(Re-)Konstruktionen der Wirklichkeit - Ludwig-Maximilians ...
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Bachelorarbeit für den BA-Studiengang Kunst und Multimedia an der Ludwig-Maximilians-Universität München »Realitätsveränderung als Auswirkung des Digital Imaging auf die künstlerische Fotografie « BEISPIELE VON THOMAS RUFF UND ANDREAS GURSKY Verfasser: Nikolai Klassen Matrikelnr.: 8063956 Siegrunestr. 3, 80639 München 089 / 176988 niko.klassen@googlemail.com Betreuerin: Dr. Karin Guminski Leopoldstr. 13, 80802 München karin.guminski@lmu.de Abgabedatum: 20. Juni 2011
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Bachelorarbeit<br />
für den<br />
BA-Studiengang Kunst und Multimedia<br />
an <strong>der</strong><br />
<strong>Ludwig</strong>-<strong>Maximilians</strong>-Universität München<br />
»<strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung als<br />
Auswirkung des Digital Imaging<br />
auf die künstlerische Fotografie «<br />
BEISPIELE VON THOMAS RUFF UND ANDREAS GURSKY<br />
Verfasser:<br />
Nikolai Klassen<br />
Matrikelnr.: 8063956<br />
Siegrunestr. 3, 80639 München<br />
089 / 176988<br />
niko.klassen@googlemail.com<br />
Betreuerin:<br />
Dr. Karin Guminski<br />
Leopoldstr. 13, 80802 München<br />
karin.guminski@lmu.de<br />
Abgabedatum:<br />
20. Juni 2011
Bachelorarbeit<br />
<strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung als Auswirkung des Digital Imaging<br />
auf die künstlerische Fotografie<br />
Beispiele von Thomas Ruff und Andreas Gursky<br />
Nikolai Klassen<br />
Abb. Titel (oben): Thomas Ruff, jpeg ev01, 2006 (Detail)<br />
Abb. Titel (unten): Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007 (Detail)
Inhalt<br />
EINLEITUNG........................................................................................................1<br />
1 FOTOGRAFISCHE WIRKLICHKEIT...............................................................3<br />
1.1 WIE NEHMEN WIR WAHR?.......................................................................3<br />
1.1.1 Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität..................................................................3<br />
1.1.2 Wahrnehmung von Fotografien...........................................................5<br />
1.2 DAS ABBILD DER REALITÄT IN FOTOGRAFIEN.....................................6<br />
1.2.1 <strong>Re</strong>alitätsdarstellung.............................................................................6<br />
1.2.2 <strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung...........................................................................8<br />
2 DIGITAL IMAGING........................................................................................11<br />
2.1 ANALOG UND DIGITAL............................................................................11<br />
2.2 WAS IST DIGITAL IMAGING?..................................................................14<br />
2.2.1 Digitale Bildaufnahme........................................................................15<br />
2.2.2 Digitale Bildbearbeitung.....................................................................16<br />
2.2.3 Digitale Bildwie<strong>der</strong>gabe.....................................................................21<br />
3 REALITÄT IN DER ZEITGENÖSSISCHEN FOTOKUNST............................23<br />
3.1 REALITÄTSVERÄNDERUNG IN DER FOTOKUNST...............................23<br />
3.1.1 <strong>Re</strong>alitätsbezug <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie in <strong>der</strong> Geschichte.......24<br />
3.1.2 <strong>Re</strong>alitätsdarstellung in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst....................26<br />
3.2 DIE DÜSSELDORFER SCHULE..............................................................29<br />
3.2.1 Der konzeptuelle Ansatz von Bernd und Hilla Becher........................29<br />
3.2.2 Das „Phänomen“ Düsseldorfer Schule..............................................31<br />
3.3 THOMAS RUFF........................................................................................33<br />
3.3.1 Werkübersicht und künstlerischer Ansatz..........................................33<br />
3.3.2 Die Serie jpegs – Hinterfragen des Mediums....................................35<br />
3.3.3 Jpegs und Paradises – Ruff im Vergleich mit Thomas Struth............38<br />
3.4 ANDREAS GURSKY.................................................................................40<br />
3.4.1 Werkübersicht und künstlerischer Ansatz..........................................40<br />
3.4.2 Gurskys Arbeitsweise am Beispiel von Hamm, Bergwerk Ost...........45<br />
3.4.3 Bibliothek – Gursky im Vergleich mit Candida Höfer..........................47
4 (RE-)KONSTRUKTIONEN DER WIRKLICHKEIT – DIE DIGITALEN<br />
REALITÄTEN DER FOTOKUNST.................................................................50<br />
4.1 EINORDNUNG RUFFS UND GURSKYS IN KATEGORIEN DER<br />
FOTOKUNST.............................................................................................50<br />
4.2 VERWENDUNG DES DIGITAL IMAGING BEI RUFF UND GURSKY.......51<br />
4.3 WAHRNEHMUNG UND (RE-)KONSTRUKTION DER REALITÄT............52<br />
ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT...................................................................54<br />
ANHANG...............................................................................................................I<br />
LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS......................................................II<br />
ABBILDUNGSVERZEICHNIS..............................................................................V<br />
ERKLÄRUNG.....................................................................................................VII
Einleitung<br />
Die Fotografie nimmt unter den Bildenden Künsten eine Son<strong>der</strong>rolle ein. Sie ist<br />
das einzige bildgebende Medium, welches Bil<strong>der</strong> hervorbringt, die durch die Din-<br />
ge selbst produziert werden, die es darstellt. Damit hat sie den klassischen bild-<br />
gebenden Medien wie <strong>der</strong> Malerei einiges voraus: Die Eigenschaft, die Welt so<br />
darstellen zu können, wie sie uns erscheint. Technische Verbesserungen haben<br />
stetig zu einer Optimierung dieser Darstellungsfähigkeit geführt. Seit Erfindung<br />
<strong>der</strong> Fotografie gibt es allerdings auch die gegenläufige Entwicklung, die Wie<strong>der</strong>-<br />
gabe <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität zu verän<strong>der</strong>n, zu manipulieren und nach eigenen Vorstellungen<br />
zu gestalten.<br />
Diese Entwicklung trat mit dem Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Technik in eine neue<br />
Phase ein. In Zeiten von Photoshop und Co. schwindet das Vertrauen, das die<br />
meisten Menschen in Fotografien als Abbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität setzen. Zu einfach<br />
und vielfältig scheinen heute die Manipulationsmöglichkeiten durch Digital Ima-<br />
ging. Was in einigen Bereichen <strong>der</strong> Fotografie als Problem angesehen wird, bie-<br />
tet <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie dagegen neue Möglichkeiten.<br />
Die Kunstwelt reagiert auf diese Entwicklung sehr unterschiedlich und es stellt<br />
sich die Frage, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die künstlerische Fo-<br />
tografie hat. Konkreter:<br />
Wie und aus welchen Gründen nutzen Fotokünstler das Digital Imaging, um<br />
die Darstellung von <strong>Re</strong>alität zu beeinflussen?<br />
Zur Beantwortung dieser Frage wird in <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit untersucht, wie<br />
sich die <strong>Re</strong>alität überhaupt in Fotografien darstellt und wie <strong>der</strong> Betrachter diese<br />
im Vergleich zur <strong>Re</strong>alität wahrnimmt. Welche Abweichungen kann es von <strong>der</strong><br />
wahrgenommenen <strong>Re</strong>alität geben und sind diese Abweichungen gewollt o<strong>der</strong><br />
werden sie nur hingenommen? Welche traditionellen und digitalen Techniken zur<br />
Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in Fotografien gibt es? Diese Fragen lassen sich allge-<br />
mein auf die Fotografie als Medium beziehen. Deren Beantwortung bildet die<br />
Grundlage für die weitere Analyse, die sich dann spezieller auf die Fotografie als<br />
Kunstgattung konzentriert.<br />
An einem historischen Abriss über die <strong>Re</strong>alitätsdarstellung in <strong>der</strong> Fotokunst<br />
und anhand <strong>der</strong> Arbeiten zweier zeitgenössischer Künstler wird beispielhaft un-<br />
tersucht, wie die <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie dargestellt wird. Hierbei<br />
1
wird auch <strong>der</strong> Vergleich von analogen zu digitalen Fotografien und Techniken ge-<br />
zogen. Dabei stehen die Fragen im Vor<strong>der</strong>grund, welcher Mittel sich die Künstler<br />
bedienen, um die <strong>Re</strong>alitätsdarstellung zu beeinflussen. Auch wird untersucht, ob<br />
ein Eingriff in die Abbildung immer eine Entfernung von <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität darstellt o<strong>der</strong><br />
ob durch das Digital Imaging diese nicht sogar treffen<strong>der</strong> repräsentiert werden<br />
kann.<br />
Der Untersuchungsverlauf glie<strong>der</strong>t sich in vier aufeinan<strong>der</strong> aufbauende Kapi-<br />
tel. Im ersten Kapitel wird beleuchtet, wie Fotografien im Vergleich zur <strong>Re</strong>alität<br />
wahrgenommen werden. Des Weiteren werden die Möglichkeiten zur Darstellung<br />
und Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in Fotografien betrachtet.<br />
Das zweite Kapitel wendet sich dem die heutige Fotografie beherrschenden<br />
Digital Imaging zu. Zunächst wird eine Abgrenzung <strong>der</strong> digitalen zur analogen<br />
Fotografie, mit Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede <strong>der</strong> alten und neu-<br />
en Aufnahmetechniken, vollzogen. Darauf folgt die Klärung des Begriffes des Di-<br />
gital Imaging und eine bebil<strong>der</strong>te Übersicht über die darunter versammelten<br />
Techniken, von <strong>der</strong> Aufnahme über die Bearbeitung bis hin zur Wie<strong>der</strong>gabe von<br />
Fotografien.<br />
Mit dem dritten Kapitel, welches den Schwerpunkt <strong>der</strong> Abhandlung darstellt,<br />
wendet sich die Arbeit konkreten Werkbeispielen zu. Ein Überblick über die Dar-<br />
stellung von <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Fotokunst sowie in zeitgenössischer<br />
Fotografie eröffnet die Analyse. Daraufhin wird anhand von zwei Vertretern <strong>der</strong><br />
so genannten Düsseldorfer Schule, Thomas Ruff und Andreas Gursky, gezeigt,<br />
welche verschiedenen Umgangsweisen mit <strong>der</strong> Digitaltechnik möglich sind und<br />
wie die Arbeiten dieser zeitgenössischen Fotokünstler dadurch beeinflusst wer-<br />
den. Auch hier ist <strong>der</strong> Blick speziell auf den Umgang mit <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>a-<br />
lität gerichtet.<br />
In einem vierten Teil werden die Ergebnisse <strong>der</strong> Analyse von Ruffs und Gurs-<br />
kys Werken zu den Erkenntnissen aus dem ersten und zweiten Teil in Bezug ge-<br />
setzt und Schlussfolgerungen dieser Betrachtung gezogen.<br />
2
1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />
Fotografien wird oft ein grundsätzliches Vertrauen entgegen gebracht, die <strong>Re</strong>ali-<br />
tät 1 darzustellen, man attestiert ihnen eine <strong>Wirklichkeit</strong>streue, einen ungefilterten<br />
Blick auf die Welt. Die Beantwortung, warum das so ist und welche Abweichun-<br />
gen von einer solchen Vorstellung von Fotos entstehen können, stehen im Vor-<br />
<strong>der</strong>grund des ersten Teils <strong>der</strong> Arbeit.<br />
Dabei wendet sich <strong>der</strong> Blick zunächst <strong>der</strong> Frage zu, wie wir die <strong>Re</strong>alität und<br />
<strong>der</strong>en Abbild überhaupt wahrnehmen. Ein weiterer Teil behandelt die bewusste<br />
<strong>Re</strong>alitätsdarstellung und -verän<strong>der</strong>ung durch Fotograf o<strong>der</strong> Fototechnik.<br />
1.1 WIE NEHMEN WIR WAHR?<br />
In den meisten Fällen gelingt es mühelos, von einer Fotografie auf die <strong>Re</strong>alität zu<br />
schließen und, mit etwas Übung, sich die <strong>Re</strong>alität als Foto vorzustellen. Warum<br />
dies so ist, hängt mit <strong>der</strong> Wahrnehmung von <strong>Re</strong>alität und Abbild zusammen, mit<br />
den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Prozessen des Sehens, des<br />
Fotografierens und des Betrachtens von Fotografien. Die Fotografie ist ein rein<br />
visuelles Medium, beschränkt sich also auf die visuell wahrgenommene <strong>Re</strong>alität.<br />
1.1.1 Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität<br />
Die Ähnlichkeit von Fotoapparat zu Sehapparat, von Kamera zu Auge erscheint<br />
zunächst offensichtlich. Wo das Auge eine Linse hat, ist bei <strong>der</strong> Kamera das Ob-<br />
jektiv, auch aus optischen Linsen bestehend. Der Lichteinfall wird durch eine<br />
Blende geregelt, beim Auge ist dies die Iris, bei einer Kamera sind es mehrere<br />
mechanische Blendenlamellen. Dahinter liegt ein Raum, durch den die von <strong>der</strong><br />
Linse gesammelten Lichtstrahlen ungehin<strong>der</strong>t auf die Aufnahmefläche fallen kön-<br />
nen. Beim Auge nimmt die Netzhaut, bei <strong>der</strong> Kamera nehmen <strong>der</strong> Film o<strong>der</strong> Auf-<br />
1 Wann immer in dieser Arbeit die <strong>Re</strong>de von „<strong>Re</strong>alität“ o<strong>der</strong> auch von „<strong>Wirklichkeit</strong>“ ist, ist damit<br />
die visuell wahrgenommene <strong>Re</strong>alität, wie sie von einem theoretisch angenommenen Durchschnittsbetrachter<br />
„objektiv“ beschrieben würde, gemeint (vgl. Kap. 1.1.1).<br />
Dass eine solche Wahrnehmung nicht ohne Wertung geschieht und ein solcher Durchschnittsbetrachter<br />
de facto nicht existiert, ist bekannt, für die folgende Abhandlung aber, wenn im Text<br />
nicht an<strong>der</strong>s ausgeführt, von untergeordneter Bedeutung.<br />
3
1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />
nahmesensor das Bild auf. 2 Doch trifft man beim weiteren Vergleich auf grund-<br />
sätzliche Unterschiede und teilweise erweisen sich die eben geschil<strong>der</strong>ten Analo-<br />
gien als unzureichend. Walter Benjamin schrieb in seinem wegweisenden Essay<br />
Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen <strong>Re</strong>produzierbarkeit, „daß es eine<br />
an<strong>der</strong>e Natur ist, die zu <strong>der</strong> Kamera als die zum Auge spricht. An<strong>der</strong>s vor allem<br />
dadurch, daß an die Stelle eines vom Menschen mit Bewußtsein durchwirkten<br />
Raums ein unbewußt durchwirkter tritt“. 3 Die Unterschiede sind also nicht in Ka-<br />
mera und Auge zu suchen, die nur die Rohbil<strong>der</strong> liefern, son<strong>der</strong>n im vom<br />
menschlichen (Unter-)Bewusstsein gesteuerten Sehprozess gegenüber dem fo-<br />
tografischen Prozess.<br />
In Sehen und Photographieren, einem <strong>der</strong> wenigen aktuellen Werke, die sich<br />
direkt mit dem Zusammenhang dieser Prozesse beschäftigen, beschreibt die Au-<br />
torin Schnelle-Schney<strong>der</strong> die Mechanismen des menschlichen Sehens. Schon<br />
die Gleichsetzung von Netzhaut und Film ist nicht korrekt: Im Gegensatz zum<br />
Film, <strong>der</strong> während <strong>der</strong> Belichtungszeit das gesamte Bild auf einmal aufnimmt und<br />
festhält, „scannt“ das Auge die Szene durch Bewegungen des Augapfels und des<br />
Kopfes kontinuierlich ab. Dabei wird nur ein kleiner Bereich im Sehzentrum<br />
scharf wahrgenommen. Durch Konzentration auf bestimmte Details findet, indem<br />
diese genauer betrachtet werden als an<strong>der</strong>e, ein Selektionsprozess statt. Im Ge-<br />
hirn erst fügen sich diese flüchtigen Eindrücke zu interpretierbaren Bil<strong>der</strong>n zu-<br />
sammen. Hier werden die Eindrücke weiter selektiert, strukturiert, interpretiert<br />
und bewertet. Was dabei bewusst wahrgenommen und was nur nebenbei gese-<br />
hen wird, hängt von den momentanen Intentionen und Wertungen des Betrach-<br />
ters ab sowie von <strong>der</strong> Brisanz des Wahrgenommenen. Bewegung erregt die Auf-<br />
merksamkeit, ebenso wie Unbekanntes o<strong>der</strong> Ungewöhnliches. Bei diesem<br />
gesamten Prozess ist die Zusammenarbeit zwischen Auge und Gehirn von größ-<br />
ter Bedeutung. Das Auge liefert lediglich Sinnesreize, die erst im Gehirn zu ver-<br />
wertbaren Informationen verarbeitet werden. 4<br />
Dies alles steht im Kontrast zum fotografischen Prozess, bei dem keine konti-<br />
nuierliche Aufzeichnung und Verarbeitung des Gesehenen, son<strong>der</strong>n das Festhal-<br />
ten von Momenten, bzw. kurzen Zeitabschnitten innerhalb <strong>der</strong> Belichtungszeit,<br />
zunächst einmal ungefiltert stattfindet. Wieso aber können Inhalte von Fotografi-<br />
2 Vgl. Schnelle-Schney<strong>der</strong>, 2003, S. 14ff.<br />
3 Zit. Benjamin, 1936, in: Schöttker, 2007, S. 22<br />
4 Vgl. Schnelle-Schney<strong>der</strong>, 2003, S. 20ff.<br />
4
1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />
en so leicht realen Gegenständen zugeordnet und das in einer Aufnahme Darge-<br />
stellte als Abbild <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität akzeptiert werden?<br />
1.1.2 Wahrnehmung von Fotografien<br />
Der Vergleich zwischen Auge und Kamera hat gezeigt, dass grundlegende Un-<br />
terschiede bestehen.<br />
Wieso Fotografien aber trotzdem so vertraut sind, könnte daran liegen, dass<br />
die Abweichungen des fotografischen Prozesses zum Sehen gar nicht so aus-<br />
schlaggebend sind. Schließlich durchläuft eine Fotografie, wenn sie betrachtet<br />
wird, den gleichen Sehprozess wie die <strong>Wirklichkeit</strong>. Die Augen durchsuchen das<br />
Bild nach markanten Details, <strong>der</strong> Betrachter filtert interessante Informationen<br />
heraus, interpretiert diese im Gehirn und fügt sie zu einem Bild zusammen. Wei-<br />
tere Selektionsprozesse finden schon viel früher bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Aufnahmen<br />
statt, sei es durch den Fotografen o<strong>der</strong> durch den Betrachter.<br />
Dennoch mag es Situationen geben, in denen ein Beobachter sich auf be-<br />
stimmte Details konzentriert hat, bei <strong>der</strong> Betrachtung einer Fotografie <strong>der</strong>selben<br />
Situation allerdings ganz an<strong>der</strong>e Details sieht und das Selektieren schwerer fällt.<br />
Hierin liegt aber auch eine beson<strong>der</strong>e Stärke <strong>der</strong> Fotografie, und zwar das Fest-<br />
halten und Sichtbarmachen von Details und Momenten, die sich <strong>der</strong> flüchtigen<br />
Wahrnehmung entziehen. 5 Dies führt zu <strong>der</strong> wohl grundlegendsten Differenz zwi-<br />
schen <strong>der</strong> Betrachtung von Fotografie und <strong>Wirklichkeit</strong>, nämlich dem Fehlen <strong>der</strong><br />
Bewegung, also <strong>der</strong> Zeit. Stattdessen entsteht die Möglichkeit des Festhaltens<br />
und Dokumentierens von Momenten.<br />
Ein weiterer Unterschied ist das Fehlen <strong>der</strong> Räumlichkeit. Diese kann aller-<br />
dings beim Betrachten durch die natürliche Erfahrung mit perspektivischer Ver-<br />
kürzung und Verdeckung von Gegenständen größtenteils rekonstruiert werden,<br />
ähnlich wie dies beim Sehen mit einem zugehaltenen Auge geschieht. 6<br />
Wenn es um die Wahrnehmung von Fotografien geht, darf man, unabhängig<br />
von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität nicht<br />
außer Acht lassen, dass schon allein deshalb ein so souveräner Umgang mit Fo-<br />
tografien als <strong>Re</strong>alitätszeugnisse existiert, weil ihre Verwendung in <strong>der</strong> heutigen<br />
Welt so selbstverständlich ist. Die heutige Bil<strong>der</strong>flut und <strong>der</strong> Einsatz von Fotos in<br />
den Massenmedien als Dokumente und Abbil<strong>der</strong> führt dazu, dass die Welt in Bil-<br />
5 Vgl. Fellmann, 1998, S. 194<br />
6 Vgl. Böhme, 2004, S. 117<br />
5
