erbrecht, Gesellschaftsrecht usw.), die Analyse konkreter<br />

Verträge und die Lösung vorgegebener Gestaltungsaufgaben<br />

in Übungen und in <strong>de</strong>r anwaltlichen <strong>Aus</strong>bildungspraxis 23 aufbauen<br />

können.<br />

Die Lehre von <strong>de</strong>r Rechtsgestaltung an <strong>de</strong>r Universität bedarf<br />

damit keiner Rechtfertigung. Anwaltsorientierte Juristenausbildung,<br />

soweit sie sich mit Rechtsgestaltung befasst, bil<strong>de</strong>t einen<br />

unverzichtbaren Bestandteil <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Lehre vom<br />

Privatrecht.<br />

Lassen Sie mich daher schließen mit <strong>de</strong>n Worten Haverkates:<br />

„Wenn wir anwaltliche Praxis einla<strong>de</strong>n, verzichten wir nicht<br />

auf Wissenschaft, son<strong>de</strong>rn betreiben sie ernstlich“ 24 .<br />

23 Im Rahmen <strong>de</strong>s von RA und Fachanwalt für Insolvenzrecht Michael<br />

C. Frege (CMS Hasche Sigle, Leipzig) gemeinsam mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Institut<br />

für Anwaltsrecht <strong>de</strong>r Universität Leipzig ins Leben gerufenen Programms<br />

„Anwalt Studieren!“ (http://www.uni-leipzig.<strong>de</strong>/urheberrecht/anwstud/anwstud.php)<br />

wer<strong>de</strong>n bereits Stu<strong>de</strong>nten an die anwaltliche<br />

Gestaltungspraxis herangeführt.<br />

24 Haverkate, JuS 1996, 478, 482.


174 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Kempter/Kopp, Berufsrechtliche Zulassung <strong>de</strong>r Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft kraft Richterrecht<br />

Berufsrechtliche Zulassung <strong>de</strong>r Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft kraft Richterrecht<br />

zugleich: Anmerkung zum Beschluss <strong>de</strong>s BGH vom 10. Januar 2005 1<br />

Rechtsanwalt Dr. Fritz-Eckehard Kempter, München, 1<br />

und Rechtsanwalt Stephan Kopp, Ebenhausen 2<br />

1. Vorbemerkung<br />

Mit <strong>de</strong>r Entscheidung vom 10.1.2005 stellt <strong>de</strong>r BGH fest, dass<br />

neben <strong>de</strong>r Gesellschaft in <strong>de</strong>r Rechtsform einer GmbH auch<br />

eine Gesellschaft in <strong>de</strong>r Rechtsform einer Aktiengesellschaft als<br />

Berufsausübungsgesellschaft zugelassen wer<strong>de</strong>n kann. Der Beschluss<br />

ist ein wichtiger Markstein in <strong>de</strong>r überfälligen Fortentwicklung<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>utschen Anwaltsrechts und richtungsweisend<br />

für die RAKn, die die Zulassung von Rechtsanwaltsgesellschaften<br />

und <strong>de</strong>ren Wi<strong>de</strong>rruf im Einklang mit <strong>de</strong>n gelten<strong>de</strong>n Gesetzen<br />

zu verbeschei<strong>de</strong>n haben.<br />

2. Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Zulassung bei Rechtsformwechsel<br />

In <strong>de</strong>r Entscheidung stellt <strong>de</strong>r BGH zunächst klar, dass die Zulassung<br />

einer GmbH als Rechtsanwaltsgesellschaft zu wi<strong>de</strong>rrufen<br />

ist, wenn diese nach einem Formwechsel nicht mehr die<br />

Voraussetzungen <strong>de</strong>s § 59c BRAO erfüllt, also keine Gesellschaft<br />

mit beschränkter Haftung mehr ist. Die Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

Rechtsform durch einen Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG<br />

steht <strong><strong>de</strong>m</strong> nicht entgegen, weil die Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

von personenbezogenen Voraussetzungen abhängt<br />

und <strong>de</strong>shalb nicht ipso iure mit <strong>de</strong>r gesellschaftsrechtlichen<br />

Umwandlung übergeht, son<strong>de</strong>rn neu erteilt wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Der BGH betont hiermit ausdrücklich <strong>de</strong>n personenbezogenen<br />

Charakter auch von anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften<br />

in Form von Kapitalgesellschaften.<br />

3. Verfassungsrechtlicher Anspruch einer Aktiengesellschaft<br />

auf berufsrechtliche Zulassung<br />

1 AnwZ (B) 27 u. 28/03; abgedr. auch in NJW 2005, 1568 ff. Vorinstanz:<br />

AGH Nordrhein-Westfalen, BRAK-Mitt. 2003, 186 ff.<br />

2 Der Verfasser Dr. Kempter ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied<br />

<strong>de</strong>r Partnerschaft Kempter, Gierlinger und Partner in München<br />

sowie Vizepräsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r RAK München und <strong>de</strong>s Verban<strong>de</strong>s freier<br />

Berufe in Bayern und Vorsitzen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s <strong>Aus</strong>schusses Gesellschaftsrecht<br />

<strong>de</strong>r BRAK; <strong>de</strong>r Verfasser Kopp ist stellvertreten<strong>de</strong>r Hauptgeschäftsführer<br />

<strong>de</strong>r RAK München und Lehrbeauftragter für anwaltliches<br />

Berufsrecht an <strong>de</strong>r Universität Passau.<br />

Nahezu vergleichbar mit einer verwaltungsgerichtlichen Bescheidungsklage<br />

kommt <strong>de</strong>r BGH im zweiten Teil seiner Entscheidung<br />

zu <strong>de</strong>r Feststellung, dass ein Anspruch einer Aktiengesellschaft<br />

auf Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft besteht<br />

und dies zur Verpflichtung <strong>de</strong>r zuständigen RAK führt, über <strong>de</strong>n<br />

Zulassungsantrag neu zu entschei<strong>de</strong>n, wenn die Zulassungskriterien,<br />

die sich „in Anlehnung an“ §§ 59c ff. BRAO herleiten<br />

lassen, erfüllt sind.<br />

a) Der BGH leitet <strong>de</strong>n Anspruch auf eine berufsrechtliche Zulassung<br />

unmittelbar aus Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG<br />

ab. Obwohl <strong>de</strong>r Gesetzgeber in <strong>de</strong>n §§ 59c ff. BRAO explizit<br />

nur die GmbH regeln und keine <strong>Aus</strong>sagen zu an<strong>de</strong>ren Gesellschaftsformen<br />

treffen wollte, und hierin letztlich durchaus ein<br />

faktischer <strong>Aus</strong>schluss für an<strong>de</strong>re Gesellschaftsformen gesehen<br />

wer<strong>de</strong>n kann, 3 geht <strong>de</strong>r BGH davon aus, dass ein zulässiges gesetzliches<br />

Berufsverbot i.S.v. Art. 12 GG nicht besteht. 4 Der<br />

BGH stellt klar, dass allein die Absicht <strong>de</strong>s Gesetzgebers, keine<br />

an<strong>de</strong>ren Gesellschaftsformen als diejenige <strong>de</strong>r GmbH regeln zu<br />

wollen, nicht ausreicht, um eben jene an<strong>de</strong>ren Gesellschaftsformen<br />

von <strong>de</strong>r Zulassung auszuschließen. Hierfür wäre es notwendig,<br />

dass ein auf ein Verbot gerichtetes gesetzgeberisches<br />

Wollen aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Gesetzeswerk selbst mit hinreichen<strong>de</strong>r Deutlichkeit<br />

zu entnehmen wäre. An dieser Deutlichkeit fehlt es<br />

nach Auffassung <strong>de</strong>s BGH in <strong>de</strong>n §§ 59c ff. BRAO. Lei<strong>de</strong>r ist er<br />

in seiner Begründung nicht näher auf die Regelung in Art. 8<br />

Abs. 2 <strong>de</strong>s Gesetzes zur Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r BRAO, <strong>de</strong>r PatO und an<strong>de</strong>rer<br />

Gesetze vom 31.8.1998 5 eingegangen, die die an<strong>de</strong>ren<br />

Gesellschaftsformen zumin<strong>de</strong>st für die Zeit ab Ablauf <strong>de</strong>r Übergangsfrist<br />

bis zum 1.3.2000 ausdrücklich von <strong>de</strong>r Befugnis zur<br />

Führung <strong>de</strong>r Bezeichnung „Rechtsanwaltsgesellschaft“ und damit<br />

auch aus <strong>de</strong>r Anwendbarkeit <strong>de</strong>s Regelwerkes zur Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

ausschließt.<br />

b) Auch aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Rechtsberatungsgesetz, welches sich <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Wortlaut nach auf „Rechtsanwaltsgesellschaften“ bezieht, welche<br />

sich wie<strong>de</strong>rum nach <strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>r BRAO <strong>de</strong> lege<br />

lata bisher nur auf die Rechtsform <strong>de</strong>r GmbH beschränkten, ergibt<br />

sich nach Auffassung <strong>de</strong>s BGH kein Verbot <strong>de</strong>s Zugangs einer<br />

Aktiengesellschaft zur anwaltlichen Berufstätigkeit. Dies<br />

folgert das Gericht daraus, dass die Berufsausübung „<strong>de</strong>r zugelassenen<br />

Rechtsanwälte“ nach § 3 RBerG vom Erlaubnisvorbehalt<br />

nicht berührt wer<strong>de</strong>. Zu Recht stellt <strong>de</strong>r BGH hierbei fest,<br />

dass das RBerG die Frage, ob ein Anspruch auf Zulassung zur<br />

Rechtsanwaltschaft besteht, nicht selbst regelt. 6<br />

c) Zuzustimmen ist <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH wohl auch darin, dass mangels<br />

einer planwidrigen Unvollständigkeit <strong>de</strong>r gesetzlichen Regelung<br />

eine analoge Anwendung <strong>de</strong>r §§ 59c ff. BRAO grundsätzlich<br />

nicht möglich ist. 7<br />

d) Nach Auffassung <strong>de</strong>s BGH ist <strong>de</strong>r Anspruch einer Aktiengesellschaft<br />

auf Zulassung zur anwaltlichen Berufstätigkeit als<br />

Rechtsanwaltsgesellschaft in Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1<br />

GG als „unmittelbar gelten<strong>de</strong>s Recht“ verfassungsrechtlich begrün<strong>de</strong>t.<br />

Dies folgt aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Gleichbehandlungsgrundsatz, wonach<br />

die Aktiengesellschaft in berufsrechtlicher Hinsicht nicht<br />

3 Vgl. im Einzelnen Kempter/Kopp, NJW 2004, 3605 ff.<br />

4 Vgl. hierzu auch Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., Vorbem. § 59c<br />

Rdnr. 18; Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl. § 59a, Rdnr. 34; Kleine-Cosack,<br />

BRAO, 4. Aufl. Vor § 59a Rdnr. 35; Römermann, in:<br />

Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., BRAO, Vor<br />

§ 59a Rdnr. 88.<br />

5 BGBl. I 1998, 2600, 2607; BT-Drucks. 13/9820, 9, 22.<br />

6 So auch schon Kempter/Kopp, NJW 2004, 3605, 3607.<br />

7 So auch Hartung/Holl-Römermann, Anwaltliche Berufsordnung,<br />

2. Aufl., BRAO, Vor § 59a Rdnr. 94; eine Übertragung <strong>de</strong>r §§ 59c ff.<br />

BRAO wegen <strong>de</strong>s Fehlens <strong>de</strong>r verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheit<br />

<strong>de</strong>r Normen nur hinsichtlich Min<strong>de</strong>stvoraussetzungen<br />

befürwortend: Hennsler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., Vor<br />

§ 59c Rdnr. 22 ff.; aufgrund vernünftiger Erwägungen <strong>de</strong>s Allgemeinwohls<br />

im Interesse einer geordneten Rechtspflege eine Erstreckung<br />

von § 59k BRAO auf die AG befürwortend: Kempter/Kopp,<br />

NJW 2000, 3449, 3451.


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 175<br />

Kempter/Kopp, Berufsrechtliche Zulassung <strong>de</strong>r Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft kraft Richterrecht<br />

schlechter gestellt wer<strong>de</strong>n kann als die GmbH, für die die berufsrechtliche<br />

Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft durch<br />

§§ 59c ff. BRAO geregelt ist. Voraussetzung für die Zulassung<br />

ist, dass die Aktiengesellschaft in einer ihrer Rechtsform entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Weise <strong>de</strong>n wesentlichen Anfor<strong>de</strong>rungen genügt,<br />

die an die Zulassung einer GmbH als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

zu stellen sind und die in §§ 59c ff. BRAO für die Zulassung<br />

einer GmbH ihren Nie<strong>de</strong>rschlag gefun<strong>de</strong>n haben. 8 Zu<br />

Recht verweist <strong>de</strong>r BGH darauf, dass die Grundrechte aus<br />

Art. 3 Abs. 1 und 12 GG u.a. auch die Gesetzgebung als unmittelbar<br />

gelten<strong>de</strong>s Recht bin<strong>de</strong>n. Damit stellt <strong>de</strong>r BGH gewollt<br />

o<strong>de</strong>r ungewollt klar, dass es Aufgabe <strong>de</strong>s Gesetzgebers gewesen<br />

wäre, nicht nur die GmbH, son<strong>de</strong>rn auch an<strong>de</strong>re Kapitalgesellschaften<br />

in <strong>de</strong>n Vorschriften über die Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

in <strong>de</strong>r BRAO zu regeln.<br />

e) Wenn überhaupt setzt hier gewisse Kritik an <strong>de</strong>r Entscheidung<br />

an. Denn <strong>de</strong>r BGH hätte diese <strong>Aus</strong>sage auch ein<strong>de</strong>utig<br />

treffen können, in<strong><strong>de</strong>m</strong> er <strong>de</strong>utlich Zweifel an <strong>de</strong>r Unvereinbarkeit<br />

<strong>de</strong>r §§ 59c ff. BRAO mit Art. 3 Abs. 1 GG, die in <strong>de</strong>r Beschränkung<br />

ausschließlich auf die Rechtsform <strong>de</strong>r GmbH liegt,<br />

festgestellt und die Rechtssache <strong><strong>de</strong>m</strong> BVerfG vorgelegt hätte.<br />

Das BVerfG seinerseits hätte die Feststellung <strong>de</strong>r Verfassungswidrigkeit<br />

mit <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung an <strong>de</strong>n Gesetzgeber verbin<strong>de</strong>n<br />

können, innerhalb einer bestimmten Frist Abhilfe zu schaffen 9<br />

und seine bewusste Enthaltung aufzugeben. Der nun vom BGH<br />

gewählte Weg enthebt <strong>de</strong>n Gesetzgeber <strong>de</strong>r Notwendigkeit <strong>de</strong>s<br />

Tätigwer<strong>de</strong>ns; er überlässt alle mit <strong>de</strong>r Entscheidung verbun<strong>de</strong>nen<br />

und aus ihr folgen<strong>de</strong>n Unsicherheiten <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r Kammern<br />

und <strong>de</strong>r Gerichte.<br />

4. Die konkrete Zulassung<br />

Für die konkrete Zulassung einer Kapitalgesellschaft als<br />

Rechtsanwaltsgesellschaft bezieht sich <strong>de</strong>r BGH zunächst auf<br />

die in <strong>de</strong>r Rspr., vor allem <strong>de</strong>r vom BayObLG 10 herausgearbeiteten<br />

Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

mbH, als diese gesetzlich noch nicht geregelt war.<br />

Der BGH geht hierbei unmittelbar von <strong>de</strong>n vom BayObLG entwickelten<br />

Kriterien für die Annahme <strong>de</strong>r Zulässigkeit über zu<br />

<strong>de</strong>n Kriterien für die Zulassung als Rechtsausübungsgesellschaft,<br />

die bei <strong>de</strong>r GmbH allerdings vom BayObLG nach <strong>de</strong>n<br />

Grundsätzen <strong>de</strong>r Gewaltenteilung, <strong>de</strong>s Gesetzesvorbehalts und<br />

<strong>de</strong>s Vorrangs <strong>de</strong>s Gesetzes <strong><strong>de</strong>m</strong> Gesetzgeber überlassen und<br />

von diesem schließlich auch geregelt wur<strong>de</strong>n.<br />

a) Grundsätzlich ist es allerdings zu begrüßen, dass <strong>de</strong>r BGH<br />

sich für die Zulassung einer Aktiengesellschaft als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

ausdrücklich an <strong>de</strong>n bereits für die GmbH vor<br />

<strong>de</strong>ren gesetzlicher Regelung hervorgehobenen Wesensmerkmalen<br />

<strong>de</strong>s Anwaltsberufes als eines freien Berufes sowie an <strong>de</strong>n<br />

hieraus entwickelten Vorschriften in <strong>de</strong>n §§ 59c ff. BRAO für<br />

die Zulassung einer GmbH als Rechtsanwaltsgesellschaft orientiert<br />

hat. Nur wenn die Aktiengesellschaft die wesentlichen<br />

Voraussetzungen für die berufsrechtliche Zulassung nach<br />

§§ 59c ff. BRAO erfüllt, kann sie aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3<br />

Abs. 1 GG ebenso wie die GmbH einen Anspruch auf Zugang<br />

zur anwaltlichen Berufsausübung durch Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

in einem Zulassungsverfahren gem. § 59d<br />

BRAO ableiten.<br />

8 So auch schon Kempter/Kopp, NJW 2001, 777 ff.; a.A. Schumacher,<br />

AnwBl 1998, 364; <strong>de</strong>rs. AnwBl 2000, 409; Pluskat, AnwBl 2003,<br />

131; dieselbe in: AnwBl 2004, 22, 26.<br />

9 Entsprechend verfuhr das BVerfG z.B. in <strong>de</strong>r Entscheidung zur Regelung<br />

<strong>de</strong>r Rechtsstellung <strong>de</strong>s Vaters bei Adoption <strong>de</strong>r nichtehelichen<br />

Kin<strong>de</strong>r, abgedr. in: NJW 1995, 2155, 2158 („Frist höchstens bis zum<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Legislaturperio<strong>de</strong>“) o<strong>de</strong>r zur Neuregelung <strong>de</strong>s Sorgerechts<br />

bei nichtehelichen Kin<strong>de</strong>rn, abgedr. in: NJW 2003, 955, 961 („Frist<br />

bis 31.12.2003“).<br />

10 BayObLG, NJW 1995, 201 = DB 1994, 2540.<br />

b) Die §§ 59c ff. BRAO kommen hierbei zwar nicht unmittelbar<br />

zur Anwendung. Jedoch müssen die notwendigen Voraussetzungen<br />

für die berufsrechtliche Zulassung einer Aktiengesellschaft<br />

nach Auffassung <strong>de</strong>s BGH „in Anlehnung an §§ 59c ff.<br />

BRAO“ in <strong>de</strong>r Satzung <strong>de</strong>r Aktiengesellschaft zuverlässig beachtet<br />

wer<strong>de</strong>n. Hierzu zählen zurecht die in <strong>de</strong>r Entscheidung<br />

im Einzelnen erwähnten Kriterien <strong>de</strong>r Eigenverantwortlichkeit<br />

und <strong>de</strong>r Weisungsfreiheit <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Aktiengesellschaft tätigen<br />

RAe, die Beschränkung <strong>de</strong>s Unternehmensgegenstan<strong>de</strong>s auf<br />

die Übernahme von Aufträgen, die zur Berufstätigkeit von<br />

Rechtanwälten gehören, und das Verbot eines beruflichen Zusammenschlusses<br />

für die Aktiengesellschaft. Die Pflichteigenschaften<br />

für die Stellung als Aktionär, insbeson<strong>de</strong>re die Beschränkung<br />

<strong>de</strong>s Kreises <strong>de</strong>r Aktionäre auf in <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

beruflich tätige RAe und Angehörige <strong>de</strong>r in § 59a Abs. 1 Satz 1,<br />

Abs. 3 BRAO genannten Berufe, sowie die berufsrechtlichen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Vorstand und <strong>de</strong>n Aufsichtsrat <strong>de</strong>r Aktiengesellschaft<br />

entsprechend <strong>de</strong>n § 59e und f BRAO. 11 Hinzu<br />

kommt noch die Verpflichtung, die Aktien nach <strong>de</strong>r Satzung<br />

nur als vinkulierte Namensaktien auszugeben, <strong>de</strong>ren Übertragung<br />

an die Zustimmung <strong>de</strong>r Gesellschaft gebun<strong>de</strong>n bleibt<br />

(§ 68 Abs. 2 AktG).<br />

Selbstre<strong>de</strong>nd sind die weiteren vom BGH aufgestellten Voraussetzungen<br />

nach §§ 59d Nr. 2, 7 Nr. 9 BRAO (kein Vermögensverfall)<br />

und nach §§ 59d Nr. 3 und 59j BRAO (hinreichen<strong>de</strong><br />

Berufshaftpflichtversicherung), sowie die Verpflichtung zur Beachtung<br />

<strong>de</strong>r anwaltlichen Berufspflichten sinngemäß § 59m<br />

Abs. 2 BRAO.<br />

Für die Gestaltung <strong>de</strong>r Satzung einer Aktiengesellschaft können<br />

nach dieser Entscheidung <strong>de</strong>s BGH nunmehr durchaus die Hinweise<br />

von Kempter/Kopp, abgedr. in NJW 2001, 777 ff. herangezogen<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

5. Der Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Zulassung<br />

Wichtig für die verwaltungsrechtliche Zulassungspraxis <strong>de</strong>r<br />

RAKn ist auch <strong>de</strong>r Hinweis <strong>de</strong>s BGH, dass <strong>de</strong>r Wegfall dieser<br />

„in Anlehnung“ an die §§ 59c ff. BRAO erfor<strong>de</strong>rlichen Zulassungskriterien<br />

in gleicher Weise zum Erlöschen, zur Zurücknahme<br />

o<strong>de</strong>r zum Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r berufsrechtlichen Zulassung einer<br />

Aktiengesellschaft als Rechtsanwaltsgesellschaft wie bei <strong>de</strong>r<br />

GmbH führt. Dies ist nur konsequent, auch wenn unter Berücksichtigung<br />

von Art. 12 Abs. 1 GG für entsprechen<strong>de</strong> Maßnahmen<br />

als direkter Eingriff in die Berufsfreiheit eine gesetzliche<br />

Regelung für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten wer<strong>de</strong>n müsste.<br />

Ebenso zu begrüßen ist die Klarstellung <strong>de</strong>s BGH, dass die ihre<br />

Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft beantragen<strong>de</strong> Aktiengesellschaft<br />

ebenso wie die dann zugelassene Aktiengesellschaft<br />

einer Pflicht zur Transparenz hinsichtlich ihrer für die<br />

Zulassung maßgeblichen Verhältnisse unterliegt. Der BGH hat<br />

damit klargestellt, dass die jeweilige Kapitalgesellschaft in gleicher<br />

Weise wie je<strong>de</strong>r RA an <strong>de</strong>r Ermittlung <strong>de</strong>s Sachverhalts<br />

mitzuwirken hat. 12 Betroffen hiervon sind insbeson<strong>de</strong>re je<strong>de</strong><br />

Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Satzung, <strong>de</strong>r Aktionäre, <strong>de</strong>s Vorstands und <strong>de</strong>s<br />

Aufsichtsrates sowie die Errichtung o<strong>de</strong>r Auflösung von Zweignie<strong>de</strong>rlassungen.<br />

6. Zurückverweisung statt Zurückweisung<br />

Obwohl <strong>de</strong>r BGH in seiner Entscheidung mehrere Be<strong>de</strong>nken<br />

hinsichtlich <strong>de</strong>r Rechtmäßigkeit <strong>de</strong>r betroffenen Satzung <strong>de</strong>r<br />

Astin., insbeson<strong>de</strong>re hinsichtlich <strong>de</strong>r Beteiligung <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

an Zusammenschlüssen zur gemeinschaftlichen Berufs-<br />

11 Ähnlich schon Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., Vor<br />

§ 59c Rdnr. 23; Kempter/Kopp, NJW 2001, 777 ff.<br />

12 Vgl. hierzu auch §§ 59m Abs. 1, 36a Abs. 2 BRAO.


176 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Kopp, Bericht über die 4. Berufsrechtsreferentenkonferenz<br />

ausübung und hinsichtlich <strong>de</strong>r Anfor<strong>de</strong>rungen an die Aktionäre,<br />

zum <strong>Aus</strong>druck brachte und hierbei noch nicht einmal weitere<br />

durchaus anzuführen<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>nken, insbeson<strong>de</strong>re hinsichtlich<br />

<strong>de</strong>s Unternehmensgegenstan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r auch die nichtanwaltlichen<br />

Berufstätigkeiten an<strong>de</strong>rer Berufsgruppen, also auch <strong>de</strong>r<br />

WP, einbezieht, kommt <strong>de</strong>r BGH im Ergebnis überraschen<strong>de</strong>rweise<br />

nicht zu <strong><strong>de</strong>m</strong> Ergebnis, dass damit auch <strong>de</strong>r Zulassungsantrag<br />

<strong>de</strong>r Aktiengesellschaft als Rechtsanwaltsgesellschaft zurückzuweisen<br />

ist. Statt<strong>de</strong>ssen räumt er <strong>de</strong>r Astin. ein, dass ihr<br />

vor einer weiteren Entscheidung über ihren Zulassungsantrag<br />

seitens <strong>de</strong>r RAK Gelegenheit gegeben wird, <strong>de</strong>n geäußerten Be<strong>de</strong>nken<br />

<strong>de</strong>s Gerichts durch eine entsprechen<strong>de</strong> Satzungsän<strong>de</strong>rung<br />

Rechnung zu tragen. Dies begrün<strong>de</strong>t sich soweit ersichtlich<br />

dadurch, dass die zuständige RAK <strong>de</strong>n Zulassungsantrag<br />

schon aus formellen Grün<strong>de</strong>n abgelehnt hat und damit erst gar<br />

nicht in die materielle Rechtsprüfung eingetreten war. Dies ergibt<br />

sich aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Hinweis <strong>de</strong>s BGH auf die Vorschrift in § 59g<br />

Abs. 2 und 3 BRAO.<br />

7. Ergebnis<br />

Trotz <strong>de</strong>r gezeigten Unschärfe in <strong>de</strong>r Begründung <strong>de</strong>s BGH ist<br />

<strong>de</strong>r Entscheidung im Ergebnis zuzustimmen. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re<br />

für die Klarheit, mit welcher <strong>de</strong>r BGH auf die wesentlichen<br />

Voraussetzungen für die berufsrechtliche Zulassung <strong>de</strong>r<br />

RA-AG eingeht. In Anbetracht <strong>de</strong>r hier herrschen<strong>de</strong>n Meinungsvielfalt<br />

13 gibt <strong>de</strong>r BGH <strong>de</strong>n Kammern eine klare Handlungsanweisung,<br />

wie und wonach sie künftige Zulassungsanträge<br />

zu prüfen und insbeson<strong>de</strong>re im weiteren Fortgang auch<br />

zu überprüfen haben. Insgesamt also ein durch und durch salomonisches<br />

Urteil.<br />

13 Vgl. etwa Henssler, in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl., Vor § 59c<br />

Rdnr. 23; Hartung/Holl-Römermann, Anwaltliche Berufsordnung,<br />

2. Aufl., BRAO, Vor § 59a Rdnr. 96 ff.; Muthers, NZG 2001, 930 ff.;<br />

Kilian, NZG 2001, 150 ff.; Pluskat, AnwBl 2003, 131 ff.; Kempter/<br />

Kopp, NJW 2001, 777 ff.<br />

Bericht über die 4. Berufsrechtsreferentenkonferenz<br />

RA Stephan Kopp, Ebenhausen<br />

Am 30.10.2004 fand in Düsseldorf die 4. Konferenz <strong>de</strong>r Berufsrechtsreferenten<br />

<strong>de</strong>r RAKn statt. Wie die vorangegangenen 3<br />

Konferenzen stand die ganztägige Veranstaltung unter <strong>de</strong>r bewährten<br />

Leitung <strong>de</strong>s Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>r RAK München, RA Hansjörg<br />

Staehle. Der Zweck <strong>de</strong>r Veranstaltung war wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r gegenseitige<br />

Informations- und Gedankenaustausch aus <strong>de</strong>r alltäglichen<br />

Arbeit <strong>de</strong>r Berufsrechtsabteilungen. Teilgenommen<br />

haben Vertreter nahezu aller RAKn in Deutschland. Die Ergebnisse<br />

<strong>de</strong>r Tagung lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen:<br />

1. Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und Anordnung<br />

<strong>de</strong>r sofortigen Vollziehung bei Insolvenz <strong>de</strong>s<br />

Rechtsanwalts<br />

Die Anordnung <strong>de</strong>r sofortigen Vollziehung <strong>de</strong>s Wi<strong>de</strong>rrufs erfolgt<br />

in <strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>s Vermögensverfalls dann, wenn ein<br />

überwiegen<strong>de</strong>s öffentliches Interesse über <strong>de</strong>n Vermögensverfall<br />

hinaus besteht. Dies kann gegeben sein, wenn in ursächlichem<br />

Zusammenhang mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Vermögensverfall bereits Mandantengel<strong>de</strong>r<br />

veruntreut wur<strong>de</strong>n. Wenn <strong>de</strong>r Schul<strong>de</strong>ntilgungsplan<br />

im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erfüllt wird, kann<br />

ggf. von „geregelten“ Vermögensverhältnisse ausgegangen<br />

wer<strong>de</strong>n, die im Einzelfall zu einem Absehen vom Wi<strong>de</strong>rruf<br />

<strong>de</strong>r Zulassung führen können. Wird allerdings gegen <strong>de</strong>n Insolvenzplan<br />

verstoßen, besteht erneut die Notwendigkeit für<br />

einen Wi<strong>de</strong>rruf.<br />

2. Anwendbarkeit <strong>de</strong>s anwaltlichen Berufsrechts auf die<br />

Tätigkeit als Insolvenzverwalter<br />

Das Berufsrecht ist insoweit nicht auf anwaltliche Insolvenzverwalter<br />

anwendbar, als diese ihre Pflichten aus <strong>de</strong>r Insolvenzordnung<br />

herleiten. Die Mitarbeit eines Mitglieds einer Sozietät<br />

in einem kanzleifrem<strong>de</strong>n Insolvenzverwalterbüro stellt daher<br />

keinen Verstoß gegen das Verbot <strong>de</strong>r Sternsozietät dar. Auch<br />

§ 28 BRAO ist im Falle eines geson<strong>de</strong>rten Büros für Insolvenzverwaltung<br />

nicht einschlägig. Über § 43 BRAO können jedoch<br />

einzelne Tätigkeiten <strong>de</strong>r anwaltlichen Insolvenzverwalter berufsrechtlich<br />

relevant wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Verschwiegenheitsverpflichtung innerhalb einer Bürogemeinschaft<br />

In einer Bürogemeinschaft ist auf die Einhaltung <strong>de</strong>r Verschwiegenheitsverpflichtung<br />

auch gegenüber Mitarbeitern <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

beteiligten Kanzleien zu achten. Es ist empfehlenswert, <strong>de</strong>n<br />

Umgang mit Daten und Akten in <strong>de</strong>r Bürogemeinschaft und die<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Anweisungen an das gemeinsame Kanzleipersonal<br />

schriftlich festzuhalten.<br />

4. Interessenkollision nach <strong>de</strong>r Zusammenlegung zweier wi<strong>de</strong>rstreitend<br />

tätig gewor<strong>de</strong>nen Kanzleien<br />

Die Verfassungswidrigkeit von § 3 Abs. 2 BORA betrifft lediglich<br />

<strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>s Sozietätswechsels. <strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Gesetzesmotiven<br />

zur BRAO von 1994 ist nicht zu entnehmen, dass § 43a BRAO<br />

gegenüber <strong>de</strong>r davor bestehen<strong>de</strong>n Rechtslage zu einer Einschränkung<br />

führen sollte. § 45 BRAO sollte lediglich <strong>de</strong>n Anwendungsbereich<br />

<strong>de</strong>r Fälle mit Interessenkollision erweitern.<br />

Grundsätzlich steht damit das Verbot <strong>de</strong>r Vertretung wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r<br />

Interessen <strong>de</strong>r Zusammenlegung zweier wi<strong>de</strong>rstreitend<br />

tätig gewor<strong>de</strong>nen Kanzleien entgegen. Nach <strong>de</strong>r bekannt gewor<strong>de</strong>nen<br />

Ansicht einer (hier nicht zu nennen<strong>de</strong>n) Staatsanwaltschaft<br />

soll § 43a Abs. 4 BRAO nur <strong>de</strong>n einzelnen RA betreffen,<br />

nicht jedoch die Sozietät. An<strong>de</strong>rerseits erstreckt sich jedoch<br />

die Mandatserteilung in <strong>de</strong>r Regel auf die gesamte Sozietät,<br />

so dass die Fälle <strong>de</strong>r Interessenkollision auf je<strong>de</strong>s Mitglied<br />

<strong>de</strong>r Sozietät ausge<strong>de</strong>hnt wer<strong>de</strong>n müssen (vgl. zur Mandatserteilung<br />

an die gesamte Sozietät: OVG Lüneburg, NJW 2004, 312).<br />

An<strong>de</strong>rs ist dies nur bei freien Mitarbeitern und Angestellten zu<br />

beurteilen.<br />

Im Ergebnis stellen die Teilnehmer <strong>de</strong>r Tagung zu<strong><strong>de</strong>m</strong> fest, dass<br />

§ 43a Abs. 4 BRAO im Rahmen von § 3 BORA eine Klarstellung<br />

erhalten sollte.<br />

5. Führen von An<strong>de</strong>rkonten<br />

An<strong>de</strong>rkonten sind nicht statusbil<strong>de</strong>nd für <strong>de</strong>n Rechtsanwaltsberuf.<br />

Nach § 4 Abs. 1 BORA und § 43a Abs. 5 Satz 2 BRAO<br />

sind An<strong>de</strong>rkonten nur dann verpflichtend einzurichten, wenn<br />

Fremdgel<strong>de</strong>r nicht unverzüglich weitergeleitet wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn<br />

längere Zeit vom RA verwaltet wer<strong>de</strong>n. Die bloße Entgegen-


BRAK-Mitt. 4/2005 Aufsätze 177<br />

Kopp, Bericht über die 4. Berufsrechtsreferentenkonferenz<br />

nahme von Fremdgel<strong>de</strong>rn verpflichtet noch nicht zur Einrichtung<br />

von An<strong>de</strong>rkonten, soweit diese unverzüglich weitergeleitet<br />

wer<strong>de</strong>n. Grundsätzlich ist aber die Einrichtung eines An<strong>de</strong>rkontos<br />

zu empfehlen. Gera<strong>de</strong>zu zwingend ist dies geboten,<br />

wenn die Geschäftskonten <strong>de</strong>s RA im Soll geführt wer<strong>de</strong>n.<br />

6. Werbung um das Einzelmandat durch das <strong>Aus</strong>legen von<br />

Stapelvollmachten<br />

In <strong>de</strong>n Richtlinien von 1973 fand sich noch ein Verbot für das<br />

<strong>Aus</strong>legen von Stapelvollmachten. Dieses ist mit <strong>de</strong>r Neuregelung<br />

<strong>de</strong>s Berufsrechts im Jahr 1994 entfallen. Heute ist das <strong>Aus</strong>legen<br />

von Stapelvollmachten grundsätzlich als zulässig anzusehen,<br />

da ein Beratungsbedarf we<strong>de</strong>r mit Beratungsgegenstand<br />

noch mit einem Mandanten konkretisiert wur<strong>de</strong> und damit<br />

noch keine unzulässige Werbung um das Einzelmandat vorliegt.<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich lediglich um eine Art „invitatio ad offerendum“.<br />

Zu prüfen ist jedoch, ob das <strong>Aus</strong>legen von Stapelvollmachten<br />

bei bestimmten mit einer gewissen Autorität ausgestatteten<br />

Stellen, z.B. Behör<strong>de</strong>n, ggf. nach <strong>de</strong>r Rspr. zum UWG einen<br />

„Autoritätsmissbrauch“ darstellt.<br />

7. Werbung um das Einzelmandat durch Informationsermittlung<br />

bei Nichtmandanten<br />

Es han<strong>de</strong>lt sich um <strong>de</strong>n Fall, dass ein RA bereits mehrere geschädigte<br />

Gesellschafter gegen <strong>de</strong>ren Gesellschaft vertritt und<br />

von <strong>de</strong>n übrigen geschädigten Gesellschaftern mit einem Hinweis<br />

auf die bereits erteilten Mandate weitere Informationen<br />

o<strong>de</strong>r Unterlagen zum schädigen<strong>de</strong>n Verhalten <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

erbittet. Die Grenze <strong>de</strong>s „Bedrängens <strong>de</strong>s Beworbenen“ und<br />

damit zur unzulässigen Werbung um das Einzelmandat ist hier<br />

noch nicht überschritten. Es ist daher von einer berufsrechtlichen<br />

Zulässigkeit auszugehen.<br />

Solche Fälle sind ggf. nur hinsichtlich sonstiger berufsrechtlicher<br />

Verstöße, z.B. bei <strong>de</strong>r textlichen Gestaltung ahndbar, wie<br />

im Falle <strong>de</strong>r Selbstanpreisung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r unzulässigen Angabe<br />

von Mandanten.<br />

8. Werbung um das Einzelmandat durch themenbezogene<br />

Platzierung von Zeitungsanzeigen<br />

Es ist zulässig, z.B. in Zeitungen unter <strong>de</strong>n To<strong>de</strong>sanzeigen eine<br />

Werbung mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Hinweis „Spezialist für Erbrecht“ zu veröffentlichen.<br />

Die Bezeichnung „Spezialist für Erbrecht“ könnte<br />

allerdings durch die Einführung <strong>de</strong>s Fachanwaltstitels für Erbrecht<br />

gera<strong>de</strong> unter Berücksichtigung <strong>de</strong>s Beschlusses <strong>de</strong>s<br />

BVerfG vom 28.7.2004 (NJW 2004, 2656 ff.) unzulässig sein.<br />

9. Werbung mit überdimensional großen Schil<strong>de</strong>rn<br />

Betroffen ist ein Werbeschild mit <strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>maßen 13 x 1,5 Meter.<br />

Es besteht hierbei Einvernehmen darüber, dass allein die<br />

Größe <strong>de</strong>s Werbemediums kein Kriterium für eine Berufsrechtswidrigkeit<br />

darstellt (vgl. hierzu auch BVerfG, AnwBl.<br />

2005, 68 ff.).<br />

10. Führung <strong>de</strong>s Titels „Dipl.-Jur. Univ.“ auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Briefkopf<br />

Es stellt sich die Frage, ob durch die Angabe <strong>de</strong>s neu eingeführten<br />

und rückwirkend erteilten aka<strong><strong>de</strong>m</strong>ischen Titels „Dipl.-Jur.<br />

Univ.“ auf anwaltlichen Briefköpfen in irreführen<strong>de</strong>r Weise<br />

eine zusätzliche Qualifikation vorgetäuscht wird. Grundsätzlich<br />

können jedoch aka<strong><strong>de</strong>m</strong>ische Titel angegeben wer<strong>de</strong>n. Es<br />

han<strong>de</strong>lt sich damit bei <strong>de</strong>r Angabe <strong>de</strong>s Titels „Dipl.-Jur. Univ.“<br />

um die Unterrichtung über ein Qualifikationsmerkmal, das<br />

durch die Ablegung <strong>de</strong>s Zweiten Juristischen Staatsexamens<br />

nicht entfällt.<br />

11. Briefkopfgestaltung von Kooperationen<br />

Der Briefkopf muss ein<strong>de</strong>utige Angaben über die konkrete<br />

Kanzlei und <strong>de</strong>n Standort enthalten. § 9 BORA verweist bezüglich<br />

<strong>de</strong>r Führung einer einheitlichen Kurzbezeichnung nur auf<br />

Sozietäten, Partnerschaften und die gemeinschaftliche Berufsausübung<br />

in sonstiger Weise (freie Mitarbeit, Angestelltenverhältnis).<br />

Kooperationen dürfen daher grundsätzlich keinen einheitlichen<br />

Briefkopf verwen<strong>de</strong>n. Auch ein Hinweis auf die Kooperation<br />

über Sternchen o<strong>de</strong>r Fußnoten ist grundsätzlich berufsrechtlich<br />

unzulässig. Allerdings könnte aufgrund <strong>de</strong>r haftungsrechtlichen<br />

Rechtsprechung dann kein wettbewerbswidriges<br />

Verhalten vorliegen, wenn aufgrund <strong>de</strong>s äußeren Anscheins<br />

<strong>de</strong>s Bestehens einer Sozietät auch die Kooperation eine Haftungsgemeinschaft<br />

darstellt.<br />

In diesem Zusammenhang wur<strong>de</strong> auch die Frage erörtert, ob<br />

für die Kooperationspartner auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Briefkopf eine Adresse anzugeben<br />

sei. Dies wur<strong>de</strong> mehrheitlich verneint, da lediglich auf<br />

<strong>de</strong>n Kooperationspartner hingewiesen wird.<br />

12. Spezialistenbezeichnung und sonstige Selbstbenennungen<br />

Nach <strong>de</strong>r Rspr. <strong>de</strong>s BVerfG vom 28.7.2004 (NJW 2004, 2656)<br />

ist es zulässig, sich als „Spezialist“ für ein Rechtsgebiet zu bezeichnen.<br />

Allgemein gültige Kriterien als Voraussetzungen<br />

hierfür enthält das Urteil allerdings nicht. Ebenso könnte ein<br />

RA sich nunmehr als „Spezialist für Allgemeinrecht“ bezeichnen.<br />

Im Ergebnis wird <strong>de</strong>shalb festgestellt, dass die RAKn die<br />

Selbstbenennungen als Spezialist in je<strong><strong>de</strong>m</strong> Falle hinsichtlich<br />

ihres Wahrheitsgehaltes überprüfen müssen.<br />

13. Kanzleibenennungen<br />

Es besteht Einigung darüber, dass Kanzleibezeichnungen sachlich<br />

gehalten sein müssen und nicht marktschreierisch sein dürfen.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r Streichung von § 9 Abs. 2 und 3 BORA, <strong>de</strong>r<br />

bisherigen Rspr. zum Namen von Partnerschaftsgesellschaften<br />

und <strong>de</strong>r Praxis bei <strong>de</strong>r Firmierung von Rechtsanwaltsgesellschaften<br />

sind heute auch reine Phantasiebezeichnungen ohne<br />

Bezug auf <strong>de</strong>n Namen eines Sozius als zulässig anzusehen.<br />

14. Anfor<strong>de</strong>rung an die „geeignete <strong>Aus</strong>bildung“ zum Mediator<br />

i.S.v. § 7a BORA<br />

Es wird eine Fachausbildung einschließlich eines Rollenspiels<br />

im Umfang von insgesamt rund 90 Stun<strong>de</strong>n für erfor<strong>de</strong>rlich gehalten.<br />

Die verschie<strong>de</strong>nen Mediationsphasen müssen in einem<br />

Rollenspiel vollständig durchlaufen sein.<br />

15. Konkretisierung <strong>de</strong>s Vorwurfs eines berufsrechtlichen Verstoßes<br />

bei <strong>de</strong>r ersten Anhörung im Beschwer<strong>de</strong>verfahren<br />

gem. § 59 BRAO<br />

Beim Anhörungsschreiben sollen die berufsrechtlichen Verstöße<br />

konkretisiert wer<strong>de</strong>n. Weitere Berufsrechtsverstöße, die im<br />

Beschwer<strong>de</strong>schreiben nicht geltend gemacht wur<strong>de</strong>n, aber für<br />

<strong>de</strong>n Sachbearbeiter erkennbar sind, sind von Amts wegen aufzugreifen.<br />

16. Informierung <strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>führers über <strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>gang<br />

<strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>verfahrens<br />

<strong>Aus</strong> berufs- und datenschutzrechtlichen Grün<strong>de</strong>n dürfen <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Bf. keine konkreten Hinweise auf <strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>gang <strong>de</strong>s Beschwer<strong>de</strong>verfahrens<br />

gegeben wer<strong>de</strong>n. Die Vertraulichkeit <strong>de</strong>s Verfahrens<br />

beruht auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Recht <strong>de</strong>s RA auf die informationelle<br />

Selbstbestimmung. Der Bf. soll darauf hingewiesen wer<strong>de</strong>n,<br />

dass die Beschwer<strong>de</strong> berechtigt gewesen sei und das Erfor<strong>de</strong>rliche<br />

veranlasst wur<strong>de</strong> bzw. dass zu berufsrechtlichen Maßnahmen<br />

kein Anlass bestand. Auch die Abgabe an die Generalstaatsanwaltschaft<br />

kann mitgeteilt wer<strong>de</strong>n. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re<br />

im Falle <strong>de</strong>r Abgabe zum Zwecke <strong>de</strong>r Durchführung weiterer<br />

Ermittlungen. Dem Bf. kann zu<strong><strong>de</strong>m</strong> die Stellungnahme<br />

<strong>de</strong>s betroffenen RA zur Kenntnisnahme weitergeleitet wer<strong>de</strong>n.<br />

17. Abgabeverfügungen an die Generalstaatsanwaltschaft<br />

Es besteht Einvernehmen darüber, dass im Falle <strong>de</strong>r Abgabe<br />

an die Generalstaatsanwaltschaft eine kurze Darstellung <strong>de</strong>r<br />

Rechtsauffassung <strong>de</strong>s Kammervorstands beigelegt wer<strong>de</strong>n soll.


