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Download - Wohnbau - TU Wien

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Sabine Pollak<br />

WOHNEN UND PRIVATHEIT<br />

Materialien zur Vorlesung im Modul <strong>Wohnbau</strong> 12/13<br />

Sämtliche Texte und Bilder sind nur für Unterrichtsszwecke bestimmt und dürfen nicht<br />

veröffentlicht oder kopiert werden, auch nicht Teile der Texte!<br />

Der Beginn des Privaten, das Ende des Öffentlichen<br />

Ende 1998 hatten über fünfzehn Millionen japanische Zusehende jeden Sonntag<br />

im Abendprogramm eines japanischen Fernsehsenders den 23- jährigen Japaner<br />

Nasubi in seinem kleinen Apartment beobachtet. Die beliebteste Reality-Serie des<br />

Jahrzehnts, Susunu! Denpa Sho-Nen (Don’t Go For It, Electric Boy!) wurde unter<br />

untergewöhnlichen Bedingungen gedreht: Nasubi war vollkommen nackt in das<br />

Apartment gesperrt worden und musste sich, bis auf eine kleine Anfangsration,<br />

alles Lebensnotwendige über Preisausschreiben gewinnen. Wenn er die<br />

Gewinnsumme von einer Millionen Yen erreicht hätte, würde er frei gelassen<br />

werden. Im leeren Apartment wurden ihm dazu Stapel von Zeitschriften und<br />

Postkarten bereit gestellt, von denen er monatlich Tausende abschickte. Nach<br />

einiger Zeit gewann er einen Sack Reis, aber auch für ihn unbrauchbare Dinge wie<br />

ein Fahrrad oder Tickets für eine Kinovorführung. Das einzige Stück Privatheit, das<br />

Nasubi während seiner einjährigen Beobachtung beanspruchen konnte, war ein<br />

dunkler Fleck, den die Zensur während der Übertragung über seinem Geschlecht<br />

platzierte.<br />

Seit dem Beginn von Reality-TV Anfang der 1970er Jahre mit der Dokumentation<br />

An American Family, der Loud Family (USA, 1973) scheint das Interesse am<br />

Privatleben Anderer ungebrochen. Zwölf Monate lang wurde die Familie Loud in<br />

Santa Monica, Kalifornien gefilmt und bot den Zusehenden Alltag, Liebe, Streit<br />

bis hin zu Details wie Homosexualität und letztlich der Scheidung der Eltern. Das<br />

Zurschaustellen intimster Handlungen ist mittlerweile Gewohnheit geworden,<br />

und dennoch produzieren Szenen intimster Alltäglichkeit nach wie vor den latenten<br />

Voyeurismus der Zusehenden. Der Wunsch nach dem Eindringen in fremde<br />

Privatwelten ist augenscheinlich ebenso beständig wie der Wunsch nach Privatheit<br />

selbst. Und es ist ebendieser Wunsch nach dem Eigenen, dem Uneingesehenen<br />

und dem Abgeschotteten, der die Architektur des Wohnens seit Jahrhunderten<br />

mehr als Moden, Stile und Modelle bestimmt. Der folgende Text nähert sich den<br />

jeweiligen Ausformulierungen und Interpretationen von Privatheit im Wohnen westlicher<br />

Kultur an, seien diese historisch bedingt, als Symbol verstanden, als Mode<br />

transportiert oder als radikaler Versuch einer Neuordnung des privaten Wohnens<br />

getestet. Weder chronologisch noch vollständig, sondern eher assoziativ wird versucht,<br />

den Konventionen und Alltäglichkeiten, den Grenzen und Überschreitungen<br />

des Privaten auf die Spur zu kommen.<br />

Dabei geht es um Phänomene des Privaten, vor allem jedoch um Praktiken des<br />

Privaten, also Essen, Schlafen, Erholen, Hauswirtschaften, Sexualität. Auch wenn<br />

diese Praktiken im ersten Moment frei wählbar scheinen, so gehorchen sie trotz<br />

der intimen Sphäre einem relativ genauen Regelwerk. Die richtige Ausübung<br />

dieser Praktiken funktioniert über geschriebene oder überlieferte Verhaltensregeln,<br />

sie kann jedoch nur auch über räumliche Codierungen funktionieren. Die präzise<br />

Auswahl, Organisation und Positionierung von Materialien, Begrenzungen und<br />

Gegenständen sind wichtige Bestandteile von Codierungen, über die jede einzelne<br />

Praktik des Privaten präzise bestimmt wird. Die Oberfläche jedes häuslichen Privaten<br />

formiert also letztlich ein sehr genau definiertes Terrain, auf dem die gesellschaftliche<br />

Konventionen ausgetragen werden: Die Gesetze der Gastfreundschaft,<br />

die Verteidigung der Sicherheit und des Eigentums des Privaten, die Ausübung<br />

vordefinierter Geschlechterrollen, die Praktiken der Sexualität, die Wahrung der<br />

häuslichen Hygiene, die körperliche Erholung und das Einhalten ehelicher Vereinbarungen.<br />

Das Funktionieren dieser Konventionen wird vor allem über räumliche<br />

Codes sichergestellt. Die Konventionen des Privaten funktionieren also nur über<br />

Architektur.<br />

An American Family, The Loud Family<br />

USA, 1973. Pat, Bill, Lance, Delilah, Grant,<br />

Kevin and Michelle Loud, 10 MIO Zusehende<br />

Phänomene, Praktiken, Alltäglichkeiten,<br />

Traditionen und Überschreitungen von Privatheit<br />

Privatheit radikal anders: Superstudio 1972.<br />

Neue NomadInnen treffen sich auf der neutralen<br />

Fläche eines allumspannenden Rasters


Zuordnungen, Unterscheidungen, Trennungen<br />

1979 installierte die kroatische Künstlerin Sanja Ivekovic 1979 eine achtzehnminütige<br />

Aktion an der Schnittstelle zwischen privat und öffentlich. Tag der Handlung:<br />

der Tag, an dem der Präsident Tito die Stadt besucht. Eine Parade wird ihm zu Ehren<br />

abgehalten. Ort der Handlung: der Balkon der Privatwohnung der Künstlerin.<br />

Ivekovic betritt den Balkon mit einem Whiskeyglas und einem Buch in der Hand.<br />

Sie registriert einen Polizisten am Dach des Wohnhauses gegenüber und einen<br />

auf der Straße, beide mit Funkgeräten. Sie setzt sich und gibt vor, eine intime<br />

Handlung, eine Masturbation durchzuführen, so lange, bis ein Polizist an ihrer Türe<br />

läutet und befiehlt, augenblicklich alle Personen und Objekte von dem Balkon zu<br />

entfernen. Ivekovic dokumentiert die von ihr „Triangle“ (die zwei Polizisten und die<br />

Künstlerin als Dreieckkonstrukt) benannte Aktion mit Fotografien und einer pragmatischen<br />

Beschreibung des Ablaufs der Aktion. In dieser Mischung aus Pragmatik<br />

und Radikalität thematisiert Triangle die (scheinbare) Freiheit im Privaten sowie die<br />

(scheinbare) Freiheit in der ideologisch aufgeladenen Stadtlandschaft im sozialistischen<br />

Zagreb der ausgehenden 1970er Jahre zugleich.<br />

Das Terrain, auf dem die gesellschaftlichen<br />

Konventionen ausgetragen werden (durch<br />

Architektur): Verteidigung der Sicherheit und<br />

des Eigentums des Privaten, die Ausübung<br />

vordefinierter Geschlechterrollen, die Praktiken<br />

der Sexualität, die Wahrung der häuslichen<br />

Hygiene, die körperliche Erholung und<br />

das Einhalten ehelicher Vereinbarungen.<br />

Was bedeutet privat, was bedeutet öffentlich Wie veränderten sich die beiden<br />

Kategorien im Laufe der Zeit Welche Freiheiten und welche Form von Kontrolle<br />

bestimmen die beiden Raumkategorien heute Welche Bilder von Privatheit<br />

bleiben unverändert, welche Sehnsüchte nach Privatheit bleiben unerfüllbar Wie<br />

definiert man die Konvention von Privatheit und wie überwindet man diese Folgt<br />

man Hannah Ahrendt, so beschreibt diese Öffentlichkeit als die Teilnahme der Polis<br />

an der Öffentlichkeit auf der Agora (der griechischen Antike). Sie sei dem freien<br />

Bürger (wohl hauptsächlich dem männlichen Bürger, folgt man etwa Richard Sennett)<br />

vorbehalten gewesen, der die Lebensnotwendigkeiten des privaten Haushalts<br />

(Oikos) überwunden habe. Privatheit hingegen definiere sich als die Sphäre des<br />

Eigentums (nicht des Besitzes) im Haushalt des freien Bürgers.<br />

Die Zuordnungen von Wohnen und Arbeiten, die Wunschvorstellung von einem<br />

haus mit Garten im Grünen sowie die damit verbundenen geschlechtlichen Zuordnungen,<br />

ausformuliert vor allem in den Planungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts,<br />

haben ihre Ursprünge in historischen Vorbildern und Zuordnungen<br />

und wurden über die Jahrhunderte wiederholt reformuliert. Bereits der Raum der<br />

griechischen Antike etwa wurde durch die Dualismen öffentlich/privat, innen/außen<br />

und männlich/weiblich geprägt. Die antike griechische Stadt basierte auf der<br />

Paarung von polis (Stadtstaat, die Gesamtheit der freien männlichen Bürger) einerseits<br />

und privatem Haus, Haushalt und Familie oder oikos andererseits.<br />

Leon Battista Alberti, 1570:<br />

Sakralbauten „...dass man zu ihrer Hoheit und<br />

zur Bewunderung ihrer Schönheit nichts mehr<br />

hinzufügen könnte“<br />

Privatbauten „...dass man ihnen dagegen<br />

nichts scheint wegnehmen zu können, was<br />

mit ausnehmender Würde verbunden wäre.“<br />

Der präzisen Unterscheidung zwischen öffentlicher Stadt und privatem Heim entsprachen<br />

ebenso präzise verteilte Aufgaben für Mann und Frau: Die männlichen<br />

Bürger mussten die polis in Form von politischen Ämtern aufbauen und in Form<br />

von Kriegsdienst verteidigen, Frauen hingegen mussten den oikos versorgen. Sie<br />

hatten keine Bürgerrechte und übten bis auf soziale Arbeit innerhalb der Familie<br />

keinerlei berufliche Tätigkeiten aus. Polis und oikos widerspiegelten also auch<br />

Mann und Frau. Das Bild der antiken Stadt reflektierte in Plan und Struktur die<br />

Differenzierung zwischen öffentlichem und privatem sowie zwischen männlichem<br />

und weiblichem Körper.<br />

Dieser Differenzierung lag eine wissenschaftliche Theorie zugrunde, die Basis<br />

für alle naturwissenschaftlichen Theorien wie auch für die gesellschaftliche und<br />

räumliche Ordnung innerhalb der antiken Stadt bildete. In naturwissenschaftlichen<br />

Schriften, wie sie etwa von Aristoteles verfasst wurden, wird das größte Augenmerk<br />

auf die Temperatur des Körpers gelegt. Die jeweilige Wärme oder Kälte<br />

des Körpers bestimmte dessen Gesundheit und Konstitution sowie letztlich auch<br />

dessen Geschlecht. Mediziner und Philosophen waren überzeugt davon, dass<br />

jeder Körper von einer Flüssigkeit durchströmt werde, deren Temperatur wiederum<br />

die Trennung der Geschlechter bestimmte. Die Grundtheorie dafür war die „Elemente-<br />

oder Säftelehre“, die im fünften Jahrhundert vor Christus von den „jüngeren<br />

Naturphilosophen“ entwickelt wurde.<br />

Sanja Ivecovic, Triange. Eine Performance zur<br />

scheinbaren Freiheit im Privaten.