1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />
<strong>der</strong>n wahrgenommen wird: „Die Bil<strong>der</strong> werden selbst zur <strong>Wirklichkeit</strong>“ 7 und sind<br />
„zum Maßstab <strong>der</strong> Art und Weise geworden, in <strong>der</strong> […] die Dinge erscheinen.“ 8<br />
Dieser ständige Umgang mit Fotografien wie auch mit Film, Fernsehen und<br />
schließlich dem Internet schult den Blick. Es ist uns sowohl möglich, die Abbil-<br />
dungen in einer Fotografie zu betrachten, als auch den Blick umzuschalten und<br />
das Foto als Bild, als Medium wahrzunehmen. 9 Der <strong>Re</strong>zipient kann also sowohl<br />
die <strong>Re</strong>alität im Bild erkennen, sich aber <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität des Mediums dabei bewusst<br />
bleiben.<br />
1.2 DAS ABBILD DER REALITÄT IN FOTOGRAFIEN<br />
Die Untersuchung <strong>der</strong> Wahrnehmungsprozesse zeigte, dass Fotografien, trotz<br />
ihrer eingeschränkten Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität nur einen Sinneskanal bedienend<br />
sowie Zeitlichkeit und Räumlichkeit außer Acht lassend, als Abbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität<br />
akzeptiert werden.<br />
Dies ist zu einem Gutteil <strong>der</strong> Beziehung zwischen Abbild und Urbild zuzu-<br />
schreiben. Diese hat in <strong>der</strong> Literatur viele Bezeichnungen erhalten: Susan Son-<br />
tag beschreibt Fotografien in ihrem 1977 erschienenen Essay On Photography<br />
als „Bruchstücke <strong>der</strong> Welt“ 10 o<strong>der</strong> auch als „materielle Spur ihres Gegenstan-<br />
des“ 11 , Gernot Böhme nennt sie ein „natürliches Zeichen“ 12 und Bernd Stiegler<br />
ein „indexikalisches Zeichen“ 13 . Im Folgenden wird auf die durch diese Beziehung<br />
gegebene und durch den Fotografen und die Fototechnik beeinflussbare Darstel-<br />
lung bzw. Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität eingegangen.<br />
1.2.1 <strong>Re</strong>alitätsdarstellung<br />
Durch die fotografische Technik, auf optische und chemische bzw. elektronische<br />
Gesetzmäßigkeiten aufbauend, haben die Produkte dieses Mediums, die Foto-<br />
grafien, einen direkteren Bezug zu ihrem Ursprung, <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität, als dies bei ir-<br />
gendeinem an<strong>der</strong>en visuellen Medium, wie <strong>der</strong> Malerei o<strong>der</strong> Bildhauerei, <strong>der</strong> Fall<br />
7 Zit. Fellmann, 1998, S. 194<br />
8 Zit. Sontag, 2008, S. 86<br />
9 Vgl. Böhme, 2004, S. 119, 123<br />
10 Zit. Sontag, 2008, S. 10<br />
11 Ebd., S. 147<br />
12 Zit. Böhme, 2004, S. 116<br />
13 Zit. Stiegler, 2009, S. 49<br />
6
1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />
ist. Es ist ein Medium, welches automatische Bil<strong>der</strong> hervorbringt. 14 Das bedeutet<br />
auch, dass die Dinge, die eine Fotografie abbildet, existiert haben müssen. 15 Die<br />
Bedingungen <strong>der</strong> Technik zwingen das Abbild dazu, von einer gewissen Un-<br />
schärfe abgesehen, in jedem Punkt dem Ursprung zu entsprechen. 16 Fotografien<br />
haben also nicht nur einen indexikalischen Charakter, also die Eigenschaft, auf<br />
ihren Ursprung hinzuweisen, darüber hinaus ist die <strong>Re</strong>lation von Abbild und Ur-<br />
bild mit mathematischen Funktionen zu vergleichen, bei denen je<strong>der</strong> Ursprungs-<br />
wert einen Ergebniswert hat. 17<br />
Die Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in fotografischen Bil<strong>der</strong>n bzw. wie sehr diese von<br />
dem <strong>Re</strong>zipienten akzeptiert wird, ist allerdings in keinster Weise nur von <strong>der</strong><br />
Technik <strong>der</strong> Fotografie abhängig. Wichtig ist, wie <strong>der</strong> Fotograf diese einsetzt, um<br />
bestimmte Wirkungen zu erzielen. Der Fotograf hat, je nach Intention, Sujet und<br />
<strong>der</strong> eingesetzten Fototechnik, verschiedene Möglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alitätsdarstel-<br />
lung. Dabei gibt es unterschiedliche Strategien, die von neutraler, technisch per-<br />
fekter Abbildung bis zu einer gestischen Schnappschuss-Ästhetik reichen. 18<br />
Abb. 1: Bernd und Hilla Becher,<br />
För<strong>der</strong>turm, Fosse Dutemple,<br />
Valenciennes Nord et Pas-de-<br />
Calais, F 1967<br />
Die erste besteht darin, das Gesehene möglichst<br />
genau, unverzerrt und mit allen Details abzubilden.<br />
Hier wird <strong>der</strong> indexikalische Charakter <strong>der</strong> Fotogra-<br />
fie genutzt und mit technisch immer ausgereifteren<br />
Kameras die Präzision <strong>der</strong> Abbildung ausgereizt.<br />
Natürlich sind dabei in jedem Produktionsschritt<br />
Möglichkeiten zur Inszenierung und Manipulation<br />
gegeben, auf die später noch genauer einzugehen<br />
ist. Dieser Ansatz <strong>der</strong> präzisen Wie<strong>der</strong>gabe findet<br />
sich beispielsweise in <strong>der</strong> wissenschaftlichen Foto-<br />
grafie, in <strong>der</strong> dokumentarischen sowie in <strong>der</strong> Pro-<br />
duktfotografie. In einigen Genres ist Manipulation<br />
unbedingt zu vermeiden, beispielsweise bei wissen-<br />
schaftlichen Zwecken, in an<strong>der</strong>en, wie <strong>der</strong> Werbung, wird sie vielfach eingesetzt.<br />
Auch in <strong>der</strong> Alltagsfotografie, wenn es darum geht, Erinnerungen festzuhalten, ist<br />
genaue Abbildung oft erwünscht. In <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie findet sich die-<br />
14 Vgl. Böhme, 2004, S. 112<br />
15 Vgl. Belting, 2006, S. 215<br />
16 Vgl. Wortmann, 2004, S. 15<br />
17 Vgl. Böhme, 2004, S. 115<br />
18 Vgl. Grebe; Schnei<strong>der</strong>, 2004, S. 8<br />
7
1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />
ser Ansatz seltener. Ein prominentes Beispiel wird im dritten Teil dieser Arbeit an-<br />
geführt, das Werk von Bernd und Hilla Becher (s. Abb. 1).<br />
Geht es um die Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität und vor allem darum, wie real dem<br />
<strong>Re</strong>zipienten eine Fotografie erscheint, wie authentisch sie wirkt, spielt technische<br />
Perfektion oft eine untergeordnete Rolle. Oftmals wirken gerade solche Fotogra-<br />
fien beson<strong>der</strong>s realistisch und lebensnah, bei denen die technische <strong>Re</strong>lation von<br />
Abbild zu Urbild aufgebrochen ist. Dieser dem ersten völlig entgegengesetzte<br />
Ansatz mündete in einer Schnappschuss-Ästhetik, die Zufälligkeiten in <strong>der</strong> Bild-<br />
gestaltung und technische wie stilistische Mängel in Kauf nimmt. 19 Die Authentizi-<br />
tät solcher grobkörniger, fahrig komponierter, verwaschener Fotos lässt sich viel-<br />
leicht dadurch erklären, dass eine solche Bildsprache am ehesten mit <strong>der</strong><br />
Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität, die ja auf schnellem Abtas-<br />
ten <strong>der</strong> bewegten Umwelt basiert, im Einklang ist. Un-<br />
terstützt wird dies durch das massenhafte Auftreten sol-<br />
cher Bil<strong>der</strong> im Amateurbereich <strong>der</strong> Fotografie, die mit<br />
dem Ziel entstehen, das Leben authentisch festzuhal-<br />
ten. Diese Stilistik wird auch außerhalb des Amateurbe-<br />
reichs vielfältig angewandt, in Werbe-, Dokumentations-<br />
und Kunstfotografie. Als Beispiel sei das Werk Cartier-<br />
Bressons genannt, <strong>der</strong> die Genauigkeit <strong>der</strong> Abbildung<br />
<strong>der</strong> Konzentration auf den entscheidenden Moment un-<br />
terordnete (s. Abb. 2).<br />
Der <strong>Re</strong>alitätsgrad einer fotografischen Darstellung kann also sowohl von <strong>der</strong><br />
Sachlichkeit und Genauigkeit einer Aufnahme als auch von ihrer situativen<br />
Glaubwürdigkeit und Authentizität abhängen. 20<br />
1.2.2 <strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung<br />
Trotz des in den vorhergehenden Kapiteln erläuterten indexikalischen Charakters<br />
<strong>der</strong> Fotografie ergeben sich technisch bedingte Unschärfe, Körnigkeit, Verzer-<br />
rungen und Farbabweichungen. Diese zerstören nicht unbedingt den <strong>Re</strong>alismus<br />
<strong>der</strong> Abbildung, teilweise erhöhen sie ihn sogar. Dennoch sei <strong>der</strong> Vollständigkeit<br />
halber auf sie hingewiesen.<br />
19 Vgl. Wortmann, 2004, S. 19<br />
20 Vgl. Holschbach, 2004, S. 29<br />
Abb. 2: Henri Cartier-<br />
Bresson, Behind the Gare<br />
St. Lazare, 1932<br />
8
1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />
Unschärfe entsteht durch die begrenzte Genauigkeit, in <strong>der</strong> die optischen Syste-<br />
me <strong>der</strong> Kamera hergestellt werden können, o<strong>der</strong> auch von dem Fotografen ge-<br />
zielt eingesetzte Unschärfe, sei es Bewegungsunschärfe o<strong>der</strong> geringe Tiefen-<br />
schärfe. Unschärfe bedeutet, dass einem Punkt des Urbilds ein Hof, also Bereich<br />
auf dem Abbild entspricht. Körnigkeit entsteht durch das begrenzte Auflösungs-<br />
vermögen des Films bzw. des digitalen Aufnahmesensors und bedeutet umge-<br />
kehrt, dass einem Hof des Urbilds nur ein Punkt bzw. Bereich mit einheitlicher In-<br />
formation entspricht. 21 Schließlich ergeben sich, je nach eingesetzter Technik,<br />
Verzerrungen <strong>der</strong> Perspektive sowie Farbabweichungen. So gibt es optische<br />
Systeme, die die Perspektive verzerrt darstellen, wie z.B. Fisheye-Objektive,<br />
o<strong>der</strong> Filme, die für bestimmte Farbtemperaturen geeignet sind und bei Abwei-<br />
chung von diesen Farbstiche verursachen o<strong>der</strong> auf Farbdarstellung komplett ver-<br />
zichten und die Szene in Schwarz und Weiß darstellen. Dabei ist zu beachten,<br />
dass diese Verän<strong>der</strong>ungen nur im Vergleich zu <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung<br />
existieren. Innerhalb des eingesetzten Systems verhalten sie sich optischen so-<br />
wie chemischen bzw. elektronischen Gesetzen folgend korrekt.<br />
Nicht immer besteht die Intention, die <strong>Re</strong>alität unverän<strong>der</strong>t abzubilden. Dem<br />
Fotografen bieten sich vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, gerade mit diesen<br />
Abweichungen von <strong>der</strong> Wahrnehmung zu spielen und die Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>ali-<br />
tät zu gestalten und zu manipulieren. Dies sind keine neuen Entwicklungen.<br />
Durch das Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie sind zwar einige Optionen hinzu-<br />
Abb. 3: Frühes Beispiel einer Montage, erstellt aus 32 Negativen: Oscar G. <strong>Re</strong>jlan<strong>der</strong>, The Two<br />
Ways of Life, 1858<br />
21 Vgl. Böhme, 2004, S. 116<br />
9
1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />
gekommen, welche später behandelt werden sollen, die Möglichkeit zur Gestal-<br />
tung und Manipulation besteht aber schon seit Erfindung <strong>der</strong> Fotografie in <strong>der</strong><br />
ersten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, wie Abb. 3 zeigt. 22<br />
Die Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung und Manipulation, die hier ohne Anspruch<br />
auf Vollständigkeit aufgezählt seien, reichen von <strong>der</strong> Motivwahl noch vor Betäti-<br />
gen des Auslösers bis zu Entscheidungen über die letztendliche Darstellung des<br />
fertigen Werkes. Eine erste Entscheidung stellt die Wahl des Aufnahmemediums<br />
dar. Handelt es sich um eine analoge o<strong>der</strong> digitale Kamera, welche Größe und<br />
Format hat die Aufnahmefläche, wird ein Schwarz-weiß-, Farbnegativ- o<strong>der</strong> Dia-<br />
positivfilm o<strong>der</strong> ein elektronischer Sensor eingesetzt? Dies entscheidet über spä-<br />
tere Möglichkeiten <strong>der</strong> Manipulation, <strong>der</strong> Präsentation und damit auch <strong>der</strong> Wir-<br />
kung auf den Betrachter. Auch liegt in <strong>der</strong> Wahl des Filmes die Entscheidung<br />
über Farbe o<strong>der</strong> Schwarz-weiß. Beim Aufnehmen selbst bietet die Kamera dem<br />
Fotografen eine Palette an Gestaltungsoptionen. Die aufgenommene Lichtmen-<br />
ge wird über Blende und Belichtungszeit bestimmt, die Brennweite <strong>der</strong> Optik legt<br />
den Bildausschnitt und zusammen mit <strong>der</strong> Blende die Tiefenschärfe fest. Die<br />
Darstellung von Bewegung geschieht über die Länge <strong>der</strong> Belichtung. Während<br />
<strong>der</strong> Entwicklung und Bearbeitung, sei es in <strong>der</strong> Dunkelkammer o<strong>der</strong> am Compu-<br />
ter, kann Farbe, Kontrast und Helligkeit weiter beeinflusst, die Schärfe angepasst<br />
sowie <strong>der</strong> Ausschnitt verän<strong>der</strong>t werden. Sowohl bei analogen als auch bei digita-<br />
len Techniken bietet sich darüber hinaus die Möglichkeit zur <strong>Re</strong>tusche, Manipula-<br />
tion bis hin zur Collagetechnik. Schlussendlich ergeben sich durch Entscheidun-<br />
gen über die Präsentation verschiedentliche Wirkungen, durch Einsatz<br />
beson<strong>der</strong>er Papiere, durch Rahmung und durch die Größe des Ausgabefor-<br />
mats. 23 Auf diesen gesamten Gestaltungsprozess, vor allem dem digitalen wird<br />
im zweiten Teil <strong>der</strong> Arbeit genauer eingegangen.<br />
22 Vgl. Grebe; Schnei<strong>der</strong>, 2004, S. 7<br />
23 Vgl. Böhme, 2004, S. 111f.<br />
10
2 Digital Imaging<br />
Die fortschreitende Digitalisierung <strong>der</strong> Welt verän<strong>der</strong>te nahezu alle Bereiche des<br />
menschlichen Lebens. Dies gilt auch für fast sämtliche bildgebenden Medien und<br />
so auch für die Fotografie. Durch elektronische Aufnahmesensoren wurde das<br />
chemische Filmmaterial und durch den Computer die Dunkelkammer fast voll-<br />
ständig ersetzt. Die Grundlagen <strong>der</strong> Fotografie sind weitgehend gleich geblieben,<br />
die unter dem Begriff „Digital Imaging“ versammelten Arbeitsabläufe aber haben<br />
sich gegenüber <strong>der</strong> bisherigen Technik entscheidend vereinfacht und die Gestal-<br />
tungsmöglichkeiten für Fotografen sich deutlich erweitert.<br />
Im folgenden Kapitel wird <strong>der</strong> Begriff „Digital Imaging“ mit anschaulichen Bei-<br />
spielen erläutert. 24 Zunächst jedoch liegt <strong>der</strong> Augenmerk auf den Gemeinsamkei-<br />
ten und Unterschieden gegenüber <strong>der</strong> analogen Fotografie.<br />
2.1 ANALOG UND DIGITAL<br />
Fotografie existiert heutzutage auf Basis von zwei unterschiedlichen Technologi-<br />
en, <strong>der</strong> analogen und <strong>der</strong> digitalen. Beide bedienen sich dabei zunächst <strong>der</strong> glei-<br />
chen Prinzipien <strong>der</strong> Optik und Physik, um ein Bild auf die Aufnahmefläche zu<br />
projizieren. Dies ist leicht dadurch erkennbar, dass es Objektive gibt, die prinzipi-<br />
ell sowohl mit analogen als auch mit digitalen Kameras benutzt werden können.<br />
Die Techniken, um das Bild schließlich aufzuzeichnen und zu speichern, unter-<br />
scheiden sich allerdings grundlegend. Analog bedeutet in diesem Zusammen-<br />
hang kontinuierliche im Gegensatz zur diskreten, also abgestuften <strong>Re</strong>präsentati-<br />
on. 25 In <strong>der</strong> analogen Fotografie – auch nach dem Prozess benannt, etwas<br />
Ähnliches, einem Vorbild entsprechendes, sprich analoges Abbild zu erzeugen –<br />
fallen die durch das Objektiv gelenkten Lichtstrahlen auf einen mit Silberhaloge-<br />
nidkörnchen beschichteten Film. Darauf entsteht durch Lichteinwirkung ein laten-<br />
tes Bild, welches durch chemische Entwicklung des Films als Negativ o<strong>der</strong> Dia-<br />
positiv sichtbar gemacht und fixiert wird. In einem weiteren Prozess können<br />
24 Alle Abbildungen in Kap. 2 stammen vom Autor dieser Arbeit.<br />
25 Vgl. Mitchell, 2007, S. 247<br />
11
2 Digital Imaging<br />
damit positive Kontaktkopien o<strong>der</strong> Vergrößerungen auf Papier gebracht wer-<br />
den. 26<br />
In <strong>der</strong> digitalen Fotografie werden die gesammelten Lichtstrahlen von einem<br />
aus einem Raster lichtempfindlicher Halbleiter bestehenden Sensor aufgenom-<br />
men, in diskrete Werte umgerechnet und direkt in <strong>der</strong> Kamera in codierte Daten<br />
konvertiert und auf einem Speichermedium abgelegt. 27<br />
Wo die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und jeweiligen Vor- und Nachteile lie-<br />
gen, zeigt die folgende Gegenüberstellung.<br />
Analog Digital<br />
Materielle Speicherung Immaterielle Speicherung<br />
Kontinuierliche <strong>Re</strong>präsentation Diskrete <strong>Re</strong>präsentation<br />
Bildgebung durch Chemie Bildgebung durch Elektronik<br />
Filmkorn als kleinste Informationseinheit Pixel als kleinste Informationseinheit<br />
Original (Negativ/Dia) vorhanden Kein Original vorhanden<br />
Kopie verlustbehaftet Kopie verlustfrei<br />
Keine Bildvorschau Direkte Bildvorschau<br />
Bearbeitung in Dunkelkammer Bearbeitung am Computer<br />
Bearbeitung langwierig und aufwändig Bearbeitung schnell und relativ einfach<br />
Tab. 1: Unterschiede analoger und digitaler Fotografie (eigene Zusammenstellung)<br />
Die grundlegenden Unterschiede entstehen durch die verschiedenen Speicher-<br />
technologien, allein schon daran erkennbar, dass analoges Material ohne Hilfs-<br />
mittel gesichtet werden kann, digitales aber eine komplexe Wie<strong>der</strong>gabetechnik<br />
benötigt. Alle weiteren Differenzen leiten sich davon ab. Unterschiede in <strong>der</strong><br />
Qualität <strong>der</strong> Abbildung ergeben sich vor allem durch Feinheit des Korns und Dy-<br />
namik beim Film gegenüber <strong>der</strong> Auflösung und Farbtiefe des digitalen Sensors<br />
(vgl. Abb. 4 u. Abb. 5). Diese beiden Qualitäten geben jeweils an, wie detailliert<br />
das Motiv abgebildet wird und welcher Helligkeitsumfang dargestellt werden<br />
kann. Die digitale Technik hat hier einen theoretischen Nachteil durch die Trans-<br />
formation kontinuierlicher zu diskreten Werten. Dieser kann durch immer feinere<br />
Abtastung mo<strong>der</strong>ner Sensoren aber weitgehend aufgehoben werden. Durch die-<br />
se Abspeicherung in einzelnen Bildelementen, genannt Pixel, und <strong>der</strong>en <strong>Re</strong>prä-<br />
sentation durch numerische Werte, ergeben sich für die <strong>Re</strong>produzierbarkeit, Be-<br />
26 Vgl. Wolf, 2010, S. 25<br />
27 Ebd.<br />
12
2 Digital Imaging<br />
arbeitung und Distribution wie<strong>der</strong>um klare Vorteile. Analoges Material lässt sich<br />
zwar auch reproduzieren, dies ist jedoch immer mit einem Verlust an Information<br />
verbunden. Eine digitale Kopie gleicht <strong>der</strong> Originaldatei jedoch Bit für Bit und ist<br />
einfach erstellt. Dadurch dass jedes Pixel als numerischer Wert vorliegt, kann<br />
auch jedes Bildelement verän<strong>der</strong>t und neu berechnet werden. Durch die Unab-<br />
hängigkeit von einem physischen Medium sowie durch die Schnelligkeit <strong>der</strong> Be-<br />
arbeitung und Möglichkeit <strong>der</strong> einfachen <strong>Re</strong>produktion ist die Verbreitung viel<br />
einfacher und auf viel mehr Wegen möglich, sei es über das Internet, durch<br />
Printmedien o<strong>der</strong> auf klassischem Weg durch Erstellen von Vergrößerungen. 28<br />
Abb. 4: Bei<br />
starker Vergrößerung<br />
zeigen<br />
sich die ungeordnetenRunzelkörner<br />
einer<br />
analogen Filmaufnahme<br />
Diese vielen offensichtlichen Vorteile <strong>der</strong> digitalen Fotografie bringen aber auch<br />
einige Nachteile mit sich. Lange Zeit stand die Fotografie in <strong>der</strong> Kritik, Bil<strong>der</strong><br />
ohne „Aura“ 29 zu produzieren. Dieser von Walter Benjamin in diesem Zusammen-<br />
hang geprägte Begriff beschreibt die Echtheit und Autorität einer Sache. In Das<br />
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen <strong>Re</strong>produzierbarkeit, in den 30er Jah-<br />
ren des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts entstanden, stellt er die These auf, dass nur durch tra-<br />
ditionelle Weise entstandene, vom Menschen geschaffene, als Originale existie-<br />
rende Kunstwerke eine Aura haben und diese im Zeitalter <strong>der</strong> <strong>Re</strong>produzierbarkeit<br />
