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Bachelorarbeit für den BA-Studiengang Kunst und Multimedia an der Ludwig-Maximilians-Universität München »Realitätsveränderung als Auswirkung des Digital Imaging auf die künstlerische Fotografie « BEISPIELE VON THOMAS RUFF UND ANDREAS GURSKY Verfasser: Nikolai Klassen Matrikelnr.: 8063956 Siegrunestr. 3, 80639 München 089 / 176988 niko.klassen@googlemail.com Betreuerin: Dr. Karin Guminski Leopoldstr. 13, 80802 München karin.guminski@lmu.de Abgabedatum: 20. Juni 2011

Bachelorarbeit<br />

für den<br />

BA-Studiengang Kunst und Multimedia<br />

an <strong>der</strong><br />

<strong>Ludwig</strong>-<strong>Maximilians</strong>-Universität München<br />

»<strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung als<br />

Auswirkung des Digital Imaging<br />

auf die künstlerische Fotografie «<br />

BEISPIELE VON THOMAS RUFF UND ANDREAS GURSKY<br />

Verfasser:<br />

Nikolai Klassen<br />

Matrikelnr.: 8063956<br />

Siegrunestr. 3, 80639 München<br />

089 / 176988<br />

niko.klassen@googlemail.com<br />

Betreuerin:<br />

Dr. Karin Guminski<br />

Leopoldstr. 13, 80802 München<br />

karin.guminski@lmu.de<br />

Abgabedatum:<br />

20. Juni 2011


Bachelorarbeit<br />

<strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung als Auswirkung des Digital Imaging<br />

auf die künstlerische Fotografie<br />

Beispiele von Thomas Ruff und Andreas Gursky<br />

Nikolai Klassen<br />

Abb. Titel (oben): Thomas Ruff, jpeg ev01, 2006 (Detail)<br />

Abb. Titel (unten): Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007 (Detail)


Inhalt<br />

EINLEITUNG........................................................................................................1<br />

1 FOTOGRAFISCHE WIRKLICHKEIT...............................................................3<br />

1.1 WIE NEHMEN WIR WAHR?.......................................................................3<br />

1.1.1 Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität..................................................................3<br />

1.1.2 Wahrnehmung von Fotografien...........................................................5<br />

1.2 DAS ABBILD DER REALITÄT IN FOTOGRAFIEN.....................................6<br />

1.2.1 <strong>Re</strong>alitätsdarstellung.............................................................................6<br />

1.2.2 <strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung...........................................................................8<br />

2 DIGITAL IMAGING........................................................................................11<br />

2.1 ANALOG UND DIGITAL............................................................................11<br />

2.2 WAS IST DIGITAL IMAGING?..................................................................14<br />

2.2.1 Digitale Bildaufnahme........................................................................15<br />

2.2.2 Digitale Bildbearbeitung.....................................................................16<br />

2.2.3 Digitale Bildwie<strong>der</strong>gabe.....................................................................21<br />

3 REALITÄT IN DER ZEITGENÖSSISCHEN FOTOKUNST............................23<br />

3.1 REALITÄTSVERÄNDERUNG IN DER FOTOKUNST...............................23<br />

3.1.1 <strong>Re</strong>alitätsbezug <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie in <strong>der</strong> Geschichte.......24<br />

3.1.2 <strong>Re</strong>alitätsdarstellung in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst....................26<br />

3.2 DIE DÜSSELDORFER SCHULE..............................................................29<br />

3.2.1 Der konzeptuelle Ansatz von Bernd und Hilla Becher........................29<br />

3.2.2 Das „Phänomen“ Düsseldorfer Schule..............................................31<br />

3.3 THOMAS RUFF........................................................................................33<br />

3.3.1 Werkübersicht und künstlerischer Ansatz..........................................33<br />

3.3.2 Die Serie jpegs – Hinterfragen des Mediums....................................35<br />

3.3.3 Jpegs und Paradises – Ruff im Vergleich mit Thomas Struth............38<br />

3.4 ANDREAS GURSKY.................................................................................40<br />

3.4.1 Werkübersicht und künstlerischer Ansatz..........................................40<br />

3.4.2 Gurskys Arbeitsweise am Beispiel von Hamm, Bergwerk Ost...........45<br />

3.4.3 Bibliothek – Gursky im Vergleich mit Candida Höfer..........................47


4 (RE-)KONSTRUKTIONEN DER WIRKLICHKEIT – DIE DIGITALEN<br />

REALITÄTEN DER FOTOKUNST.................................................................50<br />

4.1 EINORDNUNG RUFFS UND GURSKYS IN KATEGORIEN DER<br />

FOTOKUNST.............................................................................................50<br />

4.2 VERWENDUNG DES DIGITAL IMAGING BEI RUFF UND GURSKY.......51<br />

4.3 WAHRNEHMUNG UND (RE-)KONSTRUKTION DER REALITÄT............52<br />

ZUSAMMENFASSUNG UND FAZIT...................................................................54<br />

ANHANG...............................................................................................................I<br />

LITERATUR- UND QUELLENVERZEICHNIS......................................................II<br />

ABBILDUNGSVERZEICHNIS..............................................................................V<br />

ERKLÄRUNG.....................................................................................................VII


Einleitung<br />

Die Fotografie nimmt unter den Bildenden Künsten eine Son<strong>der</strong>rolle ein. Sie ist<br />

das einzige bildgebende Medium, welches Bil<strong>der</strong> hervorbringt, die durch die Din-<br />

ge selbst produziert werden, die es darstellt. Damit hat sie den klassischen bild-<br />

gebenden Medien wie <strong>der</strong> Malerei einiges voraus: Die Eigenschaft, die Welt so<br />

darstellen zu können, wie sie uns erscheint. Technische Verbesserungen haben<br />

stetig zu einer Optimierung dieser Darstellungsfähigkeit geführt. Seit Erfindung<br />

<strong>der</strong> Fotografie gibt es allerdings auch die gegenläufige Entwicklung, die Wie<strong>der</strong>-<br />

gabe <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität zu verän<strong>der</strong>n, zu manipulieren und nach eigenen Vorstellungen<br />

zu gestalten.<br />

Diese Entwicklung trat mit dem Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Technik in eine neue<br />

Phase ein. In Zeiten von Photoshop und Co. schwindet das Vertrauen, das die<br />

meisten Menschen in Fotografien als Abbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität setzen. Zu einfach<br />

und vielfältig scheinen heute die Manipulationsmöglichkeiten durch Digital Ima-<br />

ging. Was in einigen Bereichen <strong>der</strong> Fotografie als Problem angesehen wird, bie-<br />

tet <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie dagegen neue Möglichkeiten.<br />

Die Kunstwelt reagiert auf diese Entwicklung sehr unterschiedlich und es stellt<br />

sich die Frage, welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die künstlerische Fo-<br />

tografie hat. Konkreter:<br />

Wie und aus welchen Gründen nutzen Fotokünstler das Digital Imaging, um<br />

die Darstellung von <strong>Re</strong>alität zu beeinflussen?<br />

Zur Beantwortung dieser Frage wird in <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit untersucht, wie<br />

sich die <strong>Re</strong>alität überhaupt in Fotografien darstellt und wie <strong>der</strong> Betrachter diese<br />

im Vergleich zur <strong>Re</strong>alität wahrnimmt. Welche Abweichungen kann es von <strong>der</strong><br />

wahrgenommenen <strong>Re</strong>alität geben und sind diese Abweichungen gewollt o<strong>der</strong><br />

werden sie nur hingenommen? Welche traditionellen und digitalen Techniken zur<br />

Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in Fotografien gibt es? Diese Fragen lassen sich allge-<br />

mein auf die Fotografie als Medium beziehen. Deren Beantwortung bildet die<br />

Grundlage für die weitere Analyse, die sich dann spezieller auf die Fotografie als<br />

Kunstgattung konzentriert.<br />

An einem historischen Abriss über die <strong>Re</strong>alitätsdarstellung in <strong>der</strong> Fotokunst<br />

und anhand <strong>der</strong> Arbeiten zweier zeitgenössischer Künstler wird beispielhaft un-<br />

tersucht, wie die <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie dargestellt wird. Hierbei<br />

1


wird auch <strong>der</strong> Vergleich von analogen zu digitalen Fotografien und Techniken ge-<br />

zogen. Dabei stehen die Fragen im Vor<strong>der</strong>grund, welcher Mittel sich die Künstler<br />

bedienen, um die <strong>Re</strong>alitätsdarstellung zu beeinflussen. Auch wird untersucht, ob<br />

ein Eingriff in die Abbildung immer eine Entfernung von <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität darstellt o<strong>der</strong><br />

ob durch das Digital Imaging diese nicht sogar treffen<strong>der</strong> repräsentiert werden<br />

kann.<br />

Der Untersuchungsverlauf glie<strong>der</strong>t sich in vier aufeinan<strong>der</strong> aufbauende Kapi-<br />

tel. Im ersten Kapitel wird beleuchtet, wie Fotografien im Vergleich zur <strong>Re</strong>alität<br />

wahrgenommen werden. Des Weiteren werden die Möglichkeiten zur Darstellung<br />

und Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in Fotografien betrachtet.<br />

Das zweite Kapitel wendet sich dem die heutige Fotografie beherrschenden<br />

Digital Imaging zu. Zunächst wird eine Abgrenzung <strong>der</strong> digitalen zur analogen<br />

Fotografie, mit Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede <strong>der</strong> alten und neu-<br />

en Aufnahmetechniken, vollzogen. Darauf folgt die Klärung des Begriffes des Di-<br />

gital Imaging und eine bebil<strong>der</strong>te Übersicht über die darunter versammelten<br />

Techniken, von <strong>der</strong> Aufnahme über die Bearbeitung bis hin zur Wie<strong>der</strong>gabe von<br />

Fotografien.<br />

Mit dem dritten Kapitel, welches den Schwerpunkt <strong>der</strong> Abhandlung darstellt,<br />

wendet sich die Arbeit konkreten Werkbeispielen zu. Ein Überblick über die Dar-<br />

stellung von <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Fotokunst sowie in zeitgenössischer<br />

Fotografie eröffnet die Analyse. Daraufhin wird anhand von zwei Vertretern <strong>der</strong><br />

so genannten Düsseldorfer Schule, Thomas Ruff und Andreas Gursky, gezeigt,<br />

welche verschiedenen Umgangsweisen mit <strong>der</strong> Digitaltechnik möglich sind und<br />

wie die Arbeiten dieser zeitgenössischen Fotokünstler dadurch beeinflusst wer-<br />

den. Auch hier ist <strong>der</strong> Blick speziell auf den Umgang mit <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>a-<br />

lität gerichtet.<br />

In einem vierten Teil werden die Ergebnisse <strong>der</strong> Analyse von Ruffs und Gurs-<br />

kys Werken zu den Erkenntnissen aus dem ersten und zweiten Teil in Bezug ge-<br />

setzt und Schlussfolgerungen dieser Betrachtung gezogen.<br />

2


1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />

Fotografien wird oft ein grundsätzliches Vertrauen entgegen gebracht, die <strong>Re</strong>ali-<br />

tät 1 darzustellen, man attestiert ihnen eine <strong>Wirklichkeit</strong>streue, einen ungefilterten<br />

Blick auf die Welt. Die Beantwortung, warum das so ist und welche Abweichun-<br />

gen von einer solchen Vorstellung von Fotos entstehen können, stehen im Vor-<br />

<strong>der</strong>grund des ersten Teils <strong>der</strong> Arbeit.<br />

Dabei wendet sich <strong>der</strong> Blick zunächst <strong>der</strong> Frage zu, wie wir die <strong>Re</strong>alität und<br />

<strong>der</strong>en Abbild überhaupt wahrnehmen. Ein weiterer Teil behandelt die bewusste<br />

<strong>Re</strong>alitätsdarstellung und -verän<strong>der</strong>ung durch Fotograf o<strong>der</strong> Fototechnik.<br />

1.1 WIE NEHMEN WIR WAHR?<br />

In den meisten Fällen gelingt es mühelos, von einer Fotografie auf die <strong>Re</strong>alität zu<br />

schließen und, mit etwas Übung, sich die <strong>Re</strong>alität als Foto vorzustellen. Warum<br />

dies so ist, hängt mit <strong>der</strong> Wahrnehmung von <strong>Re</strong>alität und Abbild zusammen, mit<br />

den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Prozessen des Sehens, des<br />

Fotografierens und des Betrachtens von Fotografien. Die Fotografie ist ein rein<br />

visuelles Medium, beschränkt sich also auf die visuell wahrgenommene <strong>Re</strong>alität.<br />

1.1.1 Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität<br />

Die Ähnlichkeit von Fotoapparat zu Sehapparat, von Kamera zu Auge erscheint<br />

zunächst offensichtlich. Wo das Auge eine Linse hat, ist bei <strong>der</strong> Kamera das Ob-<br />

jektiv, auch aus optischen Linsen bestehend. Der Lichteinfall wird durch eine<br />

Blende geregelt, beim Auge ist dies die Iris, bei einer Kamera sind es mehrere<br />

mechanische Blendenlamellen. Dahinter liegt ein Raum, durch den die von <strong>der</strong><br />

Linse gesammelten Lichtstrahlen ungehin<strong>der</strong>t auf die Aufnahmefläche fallen kön-<br />

nen. Beim Auge nimmt die Netzhaut, bei <strong>der</strong> Kamera nehmen <strong>der</strong> Film o<strong>der</strong> Auf-<br />

1 Wann immer in dieser Arbeit die <strong>Re</strong>de von „<strong>Re</strong>alität“ o<strong>der</strong> auch von „<strong>Wirklichkeit</strong>“ ist, ist damit<br />

die visuell wahrgenommene <strong>Re</strong>alität, wie sie von einem theoretisch angenommenen Durchschnittsbetrachter<br />

„objektiv“ beschrieben würde, gemeint (vgl. Kap. 1.1.1).<br />

Dass eine solche Wahrnehmung nicht ohne Wertung geschieht und ein solcher Durchschnittsbetrachter<br />

de facto nicht existiert, ist bekannt, für die folgende Abhandlung aber, wenn im Text<br />

nicht an<strong>der</strong>s ausgeführt, von untergeordneter Bedeutung.<br />

3


1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />

nahmesensor das Bild auf. 2 Doch trifft man beim weiteren Vergleich auf grund-<br />

sätzliche Unterschiede und teilweise erweisen sich die eben geschil<strong>der</strong>ten Analo-<br />

gien als unzureichend. Walter Benjamin schrieb in seinem wegweisenden Essay<br />

Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen <strong>Re</strong>produzierbarkeit, „daß es eine<br />

an<strong>der</strong>e Natur ist, die zu <strong>der</strong> Kamera als die zum Auge spricht. An<strong>der</strong>s vor allem<br />

dadurch, daß an die Stelle eines vom Menschen mit Bewußtsein durchwirkten<br />

Raums ein unbewußt durchwirkter tritt“. 3 Die Unterschiede sind also nicht in Ka-<br />

mera und Auge zu suchen, die nur die Rohbil<strong>der</strong> liefern, son<strong>der</strong>n im vom<br />

menschlichen (Unter-)Bewusstsein gesteuerten Sehprozess gegenüber dem fo-<br />

tografischen Prozess.<br />

In Sehen und Photographieren, einem <strong>der</strong> wenigen aktuellen Werke, die sich<br />

direkt mit dem Zusammenhang dieser Prozesse beschäftigen, beschreibt die Au-<br />

torin Schnelle-Schney<strong>der</strong> die Mechanismen des menschlichen Sehens. Schon<br />

die Gleichsetzung von Netzhaut und Film ist nicht korrekt: Im Gegensatz zum<br />

Film, <strong>der</strong> während <strong>der</strong> Belichtungszeit das gesamte Bild auf einmal aufnimmt und<br />

festhält, „scannt“ das Auge die Szene durch Bewegungen des Augapfels und des<br />

Kopfes kontinuierlich ab. Dabei wird nur ein kleiner Bereich im Sehzentrum<br />

scharf wahrgenommen. Durch Konzentration auf bestimmte Details findet, indem<br />

diese genauer betrachtet werden als an<strong>der</strong>e, ein Selektionsprozess statt. Im Ge-<br />

hirn erst fügen sich diese flüchtigen Eindrücke zu interpretierbaren Bil<strong>der</strong>n zu-<br />

sammen. Hier werden die Eindrücke weiter selektiert, strukturiert, interpretiert<br />

und bewertet. Was dabei bewusst wahrgenommen und was nur nebenbei gese-<br />

hen wird, hängt von den momentanen Intentionen und Wertungen des Betrach-<br />

ters ab sowie von <strong>der</strong> Brisanz des Wahrgenommenen. Bewegung erregt die Auf-<br />

merksamkeit, ebenso wie Unbekanntes o<strong>der</strong> Ungewöhnliches. Bei diesem<br />

gesamten Prozess ist die Zusammenarbeit zwischen Auge und Gehirn von größ-<br />

ter Bedeutung. Das Auge liefert lediglich Sinnesreize, die erst im Gehirn zu ver-<br />

wertbaren Informationen verarbeitet werden. 4<br />

Dies alles steht im Kontrast zum fotografischen Prozess, bei dem keine konti-<br />

nuierliche Aufzeichnung und Verarbeitung des Gesehenen, son<strong>der</strong>n das Festhal-<br />

ten von Momenten, bzw. kurzen Zeitabschnitten innerhalb <strong>der</strong> Belichtungszeit,<br />

zunächst einmal ungefiltert stattfindet. Wieso aber können Inhalte von Fotografi-<br />

2 Vgl. Schnelle-Schney<strong>der</strong>, 2003, S. 14ff.<br />

3 Zit. Benjamin, 1936, in: Schöttker, 2007, S. 22<br />

4 Vgl. Schnelle-Schney<strong>der</strong>, 2003, S. 20ff.<br />

4


1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />

en so leicht realen Gegenständen zugeordnet und das in einer Aufnahme Darge-<br />

stellte als Abbild <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität akzeptiert werden?<br />

1.1.2 Wahrnehmung von Fotografien<br />

Der Vergleich zwischen Auge und Kamera hat gezeigt, dass grundlegende Un-<br />

terschiede bestehen.<br />

Wieso Fotografien aber trotzdem so vertraut sind, könnte daran liegen, dass<br />

die Abweichungen des fotografischen Prozesses zum Sehen gar nicht so aus-<br />

schlaggebend sind. Schließlich durchläuft eine Fotografie, wenn sie betrachtet<br />

wird, den gleichen Sehprozess wie die <strong>Wirklichkeit</strong>. Die Augen durchsuchen das<br />

Bild nach markanten Details, <strong>der</strong> Betrachter filtert interessante Informationen<br />

heraus, interpretiert diese im Gehirn und fügt sie zu einem Bild zusammen. Wei-<br />

tere Selektionsprozesse finden schon viel früher bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Aufnahmen<br />

statt, sei es durch den Fotografen o<strong>der</strong> durch den Betrachter.<br />

Dennoch mag es Situationen geben, in denen ein Beobachter sich auf be-<br />

stimmte Details konzentriert hat, bei <strong>der</strong> Betrachtung einer Fotografie <strong>der</strong>selben<br />

Situation allerdings ganz an<strong>der</strong>e Details sieht und das Selektieren schwerer fällt.<br />

Hierin liegt aber auch eine beson<strong>der</strong>e Stärke <strong>der</strong> Fotografie, und zwar das Fest-<br />

halten und Sichtbarmachen von Details und Momenten, die sich <strong>der</strong> flüchtigen<br />

Wahrnehmung entziehen. 5 Dies führt zu <strong>der</strong> wohl grundlegendsten Differenz zwi-<br />

schen <strong>der</strong> Betrachtung von Fotografie und <strong>Wirklichkeit</strong>, nämlich dem Fehlen <strong>der</strong><br />

Bewegung, also <strong>der</strong> Zeit. Stattdessen entsteht die Möglichkeit des Festhaltens<br />

und Dokumentierens von Momenten.<br />

Ein weiterer Unterschied ist das Fehlen <strong>der</strong> Räumlichkeit. Diese kann aller-<br />

dings beim Betrachten durch die natürliche Erfahrung mit perspektivischer Ver-<br />

kürzung und Verdeckung von Gegenständen größtenteils rekonstruiert werden,<br />

ähnlich wie dies beim Sehen mit einem zugehaltenen Auge geschieht. 6<br />

Wenn es um die Wahrnehmung von Fotografien geht, darf man, unabhängig<br />

von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität nicht<br />

außer Acht lassen, dass schon allein deshalb ein so souveräner Umgang mit Fo-<br />

tografien als <strong>Re</strong>alitätszeugnisse existiert, weil ihre Verwendung in <strong>der</strong> heutigen<br />

Welt so selbstverständlich ist. Die heutige Bil<strong>der</strong>flut und <strong>der</strong> Einsatz von Fotos in<br />

den Massenmedien als Dokumente und Abbil<strong>der</strong> führt dazu, dass die Welt in Bil-<br />

5 Vgl. Fellmann, 1998, S. 194<br />

6 Vgl. Böhme, 2004, S. 117<br />

5


1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />

<strong>der</strong>n wahrgenommen wird: „Die Bil<strong>der</strong> werden selbst zur <strong>Wirklichkeit</strong>“ 7 und sind<br />

„zum Maßstab <strong>der</strong> Art und Weise geworden, in <strong>der</strong> […] die Dinge erscheinen.“ 8<br />

Dieser ständige Umgang mit Fotografien wie auch mit Film, Fernsehen und<br />

schließlich dem Internet schult den Blick. Es ist uns sowohl möglich, die Abbil-<br />

dungen in einer Fotografie zu betrachten, als auch den Blick umzuschalten und<br />

das Foto als Bild, als Medium wahrzunehmen. 9 Der <strong>Re</strong>zipient kann also sowohl<br />

die <strong>Re</strong>alität im Bild erkennen, sich aber <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität des Mediums dabei bewusst<br />

bleiben.<br />

1.2 DAS ABBILD DER REALITÄT IN FOTOGRAFIEN<br />

Die Untersuchung <strong>der</strong> Wahrnehmungsprozesse zeigte, dass Fotografien, trotz<br />

ihrer eingeschränkten Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität nur einen Sinneskanal bedienend<br />

sowie Zeitlichkeit und Räumlichkeit außer Acht lassend, als Abbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität<br />

akzeptiert werden.<br />

Dies ist zu einem Gutteil <strong>der</strong> Beziehung zwischen Abbild und Urbild zuzu-<br />

schreiben. Diese hat in <strong>der</strong> Literatur viele Bezeichnungen erhalten: Susan Son-<br />

tag beschreibt Fotografien in ihrem 1977 erschienenen Essay On Photography<br />

als „Bruchstücke <strong>der</strong> Welt“ 10 o<strong>der</strong> auch als „materielle Spur ihres Gegenstan-<br />

des“ 11 , Gernot Böhme nennt sie ein „natürliches Zeichen“ 12 und Bernd Stiegler<br />

ein „indexikalisches Zeichen“ 13 . Im Folgenden wird auf die durch diese Beziehung<br />

gegebene und durch den Fotografen und die Fototechnik beeinflussbare Darstel-<br />

lung bzw. Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität eingegangen.<br />