178 Aufsätze BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Kopp, Anbringung eines Kanzleischil<strong>de</strong>s als Voraussetzung für die Einrichtung einer Kanzlei<br />

18. „Automatisches Inkasso“ durch Rechtsanwaltskanzleien<br />

Nach <strong>de</strong>r Rspr. ist ein automatisiertes Inkassoverfahren von<br />

RAen grundsätzlich nicht zu beanstan<strong>de</strong>n, solange das Computerprogramm<br />

verantwortlich von einem RA gestaltet und beaufsichtigt<br />

wird. Der anwaltliche Bearbeiter muss für Rückfragen<br />

zur Verfügung stehen.<br />

19. Abrechnungspflicht gegenüber <strong><strong>de</strong>m</strong> Mandanten (§ 23<br />

BORA)<br />

Es besteht die Einigkeit darüber, dass § 23 BORA nur anwendbar<br />

ist, wenn ein Honorarvorschuss gezahlt o<strong>de</strong>r Fremdgel<strong>de</strong>r<br />

angenommen wur<strong>de</strong>n. Ansonsten besteht keine berufsrechtliche<br />

Verpflichtung zur Abrechnung. Evtl. Streitigkeiten über die<br />

konkrete Abrechnung beurteilen sich ausschließlich nach <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

allgemeinen Zivilrecht.<br />

20. Verschwiegenheitsverpflichtung in Honorarprozessen<br />

Die Verschwiegenheitsverpflichtung gilt auch in Honorarprozessen<br />

grundsätzlich für solche Tatsachen, die nicht unbedingt<br />

zur Geltendmachung <strong>de</strong>r Honorarfor<strong>de</strong>rungen offenbart wer<strong>de</strong>n<br />

müssen.<br />

21. Hinweispflicht auf die Erhebung von Gebühren nach <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Gegenstandswert (§ 49b Abs. 5 BRAO n.F.)<br />

Es ist einhellige Auffassung <strong>de</strong>r Konferenzteilnehmer, dass seitens<br />

eines RA ein Hinweis auf die Erhebung von Gebühren<br />

nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Gegenstandswert erfolgen muss und <strong>de</strong>n RA diesbezüglich<br />

die Beweispflicht trifft.<br />

Anbringung eines Kanzleischil<strong>de</strong>s als Voraussetzung für die<br />

Einrichtung einer Kanzlei<br />

Rechtsanwalt Stephan Kopp, Ebenhausen<br />

Der Beschluss <strong>de</strong>s Sächsischen AGH vom 4.11.2004 1 gibt Anlass,<br />

einer gern zitierten 2 , aber unrichtigen Darstellung entgegenzutreten:<br />

Der Sächsische AGH schreibt in <strong>de</strong>r Begründung zur Frage, ob<br />

ein Kanzleischild für die Einrichtung einer Kanzlei erfor<strong>de</strong>rlich<br />

ist:<br />

In vielen Kammerbezirken wer<strong>de</strong>n bereits Syndikusanwälte<br />

von <strong>de</strong>r Verpflichtung, ein Praxisschild zu unterhalten, ausgenommen.<br />

Dementsprechend hat auch <strong>de</strong>r Kammervorstand<br />

München inzwischen gänzlich auf die Pflicht eines<br />

Praxisschil<strong>de</strong>s verzichtet (s.a. BGH, DtZ 1995, 132; Hartung<br />

[Anm. d. Verf.: Anwaltliches Berufsrecht], Rdnr. 13 zu § 5<br />

BORA).<br />

Der Sächsische AGH verweist hierbei auf eine Fundstelle im<br />

Kommentar zur Anwaltlichen Berufsordnung (Hartung/Holl,<br />

Anwaltliche Berufsordnung, Rdnr. 13 zu § 5 BORA), in <strong>de</strong>r<br />

Hartung ebenfalls behauptet:<br />

Die RAK München hat sich <strong>de</strong>swegen dafür entschie<strong>de</strong>n,<br />

dass ein Praxisschild nicht länger notwendiger Bestandteil<br />

einer Kanzleieinrichtung ist.<br />

Er verweist in <strong>de</strong>r Fußnote (31) auf die Mitteilungen <strong>de</strong>r RAK<br />

München aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Jahre 1978 (!).<br />

Diese Darstellung entspricht jedoch we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Rechtsauffassung<br />

<strong>de</strong>s Vorstands noch <strong>de</strong>r ständigen Verwaltungspraxis <strong>de</strong>r<br />

RAK München.<br />

Im Jahre 1978 hatte sich <strong>de</strong>r Vorstand <strong>de</strong>r RAK München ausweislich<br />

<strong>de</strong>r uns vorliegen<strong>de</strong>n Protokolle mit <strong>de</strong>r Kanzleipflicht<br />

von Rechtsanwälten im Anstellungsverhältnis zu befassen. Zugrun<strong>de</strong><br />

lagen Schwierigkeiten, die sich bei <strong>de</strong>r postalischen Erreichbarkeit<br />

ergaben, wenn Rechtsanwälte ihre Kanzlei in <strong>de</strong>n<br />

Büroräumen eines an<strong>de</strong>ren Rechtsanwalts einrichteten und ihr<br />

Name we<strong>de</strong>r auf einem Kanzleischild noch sonst nach außen<br />

in Erscheinung trat. Hierbei wur<strong>de</strong> im Vorstand die Frage erörtert,<br />

ob es für die ordnungsgemäße Einrichtung einer Kanzlei<br />

im Sinne von § 27 BRAO und <strong>de</strong>ren Manifestierung nach außen<br />

erfor<strong>de</strong>rlich o<strong>de</strong>r entbehrlich sei, ein Namensschild (mit<br />

o<strong>de</strong>r ohne Berufsbezeichnung) an <strong>de</strong>r Haustür o<strong>de</strong>r an sonst<br />

geeigneter Stelle anzubringen. Dabei wur<strong>de</strong>n die Schwierigkeiten<br />

gesehen, einen anwaltlichen Arbeitgeber zu verpflichten,<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> angestellten Rechtsanwalt die Anbringung eines Namensschil<strong>de</strong>s<br />

in je<strong><strong>de</strong>m</strong> Fall zu gestatten. Die Mehrheit <strong>de</strong>s Vorstan<strong>de</strong>s<br />

war daher damals <strong>de</strong>r Auffassung, dass <strong>de</strong>r Rechtsanwalt<br />

die Einrichtung seiner Kanzlei nach außen ordnungsgemäß auf<br />

zwei Arten kenntlich machen kann: entwe<strong>de</strong>r durch Anbringen<br />

eines Kanzleischil<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r durch Verwendung einer Adressbezeichnung<br />

(im Schriftverkehr) mit einem c/o- o<strong>de</strong>r ähnlichen<br />

Zusatz, <strong>de</strong>r die postalische Erreichbarkeit <strong>de</strong>r Kanzlei sicherstellt.<br />

In <strong>de</strong>n Kammer<strong>mitteilungen</strong> vom Dezember 1978 wur<strong>de</strong> zwar<br />

in <strong>de</strong>r Tat aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Grün<strong>de</strong>n<br />

ausgeführt:<br />

Der Vorstand <strong>de</strong>r RAK ist <strong>de</strong>r Auffassung, dass ein Kanzleischild<br />

nicht notwendiger Bestandteil <strong>de</strong>r Kanzleieinrichtung<br />

ist.<br />

Diese Darstellung muss jedoch berichtigt wer<strong>de</strong>n. Die Auffassung,<br />

dass für die Einrichtung einer Kanzlei die Anbringung eines<br />

Kanzleischil<strong>de</strong>s nicht erfor<strong>de</strong>rlich sei, wur<strong>de</strong> vom Vorstand<br />

<strong>de</strong>r RAK München we<strong>de</strong>r damals im Jahre 1978 noch davor<br />

noch danach vertreten. Entsprechend <strong>de</strong>r allgemeinen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

an die Einrichtung einer Rechtsanwaltskanzlei for<strong>de</strong>rt<br />

auch <strong>de</strong>r Vorstand <strong>de</strong>r RAK München neben <strong><strong>de</strong>m</strong> Vorhan<strong>de</strong>nsein<br />

von einem o<strong>de</strong>r mehreren Räumen, <strong>de</strong>r telefonischen<br />

Erreichbarkeit auch ein auf die Existenz <strong>de</strong>r Kanzlei hinweisen<strong>de</strong>s<br />

Praxisschild 3 . Gera<strong>de</strong> letzte Anfor<strong>de</strong>rung hält <strong>de</strong>r Vorstand<br />

<strong>de</strong>r RAK München angesichts <strong>de</strong>r Vorschriften über die Durchsuchung<br />

von Geschäftsräumen, die Beschlagnahme von Unterlagen<br />

und <strong>de</strong>r Gefahren <strong>de</strong>s „Lauschangriffs“ im Einzelnen sowie<br />

zur Wahrung <strong>de</strong>r anwaltlichen Verschwiegenheitsverpflichtung<br />

im Allgemeinen für unabdingbar. In einem jüngst<br />

vor <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH geführten Verfahren wur<strong>de</strong> das Erfor<strong>de</strong>rnis eines<br />

Kanzleischil<strong>de</strong>s erst wie<strong>de</strong>r höchstgerichtlich bestätigt 4 .<br />

1 BRAK-Mitt. 2005, 31 ff.<br />

2 Vgl. auch AnwG Hamm, AnwBl. 2000, 316.<br />

3 Vgl. i.e. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl., § 27 Rdnr. 5 m.w.N.<br />

4 Vgl. BGH, NJW 2005, 1420.


BRAK-Mitt. 4/2005 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 179<br />

Das aktuelle Urteil<br />

Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk und Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Allianz Versicherungs-AG, München,<br />

Rechtsanwalt Holger Grams<br />

Das aktuelle Urteil<br />

Beratungspflichten vor Vergleichswi<strong>de</strong>rruf<br />

Bei Abschluss eines Wi<strong>de</strong>rrufsvergleichs ist <strong>de</strong>r Anwalt verpflichtet,<br />

<strong>de</strong>n Mandanten umfassend zu beraten, damit dieser eine<br />

eigenverantwortliche Entscheidung treffen kann, ob er <strong>de</strong>n Vergleich<br />

bestandskräftig wer<strong>de</strong>n lassen will o<strong>de</strong>r nicht. Wenn von<br />

mehreren Handlungsalternativen (hier: Wi<strong>de</strong>rruf o<strong>de</strong>r Bestandskraft)<br />

eine zur Erreichung <strong>de</strong>s wirtschaftlichen Zieles <strong>de</strong>s Mandanten<br />

<strong>de</strong>utlich sicherer ist, muss <strong>de</strong>r Anwalt die Chancen und<br />

Risiken <strong>de</strong>r Alternativen bei seiner Beratung entsprechend<br />

gewichten.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 17.2.2005 – I-24 U 119/04,<br />

LG Wuppertal, Urt. v. 21.5.2004 – 19 O 400/03<br />

Besprechung:<br />

Im letzten Heft (BRAK-Mitt. 2005, 111) hatten wir eine Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s KG besprochen, wonach <strong>de</strong>r Anwalt einen<br />

Wi<strong>de</strong>rrufsvergleich wi<strong>de</strong>rrufen muss (und damit auch wi<strong>de</strong>rrufen<br />

darf, ohne sich haftpflichtig zu machen), wenn er innerhalb<br />

<strong>de</strong>r Frist keine ausdrückliche Zustimmung <strong>de</strong>s Mandanten zu<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Vergleich erhält. Unklarheiten bei <strong>de</strong>r Stellungnahme <strong>de</strong>s<br />

Mandanten musste sich <strong>de</strong>r Mandant selbst zurechnen lassen.<br />

Der hier besprochene Fall steht damit nur scheinbar im Wi<strong>de</strong>rspruch.<br />

Die bei<strong>de</strong>n Fälle beleuchten aber gut das Spannungsfeld,<br />

in <strong><strong>de</strong>m</strong> sich <strong>de</strong>r Anwalt bewegt.<br />

Auch hier ging es um die Frage, ob <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf eines objektiv<br />

günstigen Vergleichs eine anwaltliche Pflichtverletzung darstellt,<br />

wenn <strong>de</strong>r Mandant sich bis zum Fristablauf nicht ein<strong>de</strong>utig<br />

geäußert hat. Bei genauem Hinsehen liegt die von LG und<br />

OLG (vom OLG als Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 2<br />

ZPO, woraufhin <strong>de</strong>r Anwalt seine Berufung zurücknahm)<br />

bejahte Pflichtverletzung jedoch darin, dass <strong>de</strong>r Anwalt zuvor<br />

<strong>de</strong>n Mandanten über Einzelheiten <strong>de</strong>s Vergleichs und die<br />

absehbar nachteiligen Folgen eines Wi<strong>de</strong>rrufs nicht hinreichend<br />

belehrt hatte, so dass dieser keine fundierte, eigenverantwortliche<br />

Entscheidung treffen und eine entsprechen<strong>de</strong><br />

Weisung erteilen konnte.<br />

Der Anwalt hatte in einem Arbeitsrechtsstreit auf Gehaltszahlung<br />

und Kündigungsschutz für <strong>de</strong>n Arbeitgeber wi<strong>de</strong>rruflich<br />

zwei Teilvergleiche geschlossen. Der Teilvergleich bezüglich<br />

<strong>de</strong>r Gehaltsfor<strong>de</strong>rung sah ein weitgehen<strong>de</strong>s Nachgeben <strong>de</strong>s<br />

Arbeitgebers vor. Der zweite Teilvergleich enthielt eine für <strong>de</strong>n<br />

Arbeitgeber günstige Regelung zur Beendigung <strong>de</strong>s Arbeitsverhältnisses.<br />

Bei<strong>de</strong> Teilvergleiche waren jeweils selbstständig und<br />

einzeln wi<strong>de</strong>rruflich. Der Mandant äußerte sich nicht ein<strong>de</strong>utig,<br />

ob er die Vergleiche akzeptiere o<strong>de</strong>r nicht. Daraufhin<br />

wi<strong>de</strong>rrief <strong>de</strong>r Anwalt bei<strong>de</strong> Teilvergleiche. Schließlich wur<strong>de</strong><br />

die arbeitgeberseitige Kündigung vom ArbG für unwirksam<br />

erklärt, was weitere Gehaltsansprüche <strong>de</strong>r Arbeitnehmerin<br />

nach sich zog.<br />

Nach <strong>de</strong>n gerichtlichen Feststellungen hatte <strong>de</strong>r Anwalt <strong>de</strong>n<br />

Mandanten we<strong>de</strong>r über die Möglichkeit <strong>de</strong>s separaten Wi<strong>de</strong>rrufs<br />

<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Teilvergleiche belehrt, noch auf das hohe Risiko<br />

<strong>de</strong>r Unwirksamkeit <strong>de</strong>r Kündigung hingewiesen. Dies waren die<br />

Pflichtverletzungen, die zur Haftung <strong>de</strong>s Anwalts führten, und<br />

nicht <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Vergleiche (insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>s Beendigungsvergleichs)<br />

an sich. Dies ist <strong>de</strong>r maßgebliche Unterschied<br />

zu <strong>de</strong>r im letzten Heft besprochenen Entscheidung <strong>de</strong>s KG.<br />

Bei <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>s Abschlusses bzw. Nichtabschlusses eines Vergleichs<br />

treffen <strong>de</strong>n Anwalt beson<strong>de</strong>re Beratungspflichten. Er<br />

muss <strong><strong>de</strong>m</strong> Mandanten Chancen und Risiken, pro und contra<br />

gegenüber <strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>sichten im Fall einer streitigen Entscheidung<br />

darlegen (BGH, NJW 1994, 2085). Bei günstigen Vergleichsmöglichkeiten<br />

muss er zur Annahme raten, bei ungünstigen<br />

abraten. Mathematische Genauigkeit wird dabei nicht verlangt;<br />

insofern steht <strong><strong>de</strong>m</strong> Anwalt ein Ermessensspielraum zu (BGH,<br />

NJW-RR 1991, 1499). Einzukalkulieren sind Beweislastfragen<br />

und auch die Möglichkeit einer gerichtlichen Fehlentscheidung<br />

(Zugehör/Sieg, Handbuch <strong>de</strong>r Anwaltshaftung, Rdnr. 758).<br />

Auch wirtschaftliche und an<strong>de</strong>re Faktoren (z.B. Gesundheit<br />

o<strong>de</strong>r psychischer Zustand <strong>de</strong>s Mandanten) dürfen hier in die<br />

Beratung einfließen (BGH, NJW 1993, 1325). Für objektiv fehlerhafte<br />

Prognosen haftet <strong>de</strong>r Anwalt jedoch (BGH, BB 2000,<br />

536 = BRAK-Mitt. 2000, 126 m. Anm. Jungk).<br />

Hinweisen muss <strong>de</strong>r Anwalt insbeson<strong>de</strong>re auf die Reichweite<br />

von Abgeltungsklauseln (BGH, NJW 2002, 292 = BRAK-Mitt.<br />

2002, 22 m. Anm. Chab), vor allem bei möglichen unbekannten<br />

Ansprüchen, z.B. Zukunftsschä<strong>de</strong>n (insbeson<strong>de</strong>re bei<br />

unfallbedingten Körperschä<strong>de</strong>n). Eine Vergleichsempfehlung<br />

<strong>de</strong>s Gerichts enthebt <strong>de</strong>n Anwalt nicht von seiner eigenen Verantwortung<br />

gegenüber <strong><strong>de</strong>m</strong> Mandanten, ist jedoch bei <strong>de</strong>r<br />

Abwägung zu berücksichtigen, insbeson<strong>de</strong>re dann, wenn<br />

gegen eine Entscheidung dieses Gerichts kein Rechtsmittel<br />

mehr möglich wäre (Zugehör/Sieg, a.a.O., Rdnr. 759).<br />

Die Beweislast für eine anwaltliche Pflichtverletzung trägt zwar<br />

grundsätzlich <strong>de</strong>r Mandant (BGH, NJW 1996, 2571). Dies gilt<br />

selbst dann, wenn er negative Tatsachen behauptet, z.B. eine<br />

unterlassene Belehrung durch <strong>de</strong>n Anwalt. Der Anwalt muss<br />

jedoch eine behauptete Belehrung konkret und substantiiert<br />

darlegen (<strong>Inhalt</strong> <strong>de</strong>r Belehrung, Reaktion <strong>de</strong>s Mandanten etc.,<br />

BGH, NJW 1987, 1322; 1995, 2842). Auch wenn <strong>de</strong>r Anwalt<br />

eine Belehrung nicht nachweisen muss, empfiehlt es sich dringend,<br />

Belehrungen zumin<strong>de</strong>st durch Aktennotizen zu dokumentieren,<br />

um das eigene Gedächtnis zu stützen. Auch im vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Fall hatte <strong>de</strong>r Anwalt vorgetragen, er habe <strong>de</strong>n Mandanten<br />

umfassend unterrichtet. Dies war <strong>de</strong>n Gerichten – im<br />

Lichte <strong>de</strong>r BGH-Rspr. zu Recht – zu unsubstantiiert. Bzgl. <strong>de</strong>r<br />

Frage <strong>de</strong>r separaten Wi<strong>de</strong>rrufbarkeit <strong>de</strong>r Teilvergleiche vermisste<br />

das OLG überhaupt einen diesbezüglichen Vortrag.<br />

Rechtsanwalt Holger Grams


180 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

Haftung<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

Zurechnungszusammenhang bei mehreren hintereinan<strong>de</strong>r<br />

tätigen Anwälten<br />

Verursacht <strong>de</strong>r RA durch pflichtwidrige Untätigkeit, dass ein<br />

Anspruch <strong>de</strong>s Mandanten verjährt, <strong>de</strong>n er durchzusetzen beauftragt<br />

war, wird <strong>de</strong>r Zurechnungszusammenhang nicht dadurch<br />

unterbrochen, dass <strong>de</strong>r Mandant später einen an<strong>de</strong>ren Anwalt<br />

beauftragt, <strong>de</strong>r es fahrlässig versäumt, noch rechtzeitig <strong>de</strong>n Eintritt<br />

<strong>de</strong>r Verjährung zu vermei<strong>de</strong>n.<br />

BGH, Urt. v. 7.4.2005 – IX ZR 132/01<br />

Anmerkung:<br />

Die Zurechnung von <strong><strong>de</strong>m</strong> Mandanten entstan<strong>de</strong>nen Schä<strong>de</strong>n<br />

ist immer wie<strong>de</strong>r dann ein Thema, wenn mehrere Anwälte – sei<br />

es zeitlich nebeneinan<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r auch nacheinan<strong>de</strong>r – ein Mandat<br />

bearbeiten. Man ist fast geneigt zu sagen, gera<strong>de</strong> dann<br />

scheinen sich Haftungskonstellationen beson<strong>de</strong>rs „gerne“ aufzutun,<br />

frei nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Motto: „Viele Köche ver<strong>de</strong>rben <strong>de</strong>n Brei“.<br />

Im vom BGH entschie<strong>de</strong>nen Fall haben zum einen gleichzeitig<br />

verschie<strong>de</strong>ne Anwälte gewirkt, nämlich ein Prozessanwalt und<br />

ein Verkehrsanwalt. Außer<strong><strong>de</strong>m</strong> aber war das Mandat <strong>de</strong>s hier<br />

verklagten Prozessanwalts bereits seit Monaten been<strong>de</strong>t, als<br />

schließlich die Zugewinnausgleichsansprüche <strong>de</strong>r Mandantin<br />

verjährten. Zu diesem Zeitpunkt war schon ein weiterer Anwalt<br />

mit <strong>de</strong>r Sache befasst. Dennoch und damit gegen die bei<strong>de</strong>n<br />

Vorinstanzen rechnet <strong>de</strong>r BGH das Verschul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s zunächst<br />

tätigen hier verklagten Anwalts noch zu. Dieser habe gera<strong>de</strong><br />

durch seine Untätigkeit die Kausalkette erst in Gang gesetzt,<br />

in<strong><strong>de</strong>m</strong> er zunächst ein PKH-Verfahren wegen <strong>de</strong>s Zugewinnausgleichs<br />

in Gang setzte, nach Zurückweisung aber völlig<br />

untätig blieb. Den Zurückweisungsbeschluss hatte er nach<br />

eigener Einlassung nie erhalten. Da er aber auch anschließend<br />

we<strong>de</strong>r einen durch <strong>de</strong>n Korrespon<strong>de</strong>nzanwalt vorbereiteten<br />

Schriftsatz einreichte noch sich nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Stand <strong>de</strong>s Verfahrens<br />

erkundigte, konnte ihn das nicht entlasten. Auch wenn die Verjährung<br />

dann letztlich nicht mehr in <strong>de</strong>r Zeit seiner Mandatsbearbeitung<br />

eintritt, son<strong>de</strong>rn vielmehr ein weiterer Anwalt zu diesem<br />

Zeitpunkt schon eingeschaltet ist, <strong>de</strong>r das Verjährungsproblem<br />

aber auch nicht erkennt, wird hierdurch nach <strong>de</strong>r Rspr.<br />

<strong>de</strong>s BGH <strong>de</strong>r Zurechnungszusammenhang grundsätzlich nicht<br />

unterbrochen. <strong>Aus</strong>nahmen liegen dort, wo das Verhalten Dritter<br />

als ganz ungewöhnliche Beeinflussung <strong>de</strong>s Geschehensablaufs<br />

zu werten ist o<strong>de</strong>r wenn <strong>de</strong>r später tätige Anwalt mit <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

expliziten Auftrag betraut wird, die Fehler <strong>de</strong>s Erstanwalts zu<br />

korrigieren. Bei<strong>de</strong>s war hier nicht <strong>de</strong>r Fall, so dass <strong>de</strong>r BGH<br />

zurückwies und in <strong>de</strong>n Urteilsgrün<strong>de</strong>n auf bereits früher in<br />

diese Richtung ergangene Entscheidungen wie diejenige vom<br />

29.11.2001 (in <strong>de</strong>n BRAK-Mitt. 2002, 64 besprochen von<br />

Jungk) verwies. Was im Übrigen <strong>de</strong>n daneben tätigen Verkehrsanwalt<br />

angeht, so ließ sich die Mandantin hier im Verhältnis<br />

zum beklagten Prozessanwalt ein hälftiges Mitverschul<strong>de</strong>n<br />

anrechnen.<br />

Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Einre<strong>de</strong> <strong>de</strong>r beschränkten Erbenhaftung<br />

Der RA ist verpflichtet, die Einre<strong>de</strong> <strong>de</strong>r beschränkten Erbenhaftung<br />

zu erheben, es sei <strong>de</strong>nn, eine Überschuldung <strong>de</strong>s Nachlasses<br />

schei<strong>de</strong>t ein<strong>de</strong>utig aus.<br />

KG, Urt. v. 3.2.2005 – 20 U 11/04<br />

Anmerkung:<br />

Es geschieht gar nicht so selten, dass die Erben von einem<br />

Gläubiger <strong>de</strong>s Erblassers in Anspruch genommen wer<strong>de</strong>n,<br />

nach<strong><strong>de</strong>m</strong> sie die Erbschaft bereits angenommen haben. Es kann<br />

dann dazu kommen, dass <strong>de</strong>r Nachlass zur Befriedigung nicht<br />

ausreicht. Um <strong>de</strong>n Erben vor solch bösen Überraschungen zu<br />

schützen, gibt es die Vorschrift <strong>de</strong>s § 1990 BGB, die <strong>de</strong>n Erben<br />

berechtigt, die Befriedigung eines Nachlassgläubigers insoweit<br />

zu verweigern, als <strong>de</strong>r Nachlass nicht ausreicht. Bei gerichtlicher<br />

Geltendmachung ist es allerdings erfor<strong>de</strong>rlich, die Einre<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r beschränkten Erbenhaftung auch zu erheben, um eine Vollstreckung<br />

in das Privatvermögen <strong>de</strong>s Erben zu verhin<strong>de</strong>rn.<br />

Hieran sollte <strong>de</strong>r die Erben vertreten<strong>de</strong> Anwalt immer <strong>de</strong>nken.<br />

Das KG weist zutreffend darauf hin, dass die Erhebung <strong>de</strong>r Einre<strong>de</strong><br />

keine Kosten verursacht und ein Unterlassen <strong>de</strong>s Anwalts<br />

allenfalls dann vertretbar ist, wenn nach <strong>de</strong>r Sachlage ein<strong>de</strong>utig<br />

eine Überschuldung <strong>de</strong>s Nachlasses ausschei<strong>de</strong>t. Dies dürfte<br />

eher die <strong>Aus</strong>nahme sein.<br />

Die bloße Inanspruchnahme <strong>de</strong>s Privatvermögens stellt in<strong>de</strong>s<br />

noch keinen Scha<strong>de</strong>n dar, son<strong>de</strong>rn es hat ein Gesamtvermögensvergleich<br />

zu erfolgen. Ein wirtschaftlicher Scha<strong>de</strong>n ist nur<br />

dann eingetreten, wenn <strong>de</strong>r ausgeurteilte Betrag ganz o<strong>de</strong>r teilweise<br />

nicht aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Nachlass zu <strong>de</strong>cken ist. Hierfür, d.h. auch<br />

für <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s Nachlasses, ist <strong>de</strong>r Mandant beweispflichtig.<br />

Das KG legt dar, dass selbst <strong>de</strong>r Umstand <strong>de</strong>r Eröffnung <strong>de</strong>s<br />

Nachlassinsolvenzverfahrens <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n noch nicht indiziert.<br />

Der erfüllen<strong>de</strong> Erbe erwirbt ja einen entsprechen<strong>de</strong>n Anspruch<br />

zur Quote. In dieser Höhe hat er im Ergebnis keinen Scha<strong>de</strong>n.<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Beratung bei Versicherung für frem<strong>de</strong> Rechnung<br />

Vertritt <strong>de</strong>r Anwalt bei einer Unfallversicherung für frem<strong>de</strong> Rechnung<br />

das versicherte, aber nicht selbst zur Geltendmachung <strong>de</strong>r<br />

Ansprüche aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Versicherungsvertrag berechtigte Unfallopfer,<br />

nicht aber <strong>de</strong>n Versicherungsnehmer, muss er <strong>de</strong>n Mandanten auf<br />

die Rechtslage hinweisen und ihn umfassend und vollständig<br />

belehren, wie die fünfzehnmonatige <strong>Aus</strong>schlussfrist zur Geltendmachung<br />

von Dauerschä<strong>de</strong>n gewahrt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

OLG Saarbrücken, Urt. v. 10.11.2004 – 5 U 143-02-14<br />

Anmerkung:<br />

Der Mandant war bei einem Unfall schwer verletzt wor<strong>de</strong>n.<br />

Sein Vater hatte für ihn eine Unfallversicherung abgeschlossen;<br />

Versicherungsnehmer (VN) war aber <strong>de</strong>r Vater. Der Versicherer<br />

(VR) teilte <strong><strong>de</strong>m</strong> Anwalt, <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Mandanten Ansprüche geltend<br />

gemacht hatte, mit, dass er eine Vollmacht <strong>de</strong>s VN vorlegen<br />

müsse. Der Anwalt bat <strong>de</strong>n VR, sich direkt an <strong>de</strong>n VN zu<br />

wen<strong>de</strong>n, da er insofern kein Mandat hätte. Der VR wies <strong>de</strong>n<br />

VN auf die 15-Monats-Frist gem. § 8 Abs. 2 AUB 61 (entspricht<br />

§ 7I Abs. 1 Satz 3 AUB 94 bzw. Ziff. 2.1.1.1 Satz 2 AUB 99) für<br />

die ärztliche Feststellung und Geltendmachung einer Invalidität<br />

hin, die jedoch mangels rechtzeitiger Feststellung und Geltendmachung<br />

nicht gewahrt wur<strong>de</strong>, obwohl Invalidität innerhalb<br />

eines Jahres nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Unfall eingetreten war.<br />

Bei einer Unfallversicherung gegen Unfälle eines Dritten<br />

(„Gefahrperson“) han<strong>de</strong>lt es sich gem. § 179 Abs. 2 VVG im<br />

Zweifel um eine Versicherung für frem<strong>de</strong> Rechnung nach<br />

§§ 75 ff. VVG. Zur <strong>Aus</strong>übung <strong>de</strong>r Rechte ist gem. § 16 Abs. 1<br />

Satz 2 AUB in Abweichung <strong>de</strong>s abdingbaren § 75 Abs. 2 VVG<br />

nur <strong>de</strong>r VN berechtigt. Aufgrund dieser Aufspaltung entsteht<br />

ein gesetzliches Treuhandverhältnis zwischen VN und <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Versicherten, aufgrund <strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>r VN zur Einziehung und Weiterleitung<br />

<strong>de</strong>r Versicherungsleistung an <strong>de</strong>n Versicherten verpflichtet<br />

ist (BGH, NJW 1973, 1368; 1991, 3031).


BRAK-Mitt. 4/2005 Pflichten und Haftung <strong>de</strong>s Anwalts 181<br />

Rechtsprechungsleitsätze<br />

Welche Beratung <strong>de</strong>r Anwalt <strong><strong>de</strong>m</strong> Mandanten erteilt hat, war<br />

streitig. Nach seinem eigenen Vortrag hat er über die Frist <strong>de</strong>s<br />

§ 8 Abs. 2 AUB und über das Fehlen <strong>de</strong>r Möglichkeit <strong>de</strong>r Geltendmachung<br />

von Ansprüchen beim VR im eigenen Namen<br />

belehrt. Auch nach seinem eigenen Vortrag hat <strong>de</strong>r Anwalt<br />

jedoch nicht über das gesetzliche Treuhandverhältnis belehrt,<br />

aus <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>r Mandant einen Anspruch gegen seinen Vater auf<br />

Geltendmachung <strong>de</strong>r Ansprüche gegen <strong>de</strong>n VR gehabt hätte.<br />

Wegen dieser Unvollständigkeit <strong>de</strong>r Belehrung bejahte das<br />

OLG eine haftungsbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> anwaltliche Pflichtverletzung.<br />

Rechtsanwalt Holger Grams<br />

Fristen<br />

Beiläufige Fristenüberprüfung<br />

Wenn <strong><strong>de</strong>m</strong> RA die Handakten zur Anfertigung <strong>de</strong>r Berufungsschrift<br />

vorgelegt wer<strong>de</strong>n, muss er auch prüfen, ob die Berufungsbegründungsfrist<br />

richtig notiert ist (Bestätigung von BGH, Beschl.<br />

v. 1.12.2004 – XII ZB 164/03).<br />

BGH, Beschl. v. 13.4.2005 – VIII ZB 77/04<br />

BGH, Beschl. v. 19.4.2005 – X ZB 31/03<br />

Anmerkung:<br />

Im Kern war <strong>de</strong>r Sachverhalt bei<strong>de</strong>r Beschlüsse gleich. Die<br />

Berufungsbegründungsfrist war falsch bzw. gar nicht notiert,<br />

was aus <strong>de</strong>r Akte heraus erkennbar war. Die Anwälte hatten bei<br />

Einlegung <strong>de</strong>r Berufung jeweils die Möglichkeit und im Ergebnis<br />

auch die Pflicht, die Eintragung <strong>de</strong>r Berufungsbegründungsfrist<br />

zu prüfen. Geschieht das nicht, gibt es keine Wie<strong>de</strong>reinsetzung.<br />

Der RA hat eigenverantwortlich zu prüfen, ob die Frist<br />

richtig berechnet wur<strong>de</strong>, wenn ihm die Akte zur Bearbeitung<br />

<strong>de</strong>r fristgebun<strong>de</strong>nen Tätigkeit vorgelegt wird. Eine gewisse<br />

Erweiterung erfährt dieser Grundsatz darin, dass seit <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s Fristbeginns für die Begründungsfrist durch die ZPO-<br />

Reform mit <strong>de</strong>r Berufungseinlegung auch gleich die korrekte<br />

Notierung <strong>de</strong>r Berufungsbegründungsfrist zu prüfen ist. Das ist<br />

inzwischen st. Rspr., Rechtsbeschwer<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n bereits als<br />

unzulässig zurückgewiesen (so geschehen mit <strong><strong>de</strong>m</strong> zitierten<br />

Beschl. v. 13.4.2005), weil we<strong>de</strong>r Fragen von grundsätzlicher<br />

Be<strong>de</strong>utung aufgeworfen wer<strong>de</strong>n, noch die Fortbildung <strong>de</strong>s<br />

Rechts o<strong>de</strong>r die Sicherung einer einheitlichen Rspr. eine Entscheidung<br />

erfor<strong>de</strong>rt.<br />

Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Zweiter Fristverlängerungsantrag und Einwilligung <strong>de</strong>s<br />

Gegners<br />

Das Vertrauen auf die Bewilligung <strong>de</strong>r beantragten (weiteren)<br />

Verlängerung <strong>de</strong>r Berufungsbegründungsfrist ist nicht gerechtfertigt,<br />

wenn <strong>de</strong>r Prozessbevollmächtigte <strong>de</strong>s Berufungsklägers die<br />

ihm gegenüber erklärte, gem. § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erfor<strong>de</strong>rliche<br />

Einwilligung <strong>de</strong>s Gegners in <strong>de</strong>n Verlängerungsantrag nicht<br />

erwähnt.<br />

BGH, Beschl. v. 22.3.2005 – XI ZB 36/04<br />

Anmerkung:<br />

Der Prozessbevollmächtigte <strong>de</strong>s Berufungsklägers hatte beim<br />

OLG eine zweite Verlängerung <strong>de</strong>r Berufungsbegründungsfrist<br />

beantragt. Als Begründung gab er Arbeitsüberlastung an. Der<br />

Senatsvorsitzen<strong>de</strong> lehnte <strong>de</strong>n Antrag ab, weil die gem. § 520<br />

Abs. 2 ZPO erfor<strong>de</strong>rliche Einwilligung <strong>de</strong>s Gegners nicht vorgetragen<br />

wor<strong>de</strong>n war. Daraufhin beantragte <strong>de</strong>r Anwalt Wie<strong>de</strong>reinsetzung<br />

in <strong>de</strong>n vorigen Stand mit <strong>de</strong>r Begründung, die<br />

Einwilligung <strong>de</strong>s Gegners zu <strong>de</strong>r zweiten Fristverlängerung<br />

habe ihm ja vorgelegen, daher habe er auf die Gewährung <strong>de</strong>r<br />

zweiten Verlängerung vertrauen dürfen. Seine Bürokraft habe<br />

versehentlich seine Anweisung, im Verlängerungsantrag auf<br />

das Einverständnis <strong>de</strong>s Gegners hinzuweisen, nicht beachtet.<br />

Das OLG hat <strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>reinsetzungsantrag zurückgewiesen<br />

und die Berufung verworfen.<br />

Der BGH verwarf die Rechtsbeschwer<strong>de</strong> als unzulässig, da die<br />

Rechtsfrage keine grundsätzliche Be<strong>de</strong>utung habe und eine<br />

Entscheidung auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen<br />

Rspr. erfor<strong>de</strong>rlich sei. Die Entscheidung <strong>de</strong>s OLG entspreche<br />

<strong>de</strong>r st. BGH-Rspr. Der zweite Fristverlängerungsantrag sei mangels<br />

Darlegung <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlichen Zustimmung <strong>de</strong>s Gegners<br />

unvollständig gewesen und habe daher kein schützenswertes<br />

Vertrauen <strong>de</strong>s Anwalts begrün<strong>de</strong>t, dass <strong><strong>de</strong>m</strong> Antrag stattgegeben<br />

wer<strong>de</strong> (BGH, NJW 1993, 134; NJW-RR 1998, 573). Der<br />

Fehler <strong>de</strong>r Bürokraft entlaste <strong>de</strong>n Anwalt nicht, weil er Schriftsätze<br />

vor Unterzeichnung selbst sorgfältig auf Richtigkeit und<br />

Vollständigkeit zu prüfen habe (BGH, NJW 1995, 1499; NJW<br />

1998, 908).<br />

Rechtsanwalt Holger Grams<br />

Einzelweisung zur Faxübermittlung eines Schriftsatzes<br />

Auf eine allgemeine organisatorische Regelung kommt es nicht<br />

entschei<strong>de</strong>nd an, wenn im Einzelfall konkrete Anweisungen vorliegen,<br />

<strong>de</strong>ren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte.<br />