verkümmere. 30 Der Vergleich von analoger zu digitaler Fotografie zeigt einige<br />
Parallelen. Während man aufwändig gestalteten Fotoabzügen, in Kleinstarbeit im<br />
Labor entstanden, durchaus eine Aura zusprechen mag, sehen viele diese in di-<br />
gitalen Fotografien endgültig verloren. Das Argument <strong>der</strong> <strong>Re</strong>produzierbarkeit,<br />
welches Benjamin anführte, wiegt für digitale Kunst viel schwerer. Ein digitalisier-<br />
tes Bild lässt sich schließlich mit wenigen Mausklicks beliebig oft und vollkom-<br />
men identisch kopieren. 31 Die Leichtigkeit <strong>der</strong> Bearbeitung führt zu einem Verlust<br />
28 Vgl. Mitchell, 2007, S. 247ff.; Vgl. Mitchell, 1992, S. 60ff.; The <strong>Re</strong>configured Eye von W. J. Mitchell<br />
wird trotz seines frühen Erscheinungsdatums 1992 oft noch als „wichtigste Autorität“ (vgl.<br />
Mitchell, 2007, S. 242; hierbei handelt es sich um einen an<strong>der</strong>en Autor gleichen Namens) bei<br />
<strong>der</strong> Diskussion um Digital Imaging angesehen.<br />
29 Zit. Benjamin, 1936, S. 4<br />
30 Vgl. Benjamin, 1936, S. 4f.<br />
31 Vgl. Mitchell, 2007, S. 250f.<br />
Abb. 5: Eine<br />
digitale Aufnahmehingegen<br />
besteht<br />
aus geordneten<br />
gleichmäßigen<br />
Pixeln<br />
13
2 Digital Imaging<br />
an Vertrauen in Bezug auf die dokumentarische Funktion <strong>der</strong> Fotografie. 32 Daran<br />
än<strong>der</strong>t nichts, dass die Möglichkeit <strong>der</strong> Manipulation schon seit Erfindung <strong>der</strong> Fo-<br />
tografie gegeben war. 33<br />
Die Gegenüberstellung analoger und digitaler Fotografie zeigt grundlegende<br />
Unterschiede. Diese sind allerdings weitgehend technischer Natur und die Praxis<br />
zeigt, dass beides je nach Einsatzgebiet verwendet und teilweise sogar kombi-<br />
niert wird. Der wichtigste Unterschied für den weiteren Untersuchungsverlauf ist<br />
die Manipulierbarkeit <strong>der</strong> fotografischen Daten. Auch wenn dies keine Erfindung<br />
<strong>der</strong> digitalen Fotografie ist, ist die Palette an Möglichkeiten doch stark angewach-<br />
sen. Der folgende Abschnitt gibt eine Übersicht über diese unter dem Begriff „Di-<br />
gital Imaging“ versammelten Techniken.<br />
2.2 WAS IST DIGITAL IMAGING?<br />
„Digital Imaging“ ist ein Sammelbegriff für sämtliche Erzeugung und Wie<strong>der</strong>gabe<br />
verschiedenster digitaler Bil<strong>der</strong>. Darunter fallen sowohl digitale Malereien, Zeich-<br />
nungen, Fotografien und Filmstills als auch durch den Computer generierte Bil-<br />
<strong>der</strong>. Sie können entwe<strong>der</strong> direkt im Computer entstehen o<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> analogen Ur-<br />
sprungs sein, die zur Weiterverarbeitung digitalisiert werden. 34<br />
In dieser Arbeit wird „Digital Imaging“ vor allem als Sammelbegriff für die Pro-<br />
zesse <strong>der</strong> digitalen Aufnahme von Fotografien, <strong>der</strong>en Bearbeitung bis hin zur ih-<br />
rer Wie<strong>der</strong>gabe benutzt, da vergleichbare deutsche Begriffe meist nur einen die-<br />
ser Bereiche bezeichnen. In allen drei Bereichen gibt es jeweilige Parallelen zur<br />
analogen Fotografie. Auch ist anzumerken, dass bei beiden Technologien <strong>der</strong><br />
Weg von Bildaufnahme bis zur Wie<strong>der</strong>gabe beliebig aufwändig gestaltet sein<br />
kann. Wo im analogen Bereich eine Polaroid-Sofortbildkamera ohne Umschweife<br />
ein Bild liefert, zeigt eine digitale Kamera direkt nach <strong>der</strong> Aufnahme das Ergebnis<br />
auf ihrem Bildschirm. An<strong>der</strong>erseits stehen sich komplizierte Dunkelkammertech-<br />
niken und aufwändige Bearbeitungen am Computer gegenüber.<br />
32 Vgl. Wolf, 2010, S. 29<br />
33 Vgl. Schnelle-Schney<strong>der</strong>, 2003, S. 150<br />
34 Vgl. Wands, 2006, S. 32<br />
14
2 Digital Imaging<br />
Die folgenden Abschnitte beschreiben die Möglichkeiten und Techniken <strong>der</strong> digi-<br />
talen Bildaufnahme, -bearbeitung und -wie<strong>der</strong>gabe, nicht ohne an geeigneter<br />
Stelle auf die Parallelen zur analogen Technik hinzuweisen.<br />
2.2.1 Digitale Bildaufnahme<br />
Die Aufnahme digitaler Fotos kann entwe<strong>der</strong> direkt über eine Kamera geschehen<br />
o<strong>der</strong> indirekt durch Digitalisierung einer bestehenden analogen Aufnahme per<br />
Scanner. Beide Techniken haben ihre Vor- und Nachteile. Der Vorteil des Eins-<br />
cannens besteht darin, dass die positiven Eigenschaften von Filmmaterial – sei<br />
es die hohe Auflösung großformatiger Negative bzw. Dias, die charakteristische<br />
Farbwie<strong>der</strong>gabe o<strong>der</strong> <strong>der</strong> hohe Dynamikumfang analogen Materials – mit den<br />
Vorteilen <strong>der</strong> digitalen Verarbeitung verbunden werden können. Der Vorteil <strong>der</strong><br />
direkten Bildaufnahme per Kamera liegt im schnellen, unkomplizierten und einfa-<br />
chen Arbeitsablauf sowie in <strong>der</strong> sofortigen Ergebniskontrolle.<br />
Bei <strong>der</strong> indirekten Aufnahme per Scanner wird im Idealfall direkt das Negativ<br />
bzw. Diapositiv gescannt, da dieses – im Gegensatz zu Fotoabzügen als Scan-<br />
vorlage – die kompletten Bildinformationen enthält. Dazu wird ein so genannter<br />
Durchlichtscanner benötigt, <strong>der</strong> das transparente Filmmaterial von <strong>der</strong> Gegensei-<br />
te beleuchtet. Spezielle Scanprogramme bieten diverse Optimierungstechnologi-<br />
en an, zur korrekten Umsetzung eines Farbnegativs in ein Positiv, zur Staub- und<br />
Kratzerentfernung sowie zur Helligkeits- und Kontrastverbesserung. Die erzielba-<br />
re Qualität hängt von <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> Scanvorlage sowie <strong>der</strong> Feinheit <strong>der</strong> Ab-<br />
tastung beim Scannen ab. 35<br />
Die direkte Aufnahme per Digitalkamera ist heutzutage die am weitesten ver-<br />
breitete Art <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>zeugung überhaupt. Die Leichtigkeit <strong>der</strong> Bedienung und<br />
Schnelligkeit, in <strong>der</strong> die Ergebnisse betrachtet werden können, macht die digitale<br />
Fotografie bei Amateuren beson<strong>der</strong>s beliebt, die stetig steigende Präzision, Zu-<br />
verlässigkeit und Fähigkeit mo<strong>der</strong>ner Kameras, noch in Extremsituationen<br />
brauchbare Ergebnisse zu liefern, macht sie für Profis zu einem unverzichtbaren<br />
Werkzeug. Aktuelle Kameras gibt es von <strong>der</strong> Handykamera über semiprofessio-<br />
nelle Spiegelreflexkameras bis zu digitalen Rückteilen für Großformatkameras in<br />
allen erdenklichen Preisregionen für die verschiedensten Einsatzgebiete.<br />
35 Vgl. Mitchell, 1992, S. 64<br />
15
2.2.2 Digitale Bildbearbeitung<br />
2 Digital Imaging<br />
Wurde ein Foto aufgenommen, sei es per Kamera o<strong>der</strong> Scanner, findet <strong>der</strong><br />
nächste Schritt am Computer statt. Hier ist eine ganze Palette an Werkzeugen<br />
und Techniken zur Bildbearbeitung verfügbar. Einige Techniken zielen darauf ab,<br />
Fotos zu optimieren, um sich so in <strong>der</strong> Abbildung <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Wunschvorstellung von ihr, die <strong>der</strong> Fotograf während <strong>der</strong> Aufnahme entwickelte,<br />
zu nähern. An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um ermöglichen die Gestaltung und Manipulation <strong>der</strong><br />
Darstellung, um so völlig an<strong>der</strong>e Wirkungen, Aussagen und Kontexte herzustel-<br />
len. 36<br />
Die vielfältigen Möglichkeiten <strong>der</strong> Bildbearbeitung lassen sich vereinfachend in<br />
drei Kategorien einteilen: erstens Techniken zur Optimierung von Fotografien,<br />
also um Bildfehler zu korrigieren, <strong>der</strong> wahrgenommenen <strong>Re</strong>alität näher zu kom-<br />
men und dabei ein allgemein ansprechen<strong>der</strong>es Ergebnis zu erhalten, zweitens<br />
Techniken zur Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Abbildung und <strong>der</strong> Bildwirkung, ohne jedoch da-<br />
bei den Inhalt abzuwandeln und drittens Manipulationen und Verän<strong>der</strong>ungen<br />
nicht nur <strong>der</strong> Wirkung, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> inhaltlichen Aussage bis hin zur kom-<br />
pletten Neugestaltung <strong>der</strong> Szenerie o<strong>der</strong> Kombination mit an<strong>der</strong>en Motiven. Die-<br />
se drei Kategorien sind nicht klar voneinan<strong>der</strong> abgegrenzt. Beispielsweise kön-<br />
nen manipulative Eingriffe zur Bildoptimierung gemacht werden, ohne die<br />
Absicht, die inhaltliche Aussage zu verän<strong>der</strong>n.<br />
Diese verschiedenen Grade <strong>der</strong> Bearbeitung und Manipulation werden bei-<br />
spielhaft an einem einfachen Motiv (s. Abb. 6) demonstriert. Zu je<strong>der</strong> Kategorie<br />
sind einige typische, anschauliche Varianten dieses Motivs aufgeführt. Die Bear-<br />
beitung erfolgte durch den Autor dieser Arbeit mithilfe des Programms Photo-<br />
shop, welches Marktführer im Bereich <strong>der</strong> professionellen Bildbearbeitungssoft-<br />
ware ist. 37 Die Motivvarianten demonstrieren die verschiedenen Möglichkeiten<br />
und ihre Konsequenzen in Bezug auf die <strong>Re</strong>alitätsdarstellung. Für jede Kategorie<br />
werden sowohl Beispiele gezeigt, die trotz vorgenommener Verän<strong>der</strong>ungen reali-<br />
tätsnah bleiben und solche, die unrealistische Szenarien zeigen. Auch kommen<br />
Techniken vor, die schon für die analoge Fotografie zur Verfügung standen und<br />
an<strong>der</strong>e, die erst durch die digitale Bildbearbeitung realisierbar wurden.<br />
Die erste Kategorie, die <strong>der</strong> Bildoptimierung, wird am häufigsten eingesetzt<br />
und kann meist schon mit einfachen Bildbearbeitungsprogrammen durchgeführt<br />
36 Folgendes Kapitel beruht auf eigenen Erfahrungen und orientiert sich, falls nicht an<strong>der</strong>s angegeben,<br />
an The <strong>Re</strong>configured Eye von W.J. Mitchell (Mitchell, 1992, S. 87ff., 163ff.).<br />
37 Vgl. Kaplun, 2010, S. 5<br />
16
2 Digital Imaging<br />
werden. Unter Bildoptimierung wird an dieser Stelle das Korrigieren von Bildfeh-<br />
lern und dem Erzielen einer passen<strong>der</strong>en ästhetischen Wirkung verstanden,<br />
ohne dabei den Bildgehalt zu verän<strong>der</strong>n. Typische Optimierungsaufgaben sind<br />
das Beschneiden des Bildes zu einem interessanteren Bildausschnitt, teilweise<br />
verbunden mit dem Gera<strong>der</strong>ücken des Motivs. Des weiteren Anpassungen <strong>der</strong><br />
Helligkeit, um Fehlbelichtung auszugleichen sowie <strong>der</strong> Tonwertabstufungen, um<br />
Kontraste zu verbessern. Durch die Einstellung des Weißabgleichs können Farb-<br />
stiche, die z.B. durch Aufnahme bei Kunstlicht entstehen, entfernt werden. Durch<br />
den Einsatz von Scharfzeichnungsfiltern kann <strong>der</strong> Schärfeeindruck verbessert<br />
werden (s. Abb. 7).<br />
Solche Bildoptimierungen ließen sich durch den Einsatz unterschiedlicher<br />
Härtegrade <strong>der</strong> Fotopapiere und verän<strong>der</strong>ter Entwicklungsparameter auch weit-<br />
gehend in <strong>der</strong> Dunkelkammer realisieren.<br />
Abb. 6: Die unbearbeitete<br />
Originalaufnahme<br />
Optimierungen dieser Art finden typischerweise auch vollautomatisch in mo<strong>der</strong>-<br />
nen Digitalkameras statt. Der spätere Eingriff am Computer erlaubt allerdings<br />
eine Bearbeitung, bei <strong>der</strong> man auf die Eigenarten <strong>der</strong> Aufnahme gezielt eingehen<br />
kann. Normalerweise versucht man bei <strong>der</strong> Bearbeitung eine realitätsnahe Wir-<br />
kung beizubehalten.<br />
Abb. 7: Das Foto wurde gerade gerückt,<br />
beschnitten und geschärft. Helligkeit und<br />
Kontrast wurden angepasst sowie ein<br />
Farbstich entfernt.<br />
17
2 Digital Imaging<br />
Alle Optimierungseinstellungen können aber auch in übertriebener Form ange-<br />
wendet werden, wodurch die Bildwirkung stark verän<strong>der</strong>t wird. Ein solches Vor-<br />
gehen ist zur zweiten Kategorie zu zählen.<br />
Die nächste Kategorie, die <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Abbildung und ihrer Wirkung,<br />
geht einen Schritt weiter als die <strong>der</strong> Bildoptimierung. Während sich die Bildwir-<br />
kung bei <strong>der</strong> Optimierung nur wenig än<strong>der</strong>t, können durch Einsatz diverser Ef-<br />
fekt-Filter und Verzerrungen gänzlich an<strong>der</strong>e und auch unrealistische Wirkungen<br />
erzielt werden.<br />
Abb. 8: Eine Konvertierung<br />
in Graustufen.<br />
Die Einstellung für die<br />
Umwandlung simulieren<br />
einen Blaufilter,<br />
<strong>der</strong> die roten Wellenlängen<br />
herausfiltert.<br />
Bildbearbeitungsprogramme wie Photoshop bieten dazu<br />
eine ganze Palette von vorgefertigten Effekt-Filtern an. Ein<br />
Beispiel für eine noch realistisch anmutende Filterung ist<br />
ein Herausfiltern <strong>der</strong> Farbinformationen und dadurch dem<br />
Simulieren einer Schwarz-weiß-Aufnahme (s. Abb. 8).<br />
Auch Verzerrungen bzw. perspektivische Entzerrungen<br />
durch geometrisches Verschieben <strong>der</strong> Bildinformation las-<br />
sen sich realitätsnah einsetzen, z.B. um stürzende Linien<br />
auszugleichen. Durch extreme Einstellungen lassen sich<br />
aber sowohl in <strong>der</strong> Farbdarstellung als auch in <strong>der</strong> Verzer-<br />
rung des Bildinhalts unwirkliche Eindrücke erzielen (s. Abb.<br />
9 u. Abb. 10).<br />
Des Weiteren gibt es Effekte, die be-<br />
stimmte künstlerische Techniken si-<br />
mulieren sollen. Beispielsweise kann<br />
durch <strong>Re</strong>duzierung <strong>der</strong> Farbabstufun-<br />
gen auf wenige Tonwerte und <strong>der</strong><br />
Vereinfachung <strong>der</strong> Kanten ein Colla-<br />
geeffekt erzielt werden (s. Abb. 11).<br />
Effekte dieser Art waren in <strong>der</strong> Dun-<br />
kelkammer schwer zu erzeugen.<br />
Durch Mehrfachbelichtung, Vorbe-<br />
handlung des Fotopapiers o<strong>der</strong> Ver-<br />
än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> üblichen Entwicklungs-<br />
vorgänge gelangen durchaus<br />
malerische Effekte. 38<br />
38 Vgl. z.B. Andreas Feininger, Akt (Runzelkorntechnik), 1929, in: Buchsteiner; Feininger, 2004,<br />
S. 45<br />
Abb. 9: Die Falschfarben<br />
dieser Version<br />
entstanden durch einen<br />
Solarisationsfilter. Solarisation<br />
wurde bereits<br />
in <strong>der</strong> Dunkelkammer<br />
durch verän<strong>der</strong>te Entwicklungsabläufeeingesetzt,<br />
allerdings nur<br />
in Schwarz-weiß.<br />
Abb. 10: Ein Verzerrungsfilter,<br />
<strong>der</strong> alle<br />
Bildelemente nach<br />
bestimmtem Muster (in<br />
diesem Fall strudelförmig)<br />
und Stärke versetzt,<br />
wurde eingesetzt.<br />
18
Abb. 11: Einer <strong>der</strong><br />
vielen Effekt-Filter in<br />
Photoshop, die<br />
malerische, zeichnerische<br />
o<strong>der</strong> Collagetechniken<br />
simulieren<br />
sollen, in diesem Fall<br />
„Farbpapiercollage“.<br />
2 Digital Imaging<br />
Bei Bearbeitungen <strong>der</strong> dritten Kategorie wird nicht nur die<br />
Bildwirkung, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Bildinhalt direkt verän<strong>der</strong>t.<br />
Durch die Speicherung des Bildes als Matrix einzelner nu-<br />
merischer Bildpunkte 39 ist nicht nur die „globale“ Verände-<br />
rung <strong>der</strong> gesamten Bildfläche, wie es weitgehend in den<br />
letzten Beispielen <strong>der</strong> Fall war, son<strong>der</strong>n auch die lokale<br />
Manipulation einzelner Bildteile möglich. Diese Manipulati-<br />
on kann in verschiedenen Stärken stattfinden: Von dem<br />
einfachen Entfernen von Sensorflecken – ähnlich aber un-<br />
gleich einfacher als das Ausflecken von Staub und Fusseln<br />
bei analogen Fotos – über <strong>Re</strong>tusche unerwünschter Berei-<br />
che bis hin zur Montage ganzer Bildteile o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Collage<br />
aus mehreren Aufnahmen.<br />
Die <strong>Re</strong>tusche geschieht meist durch<br />
Stempelwerkzeuge, die das Kopieren<br />
von Bildteilen zur Überlagerung ande-<br />
rer Bildteile ermöglichen. Dabei kann<br />
<strong>der</strong> <strong>Re</strong>alismus aufrecht erhalten blei-<br />
ben, wenn es sich um solche Bildele-<br />
mente handelt, die in <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität<br />
theoretisch auch fehlen könnten (s.<br />
Abb. 12). Durch Entfernung von Bild-<br />
teilen, die in <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität so nicht feh-<br />
len können, wird eine unnatürliche,<br />
befremdliche Wirkung erzielt (s. Abb.<br />
13). Gerade die realistisch anmuten-<br />
den Fotografien bergen allerdings die<br />
Gefahr in sich, dass sie „lügen“, da<br />
die Verän<strong>der</strong>ung nicht offensichtlich<br />
ist. <strong>Re</strong>tusche in <strong>der</strong> Dunkelkammer ist nicht unmöglich, aber sehr viel schwieri-<br />
ger zu realisieren und wurde daher eher in Ausnahmefällen angewendet. 40<br />
Neben <strong>der</strong> Bildretusche haben digitale Montagetechniken die größten Auswir-<br />
kungen auf die Darstellung bzw. Abweichung von <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität. Dazu werden ne-<br />
ben Stempelwerkzeugen vor allem digitale Maskierung von Bildteilen und Ebe-<br />
39 Vgl. Kap. 2.1 Analog und Digital, S. 11<br />
40 Vgl. Mitchell, 2007, S. 237f.<br />
Abb. 12: <strong>Re</strong>tusche zu<br />
Optimierungszwecken:<br />
Teile des Kabels wurden<br />
durch Überstempelung<br />
mit an<strong>der</strong>en<br />
Bildteilen entfernt. Der<br />
Hintergrund links wurde<br />
mit dem Abwedler-<br />
Werkzeug aufgehellt,<br />
einer Technik, die aus<br />
<strong>der</strong> Dunkelkammer<br />
entlehnt ist.<br />
Abb. 13: Hier wurde<br />
<strong>Re</strong>tusche zur Erzielung<br />
eines unrealistischen<br />
Effekts benutzt. Mit<br />
Hilfe des Stempelwerkzeugs<br />
wurden die<br />
Gesichtszüge des<br />
Kopfes entfernt.<br />
19
nenfunktionen mo<strong>der</strong>ner Bildbearbeitungs-<br />
programme eingesetzt. Das Kombinieren<br />
mehrerer Bil<strong>der</strong>teile o<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> zu einem<br />
einzigen kann solchermaßen stattfinden,<br />
dass man keine Übergänge o<strong>der</strong> sonstige<br />
Anzeichen <strong>der</strong> Montage sieht. Dadurch<br />
können real existierende Motive nachgebil-<br />
det werden, die ohne Montage nicht ab-<br />
bildbar wären, wie z.B. Panoramen aber<br />
auch real erscheinende Szenerien erstellt<br />
werden, die so in <strong>Wirklichkeit</strong> nie existier-<br />
ten (s. Abb. 14).<br />
2 Digital Imaging<br />
Eine an<strong>der</strong>e Wirkung erzielt man, wenn die Kombination offensichtlich ist, z.B.<br />
durch Freistellung einzelner Elemente und Zusammenfügung zu abstrakten Col-<br />
lagen (s. Abb. 15). Auch Collagen und Montagen lassen sich in <strong>der</strong> Dunkelkam-<br />
mer herstellen. 41 Allerdings wurde hier meistens nur mit weichen Übergängen ge-<br />
arbeitet . Überlagerungen klar abgegrenzter Figuren sind schwer zu realisieren.<br />
41 Vgl. Abb. 3, S. 9<br />
Abb. 14: Eine die reale Szene verän<strong>der</strong>nde,<br />
aber noch realistisch anmutende<br />
Fotomontage. Eine weitere Aufnahme desselben<br />
Kopfes wurde in die erste montiert.<br />
Abb. 15: Durch Freistellung des Kopfes und vielfache Überlagerung und Vervielfältigung vor<br />
neuem Hintergrund wurde ein völlig neues Bild erzeugt, welches mit dem Ursprung nicht mehr viel<br />
gemein hat.<br />
20
2.2.3 Digitale Bildwie<strong>der</strong>gabe<br />
2 Digital Imaging<br />
Die Möglichkeiten <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabe digitaler Fotos sind sehr viel umfangreicher<br />
als bei analogem Bildmaterial. Während die klassischen Ausgabetechniken, wie<br />
<strong>der</strong> Belichtung des Motivs auf lichtempfindlichem Fotopapier sowie des Offset-<br />
Drucks in Zeitungen und Zeitschriften, leicht abgewandelt weiterbestehen, sind<br />
die Ausgabe über Tintenstrahl- und Laserdrucker sowie die vielfältigen Darstel-<br />