1.2.1 <strong>Re</strong>alitätsdarstellung<br />

Durch die fotografische Technik, auf optische und chemische bzw. elektronische<br />

Gesetzmäßigkeiten aufbauend, haben die Produkte dieses Mediums, die Foto-<br />

grafien, einen direkteren Bezug zu ihrem Ursprung, <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität, als dies bei ir-<br />

gendeinem an<strong>der</strong>en visuellen Medium, wie <strong>der</strong> Malerei o<strong>der</strong> Bildhauerei, <strong>der</strong> Fall<br />

7 Zit. Fellmann, 1998, S. 194<br />

8 Zit. Sontag, 2008, S. 86<br />

9 Vgl. Böhme, 2004, S. 119, 123<br />

10 Zit. Sontag, 2008, S. 10<br />

11 Ebd., S. 147<br />

12 Zit. Böhme, 2004, S. 116<br />

13 Zit. Stiegler, 2009, S. 49<br />

6


1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />

ist. Es ist ein Medium, welches automatische Bil<strong>der</strong> hervorbringt. 14 Das bedeutet<br />

auch, dass die Dinge, die eine Fotografie abbildet, existiert haben müssen. 15 Die<br />

Bedingungen <strong>der</strong> Technik zwingen das Abbild dazu, von einer gewissen Un-<br />

schärfe abgesehen, in jedem Punkt dem Ursprung zu entsprechen. 16 Fotografien<br />

haben also nicht nur einen indexikalischen Charakter, also die Eigenschaft, auf<br />

ihren Ursprung hinzuweisen, darüber hinaus ist die <strong>Re</strong>lation von Abbild und Ur-<br />

bild mit mathematischen Funktionen zu vergleichen, bei denen je<strong>der</strong> Ursprungs-<br />

wert einen Ergebniswert hat. 17<br />

Die Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in fotografischen Bil<strong>der</strong>n bzw. wie sehr diese von<br />

dem <strong>Re</strong>zipienten akzeptiert wird, ist allerdings in keinster Weise nur von <strong>der</strong><br />

Technik <strong>der</strong> Fotografie abhängig. Wichtig ist, wie <strong>der</strong> Fotograf diese einsetzt, um<br />

bestimmte Wirkungen zu erzielen. Der Fotograf hat, je nach Intention, Sujet und<br />

<strong>der</strong> eingesetzten Fototechnik, verschiedene Möglichkeiten <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alitätsdarstel-<br />

lung. Dabei gibt es unterschiedliche Strategien, die von neutraler, technisch per-<br />

fekter Abbildung bis zu einer gestischen Schnappschuss-Ästhetik reichen. 18<br />

Abb. 1: Bernd und Hilla Becher,<br />

För<strong>der</strong>turm, Fosse Dutemple,<br />

Valenciennes Nord et Pas-de-<br />

Calais, F 1967<br />

Die erste besteht darin, das Gesehene möglichst<br />

genau, unverzerrt und mit allen Details abzubilden.<br />

Hier wird <strong>der</strong> indexikalische Charakter <strong>der</strong> Fotogra-<br />

fie genutzt und mit technisch immer ausgereifteren<br />

Kameras die Präzision <strong>der</strong> Abbildung ausgereizt.<br />

Natürlich sind dabei in jedem Produktionsschritt<br />

Möglichkeiten zur Inszenierung und Manipulation<br />

gegeben, auf die später noch genauer einzugehen<br />

ist. Dieser Ansatz <strong>der</strong> präzisen Wie<strong>der</strong>gabe findet<br />

sich beispielsweise in <strong>der</strong> wissenschaftlichen Foto-<br />

grafie, in <strong>der</strong> dokumentarischen sowie in <strong>der</strong> Pro-<br />

duktfotografie. In einigen Genres ist Manipulation<br />

unbedingt zu vermeiden, beispielsweise bei wissen-<br />

schaftlichen Zwecken, in an<strong>der</strong>en, wie <strong>der</strong> Werbung, wird sie vielfach eingesetzt.<br />

Auch in <strong>der</strong> Alltagsfotografie, wenn es darum geht, Erinnerungen festzuhalten, ist<br />

genaue Abbildung oft erwünscht. In <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie findet sich die-<br />

14 Vgl. Böhme, 2004, S. 112<br />

15 Vgl. Belting, 2006, S. 215<br />

16 Vgl. Wortmann, 2004, S. 15<br />

17 Vgl. Böhme, 2004, S. 115<br />

18 Vgl. Grebe; Schnei<strong>der</strong>, 2004, S. 8<br />

7


1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />

ser Ansatz seltener. Ein prominentes Beispiel wird im dritten Teil dieser Arbeit an-<br />

geführt, das Werk von Bernd und Hilla Becher (s. Abb. 1).<br />

Geht es um die Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität und vor allem darum, wie real dem<br />

<strong>Re</strong>zipienten eine Fotografie erscheint, wie authentisch sie wirkt, spielt technische<br />

Perfektion oft eine untergeordnete Rolle. Oftmals wirken gerade solche Fotogra-<br />

fien beson<strong>der</strong>s realistisch und lebensnah, bei denen die technische <strong>Re</strong>lation von<br />

Abbild zu Urbild aufgebrochen ist. Dieser dem ersten völlig entgegengesetzte<br />

Ansatz mündete in einer Schnappschuss-Ästhetik, die Zufälligkeiten in <strong>der</strong> Bild-<br />

gestaltung und technische wie stilistische Mängel in Kauf nimmt. 19 Die Authentizi-<br />

tät solcher grobkörniger, fahrig komponierter, verwaschener Fotos lässt sich viel-<br />

leicht dadurch erklären, dass eine solche Bildsprache am ehesten mit <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität, die ja auf schnellem Abtas-<br />

ten <strong>der</strong> bewegten Umwelt basiert, im Einklang ist. Un-<br />

terstützt wird dies durch das massenhafte Auftreten sol-<br />

cher Bil<strong>der</strong> im Amateurbereich <strong>der</strong> Fotografie, die mit<br />

dem Ziel entstehen, das Leben authentisch festzuhal-<br />

ten. Diese Stilistik wird auch außerhalb des Amateurbe-<br />

reichs vielfältig angewandt, in Werbe-, Dokumentations-<br />

und Kunstfotografie. Als Beispiel sei das Werk Cartier-<br />

Bressons genannt, <strong>der</strong> die Genauigkeit <strong>der</strong> Abbildung<br />

<strong>der</strong> Konzentration auf den entscheidenden Moment un-<br />

terordnete (s. Abb. 2).<br />

Der <strong>Re</strong>alitätsgrad einer fotografischen Darstellung kann also sowohl von <strong>der</strong><br />

Sachlichkeit und Genauigkeit einer Aufnahme als auch von ihrer situativen<br />

Glaubwürdigkeit und Authentizität abhängen. 20<br />

1.2.2 <strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung<br />

Trotz des in den vorhergehenden Kapiteln erläuterten indexikalischen Charakters<br />

<strong>der</strong> Fotografie ergeben sich technisch bedingte Unschärfe, Körnigkeit, Verzer-<br />

rungen und Farbabweichungen. Diese zerstören nicht unbedingt den <strong>Re</strong>alismus<br />

<strong>der</strong> Abbildung, teilweise erhöhen sie ihn sogar. Dennoch sei <strong>der</strong> Vollständigkeit<br />

halber auf sie hingewiesen.<br />

19 Vgl. Wortmann, 2004, S. 19<br />

20 Vgl. Holschbach, 2004, S. 29<br />

Abb. 2: Henri Cartier-<br />

Bresson, Behind the Gare<br />

St. Lazare, 1932<br />

8


1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />

Unschärfe entsteht durch die begrenzte Genauigkeit, in <strong>der</strong> die optischen Syste-<br />

me <strong>der</strong> Kamera hergestellt werden können, o<strong>der</strong> auch von dem Fotografen ge-<br />

zielt eingesetzte Unschärfe, sei es Bewegungsunschärfe o<strong>der</strong> geringe Tiefen-<br />

schärfe. Unschärfe bedeutet, dass einem Punkt des Urbilds ein Hof, also Bereich<br />

auf dem Abbild entspricht. Körnigkeit entsteht durch das begrenzte Auflösungs-<br />

vermögen des Films bzw. des digitalen Aufnahmesensors und bedeutet umge-<br />

kehrt, dass einem Hof des Urbilds nur ein Punkt bzw. Bereich mit einheitlicher In-<br />

formation entspricht. 21 Schließlich ergeben sich, je nach eingesetzter Technik,<br />

Verzerrungen <strong>der</strong> Perspektive sowie Farbabweichungen. So gibt es optische<br />

Systeme, die die Perspektive verzerrt darstellen, wie z.B. Fisheye-Objektive,<br />

o<strong>der</strong> Filme, die für bestimmte Farbtemperaturen geeignet sind und bei Abwei-<br />

chung von diesen Farbstiche verursachen o<strong>der</strong> auf Farbdarstellung komplett ver-<br />

zichten und die Szene in Schwarz und Weiß darstellen. Dabei ist zu beachten,<br />

dass diese Verän<strong>der</strong>ungen nur im Vergleich zu <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung<br />

existieren. Innerhalb des eingesetzten Systems verhalten sie sich optischen so-<br />

wie chemischen bzw. elektronischen Gesetzen folgend korrekt.<br />

Nicht immer besteht die Intention, die <strong>Re</strong>alität unverän<strong>der</strong>t abzubilden. Dem<br />

Fotografen bieten sich vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, gerade mit diesen<br />

Abweichungen von <strong>der</strong> Wahrnehmung zu spielen und die Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>ali-<br />

tät zu gestalten und zu manipulieren. Dies sind keine neuen Entwicklungen.<br />

Durch das Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie sind zwar einige Optionen hinzu-<br />

Abb. 3: Frühes Beispiel einer Montage, erstellt aus 32 Negativen: Oscar G. <strong>Re</strong>jlan<strong>der</strong>, The Two<br />

Ways of Life, 1858<br />

21 Vgl. Böhme, 2004, S. 116<br />

9


1 Fotografische <strong>Wirklichkeit</strong><br />

gekommen, welche später behandelt werden sollen, die Möglichkeit zur Gestal-<br />

tung und Manipulation besteht aber schon seit Erfindung <strong>der</strong> Fotografie in <strong>der</strong><br />

ersten Hälfte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, wie Abb. 3 zeigt. 22<br />

Die Möglichkeiten <strong>der</strong> Gestaltung und Manipulation, die hier ohne Anspruch<br />

auf Vollständigkeit aufgezählt seien, reichen von <strong>der</strong> Motivwahl noch vor Betäti-<br />

gen des Auslösers bis zu Entscheidungen über die letztendliche Darstellung des<br />

fertigen Werkes. Eine erste Entscheidung stellt die Wahl des Aufnahmemediums<br />

dar. Handelt es sich um eine analoge o<strong>der</strong> digitale Kamera, welche Größe und<br />

Format hat die Aufnahmefläche, wird ein Schwarz-weiß-, Farbnegativ- o<strong>der</strong> Dia-<br />

positivfilm o<strong>der</strong> ein elektronischer Sensor eingesetzt? Dies entscheidet über spä-<br />

tere Möglichkeiten <strong>der</strong> Manipulation, <strong>der</strong> Präsentation und damit auch <strong>der</strong> Wir-<br />

kung auf den Betrachter. Auch liegt in <strong>der</strong> Wahl des Filmes die Entscheidung<br />

über Farbe o<strong>der</strong> Schwarz-weiß. Beim Aufnehmen selbst bietet die Kamera dem<br />

Fotografen eine Palette an Gestaltungsoptionen. Die aufgenommene Lichtmen-<br />

ge wird über Blende und Belichtungszeit bestimmt, die Brennweite <strong>der</strong> Optik legt<br />

den Bildausschnitt und zusammen mit <strong>der</strong> Blende die Tiefenschärfe fest. Die<br />

Darstellung von Bewegung geschieht über die Länge <strong>der</strong> Belichtung. Während<br />

<strong>der</strong> Entwicklung und Bearbeitung, sei es in <strong>der</strong> Dunkelkammer o<strong>der</strong> am Compu-<br />

ter, kann Farbe, Kontrast und Helligkeit weiter beeinflusst, die Schärfe angepasst<br />

sowie <strong>der</strong> Ausschnitt verän<strong>der</strong>t werden. Sowohl bei analogen als auch bei digita-<br />

len Techniken bietet sich darüber hinaus die Möglichkeit zur <strong>Re</strong>tusche, Manipula-<br />

tion bis hin zur Collagetechnik. Schlussendlich ergeben sich durch Entscheidun-<br />

gen über die Präsentation verschiedentliche Wirkungen, durch Einsatz<br />

beson<strong>der</strong>er Papiere, durch Rahmung und durch die Größe des Ausgabefor-<br />

mats. 23 Auf diesen gesamten Gestaltungsprozess, vor allem dem digitalen wird<br />

im zweiten Teil <strong>der</strong> Arbeit genauer eingegangen.<br />

22 Vgl. Grebe; Schnei<strong>der</strong>, 2004, S. 7<br />

23 Vgl. Böhme, 2004, S. 111f.<br />

10


2 Digital Imaging<br />

Die fortschreitende Digitalisierung <strong>der</strong> Welt verän<strong>der</strong>te nahezu alle Bereiche des<br />

menschlichen Lebens. Dies gilt auch für fast sämtliche bildgebenden Medien und<br />

so auch für die Fotografie. Durch elektronische Aufnahmesensoren wurde das<br />

chemische Filmmaterial und durch den Computer die Dunkelkammer fast voll-<br />

ständig ersetzt. Die Grundlagen <strong>der</strong> Fotografie sind weitgehend gleich geblieben,<br />

die unter dem Begriff „Digital Imaging“ versammelten Arbeitsabläufe aber haben<br />

sich gegenüber <strong>der</strong> bisherigen Technik entscheidend vereinfacht und die Gestal-<br />

tungsmöglichkeiten für Fotografen sich deutlich erweitert.<br />

Im folgenden Kapitel wird <strong>der</strong> Begriff „Digital Imaging“ mit anschaulichen Bei-<br />

spielen erläutert. 24 Zunächst jedoch liegt <strong>der</strong> Augenmerk auf den Gemeinsamkei-<br />

ten und Unterschieden gegenüber <strong>der</strong> analogen Fotografie.<br />

2.1 ANALOG UND DIGITAL<br />

Fotografie existiert heutzutage auf Basis von zwei unterschiedlichen Technologi-<br />

en, <strong>der</strong> analogen und <strong>der</strong> digitalen. Beide bedienen sich dabei zunächst <strong>der</strong> glei-<br />

chen Prinzipien <strong>der</strong> Optik und Physik, um ein Bild auf die Aufnahmefläche zu<br />

projizieren. Dies ist leicht dadurch erkennbar, dass es Objektive gibt, die prinzipi-<br />

ell sowohl mit analogen als auch mit digitalen Kameras benutzt werden können.<br />

Die Techniken, um das Bild schließlich aufzuzeichnen und zu speichern, unter-<br />

scheiden sich allerdings grundlegend. Analog bedeutet in diesem Zusammen-<br />

hang kontinuierliche im Gegensatz zur diskreten, also abgestuften <strong>Re</strong>präsentati-<br />

on. 25 In <strong>der</strong> analogen Fotografie – auch nach dem Prozess benannt, etwas<br />

Ähnliches, einem Vorbild entsprechendes, sprich analoges Abbild zu erzeugen –<br />

fallen die durch das Objektiv gelenkten Lichtstrahlen auf einen mit Silberhaloge-<br />

nidkörnchen beschichteten Film. Darauf entsteht durch Lichteinwirkung ein laten-<br />

tes Bild, welches durch chemische Entwicklung des Films als Negativ o<strong>der</strong> Dia-<br />

positiv sichtbar gemacht und fixiert wird. In einem weiteren Prozess können<br />

24 Alle Abbildungen in Kap. 2 stammen vom Autor dieser Arbeit.<br />

25 Vgl. Mitchell, 2007, S. 247<br />

11


2 Digital Imaging<br />

damit positive Kontaktkopien o<strong>der</strong> Vergrößerungen auf Papier gebracht wer-<br />

den. 26<br />

In <strong>der</strong> digitalen Fotografie werden die gesammelten Lichtstrahlen von einem<br />

aus einem Raster lichtempfindlicher Halbleiter bestehenden Sensor aufgenom-<br />

men, in diskrete Werte umgerechnet und direkt in <strong>der</strong> Kamera in codierte Daten<br />

konvertiert und auf einem Speichermedium abgelegt. 27<br />

Wo die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und jeweiligen Vor- und Nachteile lie-<br />

gen, zeigt die folgende Gegenüberstellung.<br />

Analog Digital<br />

Materielle Speicherung Immaterielle Speicherung<br />

Kontinuierliche <strong>Re</strong>präsentation Diskrete <strong>Re</strong>präsentation<br />

Bildgebung durch Chemie Bildgebung durch Elektronik<br />

Filmkorn als kleinste Informationseinheit Pixel als kleinste Informationseinheit<br />

Original (Negativ/Dia) vorhanden Kein Original vorhanden<br />

Kopie verlustbehaftet Kopie verlustfrei<br />

Keine Bildvorschau Direkte Bildvorschau<br />

Bearbeitung in Dunkelkammer Bearbeitung am Computer<br />

Bearbeitung langwierig und aufwändig Bearbeitung schnell und relativ einfach<br />

Tab. 1: Unterschiede analoger und digitaler Fotografie (eigene Zusammenstellung)<br />

Die grundlegenden Unterschiede entstehen durch die verschiedenen Speicher-<br />

technologien, allein schon daran erkennbar, dass analoges Material ohne Hilfs-<br />

mittel gesichtet werden kann, digitales aber eine komplexe Wie<strong>der</strong>gabetechnik<br />

benötigt. Alle weiteren Differenzen leiten sich davon ab. Unterschiede in <strong>der</strong><br />

Qualität <strong>der</strong> Abbildung ergeben sich vor allem durch Feinheit des Korns und Dy-<br />

namik beim Film gegenüber <strong>der</strong> Auflösung und Farbtiefe des digitalen Sensors<br />

(vgl. Abb. 4 u. Abb. 5). Diese beiden Qualitäten geben jeweils an, wie detailliert<br />

das Motiv abgebildet wird und welcher Helligkeitsumfang dargestellt werden<br />

kann. Die digitale Technik hat hier einen theoretischen Nachteil durch die Trans-<br />

formation kontinuierlicher zu diskreten Werten. Dieser kann durch immer feinere<br />

Abtastung mo<strong>der</strong>ner Sensoren aber weitgehend aufgehoben werden. Durch die-<br />

se Abspeicherung in einzelnen Bildelementen, genannt Pixel, und <strong>der</strong>en <strong>Re</strong>prä-<br />

sentation durch numerische Werte, ergeben sich für die <strong>Re</strong>produzierbarkeit, Be-<br />

26 Vgl. Wolf, 2010, S. 25<br />

27 Ebd.<br />

12


2 Digital Imaging<br />

arbeitung und Distribution wie<strong>der</strong>um klare Vorteile. Analoges Material lässt sich<br />

zwar auch reproduzieren, dies ist jedoch immer mit einem Verlust an Information<br />

verbunden. Eine digitale Kopie gleicht <strong>der</strong> Originaldatei jedoch Bit für Bit und ist<br />

einfach erstellt. Dadurch dass jedes Pixel als numerischer Wert vorliegt, kann<br />

auch jedes Bildelement verän<strong>der</strong>t und neu berechnet werden. Durch die Unab-<br />

hängigkeit von einem physischen Medium sowie durch die Schnelligkeit <strong>der</strong> Be-<br />

arbeitung und Möglichkeit <strong>der</strong> einfachen <strong>Re</strong>produktion ist die Verbreitung viel<br />

einfacher und auf viel mehr Wegen möglich, sei es über das Internet, durch<br />

Printmedien o<strong>der</strong> auf klassischem Weg durch Erstellen von Vergrößerungen. 28<br />

Abb. 4: Bei<br />

starker Vergrößerung<br />

zeigen<br />

sich die ungeordnetenRunzelkörner<br />

einer<br />

analogen Filmaufnahme<br />

Diese vielen offensichtlichen Vorteile <strong>der</strong> digitalen Fotografie bringen aber auch<br />

einige Nachteile mit sich. Lange Zeit stand die Fotografie in <strong>der</strong> Kritik, Bil<strong>der</strong><br />

ohne „Aura“ 29 zu produzieren. Dieser von Walter Benjamin in diesem Zusammen-<br />

hang geprägte Begriff beschreibt die Echtheit und Autorität einer Sache. In Das<br />

Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen <strong>Re</strong>produzierbarkeit, in den 30er Jah-<br />

ren des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts entstanden, stellt er die These auf, dass nur durch tra-<br />

ditionelle Weise entstandene, vom Menschen geschaffene, als Originale existie-<br />

rende Kunstwerke eine Aura haben und diese im Zeitalter <strong>der</strong> <strong>Re</strong>produzierbarkeit<br />

verkümmere. 30 Der Vergleich von analoger zu digitaler Fotografie zeigt einige<br />

Parallelen. Während man aufwändig gestalteten Fotoabzügen, in Kleinstarbeit im<br />

Labor entstanden, durchaus eine Aura zusprechen mag, sehen viele diese in di-<br />

gitalen Fotografien endgültig verloren. Das Argument <strong>der</strong> <strong>Re</strong>produzierbarkeit,<br />

welches Benjamin anführte, wiegt für digitale Kunst viel schwerer. Ein digitalisier-<br />

tes Bild lässt sich schließlich mit wenigen Mausklicks beliebig oft und vollkom-<br />

men identisch kopieren. 31 Die Leichtigkeit <strong>der</strong> Bearbeitung führt zu einem Verlust<br />

28 Vgl. Mitchell, 2007, S. 247ff.; Vgl. Mitchell, 1992, S. 60ff.; The <strong>Re</strong>configured Eye von W. J. Mitchell<br />

wird trotz seines frühen Erscheinungsdatums 1992 oft noch als „wichtigste Autorität“ (vgl.<br />

Mitchell, 2007, S. 242; hierbei handelt es sich um einen an<strong>der</strong>en Autor gleichen Namens) bei<br />

<strong>der</strong> Diskussion um Digital Imaging angesehen.<br />

29 Zit. Benjamin, 1936, S. 4<br />

30 Vgl. Benjamin, 1936, S. 4f.<br />

31 Vgl. Mitchell, 2007, S. 250f.<br />

Abb. 5: Eine<br />

digitale Aufnahmehingegen<br />

besteht<br />

aus geordneten<br />

gleichmäßigen<br />

Pixeln<br />

13


2 Digital Imaging<br />

an Vertrauen in Bezug auf die dokumentarische Funktion <strong>der</strong> Fotografie. 32 Daran<br />

än<strong>der</strong>t nichts, dass die Möglichkeit <strong>der</strong> Manipulation schon seit Erfindung <strong>der</strong> Fo-<br />

tografie gegeben war. 33<br />

Die Gegenüberstellung analoger und digitaler Fotografie zeigt grundlegende<br />

Unterschiede. Diese sind allerdings weitgehend technischer Natur und die Praxis<br />

zeigt, dass beides je nach Einsatzgebiet verwendet und teilweise sogar kombi-<br />

niert wird. Der wichtigste Unterschied für den weiteren Untersuchungsverlauf ist<br />

die Manipulierbarkeit <strong>der</strong> fotografischen Daten. Auch wenn dies keine Erfindung<br />