Außerhalb <strong>de</strong>r Weisung liegen<strong>de</strong> sonstige organisatorische Maßnahmen,<br />

die eine zuverlässige Fristkontrolle gewährleisten, sind<br />

damit nicht außer Kraft gesetzt. (eigener Leitsatz)<br />

BGH, Beschl. v. 3.5.2005 – XI ZB 41/04<br />

Anmerkung:<br />

Der Prozessbevollmächtigte unterschrieb <strong>de</strong>n Berufungsschriftsatz,<br />

bevor er dann die Kanzlei wegen einer Geschäftsreise verließ.<br />

Zuvor hatte er seine Rechtsanwaltsgehilfin mündlich<br />

angewiesen, <strong>de</strong>n Schriftsatz noch am selben Tag an das OLG<br />

zu faxen und anschließend in die normale Geschäftspost zu<br />

geben. Die Gehilfin strich die Frist noch in seinem Beisein,<br />

bevor sie das Fax ans Gericht sandte. Die Versendung geriet<br />

anschließend in Vergessenheit, weil <strong>de</strong>r Schriftsatz versehentlich<br />

in eine Parallelakte eingelegt wur<strong>de</strong>. Hierin lag <strong>de</strong>r Organisationsmangel<br />

bzw. das Anwaltsverschul<strong>de</strong>n, das letzten En<strong>de</strong>s<br />

die Wie<strong>de</strong>reinsetzung verhin<strong>de</strong>rte. Auch wenn Einzelweisungen<br />

erteilt wer<strong>de</strong>n – so <strong>de</strong>r BGH –, müssen die übrigen notwendigen<br />

organisatorischen Maßnahmen eingehalten wer<strong>de</strong>n.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re darf auch dann die Frist erst nach ordnungsgemäßem<br />

Faxausgang gestrichen wer<strong>de</strong>n. Der Anwalt hätte die frühzeitige<br />

Friststreichung, bei <strong>de</strong>r er noch anwesend war, unbedingt<br />

verhin<strong>de</strong>rn müssen. Dass er am nächsten Tag noch von<br />

unterwegs aus anrief und nach <strong>de</strong>r Erledigung fragte, entlastete<br />

ihn nicht, zumal es zu diesem Zeitpunkt auch schon zu spät<br />

war, um noch geeignete Maßnahmen treffen zu können.<br />

Rechtsanwalt Bertin Chab<br />

Vertretungsregelung im Krankheitsfall<br />

Der RA muss Vorkehrungen dafür treffen, dass im Fall seiner<br />

Erkrankung ein Vertreter die notwendigen Prozesshandlungen<br />

vornimmt. Für <strong>de</strong>n Fall einer plötzlichen und längerfristigen<br />

Erkrankung muss er sein Büropersonal allgemein anweisen, um<br />

Vertretung durch einen Anwaltskollegen bemüht zu sein o<strong>de</strong>r<br />

erfor<strong>de</strong>rlichenfalls einen Antrag nach § 53 Abs. 2 BRAO zu stellen.<br />

(eigener Leitsatz)<br />

BGH, Beschl. v. 17.3.2005 – IX ZB 74/04


182 <strong>Aus</strong> <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Anmerkung:<br />

Die Prozessbevollmächtigte wur<strong>de</strong> durch eine plötzlich auftreten<strong>de</strong><br />

heftige Sommergrippe für längere Zeit aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Verkehr<br />

gezogen. Zwar wur<strong>de</strong> ein an<strong>de</strong>rer Anwalt damit beauftragt,<br />

Einlegungsfristen zu wahren, nicht aber Begründungsfristen.<br />

Hierfür hatte dieser auch keine Zeit. Die Anwältin hatte offenbar<br />

darauf vertraut, rechtzeitig zur Fertigung <strong>de</strong>s Begründungsschriftsatzes<br />

wie<strong>de</strong>r gesund zu sein, was sich in <strong>de</strong>r Folge aber<br />

nicht bewahrheitete.<br />

Maßstab für die Vertretungsregelung im Krankheitsfall muss<br />

immer sein, dass auch bei plötzlichem <strong>Aus</strong>fall <strong>de</strong>s sachbearbeiten<strong>de</strong>n<br />

RA sämtliche Fristen gewahrt wer<strong>de</strong>n. Es muss also <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Büropersonal ein konkreter an<strong>de</strong>rer Anwalt bzw. eine Sozietät<br />

benannt wer<strong>de</strong>n, die kurzfristig, d.h. notfalls auch am selben<br />

Tag noch fristwahren<strong>de</strong> Maßnahmen ergreifen kann. Kann <strong>de</strong>r<br />

so benannte Vertreter aus Zeitgrün<strong>de</strong>n nicht für längere Zeit<br />

diese Aufgabe erfüllen, so muss auf an<strong>de</strong>re Weise die Fristwahrung<br />

bzw. allgemein die Wahrung <strong>de</strong>r Mandanteninteressen<br />

sichergestellt wer<strong>de</strong>n, ggf. eben auch durch einen Antrag auf<br />

Bestellung eines Vertreters nach § 53 Abs. 2 Satz 2 BRAO. Das<br />

Vertrauen <strong>de</strong>s Anwalts darauf, dass er schon rechtzeitig wie<strong>de</strong>r<br />

gesund wird, reicht hier nicht. Gera<strong>de</strong> bei Unfällen und schweren<br />

Erkrankungen kommt es vor, dass <strong>de</strong>r Anwalt selbst gar<br />

nichts mehr veranlassen kann. Dann muss das Personal wissen,<br />

was es zu tun hat.<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Prüfung <strong>de</strong>r Faxnummer<br />

Ein Antrag auf Wie<strong>de</strong>reinsetzung in <strong>de</strong>n vorigen Stand gegen die<br />

Versäumung <strong>de</strong>r Berufungsbegründungsfrist wegen Übermittlung<br />

<strong>de</strong>s Schriftsatzes an das falsche Gericht mit Telefax erfor<strong>de</strong>rt die<br />

Darlegung, welche Anweisungen zur Prüfung <strong>de</strong>r in einem<br />

Schriftsatz angegebenen Faxnummer <strong>de</strong>s Empfängers bestan<strong>de</strong>n,<br />

wenn diese Nummer zur Übermittlung verwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, aber<br />

fehlerhaft war.<br />

BGH, Beschl. v. 1.3.2005 – VI ZB 65/04<br />

Anmerkung:<br />

Zu <strong>de</strong>r Frage, um was sich <strong>de</strong>r Anwalt bei <strong>de</strong>r Übermittlung<br />

eines Schriftsatzes per Fax selbst kümmern muss, was er <strong>de</strong>legieren<br />

darf und wofür er letzterenfalls Anweisungen geben<br />

muss, gibt es umfangreiche Wie<strong>de</strong>reinsetzungsrechtsprechung,<br />

die in dieser Rubrik ja auch regelmäßig auftaucht. Voraussetzung<br />

für eine ordnungsgemäße Büroorganisation ist es, dass<br />

die Frist nur dann gestrichen wer<strong>de</strong>n darf, wenn die Bürokraft<br />

anhand eines Einzelsen<strong>de</strong>berichts (z.B. BGH, MDR 2002,<br />

1095; BGH, NJW-RR 2002, 60 hat auch eine telefonische<br />

Nachfrage bei Gericht genügen lassen) sowohl die Anzahl <strong>de</strong>r<br />

übertragenen Seiten als auch die Richtigkeit <strong>de</strong>r Faxnummer<br />

überprüft hat. In Bezug auf die Art und Weise <strong>de</strong>r Überprüfung<br />

<strong>de</strong>r Faxnummer lässt sich <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>reinsetzungsrechtsprechung<br />

nichts Ein<strong>de</strong>utiges entnehmen. Bereits 1995 hatte das<br />

BAG (NJW 1995, 2742) verlangt, dass nach erfolgter Faxübertragung<br />

die Faxnummer nochmals überprüft wird, und zwar<br />

wohl nicht nur anhand <strong>de</strong>r Nummer auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Schriftsatz, son<strong>de</strong>rn<br />

anhand <strong>de</strong>s Verzeichnisses, aus <strong><strong>de</strong>m</strong> die Nummer entnommen<br />

wur<strong>de</strong>. Während <strong>de</strong>r IX. ZS <strong>de</strong>s BGH (NJW-RR 2002,<br />

860) dies wohl für zu weitreichend hielt, verlangte BGH AnwZ<br />

7/01 tatsächlich eine weitere Überprüfung anhand <strong>de</strong>r Quelle<br />

(vgl. BRAK-Mitt. 2002, 171 mit Anm. Jungk).<br />

Über diese Problematik brauchte <strong>de</strong>r VI. ZS vorliegend aber gar<br />

nicht zu entschei<strong>de</strong>n. Der Prozessbevollmächtigte hatte im<br />

Wie<strong>de</strong>reinsetzungsgesuch nämlich nicht einmal dargelegt, dass<br />

das Büro angewiesen war, die Faxnummer auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Schriftsatz<br />

anhand eines Verzeichnisses zu überprüfen. Der Anwalt, <strong>de</strong>r<br />

die Faxnummer selbst in <strong>de</strong>n Schriftsatz eingefügt hatte, ist in<br />

diesem Zusammenhang keine verlässliche Quelle!<br />

Rechtanwältin Antje Jungk<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>r Arbeit <strong>de</strong>r BRAK<br />

Empfehlungen <strong>de</strong>s <strong>Aus</strong>schusses<br />

Internationale Sozietäten<br />

Der BRAK-<strong>Aus</strong>schuss „Internationale Sozietäten“ hat zur Frage<br />

<strong>de</strong>r Zulassung ausländischer Rechtsanwaltsgesellschaften in<br />

Form einer LLP o<strong>de</strong>r einer Kapitalgesellschaft folgen<strong>de</strong> Empfehlungen<br />

an die RAKn abgegeben:<br />

1. Anerkennung ausländischer Gesellschaften nach europäischem<br />

Recht:<br />

Nach <strong>de</strong>r vom EuGH angewen<strong>de</strong>ten Gründungstheorie ist auf<br />

Gesellschaften regelmäßig das Recht <strong>de</strong>s Staates anzuwen<strong>de</strong>n,<br />

in <strong><strong>de</strong>m</strong> die Gründung <strong>de</strong>r Gesellschaft erfolgt ist. Dies gilt unter<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlassungsrichtlinie nicht nur bei <strong>de</strong>r<br />

Einrichtung von Zweignie<strong>de</strong>rlassungen, son<strong>de</strong>rn auch bei Verlegung<br />

<strong>de</strong>s Verwaltungs- o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Hauptsitzes ins <strong>Aus</strong>land.<br />

Selbst die erklärte Absicht, eine Gesellschaft im <strong>Aus</strong>land nach<br />

ausländischem Recht nur zu <strong><strong>de</strong>m</strong> Zweck zu grün<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>ren<br />

tatsächlichen Verwaltungssitz ins Inland zurück zu verlegen, um<br />

inländisches Recht zu umgehen, stellt nach <strong>de</strong>r Rspr. <strong>de</strong>s EuGH<br />

keinen Missbrauchstatbestand dar (vgl. EuGH – Rs. C-212/97<br />

(Centros) in: IPRax 1999, 360; Rs. C-208/00 (Überseering) in:<br />

IPRax 03, 65, 117, 193; Rs. C-167/01 (InspireARt) in: IPRax 04,<br />

46 m. Anm. Behrens, S. 20).<br />

2. Limited Liability Partnerships (LLP):<br />

a) Rechtsnatur:<br />

Die LLP nach englischem Recht ist eine juristische Person, die<br />

hinsichtlich ihrer Gesellschaftsform, ihren Bilanzierungs- und<br />

Veröffentlichungspflichten sowie ihres Organisationsstatuts und<br />

ihrer Haftungsstruktur zwar in vielen Bereichen <strong>de</strong>r Gesellschaftsform<br />

einer Kapitalgesellschaft ähnelt, an<strong>de</strong>rerseits aber<br />

durch die Gesellschafterstruktur und die Haftung <strong>de</strong>s han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />

Partners neben <strong>de</strong>r Gesellschaft für Ansprüche <strong>de</strong>s Mandanten/Kun<strong>de</strong>n<br />

wesentliche Grundzüge einer Personengesellschaft<br />

aufweist.


BRAK-Mitt. 4/2005 Amtliche Bekanntmachungen 183<br />

b) Eintragung <strong>de</strong>r LLP in das Partnerschaftsregister:<br />

Die LLP weist zwar Wesenszüge einer Kapitalgesellschaft auf,<br />

ähnelt jedoch hinsichtlich ihres Haftungsstatus gera<strong>de</strong> im Hinblick<br />

auf die Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>nhaftung <strong>de</strong>r Partnerschaft nach <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

<strong>de</strong>utschen Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (PartGG). Nach <strong>de</strong>r<br />

Gesetzesbegründung zum PartGG steht dieses Gesetz auch für<br />

ausländische Gesellschaften offen, die <strong>de</strong>r Partnerschaftsgesellschaft<br />

ähnlich sind. Zu<strong><strong>de</strong>m</strong> ist § 13d HGB analog anwendbar,<br />

<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rum auf ausländische Gesellschaften Bezug nimmt.<br />

Steuerrechtlich wird die LLP wie eine Personengesellschaft<br />

behan<strong>de</strong>lt.<br />

Diese Gesichtspunkte führten im BRAK-<strong>Aus</strong>schuss zu <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Ergebnis, dass die LLP im Falle ihrer Nie<strong>de</strong>rlassung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Einrichtung einer Zweigstelle in Deutschland entsprechend <strong>de</strong>n<br />

Vorschriften zur Partnerschaftsgesellschaft in das Partnerschaftsregister<br />

einzutragen ist, selbst wenn die LLP mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />

Partnerschaftsgesellschaft nicht vollkommen übereinstimmt.<br />

Die RAKn sollten diese Auffassung sowohl gegenüber <strong>de</strong>n<br />

Gesellschaftern als auch gegenüber Gerichten bei entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Anfragen vertreten. Die Eintragung in das Partnerschaftsregister<br />

hätte zu<strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>n Vorteil, dass eine Publizität aller Partner<br />

<strong>de</strong>r LLP gewährleistet ist. Die Postulations- und Vertretungsbefugnis<br />

lässt sich analog aus § 7 Abs. 4 PartGG ableiten. Bis zu<br />

einer entsprechen<strong>de</strong>n Klarstellung im Gesetz ist es ratsam, <strong>de</strong>n<br />

Gesellschaften in <strong>de</strong>r Rechtsform einer LLP zu empfehlen,<br />

Handlungen nur durch Personen vornehmen zu lassen, die die<br />

für die Erbringung rechtsbesorgen<strong>de</strong>r Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Voraussetzungen im Einzelfall erfüllen.<br />

Zur Rechtssicherheit ist <strong>de</strong> lege ferenda eine Klarstellung in § 7<br />

PartGG empfehlenswert.<br />

c) Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

Da die LLP nach obigem Ergebnis ihrer Rechtsnatur nach eher<br />

mit <strong>de</strong>r Partnerschaftsgesellschaft vergleichbar ist, sieht <strong>de</strong>r<br />

BRAK-<strong>Aus</strong>schuss „Internationale Sozietäten“ gegenwärtig<br />

ebenso wie bei Partnerschaftsgesellschaften keine Notwendigkeit,<br />

eine Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft nach <strong>de</strong>n<br />

Vorschriften <strong>de</strong>r §§ 59c ff. BRAO zu verlangen. Selbst die Eintragung<br />

<strong>de</strong>r LLP bei <strong>de</strong>r Law Society of England nach englischem<br />

Recht wür<strong>de</strong> nicht die zusätzliche Eintragung o<strong>de</strong>r<br />

Zulassung bei einer <strong>de</strong>utschen RAK bedingen.<br />

3. Kapitalgesellschaften (z.B. GmbH o<strong>de</strong>r Limited):<br />

a) Rechtsnatur:<br />

Bei <strong>de</strong>n Kapitalgesellschaften han<strong>de</strong>lt es sich um juristische<br />

Personen <strong>de</strong>s Privatrechts, die ausschließlich für Verbindlichkeiten<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft haften. Eine persönliche Haftung <strong>de</strong>r<br />

Gesellschafter besteht daneben nicht.<br />

b) Eintragung in das Han<strong>de</strong>lsregister:<br />

Als Kapitalgesellschaften sind die GmbH und die Limited im<br />

Han<strong>de</strong>lsregister einzutragen. Diese Gesellschaften unterliegen<br />

auch <strong><strong>de</strong>m</strong> Körperschaftsteuerrecht.<br />

c) Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft:<br />

Grundsätzlich ist zwischen Berufsausübungsgesellschaften<br />

einerseits und Verwaltungs-/Besitzgesellschaften an<strong>de</strong>rerseits<br />

zu unterschei<strong>de</strong>n. Soweit die ausländische Berufsausübungsgesellschaft<br />

in Deutschland beratend tätig wer<strong>de</strong>n möchte, bedarf<br />

sie im Falle <strong>de</strong>r Verlegung <strong>de</strong>s Hauptsitzes o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Tätigkeitsschwerpunktes<br />

bzw. <strong>de</strong>r Errichtung einer Zweigstelle in<br />

Deutschland <strong>de</strong>r Zulassung <strong>de</strong>r Gesellschaft bei <strong>de</strong>r zuständigen<br />

RAK. Hierfür sind die §§ 59c ff. BRAO analog anzuwen<strong>de</strong>n,<br />

wobei <strong>de</strong> lege ferenda konkrete klarstellen<strong>de</strong> Regelungen<br />

wünschenswert wären. <strong>Aus</strong> europarechtlicher Sicht ist zu<strong><strong>de</strong>m</strong><br />

zu beachten, dass keine zusätzlichen Anfor<strong>de</strong>rungen gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n, die für inländische Gesellschaften nicht erfor<strong>de</strong>rlich<br />

sind o<strong>de</strong>r eine übermäßige Hür<strong>de</strong> darstellen.<br />

Hinsichtlich <strong>de</strong>r Prüfungskriterien für die Zulassung einer ausländischen<br />

Kapitalgesellschaft o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ren Zweignie<strong>de</strong>rlassung<br />

sollte beachtet wer<strong>de</strong>n, dass für die Zulassung im Wesentlichen<br />

die Vorschriften <strong>de</strong>r §§ 59c ff. BRAO gelten. Insbeson<strong>de</strong>re muss<br />

bei einer eigenen Haftung <strong>de</strong>r Gesellschaft <strong>de</strong>r Abschluss<br />

einer Vermögensscha<strong>de</strong>n-Haftpflichtversicherung nachgewiesen<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen von § 59j BRAO entspricht,<br />

soweit die Gesellschaft nicht eine nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>s Herkunftsstaates<br />

geschlossene Versicherung o<strong>de</strong>r eine an<strong>de</strong>rweitige<br />

Garantie nachweist, die hinsichtlich <strong>de</strong>r Modalitäten und<br />

<strong>de</strong>s Deckungsumfangs gleichwertig ist. Auch muss die Kapitalgesellschaft<br />

<strong>de</strong>n Regeln zur anwaltlichen Berufsverschwiegenheit,<br />

<strong>de</strong>r Beschlagnahmefreiheit, <strong><strong>de</strong>m</strong> Verbot <strong>de</strong>r Vertretung<br />

wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen und <strong>de</strong>r Verpflichtung zur Unabhängigkeit<br />

von Weisungen unterliegen.<br />

Amtliche Bekanntmachungen<br />

Beschlüsse <strong>de</strong>r 4. Sitzung <strong>de</strong>r 3. Satzungsversammlung<br />

bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

am 21.2.2005 in Berlin<br />

Berufsordnung<br />

I.<br />

§ 6 Werbung<br />

§ 6 Abs. 2 BORA wird wie folgt neu gefasst:<br />

„(2) Die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen ist unzulässig.<br />

Hinweise auf Mandate und Mandanten sind nur in Praxisbroschüren,<br />

Rundschreiben und an<strong>de</strong>ren vergleichbaren Informationsmitteln<br />

o<strong>de</strong>r auf Anfrage zulässig, soweit <strong>de</strong>r Mandant ausdrücklich<br />

eingewilligt hat.“<br />

Der bisherige § 6 Abs. 3 BORA wird gestrichen.<br />

Der bisherige § 6 Abs. 4 wird § 6 Abs. 3.<br />

II.<br />

§7<br />

Die Überschrift <strong>de</strong>s § 7 lautet nunmehr wie folgt:<br />

„§ 7 Benennung von Teilbereichen <strong>de</strong>r Berufstätigkeit“


184 Amtliche Bekanntmachungen BRAK-Mitt. 4/2005<br />

§ 7 Abs. 1 BORA wird wie folgt gefasst:<br />

„(1) Unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen darf Teilbereiche<br />

<strong>de</strong>r Berufstätigkeit nur benennen, wer seinen Angaben<br />

entsprechen<strong>de</strong> Kenntnisse nachweisen kann, die in <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>bildung,<br />

durch Berufstätigkeit, Veröffentlichungen o<strong>de</strong>r in sonstiger<br />

Weise erworben wur<strong>de</strong>n. Wer qualifizieren<strong>de</strong> Zusätze verwen<strong>de</strong>t,<br />

muss zusätzlich über entsprechen<strong>de</strong> theoretische<br />

Kenntnisse verfügen und auf <strong><strong>de</strong>m</strong> benannten Gebiet in erheblichem<br />

Umfang tätig gewesen sein.“<br />

§ 7 Abs. 2 BORA wird wie folgt gefasst:<br />

„(2) Benennungen nach Absatz 1 sind unzulässig, soweit sie<br />

die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften<br />

begrün<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r sonst irreführend sind.“<br />

§ 7 Abs. 3 BORA wird wie folgt gefasst:<br />

„(3) Wer Teilbereiche <strong>de</strong>r Berufstätigkeit benennt, ist verpflichtet,<br />

sich auf diesen Gebieten fortzubil<strong>de</strong>n. Auf Verlangen <strong>de</strong>r<br />

Rechtsanwaltskammer ist dies nachzuweisen.“<br />

In § 7 wird folgen<strong>de</strong>r Absatz 4 angefügt:<br />

„(4) Die vorstehen<strong>de</strong>n Regelungen gelten für Berufsausübungsgemeinschaften<br />

nach § 9 entsprechend.“<br />

III.<br />

§ 10 Abs. (1) und (4) Briefbögen<br />

redaktionelle Än<strong>de</strong>rungen<br />

§ 10 Abs. 1 lautet:<br />

„(1) Auf Briefbögen müssen auch bei Verwendung einer Kurzbezeichnung<br />

die Namen sämtlicher Gesellschafter mit min<strong>de</strong>stens<br />

einem ausgeschriebenen Vornamen aufgeführt wer<strong>de</strong>n.<br />

Gleiches gilt für Namen an<strong>de</strong>rer Personen, die in einer Kurzbezeichnung<br />

gemäß § 9 enthalten sind. Es muss min<strong>de</strong>stens eine<br />

<strong>de</strong>r Kurzbezeichnung entsprechen<strong>de</strong> Zahl von Gesellschaftern,<br />

Angestellten o<strong>de</strong>r freien Mitarbeitern auf <strong>de</strong>n Briefbögen<br />

namentlich aufgeführt wer<strong>de</strong>n.“<br />

§ 10 Abs. 4 lautet:<br />

„(4) <strong>Aus</strong>geschie<strong>de</strong>ne Kanzleiinhaber, Gesellschafter, Angestellte<br />

o<strong>de</strong>r freie Mitarbeiter können auf <strong>de</strong>n Briefbögen nur<br />

weitergeführt wer<strong>de</strong>n, wenn ihr <strong>Aus</strong>schei<strong>de</strong>n kenntlich<br />

gemacht wird.“<br />

Die vorstehen<strong>de</strong>n Beschlüsse wer<strong>de</strong>n hiermit ausgefertigt.<br />

Berlin, <strong>de</strong>n 23.2.2005 Bamberg, <strong>de</strong>n 24.2.2005<br />

gez. Dr. Dombek<br />

gez. Böhnlein<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>r<br />

Schriftführer<br />

Bescheid <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sministeriums <strong>de</strong>r Justiz vom 26.5.2005, eingegangen<br />

bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer am 30.5.2005<br />

An die<br />

Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

Littenstraße 9<br />

10179 Berlin<br />

Betr.: Teilweise Aufhebung <strong>de</strong>r Beschlüsse <strong>de</strong>r 4. Sitzung <strong>de</strong>r 3.<br />

Satzungsversammlung bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer am<br />

21.2.2005<br />

Bezug: Ihr Schreiben vom 28.2.2005<br />

Auf Grund <strong>de</strong>s § 191e <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltsordnung, eingefügt<br />

durch Artikel 1 Nr. 32 <strong>de</strong>s Gesetzes vom 2.9.1994 (BGBl. I<br />

S. 2278), hebt das Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz in Nummer II<br />

<strong>de</strong>r Beschlüsse <strong>de</strong>r Berufsordnung <strong>de</strong>r 4. Sitzung <strong>de</strong>r 3. Satzungsversammlung<br />

bei <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer am<br />

21.2.2005, die am 23./24.2.2005 ausgefertigt und <strong><strong>de</strong>m</strong> Bun<strong>de</strong>sministerium<br />

<strong>de</strong>r Justiz am 3.3.2005 übermittelt wor<strong>de</strong>n<br />

sind, <strong>de</strong>n neu gefassten § 7 Abs. 3 <strong>de</strong>r Berufsordnung (BORA)<br />

auf.<br />

§ 7 Abs. 3 BORA-E regelt die anwaltliche Fortbildungspflicht<br />

(§ 43a Abs. 6 BRAO). Hierfür fehlt die erfor<strong>de</strong>rliche gesetzliche<br />

Ermächtigungsgrundlage.<br />

Der Katalog <strong>de</strong>r Ermächtigungsregelung <strong>de</strong>s § 59b Abs. 2<br />

BRAO enthält keine ausdrückliche Befugnis, Regelungen zur<br />

anwaltlichen Fortbildung durch Satzung in <strong>de</strong>r Berufsordnung<br />

zu treffen.<br />

Die Regelung zur Fortbildung in § 7 Abs. 3 BORA-E kann nicht<br />

auf die Ermächtigung zur Regelung <strong>de</strong>r Werbung (§ 59b Abs. 2<br />

Nr. 3 BRAO) o<strong>de</strong>r auf einen an<strong>de</strong>ren Kompetenztitel (etwa<br />

§ 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a BRAO) gestützt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ermächtigungsnormen für Satzungsregelungen reichen nur so<br />

weit, wie <strong>de</strong>r Gesetzgeber erkennbar selbst zu einer solchen<br />

Gestaltung <strong>de</strong>s Rechts <strong>de</strong>n Weg bereitet. Mögliche Einschränkungen<br />

muss <strong>de</strong>r Gesetzgeber beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich vorgeben,<br />

wenn die Berufsangehörigen in ihrer freien beruflichen Betätigung<br />

empfindlich beeinträchtigt wer<strong>de</strong>n (BVerfGE 101, 312<br />

[323] zu § 13 BORA – Versäumnisurteil).<br />

Der Gesetzgeber hat mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Gesetz zur Neuordnung <strong>de</strong>s<br />

Berufsrechts <strong>de</strong>r Rechtsanwälte und <strong>de</strong>r Patentanwälte vom<br />

2.9.1994 (BGBl. I S. 2278) die Satzungsversammlung bei <strong>de</strong>r<br />

Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer nicht dazu ermächtigt, die Fortbildungspflicht<br />

näher zu regeln. Eine im Regierungsentwurf<br />

vorgeschlagene Kompetenz zur Regelung <strong>de</strong>r Fortbildung ist<br />

nicht beschlossen wor<strong>de</strong>n (Beschlussempfehlung und Bericht<br />

BT-Drs. 12/7656, S. 16, zu § 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe g<br />

BRAO-E). In seinem Bericht hat es <strong>de</strong>r Rechtsausschuss <strong>de</strong>s<br />

Deutschen Bun<strong>de</strong>stages ausdrücklich abgelehnt, eine entsprechen<strong>de</strong><br />

Ermächtigungsvorschrift in das Gesetz aufzunehmen<br />

(Bericht a.a.O., S. 50). Eine <strong>Aus</strong>legung <strong>de</strong>r Ermächtigungsvorschrift<br />

<strong>de</strong>s § 59b BRAO, die die Regelungskompetenz <strong>de</strong>r Satzungsversammlung<br />

auf <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Fortbildung erstreckt,<br />

ist daher nicht möglich.<br />

Brigitte Zypries<br />

In-Kraft-Treten<br />

Die Än<strong>de</strong>rungen treten mit <strong>Aus</strong>nahme <strong>de</strong>r Än<strong>de</strong>rungen zu § 7<br />

BORA 1 am 1.11.2005 in Kraft. Nur insoweit wer<strong>de</strong>n die<br />

Beschlüsse <strong>de</strong>r 4. Sitzung <strong>de</strong>r 3. Satzungsversammlung verkün<strong>de</strong>t.<br />

Die 5. Sitzung <strong>de</strong>r 3. Satzungsversammlung fin<strong>de</strong>t<br />

am 7.11.2005 in Berlin statt.<br />

1 Da die Vorschrift <strong>de</strong>s beschlossenen neuen § 7 BORA durch die teilweise<br />

Aufhebung durch das Bun<strong>de</strong>sministerium <strong>de</strong>r Justiz einen verän<strong>de</strong>rten <strong>Inhalt</strong><br />

erhalten hat, wird § 7 BORA nicht verkün<strong>de</strong>t. Die Satzungsversammlung<br />

wird sich mit §7 BORA erneut in <strong>de</strong>r nächsten Sitzung am<br />

7.11.2005 befassen.


BRAK-Mitt. 4/2005 Personalien / Berufsrechtliche Rechtsprechung 185<br />

Europäischer Gerichtshof/Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

Personalien<br />

Eberhard Haas 70<br />

Zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r 13. Legislaturperio<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Deutschen Bun<strong>de</strong>stages<br />

im Sommer 1998 hatte Eberhard Haas eines seiner wichtigsten<br />

Ziele erreicht: Die Stärkung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>r<br />

Anwaltschaft. Bun<strong>de</strong>stag und Bun<strong>de</strong>srat hatten genau 120<br />

Jahre nach <strong><strong>de</strong>m</strong> In-Kraft-Treten <strong>de</strong>r Rechtsanwaltsordnung von<br />

1878 <strong>de</strong>r Übertragung <strong>de</strong>r bisher <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sjustizverwaltungen<br />

überantworteten Zulassungsverfahren auf die Rechtsanwaltskammern<br />

zugestimmt. Lange hatte Haas für dieses Kernanliegen,<br />

dass nicht <strong>de</strong>r Staat, son<strong>de</strong>rn die Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte sich selbst zulassen, gekämpft. Haas<br />

wusste, dass in Zeiten knapper Kassen <strong>de</strong>n Staat weniger die<br />

Freiheit <strong>de</strong>r Advokatur interessierte. Vorrangig interessierte dort<br />

vielmehr die damit verbun<strong>de</strong>ne Einsparung von Verwaltungskosten.<br />

Geschickt nutzte Haas diese Fremdmotivation <strong>de</strong>r<br />

anwaltlichen Interessen. Dabei verhin<strong>de</strong>rte er noch in letzter<br />

Minute die Einführung <strong>de</strong>r Fachaufsicht, die von einigen Ministerialbeamten<br />

gefor<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n war. Ihm ging es allein um die<br />

Stärkung <strong>de</strong>r Selbstverwaltung, die Stärkung <strong>de</strong>r Eigenverantwortung<br />

<strong>de</strong>r Anwaltschaft durch mehr Unabhängigkeit von<br />

staatlichen Einflussnahmen. Hierfür setzte sich Haas mehr als<br />

ein Jahrzehnt an vor<strong>de</strong>rster Front für die <strong>de</strong>utsche Anwaltschaft<br />

ein, zunächst als <strong>de</strong>ren Vizepräsi<strong>de</strong>nt im Präsidium <strong>de</strong>r BRAK<br />

und schließlich von 1990 bis 1998 als Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r BRAK. Die<br />

Amtszeit von Eberhard Haas stand unter <strong><strong>de</strong>m</strong> Einfluss von zwei<br />

historischen Ereignissen, <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvereinigung Deutschlands<br />

und <strong><strong>de</strong>m</strong> Zusammenwachsen Europas. Im Gegensatz zu vielen<br />

an<strong>de</strong>ren erkannte Haas frühzeitig die Herausfor<strong>de</strong>rungen, die<br />

hierdurch auf die Anwaltschaft zukamen. Das Zusammenwachsen<br />

<strong>de</strong>r Anwaltschaften <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Staaten war<br />

ihm eine Herzenssache. Um das Denken <strong>de</strong>r ost<strong>de</strong>utschen<br />

Juristen zu verstehen, nahm er noch vor <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Einheit<br />

am Juristentag <strong>de</strong>r DDR in Strausberg im März 1990 teil. Die<br />

ständige Präsenz und wachsen<strong>de</strong> Effizienz <strong>de</strong>r Brüsseler Repräsentanz<br />

<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer war ihm beson<strong>de</strong>rs<br />

wichtig. Es lohnt sich auch ein Blick durch die „Akzente“, die<br />

Haas in <strong>de</strong>n acht Jahren seiner Amtszeit in <strong>de</strong>n BRAK-Mitteilungen<br />

schrieb. Ob die fundamentalen Än<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s<br />

anwaltlichen Berufsrechts, <strong>de</strong>r beharrliche Einsatz für eine<br />

gerechtere Honorierung anwaltlicher Leistung, <strong>de</strong>r Kampf<br />

gegen <strong>de</strong>n Lauschangriff o<strong>de</strong>r die Beschränkung <strong>de</strong>r Mandantenrechte<br />

im Rahmen <strong>de</strong>r immer kürzeren Intervalle <strong>de</strong>r „Justizreformen“<br />

– in <strong>de</strong>n Mittelpunkt seiner Überlegungen stellte<br />

Haas immer die Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Anwältinnen und <strong>de</strong>r<br />

Anwälte im Dienst <strong>de</strong>r Mandanten und <strong>de</strong>r Gesellschaft.<br />

Beharrlich und unermüdlich, mit sozialer Kompetenz, freundlich<br />

und mit durchsetzungskräftigem Charme, wie seine<br />

nahezu legendäre „Standhaftigkeit“ bei <strong>de</strong>n vielen Sitzungen<br />

<strong>de</strong>r Satzungsversammlung, appellierte Haas an die Bewahrung<br />

<strong>de</strong>r Rechtskultur in unserer Gesellschaft. Zugleich for<strong>de</strong>rte er<br />

von <strong>de</strong>r Anwaltschaft, die fundamentalen Prinzipien <strong>de</strong>r<br />

Rechtskultur mit „Verantwortung, Vernunft und Anstand“ 1 zu<br />

verteidigen. Dafür tritt <strong>de</strong>r bekennen<strong>de</strong> „Bremer“ Hanseat Haas<br />

auch heute noch ein. Am 15.6.2005 wur<strong>de</strong> Rechtsanwalt und<br />

Notar Dr. Eberhard Haas 70 Jahre alt. Wer Eberhard Haas<br />

kennt, weiß, dass er nicht wirklich älter wird. Und das ist gut<br />

so, wie wir Berliner zu sagen pflegen. Für die Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

arbeitet er in diversen Gremien weiterhin engagiert<br />

mit. Im Aufsichtsrat <strong>de</strong>r Hans-Soldan-Stiftung sorgt er<br />

dafür , dass die anwaltsbezogene <strong>Aus</strong>bildung <strong>de</strong>r Jura-Stu<strong>de</strong>nten<br />

Realität wird. Im Vorstand <strong>de</strong>r Stiftung für internationale<br />

rechtliche Zusammenarbeit kümmert er sich um <strong>de</strong>n Export <strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>utschen Rechts in die mittel- und osteuropäischen Staaten.<br />

Wir wer<strong>de</strong>n ihn dort, weil wir seinen Rat benötigen, noch viele<br />

Jahre brauchen. Diese vielen Jahre in guter Gesundheit<br />

wünscht ihm das Präsidium <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer.<br />

Es <strong>de</strong>nkt dabei ganz eigennützig, will doch je<strong>de</strong>s Präsidiumsmitglied<br />

ganz schnell Mitglied <strong>de</strong>r sog. Après-Ko wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r<br />

Konferenz <strong>de</strong>r ehemaligen Kammerpräsi<strong>de</strong>nten, gegrün<strong>de</strong>t und<br />

geleitet von Eberhard Haas. Und gerühmt von allen ihren Mitglie<strong>de</strong>rn<br />

vor allem wegen <strong>de</strong>s berühmten hanseatischen<br />

Humors ihres Leiters.<br />

Dr. Bernhard Dombek<br />

Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>srechtsanwaltskammer<br />

1 BRAK-Mitt. 1998, 101 f.<br />

Berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

Europäischer Gerichtshof/Bun<strong>de</strong>sverfassungsgericht<br />

*Leitsatz <strong>de</strong>r Redaktion (Orientierungssatz)<br />

Ersatzfähigkeit von Rechtsanwaltskosten als Beitreibungskosten<br />

nur bei nationaler Regelung<br />

Richtlinie 2000/35/EG Art. 3 Abs. 1<br />

Besteht auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>s nationalen Rechts keine Möglichkeit,<br />

in die Berechnung <strong>de</strong>r Kosten, in die ein privater Schuldner<br />

einer Geschäftsschuld verurteilt wer<strong>de</strong>n könnte, die Kosten für<br />

die Einschaltung eines RA auf Seiten <strong>de</strong>s Gläubigers in einem<br />

gerichtlichen Verfahren zur Beitreibung dieser Schuld einzubeziehen,<br />

so kann die Richtlinie 2000/35/EG <strong>de</strong>s Europäischen Parlaments<br />

und <strong>de</strong>s Rates vom 29.6.2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug<br />

im Geschäftsverkehr als solche nicht als Grundlage<br />

für eine <strong>de</strong>rartige Möglichkeit dienen.<br />

EuGH, Urt. v. 10.3.2005 – C-235/03 (QDQ Media SA ./. Alejandro<br />

Omedas Lecha)<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>


186 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Verfassungsrechtliche Anfor<strong>de</strong>rungen an die Beschlagnahme<br />

von Daten einer Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei<br />

StPO § 94, § 97, § 108, § 110 a.F., § 110 n.F.; GG Art. 1 Abs. 1,<br />

Art. 2 Abs. 1<br />

*1. Die Beschlagnahme <strong>de</strong>s gesamten Datenbestan<strong>de</strong>s einer RAund<br />

StB-Kanzlei greift in das Berufsrecht <strong>de</strong>r Berufsträger und<br />

ihrer Mandanten auf informationelle Selbstbestimmung ein und<br />

beeinträchtigt die hiermit zusammenhängen<strong>de</strong>n Belange <strong>de</strong>r Allgemeinheit<br />

und wegen seines Umfangs in schwerwiegen<strong>de</strong>r<br />

Weise das rechtlich beson<strong>de</strong>rs geschützte Vertrauensverhältnis<br />

zwischen <strong>de</strong>n Mandanten und <strong>de</strong>n für sie tätigen Berufsträgern.<br />

RAe als Organe <strong>de</strong>r Rechtspflege sowie <strong>de</strong>ren Mandanten sind<br />

auch im öffentlichen Interesse auf eine beson<strong>de</strong>rs geschützte Vertraulichkeit<br />

<strong>de</strong>r Kommunikation angewiesen.<br />

*2. Die Stellung <strong>de</strong>s RA als Organ <strong>de</strong>r Rechtspflege und das rechtlich<br />

geschützte Vertrauensverhältnis zwischen RA und Mandant<br />

wird je<strong>de</strong>nfalls dann berührt, wenn wegen <strong>de</strong>r Gefahr eines unbeschränkten<br />

Datenzugriffs ein Mandatsverhältnis von Anfang an<br />

mit Unsicherheiten hinsichtlich seiner Vertraulichkeit belastet<br />

wird. Mit <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>Aus</strong>maß potentieller Kenntnis staatlicher Organe<br />

von vertraulichen Äußerungen wächst die Gefahr, dass sich auch<br />

Unverdächtige nicht mehr <strong>de</strong>n Berufsgeheimnisträgern zur<br />

Durchsetzung ihrer Interessen anvertrauen.<br />

*3. Dem staatlichen Han<strong>de</strong>ln wer<strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n Grundsatz <strong>de</strong>r<br />

Verhältnismäßigkeit Grenzen gesetzt. Der jeweilige Eingriff muss<br />

in einem angemessenen Verhältnis zu <strong>de</strong>r Schwere <strong>de</strong>r Straftat<br />

und <strong>de</strong>r Stärke <strong>de</strong>s Tatverdachts stehen. Hierbei sind auch die<br />

Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s potentiellen Beweismittels für das Strafverfahren<br />

sowie <strong>de</strong>r Grad <strong>de</strong>s auf verfahrenserhebliche Daten bezogenen<br />

Auffin<strong>de</strong>verdachts zu bewerten.<br />

4. Zumin<strong>de</strong>st bei schwerwiegen<strong>de</strong>n, bewussten o<strong>de</strong>r willkürlichen<br />

Verfahrensverstößen ist ein Beweisverwertungsverbot als<br />

Folge einer fehlerhaften Durchsuchung und Beschlagnahme von<br />

Datenträgern und darauf vorhan<strong>de</strong>nen Daten geboten.<br />

BVerfG, Beschl. v. 12.4.2005 – 2 BvR 1027/02<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Beitragspflicht zur berufsständischen Anwaltsversorgung<br />

während einkommensloser Kin<strong>de</strong>rerziehungszeiten<br />

RAVG (BW) § 8; RAVwS (BW) § 11 Abs. 2, 3; GG Art. 3, Art. 6<br />

und Art. 12<br />

*1. Die Beitragsregelung <strong>de</strong>r Satzung <strong>de</strong>s Versorgungswerks <strong>de</strong>r<br />

RAe in Ba<strong>de</strong>n-Württemberg, die zur Beitragsleistung auch bei Einkommenslosigkeit<br />

während <strong>de</strong>r Erziehungszeiten eines Kin<strong>de</strong>s in<br />

<strong>de</strong>ssen ersten drei Lebensjahren verpflichtet, verstößt gegen das<br />