Alkmeon von Kroton oder Empedokles von Agrigent vertraten etwa zwischen 530<br />

bis 430 vor Chr. die Theorie, dass die Gesundheit und Konstitution des menschlichen<br />

Körpers durch die vier Grundelemente Wasser, Feuer, Luft und Erde sowie<br />

durch eine ständige Mischung und Entmischung dieser vier Elemente definiert<br />

wurde. Diese Elemente- oder Säftelehre wurde von der Medizin der Neuzeit<br />

übernommen und besaß bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Gültigkeit. Sie ordnete<br />

von Beginn an Mann und Frau unterschiedliche Grundelemente und somit auch<br />

unterschiedliche Eigenschaften zu. Sämtliche medizinische Theorien, die also auf<br />

der Basis der antiken Säftelehre aufbauten, gingen von vornherein von geschlechtlich<br />

differenzierten physischen wie auch psychischen Eigenschaften des menschlichen<br />

Körpers aus. Somit wurde eine der Grundvoraussetzungen der Differenz von<br />

Mann und Frau fünf Jahrhunderte vor Christus festgelegt und über Jahrhunderte<br />

hindurch überliefert, um schließlich bis in das späte 19. Jahrhundert als natürliche<br />

Entität, die von nahezu niemandem angezweifelt werden konnte, zu bestehen.<br />

verbunden.<br />

Analog zu den vier Grundelementen identifizierten die Theoretiker der Antike vier<br />

Körpersäfte, Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, die vier dazugehörigen<br />

Organe Herz, Gehirn, Leber und Milz sowie die vier elementaren Qualitäten warm,<br />

feucht, kalt und trocken. Wenn die Mischung der einzelnen Säfte bzw. Elemente<br />

stimmte, war der Körper gesund, wenn die Mischung aus dem Gleichgewicht<br />

geriet, wurde der Körper krank (eukrasie versus dyskrasie von eu = gut, krásis =<br />

Mischung und dys = fehlerhaft). Der männliche Körper wurde als warmer und damit<br />

gesunder Körper assoziiert, der weibliche und damit kalte Körper als abnormal<br />

und krank. Desgleichen wurden jene Männer, die nicht dem gängigen Bild von<br />

Männlichkeit entsprachen, als „verweiblicht“ und mit zu kalter Flüssigkeit verbunden.<br />

Diese Differenzierung in kalte und warme Körper definierte den gesellschaftlichen<br />

Status von Mann und Frau ebenso wie die räumliche Teilung der Stadt in<br />

einen öffentlichen und einen privaten Raum. Betrachtet man Pläne antiker Städte<br />

wie etwa jene von Athen, so vermag man die Theorie von warmen und kalten Körpern<br />

in der Einteilung der Stadt ebenso zu lesen wie in der Einteilung der privaten<br />

Häuser selbst.<br />

Eingang, Hof, Andron, Oikos<br />

Mann/Frau, hell/dunkel, sprechen/schweigen,<br />

stark/schwach, öffentlich/privat<br />

Die Theorie einer geschlechtlichen Einteilung schrieb sich gleichermaßen in Boden<br />

und Stein der Stadt ein, um als unumstößliches Grundgesetz das Leben der Stadt<br />

nahezu Jahrhunderte lang zu dominieren. Sämtliche öffentlichen Einrichtungen auf<br />

der Agora dienten der Bewegung und Artikulation der männlichen Bürger, entsprechend<br />

wichtig wurde die Akademie als Ausbildungsort dieser Bürger verstanden.<br />

Die Unterscheidung in Oikos, was ja mehr umfasste als das Haus allein, und fein<br />

abgestimmte und differenzierte Öffentlichkeit der Agora lässt sich mit Sicherheit<br />

nicht mehr auf heutige Gegebenheiten übertragen. Weder sind die komplexen<br />

Organisationseinheiten eines Oikos noch mit heutigen Wohnungen zu vergleichen,<br />

noch zeigen öffentliche Räume heute auch nur irgendeine Ähnlichkeit mit der Agora<br />

in der griechischen Antike.<br />

Mit Sicherheit haben sich auch heute sämtliche Grenzen, vormals dicke Mauern<br />

zwischen einem völlig in sich geschlossenen Inneren und einem offenen, freien<br />

Außen, verschoben. Bis an das Ende des 19. Jahrhunderts war diese Grenze in<br />

europäischen Städten noch mehr als präsent, als sich Öffentlichkeit mit wuchtiger<br />

Präsenz monumentaler Typologien behauptete und die Stadt laut, schnell, dicht<br />

und schmutzig, eben zutiefst öffentlich war. In dieser Stadt schien auch die Definition<br />

des Privaten einfach.<br />

Haus/Agora/Akademie, private und öffentliche<br />

Einrichtungen, die der Physis und der Psyche<br />

von Mann und Frau entsprechen.<br />

Am Ende des 19. Jahrhunderts definierte sich privat allein durch seine Unterscheidung<br />

zum Öffentlichen, privat bildete die intime Höhle im monumentalen<br />

Öffentlichen und schirmte ab vor Lärm, Chaos und Gefahr. Am Beginn des 20.<br />

Jahrhunderts wurde diese Unterscheidung zunehmend unklarer. Moderne Planung<br />

assoziierte mit der neuen Stadt vor allem eine größtmögliche Leere zwischen<br />

Objekten. Öffentlicher Raum sollte so neutral und daher auch so leer wie möglich<br />

sein, Wohnen sollte ebenso neutral (zumindest in Hinsicht auf Erschließung und<br />

Belichtung) und daher so gleichförmig wie möglich sein.<br />

Privatheit als schwer zu definierendes, jedoch<br />

universelles Modell.


Paradigmatisch für diese Haltung der Moderne steht etwa ein Entwurf von Ludwig<br />

Hilberseimer für Berlin Mitte der 1920er Jahre. Parallele, identische Scheibenhäuser<br />

stehen möglichst weit voneinander entfernt, der Raum zwischen den Scheiben<br />

fungiert als das, was er zu sein hatte, als ein Korridor für den Durchzug von<br />

frischer Luft und hat all das verloren, was bislang den öffentlichen Raum der Stadt<br />

definiert hatte: Dichte, Reibung, Auseinandersetzung, Sensation. Auf die Sensation<br />

der Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Ereignisse folgte die visuelle Sensation von<br />

Leer- und Grünräumen.<br />

Vor allem seit der Einbeziehung von Medien in private Haushalte (seit den 1930er<br />

Jahren Radio und seit den 1960er Jahren Fernsehen) verlagern sich Grenzen<br />

zwischen öffentlich und privat schneller als je zuvor und zwar in beide Richtungen.<br />

Eine Schnittstelle dabei wurde im Jahr 1991 markiert. „Live as it happens“, so<br />

nannten amerikanische Fernsehsender wie CNN oder FOX News Sendungen über<br />

den Golfkrieg. Angebliche Direktübertragungen vom Krieg in private Haushalte<br />

- ein sauber definiertes Ziel, zerschossene gegnerische Panzer, ein einsamer<br />

Soldat im Sonnenuntergang - ermöglichten es den amerikanischen BürgerInnen,<br />

den Krieg im Privaten hautnah zu erleben. Man erfand das so genannte<br />

Frühstücksfernsehen neu und beide Sender steigerten mit zensurierten Bildern<br />

ihre Einschaltquoten enorm. USA rechtfertigte die Zensur, man hätte schließlich<br />

schon den Vietnamkrieg nur auf Grund falscher Medienberichterstattung verloren.<br />

2009 wiederum war es umgekehrt und ein Medium, das bislang hauptsächlich<br />

zum Austausch von privaten Belanglosigkeiten benutzt worden war, wurde höchst<br />

öffentlich. Am 16. Juni 2009 riefen iranische Demonstrantinnen via Twitter zur<br />

Teilnahme an den Protesten gegen die widersprüchliche Wahl des Präsidenten<br />

auf. Zum Einen kamen Tausende auf die Straßen, zum Anderen erfuhr die<br />

gesamte Welt über die Vorgänge. Die iranische Regierung brauchte lange, um<br />

das social network zu durchschauen. Aufrufe wie „jeder filmt heute so viel er kann<br />

mit der Handykamera“ wurden befolgt, die Bilder wurden ins Netz gestellt und<br />

die weltweiten NutzerInnen übten Druck auf Twitter aus, worauf die Betreibenden<br />

sogar auf die periodischen Wartungszeiten verzichteten. Twitter wurde, so war in<br />

den Meiden zu lesen, im Zuge dieser Berichte erwachsen, es erlangte erstmals<br />

politische Dimension. Die Straßenschlachten fanden real statt, die Revolution<br />

digital.<br />

Ludwig Hilberseimer, Berlin: Neutrales Wohnen,<br />

neutrale Öffentlichkeit<br />

Kann man im Haus Tugendhat wohnen Mies<br />

van der Rohe, Haus Tugendhat, Brünn 1929<br />

Erste Privatheit, private Gegenstände<br />

„Privat“ ist ein nur relativ zu beschreibender Begriff und Privatheit daher ein<br />

ebenso relatives und dehnbares Konzept. Sucht man nach der etymologischen<br />

Erklärung, so wurde der Begriff privat im 16. Jahrhundert aus dem Lateinischen<br />

entlehnt, in dem die ursprüngliche Bedeutung von privare berauben und befreien<br />

bedeutete: Die Eigenschaft privatus bezeichnete etwas, das der Amtsgewalt<br />

oder Herrschaft beraubt, vom Staat und von der Öffentlichkeit abgesondert,<br />

für sich stehend, einzeln, eigentümlich oder einer Sache beraubt war. Diese<br />

Erklärungen verdeutlichen, dass dem Inbegriff des Persönlichen, Individuellen und<br />

Unbeobachteten vorerst ein gewaltsamer Akt der Befreiung vorausgegangen war.<br />

Wahlen Iran, 2009. Twitter wird erwachsen<br />

Am Beginn einer ersten Individualität im Wohnen kam dem Begriff des Privaten<br />

also weitaus mehr Bedeutung zu, als wir es heute in unserem allgemeinen Sprachgebrauch<br />

vermuten, denn die Eigenschaft privat bezeichnete alles das, was erfolgreich<br />

der Kontrolle des Staates oder der Kirche geraubt worden war. Von da an<br />

beschreibt nun privat alles das, was persönlich, vertraulich, nicht amtlich, heimlich,<br />

zurückgezogen oder nicht öffentlich, einem mehr oder weniger einzelnen gehörend<br />

und nicht staatlich ist. Erste Privatheit wurde ab dem 16. Jahrhundert nicht über<br />

Räume, sondern über Gegenstände manifestiert. Das Schreiben von Briefen oder<br />

das Sammeln von Souvenirs als Andenken an geliebte Personen schufen einen<br />

virtuellen privaten Raum, dem Kästchen, Truhen und Schränke folgten, die in der<br />

Renaissance etwa ganze Häuser im Haus formierten. Über Gegenstände und Gewohnheiten<br />

wurde das formiert, was wir seit jeher unter Privatheit verstehen. Das<br />

universelle Modell des Konzeptes Privatheit bleibt trotz aller Stilwandel, Moden<br />

und Umwälzungen und trotz aller kulturellen Unterschiede und Merkmale unglaublich<br />

bestän dig.<br />

Die Sondermodelle des Peter Fritz: Idente<br />

Abfolgen von öffentlich, repräsentativ, privat<br />

bis intim. Eingang, Wohnzimmer, Esszimmer,<br />

Küche, Bad, Schafzimmer.


Die meisten Wohnkonzepte wenden bis heute das selbe Modell konventioneller<br />

Privatheit an, wie es seit Jahrhunderten durch Architektur verwirklicht wird. Bis<br />

heute wird eine Serie unterschiedlicher Räume in einer graduellen Abstufung von<br />

öffentlich, repräsentativ, familiär, privat bis intim aneinander und übereinander gereiht,<br />

wie es der allgemein anerkannten und geforderten Vorstellung von Privatheit<br />

entspricht.<br />

In nahezu allen privaten Häusern liegen die formal-repräsentativen Räume wie<br />

Wohnzimmer und Esszimmer nahe dem Eingang, wo auch die Küche liegt, um<br />

Familie und Fremde schnell zu versorgen, und die intimen Individualräume wie<br />

Schlafzimmer, die Räume für körperliche Reinigung, Regeneration und Sexualität<br />

liegen in dem von der Öffentlichkeit am weitesten entfernten Teil der Privatheit, um<br />

das repräsentative Bild des Privaten nicht mit der Emotion und der Sinnlichkeit von<br />

intimen Vorgängen zu kontaminieren.<br />

In der Projektierung und Realisierung des Privaten reproduziert Architektur bis<br />

heute im Normalfall jenes traditionelle, konventionelle und gängige Bild von<br />

Privatheit, das sich (zumindest) seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis auf modische<br />

oder stilistische Eigenheiten kaum verändert hat. Sie realisiert die rigorose<br />

Abgrenzung all dessen, was außerhalb des Privaten liegt, das Ausschließen von<br />

allem Fremden aus diesem Privaten, eine ebenso rigorose Aufteilung des Privaten<br />

in intim, privat und repräsentativ sowie die Wahrung des intakten „öffentlichen“<br />

Bildes der Privatheit in den gängigen Emblemen wie Blumenfenster oder „Picture<br />

window“, Fußabstreifer, Rasen, Vorhänge, Gartenzwerge, Briefkasten, Jalousien,<br />

Garage, Haustiere, Namensschilder, Adressen etc. Privatheit wird bei aller Relativität<br />

dennoch mit einem universellen Wert verbunden. Seit den Anfängen bürgerlichen<br />

Wohnens im 16. und 17. Jahrhundert westlicher Kultur besteht ein von<br />

kulturellen und zeitlichen Merkmalen nahezu unabhängiger und gleichbleibender<br />

Wunsch nach der Verwirklichung von Privatheit: es steht als Synonym für Individualität,<br />

Subjektivierung und Repräsentation. Realisiert durch Ausgrenzung und<br />

Abgrenzung von dem, was augenblicklich zu einem „Anderen“ wird, sobald es vom<br />

„Eigenen“ ausgeschlossen wird. Diese Formierung eines „Anderen“ ist ein ebenso<br />

relatives Konzept, das sich jedoch ebenso standhaft behauptet wie das, was<br />

eingeschlossen ist. Es ist immer das Andere, das definiert werden muss, um das<br />

Eigene behaupten zu können. In der Formierung dieses Anderen findet sich auch<br />

das, was alle Konzepte des Privaten trotz aller Relativität strategisch verbindet.<br />

„Gesellschaften werden immer ein konstitutives Anderes brauchen, das der eigentliche<br />

Grund ihres Zusammenhaltes ist.“, schreibt etwa Georg Schöllhammer 1998.<br />

„Es ist dieses Außen, das ihnen die Existenz versichert, das ständig neu evaluiert<br />

wird.“<br />

Der Beginn von Privatheit: Das Schreiben von<br />

Briefen, Sammeln von Souvenirs<br />

Die Embleme des Privaten: Blumenfenster,<br />

Kamin, Sitzgarnitur<br />

Das Private bei Walter Benjamin<br />

Zurück zum prototypischen Privaten des 19. Jahrhunderts. „...Ein Stimulans des<br />

Rausches und des Traums...“ - mit einem durch Haschischrauchen verursachten<br />

Zustand vergleicht Walter Benjamin im Passagenwerk diesen „innersten<br />

Kern bürgerlicher Gemütlichkeit“, das Interieur des privaten Wohnens des 19.<br />

Jahrhunderts. „In ihnen leben“, schreibt er weiter, „war ein dichtes sich eingewebt,<br />

sich eingesponnen haben in ein Spinnennetz, in dem das Weltgeschehen<br />

verstreut, wie ausgesogene Insektenleiber herumhängt.“ - ein verstricktes und<br />

versponnenes, mit „ausschweifender Tapezierkunst“ verkleidetes Inneres, eine<br />

Höhle, in die das Äußere des öffentlichen Geschehens nur soweit zugelassen<br />

wurde, als es kokonhaft und bedeutungslos wie Rauch im Raum hängt, ohne<br />

diesen wirklich zu besetzen. Dieses Interieur des ausgehenden 19. Jahrhunderts,<br />

bestehend aus unzähligen Teilen eines Mobiliars, verkleidet in Stilen aller<br />

vergangenen Epochen, abgeschlossen, verhüllt und angefüllt steht bis heute<br />

prototypisch für das Konzept des Privaten schlechthin. In einer Zeit, als sich<br />

Großstädte zu formieren begannen und große öffentliche Bauten diese besetzten,<br />

wurde der Rückzug in das Private wichtiger denn je, man füllte es mit umso mehr<br />

Schichten und Gegenständen, um die Grenze zwischen innen und außen zu<br />

verdichten, zwischen der Wohnung und dem öffentlichen Raum wurden (je nach<br />

Wohlstand) ganze Abfolgen von Entrees, Vorräumen, Fluren und Comptoirs, um<br />

die Berührung zwischen innen und außen hinauszuzögern.<br />

Ulrich Seidl, Hundstage, 2001. Ganz normale<br />

Privatheit.