<strong>der</strong> digitalen Fotografie ist, ist die Palette an Möglichkeiten doch stark angewach-<br />

sen. Der folgende Abschnitt gibt eine Übersicht über diese unter dem Begriff „Di-<br />

gital Imaging“ versammelten Techniken.<br />

2.2 WAS IST DIGITAL IMAGING?<br />

„Digital Imaging“ ist ein Sammelbegriff für sämtliche Erzeugung und Wie<strong>der</strong>gabe<br />

verschiedenster digitaler Bil<strong>der</strong>. Darunter fallen sowohl digitale Malereien, Zeich-<br />

nungen, Fotografien und Filmstills als auch durch den Computer generierte Bil-<br />

<strong>der</strong>. Sie können entwe<strong>der</strong> direkt im Computer entstehen o<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> analogen Ur-<br />

sprungs sein, die zur Weiterverarbeitung digitalisiert werden. 34<br />

In dieser Arbeit wird „Digital Imaging“ vor allem als Sammelbegriff für die Pro-<br />

zesse <strong>der</strong> digitalen Aufnahme von Fotografien, <strong>der</strong>en Bearbeitung bis hin zur ih-<br />

rer Wie<strong>der</strong>gabe benutzt, da vergleichbare deutsche Begriffe meist nur einen die-<br />

ser Bereiche bezeichnen. In allen drei Bereichen gibt es jeweilige Parallelen zur<br />

analogen Fotografie. Auch ist anzumerken, dass bei beiden Technologien <strong>der</strong><br />

Weg von Bildaufnahme bis zur Wie<strong>der</strong>gabe beliebig aufwändig gestaltet sein<br />

kann. Wo im analogen Bereich eine Polaroid-Sofortbildkamera ohne Umschweife<br />

ein Bild liefert, zeigt eine digitale Kamera direkt nach <strong>der</strong> Aufnahme das Ergebnis<br />

auf ihrem Bildschirm. An<strong>der</strong>erseits stehen sich komplizierte Dunkelkammertech-<br />

niken und aufwändige Bearbeitungen am Computer gegenüber.<br />

32 Vgl. Wolf, 2010, S. 29<br />

33 Vgl. Schnelle-Schney<strong>der</strong>, 2003, S. 150<br />

34 Vgl. Wands, 2006, S. 32<br />

14


2 Digital Imaging<br />

Die folgenden Abschnitte beschreiben die Möglichkeiten und Techniken <strong>der</strong> digi-<br />

talen Bildaufnahme, -bearbeitung und -wie<strong>der</strong>gabe, nicht ohne an geeigneter<br />

Stelle auf die Parallelen zur analogen Technik hinzuweisen.<br />

2.2.1 Digitale Bildaufnahme<br />

Die Aufnahme digitaler Fotos kann entwe<strong>der</strong> direkt über eine Kamera geschehen<br />

o<strong>der</strong> indirekt durch Digitalisierung einer bestehenden analogen Aufnahme per<br />

Scanner. Beide Techniken haben ihre Vor- und Nachteile. Der Vorteil des Eins-<br />

cannens besteht darin, dass die positiven Eigenschaften von Filmmaterial – sei<br />

es die hohe Auflösung großformatiger Negative bzw. Dias, die charakteristische<br />

Farbwie<strong>der</strong>gabe o<strong>der</strong> <strong>der</strong> hohe Dynamikumfang analogen Materials – mit den<br />

Vorteilen <strong>der</strong> digitalen Verarbeitung verbunden werden können. Der Vorteil <strong>der</strong><br />

direkten Bildaufnahme per Kamera liegt im schnellen, unkomplizierten und einfa-<br />

chen Arbeitsablauf sowie in <strong>der</strong> sofortigen Ergebniskontrolle.<br />

Bei <strong>der</strong> indirekten Aufnahme per Scanner wird im Idealfall direkt das Negativ<br />

bzw. Diapositiv gescannt, da dieses – im Gegensatz zu Fotoabzügen als Scan-<br />

vorlage – die kompletten Bildinformationen enthält. Dazu wird ein so genannter<br />

Durchlichtscanner benötigt, <strong>der</strong> das transparente Filmmaterial von <strong>der</strong> Gegensei-<br />

te beleuchtet. Spezielle Scanprogramme bieten diverse Optimierungstechnologi-<br />

en an, zur korrekten Umsetzung eines Farbnegativs in ein Positiv, zur Staub- und<br />

Kratzerentfernung sowie zur Helligkeits- und Kontrastverbesserung. Die erzielba-<br />

re Qualität hängt von <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> Scanvorlage sowie <strong>der</strong> Feinheit <strong>der</strong> Ab-<br />

tastung beim Scannen ab. 35<br />

Die direkte Aufnahme per Digitalkamera ist heutzutage die am weitesten ver-<br />

breitete Art <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>zeugung überhaupt. Die Leichtigkeit <strong>der</strong> Bedienung und<br />

Schnelligkeit, in <strong>der</strong> die Ergebnisse betrachtet werden können, macht die digitale<br />

Fotografie bei Amateuren beson<strong>der</strong>s beliebt, die stetig steigende Präzision, Zu-<br />

verlässigkeit und Fähigkeit mo<strong>der</strong>ner Kameras, noch in Extremsituationen<br />

brauchbare Ergebnisse zu liefern, macht sie für Profis zu einem unverzichtbaren<br />

Werkzeug. Aktuelle Kameras gibt es von <strong>der</strong> Handykamera über semiprofessio-<br />

nelle Spiegelreflexkameras bis zu digitalen Rückteilen für Großformatkameras in<br />

allen erdenklichen Preisregionen für die verschiedensten Einsatzgebiete.<br />

35 Vgl. Mitchell, 1992, S. 64<br />

15


2.2.2 Digitale Bildbearbeitung<br />

2 Digital Imaging<br />

Wurde ein Foto aufgenommen, sei es per Kamera o<strong>der</strong> Scanner, findet <strong>der</strong><br />

nächste Schritt am Computer statt. Hier ist eine ganze Palette an Werkzeugen<br />

und Techniken zur Bildbearbeitung verfügbar. Einige Techniken zielen darauf ab,<br />

Fotos zu optimieren, um sich so in <strong>der</strong> Abbildung <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Wunschvorstellung von ihr, die <strong>der</strong> Fotograf während <strong>der</strong> Aufnahme entwickelte,<br />

zu nähern. An<strong>der</strong>e wie<strong>der</strong>um ermöglichen die Gestaltung und Manipulation <strong>der</strong><br />

Darstellung, um so völlig an<strong>der</strong>e Wirkungen, Aussagen und Kontexte herzustel-<br />

len. 36<br />

Die vielfältigen Möglichkeiten <strong>der</strong> Bildbearbeitung lassen sich vereinfachend in<br />

drei Kategorien einteilen: erstens Techniken zur Optimierung von Fotografien,<br />

also um Bildfehler zu korrigieren, <strong>der</strong> wahrgenommenen <strong>Re</strong>alität näher zu kom-<br />

men und dabei ein allgemein ansprechen<strong>der</strong>es Ergebnis zu erhalten, zweitens<br />

Techniken zur Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Abbildung und <strong>der</strong> Bildwirkung, ohne jedoch da-<br />

bei den Inhalt abzuwandeln und drittens Manipulationen und Verän<strong>der</strong>ungen<br />

nicht nur <strong>der</strong> Wirkung, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> inhaltlichen Aussage bis hin zur kom-<br />

pletten Neugestaltung <strong>der</strong> Szenerie o<strong>der</strong> Kombination mit an<strong>der</strong>en Motiven. Die-<br />

se drei Kategorien sind nicht klar voneinan<strong>der</strong> abgegrenzt. Beispielsweise kön-<br />

nen manipulative Eingriffe zur Bildoptimierung gemacht werden, ohne die<br />

Absicht, die inhaltliche Aussage zu verän<strong>der</strong>n.<br />

Diese verschiedenen Grade <strong>der</strong> Bearbeitung und Manipulation werden bei-<br />

spielhaft an einem einfachen Motiv (s. Abb. 6) demonstriert. Zu je<strong>der</strong> Kategorie<br />

sind einige typische, anschauliche Varianten dieses Motivs aufgeführt. Die Bear-<br />

beitung erfolgte durch den Autor dieser Arbeit mithilfe des Programms Photo-<br />

shop, welches Marktführer im Bereich <strong>der</strong> professionellen Bildbearbeitungssoft-<br />

ware ist. 37 Die Motivvarianten demonstrieren die verschiedenen Möglichkeiten<br />

und ihre Konsequenzen in Bezug auf die <strong>Re</strong>alitätsdarstellung. Für jede Kategorie<br />

werden sowohl Beispiele gezeigt, die trotz vorgenommener Verän<strong>der</strong>ungen reali-<br />

tätsnah bleiben und solche, die unrealistische Szenarien zeigen. Auch kommen<br />

Techniken vor, die schon für die analoge Fotografie zur Verfügung standen und<br />

an<strong>der</strong>e, die erst durch die digitale Bildbearbeitung realisierbar wurden.<br />

Die erste Kategorie, die <strong>der</strong> Bildoptimierung, wird am häufigsten eingesetzt<br />

und kann meist schon mit einfachen Bildbearbeitungsprogrammen durchgeführt<br />

36 Folgendes Kapitel beruht auf eigenen Erfahrungen und orientiert sich, falls nicht an<strong>der</strong>s angegeben,<br />

an The <strong>Re</strong>configured Eye von W.J. Mitchell (Mitchell, 1992, S. 87ff., 163ff.).<br />

37 Vgl. Kaplun, 2010, S. 5<br />

16


2 Digital Imaging<br />

werden. Unter Bildoptimierung wird an dieser Stelle das Korrigieren von Bildfeh-<br />

lern und dem Erzielen einer passen<strong>der</strong>en ästhetischen Wirkung verstanden,<br />

ohne dabei den Bildgehalt zu verän<strong>der</strong>n. Typische Optimierungsaufgaben sind<br />

das Beschneiden des Bildes zu einem interessanteren Bildausschnitt, teilweise<br />

verbunden mit dem Gera<strong>der</strong>ücken des Motivs. Des weiteren Anpassungen <strong>der</strong><br />

Helligkeit, um Fehlbelichtung auszugleichen sowie <strong>der</strong> Tonwertabstufungen, um<br />

Kontraste zu verbessern. Durch die Einstellung des Weißabgleichs können Farb-<br />

stiche, die z.B. durch Aufnahme bei Kunstlicht entstehen, entfernt werden. Durch<br />

den Einsatz von Scharfzeichnungsfiltern kann <strong>der</strong> Schärfeeindruck verbessert<br />

werden (s. Abb. 7).<br />

Solche Bildoptimierungen ließen sich durch den Einsatz unterschiedlicher<br />

Härtegrade <strong>der</strong> Fotopapiere und verän<strong>der</strong>ter Entwicklungsparameter auch weit-<br />

gehend in <strong>der</strong> Dunkelkammer realisieren.<br />

Abb. 6: Die unbearbeitete<br />

Originalaufnahme<br />

Optimierungen dieser Art finden typischerweise auch vollautomatisch in mo<strong>der</strong>-<br />

nen Digitalkameras statt. Der spätere Eingriff am Computer erlaubt allerdings<br />

eine Bearbeitung, bei <strong>der</strong> man auf die Eigenarten <strong>der</strong> Aufnahme gezielt eingehen<br />

kann. Normalerweise versucht man bei <strong>der</strong> Bearbeitung eine realitätsnahe Wir-<br />

kung beizubehalten.<br />

Abb. 7: Das Foto wurde gerade gerückt,<br />

beschnitten und geschärft. Helligkeit und<br />

Kontrast wurden angepasst sowie ein<br />

Farbstich entfernt.<br />

17


2 Digital Imaging<br />

Alle Optimierungseinstellungen können aber auch in übertriebener Form ange-<br />

wendet werden, wodurch die Bildwirkung stark verän<strong>der</strong>t wird. Ein solches Vor-<br />

gehen ist zur zweiten Kategorie zu zählen.<br />

Die nächste Kategorie, die <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Abbildung und ihrer Wirkung,<br />

geht einen Schritt weiter als die <strong>der</strong> Bildoptimierung. Während sich die Bildwir-<br />

kung bei <strong>der</strong> Optimierung nur wenig än<strong>der</strong>t, können durch Einsatz diverser Ef-<br />

fekt-Filter und Verzerrungen gänzlich an<strong>der</strong>e und auch unrealistische Wirkungen<br />

erzielt werden.<br />

Abb. 8: Eine Konvertierung<br />

in Graustufen.<br />

Die Einstellung für die<br />

Umwandlung simulieren<br />

einen Blaufilter,<br />

<strong>der</strong> die roten Wellenlängen<br />

herausfiltert.<br />

Bildbearbeitungsprogramme wie Photoshop bieten dazu<br />

eine ganze Palette von vorgefertigten Effekt-Filtern an. Ein<br />

Beispiel für eine noch realistisch anmutende Filterung ist<br />

ein Herausfiltern <strong>der</strong> Farbinformationen und dadurch dem<br />

Simulieren einer Schwarz-weiß-Aufnahme (s. Abb. 8).<br />

Auch Verzerrungen bzw. perspektivische Entzerrungen<br />

durch geometrisches Verschieben <strong>der</strong> Bildinformation las-<br />

sen sich realitätsnah einsetzen, z.B. um stürzende Linien<br />

auszugleichen. Durch extreme Einstellungen lassen sich<br />

aber sowohl in <strong>der</strong> Farbdarstellung als auch in <strong>der</strong> Verzer-<br />

rung des Bildinhalts unwirkliche Eindrücke erzielen (s. Abb.<br />

9 u. Abb. 10).<br />

Des Weiteren gibt es Effekte, die be-<br />

stimmte künstlerische Techniken si-<br />

mulieren sollen. Beispielsweise kann<br />

durch <strong>Re</strong>duzierung <strong>der</strong> Farbabstufun-<br />

gen auf wenige Tonwerte und <strong>der</strong><br />

Vereinfachung <strong>der</strong> Kanten ein Colla-<br />

geeffekt erzielt werden (s. Abb. 11).<br />

Effekte dieser Art waren in <strong>der</strong> Dun-<br />

kelkammer schwer zu erzeugen.<br />

Durch Mehrfachbelichtung, Vorbe-<br />

handlung des Fotopapiers o<strong>der</strong> Ver-<br />

än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> üblichen Entwicklungs-<br />

vorgänge gelangen durchaus<br />

malerische Effekte. 38<br />

38 Vgl. z.B. Andreas Feininger, Akt (Runzelkorntechnik), 1929, in: Buchsteiner; Feininger, 2004,<br />

S. 45<br />

Abb. 9: Die Falschfarben<br />

dieser Version<br />

entstanden durch einen<br />

Solarisationsfilter. Solarisation<br />

wurde bereits<br />

in <strong>der</strong> Dunkelkammer<br />

durch verän<strong>der</strong>te Entwicklungsabläufeeingesetzt,<br />

allerdings nur<br />

in Schwarz-weiß.<br />

Abb. 10: Ein Verzerrungsfilter,<br />

<strong>der</strong> alle<br />

Bildelemente nach<br />

bestimmtem Muster (in<br />

diesem Fall strudelförmig)<br />

und Stärke versetzt,<br />

wurde eingesetzt.<br />

18


Abb. 11: Einer <strong>der</strong><br />

vielen Effekt-Filter in<br />

Photoshop, die<br />

malerische, zeichnerische<br />

o<strong>der</strong> Collagetechniken<br />

simulieren<br />

sollen, in diesem Fall<br />

„Farbpapiercollage“.<br />

2 Digital Imaging<br />

Bei Bearbeitungen <strong>der</strong> dritten Kategorie wird nicht nur die<br />

Bildwirkung, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Bildinhalt direkt verän<strong>der</strong>t.<br />

Durch die Speicherung des Bildes als Matrix einzelner nu-<br />

merischer Bildpunkte 39 ist nicht nur die „globale“ Verände-<br />

rung <strong>der</strong> gesamten Bildfläche, wie es weitgehend in den<br />

letzten Beispielen <strong>der</strong> Fall war, son<strong>der</strong>n auch die lokale<br />

Manipulation einzelner Bildteile möglich. Diese Manipulati-<br />

on kann in verschiedenen Stärken stattfinden: Von dem<br />

einfachen Entfernen von Sensorflecken – ähnlich aber un-<br />

gleich einfacher als das Ausflecken von Staub und Fusseln<br />

bei analogen Fotos – über <strong>Re</strong>tusche unerwünschter Berei-<br />

che bis hin zur Montage ganzer Bildteile o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Collage<br />

aus mehreren Aufnahmen.<br />

Die <strong>Re</strong>tusche geschieht meist durch<br />

Stempelwerkzeuge, die das Kopieren<br />

von Bildteilen zur Überlagerung ande-<br />

rer Bildteile ermöglichen. Dabei kann<br />

<strong>der</strong> <strong>Re</strong>alismus aufrecht erhalten blei-<br />

ben, wenn es sich um solche Bildele-<br />

mente handelt, die in <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität<br />

theoretisch auch fehlen könnten (s.<br />

Abb. 12). Durch Entfernung von Bild-<br />

teilen, die in <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität so nicht feh-<br />

len können, wird eine unnatürliche,<br />

befremdliche Wirkung erzielt (s. Abb.<br />

13). Gerade die realistisch anmuten-<br />

den Fotografien bergen allerdings die<br />

Gefahr in sich, dass sie „lügen“, da<br />

die Verän<strong>der</strong>ung nicht offensichtlich<br />

ist. <strong>Re</strong>tusche in <strong>der</strong> Dunkelkammer ist nicht unmöglich, aber sehr viel schwieri-<br />

ger zu realisieren und wurde daher eher in Ausnahmefällen angewendet. 40<br />

Neben <strong>der</strong> Bildretusche haben digitale Montagetechniken die größten Auswir-<br />

kungen auf die Darstellung bzw. Abweichung von <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität. Dazu werden ne-<br />

ben Stempelwerkzeugen vor allem digitale Maskierung von Bildteilen und Ebe-<br />

39 Vgl. Kap. 2.1 Analog und Digital, S. 11<br />

40 Vgl. Mitchell, 2007, S. 237f.<br />

Abb. 12: <strong>Re</strong>tusche zu<br />

Optimierungszwecken:<br />

Teile des Kabels wurden<br />

durch Überstempelung<br />

mit an<strong>der</strong>en<br />

Bildteilen entfernt. Der<br />

Hintergrund links wurde<br />

mit dem Abwedler-<br />

Werkzeug aufgehellt,<br />

einer Technik, die aus<br />

<strong>der</strong> Dunkelkammer<br />

entlehnt ist.<br />

Abb. 13: Hier wurde<br />

<strong>Re</strong>tusche zur Erzielung<br />

eines unrealistischen<br />

Effekts benutzt. Mit<br />

Hilfe des Stempelwerkzeugs<br />

wurden die<br />

Gesichtszüge des<br />

Kopfes entfernt.<br />

19


nenfunktionen mo<strong>der</strong>ner Bildbearbeitungs-<br />

programme eingesetzt. Das Kombinieren<br />

mehrerer Bil<strong>der</strong>teile o<strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> zu einem<br />

einzigen kann solchermaßen stattfinden,<br />

dass man keine Übergänge o<strong>der</strong> sonstige<br />

Anzeichen <strong>der</strong> Montage sieht. Dadurch<br />

können real existierende Motive nachgebil-<br />

det werden, die ohne Montage nicht ab-<br />

bildbar wären, wie z.B. Panoramen aber<br />

auch real erscheinende Szenerien erstellt<br />

werden, die so in <strong>Wirklichkeit</strong> nie existier-<br />

ten (s. Abb. 14).<br />

2 Digital Imaging<br />

Eine an<strong>der</strong>e Wirkung erzielt man, wenn die Kombination offensichtlich ist, z.B.<br />

durch Freistellung einzelner Elemente und Zusammenfügung zu abstrakten Col-<br />

lagen (s. Abb. 15). Auch Collagen und Montagen lassen sich in <strong>der</strong> Dunkelkam-<br />

mer herstellen. 41 Allerdings wurde hier meistens nur mit weichen Übergängen ge-<br />

arbeitet . Überlagerungen klar abgegrenzter Figuren sind schwer zu realisieren.<br />

41 Vgl. Abb. 3, S. 9<br />

Abb. 14: Eine die reale Szene verän<strong>der</strong>nde,<br />

aber noch realistisch anmutende<br />

Fotomontage. Eine weitere Aufnahme desselben<br />

Kopfes wurde in die erste montiert.<br />

Abb. 15: Durch Freistellung des Kopfes und vielfache Überlagerung und Vervielfältigung vor<br />

neuem Hintergrund wurde ein völlig neues Bild erzeugt, welches mit dem Ursprung nicht mehr viel<br />

gemein hat.<br />

20


2.2.3 Digitale Bildwie<strong>der</strong>gabe<br />

2 Digital Imaging<br />

Die Möglichkeiten <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabe digitaler Fotos sind sehr viel umfangreicher<br />

als bei analogem Bildmaterial. Während die klassischen Ausgabetechniken, wie<br />

<strong>der</strong> Belichtung des Motivs auf lichtempfindlichem Fotopapier sowie des Offset-<br />

Drucks in Zeitungen und Zeitschriften, leicht abgewandelt weiterbestehen, sind<br />

die Ausgabe über Tintenstrahl- und Laserdrucker sowie die vielfältigen Darstel-<br />

lungsmöglichkeiten über Bildschirme hinzugekommen.<br />

Schon kurz nach <strong>der</strong> eigentlichen Aufnahme wird bei den allermeisten digita-<br />

len Kameras die Aufnahme bereits das erste Mal ausgegeben, als Miniatur auf<br />

dem Bildschirm <strong>der</strong> Kamera selbst. Auch bei <strong>der</strong> späteren Verwendung <strong>der</strong> Auf-<br />

nahmen ist die Ausgabe am Computerbildschirm meist die erste und oft die einzi-<br />

ge verwendete Ausgabe überhaupt. 42 Die Option <strong>der</strong> Ausgabe über Bildschirm<br />

hat weitreichende Folgen. Durch die quasi immaterielle Existenz digitaler Foto-<br />

grafien können sie – im Gegensatz zu analogen, die immer als physisches Ob-<br />

jekt existieren müssen – sehr viel leichter verteilt und über Bildschirm sowohl pri-<br />

vat als auch öffentlich über das Internet weltweit ausgegeben werden. 43 Diese<br />

Immaterialität hat aber gerade im Kontext <strong>der</strong> Kunst eine unerwünschte Auswir-<br />

kung. Im Kunstbetrieb werden Kunstwerke im Normalfall als Objekte verbreitet,<br />

ausgestellt, verkauft und gesammelt. Dies ist mit einem nur digital vorliegenden<br />

Foto nicht möglich. Benjamin spricht in diesem Zusammenhang vom Kultwert<br />

und Ausstellungswert eines Kunstwerkes. Der Kultwert besteht in <strong>der</strong> kulturellen<br />

