WACHSTUMSFIEBER Gesundheit als Treiber der ... - Roland Berger
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CHARISMA: Der Übermanager ist ein Mythos Seite 12<br />
Jahrgang 3 Ausgabe 1<br />
März 2006<br />
Das Executive-Magazin von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
DENKER<br />
Peter Senge<br />
erklärt, wie Gesellschaften<br />
lernen<br />
MANAGER<br />
Novartis-Chef<br />
Vasella setzt<br />
auf neue Märkte<br />
HÄUPTLING<br />
Ein Cree-Dorf<br />
wi<strong>der</strong>spricht<br />
allen Klischees<br />
HISTORIKER<br />
Niall Ferguson<br />
fürchtet den globalen<br />
Finanzcrash<br />
Dossier ab Seite 27:<br />
<strong>WACHSTUMSFIEBER</strong><br />
<strong>Gesundheit</strong> <strong>als</strong> <strong>Treiber</strong><br />
<strong>der</strong> Weltwirtschaft
BÜRO DETROIT, ROLAND BERGER STRATEGY CONSULTANTS LLC,<br />
2401 WEST BIG BEAVER ROAD, SUITE 500, TROY, MI 48084, USA, Telefon: +1 248 729-5000,<br />
Fax: +1 248 649-1794, E-Mail: office_detroit@rolandberger.com
think: act das executive-magazin von roland berger strategy consultants jahrgang 3 märz 2006 first views f<br />
Wachstum braucht Innovation. Das gilt beson<strong>der</strong>s<br />
für die Pharma- und <strong>Gesundheit</strong>sbranche. Um die boomende<br />
Nachfrage nach <strong>Gesundheit</strong> und Wellness zu nutzen, müssen<br />
die Unternehmen hier nicht nur selbst Kreativität entwickeln,<br />
son<strong>der</strong>n auch offen sein für Partnerschaften und Kooperationen<br />
mit <strong>der</strong> Wissenschaft und mit dem Wettbewerb. Trends, Analysen<br />
und Fallbeispiele dazu finden Sie in unserem Dossier.<br />
Gerade die Fähigkeit zur Zusammenarbeit über nationale und<br />
Unternehmensgrenzen hinweg kann ein Wettbewerbsvorteil<br />
europäischer Unternehmen sein. Das zeigen die Positivbeispiele<br />
unserer Initiative „Best of European Business“. Nach den Preisverleihungen<br />
in den sieben stärksten Ökonomien <strong>der</strong> EU im<br />
Oktober 2005 haben wir nun analysiert, welche Unternehmen<br />
am erfolgreichsten Geschäfte in Europa machen, und zwar unabhängig<br />
von ihrer Nationalität. Das Ergebnis: Alle Gewinner<br />
haben europäische Wurzeln, die Spitzenunternehmen nutzen<br />
Europa <strong>als</strong> einen exzellenten Heimatmarkt.<br />
Unsere „Best of European Business“ weisen weitere wichtige<br />
Gemeinsamkeiten auf: Sie verfolgen eine klare Strategie mit<br />
gleichzeitigen Kostensenkungen und Investitionen in neues<br />
Wachstum. Sie nutzen die Vielfalt Europas <strong>als</strong> einen Wettbewerbsvorteil,<br />
sie kombinieren harte und weiche Faktoren,<br />
um Wachstum zu erzielen. Und sie richten sich ganz klar auf<br />
Kreativität und Persönlichkeit aus. O<strong>der</strong> – wie wir bei <strong>Roland</strong><br />
<strong>Berger</strong> sagen – auf „Characters creating impact“.<br />
Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei <strong>der</strong> Lektüre<br />
Dr. Burkhard Schwenker<br />
CEO <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
3
p inhalt<br />
Rasante Verän<strong>der</strong>ungen prägen das Geschäft des globalen<br />
Einzelhandels. Der E-Commerce setzt sich zunehmend durch;<br />
Handelsmarken eröffnen neue Profitchancen. Seite 6<br />
Auch Gesellschaften müssen lernen, for<strong>der</strong>t Peter Senge, Vordenker<br />
des lernenden Unternehmens. Aber: Es reicht nicht, Lernen einfach zu verordnen.<br />
Gefragt sind Visionen – und ein langer Atem. Seite 8<br />
Mehr Marketing soll er betreiben, riet Kassenchef Norbert Klusen<br />
(rechts) Charité-CEO Detlev Ganten. Was dieser erwi<strong>der</strong>te und wie beide<br />
eine exzellente Versorgung sichern wollen, lesen Sie ab Seite 34.<br />
Mit alten Klischees hat das Leben <strong>der</strong> Cree-Indianer in Wemindji<br />
nicht mehr viel zu tun. Das kanadische Dorf ist ein Musterbeispiel für<br />
erfolgreiches Management und sensible Führung. Seite 24<br />
4
inhalt f<br />
food for thought<br />
6 Handelskampf<br />
Die größten Einzelhändler sitzen<br />
in den USA und in Europa.<br />
Handelsmarken sind im Kommen.<br />
8 Gesellschaft auf <strong>der</strong> Schulbank<br />
Peter Senge erklärt, warum echtes<br />
Lernen mehr ist <strong>als</strong> die Teilnahme<br />
an Seminaren.<br />
12 Mythos Charisma<br />
Ausstrahlung ist nicht angeboren.<br />
Und was gestern überzeugte, kann<br />
heute Wi<strong>der</strong>stand hervorrufen.<br />
20 Globalisierung am Ende<br />
Historiker Niall Ferguson sieht die<br />
USA in <strong>der</strong> Krise. Sein Kollege Herfried<br />
Münkler ist optimistischer.<br />
24 Boom im Reservat<br />
Wie ein Indianerhäuptling sein<br />
kanadisches Dorf zum Vorzeigeunternehmen<br />
macht.<br />
<br />
dossier<br />
27 Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong><br />
Verstärkte Zusammenarbeit und<br />
<strong>der</strong> Fokus auf Innovation führen<br />
zum Erfolg.<br />
33 Heilsame Geldquellen<br />
Die Investoren entdecken den<br />
<strong>Gesundheit</strong>smarkt.<br />
34 Streitgespräch<br />
Wie viel Marketing muss ein<br />
Krankenhaus betreiben<br />
38 Ideen, die zu Märkten werden<br />
Roboter operieren, Kissen<br />
kuscheln.<br />
40 <strong>Gesundheit</strong>sstadt<br />
Mit einem riesigen Medizinzentrum<br />
will Dubai seine<br />
Abhängigkeit vom Öl reduzieren.<br />
42 Zauberwort Kooperation<br />
Pharmaunternehmen setzen auf<br />
Zusammenarbeit <strong>als</strong> Erfolgsrezept.<br />
45 Think-Tank<br />
Ein Forschungszentrum sammelt<br />
alles über MS, die Industrie freut’s.<br />
industry-report<br />
46 Europas Beste<br />
Die Spitzenfirmen des alten<br />
Kontinents sehen dessen Zukunft<br />
optimistisch.<br />
business-culture<br />
52 Ausgekuschelt<br />
Das Personalmanagement<br />
entdeckt die Vorzüge <strong>der</strong> straffen<br />
Führung wie<strong>der</strong>.<br />
56 Von wegen rational<br />
Manager lassen sich in ihren<br />
Entscheidungen von nationalen<br />
Stereotypen beeinflussen.<br />
58 Ostwind<br />
Wie Business-Schools zwischen<br />
Wilnius und Moskau die Kunst <strong>als</strong><br />
Wettbewerbsvorteil entdecken.<br />
60 Ten Years after<br />
Amitai Etzioni glaubt an die<br />
Macht des Gesellschaftlichen.<br />
regulars<br />
3 First Views<br />
50 Zukunftsmärkte im Check<br />
62 Service | Impressum<br />
Dossier<br />
Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong>: Wie<br />
Unternehmen vom Boom profitieren.<br />
Ab Seite 27<br />
5
p food for thought<br />
unternehmensgründung<br />
Handelsmacht<br />
Der harte Wettbewerb im Einzelhandel setzt die Unternehmen<br />
weiter unter Wachstumsdruck. In <strong>der</strong> Vergangenheit haben viele<br />
Konzerne auf Übernahmen gesetzt. Künftig scheint es vor allem<br />
um organisches Wachstum auch im Onlinebereich zu gehen – und<br />
um den Auf- und Ausbau starker Handelsmarken.<br />
Konzentration vorerst abgeschlossen<br />
Im Jahr 1991 teilten die fünf größten Handelsunternehmen noch knapp 16 Prozent des europäischen<br />
Lebensmittelmarktes unter sich auf. 2000 waren es schon 25 Prozent. Dabei dürfte es<br />
vorerst auch bleiben, prognostizieren die Forscher von Planet Retail. Ein sprunghaftes<br />
Ansteigen <strong>der</strong> Konzentration durch weitere Übernahmen sei vorerst kaum mehr möglich.<br />
Quelle: Planet Retail<br />
7,4 %<br />
Carrefour/<br />
Promodès (F)<br />
68 Mrd. Euro<br />
7,0 %<br />
Carrefour/<br />
Promodès (F)<br />
97 Mrd. Euro<br />
5,4 %<br />
Metro (D)<br />
32 Mrd. Euro<br />
5,4 %<br />
Metro (D)<br />
39 Mrd. Euro<br />
5,5 %<br />
Metro (D)<br />
51 Mrd. Euro<br />
5,7 %<br />
Metro (D)<br />
80 Mrd. Euro<br />
3,0 %<br />
2,5 %<br />
2,5 %<br />
2,5 %<br />
Rewe (D)<br />
18 Mrd. Euro<br />
Promodès (F)<br />
16 Mrd. Euro<br />
Intermarché (F)<br />
15 Mrd. Euro<br />
Leclerc (F)<br />
15 Mrd. Euro<br />
3,1 %<br />
3,0 %<br />
2,9 %<br />
2,8 %<br />
Rewe (D)<br />
22 Mrd. Euro<br />
Promodès (F)<br />
21 Mrd. Euro<br />
Aldi (D)<br />
21 Mrd. Euro<br />
Edeka (D)<br />
19 Mrd. Euro<br />
4,1 %<br />
4,1 %<br />
3,9 %<br />
Intermarché (F)<br />
38 Mrd. Euro<br />
Rewe (D)<br />
38 Mrd. Euro<br />
Tesco (GB)<br />
36 Mrd. Euro<br />
4,8 %<br />
3,9 %<br />
3,5 %<br />
Tesco (GB)<br />
67 Mrd. Euro<br />
Schwarz-Gruppe (D)<br />
54 Mrd. Euro<br />
Rewe (D)<br />
49 Mrd. Euro<br />
1991<br />
15,9 %<br />
des europäischen Marktes<br />
1994<br />
17,2 %<br />
des europäischen Marktes<br />
2000<br />
25,0 %<br />
des europäischen Marktes<br />
2010<br />
24,9 %<br />
des europäischen Marktes<br />
Verdrängungskampf<br />
Zunehmend erfolgreich kämpfen Onlineanbieter um die Gunst <strong>der</strong><br />
Konsumenten. Je nach Produktkategorie ist durchaus eine Verdrängung des<br />
stationären Einzelhandels durch das Onlineshopping zu erwarten. Der<br />
Verkauf übers Internet sichert sich in vielen Bereichen einen signifikanten<br />
Anteil am Gesamtumsatz.<br />
E-Commerce wächst deutlich<br />
Die Europäer werden künftig vor allem Medien<br />
Anteil am Gesamtumsatz<br />
<strong>der</strong><br />
vermehrt online erwerben und Reisen buchen.<br />
2005 2007 2009 Produktkategorie 2009<br />
Medien 9 526 Euro 14 026 Euro 19157 Euro 24 %<br />
Event-Tickets 4 950 Euro 8 226 Euro 11349 Euro 27 %<br />
Blumen 652 Euro 1083 Euro 1594 Euro 14 %<br />
Bekleidung 8 893 Euro 17 792 Euro 29 427 Euro 8 %<br />
Freizeit, Sportzubehör 3 212 Euro 4 321 Euro 5 653 Euro 15 %<br />
Elektronik 5 905 Euro 9 891 Euro 14 584 Euro 16 %<br />
Lebensmittel, Kosmetik 7 373 Euro 14 557 Euro 26 394 Euro 3 %<br />
Haushaltsprodukte, Möbel 3 560 Euro 7 538 Euro 14 008 Euro 5 %<br />
Urlaubsreisen 13 935 Euro 27602 Euro 46 896 Euro 21 %<br />
Quelle: Forrester Research, Zahlen in Mio. Euro<br />
6
handel setzt auf handelsmarken<br />
food for thought f<br />
300<br />
280<br />
260<br />
11,3<br />
%<br />
Werden die Kleinen abgehängt<br />
Der US-Handelsriese Wal-Mart liegt umsatzmäßig uneinholbar vor jedem<br />
Konkurrenten – er erzielte 2004 einen höheren Umsatz <strong>als</strong> die drei größten<br />
Wettbewerber zusammen. Grund ist nicht zuletzt <strong>der</strong> riesige Heimatmarkt.<br />
Auffällig: Die 14 umsatzstärksten Firmen 2004 kommen allesamt aus Europa<br />
und den USA.<br />
300<br />
280<br />
260<br />
240<br />
240<br />
220<br />
220<br />
200<br />
200<br />
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
Wal-Mart (USA)<br />
Carrefour (F)<br />
Metro (D)<br />
Ahold (NL)<br />
Tesco (GB)<br />
Kroger (USA)<br />
20<br />
0<br />
256,3<br />
285,2<br />
79,8<br />
90,3<br />
60,6<br />
70,1<br />
Wachstum<br />
<strong>der</strong> Großen<br />
von 2003 auf 2004<br />
63,4<br />
64,6<br />
54,8<br />
62,2<br />
53,8<br />
56,4<br />
44,3<br />
50,7<br />
Rewe (D)<br />
Costco (USA)<br />
∅ <strong>der</strong> 8 Großen<br />
∅<br />
10,9<br />
%<br />
<br />
<br />
13,2<br />
% 15,7<br />
% 1,9<br />
% 13,5<br />
% 4,8 14,4<br />
% % 10,8<br />
%<br />
42,5<br />
47,1<br />
Target (USA)<br />
Auchan (F)*<br />
Intermarché (F)*<br />
Schwarz-Gruppe (D)*<br />
81,9<br />
90,8<br />
48,2<br />
46,9<br />
32,5<br />
44,7<br />
Wachstum<br />
<strong>der</strong> Mittleren<br />
von 2003 auf 2004<br />
-2,7<br />
% 37,5<br />
% 1,1<br />
% 14,8<br />
% 10 % 12,7<br />
% 28,5<br />
% 15,7<br />
%<br />
43,5<br />
44,0<br />
Aldi (D)*<br />
Albertson‘s (USA)<br />
Aeon (JP)<br />
Walgreens (USA)<br />
∅ <strong>der</strong> 8 Mittleren<br />
37,1<br />
42,6<br />
38,1<br />
41,9<br />
35,4<br />
39,9<br />
30,2<br />
38,8<br />
∅<br />
13,2<br />
%<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
32,5<br />
37,6<br />
<br />
Safeway (USA)<br />
Ito-Yokado (JP)<br />
E. Leclerc (F)<br />
Edeka (D)<br />
CVS (USA)<br />
Tengelmann (D)<br />
37,2<br />
42,1<br />
0,8<br />
%<br />
9,8<br />
%<br />
6,5<br />
%<br />
-10<br />
35,5<br />
35,8<br />
30,5<br />
33,5<br />
Wachstum<br />
<strong>der</strong> Kleineren<br />
von 2003 auf 2004<br />
30,8<br />
32,8<br />
15 -1 % %<br />
10,8 % %<br />
35,3<br />
31,8<br />
26,6<br />
30,6<br />
30,1<br />
29,8<br />
26,0<br />
28,8<br />
Casino (F)<br />
Sainsbury (GB)<br />
∅ <strong>der</strong> 8 Kleinen<br />
∅<br />
2,6<br />
%<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
-5,4<br />
%<br />
29,8<br />
28,2<br />
<br />
<br />
30,6<br />
31,4<br />
180<br />
160<br />
140<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
Nettoumsatz Mrd. US-$ 2003 Nettoumsatz Mrd. US-$ 2004 Ranking basierend auf den Nettoumsätzen 2004 * Schätzungen Quelle: Handel aktuell 2005/2006<br />
Handelsmarken<br />
sind im Kommen<br />
Die Einzelhandelsketten erzielen immer mehr Umsatz mit<br />
Handelsmarken. Weltweit hat <strong>der</strong>en Umsatz allein zwischen<br />
2004 und 2005 um fünf Prozent zugenommen.<br />
Neben dem Preis ist ihre zunehmende Bedeutung auf die steigende<br />
Marketingexpertise <strong>der</strong> großen Einzelhändler zurückzuführen.<br />
25<br />
20<br />
15<br />
Handelsmarken in Europa am stärksten<br />
Fast ein Viertel aller Umsätze des europäischen Einzelhandels entfällt in Europa mittlerweile auf<br />
Handelsmarken. Doch auch in den USA spielen die Marken <strong>der</strong> Einzelhandelsfirmen eine bedeutende Rolle.<br />
Ein Randphänomen sind sie hingegen noch in Lateinamerika und Ostasien.<br />
23 %<br />
17 %<br />
16 %<br />
25<br />
20<br />
15<br />
Eigenmarken großer Ketten<br />
Der weltgrößte Handelskonzern Wal-Mart ist auch auf dem Gebiet<br />
<strong>der</strong> Handelsmarken stark.<br />
Unternehmen<br />
geschätzter<br />
Eigenmarkenanteil<br />
Wal-Mart 40 %<br />
Carrefour 30 %<br />
Ito-Yokado 26%<br />
Ahold 22%<br />
Metro 12 %<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Global<br />
Quelle: ACNielsen<br />
Europa<br />
46%<br />
beträgt die Preisdifferenz zwischen<br />
Handels- und Herstellermarken bei<br />
Quelle: Planet Retail<br />
Produkten aus dem Bereich „Personal Care“. In keiner an<strong>der</strong>en<br />
Produktkategorie ist <strong>der</strong> Preisunterschied prozentual so hoch.<br />
6%<br />
4%<br />
Nordamerika<br />
Schwellenlän<strong>der</strong><br />
asiatischpazifischer<br />
Raum<br />
2%<br />
10<br />
5<br />
0<br />
Lateinamerika
p food for thought<br />
interview<br />
PETER SENGE ist <strong>der</strong> Vordenker des organisationalen<br />
Lernens. Sein Buch „The Fifth Discipline: the Art<br />
and Practice of the Learning Organization“ wurde zum<br />
Klassiker <strong>der</strong> Managementliteratur; Senges Beitrag<br />
„The Lea<strong>der</strong>'s New Work: Building Learning Organizations“<br />
ist <strong>der</strong> zweitpopulärste Artikel <strong>der</strong> Sloan<br />
Management Review überhaupt. Senge lehrt am Massachusetts<br />
Institute of Technology, wo er auch die<br />
interdisziplinäre „Society for Organizational Learning“<br />
(SoL) ins Leben gerufen hat. In seinem jüngsten Buch<br />
„Presence. Human Purpose and the Field of the Future“<br />
wendet sich Senge gemeinsam mit Koautoren dem<br />
breiteren Feld gesellschaftlicher Verän<strong>der</strong>ung zu.<br />
8
institutionen müssen aus ihrer isolation befreit werden!<br />
food for thought f<br />
Weg mit etablierten Wahrheiten!<br />
Managementdenker Peter Senge will, dass wir lernen. Erst nahm er sich Unternehmen und Schulen<br />
vor, jetzt sind ganze Gesellschaften dran. Ein Interview darüber, wie Singapur ein lernendes Land<br />
wird, was die Welt von Europa lernen kann – und warum wir engagierte Intellektuelle brauchen.<br />
Herr Senge, Unternehmen tun sich oft<br />
schwer mit dem organisationalen Lernen.<br />
Wie können dann ganze Gesellschaften<br />
„lernende Gesellschaften“ werden<br />
Erfolgreich ist, wer den Aufbau von Lernfähigkeiten<br />
<strong>als</strong> kontinuierliche Entwicklung<br />
betrachtet, die für die Überlebens- und Wachstumsfähigkeit<br />
von Gesellschaften grundlegend<br />
ist. Diese Einsicht setzt sich zunehmend<br />
durch. Die Schlüsselfrage ist, wie Gesellschaften<br />
ihr Lernvermögen verbessern können.<br />
Wie denn<br />
Nehmen Sie Singapur: Vor zehn Jahren hat<br />
sich das Land zur ersten lernenden Gesellschaft<br />
erklärt. Die Bedingungen waren hervorragend:<br />
ein kleines, gut organisiertes Land,<br />
fast wie ein Unternehmen geführt. Dort wurden<br />
sowohl im Schulsystem <strong>als</strong> auch in wichtigen<br />
Regierungsorganisationen organisationale<br />
Lernwerkzeuge und -grundsätze etabliert.<br />
Man wollte die Lernfähigkeit dieser Institutionen<br />
verbessern und sie zum Motor für die<br />
lernende Gesellschaft machen.<br />
Hat das funktioniert<br />
Man hat Fortschritte in einigen Schlüsselinstitutionen<br />
erzielt. Aber das war nur ein Anfang.<br />
Die Art, wie die Schulen einbezogen wurden,<br />
war problematisch: Man hat einfach allen<br />
Aufsichtsbeamten ein einjähriges Lernprogramm<br />
verordnet, das die Grundlagen organisationalen<br />
Lernens vermittelt. Zwang aber<br />
funktioniert nicht: Lernende lernen, was sie<br />
lernen wollen. Der Aufbau von neuem Leistungspotenzial<br />
muss <strong>als</strong> relevant für die praktische<br />
Arbeit angesehen werden. Letztlich<br />
haben nur wenige Schulsysteme ihre Prozesse<br />
wirklich geän<strong>der</strong>t.<br />
Ist Singapur gescheitert<br />
So weit würde ich nicht gehen. Aber Verän<strong>der</strong>ungen<br />
können nicht einfach durch pauschale<br />
Change-Programme implementiert werden.<br />
Die Bemühungen haben für vieles eine Grundlage<br />
geschaffen, doch es braucht Zeit, damit<br />
sich ein Umfeld entwickeln kann, in dem die<br />
Menschen den Nutzen des Lernansatzes<br />
erkennen. Bei <strong>der</strong> Polizei in Singapur gab es<br />
beispielsweise eine viel versprechende Initiative.<br />
Der Polizeichef schickte Leute in Schlüsselpositionen<br />
zu westlichen Organisationen, die<br />
bei <strong>der</strong> Einführung neuer Lernmethoden Fortschritte<br />
gemacht hatten. Das weckte in den Polizeimitarbeitern<br />
ein Verlangen danach, beim<br />
Lernen voranzukommen. Erfolgreiche Lerninitiativen<br />
beginnen mit diesem Bedürfnis.<br />
Auch China bezeichnet sich <strong>als</strong> „lernende<br />
Gesellschaft“.<br />
China wollte es Singapur gleichtun, doch viele<br />
Bemühungen konzentrieren sich zu sehr auf<br />
kurzfristige Strategien und offizielle Programme<br />
in Verwaltung und Wirtschaft. Aber einige<br />
chinesische Unternehmen arbeiten seit vielen<br />
Jahren mit Lernwerkzeugen. Sie sind ein gutes<br />
Beispiel dafür, was möglich ist. Doch hierfür<br />
braucht es mehr <strong>als</strong> Motivationsreden. Eine<br />
lernende Gesellschaft baut man nicht ohne<br />
tief greifende Verän<strong>der</strong>ungen in Schulen o<strong>der</strong><br />
Universitäten auf.<br />
Vor allem brauchen die Menschen praktische<br />
Beispiele und konkrete Belege für Verbesserungen,<br />
damit eine Eigendynamik entsteht.<br />
China scheint heute vor allem im Bereich<br />
Wirtschaft dazuzulernen. Reicht das<br />
China hat hoch gesteckte wirtschaftliche<br />
Ziele. Doch dieser Fokus ist zu eng – die Lernarbeit<br />
muss sich auch auf gesellschaftliche<br />
und ökologische Innovationen konzentrieren.<br />
Aber je weiter die Perspektive, desto mehr<br />
Menschen müssen eingebunden werden.<br />
Um wirklich dauerhafte Lerninitiativen zu<br />
schaffen, muss man so unterschiedliche Menschen<br />
wie möglich aus allen wichtigen Bereichen<br />
einbinden. Diese müssen zusammen eine<br />
Vision von dem entwerfen, was die Verän<strong>der</strong>ung<br />
für sie bedeuten würde. Dann brauchen<br />
sie eine Strategie, wie die institutionellen<br />
Kapazitäten geschaffen werden können.<br />
Sie glauben noch an Institutionen<br />
Die traditionellen Institutionen haben strukturelle<br />
Fehler, aber für lernende Gesellschaften<br />
brauchen wir sie. Wir müssen sie allerdings<br />
aus ihrer Isolation befreien und eine<br />
stärkere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen<br />
Sektoren för<strong>der</strong>n.<br />
Ein Beispiel, wo dies funktioniert hat<br />
Die EU hat in Umweltfragen Erfolge erzielt.<br />
Nehmen Sie die Richtlinie zur Rücknahme<br />
von Altautos. Diese wurde zusammen mit<br />
europäischen Autoherstellern entwickelt. Daraus<br />
ergab sich ein Prozess gegenseitigen Lernens.<br />
Die Autoindustrie hat sich radikal verän<strong>der</strong>t,<br />
weil EU und die Hersteller zusammen<br />
einen Ansatz erarbeitet haben, kaputte Autos<br />
zurückzunehmen. Dies wirkt sich inzwischen<br />
auch auf an<strong>der</strong>e Gebrauchsgüter aus.<br />
9
p food for thought<br />
informelle netzwerke ermöglichen ein kreativeres lernen<br />
„ Jede Lerninitiative braucht engagierte,<br />
sachkundige und glaubwürdige Führungsfiguren.“<br />
Peter Senge<br />
Die EU <strong>als</strong> Motor einer lernenden Gesellschaft<br />
Das ist neu ...<br />
Die EU hat einen Lernprozess angestoßen, indem<br />
sie auf die öffentliche Meinung reagierte,<br />
dass Autos nach Ablauf ihrer Nutzungsdauer<br />
zurückgenommen werden sollten. An dieser<br />
Zusammenarbeit lässt sich ablesen, dass es starker<br />
Akteure auf beiden Seiten bedarf, damit<br />
eine Zusammenarbeit funktioniert. BMW übernahm<br />
in den Verhandlungen eine Führungsrolle<br />
und sah, dass die Richtlinie sogar für einen<br />
Wettbewerbsvorteil <strong>der</strong> europäischen Unternehmen<br />
sorgen kann, was man den an<strong>der</strong>en<br />
Herstellern auch vermitteln konnte. So haben<br />
diese sich aktiv beteiligt, über die Lobbyarbeit<br />
alten Stils hinaus.<br />
Ein Beispiel dafür, wie Politik von Unternehmen<br />
lernen kann. Müssen Gesellschaft und<br />
Politik mehr von <strong>der</strong> Wirtschaft lernen<br />
Definitiv ja. In <strong>der</strong> globalisierten Welt hat die<br />
Wirtschaft in einigen Bereichen naturgemäß<br />
eine Führungsrolle, da Unternehmen globaler<br />
agieren <strong>als</strong> Regierungen. Und wenn wir über<br />
Lernen und gesellschaftliche Innovation reden,<br />
so wissen Unternehmen sehr gut mit Innovation<br />
umzugehen. Es ist sinnvoll, dass sie dieses Wissen<br />
mit <strong>der</strong> Gesellschaft teilen.<br />
Sofern an<strong>der</strong>e Institutionen von ihnen lernen<br />
wollen. Aus Ihrer Projekterfahrung: Welche<br />
Institution ist am wenigsten bereit zur<br />
Zusammenarbeit<br />
Wir arbeiten gerade an einem Lernprojekt zu<br />
alternativen globalen Nahrungssystemen.<br />
Hauptinitiatoren waren eine Nichtregierungsorganisation<br />
(NGO) – Oxfam – und ein Unternehmen<br />
– Unilever. Beide glauben, tatsächlich<br />
voneinan<strong>der</strong> lernen zu können. Für eine NGO<br />
ist dies außergewöhnlich. Die meisten NGOs<br />
sind permanent auf Angriff eingestellt. Doch<br />
dies än<strong>der</strong>t sich langsam. Auch bei Regierungen<br />
findet sich ein starker Wi<strong>der</strong>stand gegen die<br />
Zusammenarbeit mit an<strong>der</strong>en Bereichen. An<br />
unserem Projekt beteiligen sich die nie<strong>der</strong>ländische<br />
und die brasilianische Regierung, doch das<br />
US-Landwirtschaftsministerium zeigte kein<br />
Interesse. Die denken noch immer regulativ.<br />
Sie for<strong>der</strong>n einen „Dance of Change“, einen<br />
Tanz <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung. Findet Wandel<br />
immer nur dann statt, wenn die Menschen<br />
Spaß daran haben<br />
Ja. Der Trick ist, die Menschen das Bild einer<br />
Realität entwickeln zu lassen, die ihnen ernsthaft<br />
lieber wäre.<br />
Welche Rolle spielen dabei Netzwerke<br />
Netzwerke ermöglichen ein kreativeres und produktiveres<br />
Lernen. Viele Unternehmen beginnen,<br />
dies zu verstehen. Eine zentrale Abteilung<br />
bei Hewlett-Packard beispielsweise ließ ihre<br />
Ingenieure Pläne von ihren persönlichen Netzwerken<br />
erstellen, <strong>als</strong>o von den Menschen, an die<br />
sich je<strong>der</strong> Einzelne mit technischen Problemen<br />
wendet. Diese „Zusammenarbeits-“ o<strong>der</strong> „Wissensnetzwerke“<br />
gibt es in allen Organisationen,<br />
doch häufig schätzt man sie nicht. Unternehmen<br />
und Gesellschaften sollen die informellen<br />
Netzwerke ihrer Mitglie<strong>der</strong> nutzen und stärken.<br />
Klingt einfach. Dennoch ist Europa Verän<strong>der</strong>ungen<br />
gegenüber nicht gerade aufgeschlossen.<br />
Was läuft schief<br />
Jene, die die Verän<strong>der</strong>ungen vorantreiben, versuchen<br />
bei Wi<strong>der</strong>stand, diesen zu brechen.<br />
Dieser Ansatz führt zu einer Aufsplittung in<br />
„Gläubige“ und „Ungläubige“. Ein Grund für die<br />
mangelnde Aufgeschlossenheit gegenüber Verän<strong>der</strong>ungen<br />
ist Angst. Ängstliche Menschen<br />
wollen keine Verän<strong>der</strong>ungen, Angst führt zu<br />
einer Ausrichtung auf Überleben und Schutz<br />
und behin<strong>der</strong>t das Lernen. Im heutigen Europa<br />
herrscht viel Angst – auch weil Europäer viel<br />
stärker mit Armut konfrontiert werden <strong>als</strong> die<br />
USA. Europa ist eine Nische des Wohlstands<br />
in einem Umfeld, in dem Menschen wesentlich<br />
weniger haben – im Osten und im Süden.<br />
Was können Politiker tun<br />
Europa muss ein positives Bild seiner selbst<br />
während und nach dem Verän<strong>der</strong>ungsprozess<br />
entwickeln. Die Europäer sollten von den biologischen<br />
Prinzipien des Bewahrens lernen: In <strong>der</strong><br />
Natur verän<strong>der</strong>t sich alles – doch vieles wird<br />
auch bewahrt. Darin liegt ein wichtiges Führungsprinzip:<br />
Wenn man Verän<strong>der</strong>ungen möchte,<br />
muss man deutlich machen, was man beibehalten<br />
will.<br />
Sie sehen Gesellschaften <strong>als</strong> selbstorganisierte<br />
Systeme. Kann man den Verän<strong>der</strong>ungsprozess<br />
dann überhaupt lenken<br />
Ja. Man kann ein lebendiges System beeinflussen,<br />
indem man Beispiele anführt. Genau das<br />
muss China leisten, um eine lernende Gesellschaft<br />
zu werden – in großem Umfang gute Beispiele<br />
vermitteln und Neuerern dabei helfen,<br />
voneinan<strong>der</strong> zu lernen.<br />
Welche Rolle spielen Individuen in lernenden<br />
Gesellschaften<br />
Nehmen Sie den ehemaligen Einkaufsleiter von<br />
BMW. Er spielte eine wichtige Rolle <strong>als</strong> Repräsentant<br />
<strong>der</strong> Autohersteller bei den Altauto-<br />
Richtlinien. Jede Lerninitiative braucht engagierte,<br />
sachkundige und glaubwürdige Führungsfiguren.<br />
Aber wer übernimmt diese Rolle in <strong>der</strong><br />
Gesellschaft Der klassische Intellektuelle<br />
sicherlich nicht ...<br />
Viele Intellektuelle sind so weit von praktischen<br />
Verän<strong>der</strong>ungsprozessen entfernt, dass es ihnen<br />
an Relevanz und Glaubwürdigkeit fehlt. In<br />
China gibt es eine an<strong>der</strong>e Tradition: die des<br />
engagierten Intellektuellen. Dieser schreibt<br />
Bücher, ist aber gleichzeitig eng in Wirtschaft,<br />
Politik o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Institutionen eingebunden.<br />
Dieses Verständnis davon, was ein Intellektueller<br />
ist, haben wir auch im SoL-Netzwerk: Wir<br />
betrachten kluge Manager <strong>als</strong> Intellektuelle,<br />
wie wir auch Forscher ermutigen, sich direkt an<br />
Verän<strong>der</strong>ungsprojekten zu beteiligen, o<strong>der</strong><br />
Berater, ihre Einsichten zu teilen. Viele Führungspersönlichkeiten<br />
sind gewillt, über<br />
Themen nachzudenken, die nicht auf ihrer<br />
Tagesordnung stehen.<br />
10
Helfen Sie den Überlebenden im Kaschmir!<br />
Das Erdbeben am 8. Oktober 2005 machte<br />
fast drei Millionen Menschen im Kaschmir<br />
obdachlos, die Hälfte davon sind Kin<strong>der</strong>.<br />
Trotz Eiseskälte und Schnee entschieden<br />
sich zahlreiche Überlebende, den Winter<br />
in den Bergen zu verbringen. Sie wollten<br />
in ihren zerstörten Dörfern bleiben, um ihr<br />
Land und Vieh nicht zu verlieren.<br />
Bislang konnte Oxfam wetterfeste Notunterkünfte<br />
für mehr <strong>als</strong> 180.000 Menschen<br />
bereitstellen. Gleichfalls wurden Wasserversorgungs-<br />
und Sanitäranlagen für 300.000<br />
Menschen eingerichtet. Dies ist Teil eines<br />
groß angelegten Hilfsprogramms von Oxfam<br />
in Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen.<br />
Insgesamt sollen über 520.000<br />
Erdbebenopfer in Pakistan und Indien mit<br />
winterfesten Zelten, Decken, Haushalts-Notausrüstungen<br />
sowie Bausätzen für traditionelle<br />
„Bandi“-Unterkünfte versorgt werden.<br />
Beson<strong>der</strong>s durch den strengen Winter im<br />
Himalaja sind die Lebensbedingungen <strong>der</strong><br />
Erdbeben-Überlebenden weiterhin kritisch.<br />
Oxfam ruft dringend zu Spenden auf.<br />
Für unsere Hilfe sind wir<br />
dringend auf Spenden<br />
angewiesen. Helfen Sie<br />
mit und unterstützen<br />
Sie unsere Arbeit. Danke!<br />
Oxfam Deutschland e.V.<br />
Bank für Sozialwirtschaft Köln<br />
BLZ 37020500<br />
Kontonummer 131313<br />
Kennwort "Erdbeben Kaschmir"<br />
Oxfam – für eine gerechte Welt!<br />
Oxfam Deutschland ist eine Nothilfe-, Entwicklungs- und Kampagnenorganisation.<br />
Im Verbund mit Oxfam-Organisationen in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n<br />
arbeiten wir mit Menschen auf <strong>der</strong> ganzen Welt zusammen, um Armut<br />