Gebot <strong>de</strong>r Gleichberechtigung aus Art. 3 Abs. 2 GG. Sie führt zu<br />

einer unzulässigen faktischen Benachteiligung von Frauen gegenüber<br />

Männern.<br />

*2. Die Regelung kann jedoch bis zum In-Kraft-Treten einer verfassungskonformen<br />

Neuregelung, längstens bis zum 30.6.2006,<br />

weiter angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

BVerfG, Beschl. v. 5.4.2005 – 1 BvR 774/02<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

*Leitsatz <strong>de</strong>r Redaktion (Orientierungssatz)<br />

Bun<strong>de</strong>sgerichtshof<br />

Werbung – Kanzleibezeichnung „K.-Associates“<br />

BRAO § 43b; BORA § 6<br />

*1. Enthält die Kurzbezeichnung einer RA-Kanzlei <strong>de</strong>n englischen<br />

Begriff „Associates“, erweckt dies beim rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikum<br />

nicht <strong>de</strong>n Eindruck, dass es sich um einen Zusammenschluss von<br />

RAen im internationalen Bereich han<strong>de</strong>lt.<br />

*2. Zwar mag durch die Verwendung <strong>de</strong>s Zusatzes „Associates“<br />

im Rechtsverkehr die Vorstellung einer gewissen Internationalität<br />

erweckt wer<strong>de</strong>n. Dies begrün<strong>de</strong>t jedoch dann nicht die Gefahr<br />

einer Irreführung, wenn zum einen ein internationaler Bezug <strong>de</strong>r<br />

Kanzlei bereits dadurch hergestellt ist, dass zumin<strong>de</strong>st ein Kanzleimitglied<br />

gleichzeitig auch im <strong>Aus</strong>land als RA zugelassen ist und<br />

dort eine Kanzlei unterhält und zum an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r Tätigkeitsschwerpunkt<br />

aller Sozien im internationalen Steuer-, Gesellschafts-<br />

und Wirtschaftsrecht liegt.<br />

BGH, Beschl. v. 18.4.2005 – AnwZ (B) 35/04<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Der Ast. ist ein in ... zugelassener RA, betreibt mit zwei weiteren<br />

RAen sowie einem StB eine Kanzlei in ... . Er ist weiterhin<br />

als Attorney and Counselor at Law im Bun<strong>de</strong>sstaat New York<br />

(USA) zugelassen und unterhält dort ebenfalls eine Kanzlei. Im<br />

Kopf seiner in <strong>de</strong>r Kanzlei in ... verwen<strong>de</strong>ten Briefbögen firmiert<br />

er mit <strong>de</strong>r Kurzbezeichnung „... Associates“. Unterhalb<br />

<strong>de</strong>r Kurzbezeichnung, am rechten Seitenrand <strong>de</strong>s Briefbogens,<br />

sind weiterhin unter <strong>de</strong>r Überschrift „...“ <strong>de</strong>r Name <strong>de</strong>s Ast.<br />

sowie die Namen <strong>de</strong>r drei übrigen Kanzleimitglie<strong>de</strong>r nebst<br />

Berufsbezeichnungen und <strong>de</strong>r Kanzleianschrift in ... aufgeführt.<br />

Darunter fin<strong>de</strong>t sich unter <strong>de</strong>r Rubrik „New York“ nochmals <strong>de</strong>r<br />

Name <strong>de</strong>s Ast. mit <strong>de</strong>n Berufsbezeichnungen „Rechtsanwalt“<br />

und „Attorney and Counselor at Law“ sowie <strong>de</strong>r Angabe seiner<br />

Kanzleianschrift in New York.<br />

Mit Schreiben v. 13.8.2003 hat <strong>de</strong>r Vorstand <strong>de</strong>r Agin. <strong><strong>de</strong>m</strong> Ast.<br />

<strong>de</strong>n „belehren<strong>de</strong>n Hinweis“ erteilt, dass er die Verwendung <strong>de</strong>s<br />

Zusatzes „Associates“ in <strong>de</strong>r Kurzbezeichnung als unzulässig<br />

ansehe. Der Begriff „Associates“ sei kein auf die gemeinschaftliche<br />

Berufsausübung hinweisen<strong>de</strong>r Zusatz, je<strong>de</strong>nfalls nicht im<br />

<strong>de</strong>utschen Sprachgebrauch. Der Ast. habe selbst darauf hingewiesen,<br />

dass die <strong>de</strong>utsche Übersetzung dieses Begriffs einerseits<br />

„Gesellschafter“, an<strong>de</strong>rerseits aber auch „Mitarbeiter“<br />

be<strong>de</strong>uten könne. Das Schreiben schließt mit einer Rechtsmittelbelehrung,<br />

in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Ast. auf die Möglichkeit eines Antrags<br />

auf gerichtliche Entscheidung gem. § 223 BRAO hingewiesen<br />

wird.<br />

Der Ast. hat gegen <strong>de</strong>n Bescheid Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

gestellt. Der AGH hat <strong>de</strong>n Antrag zurückgewiesen.<br />

Zur Begründung hat er unter Bezugnahme auf das Urteil <strong>de</strong>s<br />

BGH v. 25.4.1996 – I ZR 106/94 (NJW 1996, 2308) ausgeführt,<br />

dass die Kurzbezeichnung gegen das Verbot <strong>de</strong>r irreführen<strong>de</strong>n<br />

Werbung in § 43b BRAO, § 6 Abs. 1 BORA verstoße. Es wer<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Eindruck erweckt, dass auch die zwei weiteren im Briefbo-


BRAK-Mitt. 4/2005 Berufsrechtliche Rechtsprechung 187<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

gen aufgeführten RAe und <strong>de</strong>r dort benannte StB Mitglie<strong>de</strong>r<br />

einer internationalen Sozietät o<strong>de</strong>r eines internationalen körperschaftlichen<br />

Zusammenschlusses auf an<strong>de</strong>rer rechtlicher<br />

Grundlage seien. Tatsächlich sei aber bislang allein <strong>de</strong>r Ast.<br />

international tätig, da nur er allein die Kanzlei in New York<br />

unterhalte. Im Ergebnis nehme <strong>de</strong>r Ast. durch die von ihm<br />

gewählte Kurzbezeichnung für seine inländische Kanzlei in<br />

ihrer Gesamtheit eine internationale Be<strong>de</strong>utung durch gesellschaftsrechtliche<br />

Verflechtungen <strong>de</strong>r inländischen RAe mit ausländischen<br />

RAen in Anspruch, die <strong>de</strong>r Wirklichkeit nicht entspreche.<br />

Hierdurch wer<strong>de</strong> im Verkehr die nicht unerhebliche<br />

Fehlvorstellung erzeugt, im Falle einer Mandatserteilung seien<br />

zur Erledigung einer Angelegenheit mehrere zu einer Sozietät<br />

verbun<strong>de</strong>ne amerikanische und <strong>de</strong>utsche RAe verpflichtet, die<br />

gleichzeitig auch einer internationalen Kanzlei mit Sitz in New<br />

York angehörten.<br />

Gegen die Entscheidung <strong>de</strong>s AGH richtet sich die – zugelassene<br />

– sofortige Beschwer<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ast.<br />

II. Die sofortige Beschwer<strong>de</strong> ist nach § 223 Abs. 3 BRAO statthaft<br />

sowie form- und fristgerecht eingelegt wor<strong>de</strong>n.<br />

Der Ast. war auch zur Einleitung <strong>de</strong>s gerichtlichen Verfahrens<br />

befugt. Das Schreiben <strong>de</strong>r Agin. v. 13.8.2003 ging über eine<br />

bloße Belehrung (vgl. § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO) hinaus. Es han<strong>de</strong>lte<br />

sich bei <strong><strong>de</strong>m</strong> angefochtenen Schreiben – wie auch die<br />

angefügte Rechtsmittelbelehrung <strong>de</strong>utlich macht – um eine<br />

hoheitliche Maßnahme, die geeignet war, <strong>de</strong>n Ast. in seinen<br />

Rechten einzuschränken (vgl. Senatsbeschl. v. 23.9.2002 –<br />

AnwZ [B] 67/01, NJW 2003, 346, m.w.N.).<br />

III. Das Rechtsmittel hat auch in <strong>de</strong>r Sache Erfolg.<br />

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob <strong>de</strong>r AGH <strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n<br />

<strong>Inhalt</strong> <strong>de</strong>s belehren<strong>de</strong>n Hinweises vorgegebenen Verfahrensgegenstand<br />

noch eingehalten hat. Je<strong>de</strong>nfalls verstößt die vom Ast.<br />

verwen<strong>de</strong>te Kurzbezeichnung nicht gegen § 43b BRAO, § 6<br />

BORA.<br />

a) Gemäß § 43b BRAO ist <strong><strong>de</strong>m</strong> RA Werbung erlaubt, soweit sie<br />

über die berufliche Tätigkeit in Form und <strong>Inhalt</strong> sachlich unterrichtet<br />

und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall<br />

gerichtet ist. Diese Bestimmung hat in <strong>de</strong>n §§ 6 ff. BORA teilweise<br />

eine nähere <strong>Aus</strong>gestaltung erfahren. Nach § 6 Abs. 1<br />

BORA darf <strong>de</strong>r RA über seine Dienstleistung und seine Person<br />

informieren, soweit die Angaben sachlich unterrichten und<br />

berufsbezogen sind.<br />

b) Nach Auffassung <strong>de</strong>s AGH ist die im Briefbogen <strong>de</strong>s Ast. verwen<strong>de</strong>te<br />

Kurzbezeichnung irreführend, weil durch sie im<br />

Rechtsverkehr <strong>de</strong>r unzutreffen<strong>de</strong> Eindruck erweckt wer<strong>de</strong>, dass<br />

alle Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r gleichzeitig einer internationalen<br />

Sozietät o<strong>de</strong>r einem sonstigen internationalen Zusammenschluss,<br />

namentlich mit Sitz in New York, angehörten. Dieser<br />

Einschätzung vermag <strong>de</strong>r Senat nicht zu folgen.<br />

associate =<br />

Gesellschafter,<br />

Partner, Sozius<br />

aa) Der in <strong>de</strong>r Kurzbezeichnung<br />

verwen<strong>de</strong>te englische Begriff<br />

„associate“ hat in <strong>de</strong>utscher<br />

Übersetzung in erster Linie die<br />

Be<strong>de</strong>utung Gesellschafter, Partner,<br />

Sozius (vgl. Romain/Ba<strong>de</strong>r/Byrd, Wörterbuch <strong>de</strong>r Rechtsund<br />

Wirtschaftssprache, 5. Aufl., Teil I). Er entspricht daher im<br />

Wesentlichen <strong><strong>de</strong>m</strong> bei gemeinschaftlicher Berufsausübung<br />

i.S.d. § 59a BRAO allgemein üblichen und mit Blick auf § 43b<br />

BRAO und § 6 BORA nicht zu beanstan<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zusatz „und<br />

Partner“ (vgl. § 11 PartGG) o<strong>de</strong>r „und Kollegen“.<br />

bb) Die hier gegebene Beson<strong>de</strong>rheit liegt lediglich darin, dass<br />

<strong>de</strong>r Zusatz nicht in <strong>de</strong>utscher, son<strong>de</strong>rn in englischer Sprache<br />

gehalten ist. Dieser Umstand ist jedoch – auch bei Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s Briefbogens im Übrigen – nicht<br />

geeinget, die vom AGH befürchtete Irreführung beim rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />

Publikum zu begrün<strong>de</strong>n.<br />

Dem durchschnittlichen Betrachter <strong>de</strong>s vom Ast. verwen<strong>de</strong>ten<br />

Briefbogens erschließt sich ohne weiteres, dass von <strong>de</strong>n aufgeführten<br />

Personen lediglich <strong>de</strong>r Ast. in New York als RA zugelassen<br />

ist und dort einen Kanzleisitz unterhält. Insoweit unterschei<strong>de</strong>t<br />

sich <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong> Fall grundlegend von <strong><strong>de</strong>m</strong> im<br />

Urteil <strong>de</strong>s BGH v. 25.4.1996 (NJW 1996, 2308) entschie<strong>de</strong>nen.<br />

Dort hatten die bekl. RAe auf ihrem Briefbogen, auf <strong><strong>de</strong>m</strong> neben<br />

<strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>r sechs RAe, die die inländische Kanzlei bil<strong>de</strong>ten,<br />

die Namen zahlreicher weiterer RAe mit Kanzleisitz im<br />

<strong>Aus</strong>land aufgeführt waren, die Bezeichnung „Internationale<br />

Sozietät von Rechtsanwälten und Attorneys-at-Law“ verwen<strong>de</strong>t,<br />

obwohl nur einer <strong>de</strong>r inländischen RAe einer Sozietät mit<br />

<strong>de</strong>n benannten ausländischen Rechtsberatern angehörte. So<br />

verhält es sich hier in<strong>de</strong>s nicht. We<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n – neben <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Ast. – auf <strong><strong>de</strong>m</strong> verwen<strong>de</strong>ten Briefbogen weitere RAe mit Kanzleisitz<br />

im <strong>Aus</strong>land benannt mit <strong>de</strong>r Folge, dass <strong>de</strong>r Eindruck<br />

einer län<strong>de</strong>rübergreifen<strong>de</strong>n „internationalen Sozietät“ entstehen<br />

könnte, noch ist aufgrund <strong>de</strong>r vorgenommenen klaren<br />

Trennung zwischen <strong>de</strong>n Kanzleisitzen ... und New York zu<br />

befürchten, beim rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikum könnte die Fehlvorstellung<br />

erweckt wer<strong>de</strong>n, dass sämtliche Kanzleimitglie<strong>de</strong>r<br />

gleichzeitig auch einer Kanzlei mit Sitz in New York angehörten.<br />

Zu<strong><strong>de</strong>m</strong> suggeriert – an<strong>de</strong>rs als in <strong><strong>de</strong>m</strong> vom BGH im Jahr<br />

1996 entschie<strong>de</strong>nen Fall – die hier verwen<strong>de</strong>te Kurzbezeichnung<br />

nicht schon für sich gesehen das Vorliegen einer aus<br />

<strong>de</strong>utschen und weiteren ausländischen RAen gebil<strong>de</strong>ten „Internationalen<br />

Sozietät“.<br />

Zwar mag durch die Verwendung<br />

<strong>de</strong>s Zusatzes „Associate“<br />

im Rechtsverkehr die Vorstellung<br />

einer gewissen Internationalität<br />

Keine Irreführung<br />

durch Internationalität<br />

erweckt wer<strong>de</strong>n. Dies begrün<strong>de</strong>t jedoch hier nicht die Gefahr<br />

einer Irreführung. Zum einen ist ein internationaler Bezug <strong>de</strong>r<br />

Kanzlei <strong>de</strong>s Ast. bereits dadurch hergestellt, dass mit ihm<br />

je<strong>de</strong>nfalls ein Kanzleimitglied gleichzeitig auch im <strong>Aus</strong>land als<br />

RA zugelassen ist und dort eine Kanzlei unterhält. Zum an<strong>de</strong>ren<br />

hat <strong>de</strong>r Ast. unwi<strong>de</strong>rsprochen vorgetragen, dass <strong>de</strong>r Tätigkeitsschwerpunkt<br />

aller Kanzleisozien im internationalen<br />

Steuer-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht liegt.<br />

2. Die im Briefkopf <strong>de</strong>s Ast. verwen<strong>de</strong>te Kurzbezeichnung verstößt<br />

schließlich auch nicht gegen § 9 BORA. Bereits § 9 Abs. 3<br />

BORA a.F. erklärte einen auf die gemeinschaftliche Berufsausübung<br />

hinweisen<strong>de</strong>n Zusatz zur Kurzbezeichnung ausdrücklich<br />

für zulässig. Dies gilt erst recht für die am 1.11.2004 in<br />

Kraft getretene (vgl. BRAK-Mitt. 2004, 177) Neufassung dieser<br />

Bestimmung, in <strong>de</strong>r die früheren Absätze 2 und 3 und damit<br />

die dort enthaltenen Einschränkungen ersatzlos entfallen sind.<br />

Fachanwalt – Drei-Jahres-Zeitraum <strong>de</strong>r Praxiserfahrung bei<br />

Zulassung<br />

FAO § 5 Satz 1<br />

1. Das Erfor<strong>de</strong>rnis, dass die nachzuweisen<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren praktischen<br />

Erfahrungen innerhalb <strong>de</strong>r letzten drei Jahre vor <strong>de</strong>r<br />

Antragstellung gesammelt sein müssen, ist mit höherrangigem<br />

Recht vereinbar.<br />

*2. Nur die Festlegung eines bestimmten Zeitraums ermöglicht<br />

eine ein<strong>de</strong>utige Überprüfung <strong>de</strong>r nachzuweisen<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren<br />

praktischen Erfahrungen.<br />

*3. Das rechtsuchen<strong>de</strong> Publikum darf mit Recht erwarten, dass<br />

ein RA, <strong><strong>de</strong>m</strong> die Befugnis verliehen wird, sich als Fachanwalt auf


188 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

einem bestimmten Gebiet zu bezeichnen, sich auch mit seinen<br />

Erfahrungen auf <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r Zeit befin<strong>de</strong>t.<br />

BGH, Beschl. v. 18.4.2005 – AnwZ (B) 31/04<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Der Ast. ist seit Juli 1999 zur Rechtsanwaltschaft und als RA<br />

beim AG und LG M. zugelassen. Zuvor war er als Rechtssekretär<br />

beim Deutschen ...bund (...) angestellt und bearbeitete dort<br />

arbeitsrechtliche Angelegenheiten von Gewerkschaftsmitglie<strong>de</strong>rn.<br />

Er übte diese Tätigkeit persönlich und weisungsfrei aus,<br />

sie entsprach hinsichtlich <strong>de</strong>r Bearbeitungs- und Büroabläufe –<br />

ausgenommen die Abrechnung – einer anwaltlichen.<br />

Mit Antrag vom 31.12.2002 hat <strong>de</strong>r Ast. beantragt, die<br />

Bezeichnung „Fachanwalt für Arbeitsrecht“ führen zu dürfen.<br />

Er hat zum Nachweis seiner praktischen Erfahrungen eine Liste<br />

mit 27 gerichtlichen und 43 außergerichtlichen Fällen, die er<br />

als RA bearbeitet hat, aus <strong>de</strong>r Zeit von En<strong>de</strong> 1999 bis En<strong>de</strong><br />

2002 vorgelegt, außer<strong><strong>de</strong>m</strong> eine Liste mit 44 gerichtlichen und<br />

26 außergerichtlichen Fällen aus seiner Zeit als Rechtssekretär.<br />

Die Agin. hat <strong>de</strong>n Antrag abgelehnt, weil <strong>de</strong>r Nachweis <strong>de</strong>r<br />

beson<strong>de</strong>ren praktischen Erfahrungen (§ 5 Satz 1 Buchst. c FAO)<br />

nicht erbracht sei. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

hat <strong>de</strong>r AGH mit Beschluss vom 8.3.2004 zurückgewiesen.<br />

Dagegen wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Ast. mit seiner zugelassenen sofortigen<br />

Beschwer<strong>de</strong>.<br />

II. Das Rechtsmittel ist statthaft (§ 223 Abs. 3 Satz 1 BRAO) und<br />

zulässig (§ 42 Abs. 4 Satz 1 BRAO) – die Beschwer<strong>de</strong>frist<br />

wur<strong>de</strong> durch Einlegung <strong>de</strong>r sofortigen Beschwer<strong>de</strong> per Fax am<br />

29.3.2004 gewahrt –, es hat jedoch keinen Erfolg.<br />

1. Ob <strong>de</strong>r Antrag nach <strong>de</strong>r ab 1.1.2003 gelten<strong>de</strong>n neuen o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r früheren Fassung <strong>de</strong>s § 5 FAO zu beurteilen ist, hat keine<br />

Be<strong>de</strong>utung.<br />

Zwar unterschei<strong>de</strong>n sich das alte und das neue Recht dadurch,<br />

dass nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Wortlaut <strong>de</strong>r früheren Fassung <strong>de</strong>r Erwerb<br />

beson<strong>de</strong>rer praktischer Erfahrungen „in <strong>de</strong>r Regel“ mit<br />

bestimmten Fallzahlen nachgewiesen war. Nach <strong>de</strong>r neuen Fassung<br />

„setzt“ <strong>de</strong>r Erwerb diese Fallzahlen „voraus“. Ob die Fallzahlen<br />

nunmehr einen absoluten Charakter haben, <strong>de</strong>r eine<br />

abweichen<strong>de</strong> Gewichtung zugunsten <strong>de</strong>s Ast. – etwa bei einer<br />

einschlägigen Vortätigkeit als Syndikusanwalt o<strong>de</strong>r Verbandssyndikus<br />

(vgl. hierzu zuletzt BGH, Beschl. v. 18.6.2001 –<br />

AnwZ (B) 41/00, NJW 2001, 3130, 3131; v. 13.1.2003 AnwZ<br />

[B] 25/02, NJW 2003, 883, 884) nicht mehr zulässt (so Henssler<br />

in: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl. § 5 FAO Rdnr. 8), ist<br />

noch nicht abschließend geklärt. Im vorliegen<strong>de</strong>n Fall braucht<br />

<strong>de</strong>r Senat dazu nicht Stellung zu nehmen.<br />

2. Denn die bei<strong>de</strong>n Fassungen <strong>de</strong>s § 5 FAO unterschei<strong>de</strong>n sich<br />

insoweit nicht, als die nachzuweisen<strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren praktischen<br />

Erfahrungen jeweils „innerhalb <strong>de</strong>r letzten drei Jahre vor<br />

<strong>de</strong>r Antragstellung“ gesammelt sein mussten/müssen. Selbst<br />

wenn die Bearbeitung von Fällen als Rechtssekretär grundsätzlich<br />

geeignet wäre, zum Nachweis <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren praktischen<br />

Erfahrungen auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Gebiet <strong>de</strong>s Arbeitsrechts zu dienen,<br />

müsste die Fallbearbeitung innerhalb <strong>de</strong>s Drei-Jahres-Zeitraums<br />

stattgefun<strong>de</strong>n haben. Dieser Voraussetzung vermag <strong>de</strong>r Ast.<br />

nicht zu genügen, weil seine Beschäftigung beim Deutschen<br />

...bund Mitte 1999 geen<strong>de</strong>t hat. Innerhalb <strong>de</strong>s maßgeblichen<br />

Zeitraums war er ausschließlich als RA tätig.<br />

Entgegen <strong>de</strong>r Ansicht <strong>de</strong>s Bf. bestehen gegen die ausschließliche<br />

Beachtlichkeit <strong>de</strong>r Fallbearbeitung innerhalb <strong>de</strong>s Drei-Jahres-Zeitraums<br />

keine Be<strong>de</strong>nken, insbeson<strong>de</strong>re keine verfassungsrechtlicher<br />

Art. Die Festlegung eines bestimmten Zeitraums<br />

ermöglicht eine ein<strong>de</strong>utige Überprüfung <strong>de</strong>r Voraussetzungen<br />

(Henssler in: Henssler/Prütting, a.a.O., § 5 FAO Rdnr. 2).<br />

Drei-Jahres-Zeitraum<br />

bereits lang<br />

bemessen<br />

Mit drei Jahren ist die Beurteilungszeit<br />

relativ lang bemessen,<br />

damit ist – entsprechend <strong>de</strong>n<br />

Absichten <strong>de</strong>r Satzungsversammlung<br />

(Protokoll <strong>de</strong>r 1. Sitzung v.<br />

7. bis 9.9.1999, S. 26) – die Zulassungsschranke leichter überwindbar<br />

als bei einem kürzeren Zeitraum (Henssler, a.a.O.).<br />

Ihn noch weiter auszu<strong>de</strong>hnen o<strong>de</strong>r davon abzusehen, dass <strong>de</strong>r<br />

Drei-Jahres-Zeitraum <strong>de</strong>r Antragstellung unmittelbar vorausgehen<br />

muss, lässt sich nicht aus § 3 FAO begrün<strong>de</strong>n. Zwar ist<br />

danach Voraussetzung für die Verleihung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung<br />

„eine dreijährige Zulassung und Tätigkeit innerhalb<br />

<strong>de</strong>r letzten sechs Jahre vor Antragstellung“. Selbst wenn <strong>de</strong>r<br />

Ast. die letzten drei Jahre vor <strong>de</strong>r Antragstellung nicht ununterbrochen<br />

als RA zugelassen war, muss er doch die beson<strong>de</strong>ren<br />

praktischen Erfahrungen, die nach § 5 Satz 1 FAO nachzuweisen<br />

sind, innerhalb dieser drei Jahre gesammelt haben. Dies hat<br />

die Satzungsversammlung so gewollt (Protokoll <strong>de</strong>r 7. Sitzung<br />

v. 18.9.2002 zu 4.2; ebenso Stobbe in: Henssler/Prütting, § 3<br />

FAO Rdnr. 9). Die gegenteilige Auffassung wür<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong> Bedürfnis<br />

nicht gerecht, über <strong>de</strong>n Antrag aufgrund zeitnaher Erkenntnisse<br />

zu entschei<strong>de</strong>n. Im Interesse <strong>de</strong>s rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikums<br />

darf davon nicht abgewichen wer<strong>de</strong>n. Praktische Erfahrungen<br />

können nicht nur mit <strong>de</strong>r Intensität und Dauer <strong>de</strong>r<br />

Berufsausübung wachsen (Stobbe in: Henssler/Prütting, § 3<br />

FAO Rdnr. 3), sie können, falls sie zu lange zurückliegen, auch<br />

„altern“.<br />

Aktuelle Erfahrungen<br />

notwendig<br />

Das rechtsuchen<strong>de</strong> Publikum<br />

darf jedoch mit Recht erwarten,<br />

dass ein RA, <strong><strong>de</strong>m</strong> die Befugnis<br />

verliehen wird, sich als Fachanwalt<br />

auf einem bestimmten Gebiet zu bezeichnen, sich auch<br />

mit seinen Erfahrungen auf <strong>de</strong>r Höhe <strong>de</strong>r Zeit befin<strong>de</strong>t. Wenn<br />

die Drei-Jahres-Frist nicht strikt beachtet wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, könnte<br />

die Beurteilungsgrundlage nicht mehr verlässlich eingegrenzt<br />

wer<strong>de</strong>n. Müssten auch praktische Erfahrungen aus <strong><strong>de</strong>m</strong> vierten<br />

Jahr vor Antragstellung berücksichtigt wer<strong>de</strong>n, ließe sich nicht<br />

überzeugend begrün<strong>de</strong>n, warum dies nicht auch für solche aus<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> fünften usw. gelte.<br />

In <strong>de</strong>n Entscheidungen <strong>de</strong>s BGH, die <strong>de</strong>r Ast. für sein Begehren<br />

anführt (BGH, Beschl. v. 18.6.2001 – AnwZ [B] 41/00, NJW<br />

2001, 3130, 3131; v. 13.1.2003 – AnwZ [B] 25/02, NJW 2003,<br />

883, 884), hatte die anzurechnen<strong>de</strong> Tätigkeit als Verbandssyndikus<br />

(mit o<strong>de</strong>r ohne Anwaltszulassung) jeweils innerhalb <strong>de</strong>s<br />

Drei-Jahres-Zeitraums stattgefun<strong>de</strong>n.<br />

Fachanwalt – zur Beschränkung <strong>de</strong>s Führens von Fachanwaltsbezeichnungen<br />

auf zwei Rechtsgebiete<br />

BRAO § 43c Abs. 1 Satz 3; FAO § 15; GG Art. 12<br />

*1. Die für je<strong>de</strong>n RA gelten<strong>de</strong> Vorschrift <strong>de</strong>s § 43c Abs. 1 Satz 3<br />

BRAO, die das Führen von Fachanwaltsbezeichnungen auf maximal<br />

zwei Rechtsgebiete beschränkt, ist durch ausreichen<strong>de</strong><br />

Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls gerechtfertigt.<br />

*2. Mit dieser Beschränkung auf zwei Fachgebiete wird bezweckt,<br />

dass <strong>de</strong>r RA auf diesen Gebieten vertieft tätig wird und damit die<br />

Qualitätsvorstellungen <strong>de</strong>s rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikums erfüllt.<br />

Diese Regelung dient daher <strong>de</strong>r wahrheitsgemäßen Information<br />

<strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n, <strong><strong>de</strong>m</strong> Vertrauensverhältnis zwischen RA und<br />

Mandant und damit <strong>de</strong>r Funktionsfähigkeit <strong>de</strong>r Rechtspflege.<br />

*3. Die erfor<strong>de</strong>rliche Qualitätssicherung eines Fachanwalts kann<br />

nicht allein durch die in § 15 FAO vorgesehene 10-stündige Fortbildung<br />

im Jahr erreicht wer<strong>de</strong>n. Da sie eine verstärkte Tätigkeit<br />

auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Fachgebiet und <strong>de</strong>n damit verbun<strong>de</strong>nen Erfahrungsgewinn<br />

voraussetzt, kann es <strong>de</strong>shalb nicht allein darauf ankommen,<br />

dass ein RA die formalen Voraussetzungen für <strong>de</strong>n Erwerb von


BRAK-Mitt. 4/2005 Berufsrechtliche Rechtsprechung 189<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

auch mehr als zwei Fachgebieten erfüllt. Entschei<strong>de</strong>nd ist vielmehr<br />

eine dauerhafte intensive Befassung mit <strong>de</strong>n Spezialgebieten<br />

auch nach <strong>de</strong>r Verleihung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung.<br />

BGH, Beschl. v. 4.4.2005 – AnwZ (B) 19/04<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Der Ast. ist seit 1999 Fachanwalt für Familienrecht und seit<br />

2002 auch Fachanwalt für Arbeitsrecht. Schon 1998 war ihm<br />

die Befugnis verliehen wor<strong>de</strong>n, die Fachanwaltsbezeichnung<br />

für Strafrecht zu führen. Diese Befugnis hat die Agin. 2002<br />

wi<strong>de</strong>rrufen, nach<strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>r Ast. im Hinblick auf <strong>de</strong>n angestrebten<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht auf das Führen dieser Bezeichnung<br />

verzichtet hatte. In <strong>de</strong>r Folge hat <strong>de</strong>r Ast. beantragt, ihm<br />

die Befugnis, die Fachanwaltsbezeichnung für Strafrecht zu<br />

führen, erneut zu erteilen. Die Agin. hat dies mit Bescheid v.<br />

23.7.2003 unter Hinweis auf § 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO, <strong>de</strong>r<br />

das Führen <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung auf zwei Rechtsgebiete<br />

beschränkt, abgelehnt. Den dagegen gerichteten Antrag<br />

auf gerichtliche Entscheidung hat <strong>de</strong>r AGH zurückgewiesen.<br />

Hiergegen wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Ast. mit seiner vom AGH zugelassenen<br />

sofortigen Beschwer<strong>de</strong>. Der Ast. hält die Beschränkung in<br />

§ 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO für verfassungswidrig, weil sie gegen<br />

Art. 12 Abs. 1 GG verstoße.<br />

II. Die zugelassene Beschwer<strong>de</strong> ist zulässig (§ 223 Abs. 3<br />

BRAO), hat jedoch keinen Erfolg.<br />

Nach § 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO darf die Befugnis, eine Fachanwaltsbezeichnung<br />

zu führen, nur für zwei Rechtsgebiete verliehen<br />

wer<strong>de</strong>n. (Eine Beschränkung auf höchstens zwei Fachgebiete<br />

fin<strong>de</strong>t sich schon in <strong>de</strong>n von einer Kommission <strong>de</strong>r DAV<br />

im Februar 1930 erlassenen Richtlinien für die Einführung erster<br />

Fachanwaltschaften, – Beschlüsse <strong>de</strong>s gemischten <strong>Aus</strong>schusses<br />

vom 8.2.1930 IV. – AnwBl. 1930, 50.) Da <strong>de</strong>r Ast. bereits<br />

zwei Fachanwaltsbezeichnungen führt, stand <strong>de</strong>r Verleihung<br />

einer weiteren Fachanwaltsbezeichnung die Regelung <strong>de</strong>s<br />

§ 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO entgegen.<br />

Die Bestimmung <strong>de</strong>s § 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO ist entgegen<br />

<strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>s Ast. nicht verfassungswidrig:<br />

Mit <strong>de</strong>r Einrichtung <strong>de</strong>r Fachanwaltschaft, die nunmehr in<br />

§ 43c BRAO und in <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Satzungsversammlung aufgrund<br />

<strong>de</strong>r Ermächtigung <strong>de</strong>s § 59b Abs. 2 Nr. 2a BRAO erlassenen<br />

FAO ihre Rechtsgrundlage gefun<strong>de</strong>n hat, steht <strong>de</strong>r Anwaltschaft<br />

ein Mittel zur Verfügung, beson<strong>de</strong>re in einem formalisierten<br />

Verfahren nachgewiesene Kenntnisse und Erfahrungen<br />

auf einem bestimmten Gebiet <strong>de</strong>r Öffentlichkeit kundzutun.<br />

Dem in dieser Weise qualifizierten RA, <strong><strong>de</strong>m</strong> die Fachanwaltsbezeichnung<br />

verliehen wor<strong>de</strong>n ist, steht damit eine zulässige<br />

Werbemöglichkeit zur Verfügung, um neue Mandanten auf<br />

sich aufmerksam zu machen. Tatsächlich wird die Fachanwaltsbezeichnung<br />

von <strong>de</strong>r rechtsuchen<strong>de</strong>n Bevölkerung auch als<br />

Qualifikationsmerkmal verstan<strong>de</strong>n;<br />

Fachanwälte verfügen nach<br />

Beson<strong>de</strong>res Qualifikationsmerkmal<br />

gegenüber <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Anwäl-<br />

empirischen Untersuchungen<br />

ten im Durchschnitt über höhere<br />

Umsätze und Einkommen (Nachweise bei Henssler/Prütting-<br />

Henssler, BRAO 2. Aufl., § 43 Rdnr. 10; Hartung/Holl-Holl,<br />

Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., Einführung FAO,<br />

Rdnr. 49 f.). Da die Regelung <strong>de</strong>s § 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO<br />

<strong>de</strong>n RA – trotz formaler Erfüllung <strong>de</strong>r Kriterien für die Verleihung<br />

einer weiteren Fachanwaltsbezeichnung – daran hin<strong>de</strong>rt,<br />

das rechtsuchen<strong>de</strong> Publikum auf diese Qualifikation hinzuweisen,<br />

greift sie in das Recht <strong>de</strong>s Anwalts, die Öffentlichkeit in<br />

<strong>de</strong>r von ihm gewünschten Weise werbend über die von ihm<br />

ausgeübte Tätigkeit zu unterrichten, und damit in die durch<br />

Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsausübungsfreiheit ein.<br />

Denn zu <strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>r Berufsausübung gehört nicht nur die<br />

berufliche Praxis selbst, son<strong>de</strong>rn auch je<strong>de</strong> Tätigkeit, die mit<br />

<strong>de</strong>r Berufsausübung zusammenhängt und dieser dient. Sie<br />

umfasst daher auch die Außendarstellung von selbstständig<br />

Berufstätigen einschließlich <strong>de</strong>r Werbung für die Inanspruchnahme<br />

ihrer Dienste (vgl. BVerfGE 85, 248, 256; 94, 372, 389;<br />

BVerfG, WRP 2000, 720, 721 = NJW 2000, 3195).<br />

Als Berufsausübungsregelung ist sie <strong>de</strong>shalb nur dann mit<br />

Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch ausreichen<strong>de</strong><br />

Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls gerechtfertigt ist und im Übrigen<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit entspricht (BVerfGE<br />

106, 216, 219, Senatsbeschl. v. 18.2.2005 – AnwZ [B] 3/03; v.<br />

16.10.2000 – AnwZ [B] 65/99 = NJW 2001, 1138, 1139 =<br />

BRAK-Mitt. 2001, 41 f.).<br />

Die Einschränkung <strong>de</strong>r Werbefreiheit durch die Regelung <strong>de</strong>s<br />

§ 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO ist durch Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

gerechtfertigt, hierfür geeignet und auch erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Mit <strong>de</strong>r Beschränkung auf zwei<br />

Fachgebiete soll nach <strong>de</strong>n Gesetzesmaterialien<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> gefor<strong>de</strong>rten<br />

hohen Niveau <strong>de</strong>r Kenntnisse<br />

eines Fachanwalts die Glaubwürdigkeit<br />

eines solchen Fachhinweises gewahrt wer<strong>de</strong>n<br />

(Bericht <strong>de</strong>r Abgeordneten Eylmann, Kleinert (Hannover) und<br />

Wiefelspütz, BT-Drucks. 11/8307, 16, 19). Dass damit gera<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Anwalt betroffen ist, <strong>de</strong>r die für <strong>de</strong>n Erwerb einer weiteren<br />

Fachanwaltsbezeichnung gefor<strong>de</strong>rten formalen Kriterien erfüllt<br />

und die auf <strong><strong>de</strong>m</strong> weiteren Fachgebiet vorausgesetzten Kenntnisse<br />

nachgewiesen hat, bedarf allerdings näherer Begründung:<br />

Da die Fachanwaltsbezeichnung die beson<strong>de</strong>re Qualifikation<br />

<strong>de</strong>s RA für das Fachgebiet ausweisen soll, kann dies von <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikum nur dahin verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, dass<br />

<strong>de</strong>r Fachanwalt über einen vertieften Wissensstand auf seinem<br />

Fachgebiet nicht nur zum Zeitpunkt <strong>de</strong>s Erwerbs <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung,<br />

son<strong>de</strong>rn auch bei seiner späteren Tätigkeit<br />

verfügt. Dem entsprechen die Regelungen <strong>de</strong>s § 43c Abs. 4<br />

Satz 2 BRAO und <strong>de</strong>s § 15 FAO, nach <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Fachanwalt<br />

zur Fortbildung verpflichtet ist und ein Verstoß gegen die Fortbildungspflicht<br />

zum Wi<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung<br />

führen kann.<br />

10-stündige jährliche<br />

Fortbildung nicht<br />

ausreichend<br />

Wahrung <strong>de</strong>r Glaubwürdigkeit<br />

eines<br />

Fachhinweises<br />

Die erfor<strong>de</strong>rliche Qualitätssicherung<br />

kann aber nicht allein<br />

durch die in § 15 FAO vorgesehene<br />

10-stündige Fortbildungsveranstaltung<br />

im Jahr (bzw. eine<br />

wissenschaftliche Publikation) erreicht wer<strong>de</strong>n. Sie setzt vielmehr<br />

eine verstärkte Tätigkeit auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Fachgebiet und <strong>de</strong>n<br />

damit verbun<strong>de</strong>nen Erfahrungsgewinn voraus. Es kann <strong>de</strong>shalb<br />

nicht darauf ankommen, dass ein RA die formalen Voraussetzungen<br />

für <strong>de</strong>n Erwerb von auch mehr als zwei Fachgebieten<br />

erfüllt, entschei<strong>de</strong>nd ist vielmehr eine dauerhafte intensive<br />

Befassung mit <strong>de</strong>n Spezialgebieten auch nach <strong>de</strong>r Verleihung<br />

<strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung. Eine solche intensive Betätigung<br />

erscheint aber angesichts <strong>de</strong>s Umfangs und <strong>de</strong>r Komplexität<br />

<strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Rechts nur im begrenzten Umfang möglich.<br />

Letztlich folgt schon aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Spezialisierung, dass sie<br />

nur für einige Tätigkeitsfel<strong>de</strong>r zu leisten ist, die zu<strong><strong>de</strong>m</strong> bei <strong>de</strong>n<br />

jeweiligen Fachanwaltschaften weit bemessen sind. Mit <strong>de</strong>r<br />

Beschränkung <strong>de</strong>r Fachanwaltsbezeichnung auf zwei Fachgebiete<br />

wird bezweckt, dass <strong>de</strong>r RA auf diesen Gebieten vertieft<br />

tätig wird und damit die Qualitätsvorstellungen <strong>de</strong>r Öffentlichkeit<br />

erfüllt.