Bedeutung, die einem Kunstwerk innewohnt, ohne das es dabei nötig ist, dass<br />

es überhaupt gesehen wird. Der Ausstellungswert hingegen beruht auf den Mög-<br />

lichkeiten, das Kunstwerk dem Publikum näherzubringen. So hat ein Ölgemälde<br />

z.B. einen größeren Ausstellungswert als ein Fresko. In <strong>der</strong> Fotografie verdrängt<br />

<strong>der</strong> Ausstellungswert den Kultwert fast vollständig. 44 In <strong>der</strong> digitalen Fotografie<br />

geschehen nun zwei Dinge. Der Ausstellungswert für den Massenmarkt ist noch<br />

einmal deutlich angestiegen, da durch Internet und Bildmedien viel mehr <strong>Re</strong>zipi-<br />

enten erreicht werden können. Der Wert für den Kunstmarkt hingegen ist zu-<br />

nächst gering. Ein Ausstellungswert muss entwe<strong>der</strong> dadurch geschaffen werden,<br />

dass digitale Fotokunst eine Plattform in digitalen Medien bekommt o<strong>der</strong> dass<br />

die Kunstwerke in eine angemessene physische Form gebracht werden.<br />

42 Vgl. Mitchell, 1992, S. 78<br />

43 Vgl. Mitchell, 2007, S. 245<br />

44 Vgl. Benjamin, 1936, S. 9ff.<br />

21


2 Digital Imaging<br />

Um dies zu erreichen, gibt es eine <strong>Re</strong>ihe an Techniken, um digitale Fotos auf Pa-<br />

pier auszugeben. Die einfachste ist per handelsüblichem Tintenstrahldrucker.<br />

Durch eine große Palette an matten und glänzenden Papieren können unter-<br />

schiedliche Qualitäten und Bildwirkungen erzielt werden, 45 die einer ausbelichte-<br />

ten Fotografie recht nahe kommen können. Die beste Qualität, vergleichbar mit<br />

analogen Fotoabzügen, liefert die Ausbelichtung auf lichtempfindliches Fotopa-<br />

pier, die meist mittels Laserbelichter im Fotolabor geschieht. 46<br />

Das Digital Imaging mit seinen Bildaufnahme, -bearbeitungs, und -wie<strong>der</strong>ga-<br />

betechniken bietet dem Fotokünstler heutzutage mehr Optionen in <strong>der</strong> Gestal-<br />

tung von Fotografien und in <strong>der</strong> Erschaffung von Fotokunst, als dies jemals zu<br />

Zeiten <strong>der</strong> analogen Fotografie <strong>der</strong> Fall gewesen ist. Speziell die Bearbeitung am<br />

Computer erlaubt es Künstlern, die Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität zu beeinflussen, zu<br />

gestalten und neue Bildrealitäten zu kreieren. Im nun folgenden dritten Teil wen-<br />

det sich die Diskussion <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie zu. Anhand von zwei zeit-<br />

genössischen Fotokünstlern wird beispielhaft untersucht, wie diese das Digital<br />

Imaging in ihrer Arbeit einsetzen.<br />

45 Vgl. Guminski, 2002, S. 203f.<br />

46 Vgl. Debes, 2003, S. 198. Inzwischen sind analoge Abzüge ein Nischenprodukt geworden und<br />

werden in den meisten Fällen im Fotolabor digitalisiert und mit denselben Techniken hergestellt<br />

wie digitale Fotoabzüge.<br />

22


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Die <strong>Re</strong>zeption zeitgenössischer Fotokunst, speziell von Werken von Thomas<br />

Ruff und Andreas Gursky, bilden den Schwerpunkt <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit. Die-<br />

se beiden Künstler sind bewusst gewählt. Zunächst einmal gehören beide <strong>der</strong> so<br />

genannten Düsseldorfer Schule an, einer Gruppe international bekannt geworde-<br />

ner Fotokünstler, die alle an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie die Fotoklasse von<br />

Bernd und Hilla Becher besuchten. Des weiteren haben sie, trotz gemeinsamer<br />

Vorbildung, sehr unterschiedliche Ansätze in ihrer Kunst verfolgt, die jeweils auf<br />

ihre Weise mit dem Thema dieser Arbeit, <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alitätsverän<strong>der</strong>ung durch Digital<br />

Imaging, korrespondieren. Die Analyse ihrer Werke, auch im Kontext an<strong>der</strong>er An-<br />

sätze <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule, bietet also die Möglichkeit, das Thema von sehr<br />

verschiedenen Seiten zu beleuchten.<br />

In den Kapiteln über die beiden Künstler wird zunächst ein Überblick über ihr<br />

Schaffen gegeben und <strong>der</strong> jeweilige künstlerische Ansatz diskutiert, um dann an<br />

konkreten Werkbeispielen den Umgang mit Digital Imaging und <strong>der</strong> Darstellung<br />

<strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> zu untersuchen. Da Ruff und zum Teil auch Gursky in Werk-<br />

reihen arbeiten, stehen dabei keine Einzelwerke, son<strong>der</strong>n beispielhafte Auszüge<br />

aus Serien <strong>der</strong> Künstler zur Diskussion. In Werkvergleichen zu weiteren Vertre-<br />

tern <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule wird <strong>der</strong> Einsatz digitaler Mittel <strong>der</strong> beiden Künstler<br />

untersucht. 47<br />

Den Anfang dieses Teils <strong>der</strong> Arbeit macht ein historischer Überblick über die<br />

<strong>Re</strong>alitätsdarstellung in <strong>der</strong> Fotokunst sowie eine Abhandlung über die Düsseldor-<br />

fer Schule und über die Lehrer von Ruff und Gursky, Bernd und Hilla Becher.<br />

3.1 REALITÄTSVERÄNDERUNG IN DER FOTOKUNST<br />

Viele Ansätze <strong>der</strong> künstlerische Fotografie o<strong>der</strong> auch Fotokunst – beide Begriffe<br />

werden hier synonym verwendet – unterscheiden sich in Bezug auf die Darstel-<br />

47 Während <strong>der</strong> Erstellung dieser Arbeit wurde versucht, über die jeweiligen Galerien <strong>der</strong> Künstler<br />

sowie über die Düsseldorfer Kunstakademie, Kontakt mit Thomas Ruff und Andreas Gursky<br />

herzustellen. Dies ist lei<strong>der</strong> erfolglos geblieben. Die Absagen wurden mit <strong>der</strong> beruflichen Belastung<br />

<strong>der</strong> Künstler begründet. Die Fragebögen, die an die Kontaktpersonen <strong>der</strong> Künstler geschickt<br />

wurden, befinden sich im Anhang (siehe S. I).<br />

23


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

lung <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> grundlegend von an<strong>der</strong>en Bereichen <strong>der</strong> Fotografie. Im<br />

Journalismus wird Fotografie zur Berichterstattung genutzt, in <strong>der</strong> Wissenschaft<br />

zum Aufzeichnen von Daten und Zuständen, im Amateurbereich in <strong>der</strong> <strong>Re</strong>gel<br />

zum Festhalten von Erinnerungen. Auch wenn hier und da Fotos zur Verdeutli-<br />

chung, Verschönerung o<strong>der</strong> Manipulation des Inhalts bearbeitet werden, geht es<br />

in all diesen Bereichen primär um die reine Abbildungsfunktion <strong>der</strong> Fotografie.<br />

Dies ist im Bereich <strong>der</strong> Kunst eher selten ausschlaggebend, zumindest nicht<br />

ohne bewusst eingesetzte Konzeption o<strong>der</strong> Gestaltung <strong>der</strong> Abbildung.<br />

3.1.1 <strong>Re</strong>alitätsbezug <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie in <strong>der</strong> Geschichte<br />

Durch ihre Abbildungsfunktion wurde die Fotografie lange Zeit überhaupt nicht<br />

als Kunstform angesehen. Schließlich, so die Argumentation, ist sie eine Technik,<br />

mit <strong>der</strong> sich die Dinge selbst abbilden, ohne die gestalterische Hand eines Künst-<br />

lers. Damit Fotografie als Kunst verstanden wird und <strong>der</strong> Fotograf ein Urheber-<br />

recht gesetzlich geltend machen konnte, musste im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t ein gestalte-<br />

rischer Eingriff, in Form von Inszenierung vor o<strong>der</strong> Bearbeitung nach <strong>der</strong><br />

Aufnahme nachgewiesen werden können. 48 Zeichnet sich Fotografie also gerade<br />

durch Eingriff in die wahrgenommene <strong>Re</strong>alität als Kunst aus? Wortmann weist<br />

darauf hin, dass im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t eine reine Abbildung <strong>der</strong> Welt keine Kunst<br />

sein konnte. 49 Dies führte zu einem malerischen Stil <strong>der</strong> Fotografie, dem Piktora-<br />

lismus (s. Abb. 16), <strong>der</strong> sich durch Inszenierung, bewusst eingesetzte Unschärfe<br />

sowie aufwändige Bearbeitung <strong>der</strong> Auf-<br />

nahmen auszeichnet und sich an Im-<br />

pressionismus und Symbolismus orien-<br />

tierte. 50 Als Vorreiter und wichtiger<br />

Vertreter sei Henry Peach Robinson ge-<br />

nannt. In <strong>der</strong> ersten Hälfte des 20.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts wurde dieser Stil von<br />

mehreren konträren Bewegungen ver-<br />

drängt: von <strong>der</strong> Straight Photography<br />

und <strong>der</strong> Neuen Sachlichkeit sowie dem<br />

Neuen Sehen und surrealistischen, ex-<br />

perimentellen Ansätzen.<br />

48 Vgl. Holschbach, 2004, S. 25<br />

49 Vgl. Wortmann, 2004, S. 14<br />

50 Vgl. Holschbach, 2004, S. 25<br />

Abb. 16: Robert Demachy, Une Balleteuse,<br />

1900<br />

24


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Die Neue Sachlichkeit, die in den 1920er und 30er Jahren ihren Höhepunkt fand,<br />

verstand sich als Gegenprogramm zu den malerischen Effekten und Unschärfen<br />

des Piktoralismus. Inspiriert von <strong>der</strong> etwas früher entstandenen Straight Photo-<br />

graphy amerikanischer Fotografen wie Ansel Adams, Edward Weston und Paul<br />

Strand war eine Klarheit in Aufbau und Komposition sowie absolute Schärfe ge-<br />

boten. 51 Ihre Vertreter sahen sich nicht unbedingt als Kunstfotografen. Ihre Wer-<br />

ke wurden erst später zur Kunst erhoben. Die unverfälschte Abbildung <strong>der</strong> Wirk-<br />

lichkeit stand im Vor<strong>der</strong>grund, sodass man auch von einem dokumentarischen<br />

Stil sprechen kann, in dem das Motiv wichtiger genommen wird als <strong>der</strong> künstleri-<br />

sche Ausdruck. 52 In Deutschland taten sich hier beson<strong>der</strong>s August San<strong>der</strong> (s.<br />

Abb. 17), Karl Bloßfeldt und Albert <strong>Re</strong>nger-Patzsch hervor. 53<br />

Abb. 17: August San<strong>der</strong>, Konditor,<br />

1928<br />

Die Fotografen des Neuen Sehens, vielfach mit <strong>der</strong> Fotografie an <strong>der</strong> Kunst-<br />

hochschule Bauhaus verbunden, schlugen einen etwas an<strong>der</strong>en Weg ein. Hier<br />

war <strong>der</strong> experimentelle Umgang mit ungewohnten Sichtweisen und Perspektiven<br />

ausschlaggebend, was zu teils sehr abstrakten, grafischen Kompositionen führ-<br />

te. 54 Die subjektive Sichtweise <strong>der</strong> Fotografen überwiegt den <strong>Re</strong>alitätsbezug ihrer<br />

Aufnahmen. 55<br />

51 Vgl. von Brauchitsch, 2002, S. 93f.<br />

52 Vgl. Holschbach, 2004, S. 25<br />

53 Vgl. Gronert, 2009, S. 16<br />

54 Vgl. von Brauchitsch, 2002, S. 95<br />

55 Vgl. Holschbach, 2004, S. 25<br />

Abb. 18: László Moholy-Nagy,<br />

Photogram, 1926<br />

25


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Experimentelle Ansätze, wie die Fotogramme von Man Ray o<strong>der</strong> von Moholy-<br />

Nagy (s. Abb. 18), einer <strong>der</strong> Lehrer am Bauhaus, gingen einen Schritt weiter, in-<br />

dem sie oft nicht nur während <strong>der</strong> Aufnahme die <strong>Wirklichkeit</strong> verzerrten und ab-<br />

strahierten, son<strong>der</strong>n diese durch chemische o<strong>der</strong> mechanische Verfahren wie<br />

Solarisation, Collage- und Montagetechniken weiter verän<strong>der</strong>ten. 56<br />

Der propagandistische Einsatz <strong>der</strong> Fotografie während des zweiten Welt-<br />

kriegs zog zu Beginn <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts Vorbehalte dem<br />

Medium gegenüber nach sich. Erst in den 70er Jahren gelang es <strong>der</strong> Fotografie<br />

wie<strong>der</strong>, im Kunstkontext größere Beachtung zu finden und sich neben <strong>der</strong>, die<br />

Kunstszene beherrschenden, abstrakten Malerei hervorzutun. Einige Tendenzen<br />

<strong>der</strong> 20er und 30er Jahre fanden ihre Fortsetzung, so findet sich <strong>der</strong> dokumentari-<br />

sche Stil <strong>der</strong> Neuen Sachlichkeit beispielsweise bei Bernd und Hilla Becher wie-<br />

<strong>der</strong> und das Neue Sehen fand seine Fortsetzung in <strong>der</strong> Subjektiven Fotografie,<br />

wie sie z.B. bei Otto Steinert an <strong>der</strong> Folkwang-Schule in Essen gelehrt wurde. 57<br />

Vorangekündigt durch eine Experimentierfreude mit analogen Techniken in<br />

den 60er und 70er Jahren lösten sich spätestens mit dem Aufkommen <strong>der</strong> elek-<br />

tronischen Bildverarbeitung in den 80er und 90er Jahren abgegrenzte Stilgebiete<br />

weitgehend auf und gaben einer Vielzahl individueller, experimenteller und kon-<br />

zeptioneller Ansätze Raum zur Entfaltung.<br />

3.1.2 <strong>Re</strong>alitätsdarstellung in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

In <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst ist die Darstellung bzw. Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

<strong>Wirklichkeit</strong> ein immer wie<strong>der</strong>kehrendes Thema. Sich dabei durchaus <strong>der</strong> Bild-<br />

sprache journalistischer und dokumentarischer Fotografie bedienend, bleiben<br />

Fotokünstler selten bei einer unbearbeiteten Darstellung <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong>. Aller-<br />

dings kommt es kaum vor, dass die Bil<strong>der</strong> lügen sollen, ganz im Gegensatz bei-<br />

spielsweise zur Werbefotografie. Denn gelogen werden kann nur, wenn behaup-<br />

tet wird, dass die Wahrheit dargestellt würde. Vielmehr wird mit <strong>der</strong> Transparenz<br />

des Mediums gespielt sowie die Abbildung selbst thematisiert, indem Manipula-<br />

tionen offensichtlich gemacht werden. 58 O<strong>der</strong> es wird überhaupt nicht die reale<br />

Welt dargestellt, son<strong>der</strong>n per Manipulations- und Montagetechniken eine imagi-<br />

näre, virtuelle Welt erzeugt. 59<br />

56 Vgl. von Brauchitsch, 2002, S. 95<br />

57 Vgl. Gronert, 2009, S. 16ff.<br />

58 Vgl. Grebe; Schnei<strong>der</strong>, 2004<br />

59 Vgl. Belting, 2006, S. 215<br />

26


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Sylvia Wolf teilt die Themen <strong>der</strong> digitalen künstlerischen Fotografie in drei grobe<br />

Kategorien ein: soziopolitisch kommentierend, erzählerisch Welten schaffend so-<br />

wie das Medium selbst reflektierend. 60<br />

In allen drei Bereichen bedienen sich Künstler digitaler Werkzeuge, um von<br />

ihren Vorbil<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> wirklichen Welt abweichen zu können. Die digitale Bild-<br />

bearbeitung bietet Fotokünstlern, ähnlich <strong>der</strong> Arbeitsweise von Malern, leicht zu<br />

handhabende Möglichkeiten, <strong>Re</strong>alitäten nach ihrer Vorstellung zu konstruieren<br />

und sich von <strong>der</strong> für ihre Aussage unzureichenden <strong>Wirklichkeit</strong> zu distanzieren. 61<br />

Das Foto wird zum bloßen Ausgangsmaterial für künstlerische Werke, die häufig<br />

mit unbearbeiteten Aufnahmen nur noch wenig gemein haben.<br />

Als Beispiel für die erste Kategorie sei eines<br />

<strong>der</strong> frühesten und bekanntesten Beispiele für<br />

digitale Manipulation fotografischer Bil<strong>der</strong> be-<br />

nannt: die Überlagerungen berühmter Portraits<br />

mit einer von Nancy Burson in den 1970ern<br />

entwickelten Software. Burson nahm als Aus-<br />

gangsmaterial Portraits berühmter Hollywood-<br />

Darstellerinnen, um so typische Abbil<strong>der</strong> des<br />

zeitgenössischen Schönheitsideals zu erhal-<br />

ten. In einer an<strong>der</strong>en Arbeit kombinierte sie<br />

Menschen verschiedenster Herkunft, gewichtet<br />

nach Anteil <strong>der</strong> Weltbevölkerung, um so ein<br />

Abbild <strong>der</strong> Menschheit zu erhalten (s. Abb.<br />

19).<br />

Die zweite Kategorie äußert sich beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> inszenierten Fotografie.<br />

Diese existiert freilich schon lange, durch Aufkommen <strong>der</strong> Digitaltechnik hat sich<br />

<strong>der</strong> Spielraum zur Inszenierung jedoch stark erweitert. Ein Fotokünstler dieser<br />

Richtung ist Jeff Wall, <strong>der</strong> für seine großformatigen inszenierten Fotografien, die<br />

stets als Diapositive in Leuchtkästen ausgestellt werden, bekannt ist. Für die Ar-<br />

beit Dawn aus dem Jahre 2001 kombinierte er auf digitalem Wege acht separate<br />

Aufnahmen einer schlichten Straßenszene in verschiedenen Phasen <strong>der</strong> Däm-<br />

merung, um so die Stimmung zu erhalten, die für ihn die Dämmerung am besten<br />

charakterisiert. 62 In The Giant (s. Abb. 20) wurde durch digitale Montage mit den<br />

60 Vgl. Wolf, 2010, S. 32ff.<br />

61 Vgl. Stiegler, 2009, S. 100<br />

62 Vgl. Rush, 2005, S. 188ff.<br />

Abb. 19: Nancy Burson, Mankind (An<br />

Oriental, a Caucasian and a Black,<br />

weighted according to current<br />

population statistics), 1982-1985<br />

27


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Größenverhältnissen gespielt. Wall inszeniert seine Fotografien wie ein <strong>Re</strong>gis-<br />

seur einen Film, nicht um alternative Welten zu erzeugen, son<strong>der</strong>n um <strong>der</strong> <strong>Re</strong>ali-<br />

tät, die <strong>der</strong> Kamera oft verborgen bleibt, näher zu kommen. 63<br />

Abb. 20: Jeff Wall, The Giant, 1992<br />

In <strong>der</strong> dritten Kategorie wird<br />

das Medium selbst thematisiert.<br />

Dies ist eines <strong>der</strong> großen The-<br />

men <strong>der</strong> gegenwärtigen Kunst-<br />

fotografie und auch ein ent-<br />

scheidendes Merkmal, welches<br />

sie von <strong>der</strong> Gebrauchsfotogra-<br />

fie abhebt. 64 Während Sylvia<br />

Wolfs beide an<strong>der</strong>en Kategori-<br />

en, die <strong>der</strong> sozial-kritischen<br />

o<strong>der</strong> politisch kommentieren-<br />

den sowie die <strong>der</strong> erzähleri-<br />

schen, Welten erschaffenden Fotografie auch beispielsweise in <strong>der</strong> dokumentari-<br />

schen und <strong>der</strong> Werbefotografie anzufinden sind, reflektieren diese<br />

Anwendungsgebiete selten das Medium selbst o<strong>der</strong> nehmen sich <strong>der</strong> Problema-<br />

tik <strong>der</strong> <strong>Re</strong>präsentation von <strong>Wirklichkeit</strong> an. In <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie trifft<br />

man dagegen häufig auf Selbstreflektion. 65 In <strong>der</strong> im nächsten Kapitel behandel-<br />

ten Düsseldorfer Fotoschule ist dieser Ansatz ein beliebtes Thema. Vor allem bei<br />

Thomas Ruff ist die Untersuchung <strong>der</strong> visuellen Wahrnehmung mit Mitteln zur<br />

Sichtbarmachung des Mediums selbst zentrales Thema seiner Werkreihen. 66<br />

Die Darstellung, Interpretation und Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität ist eine <strong>der</strong> wich-<br />

tigsten, wenn nicht die zentrale Thematik <strong>der</strong> künstlerischen Fotografie. Dies<br />

wurde durch Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie nicht ausgelöst, denn existiert<br />

hat diese Thematik schon vorher. Es ist jedoch eine Vielzahl an Ausdrucksfor-<br />

men hinzugekommen und <strong>der</strong> Gestaltungsfreiraum für den Fotokünstler ist<br />

enorm angewachsen. Die Fotografen <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule sind dafür be-<br />

kannt geworden, die gestalterischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Das fol-<br />

gende Kapitel liefert einen Überblick über diese Künstler und ihre Wurzeln.<br />

63 Vgl. Belting, 2006, S. 234<br />

64 Vgl. Winzen, 2001, S. 6<br />

65 Vgl. Stiegler, 2009, S. 54; Vgl. Winzen, 2001, S. 6<br />

66 Vgl. Kap. 3.3 Thomas Ruff, S. 33<br />

28


3.2 DIE DÜSSELDORFER SCHULE<br />

3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Der Begriff <strong>der</strong> „Düsseldorfer Schule“ 67 o<strong>der</strong> auch „Düsseldorfer Photoschule“, 68<br />

bezieht sich im Allgemeinen auf den Standort Düsseldorf, <strong>der</strong> sich als wichtiger<br />

Ort künstlerischen Schaffens, vor allem im Bereich <strong>der</strong> Fotografie, auszeichnet<br />

sowie im Speziellen auf die Lehrtätigkeit von Bernd und Hilla Becher. Aus <strong>der</strong>en<br />

Fotoklasse, die sie zwischen 1976 und 1997 an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie<br />

leiteten, erlangte eine ganze <strong>Re</strong>ihe künstlerischer Persönlichkeiten internationale<br />

Bekanntheit. 69 Zu den bedeutendsten Absolventen dieser Lehre gehören Thomas<br />

Ruff und Andreas Gursky sowie Laurenz Berges, Elger Esser, Candida Höfer,<br />

Axel Hütte, Simone Nieweg, Jörg Sasse, Thomas Struth und Petra Wun<strong>der</strong>lich. 70<br />