und Leid dauerhaft zu überwinden.<br />
www.oxfam.de<br />
www.oxfam.org
sind topmanager übermenschen<br />
food for thought f<br />
Vergesst die Heldenmythen<br />
In den Medien ist die Verehrung <strong>der</strong> Besten an <strong>der</strong> Tagesordnung, erfolgreiche Manager werden<br />
zu Wesen mit übermenschlichen Fähigkeiten stilisiert. Das sind sie aber nicht. Charisma kann man<br />
lernen. Doch die Gefahr besteht, die Show zu weit zu treiben.<br />
abgelenkt sind, in <strong>der</strong> eine Botschaft präsentiert<br />
wird. Flynn folgert: Es kann nützlich<br />
sein, wenn Topmanager persönliches Charisma<br />
aufbauen. Möglich ist das, Charisma<br />
kann man sich zulegen. Denn Charisma hat<br />
viel mit dem Verkaufen unternehmerischer<br />
Pläne zu tun. „Visionen entwerfen und diese<br />
in einer verständlichen Sprache mitteilen,<br />
das kann theoretisch je<strong>der</strong>.“<br />
Theoretisch. Dennoch „muss ein CEO hart<br />
arbeiten, um <strong>der</strong>artige positive Eindrücke<br />
bei Beobachtern inner- und außerhalb des<br />
Unternehmens zu erreichen“. Charismatisches<br />
Auftreten kann man – wie an<strong>der</strong>e<br />
Managementtechniken auch – üben.<br />
Zum Image <strong>als</strong> Charismatiker gehört immer<br />
auch eine gute Geschichte. Viele Unternehmer,<br />
Topmanager und Politiker stilisieren<br />
sich zum „einsamen Wolf“, <strong>der</strong> kühn die<br />
richtigen Entscheidungen trifft. Sie streuen<br />
gezielt Deutungen ihres Charakters, ihrer<br />
Herkunft o<strong>der</strong> ihres Wegs nach oben.<br />
Die Geschichten denken sie sich im besten<br />
Fall nicht einfach aus, son<strong>der</strong>n greifen die<br />
um sie entstandenen Legenden auf, um sich<br />
zu positionieren. Jürgen Schrempp etwa,<br />
inzwischen ausgeschiedener Chef von<br />
DaimlerChrysler, betonte nach <strong>der</strong> Fusion<br />
von Daimler-Benz und Chrysler nicht nur<br />
bei je<strong>der</strong> Gelegenheit die Internationalität<br />
des Unternehmens. Auch sein eigener Auftritt<br />
geriet ihm, parallel zur neuen öffentlichen<br />
Wahrnehmung <strong>als</strong> Fusionsschmied,<br />
zunehmend global-staatsmännisch. Intermen,<br />
<strong>der</strong>en Chefs Mitarbeiter und Medien<br />
Charisma nachsagen, liegen regelmäßig<br />
über den Zahlen an<strong>der</strong>er Unternehmen.<br />
CHARISMA KÖNNEN ENTSCHEIDER SICH<br />
ZULEGEN. DAS IST GUT, DENN IN KRISEN<br />
SEHNEN WIR UNS NACH FÜHRUNG.<br />
Der zu Grunde liegende Mechanismus ist<br />
simpel: Menschen sehnen sich nach Halt –<br />
speziell in unsicheren Situationen. Deshalb<br />
neigen sie dazu, den realen Einfluss von<br />
Topentschei<strong>der</strong>n auf die Unternehmensergebnisse<br />
<strong>als</strong> immens hoch einzuschätzen,<br />
hat Flynn in einer Studie ermittelt. Angestellte<br />
Manager werden zum Gesicht ihres<br />
Unternehmens, für Erfolg und Misserfolg<br />
<strong>der</strong> gesamten Organisation verantwortlich.<br />
Vor allem in Krisen steigt dieser Einfluss <strong>der</strong><br />
Führungspersönlichkeit, weil Mitarbeiter<br />
und Geldgeber dann beson<strong>der</strong>s auf Orientierung<br />
angewiesen sind. Ein charismatischer<br />
Führer schafft Vertrauen bei Mitarbeitern,<br />
Kunden und Investoren, erweckt<br />
Zuneigung, Hingabe und Motivation.<br />
Die beson<strong>der</strong>en Qualitäten eines charismatischen<br />
Entschei<strong>der</strong>s sind für Flynn in erster<br />
Linie Selbstsicherheit und die Fähigkeit,<br />
Schwierigkeiten dadurch zu überwinden,<br />
dass er sie positiv umdeutet: Der charismatische<br />
Führer macht aus jedem Risiko eine<br />
neue Chance, und er zweifelt niem<strong>als</strong><br />
öffentlich am eingeschlagenen Weg. Psychologen<br />
wissen, dass Menschen sich leichter<br />
überzeugen lassen, wenn sie durch die Art<br />
:<br />
Er hatte seine politische Karriere eigentlich<br />
schon hinter sich. In den dreißiger<br />
Jahren führte <strong>der</strong> britische Politiker<br />
Winston Churchill ein beschauliches Schriftstellerdasein<br />
auf seinem Landsitz in Kent.<br />
Er galt <strong>als</strong> Intellektueller. Kurz nach Ausbruch<br />
des Zweiten Weltkriegs jedoch holte<br />
Premier Chamberlain Churchill zurück in<br />
die Regierung, im Mai 1940 wurde <strong>der</strong> Mann<br />
mit <strong>der</strong> Zigarre Premierminister. Er führte<br />
sein Land zum Sieg gegen Nazi-Deutschland<br />
– und gilt seither <strong>als</strong> charismatischer<br />
Führer par excellence.<br />
Menschen machen Erfolge von Parteien,<br />
Unternehmen o<strong>der</strong> Sportvereinen gerne an<br />
den persönlichen Fähigkeiten <strong>der</strong> Spitzenleute<br />
fest, sagt <strong>der</strong> Wirtschaftspsychologe<br />
Francis Flynn, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> Columbia University<br />
von New York die Wirkung <strong>der</strong> Heroenbildung<br />
in Unternehmen erforscht. „Das<br />
passierte mit einigen CEOs zur Zeit des<br />
New-Economy-Booms.“ Obwohl manche<br />
Firmen quasi von allein wuchsen, „wurden<br />
ihre Vorstände <strong>als</strong> Helden mit schier übermenschlichen<br />
Fähigkeiten gefeiert“. Das<br />
waren sie in Wahrheit natürlich nie. Doch<br />
sie ließen sich die Verehrung gerne gefallen.<br />
Dabei war mehr im Spiel <strong>als</strong> bloße Eitelkeit.<br />
Das medial vermittelte Image eines Topentschei<strong>der</strong>s<br />
hat nämlich durchaus reale Konsequenzen.<br />
Ein <strong>als</strong> charismatisch gelten<strong>der</strong><br />
Führer steigert den Firmenwert, hat Flynn<br />
herausgefunden. Aktienkurse, Umsatzwachstum<br />
und <strong>der</strong> Absatz von Unterneh-<br />
13
p food for thought<br />
<strong>der</strong> manager <strong>als</strong> bindeglied zwischen selbstorganisierenden teams und <strong>der</strong> aussenwelt<br />
views gab er nur noch internationalen Leitmedien<br />
wie dem „Wall Street Journal“.<br />
Dabei verdankte er seine Karriere vor allem<br />
<strong>der</strong> Tatsache, dass er tief im heimatlichen<br />
Konzern verwurzelt war: 1967 begann <strong>der</strong><br />
Freiburger seine Karriere <strong>als</strong> Techniker bei<br />
Mercedes-Benz in Stuttgart.<br />
Wie Schrempp, so arbeiten viele Chefs heute<br />
aktiv am eigenen Charisma. Neben einer<br />
guten Storyline, einer schlüssigen Vision<br />
und mitreißen<strong>der</strong> Sprache hilft es, „sich<br />
selbst eine Rolle <strong>als</strong> Retter zuzuschreiben“,<br />
glaubt Joseph A. Raelin, Leiter des Center<br />
for the Study of Practice-Oriented Education<br />
an <strong>der</strong> Northeastern University in Boston.<br />
Wer es schafft, sich selbst <strong>als</strong> einzige Überlebenschance<br />
einer Gruppe von Menschen zu<br />
stilisieren, dem schreiben diese fast automatisch<br />
Charisma zu.<br />
CHARISMA HEISST HEUTE, MENSCHEN ZU<br />
MOTIVIEREN UND IHNEN IN SCHWIERIGEN<br />
SITUATIONEN VERTRAUEN EINZUFLÖSSEN<br />
Kollidiert hier aber nicht die Betonung von<br />
Charisma mit <strong>der</strong> Realität in mo<strong>der</strong>nen<br />
Unternehmen Diese agieren heute in<br />
einem hochkomplexen Marktumfeld, das<br />
sich immer schneller än<strong>der</strong>t und damit auch<br />
von <strong>der</strong> obersten Führungsebene ständig<br />
neue Kernqualitäten verlangt. Zumal Unternehmen<br />
heute immer seltener streng hierarchisch,<br />
son<strong>der</strong>n zunehmend matrixartig aufgebaut<br />
sind und die Arbeit von „selbstorganisierenden<br />
Teams“ verrichtet wird.<br />
Das aber macht den charismatischen Topmanager<br />
nicht obsolet, im Gegenteil: Charisma<br />
kann auch hier helfen. Der Chef ist dann<br />
<strong>der</strong> Motivator, <strong>der</strong> dem Team Selbstvertrauen<br />
gibt, und das Aushängeschild, das die<br />
Leistungen des Teams gegenüber an<strong>der</strong>en<br />
Teams und <strong>der</strong> Außenwelt darstellt. So argumentieren<br />
die Professorinnen Vanessa Urch<br />
Druskat und Jane V. Wheeler. Die Organisationstheoretikerinnen,<br />
die das Management<br />
selbstorganisieren<strong>der</strong> Teams erforschen,<br />
glauben, dass <strong>der</strong> Topmanager vor allem die<br />
„Grenzen zwischen den Teams und <strong>der</strong><br />
restlichen Organisation“ managen muss.<br />
Management wird damit zunehmend zu<br />
einer diplomatischen Funktion. Immer<br />
mehr müssen sich auch Topentschei<strong>der</strong><br />
damit befassen, Unterstützer zu gewinnen<br />
und Mehrheiten zu organisieren. Das<br />
gelingt besser, wenn Topmanager durch<br />
ihre Persönlichkeit den Mitarbeitern Vertrauen<br />
einflößen.<br />
Die größte Gefahr scheint heute in einer zu<br />
einseitigen Inszenierung zu liegen.<br />
Beson<strong>der</strong>s bei Kultfiguren wie Film- o<strong>der</strong><br />
Musikstars zeigt sich dies. Ohne seinen<br />
Manager „Colonel“ Tom Parker wäre Musikikone<br />
Elvis Presley kaum weit gekommen.<br />
Gnadenlos kommerzialisierte Parker den<br />
„King“, vertrieb <strong>als</strong> Erster Elvis-Kleidung<br />
und an<strong>der</strong>e Merchandisingprodukte und<br />
wurde zum Vorbild einer ganzen Generation<br />
von Musikmanagern. Doch auch bei<br />
Elvis brachten die gleichen Fähigkeiten, die<br />
anfangs zum Erfolg führten, am Ende das<br />
Fiasko. Parker zwang den King, sich auf<br />
seichte Kinofilme zu konzentrieren, die zum<br />
Schmuseimage passten und dam<strong>als</strong> mehr<br />
Geld abwarfen <strong>als</strong> die Musik selbst. Als die<br />
Streifen dann aber nicht mehr ankamen, war<br />
eine Neupositionierung von Elvis nicht mehr<br />
möglich – und an<strong>der</strong>e Musiker verdrängten<br />
den King von <strong>der</strong> Bühne.<br />
Ein Beispiel, das zeigt: Ob jemand <strong>als</strong> charismatisch<br />
gilt o<strong>der</strong> nur <strong>als</strong> Egomane, liegt<br />
immer auch am sozialen Kontext. Das musste<br />
auch Winston Churchill erfahren. Als <strong>der</strong><br />
Krieg zu Ende war und die Briten sich wie<strong>der</strong><br />
sicher fühlten, war seine Zeit vorbei – er<br />
wurde abgewählt.<br />
„Charismatiker behaupten,<br />
eine einzigartige Vision zu haben,<br />
pflegen eine mitreißende<br />
Sprache – und schreiben sich<br />
die Rolle des Retters zu.“<br />
Joseph A. Raelin,<br />
Northeastern University, Boston<br />
14
mythos charisma<br />
food for thought f<br />
[Schauspieler]<br />
43<br />
JOHN F. KENNEDY<br />
Jahre alt und somit <strong>der</strong> bislang jüngste Präsident Amerikas war<br />
John Fitzgerald Kennedy bei seinem Einzug ins Weiße Haus.<br />
Mit dem Star-Entertainer Frank Sinatra und <strong>der</strong> Stilikone Jackie<br />
an seiner Seite brachte Kennedy ein wenig Hollywood-Glamour<br />
nach Washington. Doch diese strahlende Karriere war eigentlich<br />
nicht ihm vorbestimmt. Erst <strong>als</strong> sein erfolgreicher und<br />
kerngesun<strong>der</strong> älterer Bru<strong>der</strong> Joe Kennedy 1944 bei einem Flugzeugabsturz<br />
ums Leben kam, wurde <strong>der</strong> ständig kränkelnde<br />
John zum Hoffnungsträger <strong>der</strong> Familie. Schnell baute er das<br />
Bild des souveränen, charmanten Weltmannes auf – trotz einer<br />
gefährlichen Nierenkrankheit, die er mit starken Schmerzmitteln<br />
bekämpfte. Nach außen war davon nichts zu sehen. Der<br />
Sympathieträger hatte eine selbstsichere und überzeugende<br />
Aura. Frauen erlagen seinem Charme, Männer bewun<strong>der</strong>ten die<br />
Mischung aus Distanz, Ironie und Witz, die ihm einen entscheidenden<br />
Vorteil gegenüber an<strong>der</strong>en Politikern verschaffte.
p food for thought<br />
mythos charisma<br />
[Chamäleon]<br />
136<br />
FRANK WILLIAM ABAGNALE JR.<br />
Punkte misst <strong>der</strong> Intelligenzquotient von Verwandlungskünstler<br />
Frank William Abagnale jr. Diese Hochbegabung<br />
und die Fähigkeit, spontan in verschiedenste Rollen zu<br />
schlüpfen, setzte <strong>der</strong> Charmeur erfolgreich bei kreativen<br />
Betrügereien ein. Mit 16 stand er <strong>als</strong> jüngster Verbrecher<br />
auf <strong>der</strong> „Most Wanted“-Liste des FBI. Innerhalb von fünf<br />
Jahren gab sich <strong>der</strong> smarte Bluffer ohne Ausbildung erfolgreich<br />
<strong>als</strong> Pilot, Arzt und Anwalt aus. Währenddessen<br />
löste <strong>der</strong> vertrauenswürdig scheinende Mann gefälschte<br />
Schecks in Höhe von 2,5 Millionen Dollar ein. Als er 1969<br />
geschnappt wurde, bot ihm die US-Regierung eine vorzeitige<br />
Freilassung an – wenn er mit ihr kooperierte. Das<br />
tat er. Heute ist Abagnale <strong>als</strong> Sachverständiger für Urkundenfälschung<br />
erfolgreich. Unter dem Titel „Catch me if<br />
you can“ wurde sein Leben von Steven Spielberg mit Leonardo<br />
DiCaprio in <strong>der</strong> Hauptrolle verfilmt.
mythos charisma<br />
food for thought f<br />
[Himmelsstürmer]<br />
38<br />
HOWARD HUGHES<br />
Millionen Dollar kostete Howard Hughes’ 1930 uraufgeführtes<br />
Fliegerepos „Hell’s Angels“ – dam<strong>als</strong> <strong>der</strong> teuerste jem<strong>als</strong> gedrehte<br />
Film. Der Multimillionär, Ingenieur, Pilot und blendend<br />
aussehende Casanova untermauerte damit seinen Ruf <strong>als</strong><br />
schillerndste Persönlichkeit Hollywoods. Dazu avancierte er<br />
<strong>als</strong> Verführer <strong>der</strong> größten Filmdiven, aber auch <strong>als</strong> Flugpionier<br />
und Produzent weiterer gigantischer Filmprojekte. Mit Charme<br />
und Überzeugungskraft schaffte Hughes es immer wie<strong>der</strong>, Mitstreiter<br />
und vor allem Sponsoren für seine Projekte zu finden,<br />
zu <strong>der</strong>en Umsetzung selbst ihm das Geld fehlte. So überredete<br />
er den Industriellen Henry Kaiser zu einer Geldspritze von<br />
18 Millionen Dollar, um das bis heute größte Flugzeug aller Zeiten,<br />
die „Spruce Goose“, konstruieren und bauen zu können.<br />
Hughes lebte und verkörperte die Maßlosigkeit des Fortschritts:<br />
In Hollywood erzählt man noch heute, wie er mit einem Auto in<br />
den Lift eines Bürogebäudes fuhr, um nicht laufen zu müssen.
p food for thought<br />
mythos charisma<br />
[Bühnendiva]<br />
MARIA CALLAS<br />
nahm Maria Callas im Anfangsstadium ihrer Karriere ab,<br />
trotz aller Befürchtungen um ihr Stimmvolumen. Sie verwandelte<br />
sich durch ihr neues Aussehen von einer fülligen Opernsängerin<br />
zur elegant-mondänen Femme fatale. Der Beginn<br />
einer brillanten Selbstinszenierung <strong>als</strong> Sangesgöttin – und<br />
das, obwohl viele Experten Probleme mit ihrer Stimme hatten,<br />
die in einem Moment silberhell, im an<strong>der</strong>en nahezu metallisch<br />
klang. Äußerlich war die Callas auch nach ihrer 40Kilo<br />
Powerdiät<br />
im klassischen Sinne niem<strong>als</strong> schön. Doch ihre fesselnde<br />
Aura machte sie zur Vorzeigediva des Musikgeschäfts.<br />
Dabei war nicht alles gespielt: Ihre unglückliche Liebe zu<br />
Aristoteles Onassis führte zu echten Emotionswallungen.<br />
Diese, ihre Extravaganz und die unberechenbaren Starallüren<br />
schufen das Bild einer unnahbaren Göttin. Als solche lebt<br />
sie bis heute weiter. Über zehn Millionen Callas-Platten wurden<br />
verkauft – die meisten nach ihrem Tod.
mythos charisma<br />
food for thought f<br />
74<br />
LECH WALESA<br />
Prozent <strong>der</strong> Stimmen erhielt Lech Walesa bei <strong>der</strong> polnischen Präsidentschaftswahl<br />
im Jahr 1990 – die Krönung einer Entwicklung<br />
vom einfachen Werftarbeiter zum international geachteten<br />
Politiker. Durch seine überzeugende Verkörperung eines Kämpfers<br />
gegen die Obrigkeit hatte Walesa 1980 die Unabhängigkeit<br />
seiner Gewerkschaft Solidarnosc im sozialistischen Polen durchgeboxt.<br />
1982 kürte ihn das US-Magazin „Time“ zum Mann des<br />
Jahres. Dabei war Walesa von Haus aus ein einfacher Mann. Doch<br />
[Kämpfer]<br />
mit Leidenschaft und Hartnäckigkeit wurde er zum Symbol für<br />
den Freiheitsdrang <strong>der</strong> Polen. Das Geheimnis seines Erfolgs verriet<br />
<strong>der</strong> Mann mit dem Schnauzbart in den naiv klingenden und<br />
genau dadurch so bestechenden Worten: „Ich weiß nicht, ob ich<br />
ein Führer bin, aber wenn die Menge schweigt, dann glaube ich<br />
zu wissen, was sie sagen will, und sage es.“ Dieses Gespür verlor<br />
Walesa später offenbar – bei <strong>der</strong> Präsidentenwahl im Jahr 2000<br />
erzielte er nur noch ein Prozent <strong>der</strong> Stimmen.
p food for thought<br />
essay<br />
Den Untergang vor Augen<br />
Das US-Defizit galoppiert, <strong>der</strong> Irakkrieg bindet Ressourcen – Grund für den Historiker Niall Ferguson,<br />
eine weltweite Finanzkrise zu prognostizieren. Der Politologe Herfried Münkler hält dagegen:<br />
Alarmismus sei unnötig, Analogien zur Situation vor dem Ersten Weltkrieg seien nicht angebracht.<br />
PRO<br />
NIALL FERGUSON ist Professor für<br />
Geschichte an <strong>der</strong> Harvard University,<br />
Senior Fellow an <strong>der</strong> Hoover Institution<br />
<strong>der</strong> Stanford University und Senior<br />
Research Fellow des Jesus College <strong>der</strong><br />
University of Oxford<br />
KONTRA<br />
HERFRIED MÜNKLER ist Professor<br />
für Theorie <strong>der</strong> Politik an <strong>der</strong> Humboldt-<br />
Universität zu Berlin. Er veröffentlichte zuletzt<br />
das Buch „Imperien. Die Logik <strong>der</strong><br />
Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den<br />
Vereinigten Staaten“.<br />
:<br />
Im Jahr 1915 versenkte das deutsche<br />
U-Boot U-20 den Passagierdampfer Lusitania<br />
<strong>der</strong> Cunard-Line vor <strong>der</strong> Südküste<br />
Irlands. Fast 1200 Menschen kamen dabei<br />
ums Leben.<br />
Der Untergang <strong>der</strong> Lusitania symbolisierte<br />
das Ende des ersten Zeitalters <strong>der</strong> Globalisierung.<br />
Von ungefähr 1870 bis zum Ersten<br />
Weltkrieg hatte die Weltwirtschaft einen<br />
Boom erlebt, <strong>der</strong> in vielerlei Hinsicht dem<br />
heutigen ähnelt. Ein grauenvoller Krieg<br />
bereitete dem globalen Aufschwung zwischen<br />
1914 und 1918 jedoch ein Ende, mit <strong>der</strong><br />
Globalisierung war es danach erst einmal<br />
vorbei. Fast 13 Millionen Tonnen Schiffsfracht<br />
wurden allein durch deutsche U-Boot-<br />
Angriffe zerstört. Der internationale Handel<br />
brach zusammen.<br />
Die Sorge, ein solches Horrorszenario könnte<br />
sich wie<strong>der</strong>holen, mag übertrieben pessimistisch<br />
erscheinen. Doch es lohnt, sich<br />
:<br />
Ferguson hat Recht, wenn er gegen Seine<br />
naives Zukunftsvertrauen angeht. Und<br />
ebenso hat er Recht, wenn er die politischen<br />
Rahmenbedingungen herausstellt, auf die<br />
wirtschaftliches Handeln angewiesen ist.<br />
Dass eine wirtschaftlich planbare Zukunft<br />
erst durch einen politischen Rahmen hergestellt<br />
wird, ist zuletzt weithin in Vergessenheit<br />
geraten.<br />
Aber das ist auch alles, was an Fergusons<br />
Bedrohungsszenario richtig ist. Die Analogie<br />
zum Kriegsausbruch von 1914 ist Ende <strong>der</strong><br />
siebziger Jahre unter dem Eindruck <strong>der</strong><br />
sowjetischen Raketenrüstung und <strong>der</strong> Reaktion<br />
des Westens schon einmal bemüht worden.<br />
Dam<strong>als</strong> ging es um das Risiko eines<br />
kleinen politischen Fehlers mit verheerenden<br />
Folgen. Ferguson dagegen analogisiert<br />
die internationale Wirtschaftsverflechtung,<br />
<strong>der</strong>en Niveau von 1914 erst in den frühen<br />
siebziger Jahren wie<strong>der</strong> erreicht wurde.<br />
daran zu erinnern, dass ungeachtet <strong>der</strong><br />
warnenden Stimmen zu Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
vor den katastrophalen Folgen<br />
eines Konflikts viele Menschen – nicht<br />
zuletzt die Investoren – vom Ausbruch des<br />
Ersten Weltkriegs völlig überrascht wurden.<br />
Daher meine These: Heute ist die<br />
Möglichkeit, dass die Globalisierung, ebenso<br />
wie die Lusitania, torpediert und versenkt<br />
werden könnte, mindestens so real<br />
wie im Jahr 1915.<br />
KEINES DER HEUTIGEN PROBLEME<br />
WÄRE FATAL OHNE DIE BEDROHUNG<br />
DURCH TERRORISTISCHE GRUPPEN<br />
Zwischen <strong>der</strong> ersten Ära <strong>der</strong> Globalisierung<br />
und <strong>der</strong> gegenwärtigen bestehen auffällige<br />
wirtschaftliche Parallelen. Beispielsweise<br />
war die Globalisierung vor 1914 erstaunlich<br />
anfällig für die internationale Weitergabe<br />
von Krisen – das, was Volkswirte „An-<br />
Warnung: Auch heute sei <strong>der</strong> Grad<br />
an Globalisierung nicht selbstverständlich.<br />
Die Warnung ist richtig, die Analogie<br />
dagegen f<strong>als</strong>ch. Zu Beginn des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
waren die Staaten selbständig<br />
kriegführungsfähig, weil sie ihre Wirtschaft<br />
auf Autarkie umstellen konnten. Das fiel<br />
den Mittelmächten (Deutschland und<br />
Österreich-Ungarn) zwar schwer, aber für<br />
vier Jahre erbitterter Kriegführung hat<br />
es gereicht. Vergleichbares ist heute ausgeschlossen.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete Europa<br />
die wirtschaftliche Verflechtung des Kohle-<br />
Stahl-Bereichs ein. Diese war <strong>der</strong> Anfang<br />
vom Ende einer selbständigen Kriegführungsfähigkeit<br />
<strong>der</strong> europäischen Staaten.<br />
Sie war Ausdruck eines politischen Lernprozesses.<br />
Dieser drehte sich um die Beobachtung,<br />
dass Kriege mehr kosten <strong>als</strong> einbringen<br />
– selbst für den Sieger.<br />
20
essay<br />
food for throught f<br />
steckung“ nennen. Mit <strong>der</strong> heutigen Globalisierung<br />
verhält es sich nicht an<strong>der</strong>s. Andrew<br />
Large, Deputy Governor for Financial<br />
Stability an <strong>der</strong> Bank of England, hat zum<br />
Beispiel kürzlich darauf hingewiesen, dass<br />
in einem Umfeld niedriger Zinssätze die<br />
„Jagd auf die Rendite“ Investoren, Banken<br />
und Hedge-Fonds dazu ermutigt hat, im<br />
Handel ähnliche Strategien einzusetzen wie<br />
dam<strong>als</strong>. Dies erhöhe, so Large, „die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass sich einseitige Märkte<br />
entwickeln und die Marktliquidität in Reaktion<br />
auf einen Schock verdampft.“<br />
Es gibt Anzeichen, dass auch die heutige<br />
Globalisierung umkehrbar ist. Die Risiken<br />
angesichts <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen politischen Lage<br />
sind groß. Diese weist nämlich dieselben<br />
fünf Fehler auf wie einst die Weltordnung<br />
vor 1914: übermäßig ausgedehnte Kolonialreiche,<br />
Rivalität zwischen den Großmächten,<br />
ein instabiles Bündnissystem, terrorunterstützende<br />
„Schurkenstaaten“ und <strong>der</strong><br />
Aufstieg einer revolutionären terroristischen<br />
Vereinigung, die dem Kapitalismus<br />
feindlich gegenübersteht.<br />
DAS DEFIZIT DER US-LEISTUNGSBILANZ<br />
STEIGT, DAS EMPIRE LEIDET AN<br />
ZUNEHMENDEM PERSONALMANGEL<br />
Es steht fest: Die Vereinigten Staaten – vom<br />
Namen abgesehen in je<strong>der</strong> Hinsicht ein<br />
Empire – haben sich zu weit ausgedehnt.<br />
Das Leistungsbilanzdefizit wird ständig größer,<br />
ebenso das Haushaltsdefizit.<br />
Das US-Empire leidet zudem an einem gravierenden<br />
Personalmangel: Washington<br />
kann höchstens 500 000 Soldaten auf einmal<br />
im Ausland einsetzen, und diese Zahl reicht<br />
bei weitem nicht aus, um all die vielen kleinen<br />
Kriege zu gewinnen, die die USA <strong>der</strong>zeit<br />
führen müssen o<strong>der</strong> die sie eventuell<br />
noch führen werden.<br />
Als Nächstes wäre da das Problem <strong>der</strong> rivalisierenden<br />
Großmächte. Im Fall einer Wirtschaftskrise<br />
könnte China versucht sein, die<br />
nationalistische Karte auszuspielen, und die<br />
Übernahme seiner abtrünnigen Provinz<br />
androhen. Wären die USA willens, einen<br />
Krieg gegen China um Taiwan zu führen,<br />
wie sie es in <strong>der</strong> Vergangenheit angekündigt<br />
haben Und was würde geschehen, wenn<br />
die chinesischen Machthaber ihre neuen<br />
finanziellen Muskeln spielen ließen und<br />
amerikanische Obligationen in großem<br />
Umfang auf den Weltmarkt werfen sollten<br />
Was Europa anbelangt, wird die Kombination<br />
aus wirtschaftlicher Sklerose und<br />
gesellschaftlicher Überalterung zur Folge<br />
haben, dass <strong>der</strong> Kontinent stagnieren, wenn<br />
nicht gar an Bedeutung verlieren wird.<br />
Gleichzeitig wird sein Charakter ganz wesentlich<br />
durch die Einwan<strong>der</strong>ung von Muslimen<br />
und die eventuell bevorstehende<br />
<br />
Aber ist diese Einsicht auch in den an<strong>der</strong>en<br />
Weltregionen angekommen Ferguson<br />
bezweifelt dies, wenn er darauf hinweist,<br />
China könne eine Schwächephase <strong>der</strong> USA<br />
dazu nutzen, Taiwan anzugreifen. Das<br />
würde jedoch dem wirtschaftlichen Aufstieg<br />
Chinas einen irreparablen Schaden zufügen:<br />
zunächst durch die physischen Zerstörungen,<br />
die auch ein auf sich allein gestelltes<br />
Taiwan dem chinesischen Festland zufügen<br />
könnte. Sodann durch die internationalen<br />
Wirtschaftssanktionen, die China in Anbetracht<br />
seiner Abhängigkeit vom Energieimport<br />
schwer treffen würden. Schließlich<br />
durch den politischen Reputationsverlust,<br />
<strong>der</strong> zur Bildung einer gegen China gerichteten<br />
Koalition <strong>der</strong> Nachbarstaaten führen<br />
würde. Vor allem aber bedürfte die chinesische<br />
Führung für einen solchen Krieg ideologischer<br />
Ressourcen, um die abverlangten<br />
Opfer zu legitimieren. Und die hat sie nicht.<br />
Fergusons Analyse verfehlt die tatsächlichen<br />
Risiken <strong>der</strong> Region: die innere Destabilisierung<br />
Chinas in Folge wirtschaftlicher<br />
Ungleichgewichte und ein nukleares<br />
Wettrennen kleinerer Mächte bei Einziehung<br />
des amerikanischen Atomschirms.<br />
Wer nur auf den Wirtschaftsboom an <strong>der</strong><br />
chinesischen Ostküste schaut, übersieht die<br />
gewaltigen Probleme im agrarisch geprägten<br />
Landesinnern, wo mindestens 100 Millionen<br />
Bauern arbeitslos sind.<br />
DER US-NUKLEARSCHUTZ SOLL KEINE REALEN<br />
KRIEGSDROHUNGEN ABWEHREN, SONDERN<br />
REGIONALES WETTRÜSTEN VERHINDERN<br />
Nicht weniger riskant für die Region wäre<br />
das Einklappen des Nuklearschirms <strong>der</strong><br />
USA über Japan, Südkorea und Taiwan –<br />
nicht weil dann mit einem Angriff zu rechnen<br />
wäre, wie Ferguson annimmt, son<strong>der</strong>n<br />
weil die nuklear entblößten Staaten sich um<br />
eigene Nuklearschirme bemühen würden,<br />
was ihnen auf Grund ihrer wirtschaftlichen<br />
Fähigkeiten und ihres wissenschaftlichtechnologischen<br />
Know-hows innerhalb kurzer<br />
Zeit möglich wäre. Das zeigt die eigentliche<br />
Bedeutung <strong>der</strong> US-amerikanischen<br />
Sicherheitsgarantien: Sie sind wesentlich<br />
nicht gegen Bedrohungen von außen gerichtet,<br />
son<strong>der</strong>n sollen regionale Aufrüstungsspiralen<br />
blockieren.<br />
Unter diesen Vorgaben ist auch die von Ferguson<br />
aufgeworfene Frage zu prüfen, ob<br />
und inwieweit die USA während <strong>der</strong> letzten<br />
Zeit in die Falle <strong>der</strong> imperialen Überdehnung<br />
gegangen sind. Ferguson misst die<br />
Leistungen des amerikanischen Empire<br />
am britischen Weltreich. Imperiale Ordnungen<br />
werden nicht nur politisch, son<strong>der</strong>n<br />
auch wirtschaftlich stabilisiert, und ein<br />
Mittel dazu ist eine internationale Leitwährung.<br />
In <strong>der</strong> Abfolge <strong>der</strong> westlichen Groß-<br />
<br />
21
p food for thought<br />
essay<br />
Aufnahme <strong>der</strong> Türkei in die EU verän<strong>der</strong>t.<br />
Und die Uneinigkeit zwischen Amerikanern<br />
und Europäern über die Probleme im<br />
Nahen Osten wird nur noch ausgeprägter<br />
werden.<br />
NEUE TERRORANGRIFFE DROHEN AUF<br />
JEDEN FALL. DIE FRAGE IST NICHT, OB,<br />
SONDERN WANN SIE KOMMEN<br />
Diese Rivalitäten sind ein Grund, warum die<br />
Welt auch heute wie<strong>der</strong> ein instabiles Bündnissystem<br />
besitzt (Problem Nummer drei).<br />
Die Aufgabe <strong>der</strong> NATO ist nicht mehr eindeutig.<br />
Ist sie nur noch ein unbedeuten<strong>der</strong><br />
Klub für die Gewinner des Kalten Krieges, in<br />
den ehemalige sowjetische Satellitenstaaten<br />
aus symbolischen Gründen aufgenommen<br />
werden Ist sie durch die Meinungsverschiedenheiten<br />
über den Irak obsolet geworden<br />
Keines dieser Probleme wäre fatal, wenn da<br />
nicht die vierte und fünfte Parallele wären:<br />
einen Überschuss verwandelt worden war.<br />
Bleibt das Problem <strong>der</strong> islamischen Welt,<br />
das seine Brisanz aus den dort lagernden<br />
Weltenergiereserven bezieht. Die von den<br />
USA garantierte Ordnung sorgt dafür, dass<br />
alle strategischen Güter, unter ihnen auch<br />
Öl und Gas, auf dem Weltmarkt zu maßvollen<br />
Preisen zu kaufen sind. So kann sie keine<br />