190 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

A. Der Ast. ist als RA beim LG K. und seit <strong><strong>de</strong>m</strong> 1.7.2002 auch<br />

als RA beim OLG D. zugelassen. Seinen ursprünglich gestellten<br />

Antrag auf Simultanzulassung als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH lehnte <strong>de</strong>r<br />

Ag. ab. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

hat <strong>de</strong>r Senat mit Beschl. v. 14.7.2003 (AnwZ 1/02,<br />

nicht veröffentlicht) zurückgewiesen, nach<strong><strong>de</strong>m</strong> das BVerfG mit<br />

Beschl. v. 31.10.2002 (BVerfGE 106, 216) die Verfassungsbeschwer<strong>de</strong><br />

gegen <strong>de</strong>n – in einem Parallelverfahren ergangenen –<br />

Beschl. <strong>de</strong>s BGH v. 4.3.2002 (BGHZ 150, 70) nicht zur Entscheidung<br />

angenommen hatte.<br />

Mit Schreiben v. 2.9.2003 beantragte <strong>de</strong>r Ast. sodann, unter<br />

Aufgabe seiner bisherigen Zulassung beim OLG D. außerhalb<br />

<strong>de</strong>s Verfahrens nach §§ 164 ff. BRAO als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH<br />

zugelassen zu wer<strong>de</strong>n. Der Ag. lehnte auch diesen Antrag mit<br />

Bescheid v. 4.11.2003 ab. Dagegen richtet sich <strong>de</strong>r Antrag auf<br />

gerichtliche Entscheidung. Die Beteiligten haben auf mündliche<br />

Verhandlung verzichtet.<br />

B. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung, mit <strong><strong>de</strong>m</strong> <strong>de</strong>r Ast.<br />

sein Begehren auf Singularzulassung als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH wei-<br />

Qualitätsvorstellungen<br />

<strong>de</strong>s<br />

Rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />

Die Regelung dient daher <strong>de</strong>r<br />

wahrheitsgemäßen Information<br />

<strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n, <strong><strong>de</strong>m</strong> Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Anwalt<br />

und Mandant und damit <strong>de</strong>r Funktionsfähigkeit<br />

<strong>de</strong>r Rechtspflege (Henssler/Prütting-Henssler,<br />

a.a.O., § 43c Rdnr. 14; Jährig, Fachanwaltschaften, S. 71; vgl.<br />

auch Senatsbeschl. v. 16.10.2000 – AnwZ [B] 65/99 = BRAK-<br />

Mitt. 2001, 41 und v. 26.5.1997 – AnwZ [B] 67/96 = NJW<br />

1997, 2522, jeweils zu Tätigkeitsschwerpunkten). Auch im<br />

Schrifttum wird die Regelung im Gegensatz zu <strong>de</strong>r zahlenmäßigen<br />

Festlegung <strong>de</strong>r Tätigkeitsschwerpunkte nach § 7 Abs. 1<br />

BORA nicht angegriffen o<strong>de</strong>r problematisiert (vgl. Feuerich/<br />

Weyland, BRAO, 6. Aufl., Rdnr. 32; Henssler/Prütting-Henssler,<br />

a.a.O., Rdnr. 14; Jessnitzer/Blumberg, BRAO, 9. Aufl., § 43c<br />

Rdnr. 13; Hartung/Holl-Holl, a.a.O., BRAO, § 43c Rdnr. 12;<br />

Jährig, a.a.O., S. 70 f. jeweils zu § 43c). Die Be<strong>de</strong>nken, die<br />

gegen die Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>r zahlenmäßigen Begrenzung<br />

<strong>de</strong>r Tätigkeitsschwerpunkte in § 7 Abs. 1 Satz 2 BORA<br />

teilweise erhoben wor<strong>de</strong>n sind (Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl.,<br />

Anh. I 1, Rdnr. 3, 4; Hartung/Holl-Römermann, a.a.O.,<br />

BerufsO, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 45 f.; dagegen für Verfassungsmäßigkeit<br />

von § 7 BORA Henssler/Prütting-Eylmann, a.a.O., § 7<br />

BORA Rdnr. 2; Feuerich/Weyland, a.a.O., § 7 BORA Rdnr. 4),<br />

sind für die Frage <strong>de</strong>r Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>r Beschränkung<br />

nach § 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO schon <strong>de</strong>shalb nicht erheblich,<br />

weil die Fallgestaltungen nicht vergleichbar sind. Die Voraussetzungen<br />

für die Angabe von Tätigkeitsschwerpunkten nach<br />

§ 7 BORA beruhen wesentlich auf einer Selbsteinschätzung <strong>de</strong>r<br />

Anwälte, während die Qualifikation als Fachanwalt in einem<br />

formalisierten Verfahren überprüft wird. Im Übrigen haben bisher<br />

we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Senat noch das BVerfG die Begrenzung <strong>de</strong>r<br />

Tätigkeitsschwerpunkte beanstan<strong>de</strong>t (vgl. BVerfG, Beschl. v.<br />

6.7.2001 – 1 BvR 1063/00 = BRAK-Mitt. 2001, 225; Beschl. v.<br />

25.4.2001 – 1 BvR 494/00 = AnwBl. 2001, 510; BGH, Beschl.<br />

v. 26.5.1997 – AnwZ [B] 67/96, NJW 1997, 2522, 2523 noch<br />

zur Rechtslage vor Erlass <strong>de</strong>r BORA).<br />

Die gesetzliche Beschränkung zur Führung von Fachanwaltsbezeichnungen<br />

auf zwei Fachgebiete ist auch zur Erreichung <strong>de</strong>s<br />

verfolgten Zwecks geeignet. Unerheblich ist, dass an<strong>de</strong>re Mittel<br />

<strong>de</strong>nkbar wären, mit <strong>de</strong>nen eine Qualitätssicherung erreicht<br />

wer<strong>de</strong>n könnte, insofern hat <strong>de</strong>r Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit.<br />

Es reicht aus, dass sich die vom Gesetzgeber gewählte<br />

Möglichkeit als geeignet zur Erreichung <strong>de</strong>s gesetzgeberischen<br />

Ziels darstellt (Dreier, GG, 2. Aufl., Art. 12 Rdnr. 118).<br />

Die Bestimmung <strong>de</strong>s § 43c Abs. 1 Satz 3 BRAO ist auch im<br />

Übrigen verhältnismäßig. Betroffen ist nur die Außendarstellung<br />

<strong>de</strong>s RA. Der RA, <strong>de</strong>r über Fachkenntnisse auf weiteren<br />

Gebieten verfügt, ist nicht gehin<strong>de</strong>rt, auch auf diesen Gebieten<br />

tätig zu wer<strong>de</strong>n. Ihm ist auch nicht verwehrt, auf an<strong>de</strong>re Weise<br />

im Rahmen <strong>de</strong>r gesetzlichen Vorgaben für eine solche Tätigkeit<br />

zu werben.<br />

Versagung <strong>de</strong>r Zulassung wegen Vermögensverfalls<br />

BRAO § 7 Nr. 9<br />

1. Die Bestimmung <strong>de</strong>s § 7 Nr. 9 BRAO über die Versagung <strong>de</strong>r<br />

Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls<br />

knüpft an eine abstrakte Gefährdung <strong>de</strong>r Rechtspflege an<br />

(BVerfGE 108, 150, 164) und stellt an<strong>de</strong>rs als <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rrufsgrund<br />

<strong>de</strong>s § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO nicht darauf ab, ob eine Gefährdung<br />

<strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n Vermögensverfall<br />

aufgrund beson<strong>de</strong>rer Umstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Einzelfalls ausgeschlossen ist.<br />

*2. Verfassungsrechtliche Be<strong>de</strong>nken gegen die Regelung unterschiedlicher<br />

Voraussetzungen für die Versagung und <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rruf<br />

<strong>de</strong>r Zulassung bei eingetretenem Vermögensverfall bestehen<br />

nicht. Der Zwang zur Aufgabe eines frei und zulässig gewählten<br />

Berufs wirkt ungleich stärker als das Hin<strong>de</strong>rnis, in einen Beruf<br />

einzutreten.<br />

BGH, Beschl. v. 7.3.2005 – AnwZ (B) 7/04<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Zur Verfassungsgemäßheit <strong>de</strong>r Vorschriften über die Zulassung<br />

als Rechtsanwalt bei <strong><strong>de</strong>m</strong> Bun<strong>de</strong>sgerichtshof<br />

BRAO § 164, § 165, § 166, § 167, § 168, § 169, § 170; GG<br />

Art. 3, Art. 12<br />

1. Die Bestimmungen in §§ 164 ff. BRAO über die beson<strong>de</strong>ren<br />

Voraussetzungen für die Zulassung als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH sind nicht<br />

verfassungswidrig.<br />

*2. Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls, die eine Einschränkung <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />

Berufsausübungsfreiheit hinsichtlich <strong>de</strong>r Tätigkeit als RA<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH rechtfertigen, liegen vor. Die Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s<br />

zivilrechtlichen Revisionsrechts stellen hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an<br />

<strong>de</strong>n bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH tätigen RA. Sie rechtfertigen es, nur solche<br />

Bewerber zuzulassen, die für diese Tätigkeit beson<strong>de</strong>rs qualifiziert<br />

sind.<br />

*3. Das auf insgesamt drei Stufen <strong><strong>de</strong>m</strong> Prinzip <strong>de</strong>r Bestenauslese<br />

verpflichtete <strong>Aus</strong>wahlverfahren nach <strong>de</strong>n §§ 164 ff. BRAO ist<br />

geeignet und erfor<strong>de</strong>rlich, um das legitime Gemeinwohlinteresse<br />

an einer Stärkung <strong>de</strong>r Rechtspflege durch eine leistungsfähige und<br />

in Revisionssachen beson<strong>de</strong>rs qualifizierte Anwaltschaft zu verfolgen.<br />

Sachgerechte Verfahrensalternativen für die <strong>Aus</strong>wahl <strong>de</strong>r am<br />

besten qualifizierten Bewerber sind zwar vorstellbar, begrün<strong>de</strong>n<br />

aber nicht die Verfassungswidrigkeit <strong>de</strong>r gegenwärtigen Regelung.<br />

*4. Ohne eine Bedarfsregelung i.S.d. § 168 Abs. 2 BRAO wäre das<br />

Institut einer beson<strong>de</strong>ren Rechtsanwaltschaft, die ausschließlich<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassen ist und im Wesentlichen auch nur vor<br />

diesem Gericht auftreten kann, nicht aufrecht zu erhalten. Die<br />

vom BVerfG als verfassungsgemäß angesehene Einheit von berufsrechtlicher<br />

Lokalisation, eingeschränkter Postulationsfähigkeit<br />

und Kanzleisitz <strong>de</strong>r RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH setzt die fortbestehen<strong>de</strong><br />

Zulässigkeit <strong>de</strong>r Bedarfsprüfung voraus.<br />

*5. Die Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Revisionsrechts hat nicht zu einer <strong>de</strong>rartigen<br />

Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Geschäftsbelastung <strong>de</strong>r Zivilsenate <strong>de</strong>s BGH<br />

geführt, dass im Hinblick auf das Interesse <strong>de</strong>r Rechtspflege eine<br />

Öffnung <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>r RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH für eine unbegrenzte<br />

Anzahl von RAen vertretbar o<strong>de</strong>r gar geboten wäre.<br />

BGH, Beschl. v. 18.2.2005 – AnwZ (B) 3/03


BRAK-Mitt. 4/2005 Berufsrechtliche Rechtsprechung 191<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

terverfolgt, ist zulässig (§§ 162, 163, 170, 21 Abs. 2, §§ 37, 39<br />

BRAO). Er hat jedoch in <strong>de</strong>r Sache keinen Erfolg.<br />

I. Der Ast. erfüllt nicht die förmlichen Voraussetzungen, von<br />

<strong>de</strong>nen nach §§ 164 ff. BRAO die Zulassung als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

BGH abhängig ist. Nach § 170 Abs. 1 i.V.m. § 164 BRAO kann<br />

das BMJ nur solche Bewerber als RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zulassen,<br />

die ihm durch <strong>de</strong>n Wahlausschuss für RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH<br />

benannt wor<strong>de</strong>n sind. Eine solche Benennung <strong>de</strong>s Ast. durch<br />

<strong>de</strong>n Wahlausschuss ist im vorliegen<strong>de</strong>n Fall nicht erfolgt. Der<br />

Ast. begehrt, außerhalb <strong>de</strong>s Wahlverfahrens nach §§ 164 ff.<br />

BRAO als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassen zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Das BMJ kann Bewerber nicht unabhängig von <strong>de</strong>ren Benennung<br />

durch <strong>de</strong>n Wahlausschuss als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zulassen.<br />

Soweit § 170 BRAO <strong><strong>de</strong>m</strong> BMJ bei <strong>de</strong>r Entscheidung über die<br />

Zulassung ein Ermessen bzw. Prüfungsrecht einräumt, bezieht<br />

sich dieses nur auf die fachliche und persönliche Eignung <strong>de</strong>s<br />

zu ernennen<strong>de</strong>n Bewerbers aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Kreis <strong>de</strong>r vom Wahlausschuss<br />

benannten Bewerber (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO,<br />

6. Aufl., § 170 Rdnr. 5). Dem BMJ wird damit nicht die Befugnis<br />

eingeräumt, Bewerber außerhalb <strong>de</strong>s Wahlverfahrens nach<br />

§§ 164 ff. BRAO zur Rechtsanwaltschaft bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zuzulassen.<br />

II. Der Ast. meint, ihm sei außerhalb <strong>de</strong>s in §§ 164 ff. BRAO<br />

vorgesehenen Verfahrens die Singularzulassung als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

BGH zu erteilen, weil das in <strong>de</strong>n §§ 164 bis 170 BRAO geregelte<br />

Verfahren, das die Aufnahme <strong>de</strong>s Bewerbers in Vorschlagslisten,<br />

<strong>de</strong>ssen Wahl durch <strong>de</strong>n Wahlausschuss und die<br />

abschließen<strong>de</strong> <strong>Aus</strong>wahl durch das BMJ vorsieht, mit Art. 12<br />

Abs. 1, Art. 3, Art. 20 Abs. 3 GG nicht vereinbar sei. Damit hat<br />

<strong>de</strong>r Ast. keinen Erfolg. Die Bestimmungen in §§ 164 bis 170<br />

BRAO über das <strong>Aus</strong>wahlverfahren für die Zulassung als RA bei<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> BGH sind nicht verfassungswidrig.<br />

1. Durch § 170 Abs. 1 i.V.m. § 164 BRAO wird in die Berufsfreiheit<br />

<strong>de</strong>s RA (Art. 12 Abs. 1 GG) eingegriffen. Als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

BGH kann nur zugelassen wer<strong>de</strong>n, wer das in §§ 164 ff. BRAO<br />

vorgesehene Wahlverfahren durchlaufen hat. Diese Einschränkung<br />

<strong>de</strong>r Berufsfreiheit <strong>de</strong>s RA betrifft nicht die Berufswahl,<br />

son<strong>de</strong>rn sie enthält nach <strong>de</strong>r vom BVerfG gebilligten Rspr. <strong>de</strong>s<br />

Senats nur eine Berufsausübungsregelung, mag sie auch Elemente<br />

enthalten, die einer Beschränkung <strong>de</strong>r Berufswahl nahe<br />

kommen (BVerfG, Beschl. v. 24.3.1982, 1 BvR 278/75, nicht<br />

veröffentlicht, unter B I 1; BGH, Beschl. v. 14.5.1975 – AnwZ<br />

7/75; 10.5.1978 – AnwZ 11/78 und 23.6.1980 – AnwZ 2/80,<br />

jeweils nicht veröffentlicht; ferner BGH, Beschl. v. 28.2.1983 –<br />

AnwZ 37/82, BRAK-Mitt. 1983, 135, 136 unter II 2 b).<br />

Das Verfahren nach §§ 164 ff. BRAO schränkt nicht die Freiheit<br />

ein, <strong>de</strong>n Beruf <strong>de</strong>s RA zu wählen, son<strong>de</strong>rn setzt lediglich <strong>de</strong>r<br />

<strong>Aus</strong>übung dieses Berufs mit Bezug auf einen speziellen Bereich<br />

<strong>de</strong>r einem RA eröffneten Tätigkeiten Grenzen. Um eine Einschränkung<br />

<strong>de</strong>s Grundrechts auf freie Berufswahl han<strong>de</strong>lt es<br />

sich hierbei nicht, weil die Tätigkeit als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH kein<br />

eigenständiges Berufsbild begrün<strong>de</strong>t. Zwar trifft <strong>de</strong>r RA, <strong>de</strong>r als<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassener RA tätig wird, eine grundlegen<strong>de</strong><br />

und auf Dauer ausgerichtete Entscheidung, eine – in beruflicher<br />

Hinsicht „Lebensentscheidung“ (vgl. BVerfGE 33, 125,<br />

161 zum Facharzt). Nach seiner Zulassung muss er seine bisherigen<br />

Mandate aufgeben. Er ist darauf angewiesen, neue Mandanten<br />

zu gewinnen, die ihn mit <strong>de</strong>r Vertretung in Revisionen<br />

o<strong>de</strong>r Beschwer<strong>de</strong>n in Zivilsachen betrauen, und muss auch<br />

eine bisherige Sozietät aufgeben (§ 172a BRAO). Zu<strong><strong>de</strong>m</strong> ist<br />

seine Postulationsfähigkeit auf das Auftreten vor <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH, <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren obersten Gerichtshöfen <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>s, <strong><strong>de</strong>m</strong> gemeinsamen<br />

Senat <strong>de</strong>r obersten Gerichtshöfe und <strong><strong>de</strong>m</strong> BVerfG<br />

beschränkt (§ 172 BRAO). Auch benötigt <strong>de</strong>r als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

BGH zugelassene Anwalt spezielles Fachwissen für das Revisions-<br />

und Beschwer<strong>de</strong>verfahren.<br />

Diese Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>r Tätigkeit als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH rechtfertigen<br />

es aber nicht, die Entscheidung, sich dieser Tätigkeit zu<br />

widmen, einer Berufswahl gleichzusetzen und die in §§ 164 ff.<br />

BRAO geregelten Zulassungsvoraussetzungen nach <strong>de</strong>n Maßstäben<br />

für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Einschränkungen<br />

<strong>de</strong>r Berufswahlfreiheit zu beurteilen. Da die Zulassungsbeschränkungen<br />

für die Vertretung in zivilrechtlichen<br />

Revisions- und Beschwer<strong>de</strong>verfahren nur einen Teil <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />

Berufsausübung betreffen und da dieser Teil infolge Einschränkung<br />

<strong>de</strong>s Revisionszugangs – vor <strong>de</strong>r Reform <strong>de</strong>s Revisionsrechts:<br />

§ 554 b ZPO a.F.; seit Einführung <strong>de</strong>r Zulassungsrevision:<br />

§§ 543, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 und 9 EGZPO – seinerseits<br />

begrenzt ist, können die Zulassungsbeschränkungen nach<br />

§§ 164 ff. BRAO, wie das BVerfG ausgeführt hat, nicht <strong>de</strong>n gleichen<br />

strengen Anfor<strong>de</strong>rungen unterliegen wie in <strong>de</strong>n Fällen, in<br />

<strong>de</strong>nen qualifizierten Bewerbern <strong>de</strong>r Zugang zu einem Beruf<br />

aufgrund von Bedürfnisprüfungen schlechthin versperrt wird<br />

(Beschl. v. 24.3.1982, a.a.O. unter B I 1).<br />

Kein eigenständiges<br />

Berufsbild <strong>de</strong>s RA<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH<br />

Auch nach <strong>de</strong>n Gesetzesmaterialien<br />

liegt <strong>de</strong>n Zulassungsbeschränkungen<br />

in §§ 164 ff.<br />

BRAO kein eigenständiges<br />

Berufsbild <strong>de</strong>s RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH<br />

zugrun<strong>de</strong>. Die Zulassung als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH ist nicht als originäre<br />

Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ausgestaltet, son<strong>de</strong>rn<br />

als bloßer Zulassungswechsel innerhalb <strong>de</strong>r – als Einheit verstan<strong>de</strong>nen<br />

– Rechtsanwaltschaft (BT-Drucks. 3/120, 110 zu<br />

§ 178). Die beson<strong>de</strong>re Stellung <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

BGH ist (nur) durch ihren Wirkungskreis bedingt; diese bleibt<br />

aber „ein Teil <strong>de</strong>r gesamten Anwaltschaft“ (BT-Drucks. 3/120,<br />

110 zu § 176).<br />

2. Gesetzliche Eingriffe in die Freiheit <strong>de</strong>r Berufsausübung sind<br />

nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie – unter<br />

Beachtung <strong>de</strong>s Gebotes <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit – durch hinreichen<strong>de</strong><br />

Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls gerechtfertigt sind (BVerfGE<br />

106, 216, 219 im Anschluss an BVerfGE 93, 362, 369 und<br />

BVerfGE 103, 1, 10). Diesen Anfor<strong>de</strong>rungen genügt das in<br />

§§ 164 ff. BRAO geregelte <strong>Aus</strong>wahlverfahren für die Zulassung<br />

zur Rechtsanwaltschaft bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH. Es gibt je<strong><strong>de</strong>m</strong> Bewerber<br />

eine faire Chance, entsprechend seiner Eignung berücksichtigt<br />

zu wer<strong>de</strong>n (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004, 1 BvR 135/00,<br />

noch nicht veröffentlicht, Rdnr. 27).<br />

a) Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls, die eine Einschränkung <strong>de</strong>r<br />

anwaltlichen Berufsausübungsfreiheit hinsichtlich <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH rechtfertigen, liegen vor. Hierzu hat das<br />

BVerfG in seiner Entscheidung vom 24.3.1982 ausgeführt, dass<br />

angesichts <strong>de</strong>r für die anwaltliche Berufsausübung verbleiben<strong>de</strong>n<br />

vielfältigen Möglichkeiten we<strong>de</strong>r RAe unverhältnismäßig<br />

beeinträchtigt wer<strong>de</strong>n, noch im Übrigen die durch Art. 12<br />

Abs. 1 GG gezogenen Grenzen <strong>de</strong>r gesetzgeberischen Regelungsbefugnis<br />

überschritten wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>r Gesetzgeber für<br />

einen speziellen Teil <strong>de</strong>r anwaltlichen Tätigkeit aus schwerwiegen<strong>de</strong>n<br />

Gemeinschaftsbelangen (Sicherung <strong>de</strong>r Leistungs- und<br />

Funktionsfähigkeit <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft beim BGH als eines<br />

wichtigen Organs <strong>de</strong>r Rechtspflege) Berufsausübungsbeschränkungen<br />

als unerlässlich betrachtet (a.a.O. unter B I 1).<br />

Diese Erwägungen haben weiterhin Gültigkeit.<br />

Die Beson<strong>de</strong>rheiten <strong>de</strong>s zivilrechtlichen<br />

Revisionsrechts stellen<br />

hohe Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s zivilrechtlichen<br />

Hohe Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH tätigen RA. Sie Revisionsrechts<br />

rechtfertigen es, nur solche<br />

Bewerber als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zuzulassen, die für diese Tätig-


192 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

keit beson<strong>de</strong>rs qualifiziert sind (Senatsbeschl. v. 28.2.1983,<br />

a.a.O. S. 136 unter II 2 b aa). Auch in seiner Entscheidung zur<br />

Verfassungsmäßigkeit <strong>de</strong>s Gebots <strong>de</strong>r Singularzulassung <strong>de</strong>r<br />

RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH (§ 171 BRAO) hat das BVerfG das überkommene<br />

Gemeinwohlinteresse an einer Stärkung <strong>de</strong>r Rechtspflege<br />

durch eine leistungsfähige und in Revisionssachen beson<strong>de</strong>rs<br />

qualifizierte Anwaltschaft als legitim anerkannt (BVerfGE 106,<br />

216, 220).<br />

b) Die gesetzliche <strong>Aus</strong>gestaltung <strong>de</strong>s <strong>Aus</strong>wahlverfahrens genügt<br />

<strong>de</strong>n verfassungsrechtlichen Anfor<strong>de</strong>rungen. Mit <strong>de</strong>n Bestimmungen<br />

in §§ 164 ff. BRAO wird nicht nur das Gemeinwohlinteresse<br />

an <strong>de</strong>r Gewinnung beson<strong>de</strong>rs qualifizierter Bewerber<br />

für die Tätigkeit als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH gewahrt, son<strong>de</strong>rn auch<br />

<strong>de</strong>r Anspruch <strong>de</strong>r Bewerber auf chancengleichen Zugang zu<br />

dieser Tätigkeit.<br />

aa) Die BRAO schreibt für die Zulassung als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH<br />

ein dreistufiges Verfahren vor.<br />

Die Entscheidung darüber, welche Bewerber <strong><strong>de</strong>m</strong> Wahlausschuss<br />

vorgeschlagen wer<strong>de</strong>n, obliegt <strong>de</strong>n RAKn (§ 166 Abs. 2<br />

BRAO) nach Maßgabe <strong>de</strong>r in § 166 Abs. 3 BRAO geregelten<br />

Zulassungsvoraussetzungen und <strong>de</strong>r persönlichen und fachlichen<br />

Eignung <strong>de</strong>r Bewerber (BT-Drucks. 3/120, 110 f. zu § 180<br />

a.E.; BGH, Beschl. v. 28.2.1983, a.a.O. S. 136 unter II 2 b aa).<br />

Das Vorschlagsrecht <strong>de</strong>r BRAK auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Vorschläge<br />

<strong>de</strong>r RAKn gewährleistet eine flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong> Einbeziehung<br />

aller geeigneten Bewerber und bietet Bewerbern aus allen<br />

RAKn die Chance, an <strong>de</strong>r Wahl teilzunehmen. Die Vorstän<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r RAKn beurteilen die Eignung eines Bewerbers aufgrund<br />

ihrer Erfahrungen hinsichtlich <strong>de</strong>ssen bisheriger anwaltlicher<br />

Tätigkeit (vgl. BGH, Beschl. v. 28.2.1983, a.a.O.). Die BRAK<br />

vergleicht darüber hinaus die Bewerber aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

RAK-Bezirken miteinan<strong>de</strong>r. Die RAK bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH schließlich<br />

bringt die beson<strong>de</strong>re Sachkun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH bereits zugelassenen<br />

RAe ein, ohne dass <strong>de</strong>ren Interessen bei <strong><strong>de</strong>m</strong> Vorschlagsrecht<br />

o<strong>de</strong>r im Wahlausschuss ein Übergewicht erlangen<br />

können (BVerfG, Beschl. v. 24.3.1982, a.a.O. unter B II 1).<br />

Die anschließen<strong>de</strong> Entscheidung darüber, welche Bewerber<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> BMJ benannt wer<strong>de</strong>n, fällt in einer Wahl, <strong>de</strong>r ebenfalls<br />

eine Prüfung <strong>de</strong>r persönlichen und fachlichen Eignung <strong>de</strong>s<br />

Bewerbers zugrun<strong>de</strong> liegt (§ 167 Abs. 1 BRAO). Im Wahlausschuss<br />

(§ 165 Abs. 1 BRAO) wirken außer <strong>de</strong>n wahlberechtigten<br />

RAen <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt und die Vorsitzen<strong>de</strong>n Richter <strong>de</strong>r Zivilsenate<br />

<strong>de</strong>s BGH mit, die insbeson<strong>de</strong>re die aus <strong>de</strong>r richterlichen<br />

Sicht zu stellen<strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen an einen zivilrechtlichen<br />

Revisionsanwalt zur Geltung bringen.<br />

Auch die abschließen<strong>de</strong> Entscheidung <strong>de</strong>s BMJ darüber, welche<br />

Bewerber aus <strong><strong>de</strong>m</strong> Kreis <strong>de</strong>r vom Wahlausschuss benannten<br />

zur Rechtsanwaltschaft bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassen wer<strong>de</strong>n,<br />

ist kein Formalakt, son<strong>de</strong>rn beruht nochmals auf einer selbstständigen<br />

Prüfung, welche <strong>de</strong>r vom Wahlausschuss benannten<br />

Bewerber für die Zulassung als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH am besten<br />

geeignet sind (Feuerich/Weyland, a.a.O., § 170 Rdnr. 5).<br />

Prinzip <strong>de</strong>r Bestenauslese<br />

erfor<strong>de</strong>rlich<br />

Dieses – auf allen drei Stufen<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Prinzip <strong>de</strong>r Bestenauslese<br />

verpflichtete – <strong>Aus</strong>wahlverfahren<br />

nach §§ 164 ff. BRAO ist<br />

geeignet und erfor<strong>de</strong>rlich, um das legitime Gemeinwohlinteresse<br />

an einer Stärkung <strong>de</strong>r Rechtspflege durch eine leistungsfähige<br />

und in Revisionssachen beson<strong>de</strong>rs qualifizierte Anwaltschaft<br />

zu verfolgen. Sachgerechte Verfahrensalternativen für die<br />

<strong>Aus</strong>wahl <strong>de</strong>r am besten qualifizierten Bewerber sind zwar vorstellbar,<br />

begrün<strong>de</strong>n aber nicht die Verfassungswidrigkeit <strong>de</strong>r<br />

gegenwärtigen Regelung.<br />

bb) Es begegnet insbeson<strong>de</strong>re keinen verfassungsrechtlichen<br />

Be<strong>de</strong>nken, dass <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>s BMJ über die Zulassung<br />

als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH eine Wahl vorausgeht. In einem <strong><strong>de</strong>m</strong>okratischen<br />

Rechtssystem kann nicht zweifelhaft sein, dass Personalentscheidungen<br />

auf <strong>de</strong>r Grundlage von Wahlen getroffen wer<strong>de</strong>n<br />

dürfen (BVerfG, Beschl. v. 24.3.1982, a.a.O. unter B I 3).<br />

Das GG sieht für die Ernennung von Berufsrichtern und ehrenamtlichen<br />

Richtern ein Wahlverfahren ausdrücklich vor (vgl.<br />

Art. 94 Abs. 1, 95 Abs. 2, 98 Abs. 4 GG). Das Wahlverfahren<br />

nach <strong>de</strong>r BRAO entspricht weitgehend <strong><strong>de</strong>m</strong> Verfahren zur<br />

Richterwahl nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Richterwahlgesetz. Der Richterwahlausschuss<br />

hat als Vorbild für <strong>de</strong>n Wahlausschuss für RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

BGH gedient (BT-Drucks. 3/120, 110 zu § 178).<br />

Die Vorschriften über die Zusammensetzung <strong>de</strong>s Wahlausschusses<br />

und über <strong>de</strong>ssen Verfahren in §§ 165 ff. BRAO verstoßen<br />

ebenfalls nicht gegen Grundrechte <strong>de</strong>s Bewerbers. Hierzu<br />

hat das BVerfG in seiner Entscheidung v. 24.3.1982 ausgeführt,<br />

dass das in § 165 Abs. 1 BRAO vorgesehene Zusammenwirken<br />

aller Kräfte, die ein berechtigtes Interesse an <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>wahl<br />

haben, Sachverstand und Objektivität bei <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>wahl am<br />

ehesten gewährleiste und auch hinlänglich geeignet erscheine,<br />

unterschiedliche Motivationen auszugleichen (a.a.O. unter B I<br />

3). Im Übrigen lasse die gesetzliche Regelung eine gerichtliche<br />

Überprüfung durch <strong>de</strong>n Anwaltssenat <strong>de</strong>s BGH zu, ob in einem<br />

konkreten Wahlverfahren <strong>de</strong>r Grundsatz <strong>de</strong>r Wahl- und Chancengleichheit<br />

(Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt wor<strong>de</strong>n sei (a.a.O.).<br />

Auch diese Erwägungen <strong>de</strong>s BVerfG, <strong>de</strong>nen die st. Rspr. <strong>de</strong>s<br />

Senats zur – nach <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Sache begrenzten – gerichtlichen<br />

Überprüfung <strong>de</strong>r im <strong>Aus</strong>wahlverfahren getroffenen Entscheidungen<br />

entspricht (Senatsbeschl. v. 28.2.1983, a.a.O.<br />

unter II 1 und 2 m.N.), sind weiterhin gültig. Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung<br />

<strong>de</strong>s Ast. verstößt es nicht gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 2<br />

GG, dass die Eignungsanfor<strong>de</strong>rungen für die Zulassung als RA<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH und die Kriterien für die <strong>Aus</strong>wahl unter mehreren<br />

geeigneten Bewerbern vom Gesetzgeber nicht im Einzelnen<br />

geregelt wor<strong>de</strong>n sind.<br />

Eine gesetzliche Normierung <strong>de</strong>r<br />

Eignungskriterien ist erfor<strong>de</strong>rlich,<br />

wenn es um <strong>de</strong>n Zugang zu<br />

einem Beruf geht (vgl. BVerfGE<br />

33, 125, 163 und 75, 295). Die<br />

Bestimmungen über die Zulassung als RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH stellen<br />

jedoch, wie dargelegt, nur eine Berufsausübungsregelung dar<br />

(BVerfG, Beschl. v. 24.3.1982, a.a.O. unter B I 1). Unter diesen<br />

Umstän<strong>de</strong>n reicht es aus, dass die gesetzlichen Vorschriften<br />

Sachverstand und Objektivität im <strong>Aus</strong>wahlverfahren durch das<br />

Zusammenwirken aller Kräfte, die ein berechtigtes Interesse an<br />

<strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>wahl haben, gewährleisten (BVerfG, a.a.O. unter B I 3).<br />

c) Auch die nicht auf die Eignung <strong>de</strong>s Bewerbers, son<strong>de</strong>rn auf<br />

<strong>de</strong>n objektiven Bedarf abstellen<strong>de</strong> Regelung in § 168 Abs. 2<br />

BRAO, nach welcher <strong>de</strong>r Wahlausschuss aus <strong>de</strong>n Vorschlagslisten<br />

die doppelte Anzahl von RAen benennt, die er für die<br />

Zulassung bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH für angemessen hält, ist nicht verfassungswidrig.<br />

Bedarfsprüfung unterliegt<br />

gerichtlicher<br />

Kontrolle<br />

Normierung <strong>de</strong>r<br />

Eignungskriterien<br />

nicht notwendig<br />

aa) Die Vorschrift <strong>de</strong>s § 168<br />

Abs. 2 BRAO verstößt nicht<br />

gegen das verfassungsrechtliche<br />

Bestimmtheitsgebot (Art. 20<br />

Abs. 3 GG). Zwar hat <strong>de</strong>r<br />

Gesetzgeber <strong><strong>de</strong>m</strong> mit <strong>de</strong>r Bedarfsprüfung beauftragten Wahlausschuss<br />

in § 168 Abs. 2 BRAO keine Vorgaben zur Bestimmung<br />

<strong>de</strong>r Anzahl zuzulassen<strong>de</strong>r RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH gemacht,<br />

son<strong>de</strong>rn hierfür <strong>de</strong>n unbestimmten Rechtsbegriff „angemessen“<br />

verwandt. Der Umstand, dass das Gesetz keine Kriterien für die<br />

Bemessung <strong>de</strong>r Neuzulassungen vorsieht, wird aber dadurch<br />

ausgeglichen, dass über die Anzahl <strong>de</strong>r Neuzulassungen <strong>de</strong>r<br />

sachkundig und gemischt zusammengesetzte Wahlausschuss


BRAK-Mitt. 4/2005 Berufsrechtliche Rechtsprechung 193<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

(§ 165 Abs. 1 BRAO) entschei<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>ssen Zusammensetzung<br />

sicherstellt, dass partikulare Motivationen und Interessen nicht<br />

zu Lasten <strong>de</strong>r Objektivität <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>wahlentscheidung gehen<br />

(BVerfG, Beschl. v. 24.3.1982, a.a.O. unter B I 1).<br />

bb) Ob die konkreten Entscheidungen <strong>de</strong>s Wahlausschusses<br />

über die jeweils erfor<strong>de</strong>rlichen Neuzulassungen zu Be<strong>de</strong>nken<br />

Anlass geben könnten, unterliegt gerichtlicher Kontrolle (vgl.<br />

BVerfG, a.a.O. unter B I 1), ist im vorliegen<strong>de</strong>n Verfahren aber<br />

nicht zu prüfen, weil <strong>de</strong>r Ast. nur die gesetzliche Regelung<br />

selbst angreift, nicht aber eine bestimmte Wahl und die dieser<br />

Wahl vorausgegangene Beschlussfassung über die Zahl <strong>de</strong>r<br />

Neuzulassungen. Es geht hier nur um die grundsätzliche Frage,<br />

ob eine Beschränkung <strong>de</strong>r Anzahl <strong>de</strong>r bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassenen<br />

RAe, wie sie in § 168 Abs. 2 BRAO geregelt ist, in verfassungsrechtlicher<br />

Hinsicht überhaupt zulässig ist. Das BVerfG<br />

hat dies in seiner Entscheidung v. 24.3.1982 bejaht, in<strong><strong>de</strong>m</strong> es<br />

die Regelung in § 168 Abs. 2 BRAO erörtert und gebilligt hat<br />

(a.a.O. unter B I 1). Die neuere Rspr. <strong>de</strong>s BVerfG rechtfertigt<br />

keine an<strong>de</strong>re Beurteilung.<br />

aaa) Die Bestimmung in § 168 Abs. 2 BRAO räumt <strong><strong>de</strong>m</strong> Wahlausschuss<br />

einen Beurteilungsspielraum bei <strong>de</strong>r Bestimmung<br />

<strong>de</strong>r angemessenen Zahl <strong>de</strong>r bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zuzulassen<strong>de</strong>n RAe<br />

ein. Deren Anzahl hat sich – ebenso wie bei <strong>de</strong>r Bedarfsprüfung<br />

für die Bestellung eines Notars (§ 4 BNotO) – nach <strong>de</strong>n<br />

Erfor<strong>de</strong>rnissen einer geordneten Rechtspflege zu richten.<br />

Bezugspunkt für die Bemessung <strong>de</strong>r Neuzulassungen ist <strong><strong>de</strong>m</strong>entsprechend<br />

<strong>de</strong>r Geschäftsanfall bei <strong>de</strong>n Zivilsenaten <strong>de</strong>s<br />

BGH. Im Hinblick darauf hat <strong>de</strong>r Wahlausschuss bei <strong>de</strong>r ihm<br />

obliegen<strong>de</strong>n Bedarfsprüfung das Bedürfnis nach einer angemessenen<br />

Versorgung <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n, die Wahrung einer<br />

geordneten Altersstruktur <strong>de</strong>r Rechtsanwaltschaft bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH<br />

und das Vorhan<strong>de</strong>nsein ausreichen<strong>de</strong>r Betätigungsmöglichkeiten<br />

für die bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassenen Anwälte zu berücksichtigen<br />

(vgl. BMJ, Vorschläge zur Neuregelung <strong>de</strong>s Rechts <strong>de</strong>r<br />

Rechtsanwaltschaft bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH, Bericht <strong>de</strong>r Kommission,<br />

1998, S. 35). Diese Kriterien – auch das zuletzt genannte – sind<br />

weiterhin sachgerecht, um das Gemeinwohlinteresse an einer<br />

leistungsfähigen und in Revisionssachen beson<strong>de</strong>rs qualifizierten<br />

Anwaltschaft (BVerfGE 106, 216, 220) zu verfolgen und<br />

auch in Zukunft beson<strong>de</strong>rs qualifizierte Bewerber als RAe bei<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zu gewinnen (Kommissionsbericht, S. 33).<br />

bbb) In seiner Entscheidung vom 31.10.2002 (BVerfGE 106,<br />

216) hat das BVerfG das Festhalten an einer eigenständigen<br />

Rechtsanwaltschaft bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH erneut gebilligt. Es hat das<br />

Gebot <strong>de</strong>r Singularzulassung <strong>de</strong>r RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH (§ 171<br />

BRAO) als weiterhin mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Verfassungsrecht, insbeson<strong>de</strong>re<br />

Art. 12 Abs. 1 GG, vereinbar angesehen (a.a.O, 222 f.). Zwar<br />

folgt daraus nicht ohne weiteres die Zulässigkeit einer zahlenmäßigen<br />

Beschränkung <strong>de</strong>r bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassenen RAe,<br />

wie sie § 168 Abs. 2 BRAO vorsieht. Bei<strong>de</strong> Regelungen hängen<br />

aber insofern sachlich eng zusammen, als das Gebot <strong>de</strong>r Singularzulassung<br />

eine zahlenmäßige Beschränkung <strong>de</strong>r ausschließlich<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassenen Rechtsanwaltschaft gera<strong>de</strong>zu<br />

for<strong>de</strong>rt. Ohne eine Bedarfsregelung (§ 168 Abs. 2 BRAO) wäre<br />

das Institut einer beson<strong>de</strong>ren Rechtsanwaltschaft, die ausschließlich<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassen ist (§ 171 BRAO) und im<br />

Wesentlichen auch nur vor diesem Gericht auftreten kann<br />

(§ 172 BRAO), nicht aufrechtzuerhalten. Die vom BVerfG als<br />

verfassungsgemäß angesehene Einheit von berufsrechtlicher<br />

Lokalisation (§§ 171, 18 BRAO), eingeschränkter Postulationsfähigkeit<br />

(§ 172 BRAO) und Kanzleisitz (§ 27 BRAO) <strong>de</strong>r RAe<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH (a.a.O., 223) setzt die fortbestehen<strong>de</strong> Zulässigkeit<br />

<strong>de</strong>r Bedarfsprüfung nach § 168 Abs. 2 BRAO voraus.<br />

Der enge sachliche Zusammenhang<br />

<strong>de</strong>r Regelungen in § 168<br />

Abs. 2 BRAO einerseits und<br />

§§ 171, 172 (sowie § 172a)<br />

BRAO an<strong>de</strong>rerseits ergibt sich<br />

daraus, dass <strong><strong>de</strong>m</strong> RA bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH die – allein ihm obliegen<strong>de</strong>n<br />

– Beschränkungen seiner Berufsausübungsfreiheit in<br />

§§ 171 ff. BRAO im Interesse <strong>de</strong>r Rechtspflege nur auferlegt<br />

wer<strong>de</strong>n können, wenn <strong><strong>de</strong>m</strong> im Wesentlichen auf die Bearbeitung<br />

zivilrechtlicher Revisionsverfahren beschränkten RA bei<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> BGH ein ausreichen<strong>de</strong>s Betätigungsfeld offen steht, das<br />

ihm auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine berufliche Existenz<br />

ermöglicht. Gera<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rs gute und qualifizierte RAe sind<br />

für eine ausschließliche Tätigkeit bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH, die von ihnen<br />

die Aufgabe ihrer bisherigen Sozietäten und ihrer bisherigen<br />

Mandate verlangt, nur zu gewinnen, wenn ihnen bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH<br />

eine ausfüllen<strong>de</strong> Beschäftigung mit ausreichen<strong><strong>de</strong>m</strong> wirtschaftlichen<br />

Ertrag geboten wird (Kommissionsbericht, S. 33).<br />

ccc) Die vom BVerfG (a.a.O., 222 f.) aufgeworfene Frage nach<br />

<strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>wirkungen <strong>de</strong>r Reform <strong>de</strong>s Zivilprozesses, insbeson<strong>de</strong>re<br />

<strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>r Nichtzulassungsbeschwer<strong>de</strong> gem.<br />

§ 544 ZPO n.F. auf das Revisionsverfahren, ist gegenwärtig<br />

dahin zu beantworten, dass das Gebot <strong>de</strong>r Singularzulassung<br />

nach § 171 BRAO – und damit auch die Bedarfsprüfung nach<br />

§ 168 Abs. 2 BRAO – weiterhin sachlich gerechtfertigt sind.<br />

Neues Revisionsrecht<br />

rechtfertigt keine<br />

Än<strong>de</strong>rung<br />

Singularzulassung im<br />

Interesse <strong>de</strong>r<br />

Rechtspflege<br />

Die Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Revisionsrechts<br />

hat nicht zu einer <strong>de</strong>rartigen<br />

Verän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Geschäftsbelastung<br />

<strong>de</strong>r Zivilsenate <strong>de</strong>s<br />

BGH geführt, dass im Hinblick<br />

auf das Interesse <strong>de</strong>r Rechtspflege eine Öffnung <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