Der Begriff des Privaten ist nicht nur mit einem universellen Wert verbunden,<br />

„Privatleben“, „Privatsphäre“ und die Abgrenzung eines „private home“ von der<br />

Kontrolle der Öffentlichkeit stehen auch für ein universelles Modell westlicher<br />

Kultur, das zugleich für ein universelles und kollektives Begehren steht, dem<br />

Begehren nach Einzigartigkeit innerhalb einer Masse an Gleichförmigkeit und dem<br />

kollektiven Begehren nach dem Besitz dessen, was von niemandem genommen<br />

werden kann: die eigenen vier Wände. Dieses universelle Modell geht von einem<br />

Paradigma aus, das die Grundlage jedes architektonischen Konzeptes seit der<br />

Antike bestimmt, dem Paradigma eines geteilten Raumes. Es teilt des Raum in<br />

einen hierarchisch höher gestellten Raum des öffentlichen Lebens und in einen<br />

zweitrangigen Raum des privaten Wohnens, in einen Raum der Arbeit und der<br />

Erholung, in einen Raum der Produktivität und der Reproduktivität, in ein Innen<br />

und ein Außen, in Kultur und Natur. In allen Konzepten der Architektur wird von<br />

vornherein von der Existenz zweier solcher Raumhälften ausgegangen, in denen<br />

sich die eine Hälfte des Raumes ständig von der anderen Hälfte abgrenzen<br />

muss. Architektur übersetzt diesen geteilten Raum durch gezielte Strategien<br />

einer Aus- und Abgrenzung in prototypische Konzepte des privaten Wohnens: in<br />

dicke Mauern oder zumindest solche, die Dicke vortäuschen, um das Außen vom<br />

Innen fern zu halten, in Zäune, die das Private gegen das Öffentliche abgrenzen,<br />

und in variable, schließbare und limitiert gewählte Öffnungen, die nur bestimmte<br />

Informationen von außen in das Innere einfließen lassen und diese über Schichten<br />

so lange filtern, bis sie reibungslos in das Private übergehen können.<br />

Das Interieur des 19. Jahrhunderts: Schichten,<br />

um sich im Inneren vom Äußeren abzugrenzen<br />

Öffentlichkeit versus Privatheit: Grenzen und Abgrenzung<br />

Tatsächlich war das, was wir heute als typisch privat verstehen wie etwa Darstellungen<br />

holländischer Interieurs aus dem 17. Jahrhundert oder Stadtvillen aus<br />

dem 19. Jahrhundert immer schon von Öffentlichkeit durchsetzt und auch Medien<br />

waren im Privaten immer schon vertreten. In Bildern des niederländischen Malers<br />

Jan Vermeer etwa aus dem frühen 17. Jahrhundert sind die in der privaten Häuslichkeit<br />

abgebildeten Personen fast ausschließlich am Fenster, also an der Schnittstelle<br />

zwischen dem Wohnen und der Straße dargestellt. Immer fällt Licht durch<br />

dieses Fenster in das Innere, oft ist das Fenster geöffnet und die Personen richten<br />

den Blick offen und direkt nach außen. In vielen Darstellungen zeugen zudem<br />

Applikationen an den Wänden von einer zusätzlichen Verbindung mit dem Außen.<br />

Landkarten, die im Hintergrund anstelle von Bildmotiven als Wandschmuck in den<br />

Privathäusern zu sehen sind, erzählen von dem offenen, also der Öffentlichkeit<br />

zugewandten Geist der BewohnerInnen, sie bilden ein zusätzliches Fenster, das<br />

Ausblicke in andere Welten erlaubt und sind Vorläufiger heutiger Bildschirme. So<br />

antizipiert eine solche Karte etwa in dem 1657 fertig gestellten Bild „Lachendes<br />

Mädchen und Beamter“ neben dem tatsächlichen Fenster eine weitere Öffnung im<br />

Privaten, wie es heute Computer in nahezu allen privaten Interieurs darstellen.<br />

Öffentlichkeit am Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

als Gegensatz zum Privaten<br />

Auf Karte wie auch auf Bildschirm richtet man den Blick, wenn man mittels Bilder<br />

abschweifen will, ohne wirkliche Objekte betrachten zu müssen, aus dem Fenster<br />

sieht man, wenn man das konkrete Außen sehen will. Auch die junge Frau, die in<br />

dem 1664 gemalten Bild einen Wasserkrug in der Hand hält, ist einerseits gerade<br />

im Begriff, das Fenster zu öffnen und steht andrerseits vor dem „Fenster“ einer<br />

Landkarte, die in diesem Bild deutlich im Hintergrund zu erkennen ist. 1672 bildet<br />

Vermeer eine junge Frau mit ihrer Magd am Schreibtisch sitzend wiederum vor<br />

dem Fenster ab. Beide Frauen kommunizieren mit der Außenwelt. Während die<br />

Magd neugierig aus dem Fenster blickt, schreibt die Frau einen Brief, über den sie<br />

mit der Außenwelt in Kontakt tritt. Fenster, Landkarte und Briefe dienen vor allem<br />

den Frauen des 17. Jahrhundert zu einer komplexen Kommunikationsform mit<br />

einem Außen und einer Öffentlichkeit, die von den männlichen Stadtbewohnern<br />

beherrscht wurde, von der sie jedoch nicht zur Gänze ausgeschlossen schienen.<br />

Auch das 200 Jahre zuvor entstandene, berühmte Porträt von Giovanni Arnolfini<br />

und seiner Frau, das Jan van Eyck 1434 malte, zeigt im Hintergrund des Bildes<br />

eine Öffnung, die neben dem herkömmlichen Fenster eine Verbindung zum Außenraum<br />

sowie zum reflektierten Innenraum zugleich erzeugt. In diesem Spiegel,<br />

der im Zentrum des Bildes liegt, wird auch der Blick, den man auf das Bild wirft,<br />

fokussiert.<br />

Case Study Häuser: Unkonventionelle Materialien,<br />

konventionelle Privatheit


Betrachtet man den Spiegel genauer, so sieht man die Reflexion von zwei Figuren<br />

im Spiegel, die soeben aus dem Öffentlichen in das Private eintreten, indem sie<br />

die Schwelle des Zimmers überschreiten. Die Figuren erklären sich als der Maler<br />

und sein Gehilfe, die sich hier im Spiegel des selbst gemalten Bildes präsentieren.<br />

Zudem werden in dem Spiegel nicht nur der Boden und die Decke des Zimmers<br />

reflektiert, sondern auch der Himmel und der Garten, der so durch das geöffnete<br />

Fenster in das Innere wörtlich hineingeholt wird. Es scheint also beinahe, als würde<br />

der Spiegel nicht reflektieren, sondern mehr wie ein Loch in der Wand wirken,<br />

durch das man in das Innere und das Äußere dieses Raumes zugleich schauen<br />

kann.<br />

Grenzen zwischen privat und öffentlich, die Variabilität von Schnittstellen<br />

Auch war das Private nicht immer eindeutig zum Öffentlichen abgegrenzt und<br />

Schnittstellen verliefen nicht immer entlang materieller Begrenzungen, sondern an<br />

gesellschaftlich konstruierten Trennlinien. So hat sich innerhalb der Geschichte der<br />

Architektur die Grenze zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen selten an der<br />

Hausaußenseite und der äußersten Schicht der Wand, also der äußersten Kante<br />

des Außenputzes befunden, sondern war oft entweder weit im Inneren des Hauses<br />

selbst zu suchen, oder aber war ausgelagert und lag weit vor dem Gebäude selbst.<br />

Im Haus des 19. Jahrhunderts etwa verlief die Grenze zwischen dem Privaten und<br />

dem Öffentlichen nicht an der Hausaußenkante, sondern entlang einer fiktiven<br />

und doch genau definierten Linie zwischen Entrée, Zimmer des Herrn und Salon,<br />

schloss all diese Räume als weitgehend öffentlich noch in sich ein und endete<br />

mit dem Zimmer der Dame, dessen Charakter beinahe zur Gänze dem Privaten<br />

zugeschrieben wurde.<br />

Im Gegensatz dazu verläuft in Amerikanischen Häusern etwa bis heute<br />

die Grenze zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen nicht an der<br />

Hausaußenkante, die ja auch viel weniger als bei uns Massivität ausstrahlt,<br />

sondern an einer zwar kaum markierten und dennoch von allen akzeptierten Linie<br />

zwischen privater Rasenfläche und Straße, eine Linie, die nicht wie in Europa mit<br />

dichten Hecken bepflanzt ist, sondern meist frei und einsehbar bleibt und durch<br />

elektronische Überwachungen oder Signale wie „Strictly Private“ Unbefugte vor<br />

einem Überschreiten der Grenze bewahrt. In einer Arbeit über den „American<br />

Lawn“ verweisen Elizabeth Diller & Ricardo Scofidio auf die Fiktionalität der<br />

„Hausgrenze“ und Brutalität der Grenzen von „private Properties“, mittels der<br />

sich ein Grundstück vom nächsten abzugrenzen versucht, ohne diese Grenze<br />

tatsächlich materiell zu konstruieren. Sie zeigt sich vielmehr durch graduelle<br />

Unterschiede in der Länge der Grashalme des Rasens, in der Art, wie der Rasen<br />

gemäht ist oder in der Farbe des Rasens, kreiert durch künstliche Düngung. Um<br />

das verborgene Regelwerk an Gesetzen, die die Wahrung der Eigentumsgrenzen<br />

sichern, zu zeigen, die, obwohl nicht sichtbar, jede Überschreitung dieses<br />

Eigentums aufs Schärfste bestrafen, montieren Diller & Scofidio als illustrierende<br />

Texte die in diesen Distrikten aufgenommenen Delikte, in denen Eigentumsrechte<br />

überschritten wurden.<br />

Auch wenn in nahezu allen westlichen Kulturen dem Wunsch nach Privatheit<br />

Genüge getan wird, so ist die Grenze zwischen privat und öffentlich und der Grad<br />

an Öffentlichkeit, der innerhalb des Privaten zugelassen wird, kulturell unterschiedlich.<br />

Während es etwa in ländlichen Regionen durchaus üblich ist, dass Fremde<br />

oft ohne Vorbehalte zumindest bis in die Küche von privaten Häusern gehen,<br />

führt man im städtischen Umfeld eine ganze Reihe von Schichten ein, die zwischen<br />

dem öffentlichen Raum und dem privaten Raum geschoben werden, um<br />

tatsächlichen Kontakt zwischen Fremden und dem Privaten so weit wie möglich<br />

hinauszuzögern. Dafür gibt es im Urbanen weitaus weniger Schranken betreffend<br />

Einsehbarkeit in Privaträume. In den Niederlanden beispielsweise besteht<br />

eine lange Tradition an einsehbaren Privaträumen, die sich durch die Geschichte<br />

der Handelshäuser sowie durch die geringe Fläche zur Belichtung der schmalen<br />

Grundstücke ergibt. Bis heute sieht man oft nicht nur in die großen, raumbreit und<br />

raumhoch verglasten Wohnräume niederländischer Wohnhäuser hinein, die oft<br />

unvermittelt an einen öffentlichen Weg oder an die Kanäle anschließen, man sieht<br />

oft tatsächlich durch diese Häuser hindurch.<br />

Spiegel und Reflexionen: das Äußere wird<br />

in das Innere geholt (Vermeer).<br />

Landkarten im Interieur bei Vermeer<br />

Diller & Scofidio, American Lawn


Privates und Geschlecht<br />

Die Unterscheidung in zwei Raumhälften schließt auch die Unterscheidung in<br />

einen männlichen und einen weiblichen Raum mit ein. Sobald Architektur das gängige<br />

Modell des geteilten Raumes verwirklicht, das den Raum in einen öffentlichen<br />

und einen privaten, einen geordneten und einen ungeordneten, einen produktiven<br />

und einen reproduktiven Raum differenziert, produziert und reproduziert Architektur<br />

auch die gängigen Modelle von Geschlechterverhältnissen, produziert und reproduziert<br />