1976 wurde Bernd Becher – damals zusammen mit seiner Frau Hilla bereits<br />

durch viele Ausstellungen international bekannt geworden – als Professor für<br />

künstlerische Fotografie an die Kunstakademie in Düsseldorf berufen, an <strong>der</strong><br />

schon Größen <strong>der</strong> Kunst wie Gerhard Richter und Joseph Beuys gelehrt hatten.<br />

Damit war er <strong>der</strong> erste Professor seines Faches an einer deutschen Kunstakade-<br />

mie. 71 Durch die Lehrtätigkeit, die Bernd und Hilla Becher stets gemeinsam aus-<br />

führten, leisteten sie einen entscheidenden Beitrag zur Emanzipation <strong>der</strong> künst-<br />

lerischen Fotografie im gesamten Kunstbetrieb. 72<br />

3.2.1 Der konzeptuelle Ansatz von Bernd und Hilla Becher<br />

Bernd und Hilla Becher, die gemeinsam als Künstlerpaar arbeiteten, verfolgten<br />

während ihrer gesamten Schaffenszeit seit den 1960er Jahren bis zu Bernd Be-<br />

chers Tod 2007 73 einen strengen konzeptuellen Ansatz. Dieser unterschied sich<br />

deutlich von <strong>der</strong> in den 70er und 80er Jahren von Otto Steinert gelehrten subjek-<br />

tiven Fotografie. 74 Die Bechers dokumentierten Zweckbauten <strong>der</strong> Industrie, wie<br />

beispielsweise Hochöfen, Gasometer und Wassertürme auf <strong>der</strong> ganzen Welt, so-<br />

wie die typische Architektur ihres eigenen Lebensraums, vor allem Fachwerkhäu-<br />

ser. Dies fand mit präzise festgelegten Rahmenbedingungen in <strong>der</strong> Bildgestal-<br />

tung statt. Typisch ist eine gleichmäßige Ausleuchtung möglichst ohne<br />

67 Zit. Sachsse, 2003, S. 177<br />

68 Zit. Gronert, 2009, S. 13<br />

69 Vgl. Gronert, 2009, S. 13<br />

70 Ebd., S. 9<br />

71 Ebd., S. 21<br />

72 Vgl. Pohlmann, 2009, S. 11<br />

73 Vgl. Malz; Müller, 2009, S. 303<br />

74 Vgl. S. 26<br />

29


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Abb. 21: Bernd und Hilla Becher, Wassertürme, D 1965 - 1982, Typologie von 9 Schwarz-weiß-<br />

Fotografien, je 40 x 30 cm<br />

Schattenwurf, eine frontale Sicht auf das Motiv aus leicht erhöhtem Standpunkt,<br />

durchgehende Tiefenschärfe und eine Abbildung ohne perspektivische Verzer-<br />

rung, erreicht durch den Einsatz von Großformatkameras und hochauflösendem<br />

analogen Filmmaterial. Dadurch entstanden Bildserien (s. Abb. 21), die auf wei-<br />

testgehende Vergleichbarkeit <strong>der</strong> abgebildeten Gebäude untereinan<strong>der</strong> und<br />

30


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

möglichst präzise, sachliche Dokumentation <strong>der</strong> einzelnen Motive abzielen. Die<br />

verwendeten Print-Formate <strong>der</strong> Vergrößerungen sind eher klein, meist bis 30 x<br />

40 bzw. 50 x 60 cm messend, und innerhalb einer Bildserie exakt gleich. Bele-<br />

bende Elemente wie Menschen o<strong>der</strong> Autos wurden nach Möglichkeit vermieden<br />

und auf nachträgliche Eingriffe o<strong>der</strong> Manipulation weitgehend verzichtet. 75 Damit<br />

stehen ihre Arbeiten auch in deutlichem Kontrast zu den späteren Werken vieler<br />

ihrer Schüler, die ganz im Gegensatz zu den Bechers weitgehend digital arbeiten<br />

und die Möglichkeiten <strong>der</strong> Manipulation durch Bildbearbeitung vielfach nutzen.<br />

Nach Aussage <strong>der</strong> Bechers entstehen „anonyme Skulpturen“ 76 . In ihrem Kon-<br />

zept kann man auch die Arbeit von Archivaren erkennen, denn die För<strong>der</strong>türme,<br />

Gasbehälter, Hochöfen und Wassertürme sind typischerweise solche, welche<br />

durch mo<strong>der</strong>nere Anlagen ersetzt wurden und deshalb dem Verfall ausgesetzt<br />

sind. 77<br />

Der strenge, über Jahrzehnte verfolgte Ansatz, die handwerkliche Präzision<br />

sowie die Verwendung alltäglicher, in <strong>der</strong> Kunstlandschaft kaum beachteter Moti-<br />

ve machen das Werk Bernd und Hilla Bechers zu etwas ganz Beson<strong>der</strong>em, Ein-<br />

zigartigem. Durch ihr konzeptuelles Vorgehen und ihre auf das Wesentliche re-<br />

duzierte Bildsprache werden sie oft als Minimal- und Konzept-Künstler<br />

bezeichnet. 78<br />

Dieser Ansatz <strong>der</strong> Bechers war auch eine wichtige Basis für ihre Lehrtätigkeit<br />

ab 1976. Dennoch führte dies in ihrer Lehre nicht zu einer Uniformität in den Ar-<br />

beiten ihrer Schüler, son<strong>der</strong>n es gelang ihnen, individuelle Ansätze zu för<strong>der</strong>n.<br />

Der pädagogische Ansatz bestand vor allem in <strong>der</strong> „Vermittlung eines reflektier-<br />

ten analytischen Medienverständisses“ 79 sowie <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung zur Konzentra-<br />

tion auf ein klares, durchdachtes Thema und das Arbeiten in Serien. 80<br />

3.2.2 Das „Phänomen“ Düsseldorfer Schule<br />

Der spätere Erfolg <strong>der</strong> Becher-Schüler lässt sich nicht nur am Unterricht und <strong>der</strong><br />

künstlerischen Klasse ihrer Lehrer festmachen. Hinzu kam ein reges Interesse<br />

für Fotografie in <strong>der</strong> Düsseldorfer Umgebung, welches sich in vielen inspirieren-<br />

75 Vgl. Pohlmann, 2009, S. 13; vgl. Gronert, 2009, S. 18<br />

76 Aussage B. u. H. Becher, zit. n. Gronert, 2009, S. 18<br />

77 Vgl. Gronert, 2009, S. 18f.<br />

78 Vgl. Schirmer, 2009a, S. 6ff.<br />

79 Zit. Pohlmann, 2009, S. 11<br />

80 Vgl. Pohlmann, 2009, S. 11<br />

31


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

den Ausstellungen äußerte. Auch in Köln und Essen gab es eine solche Kunst-<br />

szene, die den Studierenden nicht entging. Letztlich waren es aber vor allem die<br />

Einzelleistungen <strong>der</strong> Absolventen, die sich auch nach dem Studium selbstständig<br />

weiterbildeten und sehr individuelle Künstlerpositionen entwickelten. 81 Bezeich-<br />

nen<strong>der</strong>weise erlangten die meisten Absolventen auch erst nach Abschluss ihrer<br />

Ausbildung nationale und internationale Bekanntheit. Dennoch gibt es Gemein-<br />

samkeiten. So steht die Düsseldorfer Schule für eine objektivierende, distanzier-<br />

te Sichtweise auf die Welt, die als Fortsetzung <strong>der</strong> Neuen Sachlichkeit 82 gesehen<br />

werden kann und damit im Kontrast zu <strong>der</strong> freieren Bildsprache vieler an<strong>der</strong>er<br />

deutscher Fotografen steht. 83<br />

Typisch für die meisten Vertreter <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule ist auch <strong>der</strong> Einsatz<br />

digitaler Bildbearbeitung sowie <strong>der</strong> Verwendung von sehr großen Formaten, dies<br />

ganz im Kontrast zu den Arbeiten ihrer Lehrer, die Zeit ihres Lebens analog ar-<br />

beiteten und eher kleine Formate verwendeten. Beson<strong>der</strong>s Ruff, Struth und<br />

Gursky sind für den „big print“ 84 bekannt geworden. Durch Formate von oft meh-<br />

reren Metern Kantenlänge, starker Limitierung <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Abzüge und auf-<br />

wändiger Printverfahren mit Kaschierung des Fotoabzugs hinter Plexiglas 85 , ver-<br />

wandelten sie den einfachen Papierabzug in Kunstobjekte, die mit dem Tafelbild<br />

in <strong>der</strong> Malerei im musealen Bereich konkurrieren konnten. 86<br />

Dies zeigte sich beson<strong>der</strong>s in Kunstauktionen um die Jahrhun<strong>der</strong>twende, in<br />

denen die Becher-Schüler regelmäßig Höchstpreise erzielten, vergleichbar mit<br />

solchen traditioneller, nicht reproduzierbarer Kunstwerke. So gehörten die Vertre-<br />

ter <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule zu den ersten, die im internationalen Kunstmarkt und<br />

Museumsbetrieb auf höchstem Niveau vertreten waren und die Grenzen zwi-<br />

schen den Kunstgattungen weiter aufhoben. Dies äußert sich auch im Einsatz di-<br />

gitaler Mittel, sodass ihre Kunstwerke weniger als Fotografien, son<strong>der</strong>n als mit<br />

den Mitteln <strong>der</strong> Fotografie entstandene digitale Gemälde zu bezeichnen sind.<br />

Folglich kann man von den Künstlern auch nicht als Fotografen, son<strong>der</strong>n eher<br />

als Fotokünstler sprechen. 87<br />

81 Vgl. Gronert, 2009, S. 22<br />

82 Vgl. S. 25<br />

83 Vgl. Gronert, 2009, S. 14<br />

84 Zit. Schirmer, 2009b, S. 7<br />

85 Dieses Verfahren nennt sich „Diasec®“. Die meisten Vertreter <strong>der</strong> Düsseldorfer Schule arbeiten<br />

dabei mit dem international bekannten, in Düsseldorf ansässigen Fotolabor Grieger zusammen,<br />

welches dieses patentierte Verfahren in Deutschland exklusiv nutzt. Vgl. Gronert, 2009,<br />

S. 15.<br />

86 Vgl. Schirmer, 2009b, S. 7<br />

87 Vgl. Sachsse, 2003, S. 177f.<br />

32


3.3 THOMAS RUFF<br />

3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Der 1958 in Zell im Schwarzwald geborene Thomas Ruff studierte 1977 bis 1985<br />

in <strong>der</strong> Klasse von Bernd Becher und gehört damit zu <strong>der</strong> ersten Generation von<br />

Becher-Schülern. Bereits während des Studiums hatte er erste Ausstellungen,<br />

1986 die erste außerhalb Deutschlands. Zahlreiche Ausstellungen und Publika-<br />

tionen folgten, unter an<strong>der</strong>em 1988 und 1995 auf <strong>der</strong> Biennale in Venedig und<br />

1992 auf <strong>der</strong> documenta 9 in Kassel. Von 1998 bis 2006 leitete Thomas Ruff als<br />

Professor <strong>der</strong> Fotografie an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie die ehemalige „Be-<br />

cher-Klasse“. 88<br />

3.3.1 Werkübersicht und künstlerischer Ansatz<br />

Abb. 22: Thomas Ruff, Porträt, 1987<br />

(Selbstportrait), C-Print / Diasec Face , 210 x<br />

165 cm<br />

Alle Arbeiten, die Thomas Ruff seit sei-<br />

ner Studienzeit geschaffen hat, lassen<br />

sich sehr umfangreichen Werkgruppen<br />

zuordnen, an denen er gewöhnlich eini-<br />

ge Jahre arbeitet. Nach einer ersten<br />

Serie von Interieurs, die während seiner<br />

Studienzeit entstand, war die Werkreihe<br />

<strong>der</strong> Porträts die erste mit <strong>der</strong> er größere<br />

Bekanntheit erlangte. Sie entstand<br />

ebenfalls während <strong>der</strong> Studienzeit, wur-<br />

de aber in späteren Jahren immer wie-<br />

<strong>der</strong> aufgenommen. Die Porträts wirken<br />

auf den ersten Blick wie Passbil<strong>der</strong>. Von<br />

den Abgebildeten sind Kopf und Schul-<br />

tern abgebildet, ihr Blick ist neutral, <strong>der</strong><br />

Hintergrund entwe<strong>der</strong> in einem gleich-<br />

mäßigen Farbton o<strong>der</strong> in Weiß gehalten. Das Format war zunächst 24 x 18 cm,<br />

später entstanden auch überdimensionierte Versionen mit 210 x 165 cm Größe.<br />

Die Porträtierten stammten aus seinem persönlichen Umfeld, aus dem Freun-<br />

deskreis o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kunstakademie. Auch Selbstporträts, teils mit etwas abgewan-<br />

deltem Bildaufbau, finden sich darunter (s. Abb. 22). Die neutrale, gefühlsleere<br />

88 Vgl. Malz; Müller, 2009, S. 314<br />

33


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Darstellung ist Konzept: Ruff geht davon aus, dass „die Fotografie nur die Ober-<br />

fläche <strong>der</strong> Dinge wie<strong>der</strong>geben kann.“ 89<br />

Dies ist ein Ansatz, den Thomas Ruff in seinem gesamten Werk verfolgt. Im-<br />

mer geht es bei ihm um die Wahrnehmung von Fotografien und um die Eigen-<br />

schaften des Mediums an sich. Das konzeptuelle Arbeiten Ruffs zieht sich durch<br />

sein gesamtes Werk und bestimmt jede Bildserie. Auch in seinen späteren Werk-<br />

gruppen, z.B. <strong>der</strong> Sterne und <strong>der</strong> Zeitungsphotos, steht das Medium an sich im<br />

Vor<strong>der</strong>grund. Dies erkennt man bereits daran, dass das Ursprungsmaterial die-<br />

ser Serien gar nicht vom Künstler selbst stammt. Im Fall <strong>der</strong> Sterne kaufte Ruff<br />

ein Archiv mit Negativen des European Southern Observatory auf, die Zeitungs-<br />

photos wurden aus <strong>der</strong> Tagespresse gesammelt. 90<br />

Auch in <strong>der</strong> Serie Nudes geht Ruff<br />

ähnlich vor. Hierbei sammelte er Bildma-<br />

terial aus <strong>der</strong> Pornoindustrie. Per digitaler<br />

Bildbearbeitung verzerrte er die Bil<strong>der</strong> so-<br />

weit, dass <strong>der</strong> Inhalt gerade noch entzif-<br />

fert werden kann und intensivierte die<br />

Farbgebung. Außerdem vergrößerte er<br />

sie, ähnlich wie seine Porträts und wie<br />

die meisten seiner Werke, auf Maße von<br />

über 100 cm Kantenlänge (s. Abb. 23).<br />

Die digitale Bildbearbeitung spielt in<br />

Ruffs Schaffen eine zentrale Rolle. 1987<br />

das erste Mal zu <strong>Re</strong>tuschezwecken ein-<br />

gesetzt 91 – damit war er <strong>der</strong> erste <strong>der</strong><br />

Düsseldorfer Schule – wurde sie im Lau-<br />

fe <strong>der</strong> Jahre immer wichtiger für seine Ar-<br />

beitsweise. In seinen jüngsten Arbeiten,<br />

den Zycles, verlässt er sogar gänzlich die Fotografie und erzeugt mit rein digita-<br />

len Mitteln Bil<strong>der</strong>, die sich aus mathematischen Berechnungen ergeben und ab-<br />

strakte Linienverläufe darstellen. 92<br />

89 Zit. Liebermann, 2001, S. 180<br />

90 Vgl. Gronert, 2009, S. 46ff.<br />

91 Ebd., S. 45<br />

92 Ebd., 2009, S. 50<br />

Abb. 23: Thomas Ruff, nudes ry 08, 2002, C-<br />

Print / Diasec Face, 155 x 110 cm<br />

34


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Matthias Winzen fasst Ruffs künstlerischen Ansatz als „Untersuchung von visuel-<br />

ler Wahrnehmung mit visuellen Mitteln“ 93 zusammen. Diese visuellen Mittel wer-<br />

den bei Ruff vor allem durch die Verzerrung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität per Bildbearbeitung er-<br />

zeugt. In einem Interview mit Ruff antwortet dieser auf die Frage, was <strong>Re</strong>alismus<br />

sei: „Die Maschine so arbeiten zu lassen, wie sie es ohnehin tut. Wenn die Dinge<br />

sind, wie sie sind, warum soll ich versuchen, sie an<strong>der</strong>s darzustellen?“ 94 Ruff<br />

spezifiziert nicht weiter, was mit „Maschine“ gemeint ist. Auch wenn er vermutlich<br />

die Kamera meint, kann es genauso <strong>der</strong> Computer sein, mit dem Ruff trotz o<strong>der</strong><br />

gerade durch Bearbeitung <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> <strong>Re</strong>alismus erzeugt. In <strong>der</strong> Serie jpegs wird<br />

dieser Ansatz beson<strong>der</strong>s deutlich.<br />

3.3.2 Die Serie jpegs – Hinterfragen des Mediums<br />

Die jpegs sind ein großer Werkzyklus, den Thomas Ruff 2004 begann und über<br />

Jahre verfolgte. Die verwendeten Fotos stammen überwiegend nicht vom Künst-<br />

ler selbst. Bei den meisten handelt es sich um Fotos, die Ruff durch <strong>Re</strong>cherche<br />

im Internet gefunden hat. 95<br />

Die enthaltenen Motive sind sehr vielfältig und folgen zunächst keinem klar er-<br />

kennbaren Thema. Unter den Motiven finden sich Aufnahmen von Raketenstarts,<br />

von kilometerhohen Rauchwolken von Atombombentests, Bil<strong>der</strong> von den Über-<br />

resten <strong>der</strong> Terroranschläge am 11. September 2001 in New York sowie von<br />

Kriegsgebieten. Aber auch harmlosere Motive finden sich darunter: Bil<strong>der</strong> von im<br />

Gegenlicht strahlenden Bäumen o<strong>der</strong> ganzen Waldstücken, von alter und mo<strong>der</strong>-<br />

ner Architektur sowie von schlichten Landschaften und Gewässern. Es handelt<br />

sich meist um Bil<strong>der</strong>, in denen die Komprimierungsartefakte beson<strong>der</strong>s deutlich<br />

werden, etwa weil sie sehr feine Details o<strong>der</strong> wolkige Flächen enthalten. 96<br />

Der Titel jpegs verrät bereits viel über den konzeptuellen Ansatz <strong>der</strong> Serie.<br />

Jpeg ist das in den 1990er Jahren von <strong>der</strong> Joint Photographic Experts Group<br />

entwickelte Bilddateiformat, welches heutzutage am meisten eingesetzt wird.<br />

Jpeg ist auch die Bezeichnung für die dabei verwendete Methode <strong>der</strong> Kompri-<br />

mierung <strong>der</strong> digitalen Bilddaten 97 und ist in den allgemeinen Sprachgebrauch als<br />

häufige Bezeichnung digitaler Fotos eingegangen. Solch eine Methode ist be-<br />

93 Zit. Winzen, 2001, S. 134<br />

94 Aussage Ruff, zit. n. Winzen, 2001, S. 134<br />

95 Vgl. Simpson, 2009, S. 7<br />

96 Ebd., 2009, S. 7f.<br />

97 Ebd., 2009, S. 7<br />

35


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

son<strong>der</strong>s für die Verwendung von Fotos im Internet wichtig, da das Verschicken<br />

unkomprimierter Bilddaten für heutige Übertragungsgeschwindigkeiten digitaler<br />

Netze immer noch recht lange Ladezeiten bedeutet. Die Titel <strong>der</strong> einzelnen Wer-<br />

ke bestehen aus <strong>der</strong> Abkürzung „jpeg“ sowie aus einem Buchstabenkürzel und<br />

einer Nummer. 98<br />

Ruff macht zwei Dinge mit den aus dem Internet gesammelten Fotos. Einer-<br />

seits verstärkt er ihren Charakter als kleine, niedrig aufgelöste, komprimierte In-<br />

formationsstücke, indem er die Komprimierung radikal verstärkt, sodass sich Ar-<br />

tefakte und weiterer Informationsverlust ergeben. An<strong>der</strong>erseits reißt er die Fotos<br />

aus ihrem Kontext im Medium Internet und aus ihrer ursprünglichen Funktion als<br />

bloßer Informationsträger heraus, indem er die zunächst kleinen Bil<strong>der</strong> auf For-<br />

mate „von 188 x 188 cm bis zu 297 x 364 cm“ 99 vergrößert und vom Medium<br />

Bildschirm auf hochwertige, gerahmte, hinter Plexiglas kaschierte C-Prints 100<br />

wechselt.<br />

Abb. 24: Thomas Ruff, jpeg nt02,<br />

2006, C-Print / Diasec Face,<br />

242,6 x 184,8 cm<br />

Seinem sein gesamtes künstlerisches Werk bisher bestimmenden konzeptuellen<br />

Ansatz folgend, thematisiert Ruff auch in <strong>der</strong> Serie jpegs die menschliche Wahr-<br />

nehmung <strong>der</strong> medialen <strong>Re</strong>alität sowie ganz allgemein das Medium Fotografie.<br />

Die Werke dieser Serie lassen sich mit den hier gezeigten kleinen Abbildungen<br />

nur unzureichend repräsentieren, denn sie funktionieren vor allem über ihre<br />

schiere Größe. Durch ihr Format verlangen sie dem Betrachter einen Wahrneh-<br />

98 Vgl. Simpson, 2009, S. 9<br />

99 Zit. Simpson, 2009, S. 9<br />

100 Vgl. Zwirner, o. J.<br />

Abb. 25: jpeg nt02, Detail<br />

36


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

mungsprozess ab, <strong>der</strong> mehrere Stufen beinhaltet. Aus einer Entfernung von eini-<br />

gen Metern wirken sie beinahe wie normale Fotografien. Das Hauptmotiv, sei es<br />

ein Gebäude, eine Katastrophenszene o<strong>der</strong> eine Landschaft, scheint klar er-<br />

kennbar (s. Abb. 24). Je näher man dem Bild jedoch kommt, desto irritieren<strong>der</strong><br />

wirkt es, desto mehr weicht die Wahrnehmung des erkannten Motivs dem Blick<br />

auf einzelne Pixel. Diese ergeben zusammen nur mehr abstrakte, geblockte<br />

Strukturen, die eher an kubistische Malerei als an Fotografie erinnern (s. Abb.<br />

25). 101 Dies ist konträr zum gewohnten Umgang mit Fotografie, bei <strong>der</strong> sich bei<br />

näherer Betrachtung in <strong>der</strong> <strong>Re</strong>gel immer feinere Details ausmachen lassen.<br />

Dieses Spiel mit <strong>der</strong> menschlichen Wahrnehmung ist ein Kernpunkt <strong>der</strong> Serie.<br />