politische Macht <strong>als</strong> Waffe einsetzen o<strong>der</strong><br />
muss Waffen gebrauchen, um sie für sich<br />
verfügbar zu machen. Auf dieser Ordnung<br />
beruht <strong>der</strong> globale Frieden. Ein Zusammenbruch<br />
dieser Ordnung würde zu einer Reihe<br />
verheeren<strong>der</strong> Kriege um den Zugang zu<br />
diesen Ressourcen führen.<br />
Von den Mächten hinter den USA, den Europäern,<br />
Japan, China, auch Russland und<br />
Indien, hat keine an einer solchen Entwicklung<br />
Interesse. Sie würden dabei mit Sicherheit<br />
mehr verlieren <strong>als</strong> gewinnen. Das<br />
schließt nicht aus, dass politische Fehlentnale<br />
System mit gigantischen Schockwellen<br />
erschüttern würde. Wir wissen, dass<br />
ein revolutionärer Regimewechsel in<br />
Saudi-Arabien die Welt stärker erschüttern<br />
würde, <strong>als</strong> es <strong>der</strong> bolschewistische<br />
Coup 1917 in Russland getan hat. Doch<br />
was lässt sich gegen solche Eventualitäten<br />
unternehmen, von denen man nicht<br />
einmal ungefähr vorhersagen kann,<br />
wann sie eintreten könnten<br />
WIR SIND NICHT BESSER AUF<br />
DEN GAU VORBEREITET ALS DIE<br />
WELT VOR 90 JAHREN<br />
Wie es scheint, sind wir heute nicht besser<br />
auf den Super-GAU vorbereitet <strong>als</strong> die<br />
Nutznießer <strong>der</strong> letzten großen Globalisierung<br />
vor 90 Jahren. Genau wie die Passagiere,<br />
die an Bord <strong>der</strong> Lusitania gingen,<br />
wissen wir alle, dass wir untergehen können.<br />
Noch aber fahren wir.<br />
den Terror unterstützende Schurkenregime<br />
– ganz oben auf <strong>der</strong> Liste Iran und Syrien –<br />
und revolutionäre terroristische Vereinigungen.<br />
Es ist ein großer Fehler, Al-Qaida <strong>als</strong><br />
„islamofaschistisch“ zu begreifen, wie dies<br />
<strong>der</strong> Journalist Christopher Hitchens und<br />
viele an<strong>der</strong>e nach den Angriffen des 11. September<br />
2001 getan haben. Die Al-Qaida-Mitglie<strong>der</strong><br />
ähneln viel eher „Islamo-Bolschewiken“,<br />
die eine Revolution und eine antikapitalistische<br />
Neuordnung <strong>der</strong> Welt anstreben.<br />
Fazit: Neue Angriffe drohen – die Frage ist<br />
nur, wann sie geschehen. Ein Negativszenario<br />
erscheint daher durchaus plausibel. Aber<br />
ist es auch wahrscheinlich Das Schwierige,<br />
ja fast Unmögliche daran ist es, den Zeitpunkt<br />
<strong>der</strong> Katastrophe vorherzusagen. Ein<br />
weiterer, noch schrecklicherer 11. September<br />
ist Bin Ladens ausdrückliches Ziel. Wir<br />
wissen alle – o<strong>der</strong> sollten es zumindest wissen<br />
–, dass eine Taiwan-Krise das internatioreichsbildungen<br />
haben erstm<strong>als</strong> die Briten<br />
darüber verfügt.<br />
Die USA sind dem britischen Vorbild gefolgt<br />
und haben nach dem Ersten Weltkrieg diese<br />
Aufgabe übernommen. Die ökonomischen<br />
Effekte dessen kamen freilich erst nach dem<br />
Ende des Zweiten Weltkriegs zum Tragen.<br />
Wenn sie in dieser Position durch irgendjemanden<br />
in Frage gestellt werden, dann<br />
we<strong>der</strong> durch die Chinesen noch islamistische<br />
Terroristen, son<strong>der</strong>n durch die Europäer<br />
und den Euro.<br />
Aber welche Rolle <strong>der</strong> Euro in <strong>der</strong> Weltwirtschaft<br />
spielt, hängt nicht nur von den Europäern<br />
ab, son<strong>der</strong>n auch von den Län<strong>der</strong>n<br />
mit großen Devisenreserven und <strong>der</strong>en Entscheidung,<br />
diese in Dollar o<strong>der</strong> Euro zu halten.<br />
Die Bedeutung des US-Haushaltsdefizits<br />
sollte man nicht übertreiben: Auch am Ende<br />
<strong>der</strong> Reagan-Ära klaffte ein riesiges Haushaltsloch,<br />
das am Ende <strong>der</strong> Clinton-Ära in<br />
scheidungen Entwicklungen in Gang setzen,<br />
die keiner gewollt hat. Was uns<br />
heute jedoch von <strong>der</strong> Situation von 1914<br />
trennt, ist das klare Bewusstsein, dass ein<br />
solcher Krieg für keinen Vorteile bringen<br />
kann. Das gab es 1914 nicht, weil alle<br />
glaubten, sie könnten, so sie denn siegten,<br />
hinterher besser dastehen <strong>als</strong> zuvor.<br />
ES KOMMT HEUTE DARAUF AN,<br />
DASS DIE USA IHREN FÜHRUNGSANSPRUCH<br />
NICHT ÜBERZIEHEN<br />
Zurzeit profitieren alle potenziellen<br />
Gegenakteure von <strong>der</strong> weltpolitischen<br />
Rolle, welche die USA spielen. Es kommt<br />
<strong>als</strong>o darauf an, dass die USA mit ihrer<br />
Position klug und umsichtig umgehen<br />
und ihren Führungsanspruch nicht überziehen.<br />
Der aktuelle Verlauf des Irakkrieges<br />
dürfte ihnen dabei helfen. Für aufgeregten<br />
Alarmismus gibt es keinen Grund.<br />
22
p food for thought<br />
reportage<br />
Money statt Manitu<br />
Sie betreiben ihr eigenes Kraftwerk und jagen Bären per Helikopter: Die Cree-Indianer im Osten<br />
Kanadas haben eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte ersten Ranges geschrieben. Vater des Booms:<br />
ein Häuptling, <strong>der</strong> alte Indianerweisheiten in die mo<strong>der</strong>ne Zeit transferiert.<br />
:„Sind wir wirklich bei den Indianern<br />
gelandet“ Unternehmer Aurel Dan aus<br />
Lausanne wirkt fast enttäuscht, <strong>als</strong> sein<br />
Neunsitzer auf <strong>der</strong> Piste des Miniflughafens<br />
von Wemindji ausrollt. Dan nimmt an einer<br />
Flugrallye durch den Osten Kanadas teil. Als<br />
<strong>der</strong>en wild-malerischer Höhepunkt war dieser<br />
Abstecher an die James Bay im Norden<br />
Quebecs gedacht; hier hat <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
elektronischen Handelsplattform TeleInvest<br />
das erwartet, was er aus Wildwestfilmen<br />
kennt: weiße Zelte, aus denen Rauch aufsteigt,<br />
tanzende Indianer und Lagerfeuer.<br />
Doch zu sehen bekam er etwas an<strong>der</strong>es.<br />
Wemindji ist eine schmucke kleine Provinzsiedlung:<br />
ordentlich aufgereihte Häuser,<br />
geteerte Straßen, Pick-up-Trucks vor jedem<br />
Grundstück. Im Zentrum eine Mall, eine<br />
Tankstelle und eine große Sporthalle. Tipis<br />
stehen hier nur vereinzelt in manchen<br />
Gärten und auch nur, weil die älteren Cree<br />
noch gerne im Freien kochen.<br />
Senioren sind im Übrigen deutlich in <strong>der</strong><br />
Min<strong>der</strong>heit. Nachwuchssorgen hat Wemindji<br />
nicht; 70 Prozent <strong>der</strong> Cree hier sind jünger<br />
<strong>als</strong> 35 Jahre.<br />
WEMINDJI IST EINE ERFOLGSGESCHICHTE<br />
IN DER KANADISCHEN TUNDRA. DEM AUF-<br />
SCHWUNG FOLGTE DER BABYBOOM.<br />
Dem Dorf geht es gut, und <strong>der</strong> Aufschwung<br />
hat einen Babyboom ausgelöst. Alle Häuser<br />
hier haben fließend Wasser, 90 Prozent <strong>der</strong><br />
24
ein indianerdorf <strong>als</strong> erfolgsstory – inklusive beteiligung an einer airline<br />
food for thought f<br />
Familien besitzen Autos. Elche und Bären<br />
jagen die Cree von Wemindji mit Helikoptern.<br />
Und sie kommunizieren über Satellitentelefone.<br />
Wemindji ist eine unbekannte<br />
Erfolgsgeschichte, abgeschirmt von <strong>der</strong> endlosen<br />
Tundra Kanadas. Das Dorf liegt zu abgeschieden,<br />
um medial wahrgenommen zu<br />
werden. Erst seit diesem Jahrzehnt bindet<br />
eine Schotterstraße das Dorf an den James<br />
Bay Highway und das 14 Autostunden entfernte<br />
Montreal an. Hierher – an die Mündung<br />
des Maquatua-Flusses in die James<br />
Bay – verirren sich nur erfahrene Jäger o<strong>der</strong><br />
Ingenieure des Stromkonzerns Hydro Quebec,<br />
<strong>der</strong> in dem wasserreichen Gebiet gerade<br />
zahlreiche Kraftwerke baut. Und eben<br />
Hobbyflieger auf Air-Rallyes.<br />
Die begrüßt <strong>der</strong> Häuptling von Wemindji,<br />
Reggie Mark (oben rechts), am Flughafen<br />
persönlich. Im Polohemd, mit Khaki-Käppchen<br />
und eleganter Freizeithose wirkt er, <strong>als</strong><br />
käme er gerade vom Golfplatz. Kommt er<br />
aber nicht. Für viel Freizeitbeschäftigung<br />
hat <strong>der</strong> Mann keine Zeit; er managt nämlich<br />
ein aufstrebendes Dorf und zahlreiche Firmen<br />
in Kommunalbesitz (das profitable<br />
Transportunternehmen KEPA, die lokale<br />
Müllabfuhr, eine dieselgetriebene Müllverbrennungsanlage,<br />
ein kleines Busunternehmen<br />
und das lokale Wasserkraftwerk). Zum<br />
dörflichen Imperium gehören auch Beteiligungen<br />
an einem Asphaltunternehmen sowie<br />
an <strong>der</strong> regionalen Airline <strong>der</strong> Indianer<br />
an <strong>der</strong> James Bay, <strong>der</strong> Air Creebec.<br />
Reggie Mark ist <strong>der</strong> Vater des Booms von<br />
Wemindji. Der 55-jährige Chief, Vater von<br />
sieben Kin<strong>der</strong>n und Großvater von 15 Enkelkin<strong>der</strong>n,<br />
holte 200 Experten ins Dorf, um <strong>der</strong>en<br />
Know-how zu erwerben, „erfahrene Führungskräfte<br />
mit Disziplin“. Marks Managementkonzept:<br />
„gute Führungskräfte, eine<br />
Vision, Konsens, Prioritäten und finanzielle<br />
Solidität“. Serviceorientierung schreibt <strong>der</strong><br />
Häuptling groß: „Wir müssen unseren Leuten<br />
dienen.“ Marks Philosophie verbindet<br />
einen klaren Fokus aufs Kerngeschäft – Bewahrung<br />
<strong>der</strong> Tradition des Dorfes – mit permanenter<br />
Innovation: Daher gründet, för<strong>der</strong>t<br />
o<strong>der</strong> kauft er ständig neue Firmen, die<br />
Wachstum versprechen, Nachhaltigkeit gewährleisten<br />
und Arbeitsplätze sichern.<br />
Die Regierung von Quebec hat mit den neun<br />
Cree-Dörfern an <strong>der</strong> James Bay 2002 einen<br />
Vertrag unterzeichnet, <strong>der</strong> den Indianern<br />
auf 50 Jahre verteilt 3,5 Milliarden Dollar<br />
zusichert. Viel Geld, das aber schnell verpufft,<br />
wenn es nicht sinnvoll angelegt wird.<br />
25
p food for thought<br />
die ältesten wissen, dass verän<strong>der</strong>ung nötig ist<br />
Wemindji, die schmucke Provinzsiedlung im<br />
Osten Kanadas. Unbeachtet von <strong>der</strong> Welt, hat<br />
sich das Dorf zu einem ökonomischen Erfolgsmodell<br />
entwickelt.<br />
Das mussten an<strong>der</strong>e Cree-Dörfer erfahren.<br />
Keines von ihnen hat eine solche Erfolgsgeschichte<br />
geschrieben wie Wemindji.<br />
DER CHIEF SUCHT DEN KONSENS MIT DEN<br />
ÄLTESTEN. SO WIRD SENIORITÄT ZUM<br />
INSTRUMENT DER INNOVATION.<br />
Mark hat seinem Dorf mit einem ehrgeizigen<br />
Fünfjahresplan eine Perspektive gegeben.<br />
Er löste Begeisterung aus und riss die<br />
Siedlung mit. Ganz nach Indianerart hat er<br />
den Konsens mit den Ältesten im Dorf<br />
gesucht und gefunden. Ihre Autorität – ihre<br />
Seniorität – hat <strong>der</strong> Chief <strong>als</strong> innovationsför<strong>der</strong>ndes<br />
Instrument genutzt: „Die Alten hatten<br />
ein schwieriges Leben, ernährten sich<br />
von Acker und Jagd. Ihr Einkommen war<br />
unregelmäßig. Sie verstehen, dass wir Wandel<br />
und stete Einkommen brauchen.“<br />
Entscheidend für das Managementkonzept<br />
des Häuptlings: Er kennt seine Grenzen.<br />
Nicht vorhandene Kompetenzen lassen sich<br />
nicht herbeizaubern; sie müssen vielmehr<br />
erworben werden – intern o<strong>der</strong> durch Zukauf.<br />
Weil Wemindji viel baut, aber kein<br />
Know-how dafür hat, stieg Mark mit 30 Prozent<br />
in eine regionale Asphaltfirma ein. Das<br />
Ziel: langfristig die Firma zu übernehmen.<br />
Mit dem eigenen kleinen Hydrokraftwerk<br />
am Fluss Maquatua produziert Wemindji<br />
phasenweise mehr Strom, <strong>als</strong> es verbraucht.<br />
Der Überschuss wird an Hydro Quebec verkauft.<br />
Die Müllverbrennungsanlage hilft<br />
nicht nur, die Umweltauflagen <strong>der</strong> Regierung<br />
zu erfüllen. Sie sichert auch hohe För<strong>der</strong>gel<strong>der</strong><br />
– und zehn Arbeitsplätze.<br />
Die neue Multisporthalle für sechs Millionen<br />
Dollar – mit Schwimmbad, Sauna und<br />
Basketballfeld – schafft weitere zwölf Jobs.<br />
Und sie sichert die soziale Stabilität in dem<br />
Dorf. Unter den Jugendlichen in den an<strong>der</strong>en<br />
Cree-Siedlungen grassieren Alkoholund<br />
Drogensucht, Gewalt und Geschlechtskrankheiten.<br />
In Wemindji kaum. „Wir brauchen<br />
aktive Kin<strong>der</strong>, dann schlittern sie nicht<br />
ins Abseits“, sagt Mark.<br />
Damit die Jugendlichen ihre eigene Kultur<br />
nicht vergessen, werden sie in den ersten<br />
drei Jahren Grundschule in Cree unterrichtet.<br />
Jedes Frühjahr ruhen für ein paar Tage<br />
alle „mo<strong>der</strong>nen“ Aktivitäten im Dorf, damit<br />
die Indianer ihre alten Bräuche praktizieren:<br />
Jagen, Fischen, Tänze und Handwerk.<br />
Was aber ist schwieriger, eine Firma zu führen<br />
o<strong>der</strong> ein Indianerdorf, Chief Mark<br />
„Der Job <strong>als</strong> Häuptling ist politischer, daher<br />
ist es leichter, eine Firma zu führen.“ Im täglichen<br />
Kampf um Akzeptanz im Dorf überzeugt<br />
nur, wer Ruhe und Souveränität ausstrahlt.<br />
Das tut Mark. „Man muss sich nicht<br />
nur gute Leute suchen“, erklärt er, „son<strong>der</strong>n<br />
den Managern Raum geben, damit sie die<br />
Ziele erfüllen.“<br />
Die Piloten <strong>der</strong> Rallye beeindruckt <strong>der</strong><br />
managementaffine Häuptling ebenso wie<br />
<strong>der</strong> Boom <strong>der</strong> Indianer. „Die haben es weit<br />
gebracht“, so Immobilienanwalt Norman<br />
Schwartz aus Kalifornien: „Wir schlafen in<br />
den Tipis, die Indianer in ihren Häusern.“<br />
Hightech nicht nur<br />
am Flughafen. Die Indianer<br />
in Wemindji sind in<br />
<strong>der</strong> Industriemo<strong>der</strong>ne<br />
angekommen.<br />
26
DIE NÄCHSTEN FÜNF JAHRZEHNTE<br />
STEHEN IM ZEICHEN DER GESUNDHEIT.<br />
Leo Nefiodow
DOSSIER #05 Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong><br />
nBRISTOL-MYERS SQUIBB<br />
Der Konzern hat 2005 2,5 Milliarden<br />
Dollar für F&E ausgegeben. Gerade<br />
mittelgroße Konzerne sind auf Forschungskooperationen<br />
angewiesen.<br />
110 eigene Forschungsprogramme<br />
und 50 Entwicklungsprogramme<br />
finanziert<br />
das Unternehmen.<br />
»Mehr denn je sind<br />
wir offen für alle Arten<br />
von Kooperationen.«<br />
PETER R. DOLAN, CEO<br />
DIE WELTGRÖSSTEN<br />
PHARMAUNTERNEHMEN<br />
Weltmarkt:<br />
Pfizer (USA)<br />
Sanofi-Aventis (Europa)<br />
GlaxoSmithKline (Europa)<br />
Merck (USA)<br />
AstraZeneca (Europa)<br />
21,4<br />
Roche (Europa)<br />
Bristol-Myers Squibb (USA)<br />
15,5<br />
Wyeth (USA)<br />
14,0<br />
550,0 Milliarden Dollar<br />
Johnson & Johnson (USA)<br />
22,1<br />
Novartis (Europa)<br />
18,5<br />
17,3<br />
21,5<br />
31,8<br />
31,4<br />
46,1<br />
Die Umsatzangaben (in Milliarden Dollar)<br />
beziehen sich auf 2004. 2005 und<br />
2006 dürften auslaufende Patente für<br />
mäßige Wachstumsraten sorgen.<br />
Quelle: Pharmaceutical Executive<br />
Gesundes Wachstum<br />
WELTWEIT WÄCHST DIE NACHFRAGE NACH NEUEN PRODUKTEN AUS DER GESUNDHEITSWIRTSCHAFT.<br />
SIE IST BEREITS JETZT EINER DER WACHSTUMSMOTOREN – UND IHR POTENZIAL IST LÄNGST NOCH NICHT<br />
AUSGESCHÖPFT. ABER NUR MIT INNOVATIVEN NETZWERKEN WERDEN UNTERNEHMEN ZU GEWINNERN.<br />
s<br />
INNERHALB VON 30 MINUTEN wird <strong>der</strong> Körper<br />
eines Patienten exakt abgebildet. Alle wesentlichen<br />
Organe vom Gehirn bis zur Leber erscheinen dreidimensional<br />
auf einem PC-Bildschirm. „Wir prüfen, ob<br />
solch ein Blick in den ganzen Körper bei hartnäckigen<br />
Beschwerden wie Abnahme <strong>der</strong> Leistungsfähigkeit,<br />
Gewichtsverlust o<strong>der</strong> Schwindel helfen kann“, erläutert<br />
Bernd Hamm, Direktor des Instituts für Radiologie<br />
<strong>der</strong> Charité in Berlin und wissenschaftlicher Leiter<br />
des Imaging Science Institute (ISI). Das ISI nutzt neue<br />
Bildgebungstechnologien, um verborgene Entzündungsherde,<br />
Organvergrößerungen o<strong>der</strong> Schäden an<br />
Blutgefäßen zu finden.<br />
Spitzenmedizin dieser Art ist oft das Resultat<br />
innovativer Kooperationen – auch in diesem Fall. Das<br />
ISI managt die Charité gemeinsam mit <strong>der</strong> Medizintechniktochter<br />
des Elektrokonzerns Siemens. Nur<br />
dank <strong>der</strong> Zuschüsse des Unternehmens kann das ISI<br />
neue Methoden schon im Frühstadium ausprobieren.<br />
Das Institut repräsentiert einen von zahlreichen<br />
neuen Wegen, den öffentliche und private Unternehmen<br />
auf <strong>der</strong> Suche nach Partnerschaften in <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheit</strong>swirtschaft gehen. In dem dynamischen<br />
Markt, den Experten <strong>als</strong> globalen Wachstumsmotor<br />
des angebrochenen Jahrtausends sehen, sind flexible<br />
Formen <strong>der</strong> Zusammenarbeit gefragt, um dem<br />
Innovations- und Investitionsdruck standzuhalten.<br />
Je<strong>der</strong> kooperiert mit jedem: Firmen miteinan<strong>der</strong>, die<br />
Industrie mit <strong>der</strong> Wissenschaft, private Forschungsinstitute<br />
mit staatlichen Stellen. Die große Kooperitis<br />
ist ausgebrochen – und das hat auch Sinn.<br />
DEN FEHLER DER NEW ECONOMY, die noch vor<br />
Jahren <strong>als</strong> Wachstumsgarant galt, wollen speziell die<br />
Unternehmen auf dem Healthcare-Markt nicht wie<strong>der</strong>holen.<br />
Technologiegiganten wie AOL/Time Warner o<strong>der</strong><br />
WorldCom, die allein durch Fusionen und Übernahmen<br />
Umsätze und Marktanteile explodieren ließen, produzierten<br />
dam<strong>als</strong> mehr Kosten <strong>als</strong> Synergien und stürzten<br />
ab. Das hatte katastrophale Folgen für die Weltwirtschaft.<br />
Um diese Gefahr zu umgehen, sind die<br />
Pillenriesen in ihrer Aquisitionspolitik vorsichtig geworden.<br />
Übernahmen finden zwar weiter statt, aber<br />
selektiv und vor allem, um neue Geschäftsfel<strong>der</strong> zu<br />
erschließen. Daneben bauen die Pharmakonzerne,<br />
aber auch große Krankenhausbetreiber aus den USA<br />
und Großbritannien aktiv an neuen Netzwerken, um<br />
das Marktpotenzial innovativer Dienstleistungen und<br />
Produkte auszuschöpfen.<br />
Das nämlich ist beträchtlich. Schon ein Blick<br />
auf die Titelseiten <strong>der</strong> Nachrichtenmagazine weltweit<br />
zeigt: <strong>Gesundheit</strong> ist das Überthema dieses Jahrzehnts.<br />
Nach Einschätzung des russischen Zukunftsforschers<br />
Leo Nefiodow hat <strong>der</strong> <strong>Gesundheit</strong>smarkt die<br />
Informationstechnik <strong>als</strong> langfristige Wachstumslokomotive<br />
abgelöst. „Die nächsten fünf Jahrzehnte werden<br />
im Zeichen <strong>der</strong> <strong>Gesundheit</strong> stehen“, erwartet<br />
<strong>der</strong> Ökonom. Allein 2003 betrug das globale Volumen<br />
des <strong>Gesundheit</strong>smarktes laut Bloomberg/Apoasset<br />
rund 2,6 Billionen Euro. 40 Prozent davon fließen den<br />
zumeist öffentlichen Krankenhäusern zu, weitere<br />
34 Prozent werden in medizinisch-technische Geräte<br />
investiert. Die Ausgaben für Arzneimittel, obwohl<br />
im Mittelpunkt vieler Spardebatten, betragen hingegen<br />
nur rund elf Prozent.<br />
Ein zentraler Wachstumstreiber ist die private<br />
<strong>Gesundheit</strong>svorsorge. In Europa steht diese zwar<br />
noch ziemlich am Anfang – <strong>der</strong> öffentliche Anteil an<br />
den <strong>Gesundheit</strong>sausgaben liegt auf dem Kontinent<br />
meist zwischen 70 und 80 Prozent. In den Vereinigten<br />
Staaten hingegen beträgt er nur noch rund 44 Prozent.<br />
US-Konsumenten sind bereit, aus eigener Tasche<br />
Geld auszugeben. Und zwar nicht nur für traditionelle<br />
Medikamente, son<strong>der</strong>n auch für so genannte Lifestyle-Drugs,<br />
zum Beispiel für Potenzmittel, Diätpillen<br />
o<strong>der</strong> Anti-Falten-Präparate.<br />
28
Kosten drücken allein reicht nicht DOSSIER #05<br />
Überhaupt geben Bürger in den USA mehr für<br />
Medikamente aus <strong>als</strong> an<strong>der</strong>swo. Ein Grund liegt darin,<br />
„dass viele Präparate dort früher auf den Markt kommen<br />
<strong>als</strong> in an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n und dann in <strong>der</strong> Regel zu<br />
einem höheren Preis verkauft werden“, so eine aktuelle<br />
Studie von Deutsche Bank Research. Davon profitiert<br />
die heimische Volkswirtschaft. Die starke Nachfrage<br />
aus dem Heimatmarkt führt nämlich zugleich<br />
zu massiven Forschungsaktivitäten und stärkt die<br />
Position heimischer Pharmakonzerne. Nicht von ungefähr<br />
haben die US-Unternehmen in den neunziger<br />
Jahren bei <strong>der</strong> Neuentwicklung von Medikamenten<br />
die Spitze übernommen. Für den Rest <strong>der</strong> Welt<br />
heißt dies: Ein <strong>Gesundheit</strong>ssektor, <strong>der</strong> sich nur<br />
aufs Kostendrücken beschränkt, schadet <strong>der</strong> einheimischen<br />
Wirtschaft.<br />
WELTWEIT ERWARTEN die Forscher <strong>der</strong> Deutschen<br />
Bank für die nächsten 15 Jahre weiter sattes<br />
Wachstum. Dafür sorgen dürfte nicht zuletzt die<br />
Tatsache, dass die Definition dessen, was <strong>als</strong> geldwerte<br />
<strong>Gesundheit</strong>sleistung gilt, ständig weiter gefasst<br />
wird. Noch vor Jahren undenkbar, stoßen Medikamente<br />
gegen Zivilisationskrankheiten wie Allergien<br />
heute zumindest bei US-Konsumenten auf hohe Akzeptanz.<br />
Mittelfristig dürften sich diese neuartigen<br />
Arzneien weltweit verbreiten. Auch <strong>der</strong> gesellschaftliche<br />
Alterungsprozess führt zu ganz neuen Produktkategorien.<br />
So verdienen viele Konzerne mittlerweile<br />
gutes Geld mit Medikamenten gegen natürliche<br />
Alterserscheinungen.<br />
Global steigen die Ausgaben für die <strong>Gesundheit</strong><br />
seit Jahrzehnten. Nicht nur in den USA, son<strong>der</strong>n auch<br />
in Japan o<strong>der</strong> Großbritannien wachsen sie stärker <strong>als</strong><br />
die Gesamtwirtschaft. Das Wachstum hat sich in den<br />
vergangenen Jahren in einigen Län<strong>der</strong>n zwar verlangsamt.<br />
Trotz Sparbemühungen werden die Ausgaben<br />
aber weiter zunehmen. Vor allem dürfte das<br />
US-Modell Schule machen. Immer mehr Verbraucher<br />
sehen <strong>Gesundheit</strong>saufwendungen <strong>als</strong> Investition in<br />
den eigenen Körper an. Sie sind daher bereit, mehr für<br />
ihr Wohlergehen auszugeben. Auch Leo Nefiodow prognostiziert<br />
einen neuen globalen <strong>Gesundheit</strong>ssektor.<br />
Dieser weite sich aus durch Präventionsmaßnahmen,<br />
kostengünstigere Alternativmedizin wie Naturheilverfahren<br />
und Psychodisziplinen. Dagegen müsse <strong>der</strong><br />
konventionelle <strong>Gesundheit</strong>ssektor umstrukturiert<br />
werden, da er bisher die Krankheit för<strong>der</strong>e. „Die behutsame<br />
Transformation vom Krankheits- zu einem<br />
<strong>Gesundheit</strong>ssystem ist überfällig.“<br />
Zentrales Element in einem solchen System ist<br />
die enge Verzahnung von Theorie und Praxis. Diese<br />
erleichtere die gesundheitsrelevante Forschung und<br />
Entwicklung, so Joachim Kartte, Partner bei <strong>Roland</strong><br />
<strong>Berger</strong> Strategy Consultants. „Integrierte Innovationsnetzwerke“<br />
bilden sich laut Kartte rund um einen<br />
klassischen Cluster <strong>der</strong> integrierten Versorgung, in<br />
dem Leistungserbringer verschiedener Sektoren, aber<br />
auch Kostenträger durch abgestimmte Behandlungspfade<br />
sowie neue Formen von Management, Controlling<br />
und Abrechnung miteinan<strong>der</strong> verbunden sind.<br />
Diese Netzwerke gehen nun strategische Partnerschaften<br />
mit <strong>der</strong> Industrie ein – etwa mit Pharma-,<br />
Biotech-, Medizintechnik- o<strong>der</strong> auch IT-Unternehmen.<br />
Die Firmen fungieren dann nicht mehr nur <strong>als</strong> Lieferanten<br />
<strong>der</strong> Leistungserbringer, son<strong>der</strong>n entwickeln<br />
gemeinsam mit <strong>der</strong> Spitzenmedizin völlig neue Verfahren,<br />
Behandlungsmethoden und IT-Lösungen.<br />
Florian Holsboer, Direktor am Max-Planck-Institut<br />
für Psychiatrie, erläutert dies anhand <strong>der</strong> klinischen<br />
Pharmakologie: „Vor etwa vier Jahren wurde<br />
deutlich, dass in <strong>der</strong> klinischen Pharmakologie genetische<br />
Untersuchungen nur dann wesentliche neue<br />
Erkenntnisse hervorbringen, wenn die Versuchsanordnung<br />
nicht streng hypothesengeleitet ist. Solch<br />
ein Ansatz erfor<strong>der</strong>t Technologien, die nur in <strong>der</strong> pharmazeutischen<br />
Industrie etabliert sind, und den Zugang<br />
zu Datenbanken, über die Industriefirmen seit<br />
langem verfügen und die selbst aufzubauen viel<br />
zu viel Zeit und Geld verschlingen würde.“ Also gründete<br />
Holsboer mit dem britischen Pharmakonzern<br />
GlaxoSmithKline das kommerzielle Genetic Research<br />
Centre. GlaxoSmithKline kommt für Investitionen, Personal<br />
und Miete auf, das Max-Planck-Institut und<br />
an<strong>der</strong>e potenzielle Kooperationspartner übernehmen<br />
die laufenden Chemikalienkosten. Das Zentrum arbeitet<br />
weit gehend eigenständig; lediglich wenn es mit<br />
einem Konkurrenten <strong>der</strong> Briten forschen will, hat <strong>der</strong><br />
Konzern ein Vetorecht.<br />
Partnerschaften wie diese sorgen dafür, dass<br />
neue Produkte und Dienstleistungen schneller marktreif<br />
werden. Leistungserbringer und Kostenträger pro-<br />
29
DOSSIER #05 Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong><br />
nHCA<br />
Die Hospital Corporation of America ist<br />
<strong>der</strong> größte private Krankenhausbetreiber<br />
<strong>der</strong> USA. HCA entwickelt sich<br />
immer mehr zu einem internationalen<br />
Healthcare-Konzern.<br />
25 Milliarden Dollar<br />
Umsatz erzielt<br />
HCA – ein Zwischenschritt<br />
auf dem Weg<br />
zum Global Player.<br />
»Wir planen, mit<br />
stark integrierten<br />
Netzwerken Weltmarktführer<br />
im<br />
Bereich Healthcare<br />
zu werden.«<br />
RICHARD M. BRACKEN,<br />
PRÄSIDENT UND COO, HCA<br />
GROSSE BÖRSENNOTIERTE<br />
US-KLINIKBETREIBER<br />
Umsatz<br />
Marktin<br />
$ kapitalisierung in $<br />
HCA 24,5 Mrd. 23,3 Mrd.<br />
Tenet 9,7 Mrd. 3,6 Mrd.<br />
Triad 4,8 Mrd. 3,7 Mrd.<br />
Universal 4,2 Mrd. 2,5 Mrd.<br />
Community Health 3,7 Mrd. 3,4 Mrd.<br />
Health Mgt. Assoc. 3,6 Mrd. 5,4 Mrd.<br />
Magellan 1,8 Mrd. 1,2 Mrd.<br />
Lifepoint 1,6 Mrd. 1,8 Mrd.<br />
Die größten privaten Krankenhausbetreiber<br />
sitzen in den USA. Auch <strong>der</strong> britische<br />
Markt ist stark zentralisiert. Die<br />
Privatisierung in Kontinentaleuropa<br />
dürfte aber Anbietern wie <strong>der</strong> französischen<br />
Général de la Santé nützen.<br />
Quelle: Yahoo Finance<br />
filieren sich durch innovative Methoden im Wettbewerb<br />
um Kunden. Die Kostenträger können potenzielle<br />
Kosteneffekte neuer Methoden messen. Und: Beispiele<br />
wie das Genetic Research Centre o<strong>der</strong> das ISI<br />
zeigen, dass diese Formen öffentlich-privater Entwicklungsnetzwerke<br />
profitabel sein können. Nach<br />
Ansicht von Siemens-Vorstandsmitglied Erich R. Reinhardt<br />
führt die Gemeinschaftsarbeit „zu Innovationen,<br />
die die Qualität <strong>der</strong> <strong>Gesundheit</strong>sversorgung erhöhen<br />
und die Kosten im <strong>Gesundheit</strong>swesen senken“.<br />
Vorausgesetzt, das Humankapital stimmt. Vor<br />
allem integrierte Forschungs- und <strong>Gesundheit</strong>szentren<br />
sind auf erstklassige Forscher angewiesen.<br />
Momentan entbrennt ein regelrechter Wettbewerb um<br />
die besten Köpfe aus Pharmaforschung und Wissenschaft.<br />
Zumal nicht nur US-amerikanische und europäische<br />
Zentren um die Topforscher buhlen, son<strong>der</strong>n<br />
zunehmend auch Konkurrenten aus Ostasien o<strong>der</strong><br />
dem Nahen Osten. Das Emirat Dubai errichtet momentan<br />
eine Forschungs- und <strong>Gesundheit</strong>sstadt riesigen<br />
Ausmaßes (siehe Reportage auf Seite 40). Und bereits<br />
im Jahr 2003 eröffnete <strong>der</strong> Stadtstaat Singapur die<br />
Biopolis, einen Think-Tank, in dem sich Genforscher,<br />
Molekularbiologen, Bioinformatiker und F&E-Abteilungen<br />
großer Pharmakonzerne zusammenfinden.<br />
Biopolis soll dem Land einen Spitzenplatz in <strong>der</strong> biomedizinischen<br />
Forschung verschaffen. Damit dies<br />
funktioniert, ist Initiator Philip Yeo ein ganzes Jahr<br />
lang um den Globus gejettet, um die besten Forscher<br />
anzulocken. Den renommierten britischen Krebsforscher<br />
David Lane konnte er verpflichten, ebenso zwei<br />
führende Genomforscher aus den USA. Nur die besten<br />
Köpfe wolle er holen, so Yeo. „Der Rest kommt von<br />
allein.“ Und zwar aus aller Welt.<br />
Während integrierte <strong>Gesundheit</strong>s- und Forschungszentren<br />
global um Spitzenkräfte buhlen, ist<br />
<strong>der</strong> Wettbewerb im klassischen Krankenhaussektor<br />
noch vorrangig Län<strong>der</strong>sache. Doch <strong>der</strong> Wind <strong>der</strong> Globalisierung<br />
weht auch hier. Vorreiter sind die USA und<br />
Großbritannien. Der Klinikbetrieb ist dort bereits weit<br />