Architektur also auch die gängigen Vorstellungen von Differenz, von Rollen,<br />

von Zuweisungen und geschlechtlicher Identität: Architektur produziert also mit der<br />

Konzeption und Konstruktion privaten Wohnens Geschlecht und Geschlechterdifferenzen.<br />

Nur selten ist in das Konzept des privaten Wohnens eine Kritik an den<br />

gängigen Modellen inkludiert, im Gegenteil, meistens verstärken und formieren<br />

architektonische Konzepte die gängigen Modelle und damit auch die gängigen<br />

Wertvorstellungen und Machtstrukturen.<br />

Gerade privates Wohnen und Privatraum beschreiben jenen Topos der Architektur,<br />

der seit jeher mit bestimmten geschlechtlichen Zuweisungen in Verbindung<br />

gebracht wird. Das Innen, das Innere und das Umschlossene des Wohnens sowie<br />

die Ausgestaltung und Dekoration dieser inneren Oberfläche der privaten Wohnung<br />

wurde immer schon mit dem Weiblichen verbunden, während die Konstruktion<br />

und die Struktur des Raumes, also die öffentliche Sichtbarkeit und Präsenz mit<br />

dem Männlichen verbunden wurde. Die Trennung des Öffentlichen vom Privaten<br />

waren also seit jeher mit traditionellen geschlechtsspezifischen Zuschreibungen<br />

verbunden, die die Frau in das Innere, in die Reproduktionsarbeit und im Privaten,<br />

den Mann hingegen in das Außen, die Öffentlichkeit und in die produktive<br />

Arbeit positionieren. Umgekehrt kann man von der Annahme ausgehen, dass der<br />

Raum des privaten Wohnens niemals neutral und die Praktik des privaten Wohnens<br />

niemals neutrale Praktik sein kann. Im Gegenteil, schon in die Vorstellung<br />

von Wohnen, also schon in die Idee, in das Konzept, in die Erinnerung und in die<br />

Projektion von Wohnen sind alle Vorstellungen einer Geschlechterdifferenz bereits<br />

fest eingeschrieben.<br />

Martha Rosler, Bringing War Home<br />

„House Beautiful“. Kritik am Vietnamkrieg,<br />

Kritik an Geschlechterrollen, Kritik an der<br />

Werbestrategie der USA<br />

Haus, Home, Suburbia<br />

Das Haus als Inbegriff des Wohnens schlechthin vermag sich mehr als jede<br />

andere Wohnform erfolgreich gegen das Außen abzuschotten. Je unruhiger die<br />

Außenwelt, desto mehr müssen das Bild des Häuslichen gewahrt und das Fremde<br />

ausgeblendet werden. Die Fotocollagen der amerikanischen Künstlerin Martha<br />

Rosler aus der Serie „Bringing War Home“ aus den 1960er Jahren verweisen<br />

auf die Ausblendung des Vietnamkriegs im privaten Wohnen in den USA, auf die<br />

Formierung eines heimeligen „Homes“ einerseits und auf die Ignoranz gegenüber<br />

der Außenwelt andererseits. In die Aufnahmen von aus einem Hochglanzmagazin<br />

stammenden Interieurs mischen sich Abwehrraketen, der Ausblick aus dem<br />

dekorierten Fenster zeigt ein Schlachtfeld und vor dem neuen Bungalow sitzt ein<br />

Soldat in Wartestellung.<br />

Die Vorstadt bei Crewdson: Unheimlich,<br />

heimelig, heimlich und unheilvoll zugleich (Vgl.<br />

Antony Vidler, The Un(s)canny in Architecture.<br />

Die Aufnahmen spielen mit den Mitteln der Massenmedien, jener der Modeund<br />

Heimdekorfotografie und jener der Affekt-heischenden Fotografie von<br />

Kriegsdokumentation. Die Intention der Montage war nicht, sie in Museen<br />

als Kunst auszustellen, sondern vielmehr, sie in Form von Kopien bei<br />

Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg in New York und Kalifornien zu<br />

verteilen. Mehr als dreißig Jahre später wiederholte Rosler den Vorgang in<br />

neuerlichen Montagen, die nun Bilder aus dem Irakkrieg in alltägliche Szenen<br />

brachten. Die Wiederholung sollte auch aufzeigen, dass sich nach so vielen Jahren<br />

die Bilder, die Idealvorstellungen sowie auch die Vorgangsweise im Kriegführen<br />

kaum änderten. In einem Interview spricht Martha Rosler über ihr Erstaunen<br />

darüber, wie auf einer Seite von Magazinen Bilder aus Kriegsgeschehen gezeigt<br />

wurden und auf der nächsten Seite ein wunderschönes Haus oder Interieur. Die<br />

USA versuchte damit, so Rosler, zu zeigen, dass die Vorgangsweise in Vietnam<br />

richtig sei, indem sie die Bilder vom Krieg mit jenen von zu Hause gleichstellte.<br />

Gregory Crewdson, Setting Suburbia. Inszenierte<br />

Typisierung


Einen weniger direkten Eindruck vermitteln wiederum die Fotografien des amerikanischen<br />

Künstlers Gregory Crewdson. Die gestellten und präzise choreographierten<br />

Szenen aus der Serie „Setting Suburbia“ zeigen in konstruierten Bildgeschichten<br />

das unheilvolle Ambiente scheinbar heiler Vorstadtwelten. Dem pastellfarbenen<br />

Ambiente einer Vorstadtsiedlung mischt sich eine unheimliche Leere hinzu, das<br />

geöffnete Auto und die Figur davor in einer nächtlichen Vorstadtstraße vermitteln<br />

den Anschein eines soeben geschehenen Verbrechens, das beleuchtete Haus<br />

vermittelt Unbehagen. Vorstadt, Haus, Garten und die Siedlung inkludieren von<br />

sich aus beides, das Behagliche und das Unheimliche, das Offenherzige und das<br />

Verborgene zugleich. Die Vorstadtwelt wird in den Aufnahmen zu einem Filmset. In<br />

den aufwendig und oft über Monate hindurch produzierten Aufnahmen werden wenige<br />

Menschen gezeigt, die jedoch meist in einem komplexen Beziehungsrahmen<br />

zwischen der abgebildeten Natur, der Architektur und verschiedenen Utensilien<br />

stehen. Oft sind dies Personen aus der tatsächlichen Nachbarschaft, was den Grat<br />

zwischen Fiktion und Realität noch einmal schmäler macht.<br />

Dan Graham, Alteration to a suburban House<br />

1978. Fassade/Glas, Rückwand/Spiegel.<br />

Öffentliches Privates, Privates Privates.<br />

Interieur als Shopwindow, Reflexion der anderen<br />

Häuser, Zäune, Gärten, Reflexion der<br />

Beobachtenden<br />

Der Amerikanische Künstler Dan Graham drückte in seiner Arbeit „Alteration to a<br />

suburbian Home“ die Absurdität von Rückzug und Repräsentation im Privaten zugleich<br />

aus. Von einem konventionellen Vorstadthaus wird die Vorderwand entfernt<br />

und durch Glas ersetzt, die Mittelwand wird mit einem Spiegel verkleidet und Besuchende<br />

sehen sich selbst reflektiert im fremden Privaten.<br />

Vielleicht lässt sich Privatheit auch eher über solche geheimen, verborgenen<br />

oder gewünschten Sehnsüchte beschreiben. 1985 verwendeten die Schweizer<br />

Architekten Jacques Herzog und Pierre De Meuron die Erinnerung an<br />

geheime Wünsche zur Darstellung eines Hauses. Für den von der Firma Lego<br />

ausgeschriebenen Wettbewerb zeigen sie kein neues Haus, sondern eine<br />

Rekonstruktion des Mansardenzimmers ihrer Jugend oder dessen, was dies in<br />

ihrer Erinnerung hätte sein können. In einem Pexiglasmodell eines prototypischen<br />

Hauses wird lediglich die Mansarde in Lego gebaut, von Herzog & De Meuron<br />

eingerichtet und über einen Videofilm beschrieben. In einem Filmstill erzählen die<br />

Architekten von der Essenz des privaten Wohnens der Kindheit schlechthin, es ist<br />

der kurze, unerlaubte Blick durch den offenen Türspalt in das Zimmer der großen<br />

Schwester, die eben im Begriff ist, sich zu entkleiden. Das Videobild, so erklären<br />

die Architekten in „Naturgeschichte“ , helfe ihnen, die von ihnen konstruierten und<br />

gebauten Räume „aufzubrechen“.<br />

We show a view into and from one specific room: images of a child’s room; images<br />

„connected with our youth, our memories of fantasies we had during the day and at<br />

night; and images of fear, sleep and eroticism.“<br />

Herzog & De Meuron, Legohaus. Analog zur<br />

Phänomenologie Gaston Bachelards: Die<br />

Dachbodentreppe, die man immer nur hinauf<br />

geht (im Traum), die Kellertreppe, die man<br />

immer nur hinabsteigt.<br />

Die Brüchigkeit der heilen Welt des Vorstadtwohnens bildet auch die Oberfläche<br />

des Films „Blue Velvet“, den der amerikanische Regisseur David Lynch 1986 drehte.<br />

Die ersten Einstellungen vermitteln die diese heile Welt in Cinemascope: Gelbe<br />

Tulpen und rote Rosen in Großaufnahme vor einem weiß lackierten Zaun und<br />

strahlend blauem Himmel als Hintergrund. Blue Velvet beginnt mit Bildern, die einer<br />

künstlich kolorierten Postkarte gleichen: Farben, die leuchtender, ein Licht, das<br />

strahlender und ein Bild, das echter sind als die Realität selbst. Der Film verbreitet<br />

anfangs die optimistische Stimmung jener frohen Gleichförmigkeit, die Familie und<br />

Haus, Haus und Garten, Garten und Gartenzaun immer versprechen, amerikanischer<br />

Traum der suburbanen Idylle.<br />

Die erste Szene zeigt den alten Mr. Beaumont, der soeben seinen Rasen spritzt,<br />

aus einem vorbeifahrenden Auto winkt freundlich ein Feuerwehrmann und Kinder<br />

werden fürsorglich über die Straße geführt. Die Szene ändert sich, angekündigt<br />

durch den losgelösten Schlauch und umherspritzendes Wasser, der Mann fällt zu<br />

Boden. Danach hört man ein eigentümliches Geräusch, dem die Kamera zu folgen<br />

scheint, sie zoomt in die Wiese, scheint i die Erde einzudringen und zeigt zwei<br />

Käfer, die miteinander kämpfen. Das Eintauchen unter die Oberfläche steht für<br />

eine dunkle Seite, die sich hinter der Kleinstadtidylle auftut, es folgen Gewalt und<br />

Verbrechen.<br />

David Lynch, Blue Velvet. Die scheinbar heile<br />

Welt an der Oberfläche.


Die bürgerliche Wohnung um 1900<br />

Bürgerliches Wohnen des späten 19. Jahrhunderts verkörperte die gesellschaftliche<br />

Regel der strikten Geschlechtertrennung. Selbst in bürgerlichen Mietwohnungen<br />

wurde trotz relativ geringem Raumangebot zwischen repräsentativen und<br />

bedienenden Räumen sowie zwischen Salon, Wohnzimmer, Esszimmer, Herrenzimmer<br />

und Damenzimmer unterschieden. Die Wohnungen und Häuser praktizierten<br />

die Geschlechtertrennung und verkörperten das Geschlecht: Privater Raum,<br />

Intimität und Geschlecht waren untrennbar miteinander verbunden.<br />

Das Zimmer des Herrn<br />

Ein „unentbehrliches Zimmer“, so nennt Herman Muthesius 1917 trotz allgemeinem<br />

Kleinerwerden der Wohnungen das Zimmer des Herrn. Diese Unentbehrlichkeit<br />

entspricht der bedeutsamen Stellung, die der Mann auch am Beginn des 20.<br />

Jahrhunderts aufrechterhalten muss. Auch wenn es längst nicht mehr als einzige<br />

Arbeitsstätte diente, so war es nun, da die Arbeit in den nervenaufreibenden Städten<br />

außerhalb der Wohnungen erledigt wurde, als Stätte der Erholung wichtiger<br />

denn je. Das Zimmer des Herrn sollte deshalb auch dem Hausherrn ermöglichen,<br />

„Ruhe zu pflegen”. Meist lag es in bürgerlichen Wohnungen und Häusern des<br />

späten 19. Jahrhunderts möglichst nahe dem Eingang und möglichst weit vom<br />

familiären Leben entfernt. Oft wurde es direkt von dem geräumigen Vorraum oder<br />

Vorzimmer erschlossen, da es auch die Funktion des Büros und privaten Arbeitszimmers<br />

übernahm und Konsultierende nicht in den privaten Teil der Wohnungen<br />

gelangen sollten.<br />

Das Zimmer des Herrn hatte vielerlei Funktionen zu erfüllen: Es diente der Erholung<br />

nach der produktiven Arbeit außerhalb des Hauses, dem Genuss von<br />

Rauch- und Rauschmitteln, dem Betrachten intimer Sammlungen, der privaten<br />

Korrespondenz und Buchhaltung oder, vor allem, wenn die Tätigkeit des Hausherrn<br />

künstlerischer Natur war, als Werkstätte. Wenn das Zimmer des Herrn nicht<br />

vorrangig als Arbeitszimmer und Büro diente, wofür es helles Licht verlangte, wurde<br />

eine eher indirekte, mit transluzenten Oberlichtgläsern erzeugte Beleuchtung<br />

empfohlen, die der naturwissenschaftlichen oder philosophischen Betätigung des<br />