<strong>de</strong>r RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH für eine unbegrenzte Anzahl von RAen<br />

vertretbar o<strong>de</strong>r gar geboten erscheinen ließe. Hinzu kommt,<br />

dass selbst eine Steigerung <strong>de</strong>r Rechtsmitteleingänge bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

BGH aufgrund <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Reform <strong>de</strong>s Zivilprozesses neu eingeführten<br />

Rechtsmittel – Nichtzulassungsbeschwer<strong>de</strong> und<br />

Rechtsbeschwer<strong>de</strong> – nicht ohne weiteres zu einer Steigerung<br />

<strong>de</strong>s wirtschaftlichen Ertrags <strong>de</strong>r RAe bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH führen<br />

wür<strong>de</strong>. Denn aufgrund <strong>de</strong>r streitwertunabhängigen Statthaftigkeit<br />

von zugelassenen Revisionen sowie von Rechtsbeschwer<strong>de</strong>n<br />

und – vorbehaltlich einer Gesetzesän<strong>de</strong>rung – ab 1.1.2007<br />

(§ 26 Nr. 8 EGZPO) auch von Nichtzulassungsbeschwer<strong>de</strong>n<br />

sowie aufgrund <strong>de</strong>s Umstands, dass Revisionen – an<strong>de</strong>rs als<br />

nach früherem Recht – sowie Nichtzulassungsbeschwer<strong>de</strong>n<br />

und Rechtsbeschwer<strong>de</strong>n auch gegen Rechtsmittelentscheidungen<br />

<strong>de</strong>s LG mit vergleichsweise niedrigem Streitwert statthaft<br />

sind, zeichnet sich jetzt bereits ab, dass sich die wirtschaftliche<br />

Situation <strong>de</strong>r bei <strong><strong>de</strong>m</strong> BGH zugelassenen RAe durch die<br />

Reform <strong>de</strong>s Zivilprozessrechts je<strong>de</strong>nfalls nicht verbessert hat<br />

und <strong>de</strong>shalb – im Interesse <strong>de</strong>r Rechtspflege an einer leistungsfähigen<br />

und in Revisionssachen beson<strong>de</strong>rs qualifizierten<br />

Anwaltschaft (BVerfGE 106, 216, 220) – ein Wegfall <strong>de</strong>r<br />

Beschränkung <strong>de</strong>s Zugangs zur Rechtsanwaltschaft bei <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

BGH nicht sachgerecht wäre.<br />

Anwaltsgerichtshöfe<br />

Zulassung – Wi<strong>de</strong>rruf wegen Vermögensverfalls<br />

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7<br />

*1. Die Aufgabe <strong>de</strong>r eigenen Kanzlei und die Aufnahme einer<br />

Tätigkeit als angestellter RA ist auch im Hinblick auf die Entscheidung<br />

<strong>de</strong>s BGH v. 18.10.2004 (BRAK-Mitt. 2005, 86) nicht geeignet,<br />

eine Gefährdung <strong>de</strong>r Interessen <strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n infolge<br />

eines Vermögensverfalls auszuschließen, wenn sich ein RA erst<br />

unter <strong><strong>de</strong>m</strong> Druck eines Wi<strong>de</strong>rrufsverfahrens dazu entschließt,


194 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

einen Anstellungsvertrag – unter <strong><strong>de</strong>m</strong> Vorbehalt <strong>de</strong>r „Wie<strong>de</strong>rherstellung<br />

seiner anwaltlichen Zulassung“ – abzuschließen.<br />

*2. In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt wer<strong>de</strong>n,<br />

ob ein RA seinen Beruf bisher frei von Beanstandungen ausgeführt<br />

hat.<br />

Schleswig-Holsteinischer AGH, Beschl. v. 2.5.2005 – 2 AGH 12/04<br />

(n.r.)<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Pflicht <strong>de</strong>s Sozius zur Übernahme <strong>de</strong>r Mandate eines verstorbenen<br />

Kollegen<br />

BRAO § 55<br />

*1. Bei <strong>de</strong>r Prüfung <strong>de</strong>r Voraussetzungen für die Bestellung eines<br />

Abwicklers ist es zwar grundsätzlich unerheblich, ob <strong>de</strong>r verstorbene<br />

RA alleine praktiziert hat o<strong>de</strong>r im Rahmen einer Sozietät<br />

tätig war. Allerdings kommt diesem Umstand eine maßgebliche<br />

Be<strong>de</strong>utung bei <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>übung <strong>de</strong>s Ermessens zu. Bei <strong>de</strong>r Kanzlei<br />

eines Einzelanwalts dürfte die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Bestellung eines<br />

Abwicklers die Regel, bei einem Mitglied einer Sozietät die <strong>Aus</strong>nahme<br />

sein, da im letzteren Fall die Mandate durch die an<strong>de</strong>ren<br />

Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r betreut wer<strong>de</strong>n können.<br />

*2. Es kommt nicht darauf an, ob ein Sozius persönlich in <strong>de</strong>r Lage<br />

ist, die nun für ihn zusätzlich anfallen<strong>de</strong> Arbeit alleine zu bewältigen.<br />

Soweit dadurch eine persönliche Überlastung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r eintritt, können sie durch Einstellung zusätzlicher<br />

RAe Abhilfe schaffen.<br />

*3. Die zwischen einem Sozius und <strong>de</strong>n Erben <strong>de</strong>s verstorbenen<br />

RA bestehen<strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>einan<strong>de</strong>rsetzungsprobleme wer<strong>de</strong>n auch<br />

durch die Bestellung eines Abwicklers nicht zwangsläufig gelöst.<br />

Die alleinige Bestellung zu diesem Zweck entspricht je<strong>de</strong>nfalls<br />

nicht <strong>de</strong>n gesetzlichen Intentionen.<br />

Bayerischer AGH, Beschl. v. 28.4.2005 – BayAGH I – 4/05 (n.r.)<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. 1. Der Ast. betrieb zusammen mit <strong><strong>de</strong>m</strong> am 12.1.2005 verstorbenen<br />

RA ... eine RA-Kanzlei in <strong>de</strong>r Rechtsform einer GbR. Ein<br />

schriftlicher Gesellschaftsvertrag wur<strong>de</strong> nicht vereinbart, insbeson<strong>de</strong>re<br />

eine Regelung <strong>de</strong>r Rechtsnachfolge ist nicht erfolgt.<br />

Die Erbin <strong>de</strong>s Verstorbenen ist nicht als RAin zugelassen, eine<br />

Liquidation <strong>de</strong>r GbR ist noch nicht erfolgt. Im Rahmen eines<br />

zwischen <strong>de</strong>r Erbin <strong>de</strong>s Verstorbenen und <strong><strong>de</strong>m</strong> Ast. vor <strong><strong>de</strong>m</strong> LG<br />

... durchgeführten einstweiligen Verfügungsverfahrens (...)<br />

einigten sich die Parteien mit Prozessvergleich v. 10.2.2005<br />

u.a. darauf, dass zur Abwicklung <strong>de</strong>r Sozietät ein Abwickler<br />

gem. § 55 BRAO durch die Lan<strong>de</strong>sjustizverwaltung bestellt<br />

wer<strong>de</strong>n soll.<br />

2. Die Agin. hat mit Schreiben v. 21.2.2005 die Bestellung<br />

eines Abwicklers abgelehnt und hat dies damit begrün<strong>de</strong>t, dass<br />

we<strong>de</strong>r die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorlägen, noch<br />

eine Notwendigkeit hierfür bestehe. Die Agin. hat zugleich die<br />

Durchführung einer Vermittlung nach § 73 Abs. 2 Ziff. 3 BRAO<br />

o<strong>de</strong>r eines Schlichtungsverfahrens nach <strong>de</strong>r Schiedsgutachtenund<br />

Schlichtungsordnung <strong>de</strong>r RAK ... angeboten.<br />

3. Gegen diese ablehnen<strong>de</strong> Entscheidung <strong>de</strong>r RAK wen<strong>de</strong>t sich<br />

<strong>de</strong>r Ast. mit seinem Schriftsatz v. 23.2.2005 und begehrt weiterhin<br />

die Bestellung eines Abwicklers sowie <strong>de</strong>n Erlass einer<br />

einstweiligen Anordnung dahingehend, dass für die Dauer von<br />

vorläufig zwei Monaten ein Abwickler bestellt wird. Zur<br />

Begründung führt er im Wesentlichen an, er sei zu einer<br />

Abwicklung im Wege <strong>de</strong>r Notgeschäftsführung nicht in <strong>de</strong>r<br />

Lage, ohne dass Mandate in Mitlei<strong>de</strong>nschaft gezogen wer<strong>de</strong>n,<br />

zumal die Erbin <strong>de</strong>s Verstorbenen auch bereits Konten <strong>de</strong>r<br />

BGB-Gesellschaft gesperrt habe und <strong>de</strong>r Ast. wegen <strong>de</strong>r Überlastung<br />

bereits ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen musste.<br />

4. Die Agin wi<strong>de</strong>rsetzt sich <strong>de</strong>r begehrten Bestellung eines<br />

Abwicklers. Sie ist <strong>de</strong>r Ansicht, <strong>de</strong>r Ast. könne als Notgeschäftsführer<br />

<strong>de</strong>r BGB-Gesellschaft in Liquidation alle Mandate bearbeiten,<br />

einer etwaigen Überlastung könne durch die Einstellung<br />

weiterer Anwälte begegnet wer<strong>de</strong>n.<br />

5. Wegen <strong>de</strong>s weiteren Sach- und Streitstan<strong>de</strong>s wird auf die<br />

Schriftsätze <strong>de</strong>s Ast. v. 23.2.2005 und v. 7.3.2005 sowie <strong>de</strong>n<br />

Schriftsatz <strong>de</strong>r Agin. v. 21.4.2005 Bezug genommen.<br />

II. 1. Der Erlass einstweiliger Anordnungen ist gem. §§ 223, 40<br />

Abs. 3 BRAO, 24 Abs. 3 FGG grundsätzlich zulässig.<br />

Allerdings ist fraglich, ob dies mit <strong><strong>de</strong>m</strong> hier zur Entscheidung<br />

anstehen<strong>de</strong>n <strong>Inhalt</strong> geschehen kann, da das Gericht grundsätzlich<br />

nur Anordnungen hinsichtlich <strong>de</strong>r bereits eingetretenen<br />

Wirkungen erlassen, nicht aber erst auf diesem Wege Verfügungen<br />

erst Wirksamkeit verschaffen kann (vgl. Feuerich/Weyland,<br />

BRAO, § 40 Rdnr. 61). Eine nur vorläufige Bestellung<br />

eines Abwicklers ist mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Amt <strong>de</strong>s Abwicklers schwerlich<br />

vereinbar, zumal auch das Gesetz selbst keinen nur vorläufigen<br />

Abwickler kennt. Schließlich wür<strong>de</strong> die Anordnung <strong>de</strong>r Bestellung<br />

(zumin<strong>de</strong>st teilweise) zu einer Vorwegnahme <strong>de</strong>r Hauptsache<br />

führen. Darauf kommt es aber letztlich nicht mehr an,<br />

nach<strong><strong>de</strong>m</strong> schon <strong>de</strong>r Anordnungsanspruch aus <strong>de</strong>n nachfolgen<strong>de</strong>n<br />

Grün<strong>de</strong>n nicht besteht.<br />

2. Der Ast. ist durch die Entscheidung <strong>de</strong>r Agin., keinen<br />

Abwickler gem. § 55 BRAO zu bestellen, nicht in seinen Rechten<br />

beeinträchtigt (§ 223 Abs. 1 BRAO), da sich die Entscheidung<br />

nicht als rechtswidrig erweist.<br />

Pflichtgemäßes<br />

Ermessen <strong>de</strong>r RAK<br />

Die Bestellung eines Abwicklers<br />

ist gem. § 55 Abs. 1 BRAO für<br />

<strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s eines RA vorgesehen,<br />

wobei <strong>de</strong>r zuständigen<br />

RAK (§ 224a BRAO) ein pflichtgemäßes Ermessen („kann“) eingeräumt<br />

ist (Feuerich/Weyland, BRAO, § 55 Rdnr. 5). Die Maßnahme<br />

hat Fürsorgecharakter und dient in erster Linie <strong>de</strong>n Interessen<br />

<strong>de</strong>r Rechtsuchen<strong>de</strong>n und <strong><strong>de</strong>m</strong> Interesse an <strong>de</strong>r Sicherheit<br />

<strong>de</strong>s Rechtsverkehrs. Die Mandanten <strong>de</strong>s verstorbenen RA<br />

haben ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Rechtsstreitigkeiten<br />

möglichst ohne Zeitverlust und Mehrkosten abgewickelt<br />

wer<strong>de</strong>n, gleichzeitig wird aber auch <strong>de</strong>n Erben <strong>de</strong>s Verstorbenen<br />

die Möglichkeit eröffnet, die Praxis zu verwerten (Feuerich/<br />

Weyland, BRAO, § 55 Rdnr. 2).<br />

Bei <strong>de</strong>r Prüfung <strong>de</strong>r Voraussetzungen für die Bestellung eines<br />

Abwicklers ist es zwar grundsätzlich unerheblich, ob <strong>de</strong>r verstorbene<br />

RA alleine praktiziert hat o<strong>de</strong>r im Rahmen einer Sozietät<br />

o<strong>de</strong>r Bürogemeinschaft. Allerdings kommt diesem<br />

Umstand eine maßgebliche Be<strong>de</strong>utung bei <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>übung <strong>de</strong>s<br />

Ermessens zu. Bei <strong>de</strong>r Kanzlei eines Einzelanwalts dürfte die<br />

Notwendigkeit <strong>de</strong>r Bestellung eines Abwicklers die Regel, bei<br />

einem Mitglied einer Sozietät eher die <strong>Aus</strong>nahme sein, da im<br />

letzteren Fall die Mandate durch die an<strong>de</strong>ren Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r<br />

betreut wer<strong>de</strong>n können. So liegt <strong>de</strong>r Fall aber hier.<br />

Der Ast. ist als Mitgesellschafter <strong>de</strong>s Verstorbenen grundsätzlich<br />

in <strong>de</strong>r Lage, die bislang vom Verstorbenen betreuten Mandate<br />

nur selbst fortzuführen, zumal die Mandate – soweit<br />

ersichtlich – auch alle <strong>de</strong>r Sozietät erteilt waren. Insoweit<br />

kommt es auch nicht darauf an, ob <strong>de</strong>r Ast. persönlich in <strong>de</strong>r<br />

Lage ist, die nun für ihn zusätzlich anfallen<strong>de</strong> Arbeit allein zu<br />

bewältigen.<br />

Persönliche Überlastung<br />

unerheblich<br />

Soweit – wie dies eher regelmäßig<br />

<strong>de</strong>r Fall sein dürfte – dadurch<br />

eine persönliche Überlastung <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren Sozietätsmitglie<strong>de</strong>r eintritt,<br />

können sie durch Einstellung zusätzlicher RAe Abhilfe<br />

schaffen.


BRAK-Mitt. 4/2005 Berufsrechtliche Rechtsprechung 195<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Es ergibt sich auch keine an<strong>de</strong>re Beurteilung aus <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Umstand, dass <strong>de</strong>r Ast. alleiniger Mitgesellschafter <strong>de</strong>s Verstorbenen<br />

war. Konsequenz dieser Tatsache ist lediglich, dass die<br />

Gesellschaft sich damit in Liquidation befin<strong>de</strong>t (§ 727 BGB)<br />

und <strong>de</strong>r Ast., <strong>de</strong>ssen Geschäftsführungsbefugnis bis zur Beendigung<br />

fortbesteht (§§ 729, 720 BGB), die erfor<strong>de</strong>rlichen Maßnahmen<br />

ergreifen und insbeson<strong>de</strong>re auch zusätzliche RAe für<br />

die Bearbeitung <strong>de</strong>r Mandate <strong>de</strong>s Verstorbenen einstellen kann.<br />

Die zwischen <strong><strong>de</strong>m</strong> Ast. und <strong>de</strong>r Erbin <strong>de</strong>s verstorbenen Mitgesellschafters<br />

bestehen<strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>einan<strong>de</strong>rsetzungsprobleme wer<strong>de</strong>n<br />

durch die Bestellung eines Abwicklers nicht zwangsläufig<br />

gelöst. Die Bestellung zu diesem Zweck entspricht auch <strong>de</strong>n<br />

gesetzlichen Intentionen.<br />

Vor diesem Hintergrund ist die Ermessensentscheidung <strong>de</strong>r<br />

Agin. rechtlich nicht zu beanstan<strong>de</strong>n, so dass <strong>de</strong>r Antrag auf<br />

gerichtliche Entscheidung – über <strong>de</strong>n noch endgültig zu entschei<strong>de</strong>n<br />

sein wird, falls keine das Verfahren been<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Erklärung<br />

abgegeben wird – keine <strong>Aus</strong>sicht auf Erfolg hat.<br />

Somit erweist sich auch <strong>de</strong>r Antrag auf Erlass einer einstweiligen<br />

Anordnung als unbegrün<strong>de</strong>t.<br />

Verstoß gegen das Verbot wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen<br />

BRAO § 43a Abs. 4; BORA § 3 Abs. 2<br />

*1. Die Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG, mit <strong><strong>de</strong>m</strong> es § 3 Abs. 2 BORA für<br />

mit Art. 12 GG unvereinbar und nichtig erklärt hat (BRAK-Mitt.<br />

2003, 231), steht einer Sanktionierung von zwei in einer Kanzlei<br />

verbun<strong>de</strong>nen RAen, die Mandanten in ihren gegenläufigen Interessen<br />

vertreten, auch dann nicht entgegen, wenn sich diese hiermit<br />

ausdrücklich einverstan<strong>de</strong>n erklärt haben.<br />

*2. Zwar bezieht sich § 43a Abs. 4 BRAO nach seinem Wortlaut<br />

nur auf <strong>de</strong>n Einzelanwalt, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>rselben Sache Parteien mit<br />

gegenläufigen Interessen vertritt. Eine am Zweck dieser Regelung<br />

orientierte <strong>Aus</strong>legung ergibt allerdings, dass auch in einer Kanzlei<br />

verbun<strong>de</strong>ne RAe diesem Verbot unterliegen, wenn im konkreten<br />

Einzelfall ein Interessenkonflikt besteht.<br />

*3. Es liegt auf <strong>de</strong>r Hand, dass insbeson<strong>de</strong>re wegen <strong>de</strong>r wirtschaftlichen<br />

Abhängigkeit schwerwiegen<strong>de</strong> Interessenkonflikte auftreten<br />

können, wenn ein Kanzleiinhaber und ein bei diesem angestellter<br />

RA wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong> Mandate vertreten. Aber auch in<br />

Sozietäten sind Interessenkonflikte möglich, weil die Gefahr<br />

besteht, dass ein Mandat als das für die Kanzlei wertvollere angesehen<br />

wird o<strong>de</strong>r durch Organisationsmaßnahmen nicht hinreichend<br />

dafür Sorge getragen wer<strong>de</strong>n kann, dass <strong><strong>de</strong>m</strong> „gegnerischen<br />

RA“ nicht versehentlich für ihn nicht bestimmte Informationen<br />

zufließen.<br />

Bayerischer AGH, Beschl. v. 6.4.2005 – BayAGH I – 31/04<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

1. Die Astin. begehrt gerichtliche Entscheidung über die Einleitung<br />

eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft<br />

bei <strong><strong>de</strong>m</strong> OLG ... gegen die RAe ... und ...<br />

Die Astin. hat auf Beschwer<strong>de</strong> <strong>de</strong>s mittlerweile verstorbenen<br />

Vorsitzen<strong>de</strong>n Richters am OLG ... ein Beschwer<strong>de</strong>verfahren<br />

gegen die bei<strong>de</strong>n vorgenannten RAe eingeleitet. Diesem lag<br />

folgen<strong>de</strong>r Vorwurf zu Grun<strong>de</strong>:<br />

RA ... hatte in <strong>de</strong>n vergangenen Jahren zunächst in einem Strafverfahren<br />

Herrn ..., <strong><strong>de</strong>m</strong> Untreue u.a. zu Lasten seines früheren<br />

Vertragspartners gelegt wur<strong>de</strong>, vertreten. Er hatte <strong>de</strong>ssen Vertretung<br />

auch bei einer zivilrechtlichen Scha<strong>de</strong>nsersatzklage, die<br />

<strong>de</strong>r Geschädigte ... vertreten durch RA ..., gegen Herrn ...<br />

führte, inne. Herr ... wur<strong>de</strong> erstinstanzlich durch das LG ... zu<br />

Scha<strong>de</strong>nsersatz in Höhe von 16.200,00 Euro verurteilt. Gegen<br />

dieses Urteil legten bei<strong>de</strong> Parteien Berufung zum OLG ... ein.<br />

RA ... been<strong>de</strong>te im Folgen<strong>de</strong>n seine Tätigkeit als RA wegen<br />

Krankheit.<br />

Der Astin. liegen nach ihren Angaben aus verschie<strong>de</strong>nen<br />

Beschwer<strong>de</strong>verfahren Kenntnisse darüber vor, dass Herr RA ...<br />

die Kanzlei von RA ... übernommen hat, zumin<strong>de</strong>st aber einen<br />

wesentlichen Teil <strong>de</strong>r Akten dieser Kanzlei und <strong>de</strong>ren zu<br />

Grun<strong>de</strong> liegen<strong>de</strong>n Mandate und For<strong>de</strong>rungen.<br />

In <strong><strong>de</strong>m</strong> Berufungsverfahren vor <strong><strong>de</strong>m</strong> OLG ... zeigte sich als<br />

neuer anwaltlicher Vertreter an Stelle von RA ... RA ... an. Dieser<br />

ist nach Kenntnissen <strong>de</strong>r Astin. in <strong>de</strong>r Kanzlei <strong>de</strong>s RA ...<br />

tätig, wird jedoch auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Kanzleibriefkopf nicht aufgeführt.<br />

Im Berufungsverfahren vor <strong><strong>de</strong>m</strong> OLG ... nahm RA ... für <strong>de</strong>n<br />

Kl., ..., die Klage zurück. Der Bekl., ..., gab im Gegenzug die<br />

Erklärung ab, für <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n aufzukommen, wenn dieser sich<br />

nicht an<strong>de</strong>rweitig realisieren lasse. Der Kl. übernahm die<br />

wesentlichen Kosten <strong>de</strong>s Verfahrens. Im Anschluss an <strong>de</strong>n Vergleich<br />

legte RA ... sein Mandat nie<strong>de</strong>r.<br />

In <strong><strong>de</strong>m</strong> auf Veranlassung <strong>de</strong>s Vorsitzen<strong>de</strong>n Richters am OLG ...<br />

unter Hinweis auf § 3 Abs. 2 BORA eingeleiteten Beschwer<strong>de</strong>verfahren<br />

beriefen sich die RAe ... und ... in erster Linie auf die<br />

Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG v. 3.7.2003, wonach § 3 Abs. 2<br />

BORA mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Grundgesetz unvereinbar und <strong>de</strong>shalb nichtig<br />

sei. Sie behaupteten ferner, die Verfahrensweise sei bereits vor<br />

Aufnahme <strong>de</strong>s Mandats ... durch RA ... mit RA ... abgesprochen<br />

gewesen. Im Übrigen seien bei<strong>de</strong> Mandanten ... und ... mit dieser<br />

Verfahrensweise einverstan<strong>de</strong>n gewesen.<br />

Die Astin. hat ihre Akten <strong>de</strong>r Agin. aufgrund Beschlusses ihres<br />

Vorstan<strong>de</strong>s v. 26.6.2003 mit Schreiben vom gleichen Tag vorgelegt<br />

und die Einleitung eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens<br />

beantragt. Die Agin. hat mit Verfügung v. 8.9.2004 die Einleitung<br />

eines stan<strong>de</strong>srechtlichen Ermittlungsverfahrens abgelehnt,<br />

da ein schuldhaftes stan<strong>de</strong>swidriges Verhalten nicht nachweisbar<br />

sei.<br />

Gegen diesen Bescheid richtet sich <strong>de</strong>r Antrag auf gerichtliche<br />

Entscheidung gem. § 122 Abs. 2 BRAO v. 11.10.2004, eingegangen<br />

beim Bayerischen AGH am 12.10.2004.<br />

Die Astin. ist <strong>de</strong>r Meinung, dass die Agin. bei ihrer Entscheidung<br />

sowohl die rechtlichen Gegebenheiten anwaltlichen<br />

Berufsrechts, insbeson<strong>de</strong>re die rechtlichen <strong>Inhalt</strong>e <strong>de</strong>s § 43a<br />

BRAO, als auch die Rechtsfolgen <strong>de</strong>s Urteils <strong>de</strong>s BVerfG v.<br />

3.7.2003 – 1 BvR 238/01 – verkannt habe.<br />

Die Agin. vertrete erkennbar die Auffassung, dass aufgrund <strong>de</strong>s<br />

Urteils <strong>de</strong>s BVerfG RAe, die sich zur Berufsausübung verbun<strong>de</strong>n<br />

haben, sich generell nicht mehr berufswidrig dadurch verhielten,<br />

dass sie zwei Verfahrensgegner eines einzigen (kontradiktorischen)<br />

Verfahrens wechselseitig vertreten, wenn diese<br />

sich mit <strong>de</strong>r Erklärung verteidigten, die Mandantschaft habe<br />

diese Konstellation erkannt und sei damit einverstan<strong>de</strong>n.<br />

Diese Meinung sei unzutreffend. Das BVerfG habe zwar die<br />

Vorschrift <strong>de</strong>s § 3 Abs. 2 BRAO für nichtig erklärt, zugleich<br />

jedoch klargestellt, dass weiterhin im Einzelfall zu prüfen sei,<br />

ob die Vertretung streitiger Mandate innerhalb einer Kanzlei<br />

mit § 43a Abs. 4 BRAO vereinbar sei.<br />

Der Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG habe ein Fall zu Grun<strong>de</strong> gelegen,<br />

in <strong><strong>de</strong>m</strong> es zu keiner tatsächlichen kollidieren<strong>de</strong>n Interessenvertretung<br />

gekommen sei. Die gleichzeitige Vertretung auch <strong>de</strong>s<br />

Gegners innerhalb einer Sozietät in <strong>de</strong>rselben Rechtssache<br />

stelle einen viel stärkeren Eingriff in die Sicherheit und Funk-


196 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

tion <strong>de</strong>r Rechtspflege dar. Bei dieser Konstellation bestehe die<br />

greifbare Gefahr von Absprachen zu Lasten <strong>de</strong>s Mandanten<br />

sowie von Verschwiegenheitsverletzung, von Vertrauensbruch<br />

o<strong>de</strong>r von Konflikten zwischen <strong><strong>de</strong>m</strong> Anwalt als Arbeitgeber und<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> an<strong>de</strong>ren Anwalt als Arbeitnehmer zu Lasten eines <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n<br />

Mandanten.<br />

Eine <strong>de</strong>rartige Konstellation müsse daher stets zu einer konkreten<br />

Vertretung wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen führen. Mit einer solchen<br />

könne sich <strong>de</strong>r Mandant auch nicht einverstan<strong>de</strong>n erklären,<br />

da eine solche Beschädigung <strong>de</strong>r Rechtspflege nicht zu seiner<br />

Disposition stehen könne.<br />

Eine Vertretung wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen sei im vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Fall evi<strong>de</strong>nt. Der in erster Instanz teilweise obsiegen<strong>de</strong> Kl. habe<br />

durch einen Vergleich erkennbar grundlos und im Ergebnis<br />

ohne Gegenleistung einen vorläufig vollstreckbaren Titel aufgegeben,<br />

obwohl seine <strong>Aus</strong>sichten, diesen Titel auch in <strong>de</strong>r Berufungsinstanz<br />

behalten zu können, über<strong>de</strong>utlich gewesen seien.<br />

Die Astin. beantragt daher, die Agin. zu verpflichten, unter Aufhebung<br />

ihrer Verfügung v. 8.9.2004 – AZ: EV 35/04 – das<br />

anwaltsgerichtliche Verfahren gegen die Beschwer<strong>de</strong>gegner<br />

einzuleiten.<br />

Die Agin. beantragt, <strong>de</strong>n Antrag als unzulässig, vorsorglich als<br />

unbegrün<strong>de</strong>t zu verwerfen.<br />

Die Agin. hält <strong>de</strong>n Antrag für unzulässig, weil er <strong>de</strong>n inhaltlichen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s § 122 Abs. 2 Satz 1 BRAO nicht<br />

gerecht wer<strong>de</strong>. Der Gang <strong>de</strong>s Verfahrens, <strong>de</strong>r <strong>Inhalt</strong> <strong>de</strong>r angegriffenen<br />

Verfügung und die Grün<strong>de</strong> für <strong>de</strong>ren behauptete<br />

Unrichtigkeit wür<strong>de</strong>n nicht geschil<strong>de</strong>rt. Die Bezugnahme auf<br />

beizuziehen<strong>de</strong> Akten genüge zur Darlegung <strong>de</strong>s Gangs <strong>de</strong>s<br />

Ermittlungsverfahrens nicht.<br />

Der Antrag enthalte ferner keine Angaben zum Datum <strong>de</strong>s<br />

Zugangs <strong>de</strong>r Ablehnungsverfügung bei <strong>de</strong>r Astin. Da auch aus<br />

an<strong>de</strong>ren Angaben <strong>de</strong>r Antragsschrift nicht auf diesen Zeitpunkt<br />

geschlossen wer<strong>de</strong>n könne, könne schon nicht festgestellt wer<strong>de</strong>n,<br />

ob die Astin. die Frist <strong>de</strong>s § 122 Abs. 2 Satz 1 BRAO eingehalten<br />

habe.<br />

Der Antrag sei im Übrigen aus <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Verfügung v.<br />

8.9.2004 genannten Grün<strong>de</strong>n auch unbegrün<strong>de</strong>t.<br />

Die Astin. trägt ergänzend vor, dass nach ihrer Auffassung die<br />

Rspr. zu § 172 StPO auf § 122 BRAO nicht übertragen wer<strong>de</strong>n<br />

könne, da unterschiedliche Zwecke verfolgt wür<strong>de</strong>n. Sie habe<br />

die formellen Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s § 122 Abs. 2 Satz 2 BRAO in<br />

ihrem Antrag erfüllt und eine aus sich heraus verständliche<br />

Sachdarstellung abgegeben.<br />

Die Verfügung <strong>de</strong>r Agin. sei bei ihr am 13.9.2004 eingegangen.<br />

Beigezogen ist die Ermittlungsakte – EV 35/04 – <strong>de</strong>r Agin.<br />

Zum weiteren Sachvortrag wird auf die eingereichten Schriftsätze<br />

Bezug genommen.<br />

II. Der gem. § 122 Abs. 2 Satz 1 BRAO statthafte Antrag auf<br />

gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.<br />

Nach § 122 Abs. 2 Satz 2 BRAO muss <strong>de</strong>r Antrag die Tatsachen,<br />

welche die Einleitung <strong>de</strong>s anwaltsgerichtlichen Verfahrens<br />

begrün<strong>de</strong>n sollen, und die Beweismittel angeben.<br />

Zwar fin<strong>de</strong>t gem. § 122 Abs. 5 BRAO die Vorschrift <strong>de</strong>s § 172<br />

StPO keine Anwendung, weil das Antragsrecht nur <strong>de</strong>r RAK,<br />

nicht aber <strong><strong>de</strong>m</strong> betroffenen Mandanten zustehen soll. Die<br />

inhaltlichen Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s § 122 BRAO an <strong>de</strong>n Antrag<br />

<strong>de</strong>cken sich aber mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>s § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO. Entsprechend<br />

dieser Vorschrift ist daher eine verständliche Schil<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s Sachverhalts mit <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>s Ermittlungsverfahrens<br />

in seinen Grundzügen und schlüssigen <strong>Aus</strong>führungen,<br />

warum die Entscheidung <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft zu beanstan<strong>de</strong>n<br />

ist, notwendig (Henssler/Prütting – Dittmann, BRAO,<br />

2. Aufl., § 122 Rdnr. 6; Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl., § 122<br />

Rdnr. 2).<br />

Durch die Formanfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n Antrag soll das zur Entscheidung<br />

berufene Gericht in die Lage versetzt wer<strong>de</strong>n, ohne<br />

Rückgriff auf die Ermittlungsakten und Eingaben eine Schlüssigkeitsprüfung<br />

vorzunehmen (Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl.,<br />

§ 172 Rdnr. 27, m.w.N.). Der Zweck <strong>de</strong>r Formvorschriften in<br />

§ 172 Abs. 3 StPO und in § 122 Abs. 2 BRAO, nämlich eine<br />

Entlastung <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Überprüfung befassten Gerichte, weicht<br />

entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Astin. nicht voneinan<strong>de</strong>r ab (vgl.<br />

Henssler/Prütting – Dittmann, BRAO, 2. Aufl., § 122 Rdnr. 6).<br />

Diesen Anfor<strong>de</strong>rungen wird <strong>de</strong>r Antrag <strong>de</strong>r Astin. v.<br />

11.10.2004 nicht gerecht.<br />

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gem. § 122 Abs. 2<br />

Satz 1 BRAO nur zulässig, wenn er innerhalb eines Monats<br />

nach <strong>de</strong>r Bekanntmachung <strong>de</strong>r Entscheidung <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft<br />

beim AGH eingegangen ist. Um die Zulässigkeit <strong>de</strong>s<br />

Antrags beurteilen zu können, ist es daher erfor<strong>de</strong>rlich, dass die<br />

Astin. angibt, wann ihr <strong>de</strong>r Einstellungsbescheid <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft<br />

bekannt gemacht wor<strong>de</strong>n ist (Meyer-Goßner, a.a.O.;<br />

BVerfG, NJW 1993, 382). Einer genauen Angabe <strong>de</strong>s Eingangsdatums<br />

bedarf es lediglich dann nicht, wenn die Fristwahrung<br />

offensichtlich ist. Ein solcher Fall liegt hier in<strong>de</strong>s nicht vor. Der<br />

Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen <strong>de</strong>n Bescheid <strong>de</strong>r<br />

Agin. v. 8.9.2004 ist erst am 12.10.2004 beim AGH eingegangen.<br />

Die Monatsfrist <strong>de</strong>s § 122 Abs. 2 Satz 1 BRAO wäre daher<br />

nur dann eingehalten, wenn <strong>de</strong>r Einstellungsbescheid <strong>de</strong>r<br />

Astin. erst am 12.9.2004 o<strong>de</strong>r später zugegangen ist.<br />

Zwar hat die Astin. in ihrem nachgereichten Schriftsatz v.<br />

22.3.2005 mitgeteilt, dass ihr <strong>de</strong>r Bescheid <strong>de</strong>r Agin. am<br />

13.9.2004 zugegangen ist. Diese Ergänzung ist aber erhebliche<br />

Zeit nach Ablauf <strong>de</strong>r Frist <strong>de</strong>s § 122 Abs. 2 BRAO erfolgt und<br />

kann daher <strong>de</strong>n vorhan<strong>de</strong>nen Formmangel nicht heilen.<br />

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung erfüllt die inhaltlichen<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen gem. § 122 Abs. 2 BRAO auch insoweit<br />

nicht, als ihm nicht zu entnehmen ist, wann das beanstan<strong>de</strong>te<br />

Verhalten <strong>de</strong>r RAe ... und ..., nämlich die Vertretung <strong>de</strong>s Kl. ...,<br />

stattgefun<strong>de</strong>n hat. Eine solche Angabe ist schon <strong>de</strong>shalb erfor<strong>de</strong>rlich,<br />

um feststellen zu können, ob eine Verfolgungsverjährung<br />

gem. § 115 BRAO eingetreten ist. Auch aus <strong>de</strong>n sonstigen<br />

Angaben <strong>de</strong>r Astin. in ihrem Antrag lassen sich Schlüsse darauf,<br />

dass eine Verfolgungsverjährung von vornherein auszuschließen<br />

ist, nicht ziehen.<br />

Offen bleiben kann, ob <strong>de</strong>s Weiteren <strong>de</strong>r Verlauf <strong>de</strong>s Ermittlungsverfahrens<br />

und <strong>de</strong>r <strong>Inhalt</strong> <strong>de</strong>r Einstellungsverfügung ausreichend<br />

wie<strong>de</strong>rgegeben sind.<br />

Ungeachtet <strong>de</strong>r Unzulässigkeit <strong>de</strong>s Antrags sieht sich <strong>de</strong>r Senat<br />

veranlasst, in inhaltlicher Hinsicht Folgen<strong>de</strong>s anzumerken:<br />

Entsprechend <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Astin. erscheint zweifelhaft,<br />

ob ein Verstoß gegen § 43a Abs. 4 BRAO verneint wer<strong>de</strong>n<br />

kann, wenn sich die betroffenen Mandanten mit einer Vertretung<br />

ihrer gegenläufigen Interessen durch Anwälte einer Kanzlei<br />

einverstan<strong>de</strong>n erklärt haben.<br />

Nach Ansicht <strong>de</strong>s Senats steht die Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG v.<br />

3.7.2003 (BVerfG, NJW 2003, 2520 ff.) in Fällen dieser Art<br />

einer Sanktionierung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot,<br />

wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong> Interessen wahrzunehmen, nicht grundsätzlich<br />

entgegen.