gehend privatisiert und wird von wenigen großen<br />
Betreibern beherrscht. In Großbritannien dominiert<br />
BMI Healthcare. Die Gruppe betreibt 44 Kliniken mit<br />
2100 Betten. Als Ziel für die Zukunft nennt BMI die<br />
„Erweiterung des Portfolios durch Expansion in allen<br />
Marktsegmenten“. Das dürfte auch heißen: weltweit.<br />
Marktführer in den USA ist HCA (Hospital Corporation<br />
of America). Das Unternehmen betreibt Akutund<br />
psychiatrische Kliniken und ist auch in <strong>der</strong><br />
Schweiz und Großbritannien aktiv. In Zukunft plant<br />
Richard M. Bracken, Präsident und Chief Operating<br />
Officer, das Wachstum „durch den Ausbau <strong>der</strong> medizinischen<br />
Spezialgebiete und Notfallversorgung sowie<br />
selektive Übernahmen von Kliniken mit Fokus auf<br />
städtische Gebiete“. Auch Bracken sieht die Möglichkeit<br />
zu weiterem Wachstum vor allem in integrierten<br />
Netzwerken. Durch diese will HCA seine Stellung <strong>als</strong><br />
weltweit größter Krankenhausbetreiber festigen. Für<br />
die Betreiber von Privatkliniken gilt <strong>als</strong>o, was sich wie<br />
ein roter Faden durch die gesamte <strong>Gesundheit</strong>sindustrie<br />
zieht: Nur wer konsequent auf Partnerschaften<br />
setzt und auch intern die Fähigkeiten zur Zusammenarbeit<br />
mit sehr unterschiedlichen Partnern entwickelt,<br />
wird in Zukunft gewinnen.<br />
Auch in <strong>der</strong> Pharmabranche. Um die immensen<br />
Forschungs- und Entwicklungskosten zu reduzieren,<br />
knüpfen die Konzerne branchenintern engmaschige<br />
Netze an Kooperationen. Konzerne wie Pfizer o<strong>der</strong><br />
Novartis koordinieren mehr <strong>als</strong> 100 Partnerschaften<br />
gleichzeitig. Speziell um Partner in <strong>der</strong> Biotechnologie<br />
findet stellenweise ein regelrechter Kampf statt.<br />
Nicht ohne Grund: Im Jahr 2004 machten Biotechmedikamente<br />
bereits zehn Prozent des globalen<br />
Pharmamarkts aus. Fast folgerichtig bieten sich Topmanager<br />
wie Peter R. Dolan, CEO des neuntgrößten<br />
Konzerns Bristol-Myers Squibb, offen <strong>als</strong> Partner an.<br />
Dolan: „Mehr denn je sind wir offen für alle Arten von<br />
Kooperationen, unabhängig davon, auf welchem<br />
Gebiet und in welchem Stadium sich die Entwicklungen<br />
befinden.“ Gerade hat sein Konzern eine Kooperation<br />
mit dem Genomic-Unternehmen Exelixis besiegelt.<br />
Exelixis entwickelt neue Präparate zur Behandlung<br />
von Herzkrankheiten, die sich gegen den<br />
Leber-X-Rezeptor richten. Im Gegenzug erhält das<br />
Unternehmen für maximal zwei Präparate Zahlungen<br />
von jeweils bis zu 140 Millionen Dollar sowie eine Vorabzahlung<br />
von 17,5 Millionen Dollar und für zwei<br />
Jahre eine Forschungsunterstützung von weiteren<br />
zehn Millionen Dollar.<br />
Beson<strong>der</strong>s erfolgversprechend sind Kooperationen,<br />
in denen die Ergebnisse vergangener Forschungen<br />
gepoolt werden können. Bristol-Myers<br />
30
Deregulierung führt zu mehr Innovation DOSSIER #05<br />
Wachstumstreiber statt Kostenfaktor<br />
EINE STUDIE MACHT DEUTLICH, WIE DER GESUNDHEITSSEKTOR ZUM WACHSTUMSMOTOR WERDEN KANN. GERADE DEUTSCHLAND ALS<br />
GESUNDHEITSSTANDORT IM UMBRUCH ZEIGT: INNOVATIONEN MÜSSEN WEITER GEFÖRDERT WERDEN; VERALTETE BEHANDLUNGSMETHODEN<br />
GEHÖREN ABGESCHAFFT. UND DIE PATIENTEN MÜSSEN SICH DARAN GEWÖHNEN, FÜR ERSTKLASSIGE BEHANDLUNG PRIVAT ZU ZAHLEN.<br />
SEIT MITTE DER NEUNZIGER JAHRE ist <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheit</strong>ssektor jährlich um etwa einen<br />
Prozentpunkt schneller gewachsen <strong>als</strong> die<br />
gesamte deutsche Wirtschaft; über vier Millionen<br />
Menschen, <strong>als</strong>o je<strong>der</strong> zehnte Erwerbstätige,<br />
sind in <strong>der</strong> Branche beschäftigt. Bis<br />
zum Jahr 2020 wird <strong>der</strong> <strong>Gesundheit</strong>smarkt<br />
von heute 260 Milliarden Euro auf über<br />
450 Milliarden Euro wachsen. Zu diesem<br />
Ergebnis kommt die Studie „Innovation und<br />
Wachstum im <strong>Gesundheit</strong>swesen“ von <strong>Roland</strong><br />
<strong>Berger</strong> Strategy Consultants.<br />
Das <strong>Gesundheit</strong>swesen – und nicht die<br />
Autoindustrie – ist bereits jetzt die größte<br />
Branche <strong>der</strong> deutschen Volkswirtschaft. Und<br />
sie verfügt über viel Wachstumspotenzial,<br />
denn sie verbindet Dienstleistung mit Hightech;<br />
und die demografische Entwicklung<br />
arbeitet ihr zu. An Stelle <strong>der</strong> permanenten<br />
Kostendebatten sollten daher die Wachstumschancen<br />
im <strong>Gesundheit</strong>ssektor ergriffen und<br />
Innovationen forciert werden.<br />
Nicht nur die <strong>Gesundheit</strong>sbranche<br />
wächst, son<strong>der</strong>n auch die Ansprüche <strong>der</strong><br />
Patienten. Sie werden mündiger und verlangen<br />
Transparenz, damit sie selbst entscheiden<br />
können, welche Leistungen sie in Anspruch<br />
nehmen. Dafür sind die Menschen auch bereit,<br />
<strong>Gesundheit</strong>sleistungen privat zu finanzieren.<br />
So gaben die Deutschen 2003 etwa 50 Milliarden<br />
Euro für ihre <strong>Gesundheit</strong> aus und bezahlten<br />
damit knapp 20 Prozent aller <strong>Gesundheit</strong>sleistungen<br />
aus eigener Tasche.<br />
Damit <strong>der</strong> <strong>Gesundheit</strong>smarkt und die<br />
Anzahl <strong>der</strong> Beschäftigten weiter wachsen,<br />
müssen Innovationen bei Forschung und Leistungen<br />
öffentlich geför<strong>der</strong>t werden. Durch<br />
Deregulierung kann <strong>der</strong> Wettbewerb <strong>der</strong> Systeme<br />
und Anbieter forciert werden, was zu mehr<br />
Innovationen führt. So sollten Zusammenschlüsse<br />
zwischen den unterschiedlichen<br />
Arten von Krankenversicherern zugelassen<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Rahmen für Direktverträge zwischen<br />
Kassen und Leistungserbringern erweitert<br />
werden. Zertifizierungssysteme würden es den<br />
Bürgern ermöglichen, die Qualität <strong>der</strong> Leistungen<br />
selbst zu beurteilen.<br />
DIE PRIVATE FINANZIERUNG sollte stärker<br />
für Innovationen genutzt werden, for<strong>der</strong>n die<br />
Autoren. Wer Geld in seine eigene <strong>Gesundheit</strong><br />
investiert, profitiert so auch von den<br />
neuesten therapeutischen Errungenschaften.<br />
Dies wi<strong>der</strong>spräche nicht dem Solidargedanken.<br />
Schließlich, so die Argumentation <strong>der</strong> Autoren,<br />
wurden auch <strong>der</strong> Airbag und das ABS, die<br />
zweifelsohne dem Erhalt von Leben und<br />
<strong>Gesundheit</strong> dienen, zunächst von wenigen<br />
Käufern teurer Autos finanziert.<br />
Um weitere Mittel für Innovationen freizusetzen,<br />
empfehlen die Berater zudem, das<br />
solidarisch finanzierte System konsequent<br />
auf Ineffizienzen wie Doppelbehandlungen zu<br />
durchforsten. Mittels systematischer Therapievergleichsforschung<br />
könnten veraltete Behandlungsmethoden<br />
abgeschafft werden.<br />
Squibb beispielsweise will mit dem Biotechunternehmen<br />
Gilead Sciences künftig ein HIV-Medikament produzieren.<br />
Dieses kombiniert die Wirkstoffe <strong>der</strong> bestehenden<br />
Pillen Truvada (aus dem Hause Gilead) und<br />
Sustiva (Bristol-Myers Squibb).<br />
NETZWERKE ZWISCHEN Pharmariesen und kleineren<br />
Biotechfirmen sind in <strong>der</strong> Branche mittlerweile<br />
üblich. Die Innovationskraft <strong>der</strong> Biotechnologen würde<br />
bei einer vollständigen Integration in die Konzernstruktur<br />
ausgebremst. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite können<br />
die Partnerunternehmen bei den aufwendigen Genehmigungsverfahren<br />
für Neuentwicklungen und internationale<br />
Patente auf die Erfahrung und Marktmacht<br />
eines Global Player zurückgreifen, ohne den ihre Entwicklungen<br />
nie zur Marktreife gelängen.<br />
Zur Kooperation gibt es für die Unternehmen<br />
auch keine Alternative. Der Druck auf die Pipelines<br />
wächst. Allein das Forschungszentrum von Bristol-<br />
Myers Squibb musste für Forschung und Entwicklung<br />
im letzten Jahr rund 2,5 Milliarden Dollar ausgeben.<br />
Obwohl aktuell etwa 110 eigene Forschungsprogramme<br />
finanziert werden, kooperiert das Unternehmen<br />
sogar mit direkten Konkurrenten – was nicht nur die<br />
Aufgabe von Exklusivwissen bedeuten kann, son<strong>der</strong>n<br />
auch mit operativen Risiken verbunden ist.<br />
IMMER MEHR UNTERNEHMEN suchen Partner<br />
darüber hinaus bereits heute in China und Indien.<br />
Nicht zuletzt Indien gewinnt nach Ansicht von Deutsche<br />
Bank Research „in Zukunft in <strong>der</strong> primären<br />
Pharmaforschung sowie in <strong>der</strong> Medizintechnik an<br />
Bedeutung“. Die Vielzahl von qualifizierten Wissenschaftlern,<br />
niedrige Löhne sowie geringe F&E-Kosten<br />
für neue Medikamente sind hierfür die Basis; die Forschungskosten<br />
sind beson<strong>der</strong>s auch wegen <strong>der</strong> großen<br />
Verfügbarkeit von Probanden gering. Künftig<br />
könnte Indien ein wichtiger Standort für klinische Forschungen<br />
und bestimmte medizinische Operationen<br />
werden; nicht nur wegen <strong>der</strong> niedrigeren Kosten, son-<br />
31
DOSSIER #05 Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong><br />
nGENETIC RESEARCH CENTRE<br />
Um in <strong>der</strong> klinischen Pharmakologie<br />
zu kooperieren, gründeten das Max-<br />
Planck-Institut für Psychiatrie und<br />
GlaxoSmithKline das Genetic Research<br />
Centre. Das Unternehmen finanziert<br />
Investitionen, Personal und Miete, das<br />
Institut und an<strong>der</strong>e potenzielle Partner<br />
übernehmen die Chemikalienkosten.<br />
»Ohne unseren Forschungsansatz<br />
wären<br />
wir für Glaxo-<br />
SmithKline sicherlich<br />
nicht attraktiv genug<br />
gewesen, um den<br />
Konzern zum Forschen<br />
nach München<br />
zu locken.«<br />
FLORIAN HOLSBOER, LEITER DES<br />
MAX-PLANCK-INSTITUTS FÜR PSYCHIATRIE<br />
DIE GRÖSSTEN BLOCKBUSTER<br />
Umsätze 2004 in Milliarden Dollar<br />
Lipitor<br />
Zocor<br />
Plavix<br />
Nexium<br />
Zyprexa<br />
Norvasc<br />
Erypo<br />
Ogastro<br />
Effexor<br />
4,0<br />
3,8<br />
3,7<br />
5,0<br />
4,8<br />
4,8<br />
4,8<br />
Seretide/Advair 4,7<br />
5,9<br />
12,0<br />
alle Markenmedikamente zusammen: 53,5<br />
Kooperationen zwischen Wissenschaft<br />
und Industrie zielen oft auf konkrete<br />
Produkte. Ein Blockbuster, und eine<br />
Kooperation hätte sich gelohnt.<br />
Quelle: IMS MIDAS<br />
<strong>der</strong>n auch, weil Ärzte einen guten Ausbildungsstand<br />
haben und die – wenn auch wenigen – Topkrankenhäuser<br />
mit mo<strong>der</strong>nster Technologie ausgerüstet sind.<br />
Die Regierung will ferner den Biotechnologiesektor mit<br />
<strong>der</strong> Einrichtung spezieller Technologieparks för<strong>der</strong>n.<br />
Doch wer in Indien investiert, hat nicht nur den<br />
Export nach Nordamerika, Japan o<strong>der</strong> Europa im<br />
Visier: „Wegen <strong>der</strong> wachsenden Bevölkerungszahl und<br />
dank <strong>der</strong> steigenden <strong>Gesundheit</strong>sausgaben wird<br />
Indien – wie auch China – in den nächsten Jahren zu<br />
einem bedeutenden Absatzmarkt für Arzneimittel“, so<br />
die Deutsche Bank Research. Außerdem könnten die<br />
westlichen Konzerne damit einen wachsenden Konkurrenten<br />
auf dessen Heimatmarkt angreifen. Der<br />
Subkontinent hat sich nämlich in den letzten Jahren<br />
zu einem <strong>der</strong> weltweit wichtigsten Lieferanten von<br />
Generika entwickelt. Deren Anteil an indischen Pharmaexporten<br />
liegt bei über 80 Prozent. Und auch wenn<br />
Pfizer in einem Patentprozess gegen den indischen<br />
Generikahersteller Ranbaxy kürzlich die Oberhand<br />
behielt: Abnehmen dürfte <strong>der</strong> Druck durch günstige<br />
Nischenanbieter künftig nicht.<br />
Nicht zuletzt die Bedrohung durch Generika<br />
hat die Stimmung in <strong>der</strong> Pharmabranche jüngst verschlechtert.<br />
Die bisher vorherrschende Blockbuster-<br />
Strategie erscheint vielen Beobachtern mittlerweile<br />
riskant. Zwar ist <strong>der</strong> Pharmamarkt (550 Milliarden<br />
Dollar) auch 2004 wie<strong>der</strong> gewachsen. Die Zunahme<br />
um sieben Prozent war aber die geringste Wachstumsrate<br />
seit sechs Jahren. Die Industrie kämpft<br />
gegen langwierige Zulassungsverfahren und erhebliche<br />
Bürokratisierung. Prominentes Beispiel: Allein<br />
wegen anhängiger Gerichtsentscheide im Zusammenhang<br />
mit einer Diätpille musste das US-Unternehmen<br />
Wyeth Rückstellungen von 16 Milliarden Dollar<br />
bilden. Der Aktienkurs leidet bis heute; weitere<br />
Beteiligungen wurden wegen <strong>der</strong> Zeit raubenden Gerichtsverfahren<br />
über sieben Jahre erschwert. Ein Beispiel,<br />
das die Risiken <strong>der</strong> Konzentration auf wenige<br />
Blockbuster verdeutlicht.<br />
BRANCHENWEIT IST DER OUTPUT an neuen Medikamenten<br />
auf den niedrigsten Stand <strong>der</strong> letzten<br />
30 Jahre gesunken. Gegenüber den späten achtziger<br />
Jahren hat er sich halbiert. Gleichzeitig haben die<br />
Investitionen drastisch zugenommen – auf über<br />
50 Milliarden Dollar gegenüber knapp 22 Milliarden im<br />
Jahr 1990. Der Druck auf die Pharmaunternehmen<br />
nimmt auch durch zahlreiche ablaufende Patente zu.<br />
Allein in den USA sind davon in diesem Jahr Medikamente<br />
mit einem Gesamtvolumen von 500 Millionen<br />
Dollar bedroht. Der US-Pharmaindustrie drohen laut<br />
einer Prognose <strong>der</strong> APO-Bank dabei Umsatzeinbrüche<br />
in Höhe von 80 Prozent.<br />
Nach Schätzungen von Morgan Stanley und <strong>der</strong><br />
dänischen Investmentbank Jyske Bank betreffen<br />
auslaufende Patente bei Merck 25 Prozent des Umsatzes<br />
und bei Bristol-Myers Squibb 21 Prozent. Probleme<br />
dürften auslaufende Patente auch dem Branchenprimus<br />
Pfizer bereiten. Der US-Riese vertreibt allein<br />
zehn Blockbuster. In diesem und dem nächsten Jahr<br />
verzeichnet Pfizer bedeutende Patentabläufe.<br />
Das Unternehmen versucht daher, seine Abhängigkeit<br />
von wenigen Blockbustern zu reduzieren.<br />
227 Entwicklungsprojekte laufen momentan gleichzeitig.<br />
Im vergangenen Jahr musste das Unternehmen<br />
jedoch einen Gewinneinbruch hinnehmen.<br />
In einer besseren Position befinden sich einige<br />
europäische Konzerne, etwa Novartis. Die relativ<br />
junge Arzneimittelpalette <strong>der</strong> Schweizer sorgt dafür,<br />
dass die Patente in den nächsten Jahren gesichert<br />
sind. Firmenchef Daniel Vasella erwartet denn auch<br />
für das laufende Jahr „Rekordzahlen bei Umsatz und<br />
Gewinn“. Ein Grund für <strong>der</strong>lei Optimismus: Novartis<br />
hat, wie auch Sanofi-Aventis, offenbar einen Ausweg<br />
aus <strong>der</strong> Bedrohung durch Generika gefunden: eine<br />
eigene Generikasparte. Novartis kaufte den Hersteller<br />
Hexal, Sanofi-Aventis bündelt seine Generika-Aktivitäten<br />
unter <strong>der</strong> Marke Winthrop.<br />
DARÜBER HINAUS HILFT gegen schwindende<br />
Marktvorteile nur eines: neue Produkte auf Wachstumsmärkten.<br />
Ein solcher ist die Grippeimpfung. Die<br />
Nachfrage nach Impfmitteln hat sich seit 1994 verdoppelt.<br />
Gut aufgestellt sind auch hier europäische<br />
Anbieter, etwa Roche. Zusammen kontrollieren die<br />
Europäer 65 Prozent des Marktes für Impfmittel.<br />
Novartis haben die guten Marktaussichten veranlasst,<br />
den Hersteller Chiron, an dem das Unternehmen<br />
schon länger einen Anteil hatte, vollständig zu übernehmen.<br />
CEO Vasella will im Impfbereich ein neues<br />
Geschäftsfeld aufbauen – „eines mit Zukunft“.<br />
32
Private Geldgeber suchen nach Investitionschancen DOSSIER #05<br />
Heilsame Geldquellen<br />
DER BOOMENDE GESUNDHEITSSEKTOR ELEKTRISIERT PRIVATE-EQUITY-INVESTOREN. BIOTECH UND PHARMA REIZEN, PRIVATISIERTE<br />
KRANKENHAUSKETTEN EBENFALLS. GERADE IM KLINIKBEREICH HERRSCHT GOLDGRÄBERSTIMMUNG: DIE DESOLATE SITUATION DER<br />
STAATSKASSEN ZWINGT DIE ÖFFENTLICHEN HAUSHALTE, GROSSE TEILE IHRES GESUNDHEITSWESENS ZU PRIVATISIEREN.<br />
DER KAPITALDRUCK WÄCHST. Um die notwendigen<br />
Investitionen für Wachstum und Innovationen<br />
finanzieren zu können und um langfristig<br />
wettbewerbsfähig zu bleiben, greifen<br />
viele Unternehmen im <strong>Gesundheit</strong>sbereich<br />
zunehmend auf Private-Equity-Financiers zurück.<br />
In den USA, in Großbritannien und Frankreich<br />
haben private Investoren diesen Markt<br />
längst <strong>als</strong> sprudelnde Renditequelle entdeckt.<br />
Jetzt rücken die europäischen Nachbarlän<strong>der</strong><br />
ins Visier institutioneller Anleger.<br />
Ein Grund: Die Privatisierungswelle rollt –<br />
nicht zuletzt in Europa. Öffentliche Betreiber<br />
können <strong>Gesundheit</strong>seinrichtungen aus eigener<br />
Kraft oftm<strong>als</strong> nicht mehr finanzieren. Das eröffnet<br />
Chancen für Anleger.<br />
Außerdem können kleine und mittlere<br />
Unternehmen die steigende Nachfrage nutzen.<br />
Durch den daraus resultierenden steigenden<br />
Wettbewerb werden mittelfristig Umsatz und<br />
Ertrag in <strong>der</strong> <strong>Gesundheit</strong>sbranche weiter wachsen.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e Krankenhäuser, Alten- und<br />
Pflegeheime sowie die Pharmaindustrie und<br />
Medizintechnik bieten attraktive Renditechancen,<br />
da diese Branchen hohe Wertsteigerungsund<br />
Konsolidierungspotenziale besitzen. Sie<br />
stehen deshalb ganz oben auf den Einkaufslisten<br />
vieler internationaler Investoren.<br />
EINE STUDIE zum Thema „Investoren im<br />
<strong>Gesundheit</strong>smarkt“ kommt zu dem Ergebnis,<br />
dass wichtige Finanzinvestoren ein zunehmendes<br />
Interesse am internationalen Krankenhausmarkt<br />
bekunden. Klinikgruppen sind dabei<br />
für den Markteintritt besser geeignet <strong>als</strong> einzelne<br />
Krankenhäuser. Ein Beispiel: die britische<br />
General Healthcare Group, die durch BC Partners<br />
finanziert wird. BC Partners ist einer <strong>der</strong> führenden<br />
Investoren in Europa mit 50 Übernahmen<br />
im Gesamtwert von 23 Milliarden Euro und<br />
Büros in London, Mailand, Paris und Hamburg.<br />
Weitere Beteiligungen im <strong>Gesundheit</strong>ssektor<br />
sind die Hirslanden Gruppe, die Klinikkette<br />
Schweiz, die General Healthcare Group und die<br />
Klinikkette GB.<br />
Ein an<strong>der</strong>er Investmentriese ist Advent<br />
International. Bereits frühzeitig investierte das<br />
Unternehmen mit über 500 Beteiligungen in 14<br />
Län<strong>der</strong>n auch in den <strong>Gesundheit</strong>ssektor. Dazu<br />
zählen die Finanzspritzen für Associates Inc.,<br />
CurativeHealth Services und Clinical Partners.<br />
DER KRANKENHAUSBEREICH IST <strong>der</strong>zeit<br />
<strong>der</strong> größte Markt für Investitionen im <strong>Gesundheit</strong>swesen.<br />
Zahlreiche Kliniken wurden übernommen<br />
o<strong>der</strong> privatisiert. Ein Beispiel sind die<br />
Marseille-Kliniken, die gerade erneut ein Saleand-lease-back-Geschäft<br />
mit einem Finanzinvestor<br />
abgeschlossen haben. Das Unternehmen<br />
erhofft sich von dem neuen Deal vor allem<br />
die finanziellen Spielräume für weitere Expansion.<br />
Marseille-Kliniken will die Bettenzahl von<br />
aktuell knapp 8000 bis zum Jahr 2008 auf<br />
12 000 erhöhen.<br />
Das Interesse <strong>der</strong> Investoren beschränkt<br />
sich aber nicht auf Krankenhäuser. Auch <strong>der</strong><br />
Boom <strong>der</strong> Biotechnologie elektrisiert viele Investoren.<br />
Firmen wie Genentech o<strong>der</strong> Genzyme verzeichneten<br />
an den Börsen im vergangenen Jahr<br />
beachtliche Erfolge. Doch auch kleinere Biotechanbieter<br />
haben die Investoren im Auge. Citigroup-Analyst<br />
Yaron Werber glaubt, dass gerade<br />
diese gut aufgestellt sind, um von Fortschritten<br />
in ihrer Produktpipeline zu profitieren.<br />
Auf <strong>der</strong> Agenda haben die Investoren<br />
neben den Biotechfirmen selbst auch <strong>der</strong>en<br />
Zulieferer – die Life-Science-Tool-Anbieter wie<br />
Affymetrix. Das US-Unternehmen produziert<br />
Silikonchips mit genetischen Daten für Forschungslabors.<br />
Ein Ansatz, <strong>der</strong> Fondsmanager<br />
wie Brandi Allen vom Live Oak Health Sciences<br />
Fund überzeugt. Sie hat Affymetrix zum größten<br />
Einzelposten in ihrem Fonds gemacht.<br />
Auch auf dem Pharmamarkt erwarten<br />
Experten langsam wie<strong>der</strong> eine steigende Zahl<br />
von Investitionen. Börsengänge von Pharmaund<br />
Biotechnologieunternehmen finden, historisch<br />
betrachtet, immer in einem Zyklus von<br />
vier Jahren statt. Einem Hoch folgen demnach<br />
drei Jahre des Abschwungs – eine Phase, die<br />
zuletzt 2004 vorüber war. So hat sich im vergangenen<br />
Jahr ein Trend zu mehr, wenn auch<br />
kleineren Übernahmen o<strong>der</strong> Fusionen abgezeichnet.<br />
Auch Private-Equity-Investoren sind<br />
seit 2002 in die Branche eingestiegen – ein<br />
Trend, <strong>der</strong> sich nach Überzeugung vieler Marktbeobachter<br />
fortsetzen wird. Dam<strong>als</strong> wurden<br />
sogar zwei <strong>der</strong> Top-Ten-De<strong>als</strong> von Beteiligungsgesellschaften<br />
realisiert.<br />
Zunehmend attraktiv ist für Investoren<br />
schließlich <strong>der</strong> Handelssektor. So übernahm<br />
HgCapital, <strong>der</strong> führende, branchenfokussierte<br />
Private-Equity-Investor in Europa, eine 46-Prozent-Beteiligung<br />
an DocMorris, <strong>der</strong> holländischen<br />
Versandhausapotheke. Lindsay Dibden,<br />
Leiterin des Medizinbereichs von HgCapital,<br />
begründete die Investition damit, dass DocMorris<br />
eine Spitzenposition auf dem Markt und ausgezeichnete<br />
Wachstumschancen besäße. Das<br />
Unternehmen werde von einem herausragenden<br />
Managementteam geführt und sei gut positioniert,<br />
„um einen erheblichen Anteil am schnell<br />
wachsenden Versandhandel mit pharmazeutischen<br />
Produkten zu sichern“.<br />
33
Streitgespräch DOSSIER #05<br />
Wir verkaufen schließlich keine Schuhe<br />
KRANKENHÄUSER MÜSSEN MEHR FÜR SICH WERBEN, FORDERT DER CHEF DER TECHNIKER KRANKENKASSE, NORBERT KLUSEN. QUALITÄT<br />
IST UNSER WICHTIGSTES VERKAUFSARGUMENT, ENTGEGNET CHARITÉ-CHEF DETLEV GANTEN. EIN GESPRÄCH ÜBER INNOVATIONSNETZWERKE,<br />
INTERNEN WETTBEWERB UND DAS 68ER-DENKEN IN DER MEDIZIN.<br />
THINK:ACT Professor Klusen, viele technologische<br />
Innovationen wie das Antiblockiersystem<br />
ABS wurden privat finanziert. Was spricht dagegen,<br />
dass Patienten innovative Behandlungsmethoden<br />
privat bezahlen<br />
Norbert Klusen Diese Argumentation ist bigott:<br />
Die Reichen zahlen zuerst, und die an<strong>der</strong>en kommen<br />
dann vielleicht irgendwann einmal in den<br />
Genuss erstklassiger Medizin. Ich plädiere dafür,<br />
den Zugang zu <strong>Gesundheit</strong>sleistungen auch in<br />
Zukunft unabhängig von Alter, Einkommen o<strong>der</strong><br />
persönlichem Risiko sicherzustellen.<br />
Professor Ganten, müssten nicht gerade Sie <strong>als</strong><br />
Qualitätsanbieter ein Interesse daran haben,<br />
dass sich die Menschen <strong>Gesundheit</strong> auch privat<br />
etwas kosten lassen<br />
Detlev Ganten In die <strong>Gesundheit</strong> zu investieren<br />
ist die beste Geldanlage. Wir sehen uns nicht <strong>als</strong><br />
Unternehmen, das zum Ziel hat, die Zahl <strong>der</strong><br />
Patienten zu maximieren. Wir haben ein Interesse<br />
an einer gesunden Bevölkerung, die möglichst<br />
wenig in Krankenhäuser <strong>der</strong> Maximalversorgung<br />
überwiesen werden muss. Hochleistungsmedizin<br />
wie die Mehrfachtransplantationen von<br />
Organen werden immer die seltenen Krankheiten<br />
bleiben. Darum müssen Universitätskliniken<br />
auch in <strong>der</strong> Prävention aktiver werden.<br />
Aber wenn ein Medizintechnikanbieter ein Gerät<br />
entwickelt, hilft es zu wissen, dass Menschen<br />
die Behandlung damit privat bezahlen würden.<br />
Klusen Warum Wir <strong>als</strong> Kassen haben den<br />
Anspruch, alle sinnvollen Behandlungsmethoden<br />
zu bezahlen. Wir wollen sie bezahlen.<br />
Sie stehen aber unter dem politischen Druck,<br />
Beiträge zu senken.<br />
Klusen Ja, aber es fallen auch veraltete Behandlungsmethoden<br />
weg. Hier müssen wir noch<br />
konsequenter steuern. Insgesamt sehen wir<br />
momentan in Deutschland die Wachstums- und<br />
Innovationschancen erstklassiger Versorgung<br />
für die Wirtschaft zu wenig.<br />
Mehr Innovation versprechen sich viele Beobachter<br />
durch integrierte Netzwerke von Kliniken,<br />
Versicherern und <strong>der</strong> Industrie. Sie auch<br />
Ganten Die Charité ist in einer Reihe solcher Projekte<br />
aktiv; den wichtigsten Anteil an <strong>der</strong> Innovation<br />
hat die Forschung. Wir akquirieren jährlich<br />
über 100 Millionen Euro an Drittmitteln. Eine<br />
wirklich humane Wissensgesellschaft kann nur<br />
über ein integriertes System entstehen, an dem<br />
sich alle involvierten Akteure beteiligen: die<br />
Krankenversorger, die Grundlagenforschung,<br />
die Pharma- und IT-Industrie, die Kassen. Speziell<br />
Letztere sind längst noch nicht immer im<br />
gewünschten Ausmaß zur Kooperation bereit,<br />
auch deshalb, weil sie innovative Projekte<br />
bezahlen müssten.<br />
Klusen Die Teilnahme <strong>der</strong> Kassen an solchen<br />
integrierten Projekten steckt noch in den Anfängen.<br />
Es gibt aber erste Modellvorhaben, wir<br />
haben mit <strong>der</strong> Charité ein Projekt zur Behandlung<br />
von Herzpatienten mit beschichteten<br />
Stents, die sehr teuer sind. 30 Krankenhäuser<br />
sind daran beteiligt. Die Bereitschaft <strong>der</strong> Kassen<br />
zur Kooperation nimmt zu. Aber man muss den<br />
Patienten auch offen sagen, dass diese Art von<br />
Innovationsför<strong>der</strong>ung Geld kostet. Höhere Beitragssätze<br />
werden heute <strong>als</strong> nationale Katastrophe<br />
angesehen.<br />
Besteht bei solchen sehr engen Kooperationen<br />
zwischen Privatwirtschaft und öffentlichen Kliniken<br />
die Gefahr, dass die Forschung ihre Unabhängigkeit<br />
verliert<br />
Ganten Gar nicht. Es sollte zur Normalität gehören,<br />
dass eine öffentlich-rechtliche Institution<br />
mit Marktunternehmen kooperiert, denn wir<br />
leben in <strong>der</strong> Marktwirtschaft. Dieses Denken ist<br />
bei uns aber noch nicht ausreichend etabliert.<br />
Die Wissenschaft wird immer wie<strong>der</strong> verdächtigt,<br />
sie würde ihre Seele verkaufen. Diese verhängnisvolle<br />
Geisteshaltung kommt aus <strong>der</strong><br />
68er-Zeit. Übrigens kooperierten Unikliniken<br />
auch dam<strong>als</strong> mit <strong>der</strong> Wirtschaft, nur machten<br />
sie dies häufig nicht ausreichend öffentlich.<br />
Kooperationen können auch zur höheren Transparenz<br />
für die Patienten führen. Sind etwa gemeinsame<br />
Studien zum Vergleich verschiedener<br />
Therapieformen denkbar<br />
Klusen Das ist sinnvoll, wenn es gut gemacht<br />
wird. Die Charité etwa evaluiert für uns gerade<br />
Akupunkturtherapien. Im Ergebnis könnte die<br />
Akupunktur bald in den Leistungskatalogen <strong>der</strong><br />
Kassen auftauchen. Das hoffe ich sehr.<br />
Ganten Solche Studien sind auch ein Weg zu<br />
mehr Innovation in <strong>der</strong> Therapie. Die klinische<br />
Therapieforschung ist in Europa in keinem<br />
beson<strong>der</strong>s guten Zustand. In Deutschland etwa<br />
finanziert die Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />
(DFG) keine großen Therapiestudien, und<br />
das <strong>Gesundheit</strong>sministerium bezuschusst sie<br />
auch nur mit etwa zehn Millionen Euro pro Jahr –<br />
viel zu wenig. Also forscht im Wesentlichen die<br />
Pharmaindustrie. Die hat ihre ganz eigenen<br />
Interessen, etwa alte Medikamente so lange wie<br />
möglich auf dem Markt zu halten und wirtschaftlich<br />
zu nutzen.<br />
Klusen Mir wäre es lieb, wenn wir uns stärker<br />
<strong>als</strong> bisher an Forschungsprojekten beteiligen<br />
35
DOSSIER #05 Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong><br />
PROF. DR. MED. DETLEV<br />
GANTEN ist seit 2004 Vorstandsvorsitzen<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Charité-Universitätsmedizin<br />
Berlin, dem mit 15 000 Mitarbeitern,<br />
3500 Betten und einem Jahresumsatz<br />
von einer Milliarde Euro größten Universitätsklinikum<br />
in Europa. Ganten hat damit<br />
einen <strong>der</strong> wichtigsten, aber auch schwierigsten<br />
Posten <strong>der</strong> deutschen Hochschulmedizin:<br />
Es gilt, zwei Berliner Großkliniken<br />
(die Charité und das Westberliner Uniklinikum<br />
Benjamin Franklin) zu verschmelzen<br />
und gleichzeitig bis zum Jahr 2010<br />
dauerhaft 98 Millionen Euro einzusparen.<br />
Zuvor hatte er <strong>als</strong> Gründungsdirektor das<br />
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare<br />
Medizin (MDC) in Berlin-Buch aufgebaut.<br />
Ganten studierte in Würzburg, Montpellier<br />