Mannes als förderlich galt. Alle Praktiken, für die das Zimmer des Herrn eigene<br />

Vorrichtungen erhielt, wie das Lesen ernsthafter Literatur, das Spielen, der Genuss<br />

von Rauchwaren und Alkoholika sowie das Sammeln von Büchern, Jagdwerkzeugen,<br />

Antiken und Kunst waren bis am Beginn des 20. Jahrhunderts nahezu<br />

ausschließlich männliche Praktiken des Privaten.<br />

Das wichtigste Möbel im Zimmer des Herrn war der von Hermann Muthesius als<br />

„Brennpunkt des Zimmers“ bezeichnete Schreibtisch, der unabhängig von der<br />

beruflichen Tätigkeit des Herrn immer einen entsprechenden Platz im Raum erhielt.<br />

Er musste so positioniert sein, dass vom Schreibtisch aus alle in das Zimmer<br />

Eintretenden gut sichtbar waren, stand oft gleich einem Monument auf einer Stufe<br />

oder auf einem Podest und musste eine ausgewählte Belichtung von linker Seite<br />

erhalten, um ein bequemes Arbeiten am Tisch zu ermöglichen. Um die Jahrhundertwende<br />

war der „Diplomatentisch“ besonders beliebt, eine mit Leder bespannte,<br />

ein Meter breite und bis zu zwei Meter lange Platte mit Schubladenkästen an beiden<br />

Seiten zur Abstützung. Der Tisch wies keine Rückwand auf und konnte daher<br />

frei in den Raum gestellt werden, so dass der am Schreibtisch sitzende Hausherr<br />

den gesamten Raum frei überblicken konnte. Der frei im Raum aufgestellte<br />

Schreibtisch ermöglichte dem Mann jedoch vor allem auch Kontrolle über die<br />

Personen, die in das Zimmer eintreten wollten. Die Wände des Zimmers des Herrn<br />

mussten alle Vorkehrungen zur Aufbewahrung und zum Verbergen jener Objekte<br />

beinhalten, die auch dem Herrn des Hauses zugeordnet waren. In besonderen<br />

Regalen und Wandschränken mit ausgewählten Fächern, Laden und Auszügen<br />

mussten die zahlreichen Bücher, Folianten, Atlanten, Mappen und Zeitschriften<br />

untergebracht und aufgelegt werden können.<br />

ArbeiterInnenküche ohne direktes Tageslicht.<br />

Getrennte Räume nach Geschlechtern sind<br />

im ArbeiterInnwohnen kein Thema, sehr wohl<br />

jedoch unterschiedliche Rollen im Privaten.<br />

Zimmer des Herrn: Schreibtisch als Brennpunkt<br />

Zimmer des Herrn: Wissenschaftlich-künstlerische<br />

Tätigkeiten


Das Zimmer der Dame<br />

Das Zimmer der Dame musste in seiner Anordnung und in seiner Ausstattung zur<br />

Gänze anderen Anforderungen entsprechen. Es lag niemals wie das Zimmer des<br />

Herrn nahe dem Eingang und war nur im seltensten Falle direkt vom Vorraum<br />

aus zugänglich. Meistens war es im entgegengesetzten Teil der Wohnung oder<br />

des Hauses positioniert: Es lag oft im Anschluss an den Salon und war meist von<br />

einem intimen, schmalen Flur, der auch die Schlafräume erschloss, zugänglich.<br />

Wenn das Zimmer der Dame nicht ausdrücklich als Empfangsraum auch gesellschaftlichen<br />

Zwecken bestimmt war, diente es vor allem der Erholung der Frau.<br />

In jedem kleinsten Detail sollten die idealen weiblichen Eigenschaften verkörpert<br />

werden. Anordnung, Ausstattung und Stimmung des Zimmers der Dame orientierten<br />

sich nicht an aktiven Tätigkeiten, sondern an jener Eigenschaft, die mit dem<br />

Idealbild des Weiblichen verbunden wurde: Passivität.<br />

Das Zimmer der Dame war eine „Stätte der Ruhe“ und „ein Ort der Sammlung<br />

und des Alleinseins“ und enthielt fast ausschließlich Möbel, um zu ruhen, sich<br />

auszurasten und um sich hinzulegen. 1911 beinhaltete das typische Zimmer der<br />

Dame bis auf ein „Schreibtischchen“, das nicht größer als ein Blumenstock war,<br />

vor allem unterschiedliche Möbel, auf denen sich die Frau entweder halb oder zur<br />

Gänze hinlegen sollte: Sofa, Kanapee, Chaiselongue, Bett und Fauteuil. Weißer<br />

Stoff verhängte die Einrichtung dieser Zimmer, wie er auch den Körper der Frauen<br />

verhüllte. Hinter zugezogenen weißen Vorhängen, unter dem Licht von mit weißen<br />

Spitzen verhängten Lampen und unter den Schichten von unzähligen weißen<br />

Decken und Polstern sollte ein Bild gewahrt werden, das mit jenem der jungfräulichen<br />

Braut überstimmen musste: gebleicht, blass und strahlend, wie die weiße<br />

und leicht errötende Haut der Frauen selbst. Alles war darauf vorbereitet, dass die<br />

wartende, jungfräuliche Braut erschöpft, müde, gelangweilt, untätig und vor allem<br />

liegend den Mann in ihrem Zimmer empfangen konnte.<br />

So empfiehlt die Wohnungs-Baukunde einen „Sitzplatz in Erkerform“, ein „Schreibtischchen“,<br />

einen „Blumentisch“ sowie „Sitzmöbel verschiedener Art“. Zudem wäre<br />

es wünschenswert, anschließend an das Zimmer der Dame ein sogenanntes<br />

„Boudoir“ anzuordnen, das „nur wenige Möbel, etwa ein Ruhebett, ein Schreibtischchen,<br />

ein Schränkchen und dergl. zu enthalten braucht, wie sie der engl.-japanische<br />

Stil in reizender Zierlichkeit geschaffen hat.“<br />

Zimmer für einen Jagdliebhaber<br />

Zimmer der Dame: Textilien, Ruhemöbel<br />

Das Boudoir<br />

1910 hat das in der Wohnungs-Baukunde erwähnte Boudoir alle Erotik lustvoller<br />

Ausschweifungen, die etwa dem Boudoir des 18. Jahrhunderts noch eigen war,<br />

verloren. Bis in die 1920er Jahre findet man dennoch immer wieder einen zusätzlichen,<br />

nun ausschließlich der Frau zugeordneten Raum, der das in hellem Licht<br />

strahlende Zimmer der Dame ergänzt, jedoch zur Gänze andere Eigenschaften<br />

erhält. Das Wort Boudoir wurde am Ende des 18. Jahrhunderts aus dem Französischen<br />

übernommen, das die Bezeichnung des Raumes von dem Wort „bouder“,<br />

was soviel wie schmollen bedeutete, ableitete. Aus dieser Übersetzung entstanden<br />

auch die ungenauen, deutschen Übersetzungen des Boudoirs als „Schmollwinkel“,<br />

„Launewinkel“ und „Schmollzimmerchen“. Im 19. Jahrhundert war das Boudoir<br />

ein kleiner Raum, in den sich Frauen zurück-ziehen konnten, wenn sie tatsächlich<br />

allein sein wollten.<br />

Das Boudoir war in keinem Fall ein Gesellschaftsraum. An das Boudoir wurden<br />

deshalb auch ganz andere Ansprüche als an das Zimmer der Dame gestellt, da<br />

es mehr Intimität aufweisen musste. Während das Zimmer der Dame dem weißen,<br />

hellen und strahlenden Idealbild der jungfräulichen Braut entsprechen sollte,<br />

schien das Boudoir sich eher den Zuständen der Unpässlichkeit und den Zeiten<br />

der Launenhaftigkeit, die Frauen aufgrund ihrer „angegriffenen Natur“ zugeschrieben<br />

wurden, anzupassen. Für das Boudoir empfohlen alle Handbücher und Baufibeln<br />

wenige Fenster und, wenn große Fenster vorhanden waren, so sollten diese<br />

vollkommen abgedunkelt werden können.<br />

Zimmer der Dame: abgerundete Möbel zum<br />

Ausruhen und Boudoir


Zumindest sollte jedes Boudoir eine Seite des nach Möglichkeit länglichen Zimmers<br />

erhalten, die dem Fenster so weit wie möglich entfernt liegen sollte, um einen<br />

„Halbschatten“ zu erzeugen, welcher durch ein „geschicktes Spiel von Vorhängen<br />

und spitzenbesetzten Stores“ erhöht werden sollte. So empfiehlt das Handbuch<br />

der Architektur als Dekoration und Wandschmuck des Boudoirs nur kleinformatige<br />

Bilder, keine „schwungvollen Skizzen“, keine „ersten Versuche“ sowie keine „breit<br />

behandelten Arbeiten, die ein zu eingehendes Studium verlangten, um gehörig<br />

gewürdigt zu werden“.<br />

Zimmer der Dame, vor allem jedoch Boudoir waren Vorkehrungen bzw. Mechanismen,<br />

die der angenommenen Physis und Psyche der Frau im 19. Jahrhundert<br />

entsprachen, insbesondere dem „Idealbild“ der hysterischen Frau. Die Gesellschaft<br />

reagierte auf die Hysterie gespalten: Einerseits antworteten die Angehörigen der<br />

Frauen sowie deren Hausärzte mit der Isolierung der Kranken. Die betroffenen<br />

Frauen wurden in die intime Sphäre des Privaten gedrängt. Andererseits wurden<br />

die emotionellen Ausbrüche der Frauen von der prüden Gesellschaft auch zunehmend<br />

mit gesteigertem Interesse verfolgt. Wissenschafter begannen, hysterische<br />

Frauen in öffentlich inszenierten Spektakeln zu demonstrieren.<br />

Adolf und Lina Loos: Sie blickt auf ihn, er<br />

sieht „in die Ferne“<br />

Hysterie als Denken eines grundlegenden „Andersseins“ von Frau<br />

Der Begriff der Hysterie stammt aus der griechischen Antike. Hystéra bedeutete<br />

„Gebärmutter, die Gebärmutter betreffend und von der Gebärmutter herkommend“.<br />

Man nahm an, dass die Hysterie auf einer Störfunktion der Gebärmutter beruhte,<br />

weshalb sie auch nur an Frauen diagnostiziert werden konnte.<br />

Sowohl in Altägypten, in der griechischen als auch in der römischen Antike vermuteten<br />

Ärzte, dass die Hysterie auf einen „Stau der Körpersäfte“ zurückzuführen sei.<br />

Dadurch beginne die Gebärmutter im Körper zu wandern und im Körperinneren<br />

„wie ein wildes Tier wütete“ zu wüten. So meinte etwa Platon, die Hysterie sei ein<br />

Tier, das glühend nach Kindern verlange. Die Hysterie wurde also mit der Unfruchtbarkeit<br />

von Frauen in Zusammenhang gebracht. Blieb eine Frau über einen<br />

längeren Zeitraum hindurch unfruchtbar, so würde ihre Gebärmutter den ganzen<br />

Körper durchziehen und ihre Atemwege verstopfen. Hysterische Frauen widersprachen<br />

den gewohnten Schemata und Regeln von Heirat und Gebären. Männer<br />

standen alleinstehenden, unverheirateten und kinderlosen Frauen immer skeptisch<br />

gegenüber. Das Bild einer nicht den Regeln entsprechenden Weiblichkeit führte im<br />

Mittelalter dazu, dass hysterische Frauen mit dem Teufel in Verbindung gebracht<br />

wurden. Hysterisch galt als „vom Teufel besessen“. Die Beweise dafür waren die<br />

unerklärlichen, dunklen Mächte, die von dem Körper der Frauen Besitz ergriffen<br />

und das vermeintlich gesteigerte sexuelle Begehren, das immer mit der Hysterie in<br />

Verbindung gebracht wurde.<br />

Das Schlafzimmer für meine Frau, Adolf Loos,<br />

<strong>Wien</strong> 2004, ein typisches Zimmer der Dame,<br />

eine Verkörperung der Frau.<br />

Über Jahrhunderte hinweg bestimmte die Hysterie das Bild der gesunden wie der<br />

kranken Frau. Für Männer verkörperten hysterische Frauen in ihrer Mischung aus<br />

Angst, Ohnmacht und Erregtheit zugleich ein Wunschbild als auch ein Schreckensbild.<br />

In der Zeit der anatomischen Untersuchungen des 18. Jahrhunderts führte<br />

die Verbindung zwischen der Hysterie und dem Geschlecht der Frauen vermehrt<br />

zu gynäkologischen Behandlungen an der Gebärmutter selbst. Der anatomische<br />

Körper der Aufklärung bestimmte auch den Umgang mit der Hysterie, die nun als<br />

eine physische Deformation der weiblichen Geschlechtsorgane diagnostiziert wurde,<br />

die auch physisch behandelt werden konnte. In der Folge wurden hysterische<br />

Patientinnen zunehmend durch operative Eingriffe an der Gebärmutter behandelt.<br />

Bis in das späte 19. Jahrhundert wurde die Hysterie als eine physisch verursachte<br />

Krankheit alleinig Frauen zugeschrieben.<br />

Die Patientinnen wurden ausschließlich physiotherapeutisch behandelt. Die Behandlung<br />

von Hysterikerinnen erfolgte zumeist durch Hydro- oder Elektrotherapien.<br />

Um die Verbreitung der Krankheit einzudämmen, wurde etwa bereits in der Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts die Installation hydrotherapeutischer Geräte in den Badezimmern<br />

privater Haushalte empfohlen.<br />

Zimmer der Dame: wie im Innersten eines<br />

Schneckenhauses. Adolf Loos, Villa Müller,<br />

Prag, 1930


Erst Ende des 19. Jahrhunderts begann die Medizin, die Bedingung der Hysterie<br />

in einer Störung des zentralen Nervensystem zu suchen. Hysterie wurde zu<br />

einer „Nervenkrankheit“. Die Ursache war nun nicht mehr in einer Deformierung<br />

des weiblichen Körpers zu finden, sondern in einer ohnehin typischen, weiblichen<br />