BRAK-Mitt. 4/2005 Berufsrechtliche Rechtsprechung 197<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

§ 43a IV BRAO gilt<br />

auch für<br />

Zusammenschlüsse<br />

Zwar bezieht sich § 43a Abs. 4<br />

BRAO nach seinem Wortlaut nur<br />

auf <strong>de</strong>n Einzelanwalt, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>rselben<br />

Sache Parteien mit gegenläufigen<br />

Interessen vertritt. Eine<br />

am Zweck dieser Regelung orientierte <strong>Aus</strong>legung ergibt allerdings,<br />

dass auch in einer Kanzlei verbun<strong>de</strong>ne RAe diesem Verbot<br />

unterliegen, wenn im konkreten Einzelfall ein Interessenkonflikt<br />

besteht.<br />

Der genannten Entscheidung <strong>de</strong>s BVerfG lagen <strong><strong>de</strong>m</strong>gegenüber<br />

Fälle zugrun<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>nen es tatsächlich nicht zu Interessenkonflikten<br />

kommen konnte. Es ging dabei um die Kanzleiwechsel<br />

von RAen, die mit <strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>n Mandaten<br />

we<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r bisherigen Kanzlei noch in <strong>de</strong>r neuen Kanzlei<br />

befasst waren. Für diesen Fall hat das BVerfG festgestellt, dass<br />

die an § 3 Abs. 2 BORA ausgerichtete <strong>Aus</strong>legung von § 43a<br />

BRAO die Freiheit <strong>de</strong>r Berufsausübung unzulässig einschränkt.<br />

Es hat jedoch ausdrücklich offen gelassen, welche<br />

Folgerungen zu ziehen wären, wenn <strong>de</strong>r die Sozietät wechseln<strong>de</strong><br />

RA das „wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>“ Mandat selbst betreut, es gar<br />

in die aufnehmen<strong>de</strong> Kanzlei einbringt (BVerfG, NJW 2003,<br />

2520, 2521).<br />

Hier liegt ein Fall vor, in <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

zwei in einer Kanzlei tätige<br />

Anwälte in einem kontradiktorischen<br />

Verfahren gegnerische Parteien<br />

vertreten haben. Allein <strong>de</strong>r<br />

Umstand, dass sich die Verfahrensgegner damit einverstan<strong>de</strong>n<br />

erklärt haben, dass ihre wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>n Interessen von diesen<br />

in einer Kanzlei verbun<strong>de</strong>nen Anwälten vertreten wer<strong>de</strong>n, hat<br />

nicht zur Folge, dass ein Verstoß gegen § 43a BRAO von vornherein<br />

nicht in Betracht käme.<br />

§ 43a Abs. 4 BRAO gebietet vielmehr eine <strong><strong>de</strong>m</strong> Einzelfall<br />

gerecht wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Abwägung aller Belange unter beson<strong>de</strong>rer<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>r konkreten Mandanteninteressen (BVerfG,<br />

NJW 2003, 2520, 2522). Das BVerfG hat <strong>de</strong>shalb § 3 Abs. 2<br />

BORA, <strong>de</strong>r für eine Einzelabwägung keinen Raum ließ, für mit<br />

Art. 12 GG unvereinbar und nichtig erklärt.<br />

Bei <strong>de</strong>r gebotenen <strong>Aus</strong>legung <strong>de</strong>s § 43a BRAO im Lichte <strong>de</strong>s<br />

Art. 12 GG ist zu berücksichtigen, dass diese Norm nicht nur<br />

<strong>de</strong>r Wahrung <strong>de</strong>s Vertrauensverhältnisses zum Mandanten und<br />

<strong>de</strong>r Sicherung <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>s Anwalts im Dienste <strong>de</strong>s<br />

Rechtsuchen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn darüber hinaus auch <strong><strong>de</strong>m</strong> Gemeinwohl<br />

in Gestalt <strong>de</strong>r Rechtspflege dient. Diese Belange treten<br />

nebeneinan<strong>de</strong>r und bedingen einan<strong>de</strong>r (BVerfG NJW, 2003,<br />

2520, 2521).<br />

Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setzt <strong>de</strong>n unabhängigen,<br />

verschwiegenen und nur <strong>de</strong>n Interessen <strong>de</strong>s eigenen<br />

Mandanten verpflichteten RA voraus, wobei diese Eigenschaften<br />

nicht zur Disposition <strong>de</strong>r Mandanten stehen (BVerfG,<br />

a.a.O.).<br />

§ 43a Abs. 4 BRAO verlangt, dass im konkreten Fall die Vertretung<br />

wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Interessen vermie<strong>de</strong>n wird (BVerfG, NJW<br />

2003, 2520, 2522).<br />

Ob ein von § 43a BRAO umfasster Interessenkonflikt vorliegt,<br />

ist daher nach <strong>de</strong>n konkreten Umstän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Einzelfalls zu<br />

beurteilen. Bei <strong>de</strong>r Vertretung wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong>r Mandate durch<br />

zwei in einer Kanzlei verbun<strong>de</strong>ne Anwälte wird ein solcher Fall<br />

regelmäßig zu bejahen sein.<br />

Schwerwiegen<strong>de</strong>r<br />

Interessenkonflikt<br />

Einverständnis <strong>de</strong>r<br />

Mandanten<br />

unerheblich<br />

So liegt auf <strong>de</strong>r Hand, dass insbeson<strong>de</strong>re<br />

wegen <strong>de</strong>r wirtschaftlichen<br />

Abhängigkeit schwerwie-<br />

gen<strong>de</strong> Interessenkonflikte auftreten, wenn ein Kanzleiinhaber<br />

und ein bei diesem angestellter Anwalt wi<strong>de</strong>rstreiten<strong>de</strong> Mandate<br />

vertreten. Aber auch in Sozietäten sind Interessenkonflikte<br />

möglich, so z.B., weil die Gefahr besteht, dass ein Mandat als<br />

das für die Kanzlei wertvollere angesehen wird o<strong>de</strong>r durch<br />

Organisationsmaßnahmen nicht hinreichend dafür Sorge getragen<br />

wer<strong>de</strong>n kann, dass <strong><strong>de</strong>m</strong> „gegnerischen“ Anwalt nicht versehentlich<br />

für ihn nicht bestimmte Informationen zufließen.<br />

Wie bereits ausgeführt, können die Mandanten nicht über<br />

§ 43a BRAO disponieren, soweit auch die Interessen <strong>de</strong>r<br />

Rechtspflege, die auf eine Geradlinigkeit <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />

Berufsausübung angewiesen ist (BVerfG, NJW 2003, 2520,<br />

2521), betroffen sind. Häufig wer<strong>de</strong>n die Mandanten zu<strong><strong>de</strong>m</strong><br />

gar nicht in <strong>de</strong>r Lage sein zu beurteilen, ob es aufgrund <strong>de</strong>r<br />

konkreten Situation zu Interessenkonflikten kommen kann.<br />

Dies gilt umso mehr, als sich <strong>de</strong>rartige Probleme auch erst<br />

nachträglich entwickeln können, weil beispielsweise eine<br />

angestrebte einvernehmliche Lösung wi<strong>de</strong>r Erwarten doch<br />

nicht herbeigeführt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Aufgrund <strong>de</strong>r Unzulässigkeit <strong>de</strong>s Antrags bedarf es im vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Fall allerdings keiner Entscheidung darüber, ob nach<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> oben Gesagten eine Verpflichtung <strong>de</strong>r Agin., das anwaltsgerichtliche<br />

Verfahren durchzuführen, auszusprechen wäre.<br />

Fachanwalt – zur Anerkennungsfähigkeit von Online-Seminaren<br />

als Fortbildung<br />

FAO § 15<br />

*1. Sowohl nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck <strong>de</strong>r<br />

Regelung <strong>de</strong>s § 15 FAO können als Fortbildungsveranstaltung ausschließlich<br />

von einem Veranstalter örtlich organisierte Tagungen,<br />

an <strong>de</strong>nen eine Vielzahl von RAen zum Zwecke <strong>de</strong>r beruflichen<br />

Fortbildung teilnimmt, anerkannt wer<strong>de</strong>n.<br />

*2. Nur die gemeinschaftliche Teilnahme bewirkt, dass eine Kommunikation<br />

nicht nur zwischen <strong>de</strong>n Dozenten und <strong>de</strong>n Teilnehmern,<br />

son<strong>de</strong>rn auch zwischen <strong>de</strong>n Teilnehmern untereinan<strong>de</strong>r<br />

stattfin<strong>de</strong>t.<br />

*3. Bei Online-Seminaren fehlt zu<strong><strong>de</strong>m</strong> eine ausreichen<strong>de</strong> Kontrollmöglichkeit.<br />

Insbeson<strong>de</strong>re ein Nachweis für eine durchgehen<strong>de</strong><br />

Teilnahme an diesem Seminar kann nicht erbracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Schleswig-Holsteinischer AGH, Beschl. v. 17.3.2005 –<br />

1 AGH 1/2005 (n.r.)<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Abwickler – zum Umfang <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

BRAO § 53, § 55<br />

*1. Für einen ersten Überblick <strong>de</strong>s Abwicklers, ob in einer Sache<br />

noch etwas zu veranlassen ist o<strong>de</strong>r die betreffen<strong>de</strong> Akte abgelegt<br />

wer<strong>de</strong>n kann, kann grundsätzlich ein Zeitbedarf von einer Viertelstun<strong>de</strong><br />

pro Akte zugrun<strong>de</strong> gelegt wer<strong>de</strong>n.<br />

*2. Die Tatsache, dass die Akten von <strong><strong>de</strong>m</strong> ehemaligen RA nicht<br />

mehr sorgfältig geführt wor<strong>de</strong>n sind und einige Akten somit neu<br />

zusammengestellt wer<strong>de</strong>n müssen, ist eine in Abwicklungsfällen<br />

nicht unübliche Erschwernis.<br />

*3. Dass sich ein Abwickler in beson<strong>de</strong>rer Weise für die Regulierung<br />

von Unterschlagungsfällen engagiert, ist für die Abwicklervergütung<br />

ohne Belang, da diese Tätigkeit im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Abwicklung nicht geschul<strong>de</strong>t ist.<br />

AGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 21.1.2005 – 1 AGH 27/01<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong>


198 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung<br />

Verbot <strong>de</strong>r Vereinbarung eines Erfolgshonorars<br />

BRAO § 49b; BORA § 6; RVG § 4 Abs. 2; BRAGO § 3 Abs. 5;<br />

GG, Art. 12 Abs. 1 Satz 2<br />

*1. Die Vorschrift <strong>de</strong>s § 49b Abs. 1 und 2 BRAO verstößt nicht<br />

gegen das in Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG verankerte Grundrecht <strong>de</strong>r<br />

Berufsfreiheit, da das Verbot <strong>de</strong>r Vereinbarung eines Erfolgshonorars<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Schutz <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>s RA und <strong><strong>de</strong>m</strong> Vertrauen<br />

<strong>de</strong>r Allgemeinheit in diese dient.<br />

*2. Da § 49b Abs. 1 BRAO wie auch § 4 Abs. 2 RVG verschie<strong>de</strong>ne<br />

Gesichtspunkte enthält, die im konkreten Einzelfall eine Ermäßigung<br />

<strong>de</strong>r gesetzlichen Gebühren zulassen, ist damit <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>s Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG hinreichend Genüge getan.<br />

Einer generell gelten<strong>de</strong>n Pauschalierung als gesetzlicher Regelung<br />

bedarf es <strong>de</strong>shalb nicht.<br />

Bayerischer AGH, Urt. v. 18.1.2005 – BayAGH II – 8/04 (n.r.)<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Werbung – Angabe eines Kooperationspartners<br />

BRAO § 59a; BORA § 8<br />

*1. Die Vorschrift <strong>de</strong>s § 59a BRAO gilt ausschließlich für Sozietäten<br />

und Bürogemeinschaften und fin<strong>de</strong>t keine entsprechen<strong>de</strong><br />

Anwendung auf Kooperationen, die mithin auch mit nicht sozietätsfähigen<br />

Personen möglich und zulässig sind.<br />

*2. Ist eine berufliche Zusammenarbeit in Form <strong>de</strong>r Kooperation<br />

berufsrechtlich zulässig, gibt es keinen Grund, <strong>de</strong>n Kooperationspartnern<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Grun<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>n wahrheitsgemäßen Hinweis auf<br />

eine solche Kooperation mit Dritten nach außen zu untersagen.<br />

Eine Tatsache, die berufsrechtlich zulässig ist, muss auch bekannt<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n dürfen.<br />

*3. Durch die Kundgabe einer Kooperation wird das rechtsuchen<strong>de</strong><br />

Publikum auch nicht in die Irre geführt, da dieses durchaus<br />

die Unterscheidung zwischen <strong>de</strong>n von ihm beauftragten und<br />

mandatierten Anwälten, <strong>de</strong>nen es sich anvertraut, und <strong>de</strong>r davon<br />

zu unterschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n lockeren Zusammenarbeit einer Kooperation<br />

versteht.<br />

AGH Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.11.2003 – 2 ZU 10/03<br />

AGH NW (n.r.)<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Die Ast. führen in <strong>de</strong>r rechten Randleiste ihres Briefbogens<br />

unterhalb <strong>de</strong>r Auflistung <strong>de</strong>r einzelnen Anwaltssozien unter<br />

einer ausdrücklich kenntlich gemachten Rubrik „Kooperationspartner“<br />

u.a. <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s Architekten ... unter Angabe <strong>de</strong>r<br />

Berufsbezeichnung „Architekt ...“ auf. In <strong>de</strong>r Fußzeile <strong>de</strong>s Briefbogens<br />

fin<strong>de</strong>t sich darüber hinaus das Feld <strong>de</strong>r Anschriften, in<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> die Anschrift <strong>de</strong>s RA-Büros, die Anschrift <strong>de</strong>s kooperieren<strong>de</strong>n<br />

StB-Büros und separat die an<strong>de</strong>rslauten<strong>de</strong> Anschrift <strong>de</strong>s<br />

sachverständigen Architekten aufgeführt sind.<br />

Die Agin. hat mit ihrem belehren<strong>de</strong>n Hinweis v. 22.7.2003 die<br />

Angabe <strong>de</strong>s Architekten ... als Kooperationspartner <strong>de</strong>r Ast. in<br />

<strong>de</strong>r Randleiste <strong>de</strong>s Briefbogens beanstan<strong>de</strong>t und als berufsrechtlich<br />

unzulässig bezeichnet. In <strong>de</strong>r Begründung dieses<br />

belehren<strong>de</strong>n Hinweises führt die Agin. aus, dass zwar auch<br />

nach ihrer Auffassung die Kooperation mit einem nicht sozietätsfähigen<br />

Berufsträger zulässig sei, sie vertritt jedoch die<br />

Ansicht, dass die Kundgabe einer <strong>de</strong>rartigen Zusammenarbeit<br />

in Form einer Kooperation nach außen nicht durch § 8 BORA<br />

ge<strong>de</strong>ckt und daher unzulässig sei. Wolle man vom Gegenteil<br />

ausgehen, wäre die lockerste Form <strong>de</strong>r Zusammenarbeit, nämlich<br />

die Kooperation, gegenüber an<strong>de</strong>ren Formen <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />

wie beispielsweise <strong>de</strong>r Bürogemeinschaft ungerechtfertigt<br />

privilegiert, da § 8 BORA eine Kundgabe <strong>de</strong>r beruflichen<br />

Zusammenarbeit im Falle einer Bürogemeinschaft nur mit<br />

sozietätsfähigen Personen erlaube. Außer<strong><strong>de</strong>m</strong> wür<strong>de</strong> im Falle<br />

<strong>de</strong>r Kundgabe einer Kooperation mit nicht sozietätsfähigen Personen<br />

das rechtsuchen<strong>de</strong> Publikum irregeführt, da <strong>de</strong>r nicht<br />

sozietätsfähige Kooperationspartner we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Verschwiegenheit<br />

noch <strong>de</strong>n damit korrespondieren<strong>de</strong>n <strong>Aus</strong>sageverweigerungsrechten<br />

und Beschlagnahmeverboten unterfalle.<br />

Demgegenüber vertreten die Ast. die Ansicht, eine Kooperation<br />

als solche mit nicht sozietätsfähigen Personen sei zulässig; es<br />

müsse daher auch i.S.d. Transparenz die Kundgabe einer Kooperation<br />

zulässig sein. Ein Irrtum im Rechtsverkehr wer<strong>de</strong><br />

durch eine solche Kundgabe nicht hervorgerufen.<br />

Mit ihrem am 7.8.2003 beim AGH eingegangenen Schreiben v.<br />

5.8.2003 haben die Ast. gerichtliche Entscheidung gegen die<br />

belehren<strong>de</strong>n Hinweise <strong>de</strong>r Agin. jeweils v. 22.7.2003, <strong>de</strong>n Ast.<br />

jeweils zugestellt am 24.7.2003, beantragt.<br />

II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Er ist<br />

statthaft gem. § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO, da die belehren<strong>de</strong>n<br />

Hinweise in Form einer hoheitlichen Maßnahme i.S.d. § 223<br />

BRAO Rechtsansichten als verbindlich mitteilen, die in die<br />

Rechte <strong>de</strong>r Ast. eingreifen und diese einschränken (vgl. Feuerich/Weyland,<br />

BRAO, 6. Aufl. München 2003, § 223 Rdnr. 5<br />

m.w.N.). Der Antrag ist auch innerhalb <strong>de</strong>r Monatsfrist <strong>de</strong>s<br />

§ 223 Abs. 1 Satz 2 BRAO gestellt wor<strong>de</strong>n.<br />

Der Antrag hat in <strong>de</strong>r Sache Erfolg. Die Agin. hat mit <strong>de</strong>n angefochtenen<br />

belehren<strong>de</strong>n Hinweisen zu Unrecht die Gestaltung<br />

<strong>de</strong>s Briefbogens <strong>de</strong>r Ast. als berufsrechtswidrig bezeichnet.<br />

Keine gemeinschaftliche<br />

Mandatsannahme<br />

1. Der Begriff <strong>de</strong>r Kooperation ist<br />

gesetzlich nicht <strong>de</strong>finiert. Im<br />

Unterschied zur Sozietät wer<strong>de</strong>n<br />

bei einer Kooperation Mandate<br />

nicht gemeinschaftlich<br />

angenommen und bearbeitet, die Haftung bezieht sich nur auf<br />

das einzelne Kooperationsmitglied, es wer<strong>de</strong>n – dies auch in<br />

Abgrenzung zur Bürogemeinschaft – keine gemeinsamen<br />

Räume unterhalten, es fin<strong>de</strong>t auch keine gemeinsame Organisation<br />

<strong>de</strong>s Büros statt. Infolge dieser in wesentlichen, charakteristischen<br />

Punkten <strong>de</strong>utlich geringer anzusie<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Qualität<br />

und Intensität <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>r Zusammenarbeit bei einer Kooperation<br />

geht <strong>de</strong>r Senat – mit <strong>de</strong>r wohl überwiegen<strong>de</strong>n Meinung<br />

im Schrifttum – davon aus, dass § 59a BRAO, <strong>de</strong>r nur Sozietäten<br />

und Bürogemeinschaften erfasst, keine Anwendung, auch<br />

keine entsprechen<strong>de</strong> Anwendung fin<strong>de</strong>t auf Kooperationen und<br />

somit eine Kooperation auch mit nicht sozietätsfähigen Personen<br />

möglich und zulässig ist (vgl. Feuerich/Weyland, 6. Aufl.,<br />

§ 9 BORA Rdnr. 7 m.w.N.; einschränkend Feuerich, § 59b<br />

BRAO Rdnr. 39 m.w.N.; ohne Einschränkung Römermann/Hartung,<br />

Anwaltliches Berufsrecht, München 2002, § 29 Rdnr. 4 f.<br />

m.w.N.).<br />

Auch die Agin. geht in <strong>de</strong>r Begründung ihrer belehren<strong>de</strong>n Hinweise<br />

explizit von <strong>de</strong>r Zulässigkeit einer Kooperation mit nicht<br />

sozietätsfähigen Personen aus.<br />

2. Ist eine berufliche Zusammenarbeit<br />

in Form <strong>de</strong>r Kooperation Hinweis ist zulässig<br />

stan<strong>de</strong>srechtlich zulässig, kann<br />

es keinen rechtlichen Grund geben, <strong>de</strong>n Kooperationspartnern<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Grun<strong>de</strong> nach <strong>de</strong>n wahrheitsgemäßen und tatsächlich korrekten<br />

Hinweis auf eine solche Kooperation mit Dritten nach<br />

außen zu untersagen. Eine Tatsache, die stan<strong>de</strong>srechtlich zulässig<br />

ist, muss auch bekannt gemacht wer<strong>de</strong>n dürfen. Je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re<br />

Entscheidung wür<strong>de</strong> gera<strong>de</strong>zu die Verpflichtung <strong>de</strong>r Kooperationspartner<br />

zur Täuschung <strong>de</strong>s Rechtsverkehrs beinhalten.<br />

Entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Agin. steht § 8 BORA <strong>de</strong>r Kundgabe<br />

<strong>de</strong>r Kooperation mit einer nicht sozietätsfähigen Person<br />

nicht entgegen. Der Wortlaut <strong>de</strong>r Bestimmung bezieht sich<br />

gera<strong>de</strong> nicht auf Kooperationen mit sozietätsfähigen Personen,


BRAK-Mitt. 4/2005 Berufsrechtliche Rechtsprechung 199<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

son<strong>de</strong>rn spricht generalisierend nur von „Kooperation“. Auch<br />

eine <strong>Aus</strong>legung <strong>de</strong>r Vorschrift führt zu keinem gegenteiligen<br />

Ergebnis: Mit <strong>de</strong>r Agin. ist davon auszugehen, dass in § 8 BORA<br />

eine Gleichstellung von verfestigten Kooperationen mit <strong>de</strong>n im<br />

ersten Halbs. <strong>de</strong>r Bestimmung erwähnten Formen <strong>de</strong>r beruflichen<br />

Zusammenarbeit herbeigeführt wird, allerdings han<strong>de</strong>lt es<br />

sich nur um eine Gleichstellung in <strong>de</strong>r Rechtsfolge, nicht dagegen<br />

in <strong><strong>de</strong>m</strong> tatbestandlichen Element <strong>de</strong>r sozietätsfähigen Person.<br />

Wäre Letzteres die Absicht <strong>de</strong>s Satzungsgebers gewesen,<br />

hätte nach allen Gesetzen <strong>de</strong>r Logik und <strong>de</strong>r sprachlichen Klarheit<br />

nichts näher gelegen, als – ebenso wie im ersten Halbs.<br />

dieser Bestimmung – auch <strong>de</strong>n Begriff „verfestigte Kooperation“<br />

mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Zusatz zu versehen „mit sozietätsfähigen Personen“.<br />

Dass Letzteres unterblieben ist, ist gera<strong>de</strong> ein Hinweis darauf,<br />

dass auch die Kundgabe verfestigter Kooperationen mit nicht<br />

sozietätsfähigen Personen zugelassen wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Entgegen <strong>de</strong>r Ansicht <strong>de</strong>r Agin. ist <strong>de</strong>s Weiteren mit <strong>de</strong>r Zulassung<br />

<strong>de</strong>r Kundgabe einer Kooperation mit nicht sozietätsfähigen<br />

Personen auch keine ungerechtfertigte Privilegierung <strong>de</strong>r<br />

lockersten Form <strong>de</strong>r Zusammenarbeit gegenüber Sozietäten<br />

und Bürogemeinschaften verbun<strong>de</strong>n. Sozietäten und auch<br />

Bürogemeinschaften haben eine vollständig an<strong>de</strong>rs gelagerte,<br />

durchaus weitergehen<strong>de</strong> Intensität und Qualität <strong>de</strong>r Zusammenarbeit<br />

zum Gegenstand. Der vor<strong>de</strong>rgründigste Umstand<br />

liegt darin, dass bei örtlichen Sozietäten und Bürogemeinschaften<br />

eine einheitliche Praxis genutzt wird und eine einheitliche<br />

Büroorganisation existent ist, die zwangsläufig<br />

je<strong><strong>de</strong>m</strong> beteiligten Sozius und Mitglied <strong>de</strong>r Bürogemeinschaft<br />

Zugang zu allen Mandantendaten ermöglicht. Bei dieser<br />

intensiven Form <strong>de</strong>r Zusammenarbeit schon aus räumlicher<br />

Sicht ist es von eminenter Be<strong>de</strong>utung, alle Beteiligten <strong>de</strong>n<br />

Verschwiegenheitspflichten zu unterwerfen. Genau dies ist im<br />

Falle einer bloßen Kooperation mit räumlicher Trennung –<br />

wie sie auch ausweislich <strong>de</strong>r Adressenfel<strong>de</strong>r vorliegend gegeben<br />

ist – an<strong>de</strong>rs zu beurteilen.<br />

Keine Privilegierung<br />

<strong>de</strong>r Kooperation<br />

Von einer Privilegierung <strong>de</strong>r<br />

Kooperation kann daher nicht<br />

gesprochen wer<strong>de</strong>n, da Kooperation<br />

einerseits und Sozietät/Bürogemeinschaft<br />

an<strong>de</strong>rerseits unterschiedliche und nicht miteinan<strong>de</strong>r<br />

vergleichbare Formen <strong>de</strong>r Zusammenarbeit darstellen, die<br />

gera<strong>de</strong> mit Rücksicht auf ihre Unterschie<strong>de</strong> auch nicht ohne<br />

weiteres gleichbehan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n dürfen.<br />

Schließlich liegt auch keine Irreführung <strong>de</strong>s rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />

Publikums vor. Zum einen versteht <strong>de</strong>r rechtsuchen<strong>de</strong> Laie<br />

durchaus die Unterscheidung zwischen <strong>de</strong>n von ihm beauftragten<br />

und mandatierten Anwälten, <strong>de</strong>nen er sich anvertraut, und<br />

<strong>de</strong>r davon zu unterschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n lockeren Zusammenarbeit<br />

einer Kooperation, mit <strong>de</strong>r er nichts „zu tun haben“ muss,<br />

soweit er dies nicht wünscht. Dies gilt umso mehr, als vorliegend<br />

die Differenzierung auf <strong><strong>de</strong>m</strong> Briefbogen <strong>de</strong>r Ast. <strong>de</strong>utlich<br />

und gut sichtbar hervorgehoben wird. Zum an<strong>de</strong>ren ist auch in<br />

schlichtesten Bevölkerungskreisen bekannt, dass ein Architekt<br />

keiner Verschwiegenheitspflicht unterliegt. Von einer Täuschung<br />

<strong>de</strong>s rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikums durch Kundgabe einer<br />

für zulässig gehaltenen Kooperation ist daher nicht auszugehen.<br />

Die konkrete <strong>Aus</strong>gestaltung <strong>de</strong>s Briefbogens <strong>de</strong>r Ast. wird von<br />

<strong>de</strong>r Agin. nicht beanstan<strong>de</strong>t.<br />

Pflicht zur Entgegennahme von Zustellungen<br />

BRAO § 27; BORA § 5, § 14<br />

*1. Auch wenn die Vorschrift <strong>de</strong>s § 14 BORA ursprünglich nur die<br />

Zustellung von RA zu RA und mit Empfangsbekenntnis regeln<br />

wollte, beschränkt sich ihr Wortlaut nicht allein auf diese Zustellungsarten.<br />

Daher muss ein RA auch gewährleisten, dass Zustellungen<br />

mit Postzustellungsurkun<strong>de</strong> entgegengenommen wer<strong>de</strong>n<br />

können.<br />

*2. Es ist eine allgemein – je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>n mit gerichtlichen Verfahren<br />

vertrauten Personen – bekannte Praxis, dass, wenn es zu Irritationen<br />

bei <strong>de</strong>r Zustellung mit Empfangsbekenntnis kommt, von<br />

Gerichts wegen die Zustellung mit Postzustellungsurkun<strong>de</strong> verfügt<br />

wird. Da es immer zu Irritationen bei <strong>de</strong>r Zustellung kommen<br />

kann, muss ein RA Vorsorge treffen, dass ihn Zustellungen<br />

mit Postzustellungsurkun<strong>de</strong> problemlos erreichen können.<br />

*3. Es ist <strong><strong>de</strong>m</strong> einzelnen RA grundsätzlich selbst überlassen, wie<br />

er seine Kanzlei führt. Erst wenn die individuelle Führung <strong>de</strong>r<br />

Anwaltskanzlei gravieren<strong>de</strong> Mängel erkennen lässt, die auf sachliche,<br />

personelle o<strong>de</strong>r organisatorische Fehlentscheidungen <strong>de</strong>s RA<br />

zurückzuführen sind, ist ein Verstoß gegen die Kanzleipflicht<br />

anzunehmen. Ein solcher Verstoß kann bei <strong>de</strong>r Erfolglosigkeit von<br />

Zustellversuchen an vier Tagen nicht festgestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

AGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 4.7.2003 – (2) 6 EVY 4/02 AGH<br />

NW (n.r.)<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

*Leitsatz <strong>de</strong>r Redaktion (Orientierungssatz)<br />

Rechtsberatungsgesetz – För<strong>de</strong>rmittelberatung<br />

RBerG Art. 1 § 1, § 5; UWG § 1 a.F., § 3, § 4 Nr. 11<br />

1. Die Beratung über För<strong>de</strong>rmittel <strong>de</strong>r öffentlichen Hand ist keine<br />

Besorgung frem<strong>de</strong>r Rechtsangelegenheiten i.S.v. Art. 1 § 1 RBerG.<br />

*2. Auch die Vielfalt von För<strong>de</strong>rmitteln und die Komplexität <strong>de</strong>r<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen verwehrt es einem Unternehmensberater<br />

nicht, sich hierüber Kenntnisse zu verschaffen, auf<br />

sein Wissen werbend hinzuweisen und mit <strong>de</strong>n tatsächlichen<br />

Gegebenheiten eines Unternehmens abzustimmen. Die Regelung<br />

rechtlicher Verhältnisse steht hierbei nicht im Vor<strong>de</strong>rgrund.<br />

BGH, Urt. v. 24.2.2005 – I ZR 128/02<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Werbung mit „optimaler Vertretung“<br />

BRAO § 43b; BORA § 6; UWG § 3, § 4 Nr. 11<br />

*1. Die Vorschrift <strong>de</strong>s § 43b BRAO eröffnet nicht eine ansonsten<br />

nicht bestehen<strong>de</strong> Werbemöglichkeit, son<strong>de</strong>rn konkretisiert die<br />

verfassungsrechtlich garantierte Werbefreiheit <strong>de</strong>s RA. Deshalb<br />

bedarf nicht die Gestattung <strong>de</strong>r Anwaltswerbung <strong>de</strong>r Rechtfertigung,<br />

son<strong>de</strong>rn vielmehr <strong>de</strong>ren Einschränkung.<br />

*2. Das vom RA grundsätzlich zu beachten<strong>de</strong> Sachlichkeitsgebot<br />

verlangt keine auf die Mitteilung nüchterner Fakten beschränkte<br />

Werbung. Nicht je<strong>de</strong> positive Darstellung <strong>de</strong>r Leistung <strong>de</strong>s RA in<br />

seiner Werbung ist mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Sachlichkeitsgebot unvereinbar.<br />

Zu<strong><strong>de</strong>m</strong> sind Einzeläußerungen im Kontext <strong>de</strong>r gesamten Werbeaussage<br />

auszulegen.


200 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

*3. Ist die Formulierung „optimale Interessenvertretung“ in einer<br />

Werbung in eine Reihe von Sachangaben über die personelle und<br />

sachliche <strong>Aus</strong>stattung <strong>de</strong>r Kanzlei eingebettet, kann hierin kein<br />

Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot gesehen wer<strong>de</strong>n.<br />

BGH, Urt. v. 27.1.2005 – I ZR 202/02<br />

<strong>Aus</strong> <strong><strong>de</strong>m</strong> Tatbestand:<br />

Die Kl. sind in einer Sozietät zusammengeschlossene RAe mit<br />

Kanzleisitz in B. Der Bekl. ist Partner einer aus RAen bestehen<strong>de</strong>n<br />

Partnerschaft, die ihren Sitz in H.-B. hat. Auf <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

Partnerschaft eingerichteten Homepage heißt es u.a.:<br />

„1950 grün<strong>de</strong>te W. K., <strong>de</strong>r Vater <strong>de</strong>s heutigen Seniorpartners<br />

R. K., unsere Kanzlei im Zentrum von H. Im Jahre 1978<br />

wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sitz <strong>de</strong>r – zum damaligen Zeitpunkt von R. K. allein<br />

betriebenen – Kanzlei nach H.-B. verlegt. Heute stehen Ihnen<br />

acht RAe für die optimale Vertretung Ihrer Interessen in <strong>de</strong>n<br />

verschie<strong>de</strong>nsten Rechtsgebieten zur Verfügung. Eine mo<strong>de</strong>rne<br />

EDV, eine gut ausgestattete Fachbibliothek und <strong>de</strong>r Zugriff auf<br />

umfangreiche juristische Datenbanken gewährleisten höchste<br />

Beratungsqualität.“<br />

Die Kl. sind <strong>de</strong>r Auffassung, <strong>de</strong>r Hinweis auf eine „optimale<br />

Vertretung“ sei eine reklamehafte Selbstanpreisung und stelle<br />

eine für einen RA unzulässige Werbung dar.<br />

Die Kl. haben beantragt, <strong><strong>de</strong>m</strong> Bekl. zu verbieten, im geschäftlichen<br />

Verkehr zu Wettbewerbszwecken für rechtsanwaltliche<br />

Tätigkeit wie folgt zu werben:<br />

„Heute stehen Ihnen acht RAe für die optimale Vertretung Ihrer<br />

Interessen in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Rechtsgebieten zur Verfügung.“<br />

Der Bekl. ist <strong>de</strong>r Klage entgegengetreten.<br />

Das LG hat <strong>de</strong>n Bekl. antragsgemäß verurteilt. Die Berufung<br />

<strong>de</strong>s Bekl. hat zur Abweisung <strong>de</strong>r Klage geführt (OLG Hamburg,<br />

NJW 2002, 3183).<br />

Mit <strong>de</strong>r (vom Berufungsgericht zugelassenen) Revision verfolgen<br />

die Kl. ihren Klageantrag weiter. Der Bekl. beantragt, die<br />

Revision zurückzuweisen.<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch <strong>de</strong>r<br />

Kl. verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:<br />

Die Klagebefugnis <strong>de</strong>r Kl. und die Passivlegitimation <strong>de</strong>s Bekl.<br />

habe das LG zutreffend bejaht. Es sei auch zu Recht davon ausgegangen,<br />

dass die Kl. nicht rechtsmissbräuchlich gegen <strong>de</strong>n<br />

Bekl. vorgegangen seien. Der angegriffene Teil <strong>de</strong>s Internet-<br />

Auftritts <strong>de</strong>r Partnerschaft, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Bekl. angehöre, verstoße<br />

jedoch nicht gegen § 43b BRAO, § 6 BORA. Im Grundsatz sei<br />

davon auszugehen, dass RAen die Werbung für ihre berufliche<br />

Tätigkeit nicht verboten, son<strong>de</strong>rn erlaubt sei. Das Sachlichkeitsgebot<br />

wer<strong>de</strong> nicht durch auf <strong>de</strong>n Beruf bezogene Tatsachenbehauptungen<br />

verletzt, <strong>de</strong>ren Richtigkeit überprüft wer<strong>de</strong>n<br />

könne. Maßvolle Selbstbeschreibungen <strong>de</strong>r persönlichen Kompetenz,<br />

die subjektive Werturteile seien, seien ebenfalls nicht<br />

zu beanstan<strong>de</strong>n, wenn sie einen objektiven Kern zu haben<br />

schienen und nach Form und <strong>Inhalt</strong> nicht in <strong>de</strong>r Einkleidung<br />

eines „marktschreierischen Werbungsstils“ daherkämen. Ein<br />

Teil <strong>de</strong>s umworbenen Publikums wer<strong>de</strong> die beanstan<strong>de</strong>te Passage<br />

im Gesamtzusammenhang <strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Kanzlei<br />

dahin verstehen, durch die gestiegene Zahl <strong>de</strong>r RAe könne eine<br />

größere Anzahl von Rechtsgebieten abge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n. Das<br />

Wort „optimal“ beziehe sich bei einem <strong>de</strong>rartigen Verständnis<br />

auf die Breite <strong>de</strong>r angebotenen Rechtsberatung und beinhalte<br />

im Wesentlichen eine <strong>de</strong>r Überprüfung zugängliche Sachaussage.<br />

Aber auch wenn <strong>de</strong>r Begriff als Bewertung <strong>de</strong>r anwaltlichen<br />

Leistung aufgefasst wer<strong>de</strong>, entspreche die <strong>Aus</strong>sage in <strong>de</strong>r<br />

konkreten Verwendungssituation noch <strong><strong>de</strong>m</strong> Sachlichkeitsgebot.<br />

Zwar sei „optimal“ ein Superlativ; <strong>de</strong>r Begriff sei jedoch durch<br />

seinen inflationären Gebrauch in <strong>de</strong>r Werbung verblasst. In<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> sprachlichen Kontext stelle er keine übermäßige reklamehafte<br />

Übertreibung o<strong>de</strong>r marktschreierische Herausstellung dar.<br />

II. Die Revision hat keinen Erfolg.<br />

1. Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen,<br />

dass die Kl. als unmittelbar Verletzte klagebefugt und aktivlegitimiert<br />

sind. Die Anspruchsberechtigung <strong>de</strong>s unmittelbar Verletzten,<br />

die sich unter Geltung <strong>de</strong>s § 13 Abs. 2 UWG a.F. aus<br />

<strong>de</strong>r verletzten Rechtsnorm selbst ergab (BGH, Urt. v. 6.10.1999<br />

– I ZR 92/97, GRUR 2000, 616, 617 = WRP 2000, 514 – <strong>Aus</strong>laufmo<strong>de</strong>lle<br />

III), folgt nunmehr aus § 8 Abs. 3 Nr. 1, § 2 Abs. 1<br />

Nr. 3 UWG. Zwischen <strong>de</strong>n Parteien besteht nach <strong>de</strong>n revisionsrechtlich<br />

nicht zu beanstan<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Feststellungen <strong>de</strong>s Berufungsgerichts<br />

ein konkretes Wettbewerbsverhältnis. Die Parteien<br />

gehören mittelgroßen Kanzleien mit Sitz in B. und H. an.<br />

Im Streitfall ist <strong>de</strong>shalb davon auszugehen, dass die Parteien<br />

versuchen, gleichartige Dienstleistungen innerhalb <strong>de</strong>rselben<br />

Verkehrskreise abzusetzen mit <strong>de</strong>r Folge, dass das konkret<br />

beanstan<strong>de</strong>te Wettbewerbsverhalten <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren beeinträchtigen<br />

kann (vgl. BGH, Urt. v. 5.10.2000 – I ZR 210/98, GRUR<br />

2001, 258 = WRP 2001, 146 – Immobilienpreisangaben; Urt.<br />

v. 6.12.2001 – I ZR 214/99, GRUR 2002, 985, 986 = WRP<br />

2002, 952 – WISO).<br />

2. Den Kl. steht gegen <strong>de</strong>n Bekl. jedoch kein Unterlassungsanspruch<br />

nach § 8 Abs. 1 Satz 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m.<br />

§ 43b BRAO, § 6 BORA zu. Die beanstan<strong>de</strong>te Passage in <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Internet-Auftritt <strong>de</strong>r Partnerschaft, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Bekl. angehört, verstößt<br />

entgegen <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Revision nicht gegen die die<br />

anwaltliche Werbung regeln<strong>de</strong>n Vorschriften <strong>de</strong>r § 43b BRAO,<br />

§6 BORA.<br />

a) Nach § 4 Nr. 11 UWG han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>rjenige unlauter i.S.d. § 3<br />

UWG, <strong>de</strong>r einer gesetzlichen Bestimmung zuwi<strong>de</strong>rhan<strong>de</strong>lt, die<br />

auch dazu bestimmt ist, im Interesse <strong>de</strong>r Marktteilnehmer das<br />

Marktverhalten zu regeln. Zu <strong>de</strong>n Vorschriften, die im Interesse<br />

<strong>de</strong>r Marktteilnehmer, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Verbraucher, auch das<br />

Verhalten von Unternehmen bestimmen, rechnen § 43b BRAO,<br />

§ 6 BORA. Als Bestimmungen, die sich ausdrücklich mit <strong>de</strong>r<br />

Zulässigkeit <strong>de</strong>r anwaltlichen Werbung befassen, kommt ihnen<br />

eine auf die Lauterkeit <strong>de</strong>s Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion<br />

zu.<br />

Die Rechtsnormqualität i.S.v. § 4 Nr. 11 UWG erfüllt auch § 6<br />

BORA. Denn zu <strong>de</strong>n gesetzlichen Vorschriften nach § 4 Nr. 11<br />

UWG zählt auch die durch Satzung nach § 59b Abs. 1, § 191a<br />

Abs. 2, § 191e BRAO ergangene BORA (vgl. Harte/Henning/v.<br />

Jagow, UWG, § 4 Nr. 11 Rdnr. 37; Baumbach/Hefermehl/Köhler,<br />

Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 4 UWG Rdnr. 11.24; Fezer/<br />

Götting, UWG, § 4 Nr. 11 Rdnr. 41).<br />

b) Entgegen <strong>de</strong>r Ansicht <strong>de</strong>r Revision verstößt die beanstan<strong>de</strong>te<br />

Werbeaussage jedoch nicht gegen das Sachlichkeitsgebot nach<br />

§ 43b BRAO, § 6 BORA.<br />

aa) Nach § 43b BRAO ist <strong><strong>de</strong>m</strong> RA Werbung erlaubt, soweit sie<br />

über die berufliche Tätigkeit in Form und <strong>Inhalt</strong> sachlich unterrichtet<br />

und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall<br />

gerichtet ist. Die Bestimmung wird inhaltlich teilweise konkretisiert<br />

durch §§ 6 ff. BORA. Gem. § 6 Abs. 1 BORA darf <strong>de</strong>r RA<br />

über seine Dienstleistung und seine Person informieren, soweit<br />

die Angaben sachlich unterrichten und berufsbezogen sind.<br />

Die Vorschrift <strong>de</strong>s § 43b BRAO eröffnet nicht eine ansonsten<br />

nicht bestehen<strong>de</strong> Werbemöglichkeit, son<strong>de</strong>rn konkretisiert die<br />

verfassungsrechtlich garantierte Werbefreiheit. Deshalb bedarf<br />

nicht die Gestattung <strong>de</strong>r Anwaltswerbung <strong>de</strong>r Rechtfertigung,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ren Einschränkung. Sie ist nur dann mit Art. 12<br />

Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie im Einzelfall durch ausrei-


BRAK-Mitt. 4/2005 Berufsrechtliche Rechtsprechung 201<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

chen<strong>de</strong> Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls gerechtfertigt ist und im<br />

Übrigen <strong><strong>de</strong>m</strong> Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit entspricht (vgl.<br />

BVerfG, Beschl. v. 12.9.2001 – 1 BvR 2265/00, WRP 2001,<br />

1284, 1285; Beschl. v. 4.8.2003 – 1 BvR 2108/02, GRUR 2003,<br />

965 f. = WRP 2003, 1213, BGHZ 147, 71, 74 f. – Anwaltswerbung<br />

II; BGH, Urt. v. 15.3.2001 – I ZR 337/98, WRP 2002, 71,<br />

73 – Anwaltsrundschreiben). Selbstdarstellungen <strong>de</strong>s RA unterliegen,<br />

soweit die Form und <strong>de</strong>r <strong>Inhalt</strong> <strong>de</strong>r Werbung nicht<br />

unsachlich sind, keinem generellen Werbeverbot.<br />

Das von <strong>de</strong>n Angehörigen eines<br />

Keine Beschränkung freien Berufs zu beachten<strong>de</strong><br />

auf nüchterne Fakten Sachlichkeitsgebot verlangt<br />

keine auf die Mitteilung nüchterner<br />

Fakten beschränkte Werbung (vgl. BVerfG, Beschl. v.<br />

26.8.2003 – 1 BvR 1003/02, GRUR 2003, 966, 968 = WRP<br />

2003, 1209; Beschl. v. 26.10.2004 – 1 BvR 981/00, WRP 2005,<br />

83, 87; BGH, Urt. v. 9.10.2003 – I ZR 167/01, GRUR 2004,<br />

164, 166 = WRP 2004, 221 – Arztwerbung im Internet).<br />

bb) Das Berufungsgericht hat angenommen, ein Teil <strong>de</strong>r angesprochenen<br />

Verkehrskreise wer<strong>de</strong> die Werbung aufgrund <strong>de</strong>s<br />

Zusammenhangs mit <strong>de</strong>r Kanzleigeschichte dahin verstehen,<br />

durch die gewachsene Zahl <strong>de</strong>r RAe könnten mehr Rechtsgebiete<br />

abge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n als durch lediglich einen RA. Das Wort<br />

„optimal“ beziehe sich auf die Breite <strong>de</strong>r gebotenen Rechtsberatung<br />

und enthalte eine <strong>de</strong>r Überprüfung zugängliche Sachaussage.<br />

Aber auch wenn an<strong>de</strong>re Teile <strong>de</strong>s Verkehrs die Werbung<br />

dahin auffassten, die anwaltliche Leistung wer<strong>de</strong> als<br />

„optimal“ bezeichnet, liege im sprachlichen Kontext keine<br />

übermäßige reklamehafte Übertreibung o<strong>de</strong>r gar marktschreierische<br />

Herausstellung <strong>de</strong>r Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kanzlei <strong>de</strong>s Beklagten<br />

vor.<br />

cc) Die Beurteilung <strong>de</strong>s Berufungsgerichts, dass die beanstan<strong>de</strong>te<br />

Werbung nach Form und <strong>Inhalt</strong> noch nicht reklamehaft<br />

selbstanpreisend <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n sachlicher Information verlasse, ist<br />

aus Rechtsgrün<strong>de</strong>n nicht zu beanstan<strong>de</strong>n.<br />

Entgegen <strong>de</strong>r Ansicht <strong>de</strong>r Revision ist nicht je<strong>de</strong> positive Darstellung<br />

<strong>de</strong>r Leistung <strong>de</strong>s RA in seiner Werbung mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Sachlichkeitsgebot<br />

unvereinbar.<br />

Zu<strong><strong>de</strong>m</strong> sind Einzeläußerungen<br />

wie <strong>de</strong>r hier beanstan<strong>de</strong>te Satz<br />

im Kontext <strong>de</strong>r gesamten Werbeaussage<br />

auszulegen (vgl. BVerfG,<br />

Beschl. v. 28.2.2003 – 1 BvR<br />

Kontext <strong>de</strong>r gesamten<br />

Werbeaussage<br />

maßgeblich<br />

189/03, BRAK-Mitt. 2003, 127). Im Streitfall ist die <strong>Aus</strong>sage<br />