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Sichtbarmachen und Hinterfragen des Medi-<br />

ums selbst. Hierbei spielt <strong>der</strong> eben beschriebene Wahrnehmungsprozess eine<br />

entscheidende Rolle. Während <strong>der</strong> Betrachter aus <strong>der</strong> Entfernung noch das Mo-<br />

tiv im Bild sieht und das Medium selbst quasi „übersieht“ – so wie es typischer-<br />

weise auch beim alltäglichen Betrachten von Fotografien geschieht 102 – tritt in <strong>der</strong><br />

Nähe immer mehr die Oberfläche ins Bewusstsein und die Transparenz des Me-<br />

diums schwindet. Ruff sagt dazu: „Viele Leute gucken durch die Fotos hindurch<br />

auf das, was sie erkennen wollen. Die sehen überhaupt nicht, dass das ein foto-<br />

grafisches Bild ist“. 103 Mit den jpegs versucht er das Gefühl für die Fotografie als<br />

ein Medium zurückzubringen, während das Bewusstsein dafür durch die Bil<strong>der</strong>-<br />

flut in Massenmedien und Internet zu schwinden droht.<br />

Wie aber sieht es mit <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> Serie <strong>der</strong> jpegs aus?<br />

Als Beispiel sei ein Motiv von den Anschlägen auf das World Trade Center am<br />

11. September 2001 gewählt (s. Abb. 26). Zunächst einmal sieht es so aus, als<br />

ob durch die mehrfache Komprimierung, einmal beim Einstellen in das Internet,<br />

ein weiteres Mal durch Thomas Ruff, die Darstellung „verzerrt“ und „verschlech-<br />

tert“ wird, sich das Motiv also weiter vom Original entfernt. Es sind keine Details<br />

mehr sichtbar, alles verschwimmt in <strong>der</strong> Pixelstruktur des Bildes. Dennoch kann<br />

<strong>der</strong> Betrachter das Bild sofort zuordnen. Schließlich wurden die Terroranschläge<br />

des 11. September auch durch die oftmals von Amateuren unscharf, verwackelt<br />

und verpixelt aufgenommen Fotos und Videos zu einem massenhaft verfolgten<br />

Medienereignis. 104 Durch die Komprimierung und Unschärfe des Motivs wird es<br />

101 Vgl. Simpson, 2009, S. 8<br />

102 Vgl. S. 6<br />

103 Aussage Ruff, zit. n. Simpson, 2009, S. 8<br />

104 Vgl. Simpson, 2009, S. 7f.<br />

37


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Abb. 26: Thomas Ruff, jpeg ny02, 2004, C-Print / Diasec Face, 269 x 364 cm<br />

vielleicht realitätsnäher, auf jeden Fall aber authentischer dargestellt, als dies<br />

eine hochaufgelöste, exakte Dokumentation leisten könnte. 105 Durch die digitale<br />

Vergröberung <strong>der</strong> Abbildung erlangt Ruff also eine prägnantere Darstellung <strong>der</strong><br />

massenmedialen <strong>Re</strong>alität des Ereignisses, als dies ohne den Einsatz digitaler<br />

Komprimierung <strong>der</strong> Fall wäre.<br />

3.3.3 Jpegs und Paradises – Ruff im Vergleich mit Thomas Struth<br />

Ein Vergleich zu dem ehemaligen Kommilitonen Thomas Struth zeigt die Unter-<br />

schiede, die durch die digitale Bearbeitung und dadurch erzielte Unschärfe im<br />

Gegensatz zu einer dokumentarischen, hoch aufgelösten Aufnahme durch analo-<br />

ge Fototechnik entstehen.<br />

Thomas Struth studierte ebenso wie Ruff an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie,<br />

allerdings zunächst Malerei in <strong>der</strong> Klasse von Gerhard Richter. Später wechselte<br />

er in Bernd Bechers Klasse und wurde einer seiner ersten Schüler. 1980 beende-<br />

te er das Studium. 106 Größere Bekanntheit erlangte er durch seine Serie <strong>der</strong><br />

Museumsbil<strong>der</strong>, die Museumsbesucher bei <strong>der</strong> Betrachtung von Kunstwerken in<br />

105 Vgl. S. 8<br />

106 Vgl. Malz; Müller, 2009, S. 317<br />

38


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

bekannten Museen zeigen, sowie mit seiner Werkreihe <strong>der</strong> Familienportraits. Er<br />

arbeitet in aller <strong>Re</strong>gel ohne den Einsatz digitaler Fotografie und Bildbearbei-<br />

tung. 107 In <strong>der</strong> Serie Paradises bedient sich Struth ganz ähnlicher Motive (s. Abb.<br />

27), wie sie auch in einigen Werken in Ruffs Werkgruppe <strong>der</strong> jpegs vorkommen<br />

(s. Abb. 28). Die Serie <strong>der</strong> Paradieses zeigt Aufnahmen von Laub-, Nadel- und<br />

tropischen Urwäl<strong>der</strong>n, die sich durch eine dichte Fülle von Details und gleichmä-<br />

ßige Kompositionen ohne Schwerpunkte auszeichnet. Struth stellt die Wäl<strong>der</strong> als<br />

undurchdringliche „All-over“-Strukturen dar.<br />

Abb. 27: Thomas Struth, Paradise 1 (Pilgrim<br />

Sands), Daintree/Australien, 1998, C-Print /<br />

Diasec Face, 235,7 x 185 cm<br />

Beim Vergleich <strong>der</strong> gezeigten Motive kann man nicht mehr unbedingt von einer<br />

gesteigerten Authentizität durch die Bildbearbeitung in Ruffs Variante sprechen.<br />

Denn im Gegensatz zu den Bil<strong>der</strong>n von 9/11 kennt man die hier dargestellten<br />

Motive eher aus <strong>der</strong> Landschaftsmalerei als aus den Massenmedien. Jedoch<br />

geht es beiden Künstlern um ein sehr ähnliches Thema, welches sie aber durch<br />

völlig unterschiedliche Mittel behandeln. Struth sagt über seine Serie, er wollte<br />

Bil<strong>der</strong> kreieren, „die so dicht sind, dass man keine abschließende Betrachtung al-<br />

ler Details vollziehen kann“ 108 . Während Struth also durch eine Fülle an Details<br />

die Wahrnehmung des Betrachters thematisiert, geschieht dies bei Ruff durch<br />

Wegnahme von Details aufgrund <strong>der</strong> digitalen Komprimierung.<br />

107 Vgl. Gronert, 2009, S. 36ff.<br />

108 Aussage Struth, zit. n. Mohr, 2011<br />

Abb. 28: Thomas Ruff, jpeg pt03, 2006, C-<br />

Print / Diasec Face, 249 x 188 cm<br />

39


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Einen wie<strong>der</strong>um gänzlich an<strong>der</strong>en Ansatz, <strong>der</strong> sowohl die Wahrnehmung des Be-<br />

trachters anspricht als auch eine interessante Vorgehensweise bei <strong>der</strong> Darstel-<br />

lung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität bietet, findet sich bei Andreas Gursky.<br />

3.4 ANDREAS GURSKY<br />

Etwas später als Thomas Ruff kam 1981 <strong>der</strong> 1955 in Leipzig geborene Andreas<br />

Gursky in die Fotoklasse von Bernd und Hilla Becher. Davor hatte er bereits drei<br />

Jahre an <strong>der</strong> Essener Folkwang-Schule bei Otto Steinert und Michael Schmidt<br />

studiert. 1985 hatte er in Köln seine erste Ausstellung und 1987 beendete er sei-<br />

ne Lehre bei den Bechers. Es folgten diverse internationale Ausstellungen, eine<br />

größere <strong>Re</strong>trospektive fand 2007 und 2008 an mehreren Standorten, darunter<br />

dem Haus <strong>der</strong> Kunst in München, statt. 109 Seit 2010 leitet er eine Klasse für Freie<br />

Kunst an <strong>der</strong> Düsseldorfer Kunstakademie. 110<br />

3.4.1 Werkübersicht und künstlerischer Ansatz<br />

Im Gegensatz zu Thomas Ruff, <strong>der</strong> fast nur in großen Werkgruppen arbeitet und<br />

dabei eine große Anzahl an Werken schafft, entstehen bei Andreas Gursky eher<br />

Einzelwerke in vergleichsweise geringer Anzahl. Die Vorliebe zu monumentalen<br />

Formaten mit teils über fünf Meter Kantenlänge teilt Gursky aber mit seinem ehe-<br />

maligen Kommilitonen. Seit Abschluss seines Studiums 1987 hat Gursky seine<br />

Bildsprache stetig weiterentwickelt. Der seit 1991 betriebene Einsatz digitaler<br />

Bildbearbeitung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Gursky nutzt sie, um seine<br />

Bil<strong>der</strong> zu komponieren, die Inhalte zu verdichten und neue Sehweisen zu er-<br />

schaffen. 111<br />

In seinen Arbeiten aus den 1980er Jahren, die noch ohne digitale Mittel aus-<br />

kommen müssen, ist die Bildsprache noch eine an<strong>der</strong>e. Oftmals sind es Land-<br />

schaftsansichten. Im Gegensatz zu seinen späteren Werken sind sie von nach-<br />

vollziehbaren Standpunkten aufgenommen. Es ist ein distanzierter Blick, <strong>der</strong> das<br />

Motiv wie in einer Übersichtsaufnahme zeigt, meist von einem erhöhten Stand-<br />

punkt aus. Oft fallen dabei ein einzelnes, den Blick lenkendes o<strong>der</strong> einige wenige<br />

Details auf, sei es eine Gondel in den Bergen, einige verstreute Menschen in <strong>der</strong><br />

Landschaft o<strong>der</strong> ein Schiff, welches die Niagarafälle ansteuert (s. Abb. 29).<br />

109 Vgl. Malz; Müller, 2009, S. 308<br />

110 Vgl. WZ Newsline, 2010<br />

111 Vgl. Gronert, 2009, S. 54f.<br />

40


Abb. 29: Andreas Gursky, Niagara Falls, 1989,<br />

C-Print / Diasec Face, 280 x 222,1 cm<br />

3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Diese Details drängen sich allerdings<br />

kaum in den Vor<strong>der</strong>grund und wenn<br />

Menschen auftauchen, werden sie nie<br />

als Individuen gezeigt. Sie dienen eher<br />

als Beiwerk <strong>der</strong> majestätisch und über-<br />

mächtig dargestellten Landschaft. An-<br />

<strong>der</strong>s als in Gurskys späteren digitalen<br />

Werken ist hier <strong>der</strong> von Cartier-Bresson<br />

beschworene „entscheidende Moment“<br />

von Bedeutung. Gursky, <strong>der</strong> hier beob-<br />

achtet, nicht inszeniert, muss genau<br />

den Moment abpassen, in dem die Sze-<br />

ne seinen Intentionen entspricht. 112<br />

Während <strong>der</strong> distanzierte Blick in<br />

seinen digital erstellten Werken noch<br />

zunimmt, verliert dieser „entscheidende Moment“ in späteren Arbeiten an Bedeu-<br />

tung. Durch die Art und Weise, wie Gurskys Werke entstehen, kann man einen<br />

einzigen Moment überhaupt nicht mehr ausmachen. Gurskys Bil<strong>der</strong> sind oftmals<br />

aus vielen Aufnahmen erstellt, es vermengen sich also sowohl mehrere Momente<br />

sowie auch verschiedene Perspektiven. Trotzdem gelingt es Gursky dabei immer<br />

den Eindruck aufrechtzuerhalten, es werde eine authentische Szene gezeigt.<br />

Ganz im Gegensatz zu Thomas Ruff, <strong>der</strong> bewusst digitale Filter, Verzerrungen<br />

und Manipulationen einsetzt, die für jeden sofort offensichtlich werden, sieht man<br />

bei kaum einem Bild von Gursky, wie und wo genau digital montiert wurde. Wäh-<br />

rend eine solche Vorgehensweise in Landschafts- o<strong>der</strong> Architekturaufnahmen<br />

noch vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen ist, sind die bei Gursky häufig<br />

anzutreffenden Darstellungen von Menschenmassen ungleich komplexer. Sie<br />

treten in Gurskys Werk vor allem bei Rockkonzerten, in Börsensälen sowie in <strong>der</strong><br />

neueren Werkreihe Pyongyang von 2007 hervor. Gerade die Pyongyang-Werke<br />

sagen viel über seinen künstlerischen Ansatz und seine Herangehensweise an<br />

komplexe Motive aus. Die Serie zeigt das nordkoreanische Festspiel „Arirang“,<br />

eine Massenveranstaltung, in <strong>der</strong> hun<strong>der</strong>ttausende Mitwirkende in einem Stadi-<br />

um in <strong>der</strong> Hauptstadt Pyongyang durch rhythmische Gymnastik und dem Erstel-<br />

len „lebendiger Bil<strong>der</strong>“ mittels Farbtafeln eine metaphernreiche Geschichte des<br />

Landes erzählen.<br />

112 Vgl. Weski, 2007, S. 15<br />

41


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Abb. 30: Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007, C-Print / Diasec Face, 307 x 215,5 cm<br />

42


Abb. 31: Pyongyang I, Detail<br />

3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

Gursky wurde auf <strong>der</strong> <strong>Re</strong>ise nach Nord-<br />

korea und auch bei den Aufnahmen von<br />

Jan Schmidt-Garre begleitet, <strong>der</strong> in ei-<br />

nem Artikel in <strong>der</strong> Wochenzeitschrift Die<br />

Zeit die <strong>Re</strong>ise und die Entstehung von<br />

Pyongyang erzählt. Er beschreibt, wie<br />

Gursky sich für die Erstellung <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong><br />

den besten Platz, die „Mittelloge, unter<br />

einem zehn Meter hohen Portrait des<br />

Staatsgrün<strong>der</strong>s Kim Il Sung“ 113 erkämpf-<br />

te und hun<strong>der</strong>te Aufnahmen als Rohma-<br />

terial für seine späteren Interpretationen<br />

des Spektakels anfertigte. 114<br />

Das erste Werk <strong>der</strong> <strong>Re</strong>ihe – Pyongyang I (s. Abb. 30) – beinhaltet viele für Gurs-<br />

kys Werke typische Merkmale: Einen deutlich erhöhten Standpunkt des Betrach-<br />

ters, eine durchkalkulierte strenge Komposition in <strong>der</strong> Gesamtansicht sowie eine<br />

große Tiefenschärfe, die jedes Detail erfasst. Ähnlich wie bei Ruffs jpegs erwir-<br />

ken auch Gurskys monumentale Werke wie Pyongyang I einen beson<strong>der</strong>en Be-<br />

trachtungsprozess <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>: Während sich Ruffs jpegs bei näherer Betrachtung<br />

immer mehr auflösen und immer weniger erkennbar scheinen, werden bei <strong>der</strong><br />

Betrachtung von Gurskys Fotografien aus <strong>der</strong> Nähe eine Fülle an Details sicht-<br />

bar, in dem hier gezeigten Fall bis hin zu einzelnen Gesichtern (s. Abb. 31).<br />

Die Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Pyongyang-<strong>Re</strong>ihe sind vergleichsweise nah an <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong><br />

<strong>der</strong> Szenerie. Das Stadion ist nur leicht abgewandelt dargestellt und die Men-<br />

schenmassen befanden sich tatsächlich in dieser großen Anzahl darin. 115 Jedoch<br />

vereint Gursky verschiedene Momente, verdichtet die Ereignisse mehrerer Stun-<br />

den durch Montage vieler Einzelaufnahmen zu einer einzigen Fotografie. Obwohl<br />

er damit von <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität abweicht, gelingt ihm dadurch ein Bild des Geschehens<br />

mit einer „gesteigerten, aufgeladenen Authentizität“ 116 , wie es Schmidt-Garre be-<br />

schreibt.<br />

In Gurskys Werk ist – auch motiviert von den Möglichkeiten des Digital Ima-<br />

ging, das er seit den 90er Jahren immer intensiver nutzt – eine Tendenz von <strong>der</strong><br />

113 Zit. Schmidt-Garre, 2007<br />

114 Vgl. Schmidt-Garre, 2007<br />

115 Vgl. Schmidt-Garre, 2011<br />

116 Zit. Schmidt-Garre, 2007<br />

43


Abbildung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität hin zu einer, in<br />

seinen eigenen Worten, „Interpretation<br />

von <strong>Re</strong>alität“ 117 auszumachen. Dies wird<br />

an jenen Motiven beson<strong>der</strong>s deutlich,<br />

die sich mit normalen fotografischen Mit-<br />

teln gar nicht abbilden lassen. In seiner<br />

neuesten Werkreihe Ocean (s. Abb. 32)<br />

nimmt die Distanz zum Motiv noch ein-<br />

mal deutlich zu. Sie zeigt Ansichten aller<br />

Ozeane dieser Erde, dargestellt als un-<br />

ergründliche, gewaltige Flächen chan-<br />

gieren<strong>der</strong> Blautöne, umgeben von an<br />

den Rand gedrängten Landmassen.<br />

Nicht nur die Distanz zum Motiv, auch<br />

diejenige zur Fotografie wird größer.<br />

Erstmals verwendete Gursky, ähnlich<br />

3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

wie sein Kollege Thomas Ruff, kein eigenes Bildmaterial, son<strong>der</strong>n erwarb Satelli-<br />

tenbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erde. Die Darstellung <strong>der</strong> Ozeane entstand, in Ermangelung hoch-<br />

auflösenden Ausgangsmaterials, durch seine Assistenten komplett am Compu-<br />

ter. 118 Ob solchermaßen entstandene Bil<strong>der</strong> noch als Fotografien zu bezeichnen<br />

sind, ist fraglich. Im Vergleich zu einem traditionell arbeitenden Fotografen, <strong>der</strong><br />

die Welt ausschnitthaft darstellt, also subtraktiv vorgeht, arbeitet Gursky additiv.<br />

Er stellt seine Motive aus Einzelelementen zusammen, arbeitet also eher wie ein<br />

Maler o<strong>der</strong> Grafiker. 119<br />

Nicht alle Arbeiten Gurskys sind dabei in ihrer Wirkung so weit entfernt von<br />

Fotografien wie seine Oceans. Dennoch ist die Arbeitsweise dabei oft ähnlich ad-<br />

ditiv und komponierend. An einem neueren Werk, Hamm, Bergwerk Ost (s. Abb.<br />

33), lässt sich sein aktuelles Vorgehen gut erklären, vor allem weil die Entste-<br />

hung dieses Werkes sehr genau dokumentiert ist. Schmidt-Garre verfolgte 2008<br />

die Produktion des Kunstwerks von <strong>der</strong> ersten Idee bis hin zur Veröffentlichung<br />

in einer Ausstellung.<br />

117 Aussage Gursky, zit. n. Schmidt-Garre, 2007<br />

118 Vgl. Ackermann, 2010<br />

119 Vgl. Weski, 2007, S. 17<br />

Abb. 32: Andreas Gursky, Ocean VI, 2010, C-<br />

Print / Diasec Face, 340,9 x 249,4 cm<br />

44


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

3.4.2 Gurskys Arbeitsweise am Beispiel von Hamm, Bergwerk Ost<br />

Hamm, Bergwerk Ost zeigt das<br />

Innere einer so genannten<br />

Waschkaue, einer Halle zur Auf-<br />

bewahrung <strong>der</strong> Arbeitskleidung<br />

von Bergleuten. In dem Doku-<br />

mentarfilm „Andreas Gursky.<br />

Long Shot Close Up“ 120 von<br />

Schmidt-Garre wird Schritt für<br />

Schritt die Produktion des<br />

Kunstwerks gezeigt. Der Begriff<br />

„Produktion“ ist bewusst ge-<br />

wählt. Die Entstehung eines<br />

Werkes wie Hamm, Bergwerk<br />

Ost dauert Monate und involviert<br />

viele Mitarbeiter und Helfer. Zu<br />

Beginn <strong>der</strong> Arbeit steht eine<br />

Bildidee. Sie kann von einem<br />

Bild stammen, das <strong>der</strong> Künstler<br />

gesehen hat o<strong>der</strong> von einer An-<br />

regung aus seinem Umfeld.<br />

Abb. 33: Andreas Gursky, Hamm, Bergwerk Ost, 2008,<br />

C-Print / Diasec Face, 307 x 223,5 cm<br />

Darauf folgt eine längere Phase <strong>der</strong> Suche nach geeigneten Orten, während <strong>der</strong><br />

im Fall von Hamm, Bergwerk Ost zunächst ein Assistent und später auch Gursky<br />

selbst Waschkauen mehrerer Bergwerke besichtigt und nach dem geeignetsten<br />

Ort sucht. Darauf folgt das Aufnehmen des Ausgangsmaterials. Über mehrere<br />

Tage wird mit analogen sowie auch mit digitalen Großformatkameras die Halle<br />

von verschiedenen Standpunkten aus fotografiert. Es entstehen viele kleine<br />

Bruchstücke des Raumes. Im Studio wird das Material gesichtet. Im Fall von<br />

Hamm, Bergwerk Ost entschied man sich für das analoge Material, welches<br />

gescannt und am Computer durch Freistellung und Kombination gewünschter<br />

Objekte zu einem konstruierten Raum komponiert wird. Da Gursky im Hinter-<br />

grund einige „Bergleute“ zeigen möchte, werden erneut Aufnahmen von Perso-<br />

nen gemacht und ins Bild montiert. Dass es sich dabei nicht um Bergleute han-<br />

120 Erhältlich auf DVD. Ausschnittsweise zu sehen unter:<br />

http://www.parsmedia.com/films/long-shot-close-up-andreas-gursky/watch<br />

45


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

delt – Gursky nahm <strong>der</strong> Einfachheit halber einige Arbeiter in <strong>der</strong> Nähe seines<br />

Studios auf – tut dem <strong>Re</strong>alismus keinen Abbruch, denn <strong>der</strong> Bildbearbeiter fügt<br />

Gurskys Aufnahmen nahtlos in die bestehende Komposition ein. Die endgültigen<br />

Vergrößerungen werden, nicht ohne mehrfache Tests und Begutachtung durch<br />

den Künstler, im Fotolabor Grieger produziert. 121<br />

Die Einsicht in solch eine Produktion zeigt, dass das, was Gursky macht,<br />

längst nicht mehr mit <strong>der</strong> Arbeit eines Fotografen zu vergleichen ist. Seine Arbeit<br />

ähnelt viel eher <strong>der</strong> eines <strong>Re</strong>gisseurs o<strong>der</strong> eines visuellen Komponisten. Gursky<br />

sagt in Schmidt-Garres Dokumentation dazu, seine Bil<strong>der</strong> seien „Interpretationen<br />

von Orten“ 122 und er „arbeite mit realem, authentischem Material, aber komponie-<br />

re ganz frei“. 123 Er benutzt Fotografien lediglich als Ausgangsmaterial und formt<br />

daraus nach seinen Vorstellungen neue Szenen und Kompositionen.<br />

Ist aber das En<strong>der</strong>gebnis seiner Arbeit noch als Fotografie zu bezeichnen und<br />

stellt es noch das Ursprungsmotiv dar? Gursky äußert sich dazu indifferent. Ei-<br />

nerseits seien seine Bil<strong>der</strong> Erinnerungen an den Ort, „so, wie man ihn verbal be-<br />

schreiben würde“, 124 an<strong>der</strong>erseits versucht er durch Manipulation sich „vom au-<br />

thentischen Ort zu entfernen.“ 125 Bei <strong>der</strong> Betrachtung von Hamm, Bergwerk Ost<br />

kann man diese zwei Aussagen durchaus nachvollziehen. In Schmidt-Garres<br />

Film werden die Bergwerksräume in dokumentarischer Art und Weise in mehre-<br />

ren Einstellungen gezeigt. Keine zeigt die Fülle, wie sie sich in Gurskys Ergebnis<br />

findet. Trotzdem ist zu vermuten, dass man bei Begehung des Raumes und län-<br />

gerer Betrachtung genau diese Fülle empfindet, da sich die gesammelten Ein-<br />

drücke in <strong>der</strong> Erinnerung zu einem geschlossenen Bild fügen.<br />