Eigenschaft zu suchen, der Übersensibilität der Nerven.<br />

Die Salpêtrière galt im 19. Jahrhundert als größtes Hospiz Frankreichs, spezialisiert<br />

vor allem für die bahndlung der Hysterie. Die Anlage des Krankenhauses war<br />

weitläufig, unzählige Zellentrakte mit Höfen, im Zentrum eine große, kreuzförmige<br />

Kirche. In seinen Vorlesungen demonstrierte Charcot verkrümmte, verzückte, ohnmächtige<br />

und halb entblößte Frauen, die unter Schreien und Stöhnen die hysterische<br />

Ekstase vorbildlich zur Schau stellten. Das voyeuristische Interesse der Männer<br />

war groß. Die „Dienstagsvorlesungen“, die einem ausschließlich männlichen<br />

Publikum die Krankheit visuell vergegenwärtigen sollten, waren meist gut besucht.<br />

Mediziner, Literaten, Kunstsammler, Politiker, Maler, Bildhauer, Architekten wie<br />

etwa Charles Garnier und sogar Kardinäle bestaunten die Vorführungen hysterischer<br />

Patientinnen. Das Interesse der Männer an dem Phänomen der Hysterie war<br />

wissenschaftlicher und erotischer Natur.<br />

Die Dienstagsvorlesungen auf der Salpetriere<br />

Die Anfälle im Vorlesungssaal der Salpêtrière mussten, um sie zeitgerecht vorführen<br />

zu können, unterstützt und initiiert werden, sie mussten also von Charcot<br />

selbst herbeigeführt werden, um sie dem Publikum vorführen zu können. Die<br />

Techniken, mit denen die Frauen dazu gebracht wurden, die typischen Gesten,<br />

Bewegungen und Mimiken, Verkrampfungen und Verzerrungen auszuführen, waren<br />

vielfältig. Dazu zählten die Reizung durch Elektrisieren der Haut und Muskeln,<br />

Blenden durch grelles Licht und Magnesiumflammen, laute Schläge mit dem Gong,<br />

Reizen der Haut mit Stimmgabeln, Reizung mit schlechten Gerüchen, Inhalationen<br />

von Äther und vor allem die Hypnose. In Hypnose versetzt, führten hysterische<br />

Frauen wie durch ein Wunder alle erwünschten Kontraktionen und Anfälle vorbildlich<br />

auch vor einem großen Publikum vor.<br />

Sowohl die öffentlichen Darbietungen als auch die Aufzeichnungen der Kranken<br />

gehorchten nicht nur vollkommen den ästhetischen Ansprüchen, die Charcot an<br />

seine Studien gestellt hatte, sie gehorchten auch den voyeuristischen Ansprüchen<br />

des Publikums. Charcots vorbildlichste Hysterikerin, sein „Meisterwerk“ war<br />

die erst 15-jährige Augustine, deren Hysterie nach einer frühen Vergewaltigung<br />

aufgetreten war. Die in der Ikonografie abgebildeten Posen von Augustine tragen<br />

die Bezeichnungen „Erotisme“, „Supplication Amoreuse“, „Exstase“, „Moquerie“,<br />

„Appel“ und lesen sich wie die Beschreibung eines erotischen Bildbandes. Die verschiedenen<br />

für die Hysterie typischen Gesten und Verkrampfungen Augustines, die<br />

seltsam verkrümmten und erstarrten Gliedmaßen, das Zittern und das kreisförmige<br />

Biegen des Körpers wurden in Charcots Vorlesungen als ein perfekter Gestenkatalog<br />

des Krankheitssyndroms präsentiert. Wie zufällig öffnete sich wohl das weiße<br />

Hemd Augustines und bot den neugierigen Blicken der Männer ein Dekolltee, das<br />

freizügiger war, als es die Schicklichkeit je erlaubt hätte.<br />

Inszenierung und Aufzeichnung der Hysterie:<br />

Die Ikonografie<br />

Zimmer des Herrn, Beispiele<br />

Das „Junggesellenapartment“ verweist als eine moderne Referenz auf die ästhetisierende<br />

Form des Alleinewohnens von Männern, die sich in der abgeschiedenen<br />

Lage des Zimmer des Herrn der Jahrhundertwende ankündigt. Junggesellentum<br />

wurde in den 1950er Jahren erneut romantisiert und spielte etwa neben<br />

der Femme Fatale und dem Mädel vom Land die wichtigste Rolle im Film der<br />

Nachkriegszeit. Junggesellen widersetzten sich der Vorstellung einer glücklichen<br />

Kleinfamilie, sie verweigerten das Idealbild, das in den 1950er Jahren mit allen<br />

Wertvorstellungen einer Nachkriegszeit und allen Hoffnungen auf eine neue Zeit<br />

aufgeladen war.<br />

Die Amerikanische Version des Junggesellen erhielt in den Nachkriegsjahren eine<br />

besondere Form der Ästhetisierung, da Junggesellen dort mit der Freiheit des<br />

ungebundenen Lebens, mit der neuen Musik und den neuen Vergnüglichkeiten der<br />

Großstädte und vor allem mit dem Prädikat „Playboy“ gleichgesetzt wurden.<br />

Augustine, die Lieblingshysterikerin von<br />

Charcot


Junggesellen erhielten einen besonderen Status und waren im Unterschied<br />

zu alleinstehenden Frauen dem Status der Familie nahezu gleichgestellt.<br />

Junggesellen waren urbane Phänomene. Während in ländlichen Gebieten<br />

alleinstehende Männer wie Frauen als suspekt angesehen wurden, waren<br />

sie im urbanen Umfeld nicht nur akzeptiert, sie waren eine direkte Folge einer<br />

veränderten Bedingung des Großstadtlebens. Das gesamte Genre der<br />

Detektivromane und Detektivfilme wäre undenkbar, wenn die Protagonisten<br />

der Filme und Geschichten verheiratete Männer mit Familie und Haus im<br />

Grünen wären. Der einsame Detektiv, der allein in einem Apartment oder<br />

gar in seiner Detektivkanzlei wohnt und im Zuge seiner Ermittlungen reihenweise<br />

Abenteuer mit verführerischen Frauen erlebt, bestimmt die Rahmenhandlungen<br />

solcher Erzählungen bis heute.<br />

Melancholie als männliche Entsprechung der Hysterie,<br />

Möglichkeit eines „Andersseins“<br />

Diese urbane Erfahrung und dieses Bild eines Junggesellenlebens bildete<br />

sich auch in einer eigenen Architektur ab. Junggesellen widersetzten sich<br />

dem Abbild der Kleinfamilie, also dem freistehenden Einfamilienhaus mit<br />

Garten in der Vorstadt und benötigten daher auch eine eigene Wohnform.<br />

Das „Junggesellenapartment“ entsprach jenem Bild, das Junggesellen<br />

verkörperten und es entsprach vollkommen den „Bedürfnissen“ von Junggesellen.<br />

Eine ästhetisierende Lebensform erhielt ein Set für einen entsprechenden,<br />

urbanen Lebensstil. Die Amerikanische Version dieses Junggesellenapartments<br />

bot alle Einrichtungen, die für den Junggesellen notwendig<br />

waren, um seinen gleichsam vordefinierten Lebensstil auszuleben. In den<br />

1950er Jahren bestanden diese Einrichtungen vor allem aus neuen Möbeln,<br />

die multifunktional waren oder neue, dem männlichen Lebensstil entsprechende<br />

Formen sowie aus einen ausgeklügelten technischen Equipment.<br />

Das Magazin Playboy, das 1956 den Prototypen eines solchen Apartments<br />

veröffentlichte, beschrieb den prototypischen Junggesellen als „sophisticated,<br />

intelligent, urban“. Von der Zeitschrift selbst entworfen und ausgestattet<br />

sollte das Apartment alle Bedürfnisse des Junggesellen befriedigen und alle<br />

für seinen urbanen Lebensstil notwendigen Einrichtungen und Utensilien<br />

beinhalten.<br />

Apartment und Lebensweise werden beschrieben als „[...] a penthouse<br />

apartment for the urban bachelor – a man who enjoys good living, a sophisticated<br />

connoisseur of the lively arts, of food and drink, and congenial<br />

companions of both sexes. A man very much, perhaps, like you. In such<br />

a place, you might live in elegant comfort, in a man’s world which fits your<br />

mood and desires, which is a tasteful, gracious setting for an urban personality.“<br />

In Materialien, Einrichtung und technischer Ausstattung entspricht das<br />

Playboys Bachelor Apartment vollkommen dem Bild idealisierter Männlichkeit.<br />

Die Wände sind in dunklem Primaveraholz verkleidet, im Vorraum<br />

wird die Beleuchtung mit einem Aquarium gekoppelt, Stauraum soll für die<br />

Unterbringung aller für Junggesellen typischen Sportutensilien wie Schi,<br />

Golfschläger, Rucksack und Kameras sorgen, im Badezimmer ist eine<br />

Wand zur Gänze mit einem raumgroßen Jagdgemälde verziert und eine<br />

Verbindung zwischen Badezimmer und Schlafzimmer soll ein diskretes<br />

Verschwinden weiblicher Besucherinnen ermöglichen.<br />

Ein Klapptisch im Esszimmer sorgt dafür, dass der Raum bei Parties freigeräumt<br />

werden kann, Schiebetüren öffnen sich „wie von selbst“ und ebenso<br />

leicht lässt sich die „Flip Flop Couch“ in ein Bett verwandeln, die Geschirrspülmaschine<br />

spielt Musik, um das Waschgeräusch zu übertönen, der<br />

Küchensessel ist aus einem Traktorsitz angefertigt, der kreisrunder Herd ist<br />

durchsichtig und höhenverstellbar, im Livingroom sorgt ein „Schwedisches<br />

Feuer“ für ein romantisches tete-a-tete, die HiFi-Anlage ist mit allen Räumen<br />

des Apartments verkabelt, ein Fernseher kann in einer Primaverawand<br />

versteckt werden, ein Projektor kann Bilder auf eine Leinwand, die sich<br />

hinter dem Gemälde versteckt, projizieren, die eingebaute und gekühlte Bar<br />

macht es dem Junggesellen möglich, alle Drinks zu mixen, ohne den Raum<br />

zu verlassen, das Licht kann bis zur Dunkelheit stufenlos gedimmt werden<br />

und ein Telefon verhindert, dass die Dame vom Vorabend das Rendevous<br />

des Abends stören könnte.<br />

1956: Die Wohnung für Männer in der Zeitschrift für<br />

Männer<br />

...die RЯckeroberung des Wohnens durch<br />

MКnnlichkeit....<br />

Wohnen wird wieder männlich: das Playboy City<br />

House


Der tatsächliche Sinn und Zweck dieser „Junggesellenmaschinerie“ findet sich<br />

jedoch im Schlafraum, der von einer riesigen Bettlandschaft dominiert wird, die<br />

gleich einem Plateau die Hälfte des Raumes einnimmt. Auch dieses Bett, neben<br />

dem ein ovaler, kleiner Tisch das Einnahmen eines romantischen Nightcups mechanism<br />

ermöglichen soll, ist ganz im Sinne einer Maschine konzipiert. Auch hier to haunt wird die<br />

„Funktion“ des Playboys durch ein maschinelles System unterstützt und im Rücken<br />

der Schlafebene ist eine Art Kontrollebene angeordnet, mit der die gesamte<br />

women.<br />

Elektrik des Hauses kontrolliert werden kann und eingebaute Lautsprecher sorgen<br />

für Musik.<br />

The house: a<br />

Finally:<br />

The rotating<br />

playboybed!<br />

Wohnen als Mechanismus mit nur einem Ziel:<br />

Frauen zu verführen. das kreisrunde Bett als<br />

Zentrum des Mechanismus<br />

The Playboys Penthouse Apartment. Typisierte<br />

Junggesellenschaft, die Antwort auf das<br />

häusliche Suburbia<br />

Geschlechtliche Zuweisung im 50er Jahre - Stil, entwickelt von Playboy für Playboys. Wohnen als Maschinerie zur Verführung von Frauen.