über eine „optimale Vertretung“ eingebettet in eine Reihe von<br />

Sachangaben, wonach – an<strong>de</strong>rs als in <strong>de</strong>n Anfängen <strong>de</strong>r Kanzlei<br />

– nunmehr acht RAe für die Vertretung zur Verfügung stehen,<br />

eine mo<strong>de</strong>rne EDV und eine gut ausgestattete Fachbibliothek<br />

vorhan<strong>de</strong>n sind und auf umfangreiche juristische Datenbanken<br />

zurückgegriffen wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Dies sind Grundlagen für eine mögliche optimale Vertretung<br />

<strong>de</strong>r Mandantenbelange. Der beanstan<strong>de</strong>te Werbesatz steht als<br />

<strong>Aus</strong>sage über die Leistung <strong>de</strong>r Kanzleimitglie<strong>de</strong>r in einem<br />

engen inneren Zusammenhang mit diesen Angaben über die<br />

personelle und sachliche <strong>Aus</strong>stattung <strong>de</strong>r Kanzlei. Das Berufungsgericht<br />

hat zu<strong><strong>de</strong>m</strong> rechtsfehlerfrei angenommen, dass die<br />

beanstan<strong>de</strong>te <strong>Aus</strong>sage auch nicht <strong>de</strong>shalb übermäßig reklamehaft<br />

sei, weil das Wort „optimal“ auf das lateinische Wort „optimus“<br />

zurückgehe, das „<strong>de</strong>r Beste“ be<strong>de</strong>ute. Das Berufungsgericht<br />

hat dargelegt, dass das Wort „optimal“ aufgrund seiner<br />

vielfachen Verwendung in <strong>de</strong>r Werbung nicht als Superlativ<br />

empfun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>. Es hat <strong><strong>de</strong>m</strong>entsprechend rechtsfehlerfrei<br />

festgestellt, dass die beanstan<strong>de</strong>te Werbung nach <strong><strong>de</strong>m</strong> Kontext,<br />

in <strong>de</strong>n das Wort „optimal“ gestellt sei, nicht als Vergleich mit<br />

an<strong>de</strong>ren RAen verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>.<br />

Unterlassungsanspruch wegen Berichterstattung über<br />

Straftaten eines Sozius<br />

GG Art. 5<br />

*1. Ein RA kann presserechtlich die Unterlassung einer Berichterstattung<br />

verlangen, die ihn mit möglichen Straftaten seines Sozius<br />

in Verbindung bringt, wenn in <strong>de</strong>r Berichterstattung nicht gleichzeitig<br />

mitgeteilt wor<strong>de</strong>n ist, dass sich die strafrechtlichen Ermittlungen<br />

ausschließlich gegen <strong>de</strong>n Sozius richten.<br />

*2. Ist <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n unbefangenen Leser vielleicht auch nicht zwingen<strong>de</strong>,<br />

aber doch nahe liegen<strong>de</strong> Schluss auf einen über das ausdrücklich<br />

Gesagte hinausgehen<strong>de</strong>n Sachverhalt falsch, so ist die<br />

Berichterstattung je<strong>de</strong>nfalls dann wie eine unwahre Tatsachenbehauptung<br />

zu behan<strong>de</strong>ln, wenn die Weglassung eines klarstellen<strong>de</strong>n<br />

Hinweises bewusst erfolgt ist.<br />

OLG Karlsruhe, Urt. v. 17.6.2005 – 14 U 16/05<br />

Volltext unter www.<strong>brak</strong>.<strong>de</strong><br />

Werbung – wettbewerbswidrige Formulierungen in einem<br />

Rundschreiben<br />

BRAO § 43b; UWG § 6 Abs. 2 Nr. 5<br />

*1. Behauptet ein RA in einem Werberundschreiben, dass fachlich<br />

nicht spezialisierte Anwaltskanzleien „allenfalls nur durchschnittliches<br />

Wissen“ anbieten könnten, liegt hierin eine wettbewerbswidrige<br />

Herabsetzung von Mitbewerbern i.S.d. § 6 Abs. 2 Nr. 5<br />

UWG.<br />

*2. Die Qualität anwaltlicher Leistungen kann nicht ausschließlich<br />

auf das Fachwissen auf einem bestimmten Rechtsgebiet reduziert<br />

wer<strong>de</strong>n. Vielmehr wird <strong>de</strong>r Erfolg anwaltlicher Tätigkeit<br />

auch vom Verhandlungsgeschick und allgemeinen Erfahrungen<br />

geprägt. Daher rechtfertigt eine nicht geson<strong>de</strong>rt ausgewiesene<br />

fachliche Spezialisierung nicht die Schlussfolgerung, dass <strong>de</strong>r<br />

betreffen<strong>de</strong> Berufskollege schlechtere anwaltliche Dienstleistungen<br />

anbietet.<br />

OLG Thüringen, Urt. v. 20.4.2005 – 2 U 948/04<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Die Parteien sind selbstständige RAe in R. (Kl.) und E. (Bekl.).<br />

Im Herbst 2003 übersandte <strong>de</strong>r Bekl. an mehrere Versicherungsvertreter,<br />

u.a. an Frau ... in R., ein Anschreiben, das auszugsweise<br />

wie folgt lautet:<br />

„Noch ein Wort in eigener Sache: Rechtsfragen wer<strong>de</strong>n immer<br />

komplexer. Dies führt naturgemäß dazu, dass je<strong>de</strong>n Tag eine<br />

Flut von neuen Urteilen, Erkenntnissen und Spezialaussagen in<br />

alle Rechtsgebieten auftritt.<br />

Gleichzeitig führt dies aber auch dazu, dass eine Anwaltskanzlei,<br />

wenn sie sich mit all diesen Rechtsgebieten abgibt, allenfalls<br />

nur durchschnittliches Wissen anbieten kann.<br />

Wir haben uns daher entschie<strong>de</strong>n, unsere Tätigkeitsschwerpunkte<br />

in Zukunft auf die Bereiche Arbeits- und Vertragsrecht<br />

zu legen.<br />

Zu diesem Zweck habe wir Verträge mit Anbietern von Online-<br />

Datenbanken geschlossen, welche uns u.a. ermöglichen, auf<br />

600.000 tagesaktuelle Dokumente im Arbeitsrecht zuzugreifen.<br />

Weiterhin greifen wir im Vertragsmanagement auf Datenbanken<br />

zu, welche die tagesaktuelle Rechtslage wi<strong>de</strong>rspiegeln und<br />

die individuelle Anpassung i.S.d. Mandanten ohne weiteres<br />

ermöglichen. Wir bauen darüber bun<strong>de</strong>sweit ein Anwaltsnetz<br />

auf, so dass Ihr Fall, falls erfor<strong>de</strong>rlich, im Expertenteam gelöst<br />

wird.<br />

An<strong>de</strong>re Rechtsgebiete, welche nicht in das Arbeits- und Vertragsrecht<br />

fallen, können wir aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Spezialisierung<br />

künftig nicht mehr bearbeiten, worauf wir vorsorglich hinwei-


202 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

sen. Selbstverständlich können wir in <strong>de</strong>rartigen Fällen an kompetente<br />

Anwaltskollegen weiter empfehlen, mit welchen wir<br />

bereits seit Jahren zusammenarbeiten.“<br />

Mit Schreiben v. 15.12.2003 mahnte die Kl. <strong>de</strong>n Bekl. ab, da<br />

sie die Äußerungen in <strong><strong>de</strong>m</strong> Anschreiben für wettbewerbswidrig<br />

hält. Eine Reaktion <strong>de</strong>s Bekl. unterblieb.<br />

Die Kl. hat die Auffassung vertreten:<br />

Der Bekl. preise sich in nicht hinnehmbarer Weise durch Herabsetzung<br />

an<strong>de</strong>rer Berufskollegen selbst an und verschaffe sich<br />

hierdurch einen Vorsprung durch Rechtsbruch. Zu<strong><strong>de</strong>m</strong> werbe<br />

<strong>de</strong>r Bekl. unzulässig mit Selbstverständlichkeiten wie <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Rechtskun<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Nutzung von Datenbanken.<br />

Die <strong>Aus</strong>sage beinhalte auch eine unzulässige vergleichen<strong>de</strong><br />

Werbung, in<strong><strong>de</strong>m</strong> Berufskollegen pauschal herabgesetzt wür<strong>de</strong>n.<br />

Als Wettbewerber sei <strong>de</strong>r Bekl. zur Unterlassung <strong>de</strong>rartiger<br />

Äußerungen verpflichtet.<br />

Die Kl. hat – soweit in <strong>de</strong>r Berufungsinstanz noch von Be<strong>de</strong>utung<br />

– beantragt, <strong>de</strong>n Bekl. zu verurteilen, es bei Meidung<br />

eines vom Gericht festzusetzen<strong>de</strong>n Ordnungsgel<strong>de</strong>s von bis zu<br />

250.000,00 Euro (ersatzweise Ordnungshaft) und/o<strong>de</strong>r Ordnungshaft<br />

von bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, zum Zwecke<br />

<strong>de</strong>s Wettbewerbs zu werben und/o<strong>de</strong>r werben zu lassen<br />

durch<br />

– die Verbreitung <strong>de</strong>r Behauptung, RAe ohne Spezialisierung<br />

auf ein o<strong>de</strong>r wenige Rechtsgebiete böte maximal durchschnittliches<br />

anwaltliches Wissen,<br />

– die beson<strong>de</strong>re hervorheben<strong>de</strong> Betonung <strong>de</strong>s Bestehens von<br />

Verträgen zwischen ihm und <strong>de</strong>n Anbietern von juristischen<br />

Datenbanken, <strong>de</strong>ren Dokumente die aktuelle Rechtslage<br />

wi<strong>de</strong>rspiegeln und tagesaktuell seien,<br />

wobei insbeson<strong>de</strong>re zu unterlassen ist, Rundschreiben zu versen<strong>de</strong>n,<br />

welche folgen<strong>de</strong> Passagen enthalten:<br />

„Noch ein Wort in eigener Sache: Rechtsfragen wer<strong>de</strong>n immer<br />

komplexer. Dies führt naturgemäß dazu, dass je<strong>de</strong>n Tag eine<br />

Flut von neuen Urteilen, Erkenntnissen und Spezialaussagen in<br />

allen möglichen Rechtsgebieten auftritt.<br />

Gleichzeitig führt dies aber auch dazu, dass eine Anwaltskanzlei,<br />

wenn sie sich mit all diesen Rechtsgebieten abgibt, allenfalls<br />

nur durchschnittliches Wissen anbieten kann.<br />

Wir haben uns daher entschie<strong>de</strong>n, unseren Tätigkeitsschwerpunkt<br />

in Zukunft auf die Bereiche Arbeits- und Vertragsrecht zu<br />

legen.<br />

Zu diesem Zweck haben wir Verträge mit Anbietern von<br />

Online-Datenbanken geschlossen, welche uns u.a. ermöglichen,<br />

auf 600.000 tagesaktuelle Dokumente im Arbeitsrecht<br />

zuzugreifen.“<br />

Der Bekl. hat beantragt, die Klage abzuweisen.<br />

Der Bekl. hat die Auffassung vertreten:<br />

Die gerügten Äußerungen seien inhaltlich richtig und von seinem<br />

Recht zur freien Meinungsäußerung ge<strong>de</strong>ckt. Eine unzulässige<br />

Qualitätswerbung liege nicht vor, <strong>de</strong>r Hinweis auf seine<br />

Spezialisierung sei keine Selbstanpreisung, son<strong>de</strong>rn informiere<br />

nur darüber, dass er sich zu spezialisieren beabsichtige. Eine<br />

Herabsetzung <strong>de</strong>r Berufskollegen beinhalte dies nicht.<br />

Das LG hat die Klage abgewiesen.<br />

Es hat ausgeführt:<br />

Die Kl. könne <strong>de</strong>n geltend gemachten Unterlassungsanspruch<br />

nicht auf § 1 UWG i.V.m. § 43b BRAO stützen. Die gerügte<br />

<strong>Aus</strong>sage <strong>de</strong>s Bekl. sei we<strong>de</strong>r wettbewerbswidrig noch verstoße<br />

diese gegen das anwaltliche Berufsrecht. Insbeson<strong>de</strong>re verletze<br />

er nicht das Gebot sachlicher Werbung in § 43b BRAO. Sein<br />

Anschreiben sei als Werbemaßnahme anzusehen, da es bei <strong>de</strong>r<br />

gebotenen Gesamtbetrachtung darauf abziele, an<strong>de</strong>re für die<br />

Inanspruchnahme <strong>de</strong>r Leistungen zu gewinnen. Im Kern <strong>de</strong>r<br />

<strong>Aus</strong>sage gehe es um die Absicht <strong>de</strong>s Bekl., <strong>de</strong>n Tätigkeitsschwerpunkt<br />

seiner Kanzlei auf <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s Arbeits- und<br />

Vertragsrechts zu legen, um sich auf dieses Gebiet zu spezialisieren.<br />

Die <strong>Aus</strong>sage, dass eine Spezialisierung zu einer Erhöhung<br />

<strong>de</strong>r Leistungsfähigkeit auf diesem Gebiet führe, sei im<br />

Grun<strong>de</strong> Allgemeingut und be<strong>de</strong>ute nicht gleichzeitig eine Herabsetzung<br />

<strong>de</strong>r nicht spezialisierten Kollegen. Hierin liegt keine<br />

unzulässige vergleichen<strong>de</strong> Werbung, da es insbeson<strong>de</strong>re an<br />

einem konkreten Vergleich zwischen <strong><strong>de</strong>m</strong> Bekl. und seinen<br />

Mitbewerbern fehle.<br />

Gegen das <strong><strong>de</strong>m</strong> erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten <strong>de</strong>r<br />

Kl. am 27.9.2004 zugestellte Urteil hat diese durch ihren beim<br />

OLG Dres<strong>de</strong>n zugelassenen Prozessbevollmächtigten mittels<br />

eines am 26.10.2004 beim Thüringer OLG eingegangenen<br />

Schriftsatzes Berufung eingelegt, <strong>de</strong>r diese mittels eines am<br />

26.11.2004 beim Thüringer OLG eingegangenen Schriftsatzes<br />

begrün<strong>de</strong>t hat.<br />

Die Kl. ist <strong>de</strong>r Auffassung:<br />

Der Vergleich einer spezialisierten Kanzlei mit einer nicht spezialisierten<br />

sei we<strong>de</strong>r sachlich geboten noch enthalte dieser<br />

einen Informationsgehalt. Hierdurch stelle sich eine spezialisierte<br />

Kanzlei gegenüber einer allgemeinen Kanzlei heraus. Mit<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> gewollten diskreditieren<strong>de</strong>n Grundton <strong>de</strong>r Werbung<br />

gegenüber an<strong>de</strong>ren Wettbewerbern/Kollegen verstoße <strong>de</strong>r Bekl.<br />

gegen das Sachlichkeitsgebot nach § 43b BRAO und damit<br />

auch gegen § 1 UWG.<br />

Die Kl. beantragt, unter Abän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Urteils <strong>de</strong>s LG ... v.<br />

22.9.2004 (...) <strong>de</strong>n Bekl. zu verurteilen, es bei Meidung eines<br />

im Zuwi<strong>de</strong>rhandlungsfall gerichtlich festzusetzen<strong>de</strong>n Ordnungsgel<strong>de</strong>s<br />

von bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft,<br />

o<strong>de</strong>r Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,<br />

zu Zwecken <strong>de</strong>s Wettbewerbs zu werben durch die Verbreitung<br />

<strong>de</strong>r Behauptung, RA-Kanzleien, welche sich nicht spezialisieren<br />

und sich statt<strong>de</strong>ssen mit einer Mehrzahl von Rechtsgebieten<br />

abgeben, seien lediglich in <strong>de</strong>r Lage, maximal durchschnittliche<br />

anwaltliche Leistungen zu erbringen, wobei insbeson<strong>de</strong>re<br />

zu unterlassen ist, in Rundschreiben die Behauptung<br />

„gleichzeitig führt dies (dass Rechtsfragen immer komplexer<br />

wer<strong>de</strong>n) dazu, dass eine Anwaltskanzlei, wenn sie sich mit all<br />

diesen Rechtsgebieten abgibt, allenfalls nur durchschnittliches<br />

Wissen anbieten kann“, aufzustellen.<br />

Der Bekl. beantragt, die Berufung zurückzuweisen.<br />

Der Bekl. ist <strong>de</strong>r Auffassung:<br />

Das LG habe die Klage rechtsfehlerfrei abgewiesen. Der Kl.<br />

stehe <strong>de</strong>r geltend gemachte Anspruch gem. § 3 UWG i.V.m.<br />

§ 43b BRAO nicht zu. Die Grenzen <strong>de</strong>r zuletzt genannten<br />

Norm seien von ihm offensichtlich eingehalten wor<strong>de</strong>n. Die<br />

Werbung sei nach Form und <strong>Inhalt</strong> sachlich. Dem Sachlichkeitsgebot<br />

<strong>de</strong>s § 43b BRAO trage diese ausreichend Rechnung,<br />

da sie auf eine reklamehafte Selbstanpreisung verzichte.<br />

Die Grenze <strong>de</strong>r Sachlichkeit sei noch nicht überschritten,<br />

wenn er ausführe, eine Spezialisierung führe zur Erhöhung <strong>de</strong>r<br />

Leistungsfähigkeit in <strong><strong>de</strong>m</strong> genannten Rechtsgebiet. Hierbei<br />

han<strong>de</strong>le es sich um eine Selbstverständlichkeit. Er gebe nur<br />

eine Lebenserfahrung wie<strong>de</strong>r, die letztlich allgemeiner Einschätzung<br />

entspreche. Die Mitteilung von Spezialisierungen<br />

setze nicht spezialisierte Kollegen nicht unsachlich herab. Sein<br />

Anschreiben halte sich in <strong>de</strong>n Grenzen einer sachlichen<br />

Unterrichtung über seine berufliche Tätigkeit bzw. seine Kanzlei.<br />

Hinsichtlich <strong>de</strong>s weiteren Sach- und Streitstan<strong>de</strong>s wird Bezug<br />

genommen auf die Schriftsätze <strong>de</strong>r Kl. v. 9.2.2004 (Bl. 1–6),


BRAK-Mitt. 4/2005 Berufsrechtliche Rechtsprechung 203<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

5.5.2004 (Bl. 32–33), 17.9.2004 (Bl. 53) und 25.11.2004<br />

(Bl. 81–85), die Schriftsätze <strong>de</strong>s Bekl. v. 31.3.2004 (Bl. 25–31),<br />

15.6.2004 (Bl. 39–41), 4.9.2004 (Bl. 49–51) und 5.1.2005<br />

(Bl. 99–105) sowie das Protokoll <strong>de</strong>r mündlichen Verhandlung<br />

vor <strong><strong>de</strong>m</strong> LG ... v. 1.9.2004 (Bl. 46–47) und vor <strong><strong>de</strong>m</strong> erkennen<strong>de</strong>n<br />

Senat v. 2.3.2005 (Bl. 106–107).<br />

II. Auf die zulässige Berufung war das angefochtene Urteil<br />

abzuän<strong>de</strong>rn und <strong>de</strong>r Bekl. nach Maßgabe <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r Berufungsinstanz<br />

noch verfolgten Unterlassungsbegehrens antragsgemäß<br />

zu verurteilen.<br />

Die Kl. kann die in <strong>de</strong>r Berufungsinstanz noch geltend<br />

gemachte Unterlassung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG beanspruchen,<br />

da <strong>de</strong>r Bekl. mit <strong>de</strong>r Behauptung in <strong><strong>de</strong>m</strong> streitgegenständlichen<br />

Rundschreiben § 3 UWG zuwi<strong>de</strong>rgehan<strong>de</strong>lt hat.<br />

Die Aktivlegitimation <strong>de</strong>r Kl. beruht auf § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG,<br />

was auch <strong>de</strong>r Bekl. im Rahmen seiner Verteidigung gegenüber<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Unterlassungsbegehren nicht in Frage gestellt hat. Mit <strong>de</strong>r<br />

unter Hervorhebung eigener Spezialisierung aufgestellten<br />

Behauptung, von RAen ohne Spezialisierung könne maximal<br />

durchschnittliches Wissen erwartet wer<strong>de</strong>n, hat <strong>de</strong>r Bekl.<br />

unlauter i.S.d. § 3 UWG gehan<strong>de</strong>lt.<br />

a) Dies ist nach § 6 Abs. 2 UWG u.a. <strong>de</strong>r Fall, wenn <strong>de</strong>r Bekl.<br />

vergleichend wirbt und dabei eine <strong>de</strong>r in § 6 Abs. 2 UWG aufgezählten<br />

Fallgruppen verwirklicht.<br />

aa) Mit <strong><strong>de</strong>m</strong> in <strong>de</strong>r vorstehend wie<strong>de</strong>rgegebenen Behauptung<br />

liegen<strong>de</strong>n Vergleich hat <strong>de</strong>r Bekl. gegen § 6 Abs. 2 Nr. 5 UWG<br />

verstoßen. Der Erklärungsgehalt <strong>de</strong>r <strong>Aus</strong>sage in <strong><strong>de</strong>m</strong> von <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Bekl. versandten Rundschreiben kann im Hinblick auf die<br />

angesprochenen Verkehrskreise nicht isoliert dahin verstan<strong>de</strong>n<br />

wer<strong>de</strong>n, dass fachlich spezialisierte Anwälte mehr wissen als<br />

solche ohne fachliche Spezialisierung. Vielmehr nimmt <strong>de</strong>r<br />

Bekl. in <strong><strong>de</strong>m</strong> Rundschreiben einen werten<strong>de</strong>n Vergleich vor,<br />

<strong>de</strong>r nach seinem Gesamteindruck seine eigene fachliche Spezialisierung<br />

in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund rückt und sich selbst mit Berufskollegen<br />

ohne Spezialisierung vergleicht. Dies vermittelt <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Empfänger <strong>de</strong>n Eindruck, dass <strong>de</strong>r Ratsuchen<strong>de</strong> bei einem fachlich<br />

spezialisierten Anwalt in <strong><strong>de</strong>m</strong> betreffen<strong>de</strong>n Fachgebiet bessere<br />

anwaltliche Leistungen erhält als bei Berufskollegen ohne<br />

fachliche Spezialisierung.<br />

Herabsetzung<br />

fachlich nicht<br />

spezialisierter RAe<br />

In dieser <strong>Aus</strong>sage ist eine Herabsetzung<br />

<strong>de</strong>r von einem fachlich<br />

nicht spezialisierten Mitbewerber<br />

angebotenen Dienstleistung<br />

zu sehen (§ 6 Abs. 2 Nr. 5<br />

UWG), da für das Unlauterkeitsurteil eine Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Wertschätzung<br />

<strong>de</strong>r von Mitbewerbern angebotenen Dienstleistungen<br />

genügt (vgl. OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 2005, 347 [347];<br />

Fezer/Koos, UWG, 2005, § 6 Rdnr. 233). <strong>Aus</strong> diesem Blickwinkel<br />

geht <strong>de</strong>r in <strong><strong>de</strong>m</strong> Rundschreiben angestellte Vergleich über<br />

eine bloße Gegenüberstellung hinaus. Vielmehr wird <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Empfänger suggeriert, dass dieser von fachlich nicht spezialisierten<br />

Anwälten schlechtere anwaltliche Leistungen zu erwarten<br />

hat. Damit geht das Rundschreiben über die mit je<strong><strong>de</strong>m</strong> Vergleich<br />

notwendig verbun<strong>de</strong>ne negative Wirkung hinaus. Die<br />

Qualität anwaltlicher Leistungen kann nicht ausschließlich auf<br />

das Fachwissen auf einem bestimmten Rechtsgebiet reduziert<br />

wer<strong>de</strong>n. Vielmehr wird <strong>de</strong>r Erfolg anwaltlicher Tätigkeit auch<br />

von Verhandlungsgeschick, Erfahrungen etc. geprägt. Deshalb<br />

rechtfertigt eine nicht geson<strong>de</strong>rt ausgewiesene fachliche Spezialisierung<br />

nicht die Schlussfolgerung, dass <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong><br />

Berufskollege schlechtere anwaltliche Dienstleistungen anbietet.<br />

Insoweit schließt sich <strong>de</strong>r erkennen<strong>de</strong> Senat <strong>de</strong>n überzeugen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Aus</strong>führungen <strong>de</strong>s OLG Braunschweig in <strong><strong>de</strong>m</strong> Urteil v.<br />

31.10.2002 an (OLG Braunschweig, NJW-RR 2003, 686<br />

[687]).<br />

bb) Mit <strong>de</strong>r angegriffenen Behauptung hat sich <strong>de</strong>r Bekl. mit<br />

einem Mitbewerber verglichen. Im Rahmen <strong>de</strong>s § 6 Abs. 2<br />

Nr. 5 UWG genügt es, wenn die Werbung <strong>de</strong>n Mitbewerber<br />

und die von ihm angebotenen Dienstleistungen zumin<strong>de</strong>st mittelbar<br />

erkennbar macht. Damit ist allerdings nicht gemeint,<br />

dass je<strong>de</strong> noch so fern liegen<strong>de</strong>, „nur um zehn Ecken<br />

gedachte“ Bezugnahme ausreicht, so dass allein in <strong>de</strong>r Anpreisung<br />

<strong>de</strong>r eigenen Leistungen in <strong>de</strong>r Regel noch kein Vergleich<br />

mit <strong>de</strong>n Leistungen von Mitbewerbern zu sehen ist, weil es in<br />

diesem Fall an einer Gegenüberstellung fehlt (BGH, GRUR<br />

2002, 982 [983] Die „Steinzeit“ ist vorbei!; OLG Frankfurt<br />

a.M., NJW-RR 2005, 347 [347]).<br />

Hierüber geht die Behauptung <strong>de</strong>s Bekl. in <strong>de</strong>r angegriffenen<br />

Passage <strong>de</strong>s Rundschreibens jedoch hinaus. Er hat sich nicht<br />

darauf beschränkt, die von ihm angestrebte Spezialisierung<br />

hervorzuheben, son<strong>de</strong>rn stellt diese <strong>de</strong>n Leistungen an<strong>de</strong>rer<br />

Anbieter von anwaltlichen Dienstleistungen gegenüber, die<br />

über keine Spezialisierung verfügen bzw. davon absehen,<br />

diese geson<strong>de</strong>rt herauszustellen. Dabei ist es nach <strong>de</strong>r Legal<strong>de</strong>finition<br />

in § 6 Abs. 1 UWG unschädlich, dass <strong>de</strong>r Bekl. die<br />

Mitbewerber nicht namentlich benannt hat. Es genügt, wenn<br />

die Werbung so <strong>de</strong>utlich gegen einen o<strong>de</strong>r mehrere bestimmte<br />

Mitbewerber gerichtet ist, dass sich <strong>de</strong>n angesprochenen Verkehrskreisen<br />

eine Bezugnahme auf sie förmlich aufdrängt<br />

(BGH, GRUR 2002, 982 [983] Die „Steinzeit“ ist vorbei!).<br />

Dies kommt nach <strong>de</strong>n Grundsätzen <strong>de</strong>r höchstrichterlichen<br />

Rspr. umso eher in Betracht, je kleiner <strong>de</strong>r Kreis <strong>de</strong>r Adressaten<br />

ist.<br />

Für die mittelbare Erkennbarkeit<br />

<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Vergleich einbezogenen<br />

Mitbewerber spricht hier,<br />

dass sich <strong>de</strong>r Bekl. mit seinem<br />

Rundschreiben nicht – wie bei<br />

einem Zeitungsinserat – in allgemeiner Form an das Publikum,<br />

son<strong>de</strong>rn gezielt an ausgewählte Personen gerichtet hat, von<br />

<strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Bekl. erwartete, dass sie als Nachfrager spezialisierter<br />

anwaltlicher Dienstleistungen in Betracht kommen. Dementsprechend<br />

musste sich für die Empfänger <strong>de</strong>r Eindruck aufdrängen,<br />

dass <strong>de</strong>r Bekl. bessere anwaltliche Leistungen anzubieten<br />

vermag als die im unmittelbaren örtlichen Bereich <strong>de</strong>r<br />

Empfänger tätigen RAe ohne geson<strong>de</strong>rt kenntlich gemachte<br />

Spezialisierung. Aufgrund dieser Beson<strong>de</strong>rheit <strong>de</strong>r von <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Bekl. durchgeführten vergleichen<strong>de</strong>n Werbemaßnahme waren<br />

für die Empfänger <strong>de</strong>r Rundschreiben die in <strong>de</strong>n Vergleich einbezogenen<br />

Mitbewerber auch ohne <strong>de</strong>ren namentliche Benennung<br />

ein<strong>de</strong>utig erkennbar.<br />

Keine nur unerhebliche<br />

Beeinträchtigung<br />

<strong>de</strong>s Wettbewerbs<br />

Mittelbare<br />

Erkennbarkeit <strong>de</strong>r<br />

Mitbewerber<br />

cc) Ob für ein unlauteres Wettbewerbsverhalten<br />

i.S.d. § 3<br />

UWG auch bei <strong>de</strong>n von § 6<br />

Abs. 2 UWG erfassten Sachverhalten<br />

eine nicht nur unerhebliche<br />

Beeinträchtigung <strong>de</strong>s Wettbewerbs erfor<strong>de</strong>rlich ist (zum<br />

Diskussionsstand vgl. stellvertretend Fezer/Koos, UWG,<br />

2005, § 6 Rdnr. 26 ff.), bedarf in <strong><strong>de</strong>m</strong> hier zu beurteilen<strong>de</strong>n<br />

Rechtsstreit keiner Entscheidung. Die unlautere Wettbewerbshandlung<br />

<strong>de</strong>s Bekl. hat die Schwelle einer lediglich unerheblichen<br />

Beeinträchtigung überschritten, da <strong>de</strong>r Bekl. potentielle<br />

Interessenten unmittelbar angeschrieben und das Rundschreiben<br />

gezielt zur Gewinnung von Mandanten eingesetzt<br />

hat.<br />

dd) Für die Begrün<strong>de</strong>theit <strong>de</strong>s Unterlassungsbegehrens kann<br />

sich <strong>de</strong>r Bekl. nicht darauf berufen, dass sich sein Rundschreiben<br />

in <strong>de</strong>n durch § 43b BRAO für die Werbung eines RA<br />

gezogenen Grenzen bewegt. Selbst wenn sich <strong>de</strong>r Bekl. in<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> streitgegenständlichen Rundschreiben auf eine in Form


204 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 4/2005<br />

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung<br />

und <strong>Inhalt</strong> sachliche Unterrichtung über seine berufliche<br />

Tätigkeit beschränkt hat, umschreibt § 43b BRAO <strong>de</strong>n rechtlichen<br />

Rahmen, unter <strong>de</strong>nen RAe für ihre Tätigkeit werben dürfen,<br />

nicht abschließend. Insbeson<strong>de</strong>re entfaltet § 43b BRAO<br />

keine privilegieren<strong>de</strong> Wirkung für eine <strong><strong>de</strong>m</strong> Sachlichkeitsgebot<br />

entsprechen<strong>de</strong> Werbung. Das gilt vor allem, wenn die<br />

anwaltliche Werbemaßnahme <strong>de</strong>n lauterkeitsrechtlichen Vorgaben<br />

für eine vergleichen<strong>de</strong> Werbung in § 6 Abs. 2 UWG<br />

wi<strong>de</strong>rspricht.<br />

ee) Soweit sich <strong>de</strong>r Bekl. im Rahmen <strong>de</strong>r Berufungserwi<strong>de</strong>rung<br />

für <strong>de</strong>n <strong>Inhalt</strong> seines Rundschreibens auf die grundrechtliche<br />

Gewährleistung <strong>de</strong>r Meinungsäußerungsfreiheit in Art. 5<br />

Abs. 1 Satz 1 GG beruft, steht <strong><strong>de</strong>m</strong> Art. 5 Abs. 2 GG entgegen,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Gesetzgeber in <strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n Verhältnismäßigkeitsgrundsatz<br />

gezogenen Grenzen berechtigt, die Meinungsäußerungsfreiheit<br />

im Interesse an<strong>de</strong>rer Rechtsgüter einzuschränken.<br />

Dies ist durch § 6 Abs. 2 UWG in verfassungsrechtlich<br />

nicht zu beanstan<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Weise im Hinblick auf die<br />

gleichfalls grundrechtlich geschützte berufliche Tätigkeit <strong>de</strong>r<br />

Mitbewerber geschehen. Auch das legitime Anliegen <strong>de</strong>s<br />

Bekl., seine angestrebte fachliche Spezialisierung hervorzuheben,<br />

rechtfertigt es nicht, hierbei die anwaltlichen Leistungen<br />

seiner fachlich nicht spezialisierten Berufskollegen herabzusetzen.<br />

b) Da <strong>de</strong>r Bekl. bereits wegen seines Verstoßes gegen § 6<br />

Abs. 2 Nr. 5 UWG über die §§ 3, 8 Abs. 1 UWG verpflichtet<br />

ist, die in <strong><strong>de</strong>m</strong> Antrag umschriebene Behauptung zu unterlassen,<br />

konnte <strong>de</strong>r erkennen<strong>de</strong> Senat dahingestellt sein lassen, ob<br />

seine <strong>Aus</strong>sagen in <strong><strong>de</strong>m</strong> streitgegenständlichen Rundschreiben<br />

gegen das Sachlichkeitsgebot in § 43b BRAO verstoßen und<br />

damit nach § 4 Nr. 11 UWG unlauter sind.<br />

Werbung – <strong>Aus</strong>führungen einer Kanzlei zu <strong>de</strong>n Dienstleistungen<br />

ihres Mandanten<br />

BRAO § 43b<br />

*1. Es stellt eine sachliche Information über die Tätigkeit von<br />

RAen dar, dass diese bestimmte – auch be<strong>de</strong>utsame – Mandate<br />

betreuen.<br />

*2. Es stün<strong>de</strong> nicht mit <strong><strong>de</strong>m</strong> Berufsbild <strong>de</strong>s unabhängigen Organs<br />

<strong>de</strong>r Rechtspflege im Einklang, wenn sich ein Anwalt unter Bezugnahme<br />

auf seine Tätigkeit in die kommerzielle Werbung von<br />

gewerblich tätigen Mandanten einschalten ließe. Ohne sachlichen<br />

Anlass dürfte ein gewerbliches Unternehmen in <strong>de</strong>r Werbung für<br />

seine Produkte o<strong>de</strong>r Dienstleistungen die Autorität eines RA zur<br />

Unterstützung <strong>de</strong>r Werbebotschaft nicht einsetzen.<br />

*3. Die von einer RA-Kanzlei in einem Schreiben mitgeteilte<br />

Information über eine von ihr betreute Mandantin, welche Verwertungsrechte<br />

von musikalischen Urhebern wahrnehmen soll<br />

und sich daher in einem Bereich betätigen wird, <strong>de</strong>r sich mit <strong>de</strong>r<br />

rechtsanwaltlichen Tätigkeit durchaus berührt, ist zulässig.<br />

LG Hamburg, Beschl. v. 3.9.2004 – 312 O 801/04<br />

<strong>Aus</strong> <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n:<br />

I. Die Ast. sind RAe in H. und stellen ihr rechtsberaten<strong>de</strong>s<br />

Dienstleistungsangebot u.a. auch mit einem eigenen Internetauftritt<br />

gegenüber <strong><strong>de</strong>m</strong> rechtsuchen<strong>de</strong>n Publikum dar. Die Ag.<br />

sind RAe in M. Mit einem Schreiben v. 19.8.2004 auf <strong><strong>de</strong>m</strong><br />

Briefkopf <strong>de</strong>r Anwaltskanzlei <strong>de</strong>r Ag. stellen die Ag. gegenüber<br />

einem Unternehmen in H. eine neue Verwertungsgesellschaft<br />

für musikalische Urheberrechte vor, die von <strong>de</strong>n Ag. anwaltlich<br />

vertreten wird.<br />

Die Ast. sind <strong>de</strong>r Auffassung, dass das Anpreisen <strong>de</strong>r Leistungen<br />

eines Mandanten berufsrechtlich <strong><strong>de</strong>m</strong> RA untersagt ist und<br />

möchten mit ihrem Verfügungsantrag es <strong>de</strong>n Ag. verbieten lassen,<br />

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken <strong>de</strong>s Wettbewerbs<br />

Werbung für die Dienstleistungen <strong>de</strong>r Firma ... zu betreiben,<br />

sofern dies unter gleichzeitigem Hinweis auf die anwaltliche<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>r Ag. geschieht.<br />

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nicht<br />

begrün<strong>de</strong>t. Dem RA ist Werbung gem. § 43b BRAO prinzipiell<br />

erlaubt. Die neuere Rspr. <strong>de</strong>s BGH geht unter Berufung auf die<br />

grundrechtlich geschützte Berufsausübungsfreiheit entgegen<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Gesetzeswortlaut von § 43b BRAO davon aus, dass RAen<br />

Werbung für ihre berufliche Tätigkeit im Grundsatz nicht verboten,<br />

son<strong>de</strong>rn erlaubt sei, dass mithin nicht die Gestattung<br />

<strong>de</strong>r Anwaltswerbung <strong>de</strong>r Rechtfertigung bedarf, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ren<br />

Einschränkung (siehe Köhler/Piper, UWG, 3. Aufl. 2002,<br />

Rdnr. 835 zu § 1 UWG a.F.). Ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit<br />

ist nur gerechtfertigt, wenn ihr im Einzelfall<br />

ausreichen<strong>de</strong> Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Gemeinwohls, wie sie auch in<br />

§ 43b BRAO zum Tragen kommen, entgegenstehen und <strong>de</strong>r<br />

Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit gewahrt wird (BGH, Urt. v.<br />

1.3.2001, NJW 2001, 2087 „Anwaltswerbung II“). Werbung<br />

ist nach Maßgabe <strong>de</strong>s § 43b BRAO <strong><strong>de</strong>m</strong> RA insoweit erlaubt,<br />

als über die berufliche Tätigkeit in Form und <strong>Inhalt</strong> sachlich<br />

unterrichtet wird und die Werbung nicht auf die Erteilung<br />

eines Auftrages im Einzelfall gerichtet ist (Baumbach/Hefermehl,<br />

Wettbewerbsrecht, 22. Aufl. 2001, Rdnr. 682a zu § 1<br />

UWG a.F.)<br />

Das von <strong>de</strong>n Ast. beanstan<strong>de</strong>te Schreiben v. 19.8.2004 ist nach<br />

diesen Grundsätzen nicht als unzulässige Werbung zu beurteilen.<br />

Allerdings stellt sich dieses Schreiben auch mittelbar als<br />

Werbung für die RA-Kanzlei <strong>de</strong>r Ag. dar, die zum <strong>Aus</strong>druck<br />

bringen, dass sie die anwaltlichen Vertreter <strong>de</strong>r neuen Verwertungsgesellschaft<br />

für musikalische Urheberrechte seien, <strong>de</strong>ren<br />

Vorzüge im Einzelnen in <strong><strong>de</strong>m</strong> Schreiben dargestellt wer<strong>de</strong>n.<br />

Diese Erwähnung <strong>de</strong>s Mandatsverhältnisses ist jedoch nach<br />

<strong>de</strong>n Grundsätzen über die Anwaltswerbung nicht zu beanstan<strong>de</strong>n.<br />

Es stellt eine sachliche Information über die Tätigkeit <strong>de</strong>r<br />

RAe dar, dass diese bestimmte – auch be<strong>de</strong>utsame – Mandate<br />

betreuen. Das Schreiben war nicht auf die Anbahnung eines<br />

konkreten Mandatsverhältnisses mit <strong>de</strong>r angeschriebenen<br />

Firma gerichtet.<br />

Die Be<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r Ast., die es als generell unzulässig ansehen,<br />

dass RAe sich lobend o<strong>de</strong>r anpreisend über Leistungen eines<br />

Mandanten in Form <strong>de</strong>r Werbung äußern, vermag die Kammer<br />

im vorliegen<strong>de</strong>n Fall nicht zu teilen. Allerdings wür<strong>de</strong> es mit<br />

<strong><strong>de</strong>m</strong> Berufsbild <strong>de</strong>s unabhängigen Organs <strong>de</strong>r Rechtspflege<br />

nicht in Einklang stehen, wenn dieser unter Bezug auf seine<br />

Anwaltstätigkeit sich in die kommerzielle Werbung von<br />

gewerblich tätigen Mandanten einschalten ließe. So könnte<br />

beanstan<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n, wenn ohne sachlichen Anlass ein<br />

gewerbliches Unternehmen in <strong>de</strong>r Werbung für seine Produkte<br />

o<strong>de</strong>r Dienstleistungen die Autorität eines RA zur Unterstützung<br />

<strong>de</strong>r Werbebotschaft einsetzen wür<strong>de</strong>.<br />

Hiervon kann jedoch bei <strong><strong>de</strong>m</strong> Schreiben <strong>de</strong>r Ag. v. 19.8.2004<br />

nicht die Re<strong>de</strong> sein. Die Mandantin <strong>de</strong>r Ag. soll Verwertungsrechte<br />

von musikalischen Urherbern wahrnehmen. Sie wird<br />

sich daher in einem Bereich betätigen, <strong>de</strong>r sich mit <strong>de</strong>r rechtsanwaltlichen<br />

Tätigkeit <strong>de</strong>r Ag. durchaus berührt, so dass ein<br />

hinreichen<strong>de</strong>r Anlass für die Vorstellung dieser neuen Verwertungsgesellschaft<br />

innerhalb <strong>de</strong>r interessierten Branche durch<br />

die Ag. anzuerkennen ist.<br />

Demnach war <strong>de</strong>r Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />

zurückzuweisen.

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