Gursky präsentiert genau solch ein geschlossenes Erinnerungs-Bild. Auch<br />

wenn er sich vom authentischen Raum entfernt und einen künstlichen kreiert, er-<br />

langen seine Bil<strong>der</strong> gerade durch den massiven und technisch zur Perfektion ge-<br />

triebenen Einsatz von Digital Imaging oft eine genauere <strong>Re</strong>präsentation komple-<br />

xer Szenarien, als die fotografische Abbildung allein es jemals könnte. Allerdings<br />

darf nicht außer Acht gelassen werden, dass nur solche Betrachter dies so emp-<br />

finden dürften, die sich auf eine ähnliche Sichtweise einlassen, wie Gursky sie<br />

hat und in seinen Werken zeigt. Es ist eine beobachtende, distanzierte Sichtwei-<br />

121 Vgl. Schmidt-Garre, 2011<br />

122 Aussage Gursky, zit. n. Schmidt-Garre, 2011<br />

123 Ebd.<br />

124 Ebd.<br />

125 Ebd.<br />

46


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

se, die in den Worten des Kunsthistorikers Werner Spieß eine gewisse „Berüh-<br />

rungsangst“ 126 und „<strong>Re</strong>serviertheit“ 127 zeigt. In manchen Fällen führt diese Sicht-<br />

weise zu sehr authentischen Bil<strong>der</strong>n, in an<strong>der</strong>en entstehen Bil<strong>der</strong>, die von <strong>der</strong><br />

menschlichen Sichtweise auf die <strong>Re</strong>alität stark abweichen. Diese Abweichung<br />

wird beson<strong>der</strong>s deutlich, wenn man die Ergebnisse, zu denen Gursky in seinen<br />

Arbeiten kommt, mit denen einer Künstlerin mit gänzlich an<strong>der</strong>er Arbeitsweise<br />

vergleicht.<br />

3.4.3 Bibliothek – Gursky im Vergleich mit Candida Höfer<br />

Wenn zwei Künstler mit ihren jeweiligen individuellen Ansätzen sich dem glei-<br />

chen Motiv zuwenden, wird wohl nie zweimal das gleiche Ergebnis dabei entste-<br />

hen. 1999 wendete sich Gursky einem Motiv zu, welches eine Kommilitonin aus<br />

<strong>der</strong> Düsseldorfer Schule, Candida Höfer, schon sechs Jahre zuvor aufgenom-<br />

men hatte. Es handelt sich um die Stadtbibliothek Stockholm, ein typisches Motiv<br />

für das Werk Candida Höfers, die sich in ihrer Arbeit vor allem auf die Abbildung<br />

beson<strong>der</strong>er öffentlicher Räume, darunter häufig Bibliotheken, konzentriert. Die<br />

beiden Werke könnten, trotz des selben Motivs, kaum unterschiedlicher sein.<br />

Dies äußert sich bereits in den Formaten. Während Candida Höfers Stadtbiblio-<br />

thek Stockholm (s. Abb. 34) in einem mo<strong>der</strong>aten Format von 38 x 57 cm ausge-<br />

führt ist, greift Gursky bei seiner Bibliothek (s. Abb. 35) zu einem deutlich breite-<br />

ren und ungleich größeren Format von 208 x 398,5 cm. 128<br />

Abb. 34: Candida Höfer, Stadtbibliothek<br />

Stockholm, 1993, C-Print, 38 x 57 cm<br />

126 Aussage Spieß, zit. n. Schmidt-Garre, 2011<br />

127 Ebd.<br />

128 Vgl. Gronert, 2009, S. 28f.<br />

Höfers Bild zeigt den Innenraum <strong>der</strong> Bi-<br />

bliothek mit einer lockeren, ausschnitt-<br />

haften Bildkomposition. Im Hintergrund<br />

die in einem Rund angeordneten Bü-<br />

cherwände, welche über Treppen er-<br />

reichbar sind. Der durch mehrere Men-<br />

schen belebte Innenraum ist gefüllt mit<br />

mehreren Tresen und Infoständen. Mit-<br />

ten im Raum hängt eine große Lampe,<br />

die die leicht asymmetrische Kompositi-<br />

on abfängt. Nach oben hin schließt das<br />

Bild mit einer mit charakteristischen Ein-<br />

47


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

buchtungen versehenen, hellen Betondecke. Der Innenraum ist in ein natürliches<br />

Licht mit Flecken direkter Sonneneinstrahlung getaucht.<br />

Gursky hingegen wendet eine streng symmetrische Komposition an. Der<br />

Raum ist radikal entleert, von links nach rechts erstrecken sich in perfektem<br />

Rund die drei Stockwerke <strong>der</strong> Bücherregale. Die zu ihnen führende Treppe ist<br />

verschwunden, ebenso die vielen Tresen im Innenraum. Stattdessen zeigt sich<br />

ein spiegelglatter, digital eingesetzter Fußboden. Zwei Menschen tauchen im Bild<br />

auf, aber sie wirken eher wie Statisten statt wie reguläre Bibliotheksbesucher.<br />

Die Beleuchtung ist diffus und gleichmäßig. Einzig an <strong>der</strong> charakteristischen De-<br />

cke erkennt man, dass es sich bei den beiden Motiven um dieselbe Bibliothek<br />

handeln muss.<br />

Abb. 35: Andreas Gursky, Bibliothek, 1999, C-Print / Diasec Face, 208 x 398,5 cm<br />

Der Einsatz digitaler Bildbearbeitung und die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> abgebildeten <strong>Re</strong>a-<br />

lität auf Seiten von Gursky ist im Vergleich zu Höfers Bild klar zu erkennen. Wes-<br />

sen Bild aber gibt das Wesen des Ortes realistischer wie<strong>der</strong>? Der inhaltliche Ver-<br />

gleich macht deutlich, dass Gursky und Höfer die Bibliothek an<strong>der</strong>s auffassen<br />

und sie so in einer gänzlich an<strong>der</strong>en Absicht darstellen. Höfer zeigt das alltägli-<br />

che Treiben <strong>der</strong> Bibliothek, die sich als lebendiger Umschlagplatz des Wissens<br />

präsentiert. Bei Gursky hingegen kommen Assoziationen von heiligen Orten o<strong>der</strong><br />

dem römischen Pantheon auf. Er stilisiert die Bibliothek zu einer „Metapher des<br />

Wissens“. 129 Auch wenn Höfer formal viel näher an <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität bleibt, gelangen<br />

doch beide zu einer auf ihre jeweilige Art authentischen und realistischen Dar-<br />

129 Zit. Gronert, 2009, S. 29<br />

48


3 <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst<br />

stellung des Begriffs Bibliothek. Welche <strong>der</strong> beiden Darstellungen als die treffen-<br />

<strong>der</strong>e, um nicht zu sagen realistischere erscheint, lässt sich nicht abschließend<br />

beantworten, son<strong>der</strong>n hängt stark von <strong>der</strong> Sichtweise und Bewertung des Be-<br />

trachters ab.<br />

Gursky ist nicht daran interessiert, bloße Abbildungen zu erzeugen. Seine<br />

Werke lassen sich – aus dutzenden Einzelteilen zusammenmontiert – auch nicht<br />

mehr als Abbildungen o<strong>der</strong> <strong>Re</strong>produktionen <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> bezeichnen. Viel<br />

eher handelt es sich um <strong>Konstruktionen</strong> von <strong>Wirklichkeit</strong>, ähnlich <strong>der</strong> Arbeit von<br />

Malern, die mehrere Zeit- und <strong>Re</strong>alitätsebenen in ihren Werken vereinen, so bei-<br />

spielsweise bei religiösen Darstellungen o<strong>der</strong> historischen Schlachtengemälden.<br />

In einer Welt, in <strong>der</strong> einfache Abbildung längst nicht mehr ausreicht, um die<br />

<strong>Re</strong>alität in all ihren Facetten und ihrer Komplexität zu repräsentieren, bedarf es<br />

solcher <strong>Konstruktionen</strong> o<strong>der</strong> auch <strong>Re</strong>konstruktionen <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität mit digitalen Mit-<br />

teln, wie Gursky sie anfertigt. In diesem Punkt ähnelt sein Ansatz jenem von Tho-<br />

mas Ruff. Auch dieser setzt das Digital Imaging ein, um durch Abweichung von<br />

einer realistischeren Darstellung diese prägnanter wie<strong>der</strong>zugeben.<br />

49


4 (<strong>Re</strong>-)<strong>Konstruktionen</strong> <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> – die<br />

digitalen <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> Fotokunst<br />

In dem folgenden Teil werden die Ansätze Thomas Ruffs und Andreas Gurskys<br />

noch einmal näher beleuchtet, indem die Zwischenresultate aus <strong>der</strong> <strong>Re</strong>zeption<br />

<strong>der</strong> Werke <strong>der</strong> beiden Künstler in Bezug zum historischen Überblick am Anfang<br />

des dritten Kapitels gesetzt werden sowie zu <strong>der</strong> Abhandlung über das Digital<br />

Imaging im zweiten und den Erkenntnissen des ersten Teils <strong>der</strong> Arbeit.<br />

4.1 EINORDNUNG RUFFS UND GURSKYS IN KATEGORIEN DER<br />

IFOTOKUNST<br />

Die zeitgenössische Fotokunst wurde im dritten Teil in drei Kategorien eingeteilt:<br />

Soziopolitisch kommentierend, das Medium reflektierend sowie Welten schaf-<br />

fend. Die erste Kategorie ist eher untypisch für die Düsseldorfer Schule. Die<br />

meisten ihrer Vertreter behalten eine gewisse Distanz und <strong>Re</strong>serviertheit zum<br />

Motiv. Auch bei Gursky und Ruff finden sich selten direkte Kommentare. Auch<br />

wenn in ihren Werken brisante Themen vorkommen, wie die Bil<strong>der</strong> von 9/11 bei<br />

Ruffs jpegs o<strong>der</strong> Gurskys in Nordkorea entstandene Pyongyang-Serie, vermei-<br />

den die Künstler im Bild den Kommentar. Der Betrachter kann sich so eine eige-<br />

ne Meinung bilden. Ruffs Werke lassen sich eindeutig <strong>der</strong> zweiten Kategorie zu-<br />

ordnen, die <strong>Re</strong>flexion des Mediums Fotografie ist in seinem konzeptionellen<br />

Ansatz von größter Bedeutung. Gurskys Arbeiten gehören vor allem <strong>der</strong> dritten<br />

Kategorie an. Seine konstruierten Welten sind dabei aber immer an <strong>der</strong> realen<br />

Welt orientiert.<br />

Der am Anfang des dritten Teils aufgestellte Überblick über die <strong>Re</strong>alitätsdar-<br />

stellung in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Fotokunst zeigte eine Polarität von dokumentari-<br />

scher und gestalterischer Abbildung. Während die Lehrer <strong>der</strong> Düsseldorfer Schu-<br />

le, Bernd und Hilla Becher, klar dokumentarisch vorgehen und nur in bestimmten<br />

Rahmenbedingungen gestalten, finden sich bei ihren Schülern beide Ansätze.<br />

Die ersten Arbeiten von Ruff – die Porträts – hatten noch deutlich den dokumen-<br />

tarischen Ansatz. In seinen neuesten Arbeiten, den Zycles, gibt es nur noch Ge-<br />

50


4 (<strong>Re</strong>-)<strong>Konstruktionen</strong> <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> – die digitalen <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> Fotokunst<br />

staltung. In den ausführlich vorgestellten jpegs vereinen sich beide Ansätze.<br />

Durch Verpixelung und Komprimierung gestaltet Ruff. Durch das Arbeiten in<br />

Serien und den engen Bezug zum Ursprungsmedium Internet dokumentiert er,<br />

und zwar die Fülle sowie den Funktionsverlust <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> in <strong>der</strong> digitalen Welt.<br />

Bei Gursky wird das Vorhandensein bei<strong>der</strong> Ansätze noch klarer. Der gesamte<br />

Entstehungsprozess, im dritten Teil an Hamm, Bergwerk Ost demonstriert, ist ein<br />

gestalterischer, mit <strong>der</strong> Arbeit eines Malers vergleichbar. Durch die Präzision in<br />

<strong>der</strong> Abbildung sowie durch das Komponieren und <strong>Re</strong>konstruieren <strong>der</strong> Ereignisse<br />

sind seine Werke Dokumentationen komplexer, schwer erfassbarer <strong>Re</strong>alitäten.<br />

4.2 VERWENDUNG DES DIGITAL IMAGING BEI RUFF UND GURSKY<br />

Die <strong>Re</strong>zeption <strong>der</strong> Werke Thomas Ruffs und Andreas Gurskys zeigten, dass die<br />

beiden Künstler das Digital Imaging vielfach einsetzen. Zu Beginn des zweiten<br />

Teils wurde <strong>der</strong> Vergleich von analoger zu digitaler Fotografie gezogen. Ruff und<br />

Gursky bedienen sich bei<strong>der</strong> Technologien. Gurskys Ausgangsmaterial kann so-<br />

wohl analog als auch digital sein, in jedem Fall wird es allerdings für die spätere<br />

Weiterverwendung digitalisiert. Ruffs Materialien haben verschiedenste Ursprün-<br />

ge. Es können analoge Negative sein (Serie Sterne), gedruckte Bil<strong>der</strong> (Zeitungs-<br />

fotos), Filmstills (Nudes) o<strong>der</strong> im Fall <strong>der</strong> jpegs Fotos aus dem Internet.<br />

Im Überblick über die digitale Bildbearbeitung wurden die Techniken in drei<br />

Bereiche kategorisiert: Bearbeitung zur Bildoptimierung, solche zur Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Bildwirkung und schließlich die Verän<strong>der</strong>ung des Inhalts und Neuordnung ganzer<br />

Bildteile. In den aktuelleren, vertieft dargestellten Arbeiten verwenden Ruff wie<br />

auch Gursky alle Techniken. Bildoptimierung findet allerdings hauptsächlich als<br />

Mittel zum Zweck <strong>der</strong> weiteren Verwendung statt. Ruff nimmt vor allem Verände-<br />

rungen <strong>der</strong> Bildwirkung vor. Er setzt Verzerrungen, Farbverän<strong>der</strong>ungen sowie<br />

Verpixelungen ein, um die von ihm gewünschte Bildwirkung zu erzielen. Gursky<br />

macht hauptsächlich Verän<strong>der</strong>ungen des Inhalts. Um Bil<strong>der</strong> nach seinen Vorstel-<br />

lungen zu kreieren, retuschiert er unerwünschte Bildelemente und erzeugt auf-<br />

wändige Montagen aus einer Vielzahl von Einzelbil<strong>der</strong>n.<br />

Im Vergleich zur analogen Fotografie zeigte sich, dass <strong>der</strong> größte Unterschied<br />

in den verschiedenen Speichertechnologien und <strong>der</strong> damit verbundenen Immate-<br />

rialität und Handhabbarkeit digitaler Daten liegt. Die Abhandlung über die Wie-<br />

<strong>der</strong>gabe digitaler Bil<strong>der</strong> machte deutlich, dass dies im Kontext <strong>der</strong> Fotokunst zu<br />

51


4 (<strong>Re</strong>-)<strong>Konstruktionen</strong> <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> – die digitalen <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> Fotokunst<br />

einem Problem werden kann, da die einfache <strong>Re</strong>produzierbarkeit den Wert min-<br />

<strong>der</strong>t. Ruff und Gursky adressieren dieses Problem, indem sie sehr große und<br />

technisch aufwändige Vergrößerungen anfertigen lassen, die in ihrer Stückzahl<br />

streng limitiert sind. In ihrer Präsenz und auch in den erzielten Auktionspreisen<br />

sind die Werke dadurch mit Tafelbil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Malerei vergleichbar und treten so in<br />

Konkurrenz zu den klassischen Kunstgattungen.<br />

Ruff und Gursky nutzen das Digital Imaging als Mittel zum Zweck, um ihre<br />

Vorstellung vom Motiv und ihre konzeptuelle Aussage erreichen zu können.<br />

4.3 WAHRNEHMUNG UND (RE-)KONSTRUKTION DER REALITÄT<br />

In <strong>der</strong> Gegenüberstellung von <strong>Re</strong>alitätsdarstellung und -verän<strong>der</strong>ung im ersten<br />

Teil <strong>der</strong> Arbeit stellte sich die enge <strong>Re</strong>lation von Abbild und Urbild als entschei-<br />

dende Eigenschaft <strong>der</strong> Fotografie heraus. In <strong>der</strong> Fotokunst, in <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> nicht als<br />

Dokumente fungieren müssen, ist ein Durchbrechen dieser <strong>Re</strong>lation erlaubt und<br />

oft erwünscht. Gursky und Ruff tun dies mit den durch die digitale Technik stark<br />

angewachsenen Möglichkeiten <strong>der</strong> Bildbearbeitung. Doch auch wenn sie von <strong>der</strong><br />

technisch bedingten Beziehung von Original und Fotografie abweichen, bleibt die<br />

inhaltliche Beziehung erhalten und wird noch verstärkt. Dies geschieht, indem<br />

<strong>der</strong> Wahrnehmungsprozess des Menschen aufgegriffen und thematisiert wird.<br />

Susan Sontag weist darauf hin, dass <strong>Re</strong>alismus nicht als „Wie<strong>der</strong>gabe des-<br />

sen, was ‚wirklich‘ ist, son<strong>der</strong>n […] was ich ‚wirklich‘ wahrnehme“ 130 verstanden<br />

werden kann. Der Vergleich <strong>der</strong> Wahrnehmung von Fotos mit <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität im ers-<br />

ten Teil <strong>der</strong> Arbeit ergab, dass grundlegende Unterschiede in diesen Prozessen<br />

bestehen. Während die <strong>Re</strong>alität als sich ständig wandeln<strong>der</strong> Ablauf <strong>der</strong> Dinge<br />

wahrgenommen wird und sich die flüchtigen Eindrücke erst durch die Verarbei-<br />

tung des Betrachters zu zusammenhängenden Bil<strong>der</strong>n fügen, werden Fotos als<br />

flächige, statische Bil<strong>der</strong> gesehen. Dennoch ergab die Analyse, dass Fotografi-<br />

en, obgleich Unterschiede in <strong>der</strong> Wahrnehmung bestehen, als Zeugnisse <strong>der</strong><br />

<strong>Re</strong>alität betrachtet werden, da einerseits die Wahrnehmungsprozesse deutliche<br />

Parallelen aufweisen und an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> Betrachter durch die ständige Präsenz<br />

von Fotografien im Umgang mit ihnen geschult ist. Auch mit <strong>der</strong> Einführung <strong>der</strong><br />

digitalen Fotografie hat sich diese Akzeptanz von Fotos und <strong>der</strong> Umgang mit ih-<br />

nen nicht grundlegend geän<strong>der</strong>t. Ihre Verbreitung hat sich deutlich gesteigert.<br />

130 Zit. Sontag, 2008, S. 116<br />

52


4 (<strong>Re</strong>-)<strong>Konstruktionen</strong> <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> – die digitalen <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> Fotokunst<br />

Teilweise geht <strong>der</strong> Umgang mit Fotos so weit, dass das Medium übersehen und<br />

nur noch <strong>der</strong> Inhalt betrachtet wird. Genau hier setzt Thomas Ruff mit seiner<br />

Serie <strong>der</strong> jpegs an. Er thematisiert den Wahrnehmungsprozess von Fotos und<br />

macht uns ihre Oberfläche und auch Oberflächlichkeit bewusst. Dies gelingt ihm<br />

mit einfachen Mitteln <strong>der</strong> digitalen Bearbeitung. Doch die Analyse seiner Werke<br />

ergab, dass diese paradoxerweise oft realistischer wirken als unbearbeitete<br />

Fotografien. Dies trifft vor allem für solche Motive zu, die aus den Massenmedien<br />

und dem Internet, aus dem Ruff sie entnahm, bekannt sind. Die <strong>Re</strong>alität, die Ruff<br />

hier darstellt und die <strong>der</strong> Betrachter wahrnimmt, ist also nicht die <strong>der</strong> wirklichen,<br />

„analogen“ Welt. Vielmehr zeigt er die <strong>Re</strong>alitäten <strong>der</strong> digitalen Medien, die in <strong>der</strong><br />

heutigen Zeit eine so große Rolle spielen, dass von einer zweiten virtuellen Welt<br />

die <strong>Re</strong>de sein kann. Es ist eine immaterielle Welt, welche ohne technische Hilfs-<br />

mittel nicht mehr verständlich und repräsentierbar ist, genau wie die digitale Fo-<br />

tografie nicht ohne eine ganze Palette von Techniken funktioniert. Ruff nimmt<br />

sich dieser Problematik <strong>der</strong> medialen <strong>Re</strong>präsentation 131 wie ein Wissenschaftler<br />

an, <strong>der</strong> die menschliche Wahrnehmung erforscht.<br />

Auch Gursky greift den Wahrnehmungsprozess des Menschen auf. Sontag<br />

begreift die <strong>Wirklichkeit</strong> als „endlose Kette von Situationen, die einan<strong>der</strong> gegen-<br />

seitig spiegeln“. 132 Der Wahrnehmung einer solchen <strong>Re</strong>alität folgt die Verarbei-<br />

tung im Gehirn des Menschen. In <strong>der</strong> Erinnerung überlagern sich die Eindrücke<br />

und ergeben ein komplexes Gesamtbild <strong>der</strong> wahrgenommenen Situation. Im<br />

Normalfall kann eine Fotografie ein solches Gesamtbild nicht liefern. In <strong>der</strong> <strong>Re</strong>-<br />

portagefotografie arbeitet man deshalb in Bildserien. Gursky aber bedient sich<br />

des Digital Imaging, um genau solche Bil<strong>der</strong> zu konstruieren, wie sie sich im Pro-<br />

zess <strong>der</strong> Erinnerung ergeben können. Dazu vereint er mehrere Perspektiven und<br />

Zeitpunkte, um das Gewesene zu rekonstruieren.<br />

Obwohl beide Künstler in ihrer Arbeit deutlich von den fotografischen Aufnah-<br />

men und damit von einer möglichst unverfälschten Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität ab-<br />

weichen, ergab sich gerade im Vergleich mit traditioneller arbeitenden Fotokünst-<br />

lern, dass dabei nicht unbedingt weniger realitätsnahe Werke entstehen. Sowohl<br />