Grundlegende Raumkonzept im Wohnene. Raumplan<br />

versus Plan Libre.<br />

Adolf Loos, Raumplan<br />

Die Raumkonzepte von Adolf Loos (1870 - 1933) und Le Corbusier (1887 -<br />

1965), der beiden vermutlich bekanntesten Architekten ihrer Epoche, lassen sich<br />

weder direkt vergleichen noch als Gegensatz formulieren. Die Entwürfe beider<br />

Architekten haben jedoch eine grundlegende Raumkonzeption zur Basis, die<br />

sich als zwei unterschiedliche Möglichkeiten in der Konzeption von Raum und<br />

Stadtraum anbieten: der Raumplan einerseits und der so genannte Plan Libre<br />

andererseits. Die Frage nach einer möglichen Offenheit oder Vordefinition im Plan,<br />

die Frage, inwiefern Raum bestimmt und Handlungen initiiert werden müssen oder<br />

sich zur Gänze von selbst entwickeln sollen sowie die Frage nach einer räumlichen<br />

oder programmatischen Vielfalt sind bis heute aktuell.<br />

Haus Moller: Implodierter Würfel, theatralische<br />

Inszenierung von Wohnraum<br />

Der Raumplan von Adolf Loos bietet ein vertikal geschachteltes System, das<br />

innerhalb eines gegebenen, meist kubischen Volumens Raum gliedert in Bereiche<br />

unterschiedlicher Raumgrößen und Raumhöhen, verschiedene Ein- und Ausblicke<br />

bietet sowie wählbare Raumverbindungen schafft. Die Loosschen Villenräume<br />

sind kompakt und beziehen sich nicht wie etwa jene von Frank Lloyd Wright auf<br />

eine horizontale Erweiterung des Hauses in die Natur, im Gegenteil, sie grenzen<br />

sich deutlich von jener ab. Nach außen hin klar begrenzt, nach innen hin äußerst<br />

komplex zerteilt und auf Bewegung durch den Raum basierend. Die Bewegung<br />

zwischen innen und außen wird eher abgeblockt. Die Aufsplittung in mehrere<br />

Niveaus hatte zur Folge, dass Außen- wie Innenwände fast ausschließlich als<br />

tragende Wände konzipiert wurden. Es ging also weniger um die Sichtbarmachung<br />

eines konstruktiven Systems, als vielmehr um das innere räumliche Angebot.<br />

Ein Beispiel für ein kleines, jedoch äußerst komplexes Haus, das dem Konzept<br />

des Raumplans folgt, gibt das Haus Moller in <strong>Wien</strong>, von Adolf Loos 1928 geplant.<br />

Das Haus bildet einen einfachen 3 - 4 - geschossigen Kubus in einer Reihe<br />

von Häusern. Von außen differenziert das Gebäude klar zwischen Haupt- und<br />

Seitenansichten sowie zwischen Vorder- und Rückseite. Die Straßenfassade ist<br />

streng symmetrisch gehalten und erhält durch einen vorspringenden Erker mit<br />

quer liegendem Fenster sowie zwei darüber angeordneten Fenstern eine klare<br />

Akzentuierung. Diese Seite ist graphisch, reduziert und skulptural behandelt, die<br />

Gartenfassade hingegen erhält durchgehend große Öffnungen mit Austritten auf<br />

den Balkon. Während die Straßenfassade keine Rückschlüsse zulässt über das<br />

komplexe Innere, widerspiegelt die Gartenfassade eher dieses.<br />

Haus Moller: Komplexe Raumverschneidungen<br />

rund um die Treppe<br />

Zentraler Raum des Hauses bildet die Halle, über die man über eine halb gewendelte<br />

Treppe kommt. Rund um diese Halle sind mehr oder weniger offen Boudoir,<br />

Musikzimmer, Esszimmer und Küche gruppiert. Raumverbindungen werden über<br />

Blickachsen und variable Verbindungselemente inszeniert, Podeste schaffen unterschiedliche<br />

Raumhöhen und durch den Raumplan und die mehrfach ausgerichteten<br />

Treppen wird ein Theater-artiger Bühnenraum geschaffen.<br />

Le Corbusier, Petit Maison und Villa Savoye<br />

Le Corbusiers Raumansatz war ein zur Gänze gegensätzlicher. Seine prototypischen<br />

Wohnhäuser sind flach, auf einer oder übereinander geschachtelten Ebenen<br />

konzipiert, bieten eine möglichst offene Wohnebene an, in die Einrichtungen und<br />

Raumteilungen wie Körper (Organe) frei hinein gestellt sind. Auch wenn verschiedene<br />

Häuser wie etwa die Villa Savoye zur Bewegung animieren, basieren die<br />

meisten Räume dennoch eher auf eine statische Erfahrung mit einem visuell definierten<br />

Konzept. Der ideale Blick von innen nach außen wird thematisiert und zelebriert<br />

und durch geeignete Öffnungen wie etwa das cinematografische Langfenster<br />

hergestellt. Fenster werden wie Objektive behandelt, Häuser wie eine Kamera,<br />

fokussiert auf Natur. Wände mit Öffnungen bilden dazu den Rahmen und formieren<br />

den Unterschied zwischen dem reinen „Schauen“ und dem konkreten „Sehen“.


EIn Beispiel dafür bildet etwa das Haus „Petit Maison“ am Genfer See, das Le Corbusier<br />

1923 für seine Eltern plante. Eine Mauer umschließt das Grundstück, nach<br />

dreieinhalb Seiten hin offen, darin eingeschrieben ein 4x16m großes Rechteck mit<br />

frei hinein gestellten Einbauten, die eine Bewegung erlauben und unterschiedliche<br />

Blicke auf See und Berge schaffen. Die Anfangsskizze Le Corbusiers zeigt die<br />

Intention: Eine menschliche Figur ist gezeigt, davor ein überdimensionales Auge,<br />

in Richtung See orientiert, dazwischen das Haus. Das Haus ist das, was zwischen<br />

Betrachtende und Aussicht, zwischen Auge und Landschaft tritt (siehe dazu:<br />

Beatrize Colomina, Domestic Voyerism). In der Skizze, die den Plan des Hauses<br />

zeigt, bleibt das Haus ohne Kontext (zumindest im Grundriss), statt dessen ist<br />

dem Grundrissplan eine Ansicht der Aussicht hinzugefügt. Wichtigstes Element für<br />

das Haus bildet das 11m lange Fenster in Richtung See. Le Corbusier in seiner<br />

Beschreibung das Haus als eine Maschine, um darin zu wohnen, für ihn also ein<br />

kleiner Prototyp seiner Überlegung zu einer industriellen Herstellung von Häusern.<br />

Wie Maschinenteile sind auch Möblierungen frei in den Kubus gestellt, von halb<br />

umschließenden Wänden umfasst. Zweimal rahmt LC den Blick, einmal cinematografisch<br />

längs entlang des Kubus, einmal fokussiert durch eine quadratische<br />

Öffnung in der Gartenmauer.<br />

In den 1920er Jahren entwickelte Le Corbusier zwei Prototypen, die in seinem<br />

gesamten späteren Werk moduliert Anwendung fanden: Das Maison Citrohan und<br />

das Maison Domino. 1927 bauten Le Corbusier und sein Partner Pierre Jeanneret<br />

in der Weißenhofsiedlung in Stuttgart einen Citrohan-Typus als Haus und sie<br />

präsentierten anlässlich einer Ausstellung zur Weißenhofsiedlung zugleich die<br />

„Fünf Punkte einer Neuen Architektur“, die alle kommenden Planungen bestimmen<br />

sollten: 1. Die Pilotis, 2. Der Dachgarten, 3. Der freie Grundriss, 4. Das Langfenster,<br />

5. Die freie Fassade.<br />

Das Citrohanhaus zeigt ein System, das Le Corbusier aus der räumlichen Erfahrung<br />

in seinem Pariser Studio entwickelte: ein zweigeschossiger Wohnraum mit<br />

großer Verglasung in Richtung Aussicht, alle Nebenräume auf zwei Geschossen<br />

im rückwärtigen Teil, eine außen liegende Treppe als Erschließung des oberen<br />

Geschosses. Kochen, Hygiene und Schlafen sind auf minimalem Raum untergebracht,<br />

um den restlichen Raum offen, hoch und frei zu halten. Noch abstrakter<br />

entwickelt als das Maison Citrohan zeigt das Haus Domino, entwickelt von LC<br />

1915, bereits alle Merkmale der Fünf Punkte. Drei parallele Ebenen sind auf Pilotis<br />

aufgestelzt, bieten eine offene Fläche für freie Nutzungen, eine Treppe verbindet<br />

die Ebenen und am Rand kann sich eine freie Fassade entfalten.<br />

Le Corbusier, Villa Stein in Garches, 1927<br />

Le Corbusier: Typus Domino, Typus Citrohan,<br />

Die 5 Punkte, der Modulor......Ein System für<br />

alles!<br />

Le Corbusier: Le Petit Maison: Haus als Kamera<br />

zum Betrachten der landschaft<br />

VIlla Floriac, Rem Koolhaas, OMA<br />

Ein Villenprojekt von Rem Koolhaas/OMA zeigt Variationen bzw. Kombinationen<br />

aus Raumplan und Plan Libre. Die 1998 fertig gestellte Villa Floriac außerhalb von<br />

Bordeaux demonstriert drei unterschiedliche Raumkonzepte innerhalb eines Hauses<br />

noch besser. Das für einen querschnittsgelähmten Mann und dessen Familie<br />

konzipierte Haus ist in drei Ebenen mit jeweils eigener Raumkonzeption gegliedert.<br />

Das Untergeschoss gräbt sich höhlenartig in den Hang hinein, die Erdgeschossebene<br />

ist gläsern, offen und frei, das Obergeschoss ist geschlossen und intim.<br />

Verbunden werden die drei Ebenen durch einen Liftraum mit 3 x 3,5 m Größe, der<br />

als Büro, Weinkeller und Bibliothek zugleich fungiert. Der bewegte Raum verändert<br />

je nach Lage die Raumkonfigurationen.<br />

Die unterste, höhlenartige Ebene ist für das private Familienleben vorbehalten,<br />

hier ist die Küche platziert, gegenüber über dem Hof das Gästehaus. In der mittleren,<br />

verglasten Ebene ist halb innen liegend, halb außen der Wohnraum situiert<br />

und in der obersten Ebene die Schlafräume, unterteilt in „ein Haus für die Kinder“<br />

und „ein Haus für die Eltern“. Das oberste Geschoss ist weitgehend geschlossen,<br />

die Betonwände erlauben auf Grund der Statik nur kleine (runde) Öffnungen. Sie<br />

liegen auf einem Balken auf und sind von einem zweiten Balken abgehängt, der<br />

auf der Ummantelung der Wendeltreppe asymetrisch aufliegt, weshalb er durch ein<br />

Gegengewicht gehalten werden muss.<br />

Villa Floriac, OMA: 3 Geschosse, 3 Raumkonzepte.<br />

Höhle, Glashaus, geschlossene<br />

Box. Verbindendes Element: der bewohnbare<br />

Farstuhl. Die unterste Ebene: ein Höhlenhaus


Betten, Bettdecken, Schlafräume und andere Bewusstseinsgrenzen<br />

Das aus dem Boden der Erde erhobene Bett stellt neben dem Herd die<br />

zweitwichtigste Institution im privaten Wohnen dar. Das Bett beschreibt<br />

und besetzt auch mehr als alle anderen privaten Objekte genaue Grenzen:<br />

Eigentumsgrenzen, Territoriumsgrenzen, Intimitätsgrenzen, sexuelle Grenzen<br />

und Bewusstseinsgrenzen. Die ersten Betten des 14. Jahrhunderts waren oft<br />

kleine Häuschen, die mitten im Raum standen, viel Platz einnahmen und oft<br />

mehreren Personen Platz zum Schlafen boten. Solche Betten erhielten seitliche<br />

Truhen zum Aufsteigen, Vorhänge und einen Himmel als Dach. Erst im Laufe<br />

der Zeit und mit dem Anerkennen einer eigenen, privaten Körperlichkeit wurden<br />

Betten individuelle Orte des Alleinseins. Aus dem nahezu öffentlichen Bett, dass<br />

in adeligen Kreisen oft mitten in einem Saal stand, formierte sich im Laufe der<br />

Zeit parallel zur bürgerlichen Familie das individuelle Schlafzimmer. Mit der<br />

Ausdifferenzierung des Wohnens an sich wurden auch die einzelnen kleinen<br />

Räume als Raumfolgen ausgebildet. Von einem fließenden Übergang zwischen<br />

öffentlich und privat wurden die Grenzen zunehmend geschlossen, aus dem noch<br />

offenen intimen Bereich zwischen Bett und Wand, der ruelle, wo erste kleine intime<br />

Wertgegenstände aufbewahrt wurden, wurde schließlich ein eigener Raum, das<br />

Schlafzimmer.<br />

Schlafen und Sterben sind, wie Sexualität und Tod zwei untrennbare Prinzipien.<br />

Schlafen ist eine unkontrollierbare Praktik. Schlafen bedeutet, in einen unbewussten<br />

Teil des Alltäglichen zu wechseln. Unter Ausruhen versteht man normalerweise<br />

jene Praktik, in der man von der vertikalen Alltäglichkeit in die horizontale Alltäglichkeit<br />

übergeht. Die Linie zwischen Wand und Decke bildet nun den neuen, sonst<br />

selten in das Blickfeld gefassten Horizont. Eine Reihe von Emblemen rund um<br />

das Bett bilden das Netzwerk für die richtige Ausübung der Praktik des Schlafens:<br />

Sie markieren das intime Territorium, das sich gleich der ruelle rund um das Bett<br />

ausdehnt: Hausschuhe, Bettvorleger, Nachttisch, Nachttischlampe, Deckchen, Uhr,<br />

Sessel für Kleider, Kopfpolster, Duchend, Leintuch, Überdecke, Zierpolster etc.<br />

bilden ein exakt definiertes und positioniertes Netzwerk aus Schichten und Objekten,<br />

die die Praktik des Schlafengehens und des Schlafens regulieren. Als häusliche<br />

Praktik des Privaten haben sich Schlafen und Ausruhen in den Jahrhunderten<br />

nicht verändert. Und es gibt nur wenige Beispiele an Architektur des Privaten, die<br />

an der Praktik des Schlafens tatsächlich etwas veränderten und sich Norm und<br />

Moral widersetzten.<br />

Notwendige Schichten, um Körperlichkeit zu<br />

verdecken<br />

Le Corbusier, Doppelhaus Weißenhofsiedlung.<br />

Die Betten verschwinden im Wandschrank<br />

Enzyklopädien<br />

1920 malte Max Ernst das eigentümliche Bild eines Interieurs mit dem rätselhaften<br />