lungsmöglichkeiten über Bildschirme hinzugekommen.<br />
Schon kurz nach <strong>der</strong> eigentlichen Aufnahme wird bei den allermeisten digita-<br />
len Kameras die Aufnahme bereits das erste Mal ausgegeben, als Miniatur auf<br />
dem Bildschirm <strong>der</strong> Kamera selbst. Auch bei <strong>der</strong> späteren Verwendung <strong>der</strong> Auf-<br />
nahmen ist die Ausgabe am Computerbildschirm meist die erste und oft die einzi-<br />
ge verwendete Ausgabe überhaupt. 42 Die Option <strong>der</strong> Ausgabe über Bildschirm<br />
hat weitreichende Folgen. Durch die quasi immaterielle Existenz digitaler Foto-<br />
grafien können sie – im Gegensatz zu analogen, die immer als physisches Ob-<br />
jekt existieren müssen – sehr viel leichter verteilt und über Bildschirm sowohl pri-<br />
vat als auch öffentlich über das Internet weltweit ausgegeben werden. 43 Diese<br />
Immaterialität hat aber gerade im Kontext <strong>der</strong> Kunst eine unerwünschte Auswir-<br />
kung. Im Kunstbetrieb werden Kunstwerke im Normalfall als Objekte verbreitet,<br />
ausgestellt, verkauft und gesammelt. Dies ist mit einem nur digital vorliegenden<br />
Foto nicht möglich. Benjamin spricht in diesem Zusammenhang vom Kultwert<br />
und Ausstellungswert eines Kunstwerkes. Der Kultwert besteht in <strong>der</strong> kulturellen<br />
Bedeutung, die einem Kunstwerk innewohnt, ohne das es dabei nötig ist, dass<br />
es überhaupt gesehen wird. Der Ausstellungswert hingegen beruht auf den Mög-<br />
lichkeiten, das Kunstwerk dem Publikum näherzubringen. So hat ein Ölgemälde<br />
z.B. einen größeren Ausstellungswert als ein Fresko. In <strong>der</strong> Fotografie verdrängt<br />
<strong>der</strong> Ausstellungswert den Kultwert fast vollständig. 44 In <strong>der</strong> digitalen Fotografie<br />
geschehen nun zwei Dinge. Der Ausstellungswert für den Massenmarkt ist noch<br />
einmal deutlich angestiegen, da durch Internet und Bildmedien viel mehr <strong>Re</strong>zipi-<br />
enten erreicht werden können. Der Wert für den Kunstmarkt hingegen ist zu-<br />
nächst gering. Ein Ausstellungswert muss entwe<strong>der</strong> dadurch geschaffen werden,<br />
dass digitale Fotokunst eine Plattform in digitalen Medien bekommt o<strong>der</strong> dass<br />
die Kunstwerke in eine angemessene physische Form gebracht werden.<br />
42 Vgl. Mitchell, 1992, S. 78<br />
43 Vgl. Mitchell, 2007, S. 245<br />
44 Vgl. Benjamin, 1936, S. 9ff.<br />
21
2 Digital Imaging<br />
Um dies zu erreichen, gibt es eine <strong>Re</strong>ihe an Techniken, um digitale Fotos auf Pa-<br />
pier auszugeben. Die einfachste ist per handelsüblichem Tintenstrahldrucker.<br />
Durch eine große Palette an matten und glänzenden Papieren können unter-<br />
schiedliche Qualitäten und Bildwirkungen erzielt werden, 45 die einer ausbelichte-<br />
ten Fotografie recht nahe kommen können. Die beste Qualität, vergleichbar mit<br />
analogen Fotoabzügen, liefert die Ausbelichtung auf lichtempfindliches Fotopa-<br />
pier, die meist mittels Laserbelichter im Fotolabor geschieht. 46<br />
Das Digital Imaging mit seinen Bildaufnahme, -bearbeitungs, und -wie<strong>der</strong>ga-<br />
betechniken bietet dem Fotokünstler heutzutage mehr Optionen in <strong>der</strong> Gestal-<br />
tung von Fotografien und in <strong>der</strong> Erschaffung von Fotokunst, als dies jemals zu<br />
Zeiten <strong>der</strong> analogen Fotografie <strong>der</strong> Fall gewesen ist. Speziell die Bearbeitung am<br />
Computer erlaubt es Künstlern, die Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität zu beeinflussen, zu<br />
gestalten und neue Bildrealitäten zu kreieren. Im nun folgenden dritten Teil wen-<br />
det sich die Diskussion <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie zu. Anhand von zwei zeit-<br />
genössischen Fotokünstlern wird beispielhaft untersucht, wie diese das Digital<br />
Imaging in ihrer Arbeit einsetzen.<br />
45 Vgl. Guminski, 2002, S. 203f.<br />
46 Vgl. Debes, 2003, S. 198. Inzwischen sind analoge Abzüge ein Nischenprodukt geworden und<br />
werden in den meisten Fällen im Fotolabor digitalisiert und mit denselben Techniken hergestellt<br />
wie digitale Fotoabzüge.<br />
22
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Die <strong>Re</strong>zeption zeitgenössischer Fotokunst, speziell von Werken von Thomas<br />
Ruff und Andreas Gursky, bilden den Schwerpunkt <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit. Die-<br />
se beiden Künstler sind bewusst gewählt. Zunächst einmal gehören beide <strong>der</strong> so<br />
genannten Düsseldorfer Schule an, einer Gruppe international bekannt geworde-<br />
ner Fotokünstler, die alle an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie die Fotoklasse von<br />
Bernd und Hilla Becher besuchten. Des weiteren haben sie, trotz gemeinsamer<br />
Vorbildung, sehr unterschiedliche Ansätze in ihrer Kunst verfolgt, die jeweils auf<br />
ihre Weise mit dem Thema dieser Arbeit, <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung durch Digital<br />
Imaging, korrespondieren. Die Analyse ihrer Werke, auch im Kontext an<strong>der</strong>er An-<br />
sätze <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule, bietet also die Möglichkeit, das Thema von sehr<br />
verschiedenen Seiten zu beleuchten.<br />
In den Kapiteln über die beiden Künstler wird zunächst ein Überblick über ihr<br />
Schaffen gegeben und <strong>der</strong> jeweilige künstlerische Ansatz diskutiert, um dann an<br />
konkreten Werkbeispielen den Umgang mit Digital Imaging und <strong>der</strong> Darstellung<br />
<strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> zu untersuchen. Da Ruff und zum Teil auch Gursky in Werk-<br />
reihen arbeiten, stehen dabei keine Einzelwerke, son<strong>der</strong>n beispielhafte Auszüge<br />
aus Serien <strong>der</strong> Künstler zur Diskussion. In Werkvergleichen zu weiteren Vertre-<br />
tern <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule wird <strong>der</strong> Einsatz digitaler Mittel <strong>der</strong> beiden Künstler<br />
untersucht. 47<br />
Den Anfang dieses Teils <strong>der</strong> Arbeit macht ein historischer Überblick über die<br />
<strong>Re</strong>alitätsdarstellung in <strong>der</strong> Fotokunst sowie eine Abhandlung über die Düsseldor-<br />
fer Schule und über die Lehrer von Ruff und Gursky, Bernd und Hilla Becher.<br />
3.1 REALITÄTSVERÄNDERUNG IN DER FOTOKUNST<br />
Viele Ansätze <strong>der</strong> künstlerische Fotografie o<strong>der</strong> auch Fotokunst – beide Begriffe<br />
werden hier synonym verwendet – unterscheiden sich in Bezug auf die Darstel-<br />
47 Während <strong>der</strong> Erstellung dieser Arbeit wurde versucht, über die jeweiligen Galerien <strong>der</strong> Künstler<br />
sowie über die Düsseldorfer Kunstakademie, Kontakt mit Thomas Ruff und Andreas Gursky<br />
herzustellen. Dies ist lei<strong>der</strong> erfolglos geblieben. Die Absagen wurden mit <strong>der</strong> beruflichen Belastung<br />
<strong>der</strong> Künstler begründet. Die Fragebögen, die an die Kontaktpersonen <strong>der</strong> Künstler geschickt<br />
wurden, befinden sich im Anhang (siehe S. I).<br />
23
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
lung <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> grundlegend von an<strong>der</strong>en Bereichen <strong>der</strong> Fotografie. Im<br />
Journalismus wird Fotografie zur Berichterstattung genutzt, in <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
zum Aufzeichnen von Daten und Zuständen, im Amateurbereich in <strong>der</strong> <strong>Re</strong>gel<br />
zum Festhalten von Erinnerungen. Auch wenn hier und da Fotos zur Verdeutli-<br />
chung, Verschönerung o<strong>der</strong> Manipulation des Inhalts bearbeitet werden, geht es<br />
in all diesen Bereichen primär um die reine Abbildungsfunktion <strong>der</strong> Fotografie.<br />
Dies ist im Bereich <strong>der</strong> Kunst eher selten ausschlaggebend, zumindest nicht<br />
ohne bewusst eingesetzte Konzeption o<strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Abbildung.<br />
3.1.1 <strong>Re</strong>alitätsbezug <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie in <strong>der</strong> Geschichte<br />
Durch ihre Abbildungsfunktion wurde die Fotografie lange Zeit überhaupt nicht<br />
als Kunstform angesehen. Schließlich, so die Argumentation, ist sie eine Technik,<br />
mit <strong>der</strong> sich die Dinge selbst abbilden, ohne die gestalterische Hand eines Künst-<br />
lers. Damit Fotografie als Kunst verstanden wird und <strong>der</strong> Fotograf ein Urheber-<br />
recht gesetzlich geltend machen konnte, musste im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t ein gestalte-<br />
rischer Eingriff, in Form von Inszenierung vor o<strong>der</strong> Bearbeitung nach <strong>der</strong><br />
Aufnahme nachgewiesen werden können. 48 Zeichnet sich Fotografie also gerade<br />
durch Eingriff in die wahrgenommene <strong>Re</strong>alität als Kunst aus? Wortmann weist<br />
darauf hin, dass im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t eine reine Abbildung <strong>der</strong> Welt keine Kunst<br />
sein konnte. 49 Dies führte zu einem malerischen Stil <strong>der</strong> Fotografie, dem Piktora-<br />
lismus (s. Abb. 16), <strong>der</strong> sich durch Inszenierung, bewusst eingesetzte Unschärfe<br />
sowie aufwändige Bearbeitung <strong>der</strong> Auf-<br />
nahmen auszeichnet und sich an Im-<br />
pressionismus und Symbolismus orien-<br />
tierte. 50 Als Vorreiter und wichtiger<br />
Vertreter sei Henry Peach Robinson ge-<br />
nannt. In <strong>der</strong> ersten Hälfte des 20.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts wurde dieser Stil von<br />
mehreren konträren Bewegungen ver-<br />
drängt: von <strong>der</strong> Straight Photography<br />
und <strong>der</strong> Neuen Sachlichkeit sowie dem<br />
Neuen Sehen und surrealistischen, ex-<br />
perimentellen Ansätzen.<br />
48 Vgl. Holschbach, 2004, S. 25<br />
49 Vgl. Wortmann, 2004, S. 14<br />
50 Vgl. Holschbach, 2004, S. 25<br />
Abb. 16: Robert Demachy, Une Balleteuse,<br />
1900<br />
24
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Die Neue Sachlichkeit, die in den 1920er und 30er Jahren ihren Höhepunkt fand,<br />
verstand sich als Gegenprogramm zu den malerischen Effekten und Unschärfen<br />
des Piktoralismus. Inspiriert von <strong>der</strong> etwas früher entstandenen Straight Photo-<br />
graphy amerikanischer Fotografen wie Ansel Adams, Edward Weston und Paul<br />
Strand war eine Klarheit in Aufbau und Komposition sowie absolute Schärfe ge-<br />
boten. 51 Ihre Vertreter sahen sich nicht unbedingt als Kunstfotografen. Ihre Wer-<br />
ke wurden erst später zur Kunst erhoben. Die unverfälschte Abbildung <strong>der</strong> Wirk-<br />
lichkeit stand im Vor<strong>der</strong>grund, sodass man auch von einem dokumentarischen<br />
Stil sprechen kann, in dem das Motiv wichtiger genommen wird als <strong>der</strong> künstleri-<br />
sche Ausdruck. 52 In Deutschland taten sich hier beson<strong>der</strong>s August San<strong>der</strong> (s.<br />
Abb. 17), Karl Bloßfeldt und Albert <strong>Re</strong>nger-Patzsch hervor. 53<br />
Abb. 17: August San<strong>der</strong>, Konditor,<br />
1928<br />
Die Fotografen des Neuen Sehens, vielfach mit <strong>der</strong> Fotografie an <strong>der</strong> Kunst-<br />
hochschule Bauhaus verbunden, schlugen einen etwas an<strong>der</strong>en Weg ein. Hier<br />
war <strong>der</strong> experimentelle Umgang mit ungewohnten Sichtweisen und Perspektiven<br />
ausschlaggebend, was zu teils sehr abstrakten, grafischen Kompositionen führ-<br />
te. 54 Die subjektive Sichtweise <strong>der</strong> Fotografen überwiegt den <strong>Re</strong>alitätsbezug ihrer<br />
Aufnahmen. 55<br />
51 Vgl. von Brauchitsch, 2002, S. 93f.<br />
52 Vgl. Holschbach, 2004, S. 25<br />
53 Vgl. Gronert, 2009, S. 16<br />
54 Vgl. von Brauchitsch, 2002, S. 95<br />
55 Vgl. Holschbach, 2004, S. 25<br />
Abb. 18: László Moholy-Nagy,<br />
Photogram, 1926<br />
25
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Experimentelle Ansätze, wie die Fotogramme von Man Ray o<strong>der</strong> von Moholy-<br />
Nagy (s. Abb. 18), einer <strong>der</strong> Lehrer am Bauhaus, gingen einen Schritt weiter, in-<br />
dem sie oft nicht nur während <strong>der</strong> Aufnahme die <strong>Wirklichkeit</strong> verzerrten und ab-<br />
strahierten, son<strong>der</strong>n diese durch chemische o<strong>der</strong> mechanische Verfahren wie<br />
Solarisation, Collage- und Montagetechniken weiter verän<strong>der</strong>ten. 56<br />
Der propagandistische Einsatz <strong>der</strong> Fotografie während des zweiten Welt-<br />
kriegs zog zu Beginn <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts Vorbehalte dem<br />
Medium gegenüber nach sich. Erst in den 70er Jahren gelang es <strong>der</strong> Fotografie<br />
wie<strong>der</strong>, im Kunstkontext größere Beachtung zu finden und sich neben <strong>der</strong>, die<br />
Kunstszene beherrschenden, abstrakten Malerei hervorzutun. Einige Tendenzen<br />
<strong>der</strong> 20er und 30er Jahre fanden ihre Fortsetzung, so findet sich <strong>der</strong> dokumentari-<br />
sche Stil <strong>der</strong> Neuen Sachlichkeit beispielsweise bei Bernd und Hilla Becher wie-<br />
<strong>der</strong> und das Neue Sehen fand seine Fortsetzung in <strong>der</strong> Subjektiven Fotografie,<br />
wie sie z.B. bei Otto Steinert an <strong>der</strong> Folkwang-Schule in Essen gelehrt wurde. 57<br />
Vorangekündigt durch eine Experimentierfreude mit analogen Techniken in<br />
den 60er und 70er Jahren lösten sich spätestens mit dem Aufkommen <strong>der</strong> elek-<br />
tronischen Bildverarbeitung in den 80er und 90er Jahren abgegrenzte Stilgebiete<br />
weitgehend auf und gaben einer Vielzahl individueller, experimenteller und kon-<br />
zeptioneller Ansätze Raum zur Entfaltung.<br />
3.1.2 <strong>Re</strong>alitätsdarstellung in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
In <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst ist die Darstellung bzw. Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
<strong>Wirklichkeit</strong> ein immer wie<strong>der</strong>kehrendes Thema. Sich dabei durchaus <strong>der</strong> Bild-<br />
sprache journalistischer und dokumentarischer Fotografie bedienend, bleiben<br />
Fotokünstler selten bei einer unbearbeiteten Darstellung <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong>. Aller-<br />
dings kommt es kaum vor, dass die Bil<strong>der</strong> lügen sollen, ganz im Gegensatz bei-<br />
spielsweise zur Werbefotografie. Denn gelogen werden kann nur, wenn behaup-<br />
tet wird, dass die Wahrheit dargestellt würde. Vielmehr wird mit <strong>der</strong> Transparenz<br />
des Mediums gespielt sowie die Abbildung selbst thematisiert, indem Manipula-<br />
tionen offensichtlich gemacht werden. 58 O<strong>der</strong> es wird überhaupt nicht die reale<br />
Welt dargestellt, son<strong>der</strong>n per Manipulations- und Montagetechniken eine imagi-<br />
näre, virtuelle Welt erzeugt. 59<br />
56 Vgl. von Brauchitsch, 2002, S. 95<br />
57 Vgl. Gronert, 2009, S. 16ff.<br />
58 Vgl. Grebe; Schnei<strong>der</strong>, 2004<br />
59 Vgl. Belting, 2006, S. 215<br />
26
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Sylvia Wolf teilt die Themen <strong>der</strong> digitalen künstlerischen Fotografie in drei grobe<br />
Kategorien ein: soziopolitisch kommentierend, erzählerisch Welten schaffend so-<br />
wie das Medium selbst reflektierend. 60<br />
In allen drei Bereichen bedienen sich Künstler digitaler Werkzeuge, um von<br />
ihren Vorbil<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> wirklichen Welt abweichen zu können. Die digitale Bild-<br />
bearbeitung bietet Fotokünstlern, ähnlich <strong>der</strong> Arbeitsweise von Malern, leicht zu<br />
handhabende Möglichkeiten, <strong>Re</strong>alitäten nach ihrer Vorstellung zu konstruieren<br />
und sich von <strong>der</strong> für ihre Aussage unzureichenden <strong>Wirklichkeit</strong> zu distanzieren. 61<br />
Das Foto wird zum bloßen Ausgangsmaterial für künstlerische Werke, die häufig<br />
mit unbearbeiteten Aufnahmen nur noch wenig gemein haben.<br />
Als Beispiel für die erste Kategorie sei eines<br />
<strong>der</strong> frühesten und bekanntesten Beispiele für<br />
digitale Manipulation fotografischer Bil<strong>der</strong> be-<br />
nannt: die Überlagerungen berühmter Portraits<br />
mit einer von Nancy Burson in den 1970ern<br />
entwickelten Software. Burson nahm als Aus-<br />
gangsmaterial Portraits berühmter Hollywood-<br />
Darstellerinnen, um so typische Abbil<strong>der</strong> des<br />
zeitgenössischen Schönheitsideals zu erhal-<br />
ten. In einer an<strong>der</strong>en Arbeit kombinierte sie<br />
Menschen verschiedenster Herkunft, gewichtet<br />
nach Anteil <strong>der</strong> Weltbevölkerung, um so ein<br />
Abbild <strong>der</strong> Menschheit zu erhalten (s. Abb.<br />
19).<br />
Die zweite Kategorie äußert sich beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> inszenierten Fotografie.<br />
Diese existiert freilich schon lange, durch Aufkommen <strong>der</strong> Digitaltechnik hat sich<br />
<strong>der</strong> Spielraum zur Inszenierung jedoch stark erweitert. Ein Fotokünstler dieser<br />
Richtung ist Jeff Wall, <strong>der</strong> für seine großformatigen inszenierten Fotografien, die<br />
stets als Diapositive in Leuchtkästen ausgestellt werden, bekannt ist. Für die Ar-<br />
beit Dawn aus dem Jahre 2001 kombinierte er auf digitalem Wege acht separate<br />
Aufnahmen einer schlichten Straßenszene in verschiedenen Phasen <strong>der</strong> Däm-<br />
merung, um so die Stimmung zu erhalten, die für ihn die Dämmerung am besten<br />
charakterisiert. 62 In The Giant (s. Abb. 20) wurde durch digitale Montage mit den<br />
60 Vgl. Wolf, 2010, S. 32ff.<br />
61 Vgl. Stiegler, 2009, S. 100<br />
62 Vgl. Rush, 2005, S. 188ff.<br />
Abb. 19: Nancy Burson, Mankind (An<br />
Oriental, a Caucasian and a Black,<br />
weighted according to current<br />
population statistics), 1982-1985<br />
27
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Größenverhältnissen gespielt. Wall inszeniert seine Fotografien wie ein <strong>Re</strong>gis-<br />
seur einen Film, nicht um alternative Welten zu erzeugen, son<strong>der</strong>n um <strong>der</strong> <strong>Re</strong>ali-<br />
tät, die <strong>der</strong> Kamera oft verborgen bleibt, näher zu kommen. 63<br />
Abb. 20: Jeff Wall, The Giant, 1992<br />
In <strong>der</strong> dritten Kategorie wird<br />
das Medium selbst thematisiert.<br />
Dies ist eines <strong>der</strong> großen The-<br />
men <strong>der</strong> gegenwärtigen Kunst-<br />
fotografie und auch ein ent-<br />
scheidendes Merkmal, welches<br />
sie von <strong>der</strong> Gebrauchsfotogra-<br />
fie abhebt. 64 Während Sylvia<br />
Wolfs beide an<strong>der</strong>en Kategori-<br />
en, die <strong>der</strong> sozial-kritischen<br />
o<strong>der</strong> politisch kommentieren-<br />
den sowie die <strong>der</strong> erzähleri-<br />
schen, Welten erschaffenden Fotografie auch beispielsweise in <strong>der</strong> dokumentari-<br />
schen und <strong>der</strong> Werbefotografie anzufinden sind, reflektieren diese<br />
Anwendungsgebiete selten das Medium selbst o<strong>der</strong> nehmen sich <strong>der</strong> Problema-<br />
tik <strong>der</strong> <strong>Re</strong>präsentation von <strong>Wirklichkeit</strong> an. In <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie trifft<br />
man dagegen häufig auf Selbstreflektion. 65 In <strong>der</strong> im nächsten Kapitel behandel-<br />
ten Düsseldorfer Fotoschule ist dieser Ansatz ein beliebtes Thema. Vor allem bei<br />
Thomas Ruff ist die Untersuchung <strong>der</strong> visuellen Wahrnehmung mit Mitteln zur<br />
Sichtbarmachung des Mediums selbst zentrales Thema seiner Werkreihen. 66<br />
Die Darstellung, Interpretation und Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität ist eine <strong>der</strong> wich-<br />
tigsten, wenn nicht die zentrale Thematik <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie. Dies<br />
wurde durch Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie nicht ausgelöst, denn existiert<br />