Ruff als auch Gursky erreichen mit ihren <strong>Konstruktionen</strong> – mit gänzlich unter-<br />

schiedlichen Mitteln – oft genauere <strong>Re</strong>konstruktionen <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong>, als dies<br />

bloße Abbildungen leisten könnten.<br />

131 Vgl. Hemken, 2000, S. 37<br />

132 Zit. Sontag, 2008, S. 152<br />

53


Zusammenfassung und Fazit<br />

Ziel <strong>der</strong> vorliegenden Arbeit war es, herauszufinden, wie und aus welchen Grün-<br />

den Fotokünstler das Digital Imaging nutzen, um in ihren Arbeiten die Darstellung<br />

von <strong>Re</strong>alität zu beeinflussen.<br />

Dazu wurde zunächst die Wahrnehmung des Menschen untersucht und es<br />

zeigte sich, dass, obgleich Unterschiede in <strong>der</strong> Wahrnehmung <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong><br />

und von Fotografien existieren, letztere im Normalfall als Zeugnisse <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität<br />

akzeptiert werden.<br />

Der weitere Untersuchungsverlauf demonstrierte, dass die Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong><br />

<strong>Re</strong>alität in Fotografien sehr stark durch den Abbildungscharakter <strong>der</strong> Fotografie –<br />

ein technisches Medium, welches nach festen Gesetzmäßigkeiten Bil<strong>der</strong> hervor-<br />

bringt – bestimmt ist. Die Analyse ergab, dass <strong>der</strong> verbleibende Gestaltungs-<br />

spielraum eine große Rolle spielt und dass Abweichungen vom bloßen Abbild<br />

seiner Authentizität zu Gute kommen können.<br />

Um die Untersuchung konkreter Beispiele aus <strong>der</strong> zeitgenössischen Foto-<br />

kunst zu erleichtern, wurden zunächst die Techniken des Digital Imaging vorge-<br />

stellt und auf die Unterschiede zur analogen Fotografie hingewiesen. Diese be-<br />

stehen hauptsächlich in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>sartigen, immateriellen Speicherung <strong>der</strong><br />

Bildinformation, wodurch sich auf Seiten <strong>der</strong> digitalen Fotografie ein viel größerer<br />

Freiraum in <strong>der</strong> Manipulierbarkeit <strong>der</strong> Daten ergibt.<br />

Im geschichtlichen Überblick über die Fotokunst wurden verschiedene Heran-<br />

gehensweisen an die Darstellung bzw. Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität in <strong>der</strong> künstleri-<br />

schen Fotografie präsentiert. Zwei gegensätzliche Tendenzen konnten festge-<br />

stellt werden: In einigen Strömungen <strong>der</strong> Fotokunst überwiegt <strong>der</strong><br />

dokumentarische Charakter <strong>der</strong> Fotografie. Die inhaltliche Bedeutung wird durch<br />

das Motiv bestimmt und nicht durch Manipulation geän<strong>der</strong>t. Im dazu konträren<br />

Ansatz steht die freie Gestaltung stärker im Vor<strong>der</strong>grund. Hier werden durch Be-<br />

arbeitungen neue inhaltliche Bedeutungen erreicht.<br />

Auch in <strong>der</strong> zeitgenössischen Fotokunst spielen die Darstellung und Verände-<br />

rung <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität eine wichtige Rolle. Die Untersuchung zeigte dabei, dass durch<br />

die neuen Möglichkeiten des Digital Imaging nun ein deutlich größerer Gestal-<br />

tungsspielraum besteht und sich dadurch auch ganz neue Ansätze ergeben.<br />

54


Anhand von zwei Künstlern, Thomas Ruff und Andreas Gursky, wurde <strong>der</strong> Um-<br />

gang mit Digital Imaging in <strong>der</strong> Fotokunst untersucht. Beide Künstler haben sehr<br />

unterschiedliche Herangehensweisen, die im ersten Teil <strong>der</strong> Arbeit besprochene<br />

menschliche Wahrnehmung zu thematisieren. Bei Ruff durch Wegnahme, bei<br />

Gursky durch eine Fülle von Information, wird die Wahrnehmung des Betrachters<br />

angesprochen und das Medium selbst in Frage gestellt. Ruff und Gursky bedie-<br />

nen sich dabei vieler, im zweiten Kapitel vorgestellter Techniken. Dabei wurde<br />

festgestellt, dass sie nicht mehr wie Fotografen arbeiten. Ruff arbeitet eher wie<br />

ein Konzeptkünstler, die Mechanismen <strong>der</strong> Fotografie untersuchend, Gursky da-<br />

gegen wie ein Maler o<strong>der</strong> <strong>Re</strong>gisseur, <strong>der</strong> seine Motive additiv aus vielen Einzel-<br />

teilen konstruiert. Beide nutzen das Digital Imaging, um durch Abweichung von<br />

<strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität diese im Bild überhaupt erst prägnant darstellen zu können.<br />

Der Einsatz des Digital Imaging in <strong>der</strong> Fotokunst ist heute eine vielfach ange-<br />

wendete Praxis und erfolgt mit sehr verschiedenen Zielsetzungen. Es kann so-<br />

wohl angewendet werden, um sich <strong>der</strong> <strong>Re</strong>alität im Bild anzunähern als auch, um<br />

sich von ihr zu entfernen. Im Falle <strong>der</strong> untersuchten Künstlern ergab sich die Er-<br />

kenntnis, dass gerade die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Abbildung mit digitalen Mitteln Foto-<br />

kunst hervorbringt, welche die <strong>Wirklichkeit</strong> beson<strong>der</strong>s treffend repräsentiert.<br />

55


Anhang<br />

Anhang I: Fragebogen an Thomas Ruff<br />

1. Setzten Sie digitale Aufnahme-, Bearbeitungs- o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabetechni-<br />

ken für Ihre Arbeit ein? Wenn ja, wie?<br />

2. Welche Rolle spielt die digitale Fotografie/das Digital Imaging für Ihre<br />

künstlerische Arbeit?<br />

3. Hat sich Ihre Arbeitsweise seit Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie grund-<br />

legend geän<strong>der</strong>t? Wenn ja, wie?<br />

4. Ist die Verzerrung/Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> wahrgenommenen <strong>Re</strong>alität ein The-<br />

ma in Ihrer Arbeit? Inwiefern?<br />

Hat sich dies seit Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie geän<strong>der</strong>t?<br />

5. Wie lässt sich in diesen Kontext (Darstellung/Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wirklich-<br />

keit) die Serie jpegs einordnen?<br />

Anhang II: Fragebogen an Andreas Gursky<br />

1. Setzten Sie digitale Aufnahme-, Bearbeitungs- o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabetechni-<br />

ken für Ihre Arbeit ein? Wenn ja, wie?<br />

2. Welche Rolle spielt die digitale Fotografie/das Digital Imaging für Ihre<br />

künstlerische Arbeit?<br />

3. Hat sich Ihre Arbeitsweise seit Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie grund-<br />

legend geän<strong>der</strong>t? Wenn ja, wie?<br />

4. Ist die Verzerrung/Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> wahrgenommenen <strong>Re</strong>alität ein The-<br />

ma in Ihrer Arbeit? Inwiefern?<br />

Hat sich dies seit Aufkommen <strong>der</strong> digitalen Fotografie geän<strong>der</strong>t?<br />

5. Wie lässt sich in diesen Kontext (Darstellung/Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Wirklich-<br />

keit) die Pyongyang-Serie einordnen?<br />

I


Literatur- und Quellenverzeichnis<br />

Ackermann, Tim: Andreas allein im All. Welt Online, 2010. Online verfügbar unter:<br />

http://www.welt.de/die-welt/kultur/literatur/article7649332/Andreas-allein-<br />

im-All.html, zuletzt geprüft am 11.06.2011.<br />

Bayerische Akademie <strong>der</strong> Schönen Künste (Hg.): Die Düsseldorfer Schule. Photogra-<br />

phien 1970-2008 aus <strong>der</strong> Sammlung Lothar Schirmer. Schirmer Mosel, Mün-<br />

chen, 2009.<br />

Belting, Hans: Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. 3. Aufl., W.<br />

Fink, München, 2006.<br />

Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen <strong>Re</strong>produzierbarkeit.<br />

1936. In: Schöttker, Detlev (Hg.): Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter<br />

seiner technischen <strong>Re</strong>produzierbarkeit und weitere Dokumente. Suhrkamp,<br />

Frankfurt am Main, 2007.<br />

Böhme, Gernot: Theorie des Bildes. 2. Aufl., W. Fink, München, 2004.<br />

Brauchitsch, Boris von: Kleine Geschichte <strong>der</strong> Fotografie. <strong>Re</strong>clam, Stuttgart, 2002.<br />

Buchsteiner, Thomas; Feininger, Andreas: Andreas Feininger - That's Photography.<br />

Hatje Cantz, Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit, 2004.<br />

Debes, Norbert: Digitales Fotografieren: so wird's bildschön! Markt + Technik Verlag,<br />

2003.<br />

Fellmann, Ferdinand: Von den Bil<strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> zur <strong>Wirklichkeit</strong> <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>. In:<br />

<strong>Re</strong>hkämper, Klaus; Sachs-Hombach, Klaus (Hg.): Bild - Bildwahrnehmung -<br />

Bildverarbeitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. DUV, Wiesba-<br />

den, 1998.<br />

Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid (Hg.): Wirklich wahr! - <strong>Re</strong>alitätsversprechen von<br />

Fotografien. [Diese Publikation erschien anlässlich <strong>der</strong> Ausstellung Wirklich<br />

wahr! <strong>Re</strong>alitätsversprechen von Fotografien, Ruhrlandmuseum Essen, 6. Juni -<br />

26. September 2004]. Hatje Cantz, Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit, 2004.<br />

Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid: Wirklich wahr. Fotografien und die Sehnsucht<br />

nach dem echten Leben. In: Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid (Hg.): Wirklich<br />

wahr! - <strong>Re</strong>alitätsversprechen von Fotografien. Hatje Cantz, Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit,<br />

2004.<br />

Gronert, Stefan (Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule. Schirmer Mosel, München,<br />

2009.<br />

II


Gronert, Stefan: Photographische Emanzipation. In: Gronert, Stefan (Hg.): Die Düs-<br />

seldorfer Photoschule. Schirmer Mosel, München, 2009.<br />

Guminski, Karin: Kunst am Computer. Ästhetik, Bildtheorie und Praxis des Computer-<br />

bildes. <strong>Re</strong>imer, Berlin, 2002.<br />

Hemken, Kai-Uwe: Von Sehmaschinen und Nominalismen. In: Monika Steinhauser<br />

(Hg.): Ansicht Aussicht Einsicht. Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte,<br />

Thomas Ruff, Thomas Struth; Architekturphotographie. Richter, Düsseldorf,<br />

2000.<br />

Holschbach, Susanne: Im Zweifel für die <strong>Wirklichkeit</strong>. Zu Begriff und Geschichte do-<br />

kumentarischer Fotografie. In: Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid (Hg.): Wirk-<br />

lich wahr! - <strong>Re</strong>alitätsversprechen von Fotografien. Hatje Cantz, Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit,<br />

2004.<br />

Kaplun, Pavel: Photoshop CS5: Für die tägliche Praxis. Addison Wesley Verlag, Bonn,<br />

2010.<br />

Liebermann, Valerie: Kommentiertes Verzeichnis aller Werke seit 1979. In: Winzen,<br />

Matthias (Hg.): Thomas Ruff, Fotografien 1979 - heute. Staatliche Kunsthalle<br />

Baden-Baden, 17. November 2001 - 13. Januar 2002. König, Köln, 2001.<br />

Malz, Isabelle; Müller, Maria: Biographien, Ausstellungen, Bibliographien. In: Gronert,<br />

Stefan ( Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule. Schirmer Mosel, München, 2009.<br />

Mitchell, W.J.T: Pictorial Turn. Eine Antwort. In: Belting, Hans (Hg.): Bil<strong>der</strong>fragen. Die<br />

Bildwissenschaften im Aufbruch. W. Fink, München, 2007.<br />

Mitchell, William J.: The reconfigured eye. Visual truth in the post-photographic era.<br />

MIT Press, Cambridge, 1992.<br />

Mohr, Fabian: Im Museum mit Thomas Struth. Fabian Mohr (<strong>Re</strong>gie). Video, 14 Min.,<br />

Zeit Online, Hamburg, 2011. Online verfügbar unter:<br />

http://video.zeit.de/video/810460343001, zuletzt geprüft am 09.06.2011.<br />

Pohlmann, Ulrich: Die Düsseldorfer Schule. In: Bayerische Akademie <strong>der</strong> Schönen<br />

Künste (Hg.): Die Düsseldorfer Schule. Photographien 1970 - 2008 aus <strong>der</strong><br />

Sammlung Lothar Schirmer. Schirmer Mosel, München, 2009.<br />

Rush, Michael: New media in Art. Neue Auflage, Thames & Hudson, London, 2005.<br />

Sachsse, Rolf: Fotografie. Vom technischen Bildmittel zur Krise <strong>der</strong> <strong>Re</strong>präsentation.<br />

Deubner, Köln, 2003.<br />

Schirmer, Lothar: Düsseldorf verlegen und sammeln. In: Bayerische Akademie <strong>der</strong><br />

Schönen Künste (Hg.): Die Düsseldorfer Schule. Photographien 1970 - 2008<br />

aus <strong>der</strong> Sammlung Lothar Schirmer. Schirmer Mosel, München, 2009a.<br />

Schirmer, Lothar: Vorwort des Herausgebers. In: Gronert, Stefan (Hg.): Die Düssel-<br />

dorfer Photoschule. Schirmer Mosel, München, 2009b.<br />

III


Schmidt-Garre, Jan: Das perfekte Bild vom totalen Staat. In: Die Zeit, 15. 2. 2007<br />

(Nr. 8), S. 41.<br />

Schmidt-Garre, Jan: Andreas Gursky. Long Shot Close Up. Jan Schmidt-Garre (<strong>Re</strong>-<br />

gie). DVD, 60 Min., Arthaus Musik GmbH, 2011.<br />

Schnelle-Schney<strong>der</strong>, Marlene: Sehen und photographieren - von <strong>der</strong> Ästhetik zum<br />

Bild. Springer, Berlin, 2003.<br />

Schöttker, Detlev (Hg.): Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner techni-<br />

schen <strong>Re</strong>produzierbarkeit und weitere Dokumente. Suhrkamp, Frankfurt am<br />

Main, 2007.<br />

Schöttker, Detlev: Kommentar. In: Schöttker, Detlev (Hg.): Walter Benjamin, Das<br />

Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen <strong>Re</strong>produzierbarkeit und weitere Do-<br />

kumente. Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2007.<br />

Simpson, Bennett: Thomas Ruff - jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />

Sontag, Susan: Über Fotographie. 18. Aufl., Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt<br />

am Main, 2008.<br />

Stiegler, Bernd: Montagen des <strong>Re</strong>alen. Photographie als <strong>Re</strong>flexionsmedium und Kul-<br />

turtechnik. W. Fink, München, 2009.<br />

Wands, Bruce: Art of the digital age. Thames & Hudson, London, 2006.<br />

Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln, 2007.<br />

Winzen, Matthias (Hg.): Thomas Ruff, Fotografien 1979 - heute. [DiesePublikation er-<br />

schien anlässlich <strong>der</strong> Ausstellung Thomas Ruff Fotografien 1979 - heute, 17.<br />

November 2002 - 13. Januar 2002 in <strong>der</strong> Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden].<br />

König, Köln, 2001.<br />

Winzen, Matthias: Glaubwürdige Erfindung von <strong>Re</strong>alität. In: Winzen, Matthias (Hg.):<br />

Thomas Ruff, Fotografien 1979 - heute. König, Köln, 2001.<br />

Wolf, Sylvia: The digital eye. Photographic art in the electronic age. Prestel, München,<br />

2010.<br />

Wortmann, Volker: Die Magie <strong>der</strong> Oberfläche. Zum <strong>Wirklichkeit</strong>sversprechen <strong>der</strong> Fo-<br />

tografie. In: Grebe, Stefanie; Schnei<strong>der</strong>, Sigrid (Hg.): Wirklich wahr! - <strong>Re</strong>alitäts-<br />

versprechen von Fotografien. Hatje Cantz, Ostfil<strong>der</strong>n-Ruit, 2004.<br />

WZ Newsline: Andreas Gursky wird Professor. Westdeutsche Zeitung, Düsseldorf,<br />

2010. Online verfügbar unter:<br />

http://www.wz-newsline.de/lokales/duesseldorf/kultur/andreas-gursky-wird-<br />

professor-1.154572, zuletzt geprüft am 06.06.2011.<br />

Zwirner, David: Thomas Ruff: jpeg ny01. Online verfügbar unter:<br />

http://www.davidzwirner.com/exhibitions/105/work_1618.htm, zuletzt geprüft am<br />

09.06.2011.<br />

IV


Abbildungsverzeichnis<br />

Abb. Titel<br />

(oben)<br />

Abb. Titel<br />

(unten)<br />

Thomas Ruff, jpeg ev01, 2006, C-Print / Diasec Face, (Detail). In: Ruff,<br />

Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />

Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007, C-Print / Diasec Face, 307 x<br />

215,5 cm, (Detail), In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln,<br />

2007.<br />

Abb. 1 Bernd und Hilla Becher, För<strong>der</strong>turm, Fosse Dutemple, Valenciennes<br />

Nord et Pas-de-Calais, F 1967, 40 x 30 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.):<br />

Die Düsseldorfer Photoschule. 1. Aufl., Schirmer Mosel, München,<br />

2009.<br />

Abb. 2 Henri Cartier-Bresson, Behind the Gare St. Lazare, 1932. Online verfügbar<br />

unter:<br />

http://swucks.files.wordpress.com/2010/01/cartier-bresson.jpg, zuletzt<br />

geprüft am 08.06.2011.<br />

Abb. 3 Oscar G. <strong>Re</strong>jlan<strong>der</strong>, The Two Ways of Life, 1858. In: Wolf, Sylvia: The<br />

digital eye. Photographic art in the electronic age. Prestel, München,<br />

2010.<br />

Abb. 4 u. 5 Nikolai Klassen, Beispiele Analog und Digital, 2011. Aufnahme und Bearbeitungen<br />

des Autors.<br />

Abb. 6 - 15 Nikolai Klassen, Beispiele Digitale Bildbearbeitung, 2011. Aufnahmen<br />

und Bearbeitungen des Autors.<br />

Abb. 16 Robert Demachy, Une Balleteuse, 1900. Online verfügbar unter<br />

http://artblart.files.wordpress.com/2009/01/robert-demachy-une-<br />

balleteuse-1900.jpg?w=650&h=576, zuletzt geprüft am 07.06.2011.<br />

Abb. 17 August San<strong>der</strong>, Konditor, 1928: Online verfügbar unter:<br />

http://www.burghausen.de/content/images/kultur/fotomuseum/<br />

son<strong>der</strong>ausstellungen/pressebil<strong>der</strong>/san<strong>der</strong>3_presse.jpg, zuletzt geprüft<br />

am 08.06.2011.<br />

Abb. 18 László Moholy-Nagy, Photogram, 1926. Online verfügbar unter:<br />

http://farm3.static.flickr.com/2331/3598009224_e6167cfddc.jpg, zuletzt<br />

geprüft am 08.06.2011.<br />

Abb. 19 Nancy Burson, Mankind (An Oriental, a Caucasian and a Black, weighted<br />

according to current population statistics), 1982-1985. In: Wolf, Sylvia:<br />

The digital eye. Photographic art in the electronic age. Prestel,<br />

München, 2010.<br />

Abb. 20 Jeff Wall, The Giant, 1992. In: Wolf, Sylvia: The digital eye. Photographic<br />

art in the electronic age. Prestel, München, 2010.<br />

Abb. 21 Bernd und Hilla Becher, Wassertürme, D 1965 - 1982, Typologie von 9<br />

Schwarz-weiß-Fotografien, je 40 x 30 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.):<br />

Die Düsseldorfer Photoschule. 1. Aufl., Schirmer Mosel, München,<br />

2009.<br />

V


Abb. 22 Thomas Ruff, Porträt, 1987 (Selbstportrait), C-Print / Diasec Face ,<br />

210 x 165 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule.<br />

1. Aufl., Schirmer Mosel, München, 2009.<br />

Abb. 23 Thomas Ruff, nudes ry 08, 2002, C-Print / Diasec Face, 155 x 110 cm.<br />

In: Gronert, Stefan (Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule. 1. Aufl., Schirmer<br />

Mosel, München, 2009.<br />

Abb. 24 Thomas Ruff, jpeg nt02, 2006, C-Print / Diasec Face, 242,6 x 184,8<br />

cm. In: Ruff, Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />

Abb. 25 Thomas Ruff, jpeg nt02, 2006, C-Print / Diasec Face, 242,6 x 184,8<br />

cm, (Detail). In: Ruff, Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />

Abb. 26 Thomas Ruff, jpeg ny02, 2004, C-Print / Diasec Face, 269 x 364 cm.<br />

In: Ruff, Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />

Abb. 27 Thomas Struth, Paradise 1 (Pilgrim Sands), Daintree/Australien, 1998,<br />

C-Print / Diasec Face, 235,7 x 185 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.): Die<br />

Düsseldorfer Photoschule. 1. Aufl., Schirmer Mosel, München, 2009.<br />

Abb. 28 Thomas Ruff, jpeg pt03, 2006, C-Print / Diasec Face, 249 x 188 cm.<br />

In: Ruff, Thomas: Jpegs. DuMont, Köln, 2009.<br />

Abb. 29 Andreas Gursky, Niagara Falls, 1989, C-Print / Diasec Face, 280 x<br />

222,1 cm. In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln, 2007.<br />

Abb. 30 Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007, C-Print / Diasec Face, 307 x<br />

215,5 cm. In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln, 2007.<br />

Abb. 31 Andreas Gursky, Pyongyang I, 2007, C-Print / Diasec Face, 307 x<br />

215,5 cm, (Detail). In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln,<br />

2007.<br />

Abb. 32 Andreas Gursky, Ocean VI, 2010, C-Print / Diasec Face, 340,9 x 249,4<br />

cm. Online verfügbar unter:<br />

http://www.creativereview.co.uk/images/uploads/2010/05/<br />

andreas_gursky.ocean_vi_2010_0.jpg, zuletzt geprüft am 11.06.2011.<br />

Abb. 33 Andreas Gursky, Hamm, Bergwerk Ost, 2008, C-Print / Diasec Face,<br />

307 x 223,5 cm. In: Gronert, Stefan (Hg.): Die Düsseldorfer Photoschule.<br />

1. Aufl., Schirmer Mosel, München, 2009.<br />

Abb. 34 Candida Höfer, Stadtbibliothek Stockholm, 1993, C-Print, 38 x 57 cm.<br />

In: Krüger, Michael: Candida Höfer Monographie. Schirmer Mosel,<br />

München, 2003.<br />

Abb. 35 Andreas Gursky, Bibliothek, 1999, C-Print / Diasec Face, 208 x 398,5<br />

cm. In: Weski, Thomas: Andreas Gursky. Snoeck, Köln, 2007.<br />

VI


Erklärung<br />

Hiermit erkläre ich, dass ich die Arbeit selbstständig und ohne Benutzung ande-<br />

rer als <strong>der</strong> angegebenen Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe.<br />

München, den 20. Juni 2011<br />

Nikolai Klassen<br />

VII

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