und Tübingen Medizin und forschte<br />
anschließend mehrere Jahre in Montreal<br />
(Kanada).<br />
dürften. Wir sparen aber lieber auf deutsch-kleingeistige<br />
Art unser <strong>Gesundheit</strong>ssystem kaputt. Natürlich<br />
gibt es Fehler, Verschwendungen und auch noch viel<br />
Intransparenz. Aber das bekommt man nicht durch<br />
ständige <strong>Gesundheit</strong>sreförmchen in den Griff.<br />
Intransparenz herrscht auch in Bezug auf die Leistungen<br />
von Krankenhäusern.<br />
Klusen Das stimmt. Zwar bringen die Krankenhäuser<br />
regelmäßig Qualitätsberichte heraus, aber diese<br />
liest und versteht <strong>der</strong> Patient nicht. Wir haben daher<br />
die Berichte aller Krankenhäuser in einer Suchmaschine<br />
im Internet gesammelt. So machen wir Qualität<br />
für die Patienten transparent. Die Ärzte und<br />
Krankenhäuser selbst haben hier geschlafen – o<strong>der</strong><br />
bewusst keine Transparenz geschaffen, weil sie<br />
nichts über sich offenbaren wollen.<br />
Ganten Der Qualitätsbericht in seiner bisherigen<br />
Form schafft keine ausreichende Transparenz. Viele<br />
Institutionen gehen wie die Charité aber heute auch<br />
schon von sich aus weit darüber hinaus.<br />
Was halten Sie davon, Krankenhäuser zu zertifizieren<br />
und so ihre Leistungen transparent zu machen<br />
Ganten Das wird in Einzelfällen schon gemacht. Das<br />
Brustzentrum und an<strong>der</strong>e Institute <strong>der</strong> Charité sind<br />
zertifiziert. Aber es ist noch längst kein Standard.<br />
Das Problem ist, dass man nicht standardisierbare,<br />
individuelle medizinische Verfahren nur schwer einbeziehen<br />
kann. Ein Patient ist kein Auto.<br />
O<strong>der</strong> scheuen Krankenhäuser nur den Wettbewerb<br />
Ganten Langfristig ist das nicht möglich, aber<br />
in Einzelfällen mag das auch ein Grund für die<br />
Skepsis sein.<br />
Klusen Zertifizierungen sind sinnvoll, wenn sie<br />
Vergleichbares vergleichbar machen. Problematisch<br />
werden sie, wenn sie zur Bürokratie verkommen.<br />
Außerdem kann mit Zertifizierungen auch viel<br />
Schindlu<strong>der</strong> getrieben werden.<br />
Herr Ganten, warum zertifizieren Sie dann überhaupt<br />
Ganten Der Grundsatz <strong>der</strong> Zertifizierung ist ja sinnvoll.<br />
Vor allem ist das ein Mittel zum Management<br />
eines großen Klinikkomplexes wie <strong>der</strong> Charité. Wir<br />
nutzen das auch, um die Motivation <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />
zu erhöhen und den internen Wettbewerb voranzutreiben.<br />
Meist stehen gerade die besten Kliniken <strong>der</strong><br />
Zertifizierung sehr aufgeschlossen gegenüber.<br />
Klusen In <strong>der</strong> Tat – <strong>der</strong> Gedanke des Benchmarkings<br />
wird so geför<strong>der</strong>t. Ich würde mir mehr Offenheit auch<br />
unter den Krankenkassen wünschen, aber so weit<br />
ist dieses System lei<strong>der</strong> noch nicht.<br />
Mit dem Fallpauschalensystem haben viele Krankenhäuser<br />
das Marketing entdeckt. Sie auch<br />
Ganten Wir stellen uns dem Wettbewerb und halten<br />
daher das Fallpauschalensystem grundsätzlich für<br />
richtig, wenn auch noch nicht für hinreichend entwickelt.<br />
Aber: Vorsicht mit dem Begriff Marketing.<br />
Patienten sind nicht Kunden wie Käufer in einem<br />
Kaufhaus. Unser wichtigstes Marketinginstrument<br />
ist unsere Qualität: Wie schnell verlassen die Patienten<br />
das Krankenhaus, wie niedrig sind die Rückfallquoten,<br />
wie gering die Komplikationsraten Daran<br />
müssen wir arbeiten, nicht an Werbeauftritten.<br />
Klusen Das sehe ich an<strong>der</strong>s. Warum sollen Sie nicht<br />
für Ihre Leistungen werben Ihre Marktsituation ist<br />
doch einzigartig in Europa, die Charité ist eine starke<br />
Marke, ein echter Brand im Kliniksektor.<br />
Ganten Ja, die Charité ist eine Marke, wie die Harvard<br />
Medical School in den USA, aber dies genau deshalb,<br />
weil unsere Qualität Spitze ist.<br />
Klusen Das müssen Sie den Leuten aber auch sagen.<br />
Ganten Aber <strong>der</strong> Erfolg <strong>der</strong> Charité hängt nicht an<br />
Werbemaßnahmen, son<strong>der</strong>n an den Persönlichkeiten,<br />
die Sie hier sehen (weist auf Büsten hinter sich):<br />
Robert Koch, Paul Ehrlich, Rudolf Virchow, die wichtigen<br />
Forscher, die die Charité zu je<strong>der</strong> Zeit hatte, auch<br />
heute. Eine große Berliner Krankenhauseinrichtung<br />
wirbt gerade im Berliner Nahverkehr – <strong>als</strong> wenn es<br />
um den Verkauf von Schuhen ginge. Das machen wir,<br />
solange ich die Verantwortung trage, nicht.<br />
Klusen Müssen Sie auch nicht, ich warne aber vor<br />
grundsätzlicher Skepsis gegenüber Marketing. Man<br />
kann auch subtiler vorgehen. Das Problem ist momentan,<br />
dass Sie noch kaum werben dürfen. Übrigens<br />
ist Marketing weit mehr <strong>als</strong> Werbung.<br />
Sie for<strong>der</strong>n eine Liberalisierung <strong>der</strong> Werberegelungen<br />
für Kliniken<br />
Klusen Ich hielte das jedenfalls nicht für unethisch.<br />
36
Wie viel Marketing braucht die Charité DOSSIER #05<br />
Ganten Ich auch nicht, aber ich halte das auch nicht<br />
für wünschenswert, je<strong>der</strong> hat seinen Stil, die Charité<br />
ist kein Supermarkt.<br />
Wenn Sie nicht selbst für sich werben wollen, könnten<br />
das doch die Krankenkassen tun – im Zuge integrierter<br />
Versorgungsverträge, die diese bewerben.<br />
Die TKK würde dann spezielle Behandlungskonzepte<br />
anbieten, „powered by Charité“.<br />
Klusen Das ist eine gute Idee und absolut denkbar.<br />
Wir müssen unsere Leistungen ja auch bekannt<br />
machen, da brauchen wir Partner wie die Charité.<br />
Ganten Dazu sind wir gerne und je<strong>der</strong>zeit bereit. Wir<br />
tun dies ja im Rahmen <strong>der</strong> integrierten Versorgung<br />
bereits in ausgewählten Bereichen.<br />
„Powered by Charité“ könnte funktionieren, weil Sie<br />
Qualitätsanbieter sind. Aber Sie gelten auch <strong>als</strong> teuer.<br />
Ganten Powered by Excellence und Effizienz, ja.<br />
Das Gerücht, wir seien teuer, wird gerne gestreut, da<br />
möchte ich wi<strong>der</strong>sprechen, es stimmt nicht. Zu uns<br />
kommen vorwiegend schwer kranke Menschen mit<br />
Komplikationen. Die sind in den Standardsätzen <strong>der</strong><br />
Kassen nicht abgebildet. Darum haben zurzeit die<br />
Universitätskliniken Probleme. Ich behaupte sogar,<br />
dass wir letztlich preiswerter sind <strong>als</strong> an<strong>der</strong>e Kliniken,<br />
weil unsere Mitarbeiter, obwohl zu schlecht bezahlt,<br />
länger arbeiten. Mitarbeiter an Universitäten<br />
machen keinen Dienst nach Vorschrift.<br />
Klusen Sicher haben die Unikliniken höhere<br />
Preise – aber nicht immer zu Unrecht. Sie erbringen<br />
nun einmal herausragende Leistungen. Allerdings<br />
sind einige Kliniken noch schlecht organisiert. Aber<br />
daran wird gearbeitet – nicht zuletzt auch in <strong>der</strong><br />
Charité.<br />
Ganten Wir haben ja auch schon viel gemacht. Wenn<br />
Sie, wie bei uns geschehen, zwei große Betriebe<br />
zusammenführen, die langfristig gewachsen sind<br />
und lange subventioniert wurden, gibt es natürlich<br />
Wirtschaftlichkeitspotenzial. Wir haben es gehoben<br />
und werden es weiter heben und heben müssen.<br />
In Hessen werden gerade Unikliniken komplett privatisiert.<br />
Wirtschaften diese künftig effizienter <strong>als</strong> Sie<br />
Ganten Ich glaube nicht, dass die Privatisierung ein<br />
Königsweg zu mehr Effizienz und Excellence ist. Ich<br />
bin hier für den Wettbewerb <strong>der</strong> Systeme. Wenn die<br />
Forschungsqualität <strong>der</strong> Kliniken in Marburg und<br />
Gießen steigt, ist das gut. Aber ob sie das tut, bleibt<br />
abzuwarten.<br />
Klusen Wichtiger <strong>als</strong> die Privatisierung ist die Frage,<br />
wie innovativ die Anbieter sind. Entscheidend wird<br />
sein, wie die öffentlich-rechtlichen Unikliniken auf<br />
den Wettbewerb reagieren. Das Argument, die Privatisierung<br />
behin<strong>der</strong>e die Forschung, zieht jedenfalls<br />
nicht: Die besten amerikanischen Universitäten sind<br />
schließlich privat. Ich gehe davon aus, dass die<br />
Mehrheit <strong>der</strong> Kliniken und auch weitere Unikliniken<br />
künftig privat sein werden.<br />
Ganten Das glaube ich zumindest kurzfristig nicht,<br />
aus meiner Sicht setzen die Kliniken momentan vor<br />
allem auf die interne Umstrukturierung.<br />
Welche Umstrukturierungen stehen bei Ihnen an<br />
Ganten Wir stellen gerade unsere Managementstrukturen<br />
komplett um. Bisher werden unsere 128<br />
Institute und Kliniken von einem Vorstand geleitet.<br />
Künftig unterglie<strong>der</strong>n wir sie in 17 Charité-Centren;<br />
Kriterien sind Patientenversorgung, Standort sowie<br />
Synergien in Forschung und Lehre. Jedes Charité-<br />
Centrum erhält große unternehmerische Freiheiten,<br />
wie ein Profitcenter mit Zielvorgaben.<br />
In Sachen Effizienz gibt es auch bei den Krankenkassen<br />
noch Nachholbedarf. Mediziner kritisieren, <strong>der</strong><br />
Verwaltungsapparat <strong>der</strong> Kassen sei aufgebläht.<br />
Klusen Mich erstaunt, wie wenig Mediziner häufig<br />
über unsere Strukturen wissen. Wir haben 4,6 Prozent<br />
Verwaltungsausgaben. Der bundesweite Durchschnitt<br />
aller Kassen liegt bei mehr <strong>als</strong> fünf Prozent.<br />
Das US-<strong>Gesundheit</strong>ssystem hat weit höhere Verwaltungskosten.<br />
Deren System ist zwar stärker vom<br />
Wettbewerb geprägt, aber im Bereich <strong>der</strong> Verwaltung<br />
teurer. Trotzdem arbeiten wir kontinuierlich weiter an<br />
uns. Wir haben bisher schon 2500 Arbeitsplätze eingespart<br />
und wollen weiter an Effizienz gewinnen.<br />
Wie denn<br />
Klusen Vor allem stellen wir uns darauf ein, dass wir<br />
irgendwann mit an<strong>der</strong>en Kassen freier <strong>als</strong> bisher<br />
fusionieren können. Denn auch im Kassenbereich<br />
erwarten wir demnächst Zusammenschlüsse.<br />
PROF. DR. NORBERT KLUSEN<br />
(Jahrgang 1947) steht seit 1996 dem<br />
Vorstand <strong>der</strong> Techniker Krankenkasse<br />
vor. Von 1993 bis 1995 war er Mitglied <strong>der</strong><br />
Geschäftsführung einer <strong>der</strong> größten<br />
deutschen Krankenkassen. Vor seinem<br />
Wechsel zur TK war er Vorstandsmitglied<br />
und Arbeitsdirektor einer Aktiengesellschaft<br />
des Maschinen- und Fahrzeugbaus.<br />
Er ist verantwortlich für die Unternehmensbereiche<br />
Finanzen, Personal,<br />
Marketing, Controlling, Service sowie für<br />
die Stabsbereiche.<br />
37
DOSSIER #05 Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong><br />
Operationen per Roboter<br />
AUCH ÄRZTEN ZITTERN GELEGENTLICH DIE HÄNDE. DER NEUE ROBOTER DA VINCI ERMÖGLICHT KÜNFTIG PRÄZISERES OPERIEREN.<br />
DER CHIRURG BETÄTIGT NUR NOCH DIE MASCHINE. DAS KANN DIE CHANCEN ETWA VON LUNGENPATIENTEN DEUTLICH ERHÖHEN.<br />
DIE ENTFERNUNG einer Speiseröhre ist eine <strong>der</strong> risikoreichsten Operationen<br />
überhaupt. Ein kalifornisches Unternehmen hat jetzt eine Möglichkeit<br />
entwickelt, die Risiken zu reduzieren: den Operationsroboter<br />
Da Vinci. Bei einer Operation per Hand musste <strong>der</strong> Chirurg neben dem<br />
Bauchraum auch den Brustkorb öffnen. Dadurch kam es zu Belastungen<br />
<strong>der</strong> Lunge, da ein Lungenflügel während des Eingriffs nicht<br />
belüftet werden kann. Die Folge: Bis zu acht Prozent aller Patienten<br />
sterben an den Komplikationen des belastenden Eingriffs. Da Vinci<br />
minimiert dieses Risiko. Statt selbst große Schnitte zu machen, führt<br />
<strong>der</strong> Chirurg nun dessen Arme samt einer Kamera über ein endoskopisches,<br />
höchstens zehn Millimeter großes Loch in den Bauchraum<br />
ein. Er selbst steht nicht mehr am OP-Tisch, son<strong>der</strong>n sitzt an einer<br />
Steuerkonsole, wo ihm ein Sichtvisier einen dreidimensionalen Blick<br />
auf das Operationsfeld ermöglicht. Über Steuerinstrumente überträgt<br />
er seine Bewegungen auf die mit Instrumenten bestückten Maschinenarme.<br />
„Während bei <strong>der</strong> konventionellen endoskopischen Technik<br />
die Bewegungsfreiheit des Operateurs durch die starren Instrumente<br />
eingeschränkt ist, ermöglichen die Greifhände des Roboters eine<br />
völlig ungewohnte Beweglichkeit“, berichtet Carsten Gutt, Oberarzt<br />
an <strong>der</strong> Chirurgischen Universitätsklinik Heidelberg.<br />
DIE HÄNDE DES CHIRURGEN handhaben die Instrumente nicht nur mit<br />
<strong>der</strong> gleichen Flexibilität wie bei <strong>der</strong> offenen Chirurgie; die Übertragung<br />
<strong>der</strong> Bewegungen von <strong>der</strong> Konsole auf die Instrumente ist außerdem<br />
„zitterfrei“ und individuell einstellbar. Dreht etwa <strong>der</strong> Chirurg seine<br />
Hand um zehn Zentimeter, bewegen sich die Instrumente nur um<br />
einen Zentimeter. Dies ermöglicht ein präziseres Arbeiten.<br />
38
Neuartige Implantate geben über Wochen Medikamente ab DOSSIER #05<br />
Roboterkissen<br />
UMARMUNGEN ÜBER DAS TELEFON VERTEILT DIESE JAPANISCHE INNOVATION. ANDERS ALS<br />
DER TAMAGOTCHI GILT „THE HUG“ SOGAR ALS SOZIAL WERTVOLL.<br />
HÜBSCH IST ER NICHT. Dennoch könnte<br />
sich „The Hug“, zu deutsch: die Umarmung,<br />
bei seinen Nutzern bald großer<br />
Beliebtheit erfreuen – <strong>der</strong> kleine Roboter<br />
verteilt nämlich Streicheleinheiten. Will<br />
etwa ein Enkel seinen weit entfernt lebenden<br />
Großvater liebkosen, spricht er dessen<br />
Namen in das Kissen. Die gespeicherte<br />
Telefonnummer wählt Opas Robokissen<br />
an, es beginnt zu leuchten. Nimmt <strong>der</strong><br />
Großvater ab, können er und sein Enkel<br />
miteinan<strong>der</strong> telefonieren, während beide gleichzeitig<br />
den knuddeligen Stellvertreter des jeweils<br />
an<strong>der</strong>en herzen. Elektromotoren übersetzen die<br />
Gesten in Vibration, gleichzeitig erwärmen sich<br />
die mit Velours bezogenen Kuschler. Hintergrund<br />
<strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Carnegie Mellon University<br />
in Pittsburgh ist die zunehmende Vereinsamung<br />
älterer Menschen. „Unsere Forschungen haben<br />
ergeben, dass gerade ältere Menschen nichts<br />
nötiger haben <strong>als</strong> emotionale Unterstützung“,<br />
erläutert Jodi Forlizzi, Professorin für Design<br />
und Mensch-Computer-Interaktion an <strong>der</strong><br />
Carnegie Mellon University. Größte Streitfrage<br />
unter den Wissenschaftlern: Soll<br />
<strong>der</strong> kleine Roboter eine eigene Persönlichkeit<br />
haben<br />
Gefäßstütze mit Zusatzfunktion<br />
CYPHER-STENTS WERDEN IMPLANTIERT UND GEBEN ÜBER WOCHEN HINWEG<br />
MEDIKAMENTE AB. DAS VERHINDERT DIE GEFÄSSVERENGUNG.<br />
BEI HERZOPERATIONEN spielt <strong>der</strong> Einsatz<br />
von Stents eine zentrale Rolle. Acht von<br />
zehn Patienten erhalten eine dieser winzigen,<br />
röhrenförmigen „Gefäßstützen“.<br />
Sie sollen verhin<strong>der</strong>n, dass sich die zuvor<br />
gedehnten Gefäße wie<strong>der</strong> verengen. Eine<br />
Innovation gelang dem Hersteller Cordis<br />
mit den so genannten Cypher Sirolimuseluting<br />
Stents. Diese geben einen „Medikamentencocktail“<br />
ab, <strong>der</strong> die Wie<strong>der</strong>verengung<br />
<strong>der</strong> Gefäße durch Zellwucherungen<br />
verhin<strong>der</strong>t. Durch den Einsatz eines<br />
herkömmlichen Stent kann es zu einer<br />
Beschädigung <strong>der</strong> Arterienwand und in-<br />
folgedessen zu Entzündungen und zu Gewebewucherungen<br />
kommen. Der Cypher<br />
Sirolimus-eluting Stent hingegen gibt über<br />
mehrere Wochen ein Medikament ab, das<br />
diese Wucherungen unterdrückt. Gleichzeitig<br />
bildet sich um den Stent eine glatte<br />
Schutzschicht aus den Zellen <strong>der</strong> Gefäßinnenwand.<br />
Auf diese Weise sinkt die<br />
Gefahr von Blutgerinnseln. Klinische Studien<br />
belegen die Wirksamkeit des Cypher<br />
Sirolimus-eluting Stent. Einer Untersuchung<br />
zufolge haben sich bei keinem<br />
<strong>der</strong> beobachteten Patienten nach sechs<br />
Monaten die Gefäße wie<strong>der</strong> verengt.<br />
Avastin gegen<br />
Wucherungen<br />
EIN NEUARTIGES MEDIKAMENT<br />
HILFT IM KAMPF GEGEN DEN<br />
DARMKREBS.<br />
EIN WICHTIGER SCHRITT in <strong>der</strong> Darmkrebstherapie<br />
gelang dem Pharmahersteller<br />
Genentech: Krebspatienten,<br />
die zusätzlich zur Standardtherapie<br />
das Mittel Avastin<br />
nehmen, leben einer Studie zufolge<br />
fast fünf Monate länger.<br />
Hintergrund <strong>der</strong> Therapie: Der Antikörper<br />
Avastin bindet den Wachstumsfaktor<br />
VEGF (Vascular Endothelial<br />
Growth Factor), so dass<br />
dieser nicht an seine Rezeptoren<br />
andocken und sie aktivieren kann.<br />
Normalerweise entstehen durch<br />
die Aktivierung neue Gefäße. Da<br />
Avastin diesen Weg blockiert,<br />
schneidet es Tumoren von <strong>der</strong><br />
Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr<br />
ab. Die jetzt erreichte Hemmung<br />
<strong>der</strong> Gefäßneubildung „hat eine<br />
neue Ära in <strong>der</strong> Darmkrebstherapie<br />
eingeläutet“, so <strong>der</strong> Onkologe<br />
Martin Gramatzi.<br />
39
DOSSIER #05 Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong><br />
Mekka <strong>der</strong> Medizin<br />
WEIL DUBAIS ÖLVORKOMMEN ENDLICH SIND, BRAUCHT DAS EMIRAT ANDERE EINNAHMEQUELLEN. DER NEUE EMIR SETZT DABEI<br />
NICHT ZULETZT AUF HOCHKLASSIGE MEDIZIN. MOMENTAN BAUT ER EINE GANZE STADT IM DIENST DER GESUNDHEIT.<br />
s<br />
INMITTEN EINER riesigen Sandfläche stehen<br />
drei einzelne Gebäudekomplexe. Die farbenfrohen<br />
Bürohäuser wirken verloren in <strong>der</strong> flirrend heißen<br />
Luft Dubais – noch. Die zweistöckigen Bauten<br />
sind <strong>der</strong> Auftakt zu einem Projekt, das die Zukunft<br />
des Emirats Dubai entscheidend prägen soll und<br />
nebenbei das globale <strong>Gesundheit</strong>sbusiness verän<strong>der</strong>n<br />
könnte. In dem Gebäude nämlich residiert<br />
die Verwaltung <strong>der</strong> Dubai Health Care City (DHCC),<br />
eines Riesenvorhabens, mit dem Dubais neuer<br />
Emir Mohammed bin Rashid Al Maktoum sein<br />
Land zu einem Premiumanbieter im globalen<br />
<strong>Gesundheit</strong>stourismus machen möchte. Eine<br />
komplette Stadt für die <strong>Gesundheit</strong> plant er in<br />
unmittelbarer Nähe zum Flughafen Dubai, ein<br />
Medizinzentrum mit Universitätskrankenhaus,<br />
Spezialkliniken, Wellness-Einrichtungen, Rehaund<br />
Präventionszentren, Forschungsinstituten<br />
und Ausbildungsstätten. Bis zu 35 000 Menschen<br />
sollen hier nach <strong>der</strong> Fertigstellung des Komplexes<br />
im Jahr 2008 arbeiten.<br />
30 000 Patienten pro Jahr sind die Zielmarke.<br />
Sie sollen nicht nur aus Dubai selbst kommen.<br />
Als Kunden haben die Initiatoren die wohlhabenden<br />
Bewohner <strong>der</strong> gesamten erweiterten<br />
Region im Auge, „von Kasachstan bis Indien“, wie<br />
die Regierung verkündet.<br />
Rund 74 Milliarden US-Dollar beträgt das<br />
Volumen des <strong>Gesundheit</strong>smarktes allein im<br />
Nahen Osten, schätzten die Organisatoren <strong>der</strong><br />
<strong>Gesundheit</strong>smesse Arab Health. Viel Geld, das<br />
AUF WACHSTUMSBRANCHEN<br />
setzt Dubais neuer Emir Mohammed Al Maktoum.<br />
Die Dubai Health Care City soll Patienten aus aller<br />
Welt ins Wüstenemirat locken.<br />
40
Health Care City will Geld von Auslandskonten <strong>der</strong> Golfaraber anziehen DOSSIER #05<br />
ANDERE GESUNDHEITSSTÄDTE<br />
Im chinesischen Nanhui nahe Schanghai<br />
entsteht momentan für 36 Millionen Dollar<br />
<strong>der</strong> Shanghai International Medical Park.<br />
Nach Angaben des für den Bau verantwortlichen<br />
Siemens-Konzerns soll <strong>der</strong> Gebäudekomplex<br />
bis Anfang 2007 fertig gestellt sein.<br />
Nahe <strong>der</strong> Stadt Dschedda plant Saudi-Arabien<br />
eine <strong>Gesundheit</strong>sstadt. Der Komplex orientiert<br />
sich stark am Vorbild von Dubai Health<br />
Care City.<br />
Eine Health Care City an<strong>der</strong>er Art ist die US-<br />
Metropole Boston. Ohne staatliche Planungsvorgaben<br />
hat sich <strong>der</strong> Großraum Boston zum<br />
führenden <strong>Gesundheit</strong>scluster <strong>der</strong> USA entwickelt,<br />
mit einer Dichte an Unikliniken, die<br />
achtmal so hoch ist wie im Rest des Landes.<br />
jedoch bisher nicht in <strong>der</strong> Region bleibt. Der<br />
<strong>Gesundheit</strong>stourismus aus dem Nahen Osten<br />
boomt. Neben einigen Staaten <strong>der</strong> Europäischen<br />
Union waren bislang vor allem die USA Ziel <strong>der</strong><br />
spendablen <strong>Gesundheit</strong>ssucher. Doch Reisen in die<br />
Vereinigten Staaten sind für Menschen aus arabischen<br />
Län<strong>der</strong>n heute mit diversen Sicherheitschecks<br />
verbunden – und daher nicht mehr<br />
beson<strong>der</strong>s populär.<br />
Gut möglich <strong>als</strong>o, dass es einen Markt für<br />
eine einheimische Health Care City gibt. Um diesen<br />
auszuschöpfen, müsste es aber gelingen,<br />
Vertrauen bei den anspruchsvollen Zielkunden<br />
aufzubauen. „Patienten nehmen für gute Qualität<br />
Reisen auf sich“, glauben die Wirtschaftswissenschaftler<br />
Harry Telser und Patrick Eugster von <strong>der</strong><br />
Universität Zürich. Aber nur, wenn sie sicher sein<br />
können, von erstklassigen Fachleuten behandelt<br />
zu werden. Der Erfolg des Projekts hänge maßgeblich<br />
davon ab, „ob man ausländische Fachkräfte<br />
dazu bringt, auch längerfristig in <strong>der</strong> Region<br />
zu bleiben“. Denn nur dann stimme die Qualität.<br />
Und nur mit dauerhafter medizinischer<br />
Erstklassigkeit lässt sich ein Image <strong>als</strong> verlässlicher<br />
Qualitätsanbieter aufbauen. Auch daher<br />
setzt die <strong>Gesundheit</strong>sstadt auf renommierte<br />
ÄRZTE-RUN AUF DUBAI<br />
Die Health Care City wirbt massiv um Fachärzte<br />
aus an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n. Einen Markt sehen die<br />
Verantwortlichen nicht zuletzt in Europa: Viele<br />
europäische Mediziner zieht es wegen niedriger<br />
Gehälter zu Hause ins Ausland. Die auf die<br />
Vermittlung von Ärzten in die Golfstaaten spezialisierte<br />
Firma Universitas kooperiert seit<br />
langem mit dem Emirat. Inhaber <strong>Roland</strong> Herbert<br />
macht gute Stimmung: „Wenig Bürokratie<br />
und ein hohes Niveau bei <strong>der</strong> medizinischen<br />
Versorgung“ charakterisierten das Land.<br />
Kooperationspartner. Mit dem Qualitätsmanagement<br />
etwa hat man Harvard Medical International<br />
beauftragt, einen Ableger <strong>der</strong> Harvard University.<br />
Die Amerikaner werden außerdem Forschungseinrichtungen<br />
leiten und die Aus- und Weiterbildung<br />
des medizinischen Nachwuchses in<br />
die Hand nehmen.<br />
Für sie ist vor allem <strong>der</strong> Wissensaspekt in<br />
Health Care City attraktiv. Diese werde ein Zentrum<br />
bilden, „das medizinische Forschung und Ausbildung<br />
mit hochwertiger <strong>Gesundheit</strong>sversorgung<br />
kombiniert und so eine Community erstklassiger<br />
Healthcare-Profession<strong>als</strong> entstehen lässt“, erklärt<br />
Robert L. Thurer, Chef des Harvard Medical School<br />
Dubai Center. Um diesen Kern herum gruppiere<br />
sich dann eine ganze Reihe von <strong>Gesundheit</strong>s- und<br />
Wellness-Dienstleistungen, so Thurer.<br />
Gerade solche eher konsumgetriebenen<br />
Wohlfühlangebote sind für das Mammutprojekt<br />
wichtig und werden daher vom DHCC-Vorstandschef<br />
Saeed Al Muntafiq <strong>als</strong> gleichberechtigter<br />
„Cluster“ neben Wissenschaft und medizinischer<br />
Behandlung bezeichnet. Denn die gigantische<br />
Investitionssumme von 1,8 Milliarden US-Dollar<br />
impliziert entsprechend hohe Umsatzziele, die mit<br />
Medizin allein nur schwer verdient werden können.<br />
FÜR DAS EMIRAT DUBAI stellt die Stadt einen<br />
weiteren Schritt auf dem Weg zu mehr Unabhängigkeit<br />
von den demnächst versiegenden<br />
Ölquellen dar. Bisher setzte Mohammed vor allem<br />
auf Hightechbranchen wie IT, Medien o<strong>der</strong> Internet.<br />
Um möglichst viele Unternehmen in sein<br />
ungemütlich heißes Land zu locken, errichtete er<br />
komplette Freihandelszonen, vor allem Dubai<br />
Internet City und Dubai Media City sowie die Freezone<br />
Dschebel Ali neben dem größten künstlichen<br />
Hafen <strong>der</strong> Welt. In <strong>der</strong> Internet City haben<br />
sich IBM und Microsoft angesiedelt, mit eigenen<br />
Nie<strong>der</strong>lassungen für die Golfregion. Fast 4000 Firmen<br />
haben in Dschebel Ali Handelsstützpunkte<br />
errichtet. Kein Wun<strong>der</strong>: In den Freezones genießen<br />
Unternehmen und <strong>der</strong>en Angestellte komplette<br />
Steuerfreiheit. Während einer Laufzeit von<br />
50 Jahren werden auf Kapitaltransfers, Profit und<br />
Löhne, die ins Ausland überwiesen werden, keinerlei<br />
Auflagen erhoben. Eine verlockende Perspektive<br />
offenbar auch für Hun<strong>der</strong>te internationaler<br />
und regionaler Investoren, die ihr Geld<br />
bereits in <strong>der</strong> Health Care City angelegt haben.<br />
Doch das Projekt will – und braucht – noch<br />
mehr. Entsprechend aktiv werben die Verantwortlichen<br />
um weitere Geldgeber. Die Rede ist von<br />
fünf Milliarden Dollar. Saeed Al-Muntafiq gibt sich<br />
optimistisch: „Unsere Untersuchungen haben ergeben,<br />
dass sich die privaten Investitionen im<br />
<strong>Gesundheit</strong>sbereich in <strong>der</strong> Golfregion in den nächsten<br />
zehn Jahren verdoppeln.“ Er dürfte nicht<br />
zuletzt die 300 Milliarden Dollar im Auge haben,<br />
die Golfaraber bisher in den USA geparkt hatten.<br />
DIE STEUERFREIHEIT mag Investoren anziehen,<br />
den direkten Nutzen für den Staat<br />
begrenzt sie jedoch. Auch nach Fertigstellung <strong>der</strong><br />
City dürfte sich <strong>der</strong> Emir keine üppigen Steuergeschenke<br />
genehmigen können, ohne die Geldgeber<br />
zu verschrecken – gerade im <strong>Gesundheit</strong>sbereich<br />
macht die städteplanerische Infrastruktur nur<br />
einen kleinen Teil <strong>der</strong> Gesamtinvestitionen aus.<br />
Und medizintechnische Anlagen müssen oft<br />
erneuert werden.<br />
Trotz ausfallen<strong>der</strong> Steuereinnahmen aber<br />
profitiert, wenn das Konzept aufgeht, indirekt<br />
auch <strong>der</strong> Staat von <strong>der</strong> Health Care City. Denn<br />
je mehr Emiratsbewohner sich im eigenen Land<br />
behandeln lassen, desto weniger staatliche<br />
<strong>Gesundheit</strong>szahlungen fließen ins Ausland. Eine<br />
Milliarde Dollar geht so bisher jährlich verloren.<br />
Bald vielleicht nicht mehr. Der Aufbau <strong>der</strong><br />
Health Care City schreitet zügig voran. Die Fertigstellung<br />
des Projekts ist für 2008 geplant. Einen<br />
Unsicherheitsfaktor auf dem Weg zur Eröffnung<br />
bildet jedoch die politische Lage in <strong>der</strong> Region. Ein<br />
Konflikt am Golf könnte Investoren schnell dazu<br />
bringen, ihr Geld aus <strong>der</strong> gesamten Gegend abzuziehen,<br />
und die Wissenschaftler und Ärzte vergraulen.<br />
Das Emirat Dubai selbst ist zwar politisch<br />
stabil, doch die Krisenherde in <strong>der</strong> Nachbarschaft<br />
lo<strong>der</strong>n. Niemand wüsste das besser <strong>als</strong> Emir<br />
Mohammed. Der konnte schon außenpolitische<br />
Erfahrung sammeln – <strong>als</strong> Verteidigungsminister<br />
<strong>der</strong> Vereinigten Arabischen Emirate.<br />
41
DOSSIER #05 Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong><br />
42
Pharmafirmen müssen zu vernetzten Organisationen werden DOSSIER #05<br />
Der große Partnertausch<br />
DER EINZELGÄNGER HAT AUSGEDIENT. GERADE IM PHARMASEKTOR MÜSSEN UNTERNEHMEN KOOPERIE-<br />
REN KÖNNEN, UM ERFOLG ZU HABEN, MEINEN STUART CRAINER UND DES DEARLOVE. SELBST ÜBERNAH-<br />
MEN BEGINNEN MIT DER KOOPERATION. WETTBEWERB WIRD ZUM TANZ MIT WECHSELNDEN PARTNERN.<br />
ZU BEOBACHTEN ist heute eine Flut von Joint<br />
Ventures zwischen Pharmagiganten wie Pfizer, Merck<br />
o<strong>der</strong> GlaxoSmithKline und einer neuen Generation<br />
kleiner Biotechfirmen. Die Pharmariesen werten ihre<br />
eigenen Pipelines auf, indem sie mit externen Spezias<br />
TON, STIL UND ART von Mergers and Acquisitions<br />
(M&As) haben sich geän<strong>der</strong>t – im Allgemeinen, doch<br />
beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Pharma- und <strong>Gesundheit</strong>sbranche.<br />
Denken Sie zehn Jahre zurück: M&As waren en vogue.<br />
Krieg lag in <strong>der</strong> Luft. Feindselige und nach medialer<br />
Aufmerksamkeit heischende Übernahmen waren in<br />
<strong>der</strong> Pharmaindustrie und darüber hinaus ganz normal.<br />
Zusammenschlüsse und Querschüsse. Fressen o<strong>der</strong><br />
gefressen werden.<br />
Inzwischen sind Unternehmen vorsichtiger,<br />
wenn es um vollständige Fusionen geht. Die M&As<br />
in den Bereichen Pharma und <strong>Gesundheit</strong> beliefen<br />