hat diese Thematik schon vorher. Es ist jedoch eine Vielzahl an Ausdrucksfor-<br />
men hinzugekommen und <strong>der</strong> Gestaltungsfreiraum für den Fotokünstler ist<br />
enorm angewachsen. Die Fotografen <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule sind dafür be-<br />
kannt geworden, die gestalterischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Das fol-<br />
gende Kapitel liefert einen Überblick über diese Künstler und ihre Wurzeln.<br />
63 Vgl. Belting, 2006, S. 234<br />
64 Vgl. Winzen, 2001, S. 6<br />
65 Vgl. Stiegler, 2009, S. 54; Vgl. Winzen, 2001, S. 6<br />
66 Vgl. Kap. 3.3 Thomas Ruff, S. 33<br />
28
3.2 DIE DÜSSELDORFER SCHULE<br />
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Der Begriff <strong>der</strong> „Düsseldorfer Schule“ 67 o<strong>der</strong> auch „Düsseldorfer Photoschule“, 68<br />
bezieht sich im Allgemeinen auf den Standort Düsseldorf, <strong>der</strong> sich als wichtiger<br />
Ort künstlerischen Schaffens, vor allem im Bereich <strong>der</strong> Fotografie, auszeichnet<br />
sowie im Speziellen auf die Lehrtätigkeit von Bernd und Hilla Becher. Aus <strong>der</strong>en<br />
Fotoklasse, die sie zwischen 1976 und 1997 an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie<br />
leiteten, erlangte eine ganze <strong>Re</strong>ihe künstlerischer Persönlichkeiten internationale<br />
Bekanntheit. 69 Zu den bedeutendsten Absolventen dieser Lehre gehören Thomas<br />
Ruff und Andreas Gursky sowie Laurenz Berges, Elger Esser, Candida Höfer,<br />
Axel Hütte, Simone Nieweg, Jörg Sasse, Thomas Struth und Petra Wun<strong>der</strong>lich. 70<br />
1976 wurde Bernd Becher – damals zusammen mit seiner Frau Hilla bereits<br />
durch viele Ausstellungen international bekannt geworden – als Professor für<br />
künstlerische Fotografie an die Kunstakademie in Düsseldorf berufen, an <strong>der</strong><br />
schon Größen <strong>der</strong> Kunst wie Gerhard Richter und Joseph Beuys gelehrt hatten.<br />
Damit war er <strong>der</strong> erste Professor seines Faches an einer deutschen Kunstakade-<br />
mie. 71 Durch die Lehrtätigkeit, die Bernd und Hilla Becher stets gemeinsam aus-<br />
führten, leisteten sie einen entscheidenden Beitrag zur Emanzipation <strong>der</strong> künst-<br />
lerischen Fotografie im gesamten Kunstbetrieb. 72<br />
3.2.1 Der konzeptuelle Ansatz von Bernd und Hilla Becher<br />
Bernd und Hilla Becher, die gemeinsam als Künstlerpaar arbeiteten, verfolgten<br />
während ihrer gesamten Schaffenszeit seit den 1960er Jahren bis zu Bernd Be-<br />
chers Tod 2007 73 einen strengen konzeptuellen Ansatz. Dieser unterschied sich<br />
deutlich von <strong>der</strong> in den 70er und 80er Jahren von Otto Steinert gelehrten subjek-<br />
tiven Fotografie. 74 Die Bechers dokumentierten Zweckbauten <strong>der</strong> Industrie, wie<br />
beispielsweise Hochöfen, Gasometer und Wassertürme auf <strong>der</strong> ganzen Welt, so-<br />
wie die typische Architektur ihres eigenen Lebensraums, vor allem Fachwerkhäu-<br />
ser. Dies fand mit präzise festgelegten Rahmenbedingungen in <strong>der</strong> Bildgestal-<br />
tung statt. Typisch ist eine gleichmäßige Ausleuchtung möglichst ohne<br />
67 Zit. Sachsse, 2003, S. 177<br />
68 Zit. Gronert, 2009, S. 13<br />
69 Vgl. Gronert, 2009, S. 13<br />
70 Ebd., S. 9<br />
71 Ebd., S. 21<br />
72 Vgl. Pohlmann, 2009, S. 11<br />
73 Vgl. Malz; Müller, 2009, S. 303<br />
74 Vgl. S. 26<br />
29
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Abb. 21: Bernd und Hilla Becher, Wassertürme, D 1965 - 1982, Typologie von 9 Schwarz-weiß-<br />
Fotografien, je 40 x 30 cm<br />
Schattenwurf, eine frontale Sicht auf das Motiv aus leicht erhöhtem Standpunkt,<br />
durchgehende Tiefenschärfe und eine Abbildung ohne perspektivische Verzer-<br />
rung, erreicht durch den Einsatz von Großformatkameras und hochauflösendem<br />
analogen Filmmaterial. Dadurch entstanden Bildserien (s. Abb. 21), die auf wei-<br />
testgehende Vergleichbarkeit <strong>der</strong> abgebildeten Gebäude untereinan<strong>der</strong> und<br />
30
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
möglichst präzise, sachliche Dokumentation <strong>der</strong> einzelnen Motive abzielen. Die<br />
verwendeten Print-Formate <strong>der</strong> Vergrößerungen sind eher klein, meist bis 30 x<br />
40 bzw. 50 x 60 cm messend, und innerhalb einer Bildserie exakt gleich. Bele-<br />
bende Elemente wie Menschen o<strong>der</strong> Autos wurden nach Möglichkeit vermieden<br />
und auf nachträgliche Eingriffe o<strong>der</strong> Manipulation weitgehend verzichtet. 75 Damit<br />
stehen ihre Arbeiten auch in deutlichem Kontrast zu den späteren Werken vieler<br />
ihrer Schüler, die ganz im Gegensatz zu den Bechers weitgehend digital arbeiten<br />
und die Möglichkeiten <strong>der</strong> Manipulation durch Bildbearbeitung vielfach nutzen.<br />
Nach Aussage <strong>der</strong> Bechers entstehen „anonyme Skulpturen“ 76 . In ihrem Kon-<br />
zept kann man auch die Arbeit von Archivaren erkennen, denn die För<strong>der</strong>türme,<br />
Gasbehälter, Hochöfen und Wassertürme sind typischerweise solche, welche<br />
durch mo<strong>der</strong>nere Anlagen ersetzt wurden und deshalb dem Verfall ausgesetzt<br />
sind. 77<br />
Der strenge, über Jahrzehnte verfolgte Ansatz, die handwerkliche Präzision<br />
sowie die Verwendung alltäglicher, in <strong>der</strong> Kunstlandschaft kaum beachteter Moti-<br />
ve machen das Werk Bernd und Hilla Bechers zu etwas ganz Beson<strong>der</strong>em, Ein-<br />
zigartigem. Durch ihr konzeptuelles Vorgehen und ihre auf das Wesentliche re-<br />
duzierte Bildsprache werden sie oft als Minimal- und Konzept-Künstler<br />
bezeichnet. 78<br />
Dieser Ansatz <strong>der</strong> Bechers war auch eine wichtige Basis für ihre Lehrtätigkeit<br />
ab 1976. Dennoch führte dies in ihrer Lehre nicht zu einer Uniformität in den Ar-<br />
beiten ihrer Schüler, son<strong>der</strong>n es gelang ihnen, individuelle Ansätze zu för<strong>der</strong>n.<br />
Der pädagogische Ansatz bestand vor allem in <strong>der</strong> „Vermittlung eines reflektier-<br />
ten analytischen Medienverständisses“ 79 sowie <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung zur Konzentra-<br />
tion auf ein klares, durchdachtes Thema und das Arbeiten in Serien. 80<br />
3.2.2 Das „Phänomen“ Düsseldorfer Schule<br />
Der spätere Erfolg <strong>der</strong> Becher-Schüler lässt sich nicht nur am Unterricht und <strong>der</strong><br />
künstlerischen Klasse ihrer Lehrer festmachen. Hinzu kam ein reges Interesse<br />
für Fotografie in <strong>der</strong> Düsseldorfer Umgebung, welches sich in vielen inspirieren-<br />
75 Vgl. Pohlmann, 2009, S. 13; vgl. Gronert, 2009, S. 18<br />
76 Aussage B. u. H. Becher, zit. n. Gronert, 2009, S. 18<br />
77 Vgl. Gronert, 2009, S. 18f.<br />
78 Vgl. Schirmer, 2009a, S. 6ff.<br />
79 Zit. Pohlmann, 2009, S. 11<br />
80 Vgl. Pohlmann, 2009, S. 11<br />
31
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
den Ausstellungen äußerte. Auch in Köln und Essen gab es eine solche Kunst-<br />
szene, die den Studierenden nicht entging. Letztlich waren es aber vor allem die<br />
Einzelleistungen <strong>der</strong> Absolventen, die sich auch nach dem Studium selbstständig<br />
weiterbildeten und sehr individuelle Künstlerpositionen entwickelten. 81 Bezeich-<br />
nen<strong>der</strong>weise erlangten die meisten Absolventen auch erst nach Abschluss ihrer<br />
Ausbildung nationale und internationale Bekanntheit. Dennoch gibt es Gemein-<br />
samkeiten. So steht die Düsseldorfer Schule für eine objektivierende, distanzier-<br />
te Sichtweise auf die Welt, die als Fortsetzung <strong>der</strong> Neuen Sachlichkeit 82 gesehen<br />
werden kann und damit im Kontrast zu <strong>der</strong> freieren Bildsprache vieler an<strong>der</strong>er<br />
deutscher Fotografen steht. 83<br />
Typisch für die meisten Vertreter <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule ist auch <strong>der</strong> Einsatz<br />
digitaler Bildbearbeitung sowie <strong>der</strong> Verwendung von sehr großen Formaten, dies<br />
ganz im Kontrast zu den Arbeiten ihrer Lehrer, die Zeit ihres Lebens analog ar-<br />
beiteten und eher kleine Formate verwendeten. Beson<strong>der</strong>s Ruff, Struth und<br />
Gursky sind für den „big print“ 84 bekannt geworden. Durch Formate von oft meh-<br />
reren Metern Kantenlänge, starker Limitierung <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Abzüge und auf-<br />
wändiger Printverfahren mit Kaschierung des Fotoabzugs hinter Plexiglas 85 , ver-<br />
wandelten sie den einfachen Papierabzug in Kunstobjekte, die mit dem Tafelbild<br />
in <strong>der</strong> Malerei im musealen Bereich konkurrieren konnten. 86<br />
Dies zeigte sich beson<strong>der</strong>s in Kunstauktionen um die Jahrhun<strong>der</strong>twende, in<br />
denen die Becher-Schüler regelmäßig Höchstpreise erzielten, vergleichbar mit<br />
solchen traditioneller, nicht reproduzierbarer Kunstwerke. So gehörten die Vertre-<br />
ter <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule zu den ersten, die im internationalen Kunstmarkt und<br />
Museumsbetrieb auf höchstem Niveau vertreten waren und die Grenzen zwi-<br />
schen den Kunstgattungen weiter aufhoben. Dies äußert sich auch im Einsatz di-<br />
gitaler Mittel, sodass ihre Kunstwerke weniger als Fotografien, son<strong>der</strong>n als mit<br />
den Mitteln <strong>der</strong> Fotografie entstandene digitale Gemälde zu bezeichnen sind.<br />
Folglich kann man von den Künstlern auch nicht als Fotografen, son<strong>der</strong>n eher<br />
als Fotokünstler sprechen. 87<br />
81 Vgl. Gronert, 2009, S. 22<br />
82 Vgl. S. 25<br />
83 Vgl. Gronert, 2009, S. 14<br />
84 Zit. Schirmer, 2009b, S. 7<br />
85 Dieses Verfahren nennt sich „Diasec®“. Die meisten Vertreter <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule arbeiten<br />
dabei mit dem international bekannten, in Düsseldorf ansässigen Fotolabor Grieger zusammen,<br />
welches dieses patentierte Verfahren in Deutschland exklusiv nutzt. Vgl. Gronert, 2009,<br />
S. 15.<br />
86 Vgl. Schirmer, 2009b, S. 7<br />
87 Vgl. Sachsse, 2003, S. 177f.<br />
32
3.3 THOMAS RUFF<br />
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Der 1958 in Zell im Schwarzwald geborene Thomas Ruff studierte 1977 bis 1985<br />
in <strong>der</strong> Klasse von Bernd Becher und gehört damit zu <strong>der</strong> ersten Generation von<br />
Becher-Schülern. Bereits während des Studiums hatte er erste Ausstellungen,<br />
1986 die erste außerhalb Deutschlands. Zahlreiche Ausstellungen und Publika-<br />
tionen folgten, unter an<strong>der</strong>em 1988 und 1995 auf <strong>der</strong> Biennale in Venedig und<br />
1992 auf <strong>der</strong> documenta 9 in Kassel. Von 1998 bis 2006 leitete Thomas Ruff als<br />
Professor <strong>der</strong> Fotografie an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie die ehemalige „Be-<br />
cher-Klasse“. 88<br />
3.3.1 Werkübersicht und künstlerischer Ansatz<br />
Abb. 22: Thomas Ruff, Porträt, 1987<br />
(Selbstportrait), C-Print / Diasec Face , 210 x<br />
165 cm<br />
Alle Arbeiten, die Thomas Ruff seit sei-<br />
ner Studienzeit geschaffen hat, lassen<br />
sich sehr umfangreichen Werkgruppen<br />
zuordnen, an denen er gewöhnlich eini-<br />
ge Jahre arbeitet. Nach einer ersten<br />
Serie von Interieurs, die während seiner<br />
Studienzeit entstand, war die Werkreihe<br />
<strong>der</strong> Porträts die erste mit <strong>der</strong> er größere<br />
Bekanntheit erlangte. Sie entstand<br />
ebenfalls während <strong>der</strong> Studienzeit, wur-<br />
de aber in späteren Jahren immer wie-<br />
<strong>der</strong> aufgenommen. Die Porträts wirken<br />
auf den ersten Blick wie Passbil<strong>der</strong>. Von<br />
den Abgebildeten sind Kopf und Schul-<br />
tern abgebildet, ihr Blick ist neutral, <strong>der</strong><br />
Hintergrund entwe<strong>der</strong> in einem gleich-<br />
mäßigen Farbton o<strong>der</strong> in Weiß gehalten. Das Format war zunächst 24 x 18 cm,<br />
später entstanden auch überdimensionierte Versionen mit 210 x 165 cm Größe.<br />
Die Porträtierten stammten aus seinem persönlichen Umfeld, aus dem Freun-<br />
deskreis o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kunstakademie. Auch Selbstporträts, teils mit etwas abgewan-<br />
deltem Bildaufbau, finden sich darunter (s. Abb. 22). Die neutrale, gefühlsleere<br />
88 Vgl. Malz; Müller, 2009, S. 314<br />
33
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Darstellung ist Konzept: Ruff geht davon aus, dass „die Fotografie nur die Ober-<br />
fläche <strong>der</strong> Dinge wie<strong>der</strong>geben kann.“ 89<br />
Dies ist ein Ansatz, den Thomas Ruff in seinem gesamten Werk verfolgt. Im-<br />
mer geht es bei ihm um die Wahrnehmung von Fotografien und um die Eigen-<br />
schaften des Mediums an sich. Das konzeptuelle Arbeiten Ruffs zieht sich durch<br />
sein gesamtes Werk und bestimmt jede Bildserie. Auch in seinen späteren Werk-<br />
gruppen, z.B. <strong>der</strong> Sterne und <strong>der</strong> Zeitungsphotos, steht das Medium an sich im<br />
Vor<strong>der</strong>grund. Dies erkennt man bereits daran, dass das Ursprungsmaterial die-<br />
ser Serien gar nicht vom Künstler selbst stammt. Im Fall <strong>der</strong> Sterne kaufte Ruff<br />
ein Archiv mit Negativen des European Southern Observatory auf, die Zeitungs-<br />
photos wurden aus <strong>der</strong> Tagespresse gesammelt. 90<br />
Auch in <strong>der</strong> Serie Nudes geht Ruff<br />
ähnlich vor. Hierbei sammelte er Bildma-<br />
terial aus <strong>der</strong> Pornoindustrie. Per digitaler<br />
Bildbearbeitung verzerrte er die Bil<strong>der</strong> so-<br />
weit, dass <strong>der</strong> Inhalt gerade noch entzif-<br />
fert werden kann und intensivierte die<br />
Farbgebung. Außerdem vergrößerte er<br />
sie, ähnlich wie seine Porträts und wie<br />
die meisten seiner Werke, auf Maße von<br />
über 100 cm Kantenlänge (s. Abb. 23).<br />
Die digitale Bildbearbeitung spielt in<br />
Ruffs Schaffen eine zentrale Rolle. 1987<br />
das erste Mal zu <strong>Re</strong>tuschezwecken ein-<br />
gesetzt 91 – damit war er <strong>der</strong> erste <strong>der</strong><br />
Düsseldorfer Schule – wurde sie im Lau-<br />
fe <strong>der</strong> Jahre immer wichtiger für seine Ar-<br />
beitsweise. In seinen jüngsten Arbeiten,<br />
den Zycles, verlässt er sogar gänzlich die Fotografie und erzeugt mit rein digita-<br />
len Mitteln Bil<strong>der</strong>, die sich aus mathematischen Berechnungen ergeben und ab-<br />
strakte Linienverläufe darstellen. 92<br />
89 Zit. Liebermann, 2001, S. 180<br />
90 Vgl. Gronert, 2009, S. 46ff.<br />
91 Ebd., S. 45<br />
92 Ebd., 2009, S. 50<br />
Abb. 23: Thomas Ruff, nudes ry 08, 2002, C-<br />
Print / Diasec Face, 155 x 110 cm<br />
34
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Matthias Winzen fasst Ruffs künstlerischen Ansatz als „Untersuchung von visuel-<br />
ler Wahrnehmung mit visuellen Mitteln“ 93 zusammen. Diese visuellen Mittel wer-<br />
den bei Ruff vor allem durch die Verzerrung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität per Bildbearbeitung er-<br />
zeugt. In einem Interview mit Ruff antwortet dieser auf die Frage, was <strong>Re</strong>alismus<br />
sei: „Die Maschine so arbeiten zu lassen, wie sie es ohnehin tut. Wenn die Dinge<br />
sind, wie sie sind, warum soll ich versuchen, sie an<strong>der</strong>s darzustellen?“ 94 Ruff<br />
spezifiziert nicht weiter, was mit „Maschine“ gemeint ist. Auch wenn er vermutlich<br />
die Kamera meint, kann es genauso <strong>der</strong> Computer sein, mit dem Ruff trotz o<strong>der</strong><br />
gerade durch Bearbeitung <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> <strong>Re</strong>alismus erzeugt. In <strong>der</strong> Serie jpegs wird<br />
dieser Ansatz beson<strong>der</strong>s deutlich.<br />
3.3.2 Die Serie jpegs – Hinterfragen des Mediums<br />
Die jpegs sind ein großer Werkzyklus, den Thomas Ruff 2004 begann und über<br />
Jahre verfolgte. Die verwendeten Fotos stammen überwiegend nicht vom Künst-<br />
ler selbst. Bei den meisten handelt es sich um Fotos, die Ruff durch <strong>Re</strong>cherche<br />
im Internet gefunden hat. 95<br />
Die enthaltenen Motive sind sehr vielfältig und folgen zunächst keinem klar er-<br />
kennbaren Thema. Unter den Motiven finden sich Aufnahmen von Raketenstarts,<br />
von kilometerhohen Rauchwolken von Atombombentests, Bil<strong>der</strong> von den Über-<br />
resten <strong>der</strong> Terroranschläge am 11. September 2001 in New York sowie von<br />
Kriegsgebieten. Aber auch harmlosere Motive finden sich darunter: Bil<strong>der</strong> von im<br />
Gegenlicht strahlenden Bäumen o<strong>der</strong> ganzen Waldstücken, von alter und mo<strong>der</strong>-<br />
ner Architektur sowie von schlichten Landschaften und Gewässern. Es handelt<br />
sich meist um Bil<strong>der</strong>, in denen die Komprimierungsartefakte beson<strong>der</strong>s deutlich<br />
werden, etwa weil sie sehr feine Details o<strong>der</strong> wolkige Flächen enthalten. 96<br />
Der Titel jpegs verrät bereits viel über den konzeptuellen Ansatz <strong>der</strong> Serie.<br />
Jpeg ist das in den 1990er Jahren von <strong>der</strong> Joint Photographic Experts Group<br />
entwickelte Bilddateiformat, welches heutzutage am meisten eingesetzt wird.<br />
Jpeg ist auch die Bezeichnung für die dabei verwendete Methode <strong>der</strong> Kompri-<br />
mierung <strong>der</strong> digitalen Bilddaten 97 und ist in den allgemeinen Sprachgebrauch als<br />
häufige Bezeichnung digitaler Fotos eingegangen. Solch eine Methode ist be-<br />
93 Zit. Winzen, 2001, S. 134<br />
94 Aussage Ruff, zit. n. Winzen, 2001, S. 134<br />
95 Vgl. Simpson, 2009, S. 7<br />
96 Ebd., 2009, S. 7f.<br />
97 Ebd., 2009, S. 7<br />
35
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
son<strong>der</strong>s für die Verwendung von Fotos im Internet wichtig, da das Verschicken<br />
unkomprimierter Bilddaten für heutige Übertragungsgeschwindigkeiten digitaler<br />
Netze immer noch recht lange Ladezeiten bedeutet. Die Titel <strong>der</strong> einzelnen Wer-<br />
ke bestehen aus <strong>der</strong> Abkürzung „jpeg“ sowie aus einem Buchstabenkürzel und<br />
einer Nummer. 98<br />
Ruff macht zwei Dinge mit den aus dem Internet gesammelten Fotos. Einer-<br />
seits verstärkt er ihren Charakter als kleine, niedrig aufgelöste, komprimierte In-<br />
formationsstücke, indem er die Komprimierung radikal verstärkt, sodass sich Ar-<br />
tefakte und weiterer Informationsverlust ergeben. An<strong>der</strong>erseits reißt er die Fotos<br />
aus ihrem Kontext im Medium Internet und aus ihrer ursprünglichen Funktion als<br />
bloßer Informationsträger heraus, indem er die zunächst kleinen Bil<strong>der</strong> auf For-<br />
mate „von 188 x 188 cm bis zu 297 x 364 cm“ 99 vergrößert und vom Medium<br />
Bildschirm auf hochwertige, gerahmte, hinter Plexiglas kaschierte C-Prints 100<br />
wechselt.<br />
Abb. 24: Thomas Ruff, jpeg nt02,<br />
2006, C-Print / Diasec Face,<br />
242,6 x 184,8 cm<br />
Seinem sein gesamtes künstlerisches Werk bisher bestimmenden konzeptuellen<br />
Ansatz folgend, thematisiert Ruff auch in <strong>der</strong> Serie jpegs die menschliche Wahr-<br />
nehmung <strong>der</strong> medialen <strong>Re</strong>alität sowie ganz allgemein das Medium Fotografie.<br />
Die Werke dieser Serie lassen sich mit den hier gezeigten kleinen Abbildungen<br />
nur unzureichend repräsentieren, denn sie funktionieren vor allem über ihre<br />
schiere Größe. Durch ihr Format verlangen sie dem Betrachter einen Wahrneh-<br />
98 Vgl. Simpson, 2009, S. 9<br />
99 Zit. Simpson, 2009, S. 9<br />
100 Vgl. Zwirner, o. J.<br />
Abb. 25: jpeg nt02, Detail<br />
36
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
mungsprozess ab, <strong>der</strong> mehrere Stufen beinhaltet. Aus einer Entfernung von eini-<br />
gen Metern wirken sie beinahe wie normale Fotografien. Das Hauptmotiv, sei es<br />
ein Gebäude, eine Katastrophenszene o<strong>der</strong> eine Landschaft, scheint klar er-<br />
kennbar (s. Abb. 24). Je näher man dem Bild jedoch kommt, desto irritieren<strong>der</strong><br />
wirkt es, desto mehr weicht die Wahrnehmung des erkannten Motivs dem Blick<br />
auf einzelne Pixel. Diese ergeben zusammen nur mehr abstrakte, geblockte<br />
Strukturen, die eher an kubistische Malerei als an Fotografie erinnern (s. Abb.<br />
25). 101 Dies ist konträr zum gewohnten Umgang mit Fotografie, bei <strong>der</strong> sich bei<br />
näherer Betrachtung in <strong>der</strong> <strong>Re</strong>gel immer feinere Details ausmachen lassen.<br />
Dieses Spiel mit <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung ist ein Kernpunkt <strong>der</strong> Serie.<br />
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Sichtbarmachen und Hinterfragen des Medi-<br />
ums selbst. Hierbei spielt <strong>der</strong> eben beschriebene Wahrnehmungsprozess eine<br />
entscheidende Rolle. Während <strong>der</strong> Betrachter aus <strong>der</strong> Entfernung noch das Mo-<br />
tiv im Bild sieht und das Medium selbst quasi „übersieht“ – so wie es typischer-<br />
weise auch beim alltäglichen Betrachten von Fotografien geschieht 102 – tritt in <strong>der</strong><br />
Nähe immer mehr die Oberfläche ins Bewusstsein und die Transparenz des Me-<br />
diums schwindet. Ruff sagt dazu: „Viele Leute gucken durch die Fotos hindurch<br />
auf das, was sie erkennen wollen. Die sehen überhaupt nicht, dass das ein foto-<br />
grafisches Bild ist“. 103 Mit den jpegs versucht er das Gefühl für die Fotografie als<br />
ein Medium zurückzubringen, während das Bewusstsein dafür durch die Bil<strong>der</strong>-<br />
flut in Massenmedien und Internet zu schwinden droht.<br />
Wie aber sieht es mit <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> Serie <strong>der</strong> jpegs aus?<br />
Als Beispiel sei ein Motiv von den Anschlägen auf das World Trade Center am<br />
11. September 2001 gewählt (s. Abb. 26). Zunächst einmal sieht es so aus, als<br />
ob durch die mehrfache Komprimierung, einmal beim Einstellen in das Internet,<br />
ein weiteres Mal durch Thomas Ruff, die Darstellung „verzerrt“ und „verschlech-<br />
tert“ wird, sich das Motiv also weiter vom Original entfernt. Es sind keine Details<br />
mehr sichtbar, alles verschwimmt in <strong>der</strong> Pixelstruktur des Bildes. Dennoch kann<br />
<strong>der</strong> Betrachter das Bild sofort zuordnen. Schließlich wurden die Terroranschläge<br />
des 11. September auch durch die oftmals von Amateuren unscharf, verwackelt<br />
und verpixelt aufgenommen Fotos und Videos zu einem massenhaft verfolgten<br />
Medienereignis. 104 Durch die Komprimierung und Unschärfe des Motivs wird es<br />
101 Vgl. Simpson, 2009, S. 8<br />
102 Vgl. S. 6<br />
103 Aussage Ruff, zit. n. Simpson, 2009, S. 8<br />
104 Vgl. Simpson, 2009, S. 7f.<br />
37
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Abb. 26: Thomas Ruff, jpeg ny02, 2004, C-Print / Diasec Face, 269 x 364 cm<br />
vielleicht realitätsnäher, auf jeden Fall aber authentischer dargestellt, als dies<br />
eine hochaufgelöste, exakte Dokumentation leisten könnte. 105 Durch die digitale<br />
Vergröberung <strong>der</strong> Abbildung erlangt Ruff also eine prägnantere Darstellung <strong>der</strong><br />
massenmedialen <strong>Re</strong>alität des Ereignisses, als dies ohne den Einsatz digitaler<br />
Komprimierung <strong>der</strong> Fall wäre.<br />
3.3.3 Jpegs und Paradises – Ruff im Vergleich mit Thomas Struth<br />
Ein Vergleich zu dem ehemaligen Kommilitonen Thomas Struth zeigt die Unter-<br />
schiede, die durch die digitale Bearbeitung und dadurch erzielte Unschärfe im<br />
Gegensatz zu einer dokumentarischen, hoch aufgelösten Aufnahme durch analo-<br />
ge Fototechnik entstehen.<br />
Thomas Struth studierte ebenso wie Ruff an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie,<br />
allerdings zunächst Malerei in <strong>der</strong> Klasse von Gerhard Richter. Später wechselte<br />
er in Bernd Bechers Klasse und wurde einer seiner ersten Schüler. 1980 beende-<br />
te er das Studium. 106 Größere Bekanntheit erlangte er durch seine Serie <strong>der</strong><br />
Museumsbil<strong>der</strong>, die Museumsbesucher bei <strong>der</strong> Betrachtung von Kunstwerken in<br />
105 Vgl. S. 8<br />
106 Vgl. Malz; Müller, 2009, S. 317<br />
38
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
bekannten Museen zeigen, sowie mit seiner Werkreihe <strong>der</strong> Familienportraits. Er<br />
arbeitet in aller <strong>Re</strong>gel ohne den Einsatz digitaler Fotografie und Bildbearbei-<br />
tung. 107 In <strong>der</strong> Serie Paradises bedient sich Struth ganz ähnlicher Motive (s. Abb.<br />
27), wie sie auch in einigen Werken in Ruffs Werkgruppe <strong>der</strong> jpegs vorkommen<br />
(s. Abb. 28). Die Serie <strong>der</strong> Paradieses zeigt Aufnahmen von Laub-, Nadel- und<br />
tropischen Urwäl<strong>der</strong>n, die sich durch eine dichte Fülle von Details und gleichmä-<br />
ßige Kompositionen ohne Schwerpunkte auszeichnet. Struth stellt die Wäl<strong>der</strong> als<br />
undurchdringliche „All-over“-Strukturen dar.<br />
Abb. 27: Thomas Struth, Paradise 1 (Pilgrim<br />
Sands), Daintree/Australien, 1998, C-Print /<br />
Diasec Face, 235,7 x 185 cm<br />
Beim Vergleich <strong>der</strong> gezeigten Motive kann man nicht mehr unbedingt von einer<br />
gesteigerten Authentizität durch die Bildbearbeitung in Ruffs Variante sprechen.<br />
Denn im Gegensatz zu den Bil<strong>der</strong>n von 9/11 kennt man die hier dargestellten<br />
Motive eher aus <strong>der</strong> Landschaftsmalerei als aus den Massenmedien. Jedoch<br />
geht es beiden Künstlern um ein sehr ähnliches Thema, welches sie aber durch<br />
völlig unterschiedliche Mittel behandeln. Struth sagt über seine Serie, er wollte<br />
Bil<strong>der</strong> kreieren, „die so dicht sind, dass man keine abschließende Betrachtung al-<br />
ler Details vollziehen kann“ 108 . Während Struth also durch eine Fülle an Details<br />
die Wahrnehmung des Betrachters thematisiert, geschieht dies bei Ruff durch<br />
Wegnahme von Details aufgrund <strong>der</strong> digitalen Komprimierung.<br />
107 Vgl. Gronert, 2009, S. 36ff.<br />
108 Aussage Struth, zit. n. Mohr, 2011<br />
Abb. 28: Thomas Ruff, jpeg pt03, 2006, C-<br />
Print / Diasec Face, 249 x 188 cm<br />
39
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Einen wie<strong>der</strong>um gänzlich an<strong>der</strong>en Ansatz, <strong>der</strong> sowohl die Wahrnehmung des Be-<br />
trachters anspricht als auch eine interessante Vorgehensweise bei <strong>der</strong> Darstel-<br />
lung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität bietet, findet sich bei Andreas Gursky.<br />
3.4 ANDREAS GURSKY<br />
Etwas später als Thomas Ruff kam 1981 <strong>der</strong> 1955 in Leipzig geborene Andreas<br />
Gursky in die Fotoklasse von Bernd und Hilla Becher. Davor hatte er bereits drei<br />
Jahre an <strong>der</strong> Essener Folkwang-Schule bei Otto Steinert und Michael Schmidt<br />
studiert. 1985 hatte er in Köln seine erste Ausstellung und 1987 beendete er sei-<br />
ne Lehre bei den Bechers. Es folgten diverse internationale Ausstellungen, eine<br />
größere <strong>Re</strong>trospektive fand 2007 und 2008 an mehreren Standorten, darunter<br />
dem Haus <strong>der</strong> Kunst in München, statt. 109 Seit 2010 leitet er eine Klasse für Freie<br />
Kunst an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie. 110<br />
3.4.1 Werkübersicht und künstlerischer Ansatz<br />
Im Gegensatz zu Thomas Ruff, <strong>der</strong> fast nur in großen Werkgruppen arbeitet und<br />
dabei eine große Anzahl an Werken schafft, entstehen bei Andreas Gursky eher<br />
Einzelwerke in vergleichsweise geringer Anzahl. Die Vorliebe zu monumentalen<br />
Formaten mit teils über fünf Meter Kantenlänge teilt Gursky aber mit seinem ehe-<br />
maligen Kommilitonen. Seit Abschluss seines Studiums 1987 hat Gursky seine<br />
Bildsprache stetig weiterentwickelt. Der seit 1991 betriebene Einsatz digitaler<br />
Bildbearbeitung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Gursky nutzt sie, um seine<br />
Bil<strong>der</strong> zu komponieren, die Inhalte zu verdichten und neue Sehweisen zu er-<br />
schaffen. 111<br />
In seinen Arbeiten aus den 1980er Jahren, die noch ohne digitale Mittel aus-<br />
kommen müssen, ist die Bildsprache noch eine an<strong>der</strong>e. Oftmals sind es Land-<br />
schaftsansichten. Im Gegensatz zu seinen späteren Werken sind sie von nach-<br />
vollziehbaren Standpunkten aufgenommen. Es ist ein distanzierter Blick, <strong>der</strong> das<br />
Motiv wie in einer Übersichtsaufnahme zeigt, meist von einem erhöhten Stand-<br />
punkt aus. Oft fallen dabei ein einzelnes, den Blick lenkendes o<strong>der</strong> einige wenige<br />
Details auf, sei es eine Gondel in den Bergen, einige verstreute Menschen in <strong>der</strong><br />
Landschaft o<strong>der</strong> ein Schiff, welches die Niagarafälle ansteuert (s. Abb. 29).<br />
109 Vgl. Malz; Müller, 2009, S. 308<br />
110 Vgl. WZ Newsline, 2010<br />
111 Vgl. Gronert, 2009, S. 54f.<br />
40
Abb. 29: Andreas Gursky, Niagara Falls, 1989,<br />
C-Print / Diasec Face, 280 x 222,1 cm<br />
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Diese Details drängen sich allerdings<br />
kaum in den Vor<strong>der</strong>grund und wenn<br />
Menschen auftauchen, werden sie nie<br />
als Individuen gezeigt. Sie dienen eher<br />
als Beiwerk <strong>der</strong> majestätisch und über-<br />
mächtig dargestellten Landschaft. An-<br />
<strong>der</strong>s als in Gurskys späteren digitalen<br />
Werken ist hier <strong>der</strong> von Cartier-Bresson<br />
beschworene „entscheidende Moment“<br />
von Bedeutung. Gursky, <strong>der</strong> hier beob-<br />
achtet, nicht inszeniert, muss genau<br />
den Moment abpassen, in dem die Sze-<br />
ne seinen Intentionen entspricht. 112<br />
Während <strong>der</strong> distanzierte Blick in<br />
seinen digital erstellten Werken noch<br />
zunimmt, verliert dieser „entscheidende Moment“ in späteren Arbeiten an Bedeu-<br />
tung. Durch die Art und Weise, wie Gurskys Werke entstehen, kann man einen<br />
einzigen Moment überhaupt nicht mehr ausmachen. Gurskys Bil<strong>der</strong> sind oftmals<br />
aus vielen Aufnahmen erstellt, es vermengen sich also sowohl mehrere Momente<br />
sowie auch verschiedene Perspektiven. Trotzdem gelingt es Gursky dabei immer<br />
den Eindruck aufrechtzuerhalten, es werde eine authentische Szene gezeigt.<br />
Ganz im Gegensatz zu Thomas Ruff, <strong>der</strong> bewusst digitale Filter, Verzerrungen<br />
und Manipulationen einsetzt, die für jeden sofort offensichtlich werden, sieht man<br />
bei kaum einem Bild von Gursky, wie und wo genau digital montiert wurde. Wäh-<br />
rend eine solche Vorgehensweise in Landschafts- o<strong>der</strong> Architekturaufnahmen<br />
noch vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen ist, sind die bei Gursky häufig<br />
anzutreffenden Darstellungen von Menschenmassen ungleich komplexer. Sie<br />
treten in Gurskys Werk vor allem bei Rockkonzerten, in Börsensälen sowie in <strong>der</strong><br />
neueren Werkreihe Pyongyang von 2007 hervor. Gerade die Pyongyang-Werke<br />
sagen viel über seinen künstlerischen Ansatz und seine Herangehensweise an<br />
komplexe Motive aus. Die Serie zeigt das nordkoreanische Festspiel „Arirang“,<br />
eine Massenveranstaltung, in <strong>der</strong> hun<strong>der</strong>ttausende Mitwirkende in einem Stadi-<br />
um in <strong>der</strong> Hauptstadt Pyongyang durch rhythmische Gymnastik und dem Erstel-<br />
len „lebendiger Bil<strong>der</strong>“ mittels Farbtafeln eine metaphernreiche Geschichte des<br />
Landes erzählen.<br />
112 Vgl. Weski, 2007, S. 15<br />
41
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Abb. 30: Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007, C-Print / Diasec Face, 307 x 215,5 cm<br />
42
Abb. 31: Pyongyang I, Detail<br />
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
Gursky wurde auf <strong>der</strong> <strong>Re</strong>ise nach Nord-<br />
korea und auch bei den Aufnahmen von<br />
Jan Schmidt-Garre begleitet, <strong>der</strong> in ei-<br />
nem Artikel in <strong>der</strong> Wochenzeitschrift Die<br />
Zeit die <strong>Re</strong>ise und die Entstehung von<br />
Pyongyang erzählt. Er beschreibt, wie<br />
Gursky sich für die Erstellung <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />
den besten Platz, die „Mittelloge, unter<br />
einem zehn Meter hohen Portrait des<br />
Staatsgrün<strong>der</strong>s Kim Il Sung“ 113 erkämpf-<br />
te und hun<strong>der</strong>te Aufnahmen als Rohma-<br />
terial für seine späteren Interpretationen<br />
des Spektakels anfertigte. 114<br />
Das erste Werk <strong>der</strong> <strong>Re</strong>ihe – Pyongyang I (s. Abb. 30) – beinhaltet viele für Gurs-<br />
kys Werke typische Merkmale: Einen deutlich erhöhten Standpunkt des Betrach-<br />
ters, eine durchkalkulierte strenge Komposition in <strong>der</strong> Gesamtansicht sowie eine<br />
große Tiefenschärfe, die jedes Detail erfasst. Ähnlich wie bei Ruffs jpegs erwir-<br />
ken auch Gurskys monumentale Werke wie Pyongyang I einen beson<strong>der</strong>en Be-<br />
trachtungsprozess <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>: Während sich Ruffs jpegs bei näherer Betrachtung<br />
immer mehr auflösen und immer weniger erkennbar scheinen, werden bei <strong>der</strong><br />
Betrachtung von Gurskys Fotografien aus <strong>der</strong> Nähe eine Fülle an Details sicht-<br />
bar, in dem hier gezeigten Fall bis hin zu einzelnen Gesichtern (s. Abb. 31).<br />
Die Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Pyongyang-<strong>Re</strong>ihe sind vergleichsweise nah an <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong><br />
<strong>der</strong> Szenerie. Das Stadion ist nur leicht abgewandelt dargestellt und die Men-<br />
schenmassen befanden sich tatsächlich in dieser großen Anzahl darin. 115 Jedoch<br />
vereint Gursky verschiedene Momente, verdichtet die Ereignisse mehrerer Stun-<br />
den durch Montage vieler Einzelaufnahmen zu einer einzigen Fotografie. Obwohl<br />
er damit von <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität abweicht, gelingt ihm dadurch ein Bild des Geschehens<br />
mit einer „gesteigerten, aufgeladenen Authentizität“ 116 , wie es Schmidt-Garre be-<br />
schreibt.<br />
In Gurskys Werk ist – auch motiviert von den Möglichkeiten des Digital Ima-<br />
ging, das er seit den 90er Jahren immer intensiver nutzt – eine Tendenz von <strong>der</strong><br />
113 Zit. Schmidt-Garre, 2007<br />
114 Vgl. Schmidt-Garre, 2007<br />
115 Vgl. Schmidt-Garre, 2011<br />
116 Zit. Schmidt-Garre, 2007<br />
43
Abbildung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität hin zu einer, in<br />
seinen eigenen Worten, „Interpretation<br />
von <strong>Re</strong>alität“ 117 auszumachen. Dies wird<br />
an jenen Motiven beson<strong>der</strong>s deutlich,<br />
die sich mit normalen fotografischen Mit-<br />
teln gar nicht abbilden lassen. In seiner<br />
neuesten Werkreihe Ocean (s. Abb. 32)<br />
nimmt die Distanz zum Motiv noch ein-<br />
mal deutlich zu. Sie zeigt Ansichten aller<br />
Ozeane dieser Erde, dargestellt als un-<br />
ergründliche, gewaltige Flächen chan-<br />
gieren<strong>der</strong> Blautöne, umgeben von an<br />
den Rand gedrängten Landmassen.<br />
Nicht nur die Distanz zum Motiv, auch<br />
diejenige zur Fotografie wird größer.<br />
Erstmals verwendete Gursky, ähnlich<br />
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
wie sein Kollege Thomas Ruff, kein eigenes Bildmaterial, son<strong>der</strong>n erwarb Satelli-<br />
tenbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erde. Die Darstellung <strong>der</strong> Ozeane entstand, in Ermangelung hoch-<br />
auflösenden Ausgangsmaterials, durch seine Assistenten komplett am Compu-<br />
ter. 118 Ob solchermaßen entstandene Bil<strong>der</strong> noch als Fotografien zu bezeichnen<br />
sind, ist fraglich. Im Vergleich zu einem traditionell arbeitenden Fotografen, <strong>der</strong><br />
die Welt ausschnitthaft darstellt, also subtraktiv vorgeht, arbeitet Gursky additiv.<br />
Er stellt seine Motive aus Einzelelementen zusammen, arbeitet also eher wie ein<br />
Maler o<strong>der</strong> Grafiker. 119<br />
Nicht alle Arbeiten Gurskys sind dabei in ihrer Wirkung so weit entfernt von<br />
Fotografien wie seine Oceans. Dennoch ist die Arbeitsweise dabei oft ähnlich ad-<br />
ditiv und komponierend. An einem neueren Werk, Hamm, Bergwerk Ost (s. Abb.<br />
33), lässt sich sein aktuelles Vorgehen gut erklären, vor allem weil die Entste-<br />
hung dieses Werkes sehr genau dokumentiert ist. Schmidt-Garre verfolgte 2008<br />
die Produktion des Kunstwerks von <strong>der</strong> ersten Idee bis hin zur Veröffentlichung<br />
in einer Ausstellung.<br />
117 Aussage Gursky, zit. n. Schmidt-Garre, 2007<br />
118 Vgl. Ackermann, 2010<br />
119 Vgl. Weski, 2007, S. 17<br />
Abb. 32: Andreas Gursky, Ocean VI, 2010, C-<br />
Print / Diasec Face, 340,9 x 249,4 cm<br />
44
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
3.4.2 Gurskys Arbeitsweise am Beispiel von Hamm, Bergwerk Ost<br />
Hamm, Bergwerk Ost zeigt das<br />
Innere einer so genannten<br />
Waschkaue, einer Halle zur Auf-<br />
bewahrung <strong>der</strong> Arbeitskleidung<br />
von Bergleuten. In dem Doku-<br />
mentarfilm „Andreas Gursky.<br />
Long Shot Close Up“ 120 von<br />
Schmidt-Garre wird Schritt für<br />
Schritt die Produktion des<br />
Kunstwerks gezeigt. Der Begriff<br />
„Produktion“ ist bewusst ge-<br />
wählt. Die Entstehung eines<br />
Werkes wie Hamm, Bergwerk<br />
Ost dauert Monate und involviert<br />
viele Mitarbeiter und Helfer. Zu<br />
Beginn <strong>der</strong> Arbeit steht eine<br />
Bildidee. Sie kann von einem<br />
Bild stammen, das <strong>der</strong> Künstler<br />
gesehen hat o<strong>der</strong> von einer An-<br />
regung aus seinem Umfeld.<br />
Abb. 33: Andreas Gursky, Hamm, Bergwerk Ost, 2008,<br />
C-Print / Diasec Face, 307 x 223,5 cm<br />
Darauf folgt eine längere Phase <strong>der</strong> Suche nach geeigneten Orten, während <strong>der</strong><br />
im Fall von Hamm, Bergwerk Ost zunächst ein Assistent und später auch Gursky<br />
selbst Waschkauen mehrerer Bergwerke besichtigt und nach dem geeignetsten<br />
Ort sucht. Darauf folgt das Aufnehmen des Ausgangsmaterials. Über mehrere<br />
Tage wird mit analogen sowie auch mit digitalen Großformatkameras die Halle<br />
von verschiedenen Standpunkten aus fotografiert. Es entstehen viele kleine<br />
Bruchstücke des Raumes. Im Studio wird das Material gesichtet. Im Fall von<br />
Hamm, Bergwerk Ost entschied man sich für das analoge Material, welches<br />
gescannt und am Computer durch Freistellung und Kombination gewünschter<br />
Objekte zu einem konstruierten Raum komponiert wird. Da Gursky im Hinter-<br />
grund einige „Bergleute“ zeigen möchte, werden erneut Aufnahmen von Perso-<br />
nen gemacht und ins Bild montiert. Dass es sich dabei nicht um Bergleute han-<br />
120 Erhältlich auf DVD. Ausschnittsweise zu sehen unter:<br />
http://www.parsmedia.com/films/long-shot-close-up-andreas-gursky/watch<br />
45
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
delt – Gursky nahm <strong>der</strong> Einfachheit halber einige Arbeiter in <strong>der</strong> Nähe seines<br />
Studios auf – tut dem <strong>Re</strong>alismus keinen Abbruch, denn <strong>der</strong> Bildbearbeiter fügt<br />
Gurskys Aufnahmen nahtlos in die bestehende Komposition ein. Die endgültigen<br />
Vergrößerungen werden, nicht ohne mehrfache Tests und Begutachtung durch<br />
den Künstler, im Fotolabor Grieger produziert. 121<br />
Die Einsicht in solch eine Produktion zeigt, dass das, was Gursky macht,<br />
längst nicht mehr mit <strong>der</strong> Arbeit eines Fotografen zu vergleichen ist. Seine Arbeit<br />
ähnelt viel eher <strong>der</strong> eines <strong>Re</strong>gisseurs o<strong>der</strong> eines visuellen Komponisten. Gursky<br />
sagt in Schmidt-Garres Dokumentation dazu, seine Bil<strong>der</strong> seien „Interpretationen<br />
von Orten“ 122 und er „arbeite mit realem, authentischem Material, aber komponie-<br />
re ganz frei“. 123 Er benutzt Fotografien lediglich als Ausgangsmaterial und formt<br />
daraus nach seinen Vorstellungen neue Szenen und Kompositionen.<br />
Ist aber das En<strong>der</strong>gebnis seiner Arbeit noch als Fotografie zu bezeichnen und<br />