sich 2004 auf 112 Milliarden US-Dollar, ein Zuwachs<br />
um 53 Prozent gegenüber dem Vorjahr, aber weit<br />
weniger <strong>als</strong> im Rekordjahr 2000. Der Rausch ist vorbei.<br />
Die Vorstellung, eine Fusion sei immer <strong>der</strong> einfache<br />
Weg zu Kostenersparnissen o<strong>der</strong> neuen Märkten,<br />
ist in Verruf geraten.<br />
Ein Grund für die Skepsis: Trotz <strong>der</strong> vielen Übernahmen<br />
ging die Produktivität <strong>der</strong> Pharma-Pipelines<br />
zurück. Der Output ist heute niedriger <strong>als</strong> je zuvor in<br />
den letzten 30 Jahren, nur halb so hoch wie Ende <strong>der</strong><br />
achtziger Jahre. Gleichzeitig haben die Forschungsinvestitionen<br />
stark zugenommen (heute 50 Milliarden<br />
Dollar pro Jahr, 1990 22 Milliarden).<br />
Strategieguru Gary Hamel ist einer <strong>der</strong> unverblümtesten<br />
Kritiker groß angelegter M&As. „Meine<br />
Untersuchungen in über 20 Branchen legen nahe,<br />
dass es kaum einen Zusammenhang zwischen Größe<br />
und Ertragskraft gibt“, beobachtet er. „Selbst wenn<br />
ein Zusammenschluss die Aktionäre von den ansonsten<br />
glanzlosen Leistungen eines Unternehmens ablenken<br />
mag, wird das Unternehmen nicht dynamischer,<br />
innovativer o<strong>der</strong> kundenorientierter. Auf den<br />
Punkt gebracht: Wer Dinosaurier züchtet, <strong>der</strong> bekommt<br />
keine Gazelle.“<br />
Beson<strong>der</strong>s Pharmaunternehmen haben verstanden,<br />
dass Größe zwar zu Synergien führen mag,<br />
aber nicht mehr immer jenes Unternehmertum und<br />
jene Kreativität erzeugt, die medizinische Innovationen<br />
ermöglichen. Anstatt komplette Wertketten von<br />
Wettbewerbern und potenziellen Zulieferern zu übernehmen,<br />
sucht man nach Alternativen, um die eigenen<br />
Fähigkeiten mit externen Stakehol<strong>der</strong>n zu erweitern.<br />
In <strong>der</strong> Vergangenheit hatten Partnerschaften und<br />
Outsourcing sich oft auf wenige Elemente <strong>der</strong> Wertkette<br />
konzentriert (etwa Komarketing o<strong>der</strong> gemeinschaftliche<br />
Produktion). Heute haben Pharmaunternehmen<br />
gelernt, Partnerschaften auf die im Pharmabereich<br />
wichtigste Funktion auszudehnen: Forschung<br />
und Entwicklung. Das lohnt sich. Im Jahr 2010 werden<br />
die großen Pharmaunternehmen die Hälfte ihrer<br />
Umsätze mit Lizenzprodukten erwirtschaften.<br />
KOOPERATIONEN WERDEN für sie immer entscheiden<strong>der</strong>.<br />
Sie testen verschiedene Arten, nicht<br />
mehr alles allein zu machen. „Die <strong>der</strong>zeitige Jagd nach<br />
Innovationen in <strong>der</strong> Pharmaindustrie macht die Fähigkeit<br />
zur Vernetzung mit externen Partnern wie Biotechfirmen<br />
zu einem Schlüsselfaktor für den Markterfolg“,<br />
meint Stephan Danner, Pharmapartner bei<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong>. „Da über 50 Prozent <strong>der</strong> neuen Blockbuster<br />
des letzten Jahres aus kleinen Biotechunternehmen<br />
stammen, müssen sich die Pharmariesen zu<br />
vernetzten Organisationen entwickeln.“ Für den Führungsstil<br />
bedeutet dies eine erhebliche Herausfor<strong>der</strong>ung:<br />
„Sie müssen zum Umgang mit mehreren (oft<br />
gegensätzlichen) Unternehmenskulturen fähig sein,<br />
eine gemeinsame Vertrauensbasis herstellen und das<br />
,Nicht-hier-erfunden-Syndrom‘ vermeiden.“<br />
43
DOSSIER #05 Wachstumsmarkt <strong>Gesundheit</strong><br />
Die Managementautoren<br />
STUART CRAINER und<br />
DES DEARLOVE sind<br />
Chefredakteure des Financial<br />
Times Handbook of Management<br />
und Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> London<br />
Business Press. Sie sind<br />
Autoren <strong>der</strong> Bücher „Gravy<br />
Training: Inside the Business<br />
of Business Schools“, „Generation<br />
Entrepreneur“ und<br />
zuletzt „The Business World<br />
Atlas“. Crainer ist außerdem<br />
Chefredakteur <strong>der</strong> Business<br />
Strategy Review <strong>der</strong> London<br />
Business School.<br />
listen zusammenarbeiten. Die meisten Unternehmen<br />
managen diese Kooperationen wie eine virtuelle<br />
Verlängerung ihrer eigenen Lernfähigkeit und teilen<br />
sich Risiken und potenzielle Vorteile. Novartis allein<br />
hat 49 Partnerschaften mit Biotechunternehmen und<br />
112 mit wissenschaftlichen Einrichtungen. Auch Pfizer<br />
kooperiert mit einer Reihe von Biotechfirmen:<br />
Abgenix, Medarex, MorphoSys. Pharma und Biotech –<br />
ein Tanz mit wechselnden Partnern.<br />
1998, NACH ZEHN JAHREN ARBEIT eines Teams<br />
von über 1000 Wissenschaftlern, brachte Pfizer das<br />
Impotenzmedikament Viagra auf den Markt. Die an<strong>der</strong>en<br />
großen Hersteller kämpften daraufhin mühsam<br />
um ein Stück von dem Kuchen des Medikamentenmarktes<br />
im Bereich erektile Dysfunktion, <strong>der</strong> sich bis<br />
2007 auf bis zu sechs Milliarden US-Dollar belaufen<br />
wird. Da sie nicht zehn Jahre Zeit für innerbetriebliche<br />
Forschung und Entwicklung hatten, wurden eilig gemeinschaftliche<br />
Unternehmungen ins Leben gerufen.<br />
Das Ergebnis: zwei neue Herausfor<strong>der</strong>er auf dem<br />
Markt innerhalb von sechs Jahren.<br />
Cialis wird von Lilly ICOS produziert, einem Joint<br />
Venture, das zu gleichen Teilen <strong>der</strong> 1876 gegründeten<br />
Pharmafirma Eli Lilly und <strong>der</strong> jungen Biotechfirma<br />
ICOS gehört. Beide arbeiten bei <strong>der</strong> Entwicklung und<br />
Vermarktung ihres neuen Impotenzmittels zusammen.<br />
Auf die Krone von Viagra erhebt außerdem Levitra<br />
Anspruch, eine Partnerschaft von Bayer und GlaxoSmithKline.<br />
Zwei Beispiele, die zeigen: Oftm<strong>als</strong> ist<br />
die Kooperation ein sinnvoller Weg, um den größten<br />
Firmen einer Branche ihre Wettbewerbsvorteile streitig<br />
zu machen.<br />
DIE SPIELREGELN <strong>der</strong> Zusammenarbeit än<strong>der</strong>n<br />
sich dabei schnell – gerade im Bereich Pharma/Biotechnologie.<br />
Immer mehr Biotechfirmen verlangen<br />
beispielsweise heute das Recht zur Mitentwicklung<br />
und Mitvermarktung. Das können sie, denn ihre strategische<br />
Bedeutung für die etablierten Anbieter wird<br />
immer größer. Der Großteil <strong>der</strong> Biotechprodukte aus<br />
Pharmaunternehmen stammt bereits von Dritten.<br />
Durchaus erfin<strong>der</strong>isch zeigen sich die Unternehmen<br />
bei <strong>der</strong> Gestaltung ihrer Kooperationen. Der<br />
Schweizer Pharmakonzern Roche etwa nutzt ein innovatives<br />
Kooperationsmodell mit Genentech; das<br />
Unternehmen wurde inzwischen zu Roches Innovationszentrum.<br />
Es wurde 1990 teilweise von Roche<br />
übernommen, aber nicht in die Firmenstruktur integriert.<br />
Es blieb unabhängig. Heute ist Genentech für<br />
die meisten Roche-Blockbuster verantwortlich (auch<br />
das Krebsmedikament Avastin). Der Wert <strong>der</strong> Roche-<br />
Anteile an Genentech wuchs von 2,1 Milliarden Dollar<br />
im Jahr 1990 bis heute auf 30 Milliarden Dollar.<br />
DAS BEISPIEL ZEIGT, dass die Unternehmen sich<br />
nicht vollständig von dem Gedanken <strong>der</strong> Fusion verabschieden.<br />
Zusammenarbeit scheint vielmehr zunehmend<br />
<strong>als</strong> Modus Operandi hinter den Pharma-<br />
M&As benutzt zu werden. „M&A ist ein mehrstufiger<br />
Prozess und kein bloßer Vertrag“, sagt Sudi Sudarsanam,<br />
Autor von „Creating Value from Mergers and Acquisitions:<br />
The Challenges“ und Mitglied <strong>der</strong> britischen<br />
Wettbewerbskommission. „Das Risiko, bei <strong>der</strong> Wertschöpfung<br />
zu scheitern, steigt mit je<strong>der</strong> Stufe. Die<br />
strategische Logik einer solchen Vereinbarung ist<br />
wichtig, aber die Fähigkeit zum Risikomanagement<br />
beim Vertragsabschluss und bei <strong>der</strong> Einglie<strong>der</strong>ung<br />
nach <strong>der</strong> Fusion ist es nicht min<strong>der</strong>.“ Eine gemeinsame<br />
Vergangenheit in Form verschiedener gemeinschaftlicher<br />
Projekte kann daher zum Schlüssel für<br />
das Verständnis <strong>der</strong> Firmenkultur des an<strong>der</strong>en werden.<br />
Und „die Fähigkeit, mit organisatorischer und kultureller<br />
Vielfalt umzugehen und einan<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprechende<br />
Erwartungen in Einklang zu bringen, ist für<br />
den Erfolg entscheidend“.<br />
M&As sind <strong>als</strong>o auch weiter oft ein unentbehrlicher<br />
Bestandteil <strong>der</strong> Unternehmensstrategie – nicht<br />
zuletzt in <strong>der</strong> Pharmaindustrie. Der Punkt ist: Wenn<br />
M&As funktionieren sollen, egal in welcher Branche,<br />
sind eher Zusammenarbeit und Partnerschaft <strong>als</strong><br />
Kolonialisierung und Ausbeutung vonnöten. Lynda<br />
Gratton vom britischen Advanced Institute of Management<br />
Research und Professorin an <strong>der</strong> London Business<br />
School: „Wir haben Hun<strong>der</strong>te von Jahren mit <strong>der</strong><br />
Perfektionierung von Sprache, Praktiken und Verfahren<br />
des Wettbewerbs verbracht. Nun müssen wir<br />
Sprache, Praktiken und Verfahren <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
entwickeln. Und es stellt sich heraus, dass die<br />
Zusammenarbeit durchaus nicht einfacher ist <strong>als</strong> <strong>der</strong><br />
Wettbewerb. Im Gegenteil: Es ist ganz schön schwer,<br />
eine Kooperation richtig hinzukriegen.“<br />
44
Reportage DOSSIER #05<br />
Ein Think-Tank gegen MS<br />
DAS SYLVIA LAWRY CENTRE FOR MULTIPLE SCLEROSIS RESEARCH HAT VORBILDFUNKTION IM<br />
KAMPF GEGEN GLOBALE KRANKHEITEN. PHARMAFIRMEN UND WISSENSCHAFTLER AUS ALLER<br />
WELT ARBEITEN HIER ZUSAMMEN. SEINE STÄRKE: NICHT VON EINER FIRMA ABHÄNGIG ZU SEIN.<br />
s<br />
DAS SYLVIA LAWRY CENTRE for Multiple<br />
Sclerosis Research (SLCMSR) ist benannt<br />
nach <strong>der</strong> US-Amerikanerin Sylvia<br />
Lawry. Nachdem ihr Bru<strong>der</strong> an MS<br />
erkrankt war, gründete sie 1947 die<br />
erste nationale MS-Gesellschaft <strong>der</strong><br />
Welt, die NMSS (National MS Society,<br />
USA). Sie widmete ihr ganzes Leben<br />
<strong>der</strong> Erforschung und Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Therapieoptionen für MS-Kranke.<br />
Mit Unterstützung von allen großen<br />
MS-Gesellschaften <strong>der</strong> Welt wurde<br />
2001 das SLCMSR in München gegründet<br />
und mit einer Anschubfinanzierung<br />
von fünf Millionen Euro ausgestattet.<br />
Das Centre beschäftigt ein<br />
Team aus zwölf Wissenschaftlern,<br />
überwiegend Mathematiker, Informatiker,<br />
Physiker und Statistiker, die eng<br />
mit einem internationalen wissenschaftlichen<br />
Beirat, universitären<br />
Partnern und hochkarätigen Neurologen<br />
zusammenarbeiten.<br />
DIE MEDIZINSTARS SIND in <strong>der</strong> Economyclass<br />
nach München geflogen. Die Topneurologen<br />
<strong>der</strong> Welt diskutieren an diesem Winterwochenende<br />
in einem schmucklosen Bürogebäude neue<br />
Methoden zur Behandlung von Multipler Sklerose.<br />
Jerry Wolinski stammt aus Houston, Paul<br />
O’Connor aus Toronto, Ludwig Kappos aus Basel,<br />
Chris Polman ist per Konferenzschaltung aus<br />
Amsterdam dabei. Honorar haben die Spitzenmediziner<br />
nicht zu erwarten. Dennoch ließ sich<br />
keiner von ihnen zweimal bitten. Grund: Mit<br />
Schering legt extra für dieses Projekt ein Unternehmen<br />
detaillierte Studienergebnisse zu den<br />
Effekten von MS-Behandlungen mit lizenzierter<br />
Medizin offen – eine Seltenheit. Die Diskussion<br />
ist hitzig, die Daten elektrisieren die Wissenschaftler.<br />
„Daraus ergeben sich wichtige neue<br />
Forschungsfragen“, so Jerry Wolinski von <strong>der</strong><br />
Universität Texas.<br />
Zusammengebracht hat die Medizinelite<br />
das Sylvia Lawry Centre for Multiple Sclerosis<br />
Research (SLCMSR). Workshops wie dieser sind<br />
typisch für das Programm des Zentrums. Es bündelt<br />
global alle Informationen zur Bekämpfung<br />
<strong>der</strong> MS und pflegt die größte MS-Datenbank <strong>der</strong><br />
Welt. Dies zieht Big Pharma an. Neben Schering<br />
engagieren sich beispielsweise Biogen, Teva, Serono,<br />
Novartis, Wyeth o<strong>der</strong> Roche. Keiner von<br />
ihnen finanziert das Zentrum o<strong>der</strong> einzelne Projekte<br />
komplett – wissenschaftliche Unabhängigkeit<br />
ist alles für das SLCMSR. Daher <strong>der</strong> bescheidene<br />
Rahmen des Meetings: Schering darf nur<br />
einen Teil bezahlen, das Zentrum muss sparen.<br />
Der Bedeutung des SLCMSR tut dies keinen<br />
Abbruch. Diese wächst mit jedem neuen<br />
Datensatz. Pharmafirmen wie Forschergruppen<br />
stellen ihre Fakten und Studienergebnisse zur<br />
Verfügung. 45 Datensätze mit den Krankheitsverläufen<br />
von über 20 000 Patienten mit insgesamt<br />
81000 „Patientenjahren“ wurden bereits<br />
anonymisiert in die Datenbank eingespeist.<br />
Zwölf Wissenschaftler analysieren im Zentrum<br />
Tag für Tag Krankheitsverläufe, ermitteln<br />
Korrelationen – und generieren so Daten für die<br />
Entwicklung neuer Therapien. Die Firmen sparen<br />
damit bei ihren klinischen Studien Geld. Doch<br />
die Informationen fließen auch in Richtlinien <strong>der</strong><br />
europäischen Zulassungsbehörde EMEA für neue<br />
klinische Studien ein. „Wir sind Patientenvertreter,<br />
um die Sicherheit und Effektivität neuer Medikamente<br />
zu gewährleisten“, sagt Martin Daumer,<br />
wissenschaftlicher Direktor am SLCMSR.<br />
Gegründet hat die Forschungseinrichtung<br />
die internationale Dachorganisation Multiple Sclerosis<br />
International Fe<strong>der</strong>ation mit Unterstützung<br />
nationaler MS-Gesellschaften. Die Zahl weltweit<br />
registrierter MS-Kranker (über 2,5 Millionen), <strong>der</strong><br />
schwer vorhersehbare Verlauf <strong>der</strong> Erkrankung<br />
und Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Erforschung effektiver<br />
Therapien machten die zentrale Einrichtung<br />
notwendig. Die Patienten profitieren auch direkt<br />
von dem Zentrum – indem sie effizienter behandelt<br />
werden. Neurologen erhalten passwortgeschützt<br />
Zugriff auf einen speziellen Teil <strong>der</strong><br />
Datenbank. So können sie den wahrscheinlichen<br />
Krankheitsverlauf eines Patienten mit o<strong>der</strong> ohne<br />
Therapie besser vorhersagen.<br />
Je mehr Einrichtungen sich beteiligen,<br />
desto breiter die Datenbasis und desto besser<br />
<strong>der</strong> Wissensaustausch. Das weiß auch <strong>der</strong> Arbeitskreis<br />
an diesem Wintertag. Die Neurologen<br />
hätten gern noch mehr Firmeninput. „Wir hoffen,<br />
dass die Entscheidung von Schering auch an<strong>der</strong>e<br />
Firmen dazu bewegen wird, die Daten ihrer klinischen<br />
Studien offen zu legen“, so Ludwig Kappos,<br />
Professor an <strong>der</strong> Basler Universitätsklinik.<br />
MULTIPLE SKLEROSE ist eine entzündliche Erkrankung des Nervensystems. Der Kampf gegen<br />
MS ist schwer, weil diese wenig Angriffspunkte bietet: MS ist nicht ansteckend, die erbliche Komponente<br />
ist schwach, <strong>der</strong> Verlauf folgt keinem festen Muster. Bisher gibt es keine Möglichkeit, den Ausbruch<br />
<strong>der</strong> Krankheit zu verhin<strong>der</strong>n, sie zu heilen o<strong>der</strong> auch nur ihr Fortschreiten wirksam aufzuhalten.<br />
45
humankapital ist europas stärke<br />
industry-report f<br />
Kopfsache<br />
„Wir müssen die Bürokratie reduzieren, die Verwaltungsprozesse<br />
beschleunigen und die Transparenz <strong>der</strong> EU-<br />
Verwaltung erhöhen.“<br />
Wulf Bernotat, CEO, E.ON<br />
Europas Zukunft hängt an Investitionen in das Humankapital. Nur mit Spitzenforschung und<br />
konsequenter Innovationsför<strong>der</strong>ung hat <strong>der</strong> Kontinent im globalen Wettbewerb eine Zukunft,<br />
so eine Umfrage unter Spitzenmanagern.<br />
:<br />
Es ist kein Zufall, dass mit Viviane<br />
1.<br />
Reding und Günter Verheugen zwei<br />
<strong>Treiber</strong> <strong>der</strong> Wissensgesellschaft<br />
EU-Kommissare das Abschlussevent des<br />
Für welche Unternehmensfunktionen wird Europa wichtig bleiben o<strong>der</strong> wichtiger werden (Angaben in %)<br />
<strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Wettbewerbs „Best of European<br />
Business“ in Brüssel eröffneten. Denn<br />
die europäischen Unternehmen entpuppen<br />
sich <strong>als</strong> starke Unterstützer <strong>der</strong> Europäischen<br />
Kommission und vor allem ihrer Liberalisierungspolitik.<br />
Training/Ausbildung (Managementlevel)<br />
Finanzierungs-/Kapitallieferant<br />
Produkt-/Serviceinnovation<br />
Prozessinnovation<br />
98 %<br />
95 %<br />
95 %<br />
93 %<br />
Das ist ein Ergebnis <strong>der</strong><br />
Outsourcing von Finanzfunktionen 93 %<br />
Umfrage „European Competitiveness“, die<br />
Strategisches Marketing (Branding) 90 %<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> aus Anlass des Wettbewerbs<br />
gemeinsam mit <strong>der</strong> Financial Times, dem<br />
Lisbon Council und dem Forschungsinstitut<br />
The Conference Board durchgeführt hat.<br />
Befragt wurden die Vorstandschefs von<br />
40 europäischen Spitzenunternehmen. Diese<br />
sehen die weitere Liberalisierung von<br />
Arbeits- und Produktmärkten <strong>als</strong> eine <strong>der</strong><br />
Prioritäten an, um die Wettbewerbsfähigkeit<br />
des Kontinents auszubauen. „Wichtig ist<br />
mir nicht zuletzt ein Abbau von Marktregulierungen“,<br />
sagt etwa Juan Maria Nin, Managing<br />
Director <strong>der</strong> spanischen BancSabadell.<br />
Vor allem die Liberalisierung <strong>der</strong> Arbeitsmärkte<br />
hält Jan Nygaard, größter BMW-<br />
Händler in Dänemark, für zentral: „Wir brauchen<br />
die vollkommen freie Arbeitsplatzwahl<br />
in ganz Europa.“ Bei weiterbestehenden<br />
Regulierungen wünschen sich die<br />
Unternehmen, dass diese wenigstens harmonisiert<br />
werden.<br />
Rekrutierung (Managementlevel)<br />
Outsourcing von HR-Funktionen<br />
Headquarter-Aktivitäten<br />
Operatives Marketing (Werbung)<br />
Quelle: Best-of-European-Business-Umfrage<br />
flussnahme künftig zurückhalten, auch<br />
wenn diese vor<strong>der</strong>gründig den Unternehmen<br />
zu helfen scheint. So wollen die<br />
meisten Chefs auch nicht, dass die EU eine<br />
bestimmte Branche für strategisch erklärt<br />
und mit diesem Argument grenzüberschreitende<br />
Übernahmen verhin<strong>der</strong>t.<br />
Die Kernverantwortung <strong>der</strong> EU betrifft<br />
offenbar eher den Wissensstandort Europa.<br />
Die EU müsse mehr in Forschung und Entwicklung<br />
sowie die Ausbildung von Spitzenkräften<br />
investieren. Damit, so glauben die<br />
Topmanager, können die Europäer sich eine<br />
88 %<br />
88 %<br />
87 %<br />
80 %<br />
schungseinrichtungen und die Unterstützung<br />
von F&E-Aktivitäten.<br />
Die größte Stärke Europas sehen die Führungskräfte<br />
in kreativem und gut ausgebildetem<br />
Humankapital. Daran muss aber weiterhin<br />
gearbeitet werden. 98 Prozent aller<br />
Befragten glauben, dass Europa im Bereich<br />
Training und Ausbildung von Managern<br />
künftig entwe<strong>der</strong> gleich wichtig bleibt o<strong>der</strong><br />
sogar wichtiger wird (siehe Chart 1). Schon<br />
heute, so die Topmanager, trage die Verfügbarkeit<br />
von Human Resources für Unternehmen<br />
mehr zum Erfolg bei <strong>als</strong> etwa das Geschäftsklima<br />
o<strong>der</strong> die Infrastruktur.<br />
durchaus komfortable Position im Wettbewerb<br />
<strong>der</strong> Regionen verschaffen. Hinter <strong>der</strong> Den Erfolg ihrer Unternehmen in <strong>der</strong> Ver-<br />
DIE EU SOLL KÜNFTIG WENIGER INTER-<br />
VENIEREN, FORDERN DIE SPITZENMANAGER –<br />
For<strong>der</strong>ung nach einer innovationsför<strong>der</strong>nden<br />
Politik verbirgt sich nicht zuletzt auf an<strong>der</strong>e Faktoren zurück. So glauben<br />
gangenheit führen die Entschei<strong>der</strong> auch<br />
AUCH WENN SIE FIRMEN NUR HELFEN WILL<br />
Mehr Zurückhaltung for<strong>der</strong>n die Spitzenmanager<br />
in <strong>der</strong> Interventionspolitik. 84 Prozent<br />
sagen, die EU sollte sich mit staatlicher Ein-<br />
die Erwartung, dass das EU-Budget künftig<br />
weniger Geld für die Subventionen <strong>der</strong><br />
Agrarwirtschaft vorsieht und mehr für For-<br />
98 Prozent, dass die herausragende Produktund<br />
Servicequalität sich <strong>als</strong> zentrale Stärke<br />
erwiesen hätte. 95 Prozent halten das Mar-<br />
47
p industry-report<br />
qualität ist mehr <strong>als</strong> gute produkte<br />
„Wir brauchen weniger Bürokratie!“<br />
Jarne Elleholm, CEO, Aresa<br />
„Ganz wichtig ist, dass die ökologischen, sozialen<br />
und sicherheitstechnischen Standards mit Russland und<br />
an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n im Osten harmonisiert werden.“<br />
Ralf Bethke, CEO, K+S<br />
2.<br />
Innovation <strong>als</strong> Wettbewerbsvorteil<br />
Welches ist das wichtigste strategische<br />
Handlungsfeld, um Ihre globale Wettbewerbsfähigkeit<br />
zu sichern<br />
Häufigste Antworten<br />
1. Innovation<br />
2. Expansion in neue Märkte<br />
3. Kostensenkung<br />
4. Produktqualität/Design<br />
5. Entwicklung des Humankapit<strong>als</strong><br />
6. Investitionen in IT, F&E, ...<br />
Quelle: Best-of-European-Business-Umfrage<br />
kenimage für wichtig. Immerhin 85 Prozent<br />
glauben indes, dass <strong>der</strong> Bereich Mitarbeitertraining,<br />
Aus- und Weiterbildung auch<br />
bisher schon ausschlaggebend für die guten<br />
Positionen <strong>der</strong> Firmen im Wettbewerb<br />
gewesen sei.<br />
Der Fokus auf die Produktqualität reicht in<br />
<strong>der</strong> globalisierten Wirtschaft aber künftig<br />
nicht mehr aus. Qualität wird heute vorausgesetzt,<br />
darüber hinaus aber sind neue<br />
Ideen gefragt. Innovation halten die Entschei<strong>der</strong><br />
für den wesentlichen Faktor, um<br />
die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Firmen<br />
künftig zu steigern. Die Expansion auf<br />
neue Märkte ist das zweitwichtigste Element,<br />
gefolgt von Kostensenkungen und<br />
einer verbesserten Produktqualität (siehe<br />
Chart 2).<br />
In ihrer starken Betonung <strong>der</strong> Innovation<br />
unterscheiden sich die befragten Topunternehmen<br />
deutlich vom europäischen o<strong>der</strong><br />
globalen Firmendurchschnitt. Das zeigt ein<br />
Vergleich <strong>der</strong> <strong>Berger</strong>-Ergebnisse mit den<br />
Resultaten einer Conference-Board-Umfrage<br />
aus dem Jahr 2005, die nicht nur Topfirmen<br />
berücksichtigt, son<strong>der</strong>n einen Durchschnitt<br />
aller Firmen abbildet. An<strong>der</strong>s <strong>als</strong> die Topfirmen<br />
hatten die dort befragten europäischen<br />
Unternehmen etwa den Bereich Innovation<br />
nur <strong>als</strong> fünftwichtigstes Themenfeld angesehen.<br />
Im Weltdurchschnitt lag die Innovation<br />
lediglich auf Platz sechs <strong>der</strong> Topthemen. Am<br />
wichtigsten war den befragten Firmen <strong>der</strong><br />
Welt die Konzentration auf kontinuierliches<br />
und substanzielles Wachstum – egal, woher<br />
dieses kommt.<br />
Nicht zuletzt die Betonung von Forschung<br />
und Innovation zeigt: Die Zukunft ihres<br />
Heimatmarktes sehen die europäischen<br />
Spitzenfirmen in <strong>der</strong> Wissensgesellschaft.<br />
Gelingt Europa dieser Übergang, dann<br />
sehen die Entschei<strong>der</strong> die Erfolgschancen<br />
<strong>der</strong> europäischen Wirtschaft durchaus positiv.<br />
Als Investitionsstandort werde Europa<br />
für ihre Unternehmen im Bereich Forschung<br />
an Bedeutung gewinnen, glauben<br />
immerhin 34 Prozent <strong>der</strong> Befragten. Weitere<br />
59 Prozent sehen die Bedeutung des Forschungsstandorts<br />
für Unternehmen immerhin<br />
<strong>als</strong> stabil an. Insgesamt 95 Prozent glauben,<br />
Europa werde in Finanzierungsfragen<br />
gleich wichtig bleiben o<strong>der</strong> wichtiger werden;<br />
91 Prozent sind <strong>der</strong> Meinung, dass dies<br />
für die Managementbereiche Headquarters<br />
und Personal zutrifft. Bei Einkauf/Produktion<br />
halten hingegen immerhin 31 Prozent<br />
Europa für künftig weniger wichtig.<br />
EIN STATEMENT GEGEN DIE KATERSTIMMUNG:<br />
EUROPA MUSS AN SICH GLAUBEN,<br />
SO DER TENOR DER STUDIE<br />
Alles in allem aber zeigen sich die europäischen<br />
Topentschei<strong>der</strong> ihrem Heimatstandort<br />
gegenüber überraschend optimistisch.<br />
Sie setzen damit einen Kontrapunkt zur<br />
momentanen Katerstimmung in <strong>der</strong> europäischen<br />
Öffentlichkeit. Europa muss an sich<br />
glauben, so <strong>der</strong> Grundtenor <strong>der</strong> Chefstudie.<br />
Auf den Punkt bringt dies <strong>der</strong> Vorstandsvorsitzende<br />
des Stromriesen E.ON, Wulf Bernotat:<br />
„Wir müssen den europäischen Geist<br />
unter den Europäern för<strong>der</strong>n.“<br />
3.<br />
In den meisten Wertschöpfungsbereichen gewinnt Europa an Bedeutung<br />
In welchen Bereichen wollen sich die Unternehmer stärker in Europa engagieren<br />
0%<br />
31%<br />
69%<br />
49%<br />
Einkauf/<br />
Produktion<br />
20%<br />
1%<br />
16%<br />
Marketing/<br />
Sales<br />
83% 87%<br />
54%<br />
29%<br />
5%<br />
8%<br />
60%<br />
Outsourcing<br />
27%<br />
91%<br />
60%<br />
31%<br />
3% 7% Management<br />
0%<br />
93 % 95%<br />
62%<br />
59%<br />
34%<br />
33%<br />
6%<br />
5%<br />
0%<br />
Forschung<br />
Finanzierung<br />
nicht<br />
weniger<br />
bleibt gleich<br />
stärker<br />
... %<br />
Summe aus<br />
„bleibt gleich“<br />
und „stärker“<br />
Quelle: Best-of-European-<br />
Business-Umfrage<br />
48
ubs holt großen preis<br />
industry-report f<br />
Europas Beste<br />
Sie sind die erfolgreichsten Unternehmen Europas. Zehn Firmen zeichnete <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> im<br />
Rahmen des Abschlussevents zum „Best of European Business“-Wettbewerb in Brüssel aus.<br />
Den Großen Preis <strong>der</strong> Jury holte sich <strong>der</strong> Schweizer Finanzkonzern UBS. Für seine vorbildliche<br />
Corporate Governance prämierte die mit internationalen Spitzenmanagern besetzte Jury<br />
den britischen Chemieanbieter ICI.<br />
Die Gewinner<br />
Großer Preis <strong>der</strong> Jury:<br />
UBS<br />
Corporate-Governance-Preis:<br />
ICI<br />
Branchen-Awards:<br />
Audi<br />
Esprit<br />
UBS<br />
(Auto)<br />
(Konsumgüter/Einzelhandel)<br />
(Finanzdienstleistungen)<br />
Die BEB-Partner<br />
Wissenschaft<br />
HEC School of Management, Paris<br />
IESE Business School, University of Navarra<br />
London School of Economics<br />
SDA Bocconi, Mailand<br />
Universidade NOVA de Lisboa, Lissabon<br />
Universität St. Gallen<br />
Universität Warschau<br />
Europäische Medien<br />
Financial Times, Großbritannien<br />
Financial Times Deutschland<br />
Enjeux Les Echos, Frankreich<br />
Expansión, Spanien<br />
Harvard Business Review Polska, Polen<br />
Il Sole 24 Ore, Italien<br />
Jornal de Negócios, Portugal<br />
manager magazin, Deutschland<br />
Puls Biznesu, Polen<br />
Arcelor<br />
Statoil<br />
BASF<br />
Telefónica<br />
AP Møller-Maersk<br />
RWE<br />
(Industriegüter)<br />
(Öl/Gas)<br />
(Pharma/Chemie)<br />
(Telekommunikation/Media)<br />
(Transport/Tourismus/Logistik)<br />
(Versorger)<br />
Die Europa-Jury<br />
Lord Browne of Madingly: CEO, BP<br />
Charles Dunstone: CEO, Carphone Warehouse<br />
Hanna Gronkiewicz-Waltz: ehemalige<br />
Präsidentin, Polnische Nationalbank<br />
Klaus Kleinfeld: CEO, Siemens AG<br />
Anne Lauvergeon: CEO und Präsidentin, Areva<br />
Kai-Uwe Ricke: CEO, Deutsche Telekom AG<br />
Paolo Scaroni: CEO, ENI<br />
Marco Tronchetti Provera: Chairman, Telecom<br />
Italia, Pirelli & C.S.p.A., Olimpia S.p.A.<br />
Daniel Vasella: Chairman und CEO, Novartis AG<br />
Ben Verwaayen: CEO, BT Group<br />
49
p industry-report<br />
trends und branchen<br />
Zukunftsmärkte im Check<br />
Unternehmen haben bald den universalen IT-Werkzeugkasten, Computerbildschirme werden<br />
dehnbar, Betonfassaden dünner und Telefonfestnetze vielleicht demnächst überflüssig.<br />
business process platform<br />
Im globalen Wettbewerb sind agile Unternehmen im<br />
Vorteil; sie können Geschäftsprozesse schnell neuen<br />
Marktbedingungen anpassen. Eine flexible IT-Infrastruktur<br />
spielt dabei eine zentrale Rolle. Lei<strong>der</strong> sind gewachsene IT-<br />
Umgebungen meistens alles an<strong>der</strong>e <strong>als</strong> flexibel. Die führenden<br />
Anbieter von Unternehmenssoftware wollen nun<br />
die IT-Infrastrukturen wie<strong>der</strong> zur Triebfe<strong>der</strong> unternehmerischer<br />
Change-Prozesse machen. Unter dem Titel „Business<br />
Process Platform (BPP)“ arbeitet etwa SAP an einem IT-<br />
Werkzeugkasten für alle technologischen und betriebswirtschaftlichen<br />
Baustellen.<br />
Die BPP basiert auf zwei Säulen. Das „Netweaver“-<br />
Konzept lässt wie ein Universaldolmetscher Anwendungen<br />
jeglicher Provenienz miteinan<strong>der</strong> kommunizieren. Und die<br />