stellt es noch das Ursprungsmotiv dar? Gursky äußert sich dazu indifferent. Ei-<br />
nerseits seien seine Bil<strong>der</strong> Erinnerungen an den Ort, „so, wie man ihn verbal be-<br />
schreiben würde“, 124 an<strong>der</strong>erseits versucht er durch Manipulation sich „vom au-<br />
thentischen Ort zu entfernen.“ 125 Bei <strong>der</strong> Betrachtung von Hamm, Bergwerk Ost<br />
kann man diese zwei Aussagen durchaus nachvollziehen. In Schmidt-Garres<br />
Film werden die Bergwerksräume in dokumentarischer Art und Weise in mehre-<br />
ren Einstellungen gezeigt. Keine zeigt die Fülle, wie sie sich in Gurskys Ergebnis<br />
findet. Trotzdem ist zu vermuten, dass man bei Begehung des Raumes und län-<br />
gerer Betrachtung genau diese Fülle empfindet, da sich die gesammelten Ein-<br />
drücke in <strong>der</strong> Erinnerung zu einem geschlossenen Bild fügen.<br />
Gursky präsentiert genau solch ein geschlossenes Erinnerungs-Bild. Auch<br />
wenn er sich vom authentischen Raum entfernt und einen künstlichen kreiert, er-<br />
langen seine Bil<strong>der</strong> gerade durch den massiven und technisch zur Perfektion ge-<br />
triebenen Einsatz von Digital Imaging oft eine genauere <strong>Re</strong>präsentation komple-<br />
xer Szenarien, als die fotografische Abbildung allein es jemals könnte. Allerdings<br />
darf nicht außer Acht gelassen werden, dass nur solche Betrachter dies so emp-<br />
finden dürften, die sich auf eine ähnliche Sichtweise einlassen, wie Gursky sie<br />
hat und in seinen Werken zeigt. Es ist eine beobachtende, distanzierte Sichtwei-<br />
121 Vgl. Schmidt-Garre, 2011<br />
122 Aussage Gursky, zit. n. Schmidt-Garre, 2011<br />
123 Ebd.<br />
124 Ebd.<br />
125 Ebd.<br />
46
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
se, die in den Worten des Kunsthistorikers Werner Spieß eine gewisse „Berüh-<br />
rungsangst“ 126 und „<strong>Re</strong>serviertheit“ 127 zeigt. In manchen Fällen führt diese Sicht-<br />
weise zu sehr authentischen Bil<strong>der</strong>n, in an<strong>der</strong>en entstehen Bil<strong>der</strong>, die von <strong>der</strong><br />
menschlichen Sichtweise auf die <strong>Re</strong>alität stark abweichen. Diese Abweichung<br />
wird beson<strong>der</strong>s deutlich, wenn man die Ergebnisse, zu denen Gursky in seinen<br />
Arbeiten kommt, mit denen einer Künstlerin mit gänzlich an<strong>der</strong>er Arbeitsweise<br />
vergleicht.<br />
3.4.3 Bibliothek – Gursky im Vergleich mit Candida Höfer<br />
Wenn zwei Künstler mit ihren jeweiligen individuellen Ansätzen sich dem glei-<br />
chen Motiv zuwenden, wird wohl nie zweimal das gleiche Ergebnis dabei entste-<br />
hen. 1999 wendete sich Gursky einem Motiv zu, welches eine Kommilitonin aus<br />
<strong>der</strong> Düsseldorfer Schule, Candida Höfer, schon sechs Jahre zuvor aufgenom-<br />
men hatte. Es handelt sich um die Stadtbibliothek Stockholm, ein typisches Motiv<br />
für das Werk Candida Höfers, die sich in ihrer Arbeit vor allem auf die Abbildung<br />
beson<strong>der</strong>er öffentlicher Räume, darunter häufig Bibliotheken, konzentriert. Die<br />
beiden Werke könnten, trotz des selben Motivs, kaum unterschiedlicher sein.<br />
Dies äußert sich bereits in den Formaten. Während Candida Höfers Stadtbiblio-<br />
thek Stockholm (s. Abb. 34) in einem mo<strong>der</strong>aten Format von 38 x 57 cm ausge-<br />
führt ist, greift Gursky bei seiner Bibliothek (s. Abb. 35) zu einem deutlich breite-<br />
ren und ungleich größeren Format von 208 x 398,5 cm. 128<br />
Abb. 34: Candida Höfer, Stadtbibliothek<br />
Stockholm, 1993, C-Print, 38 x 57 cm<br />
126 Aussage Spieß, zit. n. Schmidt-Garre, 2011<br />
127 Ebd.<br />
128 Vgl. Gronert, 2009, S. 28f.<br />
Höfers Bild zeigt den Innenraum <strong>der</strong> Bi-<br />
bliothek mit einer lockeren, ausschnitt-<br />
haften Bildkomposition. Im Hintergrund<br />
die in einem Rund angeordneten Bü-<br />
cherwände, welche über Treppen er-<br />
reichbar sind. Der durch mehrere Men-<br />
schen belebte Innenraum ist gefüllt mit<br />
mehreren Tresen und Infoständen. Mit-<br />
ten im Raum hängt eine große Lampe,<br />
die die leicht asymmetrische Kompositi-<br />
on abfängt. Nach oben hin schließt das<br />
Bild mit einer mit charakteristischen Ein-<br />
47
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
buchtungen versehenen, hellen Betondecke. Der Innenraum ist in ein natürliches<br />
Licht mit Flecken direkter Sonneneinstrahlung getaucht.<br />
Gursky hingegen wendet eine streng symmetrische Komposition an. Der<br />
Raum ist radikal entleert, von links nach rechts erstrecken sich in perfektem<br />
Rund die drei Stockwerke <strong>der</strong> Bücherregale. Die zu ihnen führende Treppe ist<br />
verschwunden, ebenso die vielen Tresen im Innenraum. Stattdessen zeigt sich<br />
ein spiegelglatter, digital eingesetzter Fußboden. Zwei Menschen tauchen im Bild<br />
auf, aber sie wirken eher wie Statisten statt wie reguläre Bibliotheksbesucher.<br />
Die Beleuchtung ist diffus und gleichmäßig. Einzig an <strong>der</strong> charakteristischen De-<br />
cke erkennt man, dass es sich bei den beiden Motiven um dieselbe Bibliothek<br />
handeln muss.<br />
Abb. 35: Andreas Gursky, Bibliothek, 1999, C-Print / Diasec Face, 208 x 398,5 cm<br />
Der Einsatz digitaler Bildbearbeitung und die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> abgebildeten <strong>Re</strong>a-<br />
lität auf Seiten von Gursky ist im Vergleich zu Höfers Bild klar zu erkennen. Wes-<br />
sen Bild aber gibt das Wesen des Ortes realistischer wie<strong>der</strong>? Der inhaltliche Ver-<br />
gleich macht deutlich, dass Gursky und Höfer die Bibliothek an<strong>der</strong>s auffassen<br />
und sie so in einer gänzlich an<strong>der</strong>en Absicht darstellen. Höfer zeigt das alltägli-<br />
che Treiben <strong>der</strong> Bibliothek, die sich als lebendiger Umschlagplatz des Wissens<br />
präsentiert. Bei Gursky hingegen kommen Assoziationen von heiligen Orten o<strong>der</strong><br />
dem römischen Pantheon auf. Er stilisiert die Bibliothek zu einer „Metapher des<br />
Wissens“. 129 Auch wenn Höfer formal viel näher an <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität bleibt, gelangen<br />
doch beide zu einer auf ihre jeweilige Art authentischen und realistischen Dar-<br />
129 Zit. Gronert, 2009, S. 29<br />
48
3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />
stellung des Begriffs Bibliothek. Welche <strong>der</strong> beiden Darstellungen als die treffen-<br />
<strong>der</strong>e, um nicht zu sagen realistischere erscheint, lässt sich nicht abschließend<br />
beantworten, son<strong>der</strong>n hängt stark von <strong>der</strong> Sichtweise und Bewertung des Be-<br />
trachters ab.<br />
Gursky ist nicht daran interessiert, bloße Abbildungen zu erzeugen. Seine<br />
Werke lassen sich – aus dutzenden Einzelteilen zusammenmontiert – auch nicht<br />
mehr als Abbildungen o<strong>der</strong> <strong>Re</strong>produktionen <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> bezeichnen. Viel<br />
eher handelt es sich um <strong>Konstruktionen</strong> von <strong>Wirklichkeit</strong>, ähnlich <strong>der</strong> Arbeit von<br />
Malern, die mehrere Zeit- und <strong>Re</strong>alitätsebenen in ihren Werken vereinen, so bei-<br />
spielsweise bei religiösen Darstellungen o<strong>der</strong> historischen Schlachtengemälden.<br />
In einer Welt, in <strong>der</strong> einfache Abbildung längst nicht mehr ausreicht, um die<br />
<strong>Re</strong>alität in all ihren Facetten und ihrer Komplexität zu repräsentieren, bedarf es<br />
solcher <strong>Konstruktionen</strong> o<strong>der</strong> auch <strong>Re</strong>konstruktionen <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität mit digitalen Mit-<br />
teln, wie Gursky sie anfertigt. In diesem Punkt ähnelt sein Ansatz jenem von Tho-<br />
mas Ruff. Auch dieser setzt das Digital Imaging ein, um durch Abweichung von<br />
einer realistischeren Darstellung diese prägnanter wie<strong>der</strong>zugeben.<br />
49
4 (<strong>Re</strong>-)<strong>Konstruktionen</strong> <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> – die<br />
digitalen <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> Fotokunst<br />
In dem folgenden Teil werden die Ansätze Thomas Ruffs und Andreas Gurskys<br />
noch einmal näher beleuchtet, indem die Zwischenresultate aus <strong>der</strong> <strong>Re</strong>zeption<br />
<strong>der</strong> Werke <strong>der</strong> beiden Künstler in Bezug zum historischen Überblick am Anfang<br />
des dritten Kapitels gesetzt werden sowie zu <strong>der</strong> Abhandlung über das Digital<br />
Imaging im zweiten und den Erkenntnissen des ersten Teils <strong>der</strong> Arbeit.<br />
4.1 EINORDNUNG RUFFS UND GURSKYS IN KATEGORIEN DER<br />
IFOTOKUNST<br />
Die zeitgenössische Fotokunst wurde im dritten Teil in drei Kategorien eingeteilt:<br />
Soziopolitisch kommentierend, das Medium reflektierend sowie Welten schaf-<br />
fend. Die erste Kategorie ist eher untypisch für die Düsseldorfer Schule. Die<br />
meisten ihrer Vertreter behalten eine gewisse Distanz und <strong>Re</strong>serviertheit zum<br />
Motiv. Auch bei Gursky und Ruff finden sich selten direkte Kommentare. Auch<br />
wenn in ihren Werken brisante Themen vorkommen, wie die Bil<strong>der</strong> von 9/11 bei<br />
Ruffs jpegs o<strong>der</strong> Gurskys in Nordkorea entstandene Pyongyang-Serie, vermei-<br />
den die Künstler im Bild den Kommentar. Der Betrachter kann sich so eine eige-<br />
ne Meinung bilden. Ruffs Werke lassen sich eindeutig <strong>der</strong> zweiten Kategorie zu-<br />
ordnen, die <strong>Re</strong>flexion des Mediums Fotografie ist in seinem konzeptionellen<br />
Ansatz von größter Bedeutung. Gurskys Arbeiten gehören vor allem <strong>der</strong> dritten<br />
Kategorie an. Seine konstruierten Welten sind dabei aber immer an <strong>der</strong> realen<br />
Welt orientiert.<br />
Der am Anfang des dritten Teils aufgestellte Überblick über die <strong>Re</strong>alitätsdar-<br />
stellung in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Fotokunst zeigte eine Polarität von dokumentari-<br />
scher und gestalterischer Abbildung. Während die Lehrer <strong>der</strong> Düsseldorfer Schu-<br />
le, Bernd und Hilla Becher, klar dokumentarisch vorgehen und nur in bestimmten<br />
Rahmenbedingungen gestalten, finden sich bei ihren Schülern beide Ansätze.<br />
Die ersten Arbeiten von Ruff – die Porträts – hatten noch deutlich den dokumen-<br />
tarischen Ansatz. In seinen neuesten Arbeiten, den Zycles, gibt es nur noch Ge-<br />
50
4 (<strong>Re</strong>-)<strong>Konstruktionen</strong> <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> – die digitalen <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> Fotokunst<br />
staltung. In den ausführlich vorgestellten jpegs vereinen sich beide Ansätze.<br />
Durch Verpixelung und Komprimierung gestaltet Ruff. Durch das Arbeiten in<br />
Serien und den engen Bezug zum Ursprungsmedium Internet dokumentiert er,<br />
und zwar die Fülle sowie den Funktionsverlust <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> in <strong>der</strong> digitalen Welt.<br />
Bei Gursky wird das Vorhandensein bei<strong>der</strong> Ansätze noch klarer. Der gesamte<br />
Entstehungsprozess, im dritten Teil an Hamm, Bergwerk Ost demonstriert, ist ein<br />
gestalterischer, mit <strong>der</strong> Arbeit eines Malers vergleichbar. Durch die Präzision in<br />
<strong>der</strong> Abbildung sowie durch das Komponieren und <strong>Re</strong>konstruieren <strong>der</strong> Ereignisse<br />
sind seine Werke Dokumentationen komplexer, schwer erfassbarer <strong>Re</strong>alitäten.<br />
4.2 VERWENDUNG DES DIGITAL IMAGING BEI RUFF UND GURSKY<br />
Die <strong>Re</strong>zeption <strong>der</strong> Werke Thomas Ruffs und Andreas Gurskys zeigten, dass die<br />
beiden Künstler das Digital Imaging vielfach einsetzen. Zu Beginn des zweiten<br />
Teils wurde <strong>der</strong> Vergleich von analoger zu digitaler Fotografie gezogen. Ruff und<br />
Gursky bedienen sich bei<strong>der</strong> Technologien. Gurskys Ausgangsmaterial kann so-<br />
wohl analog als auch digital sein, in jedem Fall wird es allerdings für die spätere<br />
Weiterverwendung digitalisiert. Ruffs Materialien haben verschiedenste Ursprün-<br />
ge. Es können analoge Negative sein (Serie Sterne), gedruckte Bil<strong>der</strong> (Zeitungs-<br />
fotos), Filmstills (Nudes) o<strong>der</strong> im Fall <strong>der</strong> jpegs Fotos aus dem Internet.<br />
Im Überblick über die digitale Bildbearbeitung wurden die Techniken in drei<br />
Bereiche kategorisiert: Bearbeitung zur Bildoptimierung, solche zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Bildwirkung und schließlich die Verän<strong>der</strong>ung des Inhalts und Neuordnung ganzer<br />
Bildteile. In den aktuelleren, vertieft dargestellten Arbeiten verwenden Ruff wie<br />
auch Gursky alle Techniken. Bildoptimierung findet allerdings hauptsächlich als<br />
Mittel zum Zweck <strong>der</strong> weiteren Verwendung statt. Ruff nimmt vor allem Verände-<br />
rungen <strong>der</strong> Bildwirkung vor. Er setzt Verzerrungen, Farbverän<strong>der</strong>ungen sowie<br />
Verpixelungen ein, um die von ihm gewünschte Bildwirkung zu erzielen. Gursky<br />
macht hauptsächlich Verän<strong>der</strong>ungen des Inhalts. Um Bil<strong>der</strong> nach seinen Vorstel-<br />
lungen zu kreieren, retuschiert er unerwünschte Bildelemente und erzeugt auf-<br />
wändige Montagen aus einer Vielzahl von Einzelbil<strong>der</strong>n.<br />
Im Vergleich zur analogen Fotografie zeigte sich, dass <strong>der</strong> größte Unterschied<br />
in den verschiedenen Speichertechnologien und <strong>der</strong> damit verbundenen Immate-<br />
rialität und Handhabbarkeit digitaler Daten liegt. Die Abhandlung über die Wie-<br />
<strong>der</strong>gabe digitaler Bil<strong>der</strong> machte deutlich, dass dies im Kontext <strong>der</strong> Fotokunst zu<br />
51
4 (<strong>Re</strong>-)<strong>Konstruktionen</strong> <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> – die digitalen <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> Fotokunst<br />
einem Problem werden kann, da die einfache <strong>Re</strong>produzierbarkeit den Wert min-<br />
<strong>der</strong>t. Ruff und Gursky adressieren dieses Problem, indem sie sehr große und<br />
technisch aufwändige Vergrößerungen anfertigen lassen, die in ihrer Stückzahl<br />
streng limitiert sind. In ihrer Präsenz und auch in den erzielten Auktionspreisen<br />
sind die Werke dadurch mit Tafelbil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Malerei vergleichbar und treten so in<br />
Konkurrenz zu den klassischen Kunstgattungen.<br />
Ruff und Gursky nutzen das Digital Imaging als Mittel zum Zweck, um ihre<br />
Vorstellung vom Motiv und ihre konzeptuelle Aussage erreichen zu können.<br />
4.3 WAHRNEHMUNG UND (RE-)KONSTRUKTION DER REALITÄT<br />
In <strong>der</strong> Gegenüberstellung von <strong>Re</strong>alitätsdarstellung und -verän<strong>der</strong>ung im ersten<br />
Teil <strong>der</strong> Arbeit stellte sich die enge <strong>Re</strong>lation von Abbild und Urbild als entschei-<br />
dende Eigenschaft <strong>der</strong> Fotografie heraus. In <strong>der</strong> Fotokunst, in <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> nicht als<br />
Dokumente fungieren müssen, ist ein Durchbrechen dieser <strong>Re</strong>lation erlaubt und<br />
oft erwünscht. Gursky und Ruff tun dies mit den durch die digitale Technik stark<br />
angewachsenen Möglichkeiten <strong>der</strong> Bildbearbeitung. Doch auch wenn sie von <strong>der</strong><br />
technisch bedingten Beziehung von Original und Fotografie abweichen, bleibt die<br />
inhaltliche Beziehung erhalten und wird noch verstärkt. Dies geschieht, indem<br />
<strong>der</strong> Wahrnehmungsprozess des Menschen aufgegriffen und thematisiert wird.<br />
Susan Sontag weist darauf hin, dass <strong>Re</strong>alismus nicht als „Wie<strong>der</strong>gabe des-<br />
sen, was ‚wirklich‘ ist, son<strong>der</strong>n […] was ich ‚wirklich‘ wahrnehme“ 130 verstanden<br />
werden kann. Der Vergleich <strong>der</strong> Wahrnehmung von Fotos mit <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität im ers-<br />
ten Teil <strong>der</strong> Arbeit ergab, dass grundlegende Unterschiede in diesen Prozessen<br />
bestehen. Während die <strong>Re</strong>alität als sich ständig wandeln<strong>der</strong> Ablauf <strong>der</strong> Dinge<br />
wahrgenommen wird und sich die flüchtigen Eindrücke erst durch die Verarbei-<br />
tung des Betrachters zu zusammenhängenden Bil<strong>der</strong>n fügen, werden Fotos als<br />
flächige, statische Bil<strong>der</strong> gesehen. Dennoch ergab die Analyse, dass Fotografi-<br />
en, obgleich Unterschiede in <strong>der</strong> Wahrnehmung bestehen, als Zeugnisse <strong>der</strong><br />
<strong>Re</strong>alität betrachtet werden, da einerseits die Wahrnehmungsprozesse deutliche<br />
Parallelen aufweisen und an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> Betrachter durch die ständige Präsenz<br />
von Fotografien im Umgang mit ihnen geschult ist. Auch mit <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong><br />
digitalen Fotografie hat sich diese Akzeptanz von Fotos und <strong>der</strong> Umgang mit ih-<br />
nen nicht grundlegend geän<strong>der</strong>t. Ihre Verbreitung hat sich deutlich gesteigert.<br />
130 Zit. Sontag, 2008, S. 116<br />
52
4 (<strong>Re</strong>-)<strong>Konstruktionen</strong> <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> – die digitalen <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> Fotokunst<br />
Teilweise geht <strong>der</strong> Umgang mit Fotos so weit, dass das Medium übersehen und<br />
nur noch <strong>der</strong> Inhalt betrachtet wird. Genau hier setzt Thomas Ruff mit seiner<br />
Serie <strong>der</strong> jpegs an. Er thematisiert den Wahrnehmungsprozess von Fotos und<br />
macht uns ihre Oberfläche und auch Oberflächlichkeit bewusst. Dies gelingt ihm<br />
mit einfachen Mitteln <strong>der</strong> digitalen Bearbeitung. Doch die Analyse seiner Werke<br />
ergab, dass diese paradoxerweise oft realistischer wirken als unbearbeitete<br />
Fotografien. Dies trifft vor allem für solche Motive zu, die aus den Massenmedien<br />
und dem Internet, aus dem Ruff sie entnahm, bekannt sind. Die <strong>Re</strong>alität, die Ruff<br />
hier darstellt und die <strong>der</strong> Betrachter wahrnimmt, ist also nicht die <strong>der</strong> wirklichen,<br />
„analogen“ Welt. Vielmehr zeigt er die <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> digitalen Medien, die in <strong>der</strong><br />
heutigen Zeit eine so große Rolle spielen, dass von einer zweiten virtuellen Welt<br />
die <strong>Re</strong>de sein kann. Es ist eine immaterielle Welt, welche ohne technische Hilfs-<br />
mittel nicht mehr verständlich und repräsentierbar ist, genau wie die digitale Fo-<br />
tografie nicht ohne eine ganze Palette von Techniken funktioniert. Ruff nimmt<br />
sich dieser Problematik <strong>der</strong> medialen <strong>Re</strong>präsentation 131 wie ein Wissenschaftler<br />
an, <strong>der</strong> die menschliche Wahrnehmung erforscht.<br />
Auch Gursky greift den Wahrnehmungsprozess des Menschen auf. Sontag<br />
begreift die <strong>Wirklichkeit</strong> als „endlose Kette von Situationen, die einan<strong>der</strong> gegen-<br />
seitig spiegeln“. 132 Der Wahrnehmung einer solchen <strong>Re</strong>alität folgt die Verarbei-<br />
tung im Gehirn des Menschen. In <strong>der</strong> Erinnerung überlagern sich die Eindrücke<br />
und ergeben ein komplexes Gesamtbild <strong>der</strong> wahrgenommenen Situation. Im<br />
Normalfall kann eine Fotografie ein solches Gesamtbild nicht liefern. In <strong>der</strong> <strong>Re</strong>-<br />
portagefotografie arbeitet man deshalb in Bildserien. Gursky aber bedient sich<br />
des Digital Imaging, um genau solche Bil<strong>der</strong> zu konstruieren, wie sie sich im Pro-<br />
zess <strong>der</strong> Erinnerung ergeben können. Dazu vereint er mehrere Perspektiven und<br />
Zeitpunkte, um das Gewesene zu rekonstruieren.<br />
Obwohl beide Künstler in ihrer Arbeit deutlich von den fotografischen Aufnah-<br />
men und damit von einer möglichst unverfälschten Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität ab-<br />
weichen, ergab sich gerade im Vergleich mit traditioneller arbeitenden Fotokünst-<br />
lern, dass dabei nicht unbedingt weniger realitätsnahe Werke entstehen. Sowohl<br />
Ruff als auch Gursky erreichen mit ihren <strong>Konstruktionen</strong> – mit gänzlich unter-<br />
schiedlichen Mitteln – oft genauere <strong>Re</strong>konstruktionen <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong>, als dies<br />
bloße Abbildungen leisten könnten.<br />
131 Vgl. Hemken, 2000, S. 37<br />
132 Zit. Sontag, 2008, S. 152<br />
53
Zusammenfassung und Fazit<br />
Ziel <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit war es, herauszufinden, wie und aus welchen Grün-<br />
den Fotokünstler das Digital Imaging nutzen, um in ihren Arbeiten die Darstellung<br />
von <strong>Re</strong>alität zu beeinflussen.<br />
Dazu wurde zunächst die Wahrnehmung des Menschen untersucht und es<br />
zeigte sich, dass, obgleich Unterschiede in <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong><br />
und von Fotografien existieren, letztere im Normalfall als Zeugnisse <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität<br />
akzeptiert werden.<br />
Der weitere Untersuchungsverlauf demonstrierte, dass die Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong><br />
<strong>Re</strong>alität in Fotografien sehr stark durch den Abbildungscharakter <strong>der</strong> Fotografie –<br />
ein technisches Medium, welches nach festen Gesetzmäßigkeiten Bil<strong>der</strong> hervor-<br />
bringt – bestimmt ist. Die Analyse ergab, dass <strong>der</strong> verbleibende Gestaltungs-<br />
spielraum eine große Rolle spielt und dass Abweichungen vom bloßen Abbild<br />
seiner Authentizität zu Gute kommen können.<br />
Um die Untersuchung konkreter Beispiele aus <strong>der</strong> zeitgenössischen Foto-<br />
kunst zu erleichtern, wurden zunächst die Techniken des Digital Imaging vorge-<br />
stellt und auf die Unterschiede zur analogen Fotografie hingewiesen. Diese be-<br />
stehen hauptsächlich in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>sartigen, immateriellen Speicherung <strong>der</strong><br />
Bildinformation, wodurch sich auf Seiten <strong>der</strong> digitalen Fotografie ein viel größerer<br />
Freiraum in <strong>der</strong> Manipulierbarkeit <strong>der</strong> Daten ergibt.<br />
Im geschichtlichen Überblick über die Fotokunst wurden verschiedene Heran-<br />
gehensweisen an die Darstellung bzw. Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> künstleri-<br />
schen Fotografie präsentiert. Zwei gegensätzliche Tendenzen konnten festge-<br />
stellt werden: In einigen Strömungen <strong>der</strong> Fotokunst überwiegt <strong>der</strong><br />
dokumentarische Charakter <strong>der</strong> Fotografie. Die inhaltliche Bedeutung wird durch<br />
das Motiv bestimmt und nicht durch Manipulation geän<strong>der</strong>t. Im dazu konträren<br />
Ansatz steht die freie Gestaltung stärker im Vor<strong>der</strong>grund. Hier werden durch Be-<br />
arbeitungen neue inhaltliche Bedeutungen erreicht.<br />
Auch in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst spielen die Darstellung und Verände-<br />
rung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität eine wichtige Rolle. Die Untersuchung zeigte dabei, dass durch<br />
die neuen Möglichkeiten des Digital Imaging nun ein deutlich größerer Gestal-<br />
tungsspielraum besteht und sich dadurch auch ganz neue Ansätze ergeben.<br />
54
Anhand von zwei Künstlern, Thomas Ruff und Andreas Gursky, wurde <strong>der</strong> Um-<br />
gang mit Digital Imaging in <strong>der</strong> Fotokunst untersucht. Beide Künstler haben sehr<br />
unterschiedliche Herangehensweisen, die im ersten Teil <strong>der</strong> Arbeit besprochene<br />
menschliche Wahrnehmung zu thematisieren. Bei Ruff durch Wegnahme, bei<br />
Gursky durch eine Fülle von Information, wird die Wahrnehmung des Betrachters<br />
angesprochen und das Medium selbst in Frage gestellt. Ruff und Gursky bedie-<br />
nen sich dabei vieler, im zweiten Kapitel vorgestellter Techniken. Dabei wurde<br />
festgestellt, dass sie nicht mehr wie Fotografen arbeiten. Ruff arbeitet eher wie<br />
ein Konzeptkünstler, die Mechanismen <strong>der</strong> Fotografie untersuchend, Gursky da-<br />
gegen wie ein Maler o<strong>der</strong> <strong>Re</strong>gisseur, <strong>der</strong> seine Motive additiv aus vielen Einzel-<br />
teilen konstruiert. Beide nutzen das Digital Imaging, um durch Abweichung von<br />
<strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität diese im Bild überhaupt erst prägnant darstellen zu können.<br />
Der Einsatz des Digital Imaging in <strong>der</strong> Fotokunst ist heute eine vielfach ange-<br />
wendete Praxis und erfolgt mit sehr verschiedenen Zielsetzungen. Es kann so-<br />
wohl angewendet werden, um sich <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität im Bild anzunähern als auch, um<br />
sich von ihr zu entfernen. Im Falle <strong>der</strong> untersuchten Künstlern ergab sich die Er-<br />
kenntnis, dass gerade die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Abbildung mit digitalen Mitteln Foto-<br />
kunst hervorbringt, welche die <strong>Wirklichkeit</strong> beson<strong>der</strong>s treffend repräsentiert.<br />
55
Anhang<br />
Anhang I: Fragebogen an Thomas Ruff<br />
1. Setzten Sie digitale Aufnahme-, Bearbeitungs- o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabetechni-<br />
ken für Ihre Arbeit ein? Wenn ja, wie?<br />
2. Welche Rolle spielt die digitale Fotografie/das Digital Imaging für Ihre<br />
künstlerische Arbeit?<br />
3. Hat sich Ihre Arbeitsweise seit Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie grund-<br />
legend geän<strong>der</strong>t? Wenn ja, wie?<br />
4. Ist die Verzerrung/Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> wahrgenommenen <strong>Re</strong>alität ein The-<br />
ma in Ihrer Arbeit? Inwiefern?<br />
Hat sich dies seit Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie geän<strong>der</strong>t?<br />
5. Wie lässt sich in diesen Kontext (Darstellung/Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wirklich-<br />
keit) die Serie jpegs einordnen?<br />
Anhang II: Fragebogen an Andreas Gursky<br />
1. Setzten Sie digitale Aufnahme-, Bearbeitungs- o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabetechni-<br />
ken für Ihre Arbeit ein? Wenn ja, wie?<br />
2. Welche Rolle spielt die digitale Fotografie/das Digital Imaging für Ihre<br />
künstlerische Arbeit?<br />
3. Hat sich Ihre Arbeitsweise seit Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie grund-<br />
legend geän<strong>der</strong>t? Wenn ja, wie?<br />
4. Ist die Verzerrung/Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> wahrgenommenen <strong>Re</strong>alität ein The-<br />
ma in Ihrer Arbeit? Inwiefern?<br />
Hat sich dies seit Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie geän<strong>der</strong>t?<br />
5. Wie lässt sich in diesen Kontext (Darstellung/Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wirklich-<br />
keit) die Pyongyang-Serie einordnen?<br />
I
Literatur- und Quellenverzeichnis<br />
Ackermann, Tim: Andreas allein im All. Welt Online, 2010. Online verfügbar unter:<br />
http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article7649332/Andreas-allein-<br />
im-All.html, zuletzt geprüft am 11.06.2011.<br />
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phien 1970-2008 aus <strong>der</strong> Sammlung Lothar Schirmer. Schirmer Mosel, Mün-<br />
chen, 2009.<br />
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Fink, München, 2006.<br />
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1936. In: Schöttker, Detlev (Hg.): Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter<br />
seiner technischen <strong>Re</strong>produzierbarkeit und weitere Dokumente. Suhrkamp,<br />
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Brauchitsch, Boris von: Kleine Geschichte <strong>der</strong> Fotografie. <strong>Re</strong>clam, Stuttgart, 2002.<br />
Buchsteiner, Thomas; Feininger, Andreas: Andreas Feininger - That's Photography.<br />
Hatje Cantz, Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit, 2004.<br />
Debes, Norbert: Digitales Fotografieren: so wird's bildschön! Markt + Technik Verlag,<br />
2003.<br />
Fellmann, Ferdinand: Von den Bil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> zur <strong>Wirklichkeit</strong> <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>. In:<br />
<strong>Re</strong>hkämper, Klaus; Sachs-Hombach, Klaus (Hg.): Bild - Bildwahrnehmung -<br />
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den, 1998.<br />
Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid (Hg.): Wirklich wahr! - <strong>Re</strong>alitätsversprechen von<br />
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Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid: Wirklich wahr. Fotografien und die Sehnsucht<br />
nach dem echten Leben. In: Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid (Hg.): Wirklich<br />
wahr! - <strong>Re</strong>alitätsversprechen von Fotografien. Hatje Cantz, Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit,<br />
2004.<br />
Gronert, Stefan (Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule. Schirmer Mosel, München,<br />
2009.<br />
II
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seldorfer Photoschule. Schirmer Mosel, München, 2009.<br />
Guminski, Karin: Kunst am Computer. Ästhetik, Bildtheorie und Praxis des Computer-<br />
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Hemken, Kai-Uwe: Von Sehmaschinen und Nominalismen. In: Monika Steinhauser<br />
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2000.<br />
Holschbach, Susanne: Im Zweifel für die <strong>Wirklichkeit</strong>. Zu Begriff und Geschichte do-<br />
kumentarischer Fotografie. In: Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid (Hg.): Wirk-<br />
lich wahr! - <strong>Re</strong>alitätsversprechen von Fotografien. Hatje Cantz, Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit,<br />
2004.<br />
Kaplun, Pavel: Photoshop CS5: Für die tägliche Praxis. Addison Wesley Verlag, Bonn,<br />
2010.<br />
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Baden-Baden, 17. November 2001 - 13. Januar 2002. König, Köln, 2001.<br />
Malz, Isabelle; Müller, Maria: Biographien, Ausstellungen, Bibliographien. In: Gronert,<br />
Stefan ( Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule. Schirmer Mosel, München, 2009.<br />
Mitchell, W.J.T: Pictorial Turn. Eine Antwort. In: Belting, Hans (Hg.): Bil<strong>der</strong>fragen. Die<br />
Bildwissenschaften im Aufbruch. W. Fink, München, 2007.<br />
Mitchell, William J.: The reconfigured eye. Visual truth in the post-photographic era.<br />
MIT Press, Cambridge, 1992.<br />
Mohr, Fabian: Im Museum mit Thomas Struth. Fabian Mohr (<strong>Re</strong>gie). Video, 14 Min.,<br />
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http://video.zeit.de/video/810460343001, zuletzt geprüft am 09.06.2011.<br />
Pohlmann, Ulrich: Die Düsseldorfer Schule. In: Bayerische Akademie <strong>der</strong> Schönen<br />
Künste (Hg.): Die Düsseldorfer Schule. Photographien 1970 - 2008 aus <strong>der</strong><br />
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Rush, Michael: New media in Art. Neue Auflage, Thames & Hudson, London, 2005.<br />
Sachsse, Rolf: Fotografie. Vom technischen Bildmittel zur Krise <strong>der</strong> <strong>Re</strong>präsentation.<br />
Deubner, Köln, 2003.<br />
Schirmer, Lothar: Düsseldorf verlegen und sammeln. In: Bayerische Akademie <strong>der</strong><br />
Schönen Künste (Hg.): Die Düsseldorfer Schule. Photographien 1970 - 2008<br />
aus <strong>der</strong> Sammlung Lothar Schirmer. Schirmer Mosel, München, 2009a.<br />
Schirmer, Lothar: Vorwort des Herausgebers. In: Gronert, Stefan (Hg.): Die Düssel-<br />
dorfer Photoschule. Schirmer Mosel, München, 2009b.<br />
III
Schmidt-Garre, Jan: Das perfekte Bild vom totalen Staat. In: Die Zeit, 15. 2. 2007<br />
(Nr. 8), S. 41.<br />
Schmidt-Garre, Jan: Andreas Gursky. Long Shot Close Up. Jan Schmidt-Garre (<strong>Re</strong>-<br />
gie). DVD, 60 Min., Arthaus Musik GmbH, 2011.<br />
Schnelle-Schney<strong>der</strong>, Marlene: Sehen und photographieren - von <strong>der</strong> Ästhetik zum<br />
Bild. Springer, Berlin, 2003.<br />
Schöttker, Detlev (Hg.): Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techni-<br />
schen <strong>Re</strong>produzierbarkeit und weitere Dokumente. Suhrkamp, Frankfurt am<br />
Main, 2007.<br />
Schöttker, Detlev: Kommentar. In: Schöttker, Detlev (Hg.): Walter Benjamin, Das<br />
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen <strong>Re</strong>produzierbarkeit und weitere Do-<br />
kumente. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2007.<br />
Simpson, Bennett: Thomas Ruff - jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />
Sontag, Susan: Über Fotographie. 18. Aufl., Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt<br />
am Main, 2008.<br />
Stiegler, Bernd: Montagen des <strong>Re</strong>alen. Photographie als <strong>Re</strong>flexionsmedium und Kul-<br />
turtechnik. W. Fink, München, 2009.<br />
Wands, Bruce: Art of the digital age. Thames & Hudson, London, 2006.<br />
Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln, 2007.<br />
Winzen, Matthias (Hg.): Thomas Ruff, Fotografien 1979 - heute. [DiesePublikation er-<br />
schien anlässlich <strong>der</strong> Ausstellung Thomas Ruff Fotografien 1979 - heute, 17.<br />
November 2002 - 13. Januar 2002 in <strong>der</strong> Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden].<br />
König, Köln, 2001.<br />
Winzen, Matthias: Glaubwürdige Erfindung von <strong>Re</strong>alität. In: Winzen, Matthias (Hg.):<br />
Thomas Ruff, Fotografien 1979 - heute. König, Köln, 2001.<br />
Wolf, Sylvia: The digital eye. Photographic art in the electronic age. Prestel, München,<br />
2010.<br />
Wortmann, Volker: Die Magie <strong>der</strong> Oberfläche. Zum <strong>Wirklichkeit</strong>sversprechen <strong>der</strong> Fo-<br />
tografie. In: Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid (Hg.): Wirklich wahr! - <strong>Re</strong>alitäts-<br />
versprechen von Fotografien. Hatje Cantz, Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit, 2004.<br />
WZ Newsline: Andreas Gursky wird Professor. Westdeutsche Zeitung, Düsseldorf,<br />
2010. Online verfügbar unter:<br />
http://www.wz-newsline.de/lokales/duesseldorf/kultur/andreas-gursky-wird-<br />
professor-1.154572, zuletzt geprüft am 06.06.2011.<br />
Zwirner, David: Thomas Ruff: jpeg ny01. Online verfügbar unter:<br />
http://www.davidzwirner.com/exhibitions/105/work_1618.htm, zuletzt geprüft am<br />
09.06.2011.<br />
IV
Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. Titel<br />
(oben)<br />
Abb. Titel<br />
(unten)<br />
Thomas Ruff, jpeg ev01, 2006, C-Print / Diasec Face, (Detail). In: Ruff,<br />
Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />
Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007, C-Print / Diasec Face, 307 x<br />
215,5 cm, (Detail), In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln,<br />
2007.<br />
Abb. 1 Bernd und Hilla Becher, För<strong>der</strong>turm, Fosse Dutemple, Valenciennes<br />
Nord et Pas-de-Calais, F 1967, 40 x 30 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.):<br />
Die Düsseldorfer Photoschule. 1. Aufl., Schirmer Mosel, München,<br />
2009.<br />
Abb. 2 Henri Cartier-Bresson, Behind the Gare St. Lazare, 1932. Online verfügbar<br />
unter:<br />
http://swucks.files.wordpress.com/2010/01/cartier-bresson.jpg, zuletzt<br />
geprüft am 08.06.2011.<br />
Abb. 3 Oscar G. <strong>Re</strong>jlan<strong>der</strong>, The Two Ways of Life, 1858. In: Wolf, Sylvia: The<br />
digital eye. Photographic art in the electronic age. Prestel, München,<br />
2010.<br />
Abb. 4 u. 5 Nikolai Klassen, Beispiele Analog und Digital, 2011. Aufnahme und Bearbeitungen<br />
des Autors.<br />
Abb. 6 - 15 Nikolai Klassen, Beispiele Digitale Bildbearbeitung, 2011. Aufnahmen<br />
und Bearbeitungen des Autors.<br />
Abb. 16 Robert Demachy, Une Balleteuse, 1900. Online verfügbar unter<br />
http://artblart.files.wordpress.com/2009/01/robert-demachy-une-<br />
balleteuse-1900.jpg?w=650&h=576, zuletzt geprüft am 07.06.2011.<br />
Abb. 17 August San<strong>der</strong>, Konditor, 1928: Online verfügbar unter:<br />
http://www.burghausen.de/content/images/kultur/fotomuseum/<br />
son<strong>der</strong>ausstellungen/pressebil<strong>der</strong>/san<strong>der</strong>3_presse.jpg, zuletzt geprüft<br />
am 08.06.2011.<br />
Abb. 18 László Moholy-Nagy, Photogram, 1926. Online verfügbar unter:<br />
http://farm3.static.flickr.com/2331/3598009224_e6167cfddc.jpg, zuletzt<br />
geprüft am 08.06.2011.<br />
Abb. 19 Nancy Burson, Mankind (An Oriental, a Caucasian and a Black, weighted<br />
according to current population statistics), 1982-1985. In: Wolf, Sylvia:<br />
The digital eye. Photographic art in the electronic age. Prestel,<br />
München, 2010.<br />
Abb. 20 Jeff Wall, The Giant, 1992. In: Wolf, Sylvia: The digital eye. Photographic<br />
art in the electronic age. Prestel, München, 2010.<br />
Abb. 21 Bernd und Hilla Becher, Wassertürme, D 1965 - 1982, Typologie von 9<br />
Schwarz-weiß-Fotografien, je 40 x 30 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.):<br />
Die Düsseldorfer Photoschule. 1. Aufl., Schirmer Mosel, München,<br />
2009.<br />
V
Abb. 22 Thomas Ruff, Porträt, 1987 (Selbstportrait), C-Print / Diasec Face ,<br />
210 x 165 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule.<br />
1. Aufl., Schirmer Mosel, München, 2009.<br />
Abb. 23 Thomas Ruff, nudes ry 08, 2002, C-Print / Diasec Face, 155 x 110 cm.<br />
In: Gronert, Stefan (Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule. 1. Aufl., Schirmer<br />
Mosel, München, 2009.<br />
Abb. 24 Thomas Ruff, jpeg nt02, 2006, C-Print / Diasec Face, 242,6 x 184,8<br />
cm. In: Ruff, Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />
Abb. 25 Thomas Ruff, jpeg nt02, 2006, C-Print / Diasec Face, 242,6 x 184,8<br />
cm, (Detail). In: Ruff, Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />
Abb. 26 Thomas Ruff, jpeg ny02, 2004, C-Print / Diasec Face, 269 x 364 cm.<br />
In: Ruff, Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />
Abb. 27 Thomas Struth, Paradise 1 (Pilgrim Sands), Daintree/Australien, 1998,<br />
C-Print / Diasec Face, 235,7 x 185 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.): Die<br />
Düsseldorfer Photoschule. 1. Aufl., Schirmer Mosel, München, 2009.<br />
Abb. 28 Thomas Ruff, jpeg pt03, 2006, C-Print / Diasec Face, 249 x 188 cm.<br />
In: Ruff, Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />
Abb. 29 Andreas Gursky, Niagara Falls, 1989, C-Print / Diasec Face, 280 x<br />
222,1 cm. In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln, 2007.<br />
Abb. 30 Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007, C-Print / Diasec Face, 307 x<br />
215,5 cm. In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln, 2007.<br />
Abb. 31 Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007, C-Print / Diasec Face, 307 x<br />
215,5 cm, (Detail). In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln,<br />
2007.<br />
Abb. 32 Andreas Gursky, Ocean VI, 2010, C-Print / Diasec Face, 340,9 x 249,4<br />
cm. Online verfügbar unter:<br />
http://www.creativereview.co.uk/images/uploads/2010/05/<br />
andreas_gursky.ocean_vi_2010_0.jpg, zuletzt geprüft am 11.06.2011.<br />
Abb. 33 Andreas Gursky, Hamm, Bergwerk Ost, 2008, C-Print / Diasec Face,<br />
307 x 223,5 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule.<br />
1. Aufl., Schirmer Mosel, München, 2009.<br />
Abb. 34 Candida Höfer, Stadtbibliothek Stockholm, 1993, C-Print, 38 x 57 cm.<br />
In: Krüger, Michael: Candida Höfer Monographie. Schirmer Mosel,<br />
München, 2003.<br />
Abb. 35 Andreas Gursky, Bibliothek, 1999, C-Print / Diasec Face, 208 x 398,5<br />
cm. In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln, 2007.<br />
VI
Erklärung<br />
Hiermit erkläre ich, dass ich die Arbeit selbstständig und ohne Benutzung ande-<br />
rer als <strong>der</strong> angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe.<br />
München, den 20. Juni 2011<br />
Nikolai Klassen<br />
VII