Enterprise-Service-Architektur begreift den gesamten<br />
Datenverkehr in Unternehmen <strong>als</strong> Summe spezifischer, an<br />
fachlichen Belangen ausgerichteter Services für die<br />
Manager. Die BPP soll diese Konzepte nun zusammenführen<br />
und ergänzen. Das Ziel: Beim Griff in den elektronischen<br />
Werkzeugkasten findet je<strong>der</strong> IT-Verantwortliche die rasche<br />
Lösung für sein Problem. Weiterer Vorteil von Ansätzen wie<br />
BPP: Module können einfach weiterentwickelt und im ganzen<br />
Unternehmen verbreitet werden.<br />
Die Konkurrenz arbeitet an ähnlichen Ideen. Bisher aber<br />
scheint SAP die Nase vorn zu haben – auch, weil Oracle und<br />
Microsoft noch einige Aquisitionen verdauen müssen.<br />
flexible displays<br />
Displays aus organischen Leuchtdioden (OLED) sind<br />
dünn, erfor<strong>der</strong>n keine Hintergrundbeleuchtung, verbrauchen<br />
wenig Strom und zeigen aus jedem Blickwinkel ein gutes<br />
Bild. Noch besser wären sie, wenn sie sich <strong>als</strong> Zeitung falten<br />
o<strong>der</strong> <strong>als</strong> Handyanzeige ausrollen ließen. Diese Vision soll<br />
bald Wirklichkeit werden. Experten erwarten, dass flexible<br />
Displays spätestens 2008 einen Milliardenmarkt bilden.<br />
Kernproblem für die Entwickler ist allerdings <strong>der</strong> Schutz<br />
des Bildschirminneren. Neben <strong>der</strong> Beschaffenheit <strong>der</strong> leuchtenden<br />
Kunststoffe entscheidet nämlich die Qualität, mit <strong>der</strong><br />
die Displays gekapselt werden, über ihre Lebensdauer.<br />
Bisher bestehende flexible Folien eignen sich nicht für<br />
OLED-Anwendungen, da sie zu durchlässig für Sauerstoff<br />
und Wasserdampf sind. Die Folien müssen daher noch erheblich<br />
dichter werden.<br />
Momentan wird intensiv geforscht – zunehmend mit<br />
Erfolg. Das Unternehmen Vitex Systems bereitet inzwischen<br />
den Massen-Roll-out <strong>der</strong> neuen Bildschirme vor. Anfang<br />
November kündigte die US-Firma an, ihre „Barix“-<br />
Technologie zusammen mit militärischen Forschungsstellen<br />
für die großvolumige Herstellung weiterzuentwickeln.<br />
Der Markt für Ultrabarrierefolien im Jahr 2008<br />
Volumen (in Mrd. Dollar)<br />
für OLEDs in Displays 3<br />
Organische Solarzellen 0,1<br />
OLED-Beleuchtung 5<br />
Menge (in Mio. Quadratmetern)<br />
für Handydisplays 0,5–1,0<br />
Organische Fotovoltaik 0,5<br />
OLED-Beleuchtung 1,5<br />
Quelle: Fraunhofer<br />
50
trends und branchen<br />
industry-report f<br />
textilbewehrter beton<br />
Stahlbeton hat <strong>als</strong> Baumaterial Architekturgeschichte<br />
geschrieben – ohne ihn wären die heutigen 500-Meter-<br />
Wolkenkratzer in Ostasien o<strong>der</strong> Dubai nicht möglich.<br />
Doch <strong>der</strong> Fassadengestaltung von Bauten aus Stahlbeton<br />
sind enge Grenzen gesetzt. Der Grund: Der Betonmantel<br />
muss relativ dick sein. Nur so kann <strong>der</strong> Beton verhin<strong>der</strong>n,<br />
dass <strong>der</strong> Stahl rostet.<br />
Schon bald könnten die Fassaden allerdings deutlich<br />
vielfältiger aussehen. Mittlerweile ist es nämlich möglich,<br />
Beton statt mit Stahl mit Textilfasern zu bewehren.<br />
Haardünne Fasern aus korrosionsfreiem Glas, Karbon<br />
o<strong>der</strong> Aramid werden zu flachen Textilien verwebt, die<br />
Stahl in ihrer Zugfestigkeit in nichts nachstehen, die<br />
Elemente aber wesentlich schlanker machen. In Feinbeton<br />
vergossen, ermöglichen sie die Konstruktion scharfkantiger<br />
Fassadenelemente o<strong>der</strong> Sonnenschutzlamellen.<br />
Beton wird damit zum Designmaterial, das auch farbliche<br />
Akzente setzen kann. So lässt sich <strong>der</strong> Baustoff<br />
durch Zusatz von Farbpigmenten zu roten, grauen o<strong>der</strong><br />
schwarzen Elementen verarbeiten, jeweils passend zur<br />
architektonischen Umgebung. Die individuellen<br />
Fassadenwünsche <strong>der</strong> Bauherren ließen sich bislang ausschließlich<br />
durch Kunststoff- o<strong>der</strong> Aluminiummodule<br />
erfüllen. Ihnen kann <strong>der</strong> Beton nun Paroli bieten – ohne<br />
Gefahr zu laufen, die schöne Optik durch hässliche<br />
Rostflecken zu zerstören.<br />
wimax<br />
Die drahtlose Datenkommunikation setzt zum Sprung<br />
in ein neues Zeitalter an. „Worldwide Interoperability for<br />
Microwave Access“, kurz WiMax, nennt sich die<br />
Breitbandtechnologie, die in <strong>der</strong> Praxis bis zu 20 Megabit<br />
pro Sekunde über 60 Kilometer übertragen soll. Ein<br />
Traum für Technikfreaks, ein Alptraum für Netzbetreiber.<br />
Die Anbieter, die bislang die Kupferleitungen <strong>der</strong><br />
„letzten Meile“ weit gehend im Monopol beherrschen,<br />
müssen befürchten, dass die Konkurrenz sie bald nicht<br />
mehr braucht. Mobilfunkanbieter hingegen werden<br />
gezwungen, ihre jüngsten Investitionen in teure<br />
Funktechnologien neu zu bewerten. Sollte WiMax es wie<br />
angekündigt schaffen, Daten auch dann in hoher Qualität<br />
zu übertragen, wenn Sen<strong>der</strong> und Empfänger sich schnell<br />
aneinan<strong>der</strong> vorbeibewegen, verlören Funktechnologien<br />
wie GPRS o<strong>der</strong> UMTS ihr Alleinstellungsmerkmal. Ganz<br />
zu schweigen davon, dass sie mit bis zu 100 Mal schmaleren<br />
Bandbreiten arbeiten.<br />
Die Marktforscher von Gartner prognostizieren, dass<br />
die Zahl <strong>der</strong> WiMax-Verbindungen bis zum Jahr 2010 auf<br />
weltweit 48 Millionen Anschlüsse wächst. Marktführer<br />
wie Nokia und Intel treiben die Entwicklung voran.<br />
Großstädte errichten erste WiMax-Netze, etwa San<br />
Francisco, Jerusalem o<strong>der</strong> Osaka.<br />
51
p business-culture<br />
personalführung<br />
52
dow chemical berechnet, ob ein mitarbeiter die investitionen in ihn wert ist<br />
business-culture f<br />
Ausgekuschelt<br />
Die Mitarbeiterführung entwickelt eine neue Ehrlichkeit. Die Leistung von Mitarbeitern wird klar<br />
kontrolliert, Balanced Scorecards werden auf alle heruntergebrochen. Und wer in Projektteams keine<br />
Leistung bringt, setzt sich <strong>der</strong> Kritik seiner Kollegen aus.<br />
:<br />
Gut gelaunte Motivationskünstler haben<br />
ihre große Zeit hinter sich. Die aufgeregten<br />
Redner, die dem Publikum weismachen<br />
wollen, dass je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Beste sein kann, wenn<br />
er nur seine Persönlichkeit auslebt, werden<br />
heute kaum noch ernst genommen. Dabei<br />
war die Vision so schön: Wir sind alle nett<br />
zueinan<strong>der</strong> und erreichen so das Beste für<br />
die Firma. Unternehmen haben viel Geld<br />
investiert, nur um intern die Stimmung zu<br />
heben. O<strong>der</strong>, wie mittlerweile viele Experten<br />
meinen, verpulvert.<br />
Einer <strong>der</strong> radik<strong>als</strong>ten Skeptiker ist E. L. Kersten.<br />
Wenn man dem Managementautor<br />
glaubt, liegt den Versuchen, Unternehmen<br />
zu kollektiven Kuschelzonen zu machen, ein<br />
f<strong>als</strong>ches Mitarbeiterbild zu Grunde. Kersten<br />
beschreibt Arbeitnehmer in seiner Polemik<br />
„The Art of Demotivation“ <strong>als</strong> faul, aufsässig<br />
und <strong>als</strong> permanente Fehlerquelle. Dass man<br />
ihnen bei Motivationsmaßnahmen ständig<br />
erzählt, wie wichtig sie für die Firma sind,<br />
sei das f<strong>als</strong>che Signal: Damit för<strong>der</strong>e man<br />
ihre Selbstüberschätzung.<br />
Kersten überspannt den Bogen bewusst.<br />
Indem er das übertrieben positive Bild von<br />
Mitarbeitern in ein übertrieben negatives<br />
umkippen lässt, deckt er die Denkverbote<br />
<strong>der</strong> Managementliteratur auf. Angestellte<br />
sind eben auch nicht prinzipiell am Wohle<br />
des Unternehmens interessiert. Sie brauchen<br />
klare Ziele, ihre Leistung muss individuell<br />
gemessen werden – und schlechte<br />
Ergebnisse müssen Konsequenzen haben, so<br />
die zunehmend vorherrschende Denkweise.<br />
Daher ist es auch kein Zufall, dass Kerstens<br />
Buch ausgerechnet jetzt erscheint und einen<br />
solchen Erfolg hat, mit faszinierten Besprechungen<br />
in allen großen Wirtschaftstiteln.<br />
Es passt in einen Trend. Die Unternehmen<br />
entdecken, dass gute Laune allein nicht<br />
reicht. „Ein neuer Realismus macht sich<br />
breit“, sagt Zhengrong Liu, Leiter des Global<br />
Human Resources Management beim Chemiehersteller<br />
Lanxess.<br />
Die Streicheleinheiten werden seltener,<br />
Führung mit klaren Methoden zur Performancemessung<br />
hingegen wird zunehmend<br />
populär. Das General-Electrics-Modell, die<br />
schlechtesten zehn Prozent unter den Mitarbeitern<br />
ausfindig zu machen und auf die<br />
Watchlist zu setzen, „wenden inzwischen<br />
auch an<strong>der</strong>e Unternehmen an“, erläutert ein<br />
Personalberater.<br />
BEURTEILUNGEN VON MITARBEITERN ALLEIN<br />
REICHEN NICHT. SIE MÜSSEN AUCH<br />
KLARE KONSEQUENZEN HABEN.<br />
Mitarbeiter, die konstant schlechte Leistungen<br />
abliefern, geraten ins Visier <strong>der</strong> Personalmanager.<br />
„Geringe Leistungsbereitschaft<br />
kann sich heute kein Unternehmen mehr<br />
leisten“, so Liu. Die alte Welch-Formel hält<br />
er daher für überholt. „Der heutige Wettbewerb<br />
verbietet es, dass zehn Prozent <strong>der</strong><br />
Mitarbeiter die gefor<strong>der</strong>te Leistung nicht<br />
bringen.“ Bei Lanxess setzt er vor allem auf<br />
dezentrale Motivationsmöglichkeiten. So<br />
können die Leiter <strong>der</strong> einzelnen Business-<br />
Units selbständig entscheiden, welcher Mitarbeiter<br />
neben <strong>der</strong> firmenweiten Gewinnbeteiligung<br />
zusätzlich mit einem individuellen<br />
Bonus bedacht wird. Das System bietet den<br />
Vorteil, dass die Unit-Leiter klare Urteile<br />
über die Leistung <strong>der</strong> Mitarbeiter aussprechen<br />
– an<strong>der</strong>s <strong>als</strong> in komplizierten mathematischen<br />
Punkteverfahren. Diese nämlich<br />
führten zur Gleichmacherei, so Liu. „Da liegen<br />
meist alle Mitarbeiter zwischen 95 und<br />
105 Prozent.“ Sein System hingegen trennt<br />
die Spreu klar und für alle Mitarbeiter sichtbar<br />
vom Weizen.<br />
Immer mehr Firmen gehen auch dazu über,<br />
ihre Mitarbeiter einzustufen und damit den<br />
internen Wettbewerb zu för<strong>der</strong>n – vor<br />
allem, aber nicht mehr nur im Managementbereich.<br />
Der GEA-Konzern beispielsweise<br />
bewertet seine sämtlichen 327 Führungskräfte<br />
klar nach Leistungen und Potenzialen<br />
und teilt sie in drei Gruppen ein: Top-, Good<br />
und Low Performer. Wer schlecht abschneidet,<br />
wird nicht sofort entlassen, muss sich<br />
aber auf intensive Gespräche mit seinen<br />
Vorgesetzten einstellen. „Es reicht nicht,<br />
Mitarbeiter zu beurteilen. Erst die Konsequenzen,<br />
die Sie ziehen, machen ein Bewertungsmodell<br />
erfolgreich“, meint <strong>der</strong> Leiter<br />
Corporate Development des Unternehmens,<br />
Volker Andussies.<br />
Noch einen Schritt weiter gehen mittlerweile<br />
viele US-Unternehmen: Sie brechen die<br />
Balanced Scorecard von Kaplan und Norton<br />
sogar auf jeden einzelnen Mitarbeiter herunter.<br />
Damit, so die Annahme, lässt sich für<br />
jeden Angestellten bestimmen, inwieweit er<br />
zum Unternehmenserfolg beigetragen hat.<br />
Von da ist es nur noch ein Schritt zu einer<br />
Initiative, die Dow Chemical kürzlich startete.<br />
Das Unternehmen will für jeden Mitarbeiter<br />
errechnen, ob sich die Investitionen<br />
in ihn – Einstellung, Gehalt, Schulungen –<br />
wirklich lohnen. Dafür definiert das Unternehmen<br />
den so genannten Expected Human<br />
Capital Return (EHCR) und vergleicht ihn<br />
53
p business-culture<br />
investmentbanken <strong>als</strong> vorreiter<br />
mit dem Actual Human Capital Return<br />
(AHCR). „EHCR stellt den Break-even-<br />
Punkt für die Investitionen in einen Mitarbeiter<br />
dar“, erklärt David Near, Global Portfolio<br />
Director im Human Resources Development<br />
Strategic Center des Unternehmens.<br />
Dow will das Konzept nicht primär<br />
<strong>als</strong> Druckinstrument verstanden wissen.<br />
Dennoch ist klar: Ein Mitarbeiter, <strong>der</strong> die<br />
Investitionen in ihn nicht wert ist, muss<br />
sich mehr anstrengen – o<strong>der</strong> er bleibt nicht<br />
dauerhaft an Bord.<br />
LANXESS KAPPTE FÜNF VON NEUN<br />
MANAGEMENTEBENEN. DAS ERHÖHT<br />
DEN ERFOLGSDRUCK AUF DEN EINZELNEN.<br />
Die Unternehmen treiben den internen<br />
Wettbewerb voran. Die Benchmark sitzt am<br />
Nebenschreibtisch. Auch die neuen flachen<br />
Hierarchien – Lanxess kappte kurzerhand<br />
fünf <strong>der</strong> neun Managementebenen – werden<br />
zunehmend genutzt, um für mehr Zug<br />
im Unternehmen zu sorgen: Weniger Vorgesetzte<br />
und die Verlagerung <strong>der</strong> Arbeit in<br />
Projektteams lassen den Mitarbeitern zwar<br />
mehr Entfaltungsspielraum, machen aber<br />
das Ergebnis des Einzelnen auch für alle<br />
sichtbar. Wenn jemand seine Leistung nicht<br />
bringt, leiden alle darunter. Das erzeugt<br />
sozialen Druck. „Da heißt es schnell: Du<br />
kannst nicht schon wie<strong>der</strong> un<strong>der</strong>performen.<br />
Das motiviert sehr“, berichtet ein Teilnehmer<br />
eines Innovationsprojekts, mit dem ein<br />
Autokonzern an <strong>der</strong> US-Westküste gerade<br />
eine Produktoffensive für den amerikanischen<br />
Markt plant.<br />
Auch finanzielle Konsequenzen sind mit <strong>der</strong><br />
Leistung <strong>der</strong> Einzelnen in Projektteams verbunden.<br />
Die Unit-Leiter von Lanxess können<br />
direkt nach Abschluss eines Projekts die<br />
Teilnehmer mit Leistungszahlungen belohnen<br />
– o<strong>der</strong> auch nicht. „Der Ansporn erzielt<br />
seine beste Wirkung, wenn er zeitnah<br />
erfolgt. Also warten wir nicht bis zum Jahresende“,<br />
berichtet Personalchef Liu. Für<br />
Bernd Frick, Professor für Unternehmens-<br />
führung an <strong>der</strong> Universität Witten/Herdecke,<br />
ist die gesamte Diskussion verschiedener<br />
Motivationsmethoden eine Frage <strong>der</strong><br />
Kosten-Nutzen-Relation. Man dürfe die<br />
Wahl <strong>der</strong> Führungsstrategie nicht primär <strong>als</strong><br />
moralische Entscheidung sehen. „Das ist<br />
eine Frage <strong>der</strong> relativen Kosten alternativer<br />
Person<strong>als</strong>trategien.“ Gelebter Realismus<br />
statt behaupteter Moralität.<br />
Mit <strong>der</strong> neuen Klarheit geht eine zunehmende<br />
Skepsis gegenüber <strong>der</strong> klassischen<br />
Human-Resources-Abteilung einher. Seit<br />
Jahren for<strong>der</strong>n die Personaler mehr strategischen<br />
Einfluss. Doch dem Topmanagement<br />
gilt HR oft <strong>als</strong> Luxusfunktion, für Weiterbildung<br />
und Picknicks zuständig, aber ohne<br />
strategische Einbindung. „Warum wir HR<br />
hassen“, titelte kürzlich das Wirtschaftsmagazin<br />
Fast Company. Ein Grund für die<br />
Randstellung: Gerade HR-Abteilungen produzierten<br />
in <strong>der</strong> Vergangenheit die gemütliche<br />
Rhetorik, die Leuten wie Kersten so sehr<br />
auf die Nerven fällt.<br />
Vielleicht haben HR-Manager auch die f<strong>als</strong>che<br />
Vorbildung. Darauf deutet jedenfalls<br />
eine Studie <strong>der</strong> amerikanischen Society for<br />
Human Resource Management hin. 83 Prozent<br />
aller HR-Experten glauben demnach,<br />
<strong>der</strong> Besuch von „Interpersonal Communications“-Kursen<br />
an <strong>der</strong> Universität nütze einer<br />
HR-Karriere. 66 Prozent halten Wirtschaftsethik<br />
für relevant. Change-Management hingegen<br />
empfehlen gerade mal 35 Prozent,<br />
strategisches Management 32 Prozent. So<br />
schafft man keine Relevanz.<br />
Die Szene übt sich mittlerweile in Selbstkritik.<br />
Viele HR-Entschei<strong>der</strong> finden die Denkweise<br />
ihrer Kollegen selbst zu weich, etwa<br />
<strong>der</strong> frühere Bear-Stearns-Personalmanager<br />
Arnold Kanarick. Wenn Bewerber für HR-<br />
Jobs ihm in Interviews gesagt hätten, sie<br />
wollten vor allem mit Menschen zu tun<br />
haben, habe er geantwortet: „Dann werdet<br />
doch Sozialarbeiter!“<br />
Genau diese Sozialarbeitermentalität dominierte<br />
bisher oft die HR-Welt. Vor allem<br />
Unternehmen, die in hoch qualifizierte Mitarbeiter<br />
einiges investiert hatten, gingen mit<br />
diesen um wie mit rohen Eiern. Doch auch<br />
hier werden die Zügel angezogen. Die Möglichkeit,<br />
auch anspruchsvolle Tätigkeiten<br />
nach Osteuropa auszulagern, führt in Westeuropa<br />
dazu, „dass man sehr viel genauer<br />
schaut, ob <strong>der</strong> einzelne Arbeitsplatz eine<br />
Rendite erwirtschaftet“, so ein Personalberater<br />
– und die Mitarbeiter den Druck auch<br />
spüren lässt. Dow lässt grüßen.<br />
Vordenker <strong>der</strong> harten Welle sind die Investmentbanken.<br />
An <strong>der</strong> Wall Street gehörte es<br />
schon immer zum Alltag, unter Druck zu<br />
arbeiten. Davon wollen jetzt an<strong>der</strong>e Branchen<br />
lernen. Die Einsicht: Die Leistungskurve<br />
eines Mitarbeiters steigt nicht dadurch,<br />
dass er für Kleinigkeiten Lob erfährt.<br />
EFFIZIENTE KONTROLLVERFAHREN KÖNNEN<br />
DIE LEISTUNG FÖRDERN. DAZU MÜSSEN<br />
SIE AUF ERGEBNISSE ZIELEN.<br />
Geschickt eingesetzt, kann hingegen klare<br />
Kontrolle jenes Vertrauen schaffen, das die<br />
Leistung för<strong>der</strong>t. Dieter Brandes, früherer<br />
Geschäftsführer <strong>der</strong> deutschen Discounterkette<br />
Aldi Nord, hat diese Führungsmethode<br />
in seinem Buch „Alles unter Kontrolle“<br />
beschrieben. Er nennt sie „positive Kontrolle“.<br />
Diese setzt nicht erst ein, wenn das<br />
Unternehmen kriselt. „Häufig üben Unternehmen<br />
gerade dann Druck aus, wenn sie<br />
selbst eine angespannte Phase durchlaufen.<br />
Das ist meistens Aktionismus.“<br />
Fazit für Brandes: Die Unternehmensführung<br />
muss die richtige Balance zwischen<br />
naivem Vertrauen und übersteigertem Misstrauen<br />
finden. Wenn sich Mitarbeiter durch<br />
den Vergleich mit an<strong>der</strong>en motivieren, ist<br />
das gut. Dennoch schätzen sie ein klares<br />
Wort von oben. Wenn Kritik sachlich vorgetragen<br />
wird, wirkt sie nicht frustrierend,<br />
son<strong>der</strong>n zeigt auf, wie Mitarbeiter ihre<br />
Arbeit besser machen können. Ist das eine<br />
neue harte Linie Vielleicht. Vor allem aber<br />
eine klare.<br />
54
die weisheiten david brents<br />
business-culture f<br />
Trivialitäten eines Softies<br />
Nichts ist schlimmer <strong>als</strong> Chefs, die sich anbie<strong>der</strong>n. Chefs wie David Brent, Antiheld <strong>der</strong> Comedyserie<br />
„The Office“. Der Nie<strong>der</strong>lassungsleiter einer Papierfirma gibt den Kumpeltyp, ist aber letztlich Opportunist<br />
– was seine Leute auch durchschauen. Ein Lehrstück schlechter Personalführung.<br />
David Brent … über sich <strong>als</strong> väterlichen<br />
Berater seiner Mitarbeiter: „Die Leute könnten<br />
zu mir kommen und sagen: ‚David, du bist seit<br />
zwölf Jahren im Geschäft. Kannst du uns sagen,<br />
wie du ein Team leitest‘ … Aber sie kommen<br />
einfach nicht. Das ist die wahre Tragödie.“<br />
... über sein Geheimnis erfolgreicher Mitarbeitergespräche:<br />
„Immer mit einem Witz beginnen!“<br />
… auf die Frage, woher er seine Inspiration<br />
bekommt: „Wenn ich drei Genies nennen sollte,<br />
dann wären das nicht Einstein, Newton und …<br />
(ganz lange Pause) … es wären Komiker, Milligan,<br />
Cleese, Everett.“<br />
… darüber, warum man Mitarbeiter nicht<br />
vorab über geplante Entlassungen informieren<br />
sollte: „Das würden die eh wie<strong>der</strong> vergessen.“<br />
... über Teamwork: „Du musst 100-prozentig<br />
hinter jemandem stehen, um ihm in den Rücken<br />
zu stechen.“<br />
… über seine schönste Erfahrung im Job: „Stolz<br />
war ich, <strong>als</strong> ein junger Grieche, <strong>der</strong> hier seinen<br />
ersten Job hatte und kaum ein Wort Englisch<br />
sprach, zu mir kam und mich fragte: ‚Mr<br />
Brent, wollen Sie Patenonkel meines Kindes<br />
werden‘(Pause) Na ja, es ist dann doch nicht<br />
dazu gekommen. Wir mussten den Kerl<br />
rausschmeißen. Er war schlecht. Mann, war<br />
<strong>der</strong> schlecht!“<br />
... darüber, warum er den elektrischen Plastikfisch<br />
in seinem Büro immer ausreichend mit<br />
Batterien bestückt. „Kosten hin o<strong>der</strong> her – gute<br />
Comedy ist unbezahlbar.“<br />
… über die „gleichen“ Chancen zweier Kandidaten<br />
in einem Bewerbungsgespräch (eines Mannes<br />
und einer sehr hübschen Frau): „Sie wird<br />
THE OFFICE spiegelt im Doku-Stil sämtliche<br />
schlechten Seiten <strong>der</strong> Bürowelt wi<strong>der</strong>:<br />
Heuchlertum, Mobbing, Dienst nach Vorschrift.<br />
Die Tristesse in <strong>der</strong> Regionalnie<strong>der</strong>lassung<br />
einer Papierfirma kulminiert in<br />
Hauptfigur und Chef David Brent (Ricky Gervais).<br />
Brent hält sich für witzig, ist aber nur<br />
nervig. Er will <strong>der</strong> Freund des Teams sein, ist<br />
aber vor allem offensichtlich führungsschwach.<br />
Seine Versuche, sich anzubie<strong>der</strong>n,<br />
konterkariert er durch seinen offensichtlichen<br />
Opportunismus. Die „Managementprinzipien“,<br />
die Brent gern zum Besten gibt,<br />
entpuppen sich schnell <strong>als</strong> Hohlformeln.<br />
das Büro beleben, nicht wahr (Pause) Äh, ich<br />
meine, natürlich nur, wenn sie den Job<br />
bekommt. Aber das würde er auch, wenn er ihn<br />
bekommt. Schließlich sind natürlich beide<br />
gleichberechtigt. Ich meine, letzten Endes<br />
hängt natürlich alles von mir ab. Na ja, wie<br />
auch immer: viel Glück. (Dann, nachgeschoben:)<br />
Es kann jedenfalls nicht schaden, mich<br />
zu beeindrucken.“<br />
… über Führung: „Wenn du deine Mitarbeiter<br />
mit Liebe und Respekt behandelst, werden<br />
diese nie vermuten, dass du sie loszuwerden<br />
versuchst.“<br />
… über Zeitmanagement: „Erledige niem<strong>als</strong><br />
schon heute etwas, das morgen schon die Aufgabe<br />
von jemand an<strong>der</strong>em sein könnte!“<br />
… über Pünktlichkeit: „Wenn du sowieso zu<br />
spät dran bist, dann verspäte dich richtig und<br />
nicht nur um zwei Minuten. Gönne dir eine<br />
Stunde, und genieße dein Frühstück!“<br />
… über seine Prinzipien <strong>der</strong> Personalauswahl:<br />
„Stelle niem<strong>als</strong> Leute ein, die Pech haben – wirf<br />
50 Prozent <strong>der</strong> Bewerbungen ungelesen in den<br />
Müll!“<br />
… über das Leben <strong>als</strong> Angestellter: „Du wirst<br />
erwachsen, du arbeitest ein halbes Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
lang, du bekommst eine Abfindung, du<br />
ruhst dich ein paar Jahre lang aus, und dann<br />
bist du tot.“<br />
55
p business culture<br />
stereotypes influence investment decisions<br />
You’re great—let’s make a deal<br />
Companies are emotionless, entirely rational entities when they strike a deal. At least that is what<br />
their managers would like to think. They should think again: A current study’s findings confirm that<br />
cultural bias has a significant impact on international decision-making.<br />
:<br />
Is it an emotional thing Or does logic<br />
rule this relationship Certainly there<br />
were many good reasons for Air France and<br />
KLM to merge. The reasons included becoming<br />
the world’s biggest airline, representing<br />
strong brands in the rough-and-tumble<br />
European market and getting to know each<br />
other through several collaborative ventures<br />
over the last few years.<br />
However, other airlines were <strong>als</strong>o looking<br />
for a partner. Why did the Netherlands’ KLM<br />
decide not to hook up with the commercial<br />
powerhouse of Lufthansa, which was looking<br />
to spend some money on acquisitions<br />
Or why did Air France not merge with<br />
British Airways, an airline with good connections<br />
to North America, Asia and the<br />
Pacific that would have been the perfect<br />
complement to the French company’s existing<br />
route network<br />
THE CULTURAL PROXIMITY BETWEEN TWO<br />
COUNTRIES INFLUENCES PURCHASING<br />
AND INVESTMENT DECISIONS<br />
Maybe because, as the Eurobarometer surveys<br />
sponsored by the European Union<br />
demonstrate, the Dutch do not really trust<br />
the Germans, the French trust the British<br />
even less, and the British do not trust the<br />
French at all. Eurobarometer showed that<br />
only 8 percent of the United Kingdom’s citizens<br />
totally trust their neighbors on the<br />
other side of the Channel. So maybe the<br />
Franco-Dutch alliance is actually better—<br />
for the sake of bilateral trust.<br />
A study conducted by social researchers at<br />
the University of Rome; Northwestern<br />
University, in Chicago, Illinois; and the<br />
University of Chicago confirms that investment<br />
decisions are strongly influenced by<br />
cultural stereotypes. Researchers from the<br />
three institutions showed that cultural<br />
sympathies and negative biases between<br />
citizens of various countries have a real economic<br />
effect on purchasing decisions and<br />
direct investments.<br />
Taking a look at the flow of investment capital<br />
between different countries, it becomes<br />
apparent that investments are made in companies<br />
of countries whose culture one trusts<br />
and is familiar with. The level of trust a<br />
country enjoys is not uniform the world over<br />
and is defined by the relationship any two<br />
countries have with each other.<br />
One country’s trustworthiness is perceived<br />
very differently by various other countries—<br />
and therefore <strong>als</strong>o possible investors. While<br />
the British eye the French skeptically, the<br />
Germans feel very positive about their<br />
neighbors. This kind of behavior has an<br />
immense effect on investments.<br />
“A slightly higher degree of trust than the<br />
worldwide average translates to 30 percent<br />
more trade,” explains Luigi Guiso, an economist<br />
and professor at the University of<br />
Rome and co-author of the study. Mutual<br />
direct investments can increase by 75 percent.<br />
And in their financial portfolios, institutional<br />
investors “increase the shares in<br />
countries they have an affinity with by<br />
84 percent,” says Guiso.<br />
What exactly influences this sense of mutual<br />
trust University of Chicago professor Luigi<br />
Zingales reports on the supporting evidence<br />
that he and his colleagues could find. “The<br />
wars of centuries past, commonality or<br />
differences in religion, and the genetic proximity<br />
between two peoples are decisive factors,”<br />
he says. The study’s authors were able<br />
to find a consi<strong>der</strong>able amount of statistical<br />
proof for their arguments.<br />
Why would past wars influence trust now<br />
Zingales explains this phenomenon using<br />
Italian students: “In their history classes,<br />
they are currently learning about the efforts<br />
made in the 19th century to unify the country.”<br />
Most battles were fought against soldiers<br />
of the former Austrian Empire. That<br />
allegiance to past history is still being<br />
played out now, resulting in a primarily negative<br />
image of Austria.<br />
A SLIGHTLY HIGHER DEGREE OF TRUST<br />
THAN THE GLOBAL AVERAGE<br />
MEANS 30 PERCENT MORE TRADE<br />
The results of the American economists’<br />
research confirm findings of a survey conducted<br />
by the 3i Cranfield European Enterprise<br />
Center in England. These <strong>als</strong>o showed<br />
that national issues play a major role when<br />
managers of different nationalities strive to<br />
generate an atmosphere of trust. According<br />
to the surveys, across Europe, Spanish managers<br />
are consi<strong>der</strong>ed to be trustworthy; only<br />
Italians have little or no faith in them.<br />
Research results like these shed new light<br />
on debates held in management circles in<br />
the last few years.<br />
Specifically, the discussion revolves around<br />
the significance of trust when making<br />
investment-related decisions. “In long-term<br />
commitments, companies cannot address all<br />
possibilities in writing in their contracts;<br />
that’s why trust takes on greater meaning,”<br />
56
gründe für einschätzungen an<strong>der</strong>er kulturen liegen oft in <strong>der</strong> geschichte<br />
business-culture f<br />
(und Kosten sparend) sein kann, zeigt das<br />
Beispiel des Diamantenhandels in Antwerpen<br />
und New York: Die Händler vertrauen<br />
einan<strong>der</strong> <strong>der</strong>art, dass sie ihre Transaktionen<br />
immer noch per Handschlag abschließen.<br />
Folgerichtig konnten die Wissenschaftler<br />
auch belegen, dass die Bedeutung von Vertrauen<br />
abnimmt, je besser <strong>der</strong> Informationsstand<br />
über das potenzielle Partnerland ist:<br />
„Dem Misstrauen gegensteuern können<br />
Unternehmen, Verbände und Staaten nur<br />
langfristig – mit mehr sachlichen Informationen,<br />
mehr Kontakten und stärkerer<br />
För<strong>der</strong>ung internationaler Ausbildung“,<br />
sagt Paola Sapienza, Professorin an <strong>der</strong><br />
Kellogg School of Management <strong>der</strong> Northwestern<br />
University.<br />
Die Bedeutung <strong>der</strong> nationalen Herkunft<br />
beeinflusst nicht nur Direktinvestitionen<br />
und Einkaufsentscheidungen. Nationale<br />
Befindlichkeiten spielen auch bei Fusionen<br />
eine zentrale Rolle. Als in Italien die Übernahme<br />
<strong>der</strong> Banco Ambrosiano Veneto durch<br />
die holländische ABN Amro anstand, gab es<br />
Proteste: Italienische Politiker wollten den<br />
Deal verhin<strong>der</strong>n. Die Bank sollte nicht holländisch<br />
werden. Diese Sicht bestimmte<br />
dann die Diskussion in den Medien. „Die<br />
Wirtschaftszahlen, die belegen, dass eine<br />
Fusion aus Effizienzgründen sinnvoll ist,<br />
spielten keine Rolle mehr“, kommentiert<br />
Forscherin Sapienza.<br />
EXTREMES MISSTRAUEN KANN ZUR<br />
HANDELSSCHRANKE WERDEN. DAS MERKEN<br />
MOMENTAN DIE USA.<br />
Doch kulturell bedingte Vorurteile för<strong>der</strong>n<br />
nicht nur den Protektionismus. Ist das Misstrauen<br />
gar zu groß, erwachsen kaum überwindbare<br />
Handelsschranken. Mit diesem<br />
Problem kämpfen zurzeit viele Entwicklungslän<strong>der</strong>,<br />
aber auch die USA wegen ihres<br />
schlechten Rufs im Mittleren Osten. Der<br />
Handel mit dem Erzfeind ist politisch unerwünscht.<br />
Bleibt noch die Frage, ob jedes Land ein festes<br />
Maß an Vertrauen zu vergeben hat, es<br />
sich <strong>als</strong>o um ein Nullsummenspiel handelt.<br />
Die Autoren <strong>der</strong> Studie verneinen dies. Südeuropäische<br />
Staaten beispielsweise zeigen<br />
sich gegenüber an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n insgesamt<br />
misstrauischer <strong>als</strong> ihre nördlichen Pendants.<br />
Am wenigsten vertrauensselig sind die Portugiesen.<br />
Wer mit ihnen Handel treiben will,<br />
muss <strong>als</strong>o beson<strong>der</strong>s intensive Vertrauensarbeit<br />
leisten.<br />
Sehr offen sind hingegen die Schweden.<br />
Diese halten ihre norwegischen Nachbarn<br />
sogar für vertrauenswürdiger <strong>als</strong> ihre eigenen<br />
Landsleute.<br />
57
p business-culture<br />
managementschulen<br />
Master of Business Arts<br />
Osteuropas Business-Schools haben ihre ganz eigene Methode, die Manager <strong>der</strong> Zukunft<br />
auszubilden. Sie setzen auf Kunst, Musik und Theater. Die Idee: Nur kreative Köpfe sind auch gute<br />
Entschei<strong>der</strong>. Die Unternehmen glauben daran. Eine Reportage von George Bickerstaffe.<br />
:<br />
Studenten <strong>der</strong> Kyiv Mohyla Business<br />
School in Kiew (KMBS) hören viel Jazz –<br />
im Klassenzimmer. Stundenlang lauschen<br />
sie einer Jazzband und diskutieren mit den<br />
Musikern die Feinheiten <strong>der</strong> Improvisation.<br />
Ähnliche Szenen spielen sich in vielen Business-Schools<br />
in Mittel- und Osteuropa ab.<br />
Musik, Malerei, Theater – durch den Einsatz<br />
<strong>der</strong> schönen Künste bilden die Eliteschulen<br />
im Osten die Manager von morgen aus.<br />
Sei kreativ, werde Manager, so die Devise.<br />
An <strong>der</strong> State University of Management in<br />
Moskau arbeiten MBA-Studenten an Theateraufführungen,<br />
schreiben Stücke, entwickeln<br />
Inszenierungen und machen Körper- und<br />
Stimmübungen. Die ISM University of<br />
Management and Economics in Litauen lässt<br />
Manager unter Anleitung professioneller<br />
Künstler an eigenen Gemälden o<strong>der</strong> Skulpturen<br />
werkeln. Und an <strong>der</strong> Bled School of<br />
Management in Slowenien (IEDC) verbringen<br />
Studenten Zeit damit, klassische Musikaufführungen<br />
anzuhören und mit Musikern<br />
zu sprechen. Dabei haben die Business-<br />
Schools denselben akademischen Anspruch<br />
wie ihre Pendants im Westen o<strong>der</strong> in Ostasien.<br />
Kunst setzen sie zusätzlich ein – musische<br />
Betätigung <strong>als</strong> Schlüsselelement.<br />
Vereinzelt findet sich die Kunst auch in <strong>der</strong><br />
westlichen Managerausbildung, etwa an <strong>der</strong><br />
Kopenhagen Business School. Dennoch sei<br />
die Idee etwas typisch „Östliches“, so Danica<br />
Purg, Direktorin <strong>der</strong> IEDC. Virginijus Kundrotas,<br />
Rektor <strong>der</strong> ISM in Litauen, sieht darin<br />
ein Stück osteuropäische Selbstfindung: „Wir<br />
suchen nach dem, was unseren Teil <strong>der</strong> Welt<br />
beson<strong>der</strong>s auszeichnet – und das hat oft mit<br />
Beziehungen o<strong>der</strong> Gefühlen zu tun.“<br />
Weil Emotionen sich oft über Musik vermitteln,<br />
kommen an <strong>der</strong> IEDC Leute wie <strong>der</strong><br />
Geiger Miha Pogacnik zum Einsatz. Seine<br />
Methode: Er nimmt ein bekanntes Stück wie<br />
die Fuge in g-Moll von Bach auseinan<strong>der</strong><br />
und erläutert daran die Entwicklung<br />
GEORGE BICKERSTAFFE schreibt regelmäßig<br />
Beiträge zur Businessausbildung – vor allem<br />
für britische Zeitungen. Seit 1991 stellt er den Führer<br />
„Which MBA“ zusammen, <strong>der</strong> jährlich von <strong>der</strong><br />
Economist-Tochter Economist Intelligence Unit<br />
herausgegeben wird. Bickerstaffe war Herausgeber<br />
<strong>der</strong> Zeitschriften Director, Chief Executive und<br />
International Management.<br />
menschlicher Organisationen. So will er im<br />
Zuhörer Kreativität freisetzen. Im westlichen<br />
MBA stehe das A für Administration. Davon<br />
will Pogacnik weg. „Wir brauchen einen<br />
neuen MBA, in dem das A für ‚Arts‘ steht,<br />
für Kunst: Master of Business Arts.“ Antonina<br />
Rostowskaja, Leiterin des „Labors für<br />
Bühnenaktion im Management“ an <strong>der</strong><br />
Moskauer State University of Management,<br />
glaubt, dass beide Ansätze einan<strong>der</strong> ergänzen.<br />
„Westliche Methoden orientieren sich<br />
an Techniken und Instrumenten“, sagt sie.<br />
„Wir etablieren nicht nur die Verbindung<br />
‚Ziel – Instrument‘, son<strong>der</strong>n auch die Verbindung<br />
‚Ich – Welt‘.“<br />
In ihrer Theaterausbildung machen die Studenten<br />
Körper- und Sprechübungen und lernen,<br />
mit Rhythmus, Raum und Atmosphäre<br />
zu arbeiten. Ein Student bekommt eine pantomimische<br />
Aufgabe gestellt: Trage zehn<br />
Aktentaschen durch den Raum. Natürlich<br />
fällt eine herunter und eine an<strong>der</strong>e, sobald<br />
er die erste aufzuheben versucht. Ein<br />
Musterbeispiel für das Management von<br />
Komplexität – und damit eine stimmige<br />
Metapher für die Arbeit heutiger Manager.<br />
Parallelen zum Management weist auch die<br />
Regiesituation auf, glaubt Rostowskaja.<br />
58
manager denken über ihre rolle in <strong>der</strong> gesellschaft nach<br />
business-culture f<br />
Heute reiche es nicht mehr, dass ein Manager<br />
akzeptierte Regeln kennt und befolgt. Er<br />
müsse selbst die Spielregeln festlegen und<br />
verän<strong>der</strong>n – wie ein Theaterregisseur. Das<br />
Theater wird so zum Labor, in dem Nachwuchsentschei<strong>der</strong><br />
das reale Management<br />
üben können. Absolvent Alexan<strong>der</strong> Gatilin:<br />
„Die Bühne gibt uns die Möglichkeit, alle<br />
organisatorischen Problemstellungen im<br />
Management auszuprobieren“, zum Beispiel<br />
die Kooperation im Team.<br />
DIE LEHRE DES JAZZ:<br />
JEDER IST NUR SO KREATIV, WIE ES IHM<br />
SEIN MITSPIELER ERLAUBT<br />
Diese will auch die Kyiv Mohyla Business<br />
School in Kiew (KMBS) verbessern. Schöngeistiges<br />
Hilfsmittel in diesem Fall: Jazz.<br />
Mychailo Wynnyckyj, <strong>der</strong> an <strong>der</strong> KMBS internationales<br />
Marketing unterrichtet, erläutert:<br />
Ein (Band-)Lea<strong>der</strong> sei nie allein, er müsse auf<br />
seine Kollegen und <strong>der</strong>en Einfälle hören.<br />
Auch eine Organisation müsse in <strong>der</strong> Lage<br />
sein, Ideen und Führungspotenzial an unerwarteten<br />
Stellen zu erkennen.<br />
Erste Regel im Jazz: Jedes Bandmitglied<br />
muss seine Musik auf <strong>der</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en aufbauen.<br />
Wynnyckyj: „Ein Manager wird zwar<br />
oft mit dem Dirigenten verglichen. Doch<br />
Organisationen brauchen keine Dirigenten;<br />
Jazzcombos haben auch keinen. Jazz bringt<br />
Unternehmertum und Verwaltung ins<br />
Gleichgewicht und ermöglicht Kreativität,<br />
ohne dass einer das Tempo festlegt.“<br />
Die Business-School bringt Jazzmusiker in<br />
die Seminarräume, um mit den Studierenden<br />
zu sprechen und Musik zu machen. „Wir<br />
analysieren, wie ein Musiker in dem Rahmen<br />
improvisiert, den die an<strong>der</strong>en ihm zur<br />
Verfügung stellen“, erklärt Wynnyckyj. Lerneffekt:<br />
Auch Managementprozesse werden<br />
von Interaktion geprägt. Die Aktionen des<br />
einen definieren die Freiheit des an<strong>der</strong>en.<br />
Die Konzentration auf Kunst hat auch etwas<br />
mit <strong>der</strong> Wettbewerbsposition <strong>der</strong> Business-<br />
Schools in Mittel- und Osteuropa zu tun.<br />
In Konkurrenz mit den etablierten Westschulen<br />
muss etwas Beson<strong>der</strong>es her. Innovation<br />
ist gefragt.<br />
Auf Unternehmensseite stößt die Horizonterweiterung<br />
auf Sympathie. Zur KMBS in<br />
<strong>der</strong> Ukraine schicken reihenweise internationale<br />
Großkonzerne ihre Manager: Cisco<br />
Systems, Citibank, Calyon, Coca-Cola. Olyxiy<br />
Wolchow, Commercial Director <strong>der</strong> Ukraine-<br />
Tochter <strong>der</strong> französischen Investmentbank<br />
Calyon: „Wenn sich bei mir zwei Kandidaten<br />
mit gleichen persönlichen Eigenschaften<br />
bewerben, gebe ich dem KMBS-Absolventen<br />
den Vorzug.“ Wolchow ist vom Versuch <strong>der</strong><br />
KMBS überzeugt, neue Wege zu gehen:<br />
„Deren Lehrer zwingen die Studenten, selbständig<br />
zu denken und innovativ zu sein,<br />
anstatt nur altbekannte wissenschaftliche<br />
Theorien zu pauken.“ Speziell <strong>der</strong> Jazzansatz<br />
lehre „vor allem die Fähigkeit, sich<br />
schnell auf wechselnde Situationen einzustellen,<br />
ohne dass die Qualität leidet“.<br />
Doch aller Karriereeffekte zum Trotz: Die<br />
Kunstprogramme werden nie je<strong>der</strong>manns<br />
Sache sein. „Die Programme rühren an die<br />
Emotionen <strong>der</strong> Teilnehmer“, sagt Danica<br />
KUNST UND MANAGEMENT haben<br />
miteinan<strong>der</strong> nichts zu tun Der Künstler Eduard<br />
Čehovin sieht das an<strong>der</strong>s. Sein großformatiges<br />
Werk „Europe 2020“ für die Bled School of Management<br />
setzt sich mit dem Verhältnis von abstrakten<br />
Zeichen zu gelebter Realität auseinan<strong>der</strong> – ein<br />
Thema, das gerade auch Unternehmen beschäftigt.<br />
Purg. Nicht je<strong>der</strong> Manager aber will mit den<br />
eigenen Gefühlen konfrontiert werden –<br />
lei<strong>der</strong>, wie Purg findet. „Ich bin überzeugt,<br />
dass gestandene Manager neue Kraft aus<br />
ihnen schöpfen können. Sie fangen an, über<br />
ihre Rolle in <strong>der</strong> Gesellschaft nachzudenken.“<br />
Selbstreflexion am Kunstwerk <strong>als</strong>o.<br />
Gerade jüngere Manager sind da aber oft<br />
skeptisch. Und die Künstler müssten vorher<br />
intensiv gecoacht werden, um ihre Lerninhalte<br />
erfolgreich zu transportieren. Nur so<br />
„ist das Resultat wirklich relevant für die<br />
Managementstudenten.“ Ansonsten droht<br />
Beliebigkeit.<br />
Beliebig war <strong>der</strong> Moskauer Theaterkurs für<br />
Igor Makarow nicht. Der Ingenieur weiß,<br />
was er aus den Seminaren mitgenommen<br />
hat: die Fähigkeit, den eigenen Auftritt zu<br />
optimieren. „Ich vertrete meine Meinung<br />
jetzt erfolgreicher.“ Das Theater <strong>als</strong> Schule<br />
für die Bühne namens Management.<br />
59
p business-culture<br />
ten years after<br />
Der Wohl-Kämpfer<br />
Mit seinem Buch „The New Golden Rule“ setzte Amitai Etzioni 1996 Moral <strong>der</strong> Giergesellschaft<br />
entgegen. Er fand Gehör bei US-Präsidenten und machte den Begriff „Dritter Weg“ zum Allgemeingut.<br />
Wie aber eine mögliche Lösung zwischen Kapitalismus und Sozialismus aussieht, ist weiter unklar.<br />
:„Das Unsinnigste, was ich je gehört habe.<br />
Sie muss blind und dumm sein!“ Wer den<br />
ansonsten gelassenen Amitai Etzioni zornig<br />
machen will, muss im Gespräch nur Margaret<br />
Thatcher zitieren. („Es gibt keine Gesellschaft,<br />
nur Individuen und Familien.“) Für<br />
den Mitbegrün<strong>der</strong> des Kommunitarismus ist<br />
solches Denken weltfremd: „Man kann doch<br />
noch nicht mal vor die Tür gehen, ohne auf<br />
die Gesellschaft zu treffen.“ Am besten eine<br />
faire Gesellschaft, Etzionis Ideal: eine Art<br />
dritter Weg zwischen Kapitalismus und<br />
Sozialismus, aber vieldeutiger und aus an<strong>der</strong>en<br />
Richtungen <strong>als</strong> etwa bei Ota Sik, dem<br />
Vordenker des Prager Frühlings.<br />
Entsprechend bunt schillert das Gedankengebäude<br />
<strong>der</strong> kommunitaristischen Bewegung,<br />
die sich schon mit ihrem Gründungsmanifest<br />
in den neunziger Jahren Gehör<br />
verschaffte und zahlreiche politische Debatten<br />
in den USA wie Europa entfachte. Dabei<br />
existiert keine allgemein akzeptierte Definition<br />
des Kommunitarismus, doch bestimmte<br />
Muster treten hervor: Man kritisiert den<br />
Kapitalismus von links und den Sozi<strong>als</strong>taat<br />
von rechts – vielleicht auch ein Grund dafür,<br />
dass die Bewegung vor zehn Jahren eine<br />
Anziehungskraft ausübte auf so unterschiedliche<br />
Politiker wie Tony Blair und<br />
Joschka Fischer.<br />
ETZIONI SIEHT DIE SICHERHEIT SEIT DEN<br />
TERRORATTACKEN AM 11. SEPTEMBER<br />
ALS NEUES GEMEINGUT AN<br />
„Was ist vernünftig“ lautet Etzionis Kernfrage.<br />
Seine Standpunkte sind daher nicht<br />
ideologisch festgelegt: So tritt er für umfassende,<br />
streng geregelte DNA-Massentests<br />
ALEXANDER ROSS ist Stammautor des<br />
Magazins Cicero und schreibt für Tageszeitungen<br />
in Deutschland, Österreich und <strong>der</strong> Schweiz.<br />
Sein letztes Buch „Der perfekte Auftritt“ stand<br />
monatelang in den Top Ten <strong>der</strong> Financial Times<br />
Deutschland.<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung zur Verbrechensbekämpfung<br />
ein. Und erst unlängst for<strong>der</strong>te er eine<br />
individuelle Internet-ID <strong>als</strong> persönliches<br />
Brandzeichen für jeden User, da Vollanonymität<br />
für ihn die Ursache von Spam und<br />
an<strong>der</strong>en Missbräuchen im Internet ist.<br />
Die politische Linke, lange von seinen Ideen<br />
inspiriert, hat sich zwischenzeitlich leise<br />
von Etzioni verabschiedet. Er kämpfte 1948<br />
im Untergrund in Palästina für die Gründung<br />
Israels, und heute unterstützt er den<br />
„War on Terror“: „Seit dem 11. September<br />
2001 gibt es ein neues Gemeingut, nämlich<br />
Sicherheit.“ Etzioni äußert sich zum Patriot-<br />
Act, dem Privacy-Act, zu Durchsuchungen,<br />
dem vierten Verfassungszusatz und vielem<br />
mehr unter kommunitaristischer Flagge.<br />
Denn für ihn gilt: „Der jeweilige Anwendungsbereich<br />
ist neu, die philosophische<br />
Grundfrage ist es nicht.“<br />
Für seine Kritiker wird er damit zum Grenzgänger<br />
zwischen Vielfalt und Beliebigkeit.<br />
Das Magazin The Nation nannte ihn den<br />
„Zelig <strong>der</strong> Intellektuellen“ – ein geistiges<br />
Chamäleon wie die Filmfigur von Woody<br />
Allen. Als „<strong>der</strong> Experte für alles“ (Time<br />
Magazine) meldet sich Etzioni seit über 30<br />
Jahren bei zahlreichen Themen öffentlich<br />
zu Wort – jedoch stets geistreich und klar,<br />
was ihn von vielen „Kommentarprofessoren“<br />
unterscheidet. Vielleicht ein Geheimnis seines<br />
Erfolgs, denn sein Motto könnte sein:<br />
Zu Risiken und gesellschaftlichen Nebenwirkungen<br />
fragen Sie Ihren Soziologen, fragen<br />
Sie Etzioni.<br />
Also fragen wir: Schwingt das Pendel <strong>der</strong>zeit<br />
wie<strong>der</strong> zurück zum starken Staat Nein,<br />
sagt Etzioni, aber die Aufhängung des Pendels<br />
hat sich zum Konservatismus hin verschoben.<br />
Dies sei nicht überraschend, denn:<br />
„Die USA waren immer eine konservative<br />
Demokratie.“<br />
Aber wird die Welt nicht immer individualistischer<br />
– mit Begriffen wie Selfemployment,<br />
Humankapital und sinken<strong>der</strong><br />
Gewerkschaftsmacht „Ja, aber es gibt die<br />
Community-Ties, vor allem bei den Migranten.<br />
Nehmen Sie die Asiaten, die in die USA<br />
kommen. Diese haben starke Bindungen zu<br />
an<strong>der</strong>en Migranten. Amerika, das sind nicht<br />
300 Millionen Menschen – es sind viele<br />
Communitys in <strong>der</strong> Community.“<br />
Das gilt auch für die Wirtschaft: „Community<br />
ist ein Konsumgut“, sagt Etzioni. „Für<br />
mich ist Wal-Mart eine Verbraucherorganisation.<br />
Das Produkt ist teuer beim Produzenten,<br />
<strong>der</strong> es zum höchsten Preis verkaufen<br />
will. Wal-Mart schafft Interessenausgleich<br />
zwischen Produzenten, denen sie Masse bieten,<br />
und Konsumenten, denen sie niedrige<br />
Preise bieten können. Es ist eine Aggregation<br />
von Konsumentenpräferenzen. Um es<br />
mit einem Begriff von John Galbraith zu<br />
sagen: Der Wal-Mart-Konzern ist eine ausgleichende<br />
Kraft.“<br />
Auch sonst sieht Etzioni Schnittmengen<br />
zwischen dem Denken von Unternehmen<br />
und Kommunitaristen. Der „Stakehol<strong>der</strong>-<br />
Ansatz“ sei eine absolut kommunitaristische<br />
60
nach feierabend arbeitet etzioni in einer suppenküche<br />
business-culture f<br />
Idee. Während seiner Zeit an <strong>der</strong> Harvard<br />
Business School habe er gelernt, dass Unternehmen<br />
letztlich öffentliche Einrichtungen<br />
sind. „Sie gehören allen, die etwas in sie<br />
investieren.“ Und zwar nicht nur <strong>als</strong> Sharehol<strong>der</strong>,<br />
son<strong>der</strong>n auch <strong>als</strong> Stakehol<strong>der</strong>.<br />
Doch was bedeutet dies für die Arbeit von<br />
Managern „Der Wochenplan eines CEO<br />
könnte so aussehen: montags die Arbeitnehmervertreter<br />
treffen, am Dienstag die<br />
Kunden und so weiter. Freitags sollte er sich<br />
fragen: Wen habe ich vergessen in den Communitys,<br />
den Stakehol<strong>der</strong>-Gruppen um<br />
mein Unternehmen herum“ Also eine kapitalistische<br />
Räterepublik „Nein, denn nicht<br />
je<strong>der</strong> kriegt die gleiche Aufmerksamkeit<br />
und Einfluss.“ So viel Realismus muss sein:<br />
Nebenparlamente und Parallelaufsichtsräte<br />
will Etzioni nicht.<br />
DAS MODETHEMA CORPORATE SOCIAL<br />
RESPONSIBILITY HÄLT ETZIONI FÜR EINE<br />
ZIEMLICH BEGRENZTE SACHE<br />
Realismus herrscht auch beim Blick auf das<br />
Modethema Corporate Social Responsibility.<br />
CSR ist für Etzioni ein wohlfeiler Ablasshandel,<br />
„okay, aber eine sehr begrenzte<br />
Sache. Es erfindet den Kapitalismus nicht<br />
neu.“ Der Kern <strong>der</strong> CSR liegt für Etzioni in<br />
kleinen, freiwilligen Aktivitäten.<br />
Doch wenn keine neuen Institutionen<br />
geschaffen werden, was bleibt überhaupt<br />
von Etzioni und den Kommunitariern Vielleicht<br />
genau das: Sie haben dafür gesorgt,<br />
dass die Liste <strong>der</strong> Wirkstoffe auf dem Beipackzettel<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft länger geworden<br />
ist. Für Etzioni gilt die alte Institutionenlehre<br />
mit wenigen Teilnehmern nicht mehr.<br />
Man müsse heute mehr beachten: „Wir alle,<br />
auch die Unternehmen, leben in einer Welt<br />
mit vielen unterschiedlichen Akteuren.“<br />
Unser Gespräch endet, es ist Freitagnachmittag.<br />
Aber ein echter Kommunitarier<br />
kennt kein Wochenende. Was er jetzt macht<br />
„Ich gehe zur Freiwilligenarbeit in einer<br />
Suppenküche.“<br />
AMITAI ETZIONI wurde 1929 <strong>als</strong> Werner<br />
Falk in Köln geboren. 1937 ging er nach Haifa,<br />
kämpfte 1948 in <strong>der</strong> Palmach-Bewegung im<br />
Palästinakrieg. Er studierte bei Martin Buber in<br />
Jerusalem, nach dem PhD in Berkeley war er<br />
fast 20 Jahre Professor an <strong>der</strong> Columbia University.<br />
Seit 1980 lehrt er Soziologie an <strong>der</strong><br />
George Washington Universität, von 1987 bis<br />
1989 unterrichtete er auch an <strong>der</strong> Harvard<br />
Business School. Etzioni veröffentlichte über<br />
20 Bücher, zu den bekanntesten zählen „The<br />
Spirit of Community“ (Die Entdeckung des<br />
Gemeinwesens, 1993) und „The New Golden<br />
Rule“ (Die Verantwortungsgesellschaft, 1996).<br />
Er beriet die US-Präsidenten Carter, Bush senior<br />
und Clinton. Zusammen mit Michael Walzer<br />
begründete er den Kommunitarismus, eine <strong>der</strong><br />
„einflussreichsten politischen Bewegungen<br />
Amerikas" (Frankfurter Allgemeine Zeitung).<br />
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p service<br />
impressum<br />
Vertiefen Sie Ihr Wissen<br />
Falls Sie intensiver in ein Thema einsteigen<br />
möchten: hier ein paar Bücher, die die<br />
Themen aus diesem Heft vertiefen.<br />
„Presence“ ist das neueste Werk des<br />
Lerntheoretikers Peter Senge. Herfried<br />
Münkler schil<strong>der</strong>t in „Imperien“, wie<br />
Weltreiche funktionieren. Amitai Etzionis<br />
„Die Verantwortungsgesellschaft“ gehört zu<br />
den Klassikern <strong>der</strong> Wirtschaftsliteratur. Und<br />
die <strong>Roland</strong>-<strong>Berger</strong>-Studie „Innovation und<br />
Wachstum im <strong>Gesundheit</strong>swesen“ zeigt auf,<br />
wie Unternehmen vom Wachstumsmarkt<br />
<strong>Gesundheit</strong> profitieren können.<br />
PETER SENGE ET AL.:<br />
Presence: An<br />
Exploration of<br />
Profound Change in<br />
People, Organizations,<br />
and Society<br />
HERFRIED MÜNKLER:<br />
„Imperien. Die Logik<br />
<strong>der</strong> Weltherrschaft –<br />
vom Alten Rom bis zu<br />
den Vereinigten Staaten“<br />
AMITAI ETZIONI:<br />
„Die Verantwortungsgesellschaft.<br />
Individualismus<br />
und Moral in <strong>der</strong><br />
heutigen Demokratie“<br />
STUDIE:<br />
„Innovation und<br />
Wachstum im<br />
<strong>Gesundheit</strong>swesen“<br />
100-Dollar-Laptop kommt<br />
In think:act 1/2005 hat <strong>der</strong> US-Wissenschaftler Nicholas Negroponte<br />
seine Vision eines 100-Dollar-Laptops präsentiert. Jetzt steht<br />
fest: Der Massen-PC wird kommen. Der taiwanische Notebook-<br />
Hersteller Quanta wird den vom Media Lab des Massachusetts<br />
Institute of Technology entworfenen Laptop <strong>als</strong> „Original Design<br />
Manufacturer“ bauen. Das gab <strong>der</strong> Vorstand <strong>der</strong> Non-Profit-<br />
Organisation One Laptop per Child (OLPC) bekannt. Auch die<br />
Vereinten Nationen wollen die Initiative unterstützen. OLPC-<br />
Vorsitzen<strong>der</strong> Negroponte freut sich: „Alle Zweifel, dass ein sehr<br />
günstiger Laptop für Bildungszwecke in Entwicklungslän<strong>der</strong>n<br />
gebaut werden kann, sind nun ausgeräumt.“<br />
service@think-act.info<br />
Haben Sie Fragen an den Herausgeber o<strong>der</strong> das Redaktionsteam<br />
Interessieren Sie sich für Studien von <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong><br />
Strategy Consultants Schreiben Sie an service@think-act.info<br />
Impressum<br />
HERAUSGEBER<br />
Dr. Burkhard Schwenker, CEO<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
Stadthausbrücke 7<br />
20355 Hamburg<br />
Tel.: +49 40 37631-0<br />
LEITUNG<br />
Torsten Oltmanns<br />
REDAKTIONSBEIRAT<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants<br />
Dr. Christoph Kleppel, Felicitas<br />
Schnei<strong>der</strong><br />
VERLAG<br />
BurdaYukom Publishing GmbH<br />
Schleißheimer Str. 141<br />
80797 München<br />
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GESCHÄFTSFÜHRER<br />
Manfred Hasenbeck,<br />
Andreas Struck<br />
VERLAGSLEITER<br />
Dr. Christian Fill<br />
CHEFREDAKTION<br />
Alexan<strong>der</strong> Gutzmer (V.i.S.d.P.)<br />
ART-DIREKTION<br />
Blasius Thätter<br />
CHEF VOM DIENST<br />
Marlies Viktorin<br />
REDAKTION<br />
Elmar zur Bonsen, Michael Kuhli<br />
AUTOREN<br />
Helge Bendl, Christine Fehenberger,<br />
Markus Gärtner, Frank Grünberg, Heiko<br />
Hamann, Martin Kaluza, Gudrun Kosche,<br />
Hedda Möller, David Selbach<br />
GASTAUTOREN<br />
George Bickerstaffe (London), Stuart<br />
Crainer (London), Des Dearlove<br />
(London), Prof. Niall Ferguson (Harvard),<br />
Prof. Herfried Münkler (Berlin),<br />
Alexan<strong>der</strong> Ross (Berlin)<br />
LEKTORAT<br />
Dr. Michael Petrow (Ltg.), Marion<br />
Linssen, Agnes Schmid, Jutta Schreiner<br />
GRAFIK/GESTALTUNG<br />
Andrea Hüls, Heike Nachbaur,<br />
Robert Neuhauser<br />
PRODUKTION<br />
Wolfram Götz (Ltg.), Franz Kantner,<br />
Silvana Mayrthaler, Cornelia Sauer<br />
BILDREDAKTION<br />
Mitra Nadjafi<br />
BILDNACHWEISE<br />
Titelbil<strong>der</strong>: PR (3), Edward C. Curtis/Corbis,<br />
Thomas Thiessen (Illustration); S. 2 Jeff<br />
Lamb; S. 3 Hans-Bernhard Huber/laif;<br />
S. 4–5 Sebastian Ibler, Tamara Voninski/<br />
Fairfaxphotos, Christian Thomas, Robert<br />
Sirdey; S. 6 Sebastian Ibler; S. 8–9 Tamara<br />
Voninski/Fairfaxphotos; S. 12 John<br />
Drysdale/Getty Images; S. 15 Jacques<br />
Lowe/Picture Press; S. 16 Phil Loftus/<br />
Intertopics; S. 17 Corbis; S. 18 Keystone;<br />
S. 19 ActionPress; S. 20 PR, gezett.de; S. 24<br />
Edward C. Curtis/Corbis; S. 25–26 Robert<br />
Sirdey; S. 27 Sebastian Ibler; S. 28 Evan<br />
Agostini/Getty Images; S. 30 PR; S. 32 PR; S.<br />
34–37 Christian Thomas; S. 38–39 Intuitive<br />
Surgical Inc., Carnegie Mellon University,<br />
Cordis Medizinische Apparate GmbH; S. 40<br />
Rabih Moghrabi/ Getty Images; S. 42–44<br />
Ralph Zimmermann; S. 45 PR; S. 46 Jan<br />
Feindt/Die Illustratoren; S. 50–51<br />
Fraunhofer IAP/Armin Okulla, RWTH<br />
Aachen, Intel; S. 52 Yoshii Hiroshi; S. 55 BBC<br />
Worldwide Ltd.; S. 57 Boris Schmalenberger;<br />
S. 58–59 IEDC Bled (4), Miha Fras; S. 60<br />
Drake Sorey; S. 62 Design Continuum<br />
DRUCK<br />
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84048 Mainburg<br />
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AB C<br />
springer.de<br />
i<br />
Gestärkt aus <strong>der</strong> Krise<br />
Unternehmensfinanzierung in und nach <strong>der</strong> Restrukturierung<br />
M. Blatz, K. Kraus, <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants GmbH, Berlin;<br />
S. Haghani, <strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants GmbH, Düsseldorf (Hrsg.)<br />
Die Zahl von Unternehmenskrisen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Betroffene Firmen<br />
müssen restrukturiert werden. Es ist heute unstrittig, dass neben <strong>der</strong> Verbesserung des operativen<br />
Geschäfts und <strong>der</strong> strategischen Neuausrichtung auch die Neuordnung <strong>der</strong> Unternehmensfinanzierung<br />
elementarer Bestandteil einer Restrukturierung ist. Notwendig ist hierfür die Beherrschung<br />
des Corporate-Finance-Instrumentariums. Dieses Buch zeigt die sich daraus ergebenden Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
und Lösungen. Dabei steht die Steigerung des Unternehmenswerts im Vor<strong>der</strong>grund.<br />
Anhand mehrerer anonymisierter Fallstudien wird detailliert aufgezeigt, wie sich die finanzielle<br />
Restrukturierung in <strong>der</strong> Praxis umsetzen lässt und damit die Weichen für einen erfolgreichen<br />
Expansionskurs gestellt werden. Das Buch richtet sich vor allem an Praktiker, die sich einen fundierten<br />
Überblick über neue Entwicklungen im Bereich Rekapitalisierung von Unternehmen<br />
verschaffen wollen.<br />
Inhalt: Erfolgsfaktoren <strong>der</strong> Restrukturierung in Deutschland - neue Herausfor<strong>der</strong>ungen an die<br />
Unternehmensfinanzierung: Innovative Konzepte zur Krisenbewältigung. - Unternehmenssanierung<br />
in Deutschland. - Rekapitalisierung. - Aus <strong>der</strong> Krise zur Wertsteigerung: Wie Unternehmen in <strong>der</strong><br />
Restrukturierung hohe Renditen erreichen können. - Finanzielle Restrukturierung mittelständischer<br />
Unternehmen. - Verän<strong>der</strong>te Anfor<strong>der</strong>ungen an die Due Diligence. Ergebnisse aktueller Studien von<br />
<strong>Roland</strong> <strong>Berger</strong> Strategy Consultants: Deutsch-europäischer Restrukturierungs-Survey 2004/05.<br />
- Distressed Debt in Deutschland aus Sicht <strong>der</strong> Banken. Die finanzielle Restrukturierung in <strong>der</strong> Praxis<br />
- Fallbeispiele: Finanzielle Restrukturierung eines Pharmaunternehmens - Sanierung und Kapitalmarkt.<br />
- Wachstumsfinanzierung sichert die Restrukturierung ab. - Restrukturierung und Rekapitalisierung<br />
des HD Co.-Konzerns. - Rückkehr auf den Wachstumspfad - die Restrukturierung und<br />
Rekapitalisierung <strong>der</strong> Wind AG. - Einsatz von Desinvestitionen bei <strong>der</strong> Restrukturierung.<br />
2006.XII, 177 S. 64 Abb., 2 Tab. Geb<br />
ISBN 3-540-29416-3 € 34,95 | sFr 59.50<br />
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