Titel „Das Schlafzimmer des Meisters es lohnt sich darin eine nacht zu verbringen“.<br />

Bär, Schaf, Fisch, Wal, Fledermaus, Schlange, Tisch, Bett und Baum sind in die<br />

beengende Perspektive eines Schlafzimmers gebannt. Die Irritation wird vor allem<br />

durch den fundamentalen Gegensatz zwischen der korrektesten Organisation<br />

und der gleichzeitigen Irrationalität der Anordnung ausgelöst. Das irritierende<br />

Szenarium des zoologischen Interieurs ist Teil einer Serie von Bildern, deren<br />

Technik Max Ernst als ein malerisches Äquivalent zur écriture automatique<br />

(automatischen Schreibweise) entwickelt hatte. Ernst war 1919 zufällig auf die<br />

illustrierten Seiten des Kölner Lehrmittelkatalogs „Bibliotheca paedagogica“ mit<br />

anthropologischen, mikroskopischen und physiologischen Demonstrationsobjekten<br />

gestoßen, von denen ein eigenartiger „visueller Zwang“ ausging. Die banalen<br />

und naturgetreu gezeichneten enzyklopädischen Bildbögen, die ursprünglich<br />

als Schulbehelf zusammengestellt worden waren, wiesen eine solche Vielfalt<br />

absurdester Elemente auf, dass in Max Ernst augenblicklich eine halluzinatorische<br />

Folge von Bildern entstand: „Ich brauchte folglich nur mit Pinsel oder Stift den auf<br />

diesen Katalogseiten dargestellten Dingen etwas Farbe oder Blei, eine fremdartige<br />

Landschaft, Wüste oder Himmel, einen geologischen Schnitt, einen Boden, eine<br />

einzige Linie als Horizont hinzuzufügen, um das genaue, gesicherte Bild meiner<br />

Halluzination zu erhalten und die zuvor banalen Druckseiten in Dramen zu<br />

verwandeln, die meine geheimsten Wünsche verrieten.“ Betrachtet man das Bild<br />

genauer, dann spürt man den Zusammenhang, so absurd dieser Zusammenhang<br />

auch sein mag.<br />

Max Ernst, Das Schlafzimmer des Meisters, es<br />

lohnt sich, darin eine Nacht zu verbringen<br />

Max Ernst, Das Schlafzimmer des Meisters, es<br />

lohnt sich, darin eine Nacht zu verbringen


Russland<br />

In Russland dachte man wissenschaftlich: So war auch in Russland in den 20er<br />

Jahren die „Anthropotechnik“ Bestandteil der wissenschaftlichen Forschungen.<br />

Soziale und ökonomische Veränderungen sowie eine rein psychische Manipulation<br />

des Menschen konnten die radikalen Forderungen der Revolution nicht realisieren,<br />

solange der Organismus des Menschen unverändert bliebe. Die „Anthropotechnik“<br />

sollte alle wissenschaftlichen Möglichkeiten austesten, um den individuellen und<br />

für Krankheiten anfälligen Körper in einen kommunalen und resistenten Körper<br />

umzuformen. Dieser neue Körper sollte nicht nur resistent gegenüber Krankheiten,<br />

sondern vor allem gegenüber dem Tod sein. 1923 hatte der Wissenschaftler<br />

Valerian Muraviev in seinem Traktat über „Produktive Mathematik“ die Vision<br />

eines durch chemische Experimente manipulierten Körpers proklamiert: Die<br />

„Anthropotechnik“ sollte nicht nur einen neuen physischen Typus erschaffen, sie<br />

sollte die Verjüngung, die Wiederbelebung und die Wiedergeburt des Körpers<br />

ermöglichen, der nun im Dienste eines kollektiven Körpers bzw. einer Symbiose<br />

aller Körper stand.<br />

Konstantin Melnikov kannte die anthropotechnischen Experimente am physischen<br />

Körper und er kannte die Proklamationen Muravievs. Als er 1929 für den Wettbewerb<br />

einer „Grünen Stadt“ – eine Erholungsstadt für Moskauer Arbeitende - das<br />

Projekt einer ringförmig aufgebauten Stadt entwickelte, positionierte er auch im<br />

Zentrum ein anthropotechnisches Institut, das „Institut zur Formveränderung des<br />

Menschen“. Die wirkliche Sehnsucht Melnikovs lag jedoch in einem ganz anderen<br />

Teil des Projektes, dem sogenannten „Laboratorium des Schlafes“ – ein Gebäude,<br />

dessen einzige Funktion darin bestehen sollte, die aus Moskau ankommenden<br />

Arbeitenden in Schlaf zu versetzen: SONaia SONata. Künstlich herbeigeführter<br />

Schlaf sollte die Ankommenden für das neue und kommunale Leben der „Grünen<br />

Stadt“ vorbereiten und sie von traditionellen Arbeitende in kommunale Arbeitende<br />

umwandeln. Das lang gestreckte Laboratorium des Schlafes bestand neben einem<br />

zentralen Umkleide- und Waschraum vor allem aus zwei schräggestellten Schlafflügeln,<br />

an deren Endpunkten zwei Kontrollräume die Schlafintensität je nach<br />

Notwendigkeit in sanften Schlaf, leichten Schlaf, tiefen Schlaf oder Dämmerschlaf<br />

steuern konnten. Sauerstoffzufuhr, Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsregelung,<br />

Gerüche, Geräusche sowie unterschiedliche Lichtqualitäten sollten die dazu notwendige<br />

Atmosphäre verändern. Über mechanische Verbindungen jedoch konnte<br />

jedes der schräg gestellten Betten zusätzlich in leichtes Schwingen, in sanftes<br />

Stoßen und schließlich in starkes Rütteln versetzt werden, was den Schlaf bis zur<br />

Bewusstlosigkeit steigern sollte. Melnikov hatte - unbewusst oder bewusst - ein<br />

Projekt entwickelt, das den kommenden Bewohnern der „Grünen Stadt“ nahezu<br />

„Ozeanischen Erfahrungen“ des Träumens ermöglichen würde, ein Grund allerdings,<br />

weshalb die Jury vehement gegen sein Projekt stimmte, da diese Zustände<br />

nicht dem aufstrebenden revolutionären Russland entsprachen.<br />

In seinem eigenen Wohnhaus in Moskau verwirklichte Melnikov wiederum eine<br />

seltsame Mischung aus Fortschrittlichkeit und Tradition. Die dicken Ziegelwände<br />

der ineinander geschobenen Zylinder erinnern an eine mittelalterliche Burg, sind<br />

jedoch im Inneren ungewöhnlich geöffnet und bilden keine abgeschlossenen<br />

Schlafzimmer für Eltern und Kinder aus. Eine Hälfte eines Zylindergeschosses<br />

formiert hier eine offene Halle mit aus dem Boden in einem Schwung erhobenen<br />

Plateaus und zwei frei in den Raum gestellten Wandfragmente, die lediglich Sichtschutz<br />

bieten. Ein Blick in das Schlafzimmer zeigt einen unkonventionellen Raum,<br />

der in seiner Stimmung an einen sakralen Raum erinnert, ohne Trennung zwischen<br />

einzelnen Intimbereichen.<br />

Konstantin Melnikov, Sonaia Sonata<br />

Das Laboratorium des Schlafes<br />

Konstantin Melnikov, Moskau: Trdaierte<br />

bauformen, unkonventionelle Privatheit<br />

Schlafpodeste, Raumteiler


Tisch und Bett. Wohnen und Körperfunktionen<br />

Grundrisse ändern sich und dennoch bleiben zwei Funktionen und zwei Möbel<br />

seit Jahrhunderten nahezu unverändert: Tisch und Bett. Sie bilden die materielle<br />

Verkörperung und das Symbol für die essentiellen Grundbedürfnisse des Wohnens<br />

schlechthin. Essen am Tisch und Schlafen im Bett sind die häufigsten Praktiken im<br />

privaten Wohnen und diejenigen, die sich über die Jahrhunderte hinweg am wenigsten<br />

verändert haben. Tische sind rund, quadratisch oder rechteckig, Betten im<br />

Normalfall Rechtecke im Verhältnis 1:2. Tische und Betten erhalten bei oder nach<br />

Gebrauch traditionellerweise Schichten, die jede Spur des intimen oder körperlichen<br />

Gebrauchs verdecken, Tischdecke oder Tagesdecke. Ein unaufgeräumter<br />

Tisch verrät Nachlässigkeit, ein ungemachtes Bett Faulheit. Tisch und Bett gehören<br />

zusammen und sind dennoch genau getrennt. Tische bilden Versammlungsorte<br />

für informelle oder formelle Essen, Betten stehen für Intimität. Essen steht für<br />

ein soziales Ereignis, das zu Bett gehen für das Ende dessen.<br />

Zum Gelage ausartend stand das Essen miteinander für eine Friedensbezeugung<br />

und für eine menschliche Vereinigung. Für lange Zeit galt, dass wenn in<br />

einer Ehe Tisch und Bett getrennt waren, die Ehe auch als geschieden betrachtet<br />

und getrennt werden konnte. Und dennoch haben sich die Gebrauchsweisen der<br />

Möbel, die Sitten und Gebräuche im Laufe der Zeit verändert. Betten etwa bedeuteten<br />

nicht immer ausschließlich die absolute Intimität einer Person oder zweier<br />

sehr nahe stehender Personen. Von Julius Cäsar etwa wird berichtet, dass er<br />

mit seinen Soldaten in einem Bett schlief, MonarchInnen nahmen sich Tiere oder<br />

Hofzwerge ins Bett. Solche Betten bildeten ganze Räume, erhielten Wände und<br />

Dach und versammelten alle möglichen Personen und Tiere. Barocke Schlossherren<br />

und -frauen wiederum empfingen in ihrem Schlafzimmer Besuchende, die<br />

Räume waren also weitgehend öffentlich zugängig. Eigene Schlafzimmer im Sinne<br />

eines Intimraums waren in normalen Häusern wiederum bis zum 18. Jahrhundert<br />

nicht üblich und dem Anspruch, ein eigenes Bett zu besitzen wurde erst am Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts tatsächlich Genüge getan.<br />

Heinrich Hoffmann: Struwelpeter, 1845.<br />

Familiäre Kontrolle schon für Kleinkinder<br />

In der westlichen Kultur bedeutet Essen am Tisch ebenso wie das Schlafen im Bett<br />

die Loslösung einer Handlung von der Ebene des Bodens in eine erhobene Ebene<br />

und damit eine kulturelle Errungenschaft. Ursprünglich stellten Tische bewegliche<br />

Schüsseln auf einem Gestell dar (discus, tisk), aus denen auch am Boden sitzend<br />

gegessen werden konnte. In der römischen und griechischen Antike wurde noch<br />

halb liegend gegessen, Tische wurden vorerst nicht gebraucht. Man stützte sich<br />

mit einer Hand auf und konnte somit auch keine Esswerkzeuge benutzen, weshalb<br />

Speisen von Sklaven auch mundgerecht vorbereitet wurden. In islamischen oder<br />

afrikanischen Kulturen wiederum bedeutet der Boden auch heute noch oft mehr<br />

als ein erhobenes Plateau.<br />

Im Mittelalter schließlich wurde der hohe, große Esstisch zentraler Ort der<br />

Familienversammlung, der weit über die Funktion des Essens hinaus ging. Ähnlich<br />

das Bett, dass von einer Schlafmulde im Boden zunehmend an Höhe gewann<br />

und schließlich im Spätmittelalter eine beachtliche, über Stufen und Truhen<br />

erreichbare Höhe erlangte. Mit dem Sitzen am Tisch verbunden war der Gebrauch<br />

beider Hände beim Essen sowie die Verwendung von Messer und Löffel und<br />

schließlich der Gabel. Auch wenn sich die Rituale des Essens heute geändert, die<br />

Gedecke sich vereinfacht und die Speisefolgen sich verkürzt haben, so hat der<br />

Tisch in seiner Bedeutung an nichts verloren. Bis heute wird jeder Tagesablauf<br />

in eine Reihe von Mahlzeiten eingeteilt, die in ihrer Bedeutung nahezu gleich<br />

geblieben sind, lediglich Mittag- und Abendessen wechseln an Bedeutung. Die<br />

Speisen selbst haben sich hingegen geändert. So wurden im 17. Jahrhundert<br />

in betuchten Kreisen noch 6.000 Kalorien am Tag gegessen. Frühe Tische<br />

waren flexible Holzplatten auf Böcken, wie man sie etwa in Bildern von Brueghel<br />

erkennen kann. Im Barock schließlich wurden die fixen Tische verziert und wurden,<br />

um die Intarsien zu schützen, erstmals mit einem Tischtuch belegt, was dem<br />

Schutz diente und zugleich als Serviette fungierte. Im 18. Jahrhundert schließlich<br />

entstanden eigene kleine Sonderformen von unzähligen Tischen und Tischchen für<br />

bestimmte Tätigkeiten wie das Nähtischchen, das Spiel- oder Lesetischchen.<br />

Der Tisch als das Terrain, auf dem Konventionen<br />

des privaten Wohnens ausgetragen<br />

werden.


Besteck wiederum wurde über die Jahrhunderte zunehmend komplexer und<br />

verfeinert. Vom ursprünglichen Fallbeil zum Messer, von der Schöpfkeule zum<br />

Löffel und erst sehr spät zur Gabel wurden Tafelkultur, Trink- und Esssitten<br />

sowie die Tischmanieren ständig verfeinert. Die Gabel etwa kam erst in der<br />

Renaissance in Mode. Im Mittelalter wurde die Gabel als ein Hexen- oder<br />

Teufelswerkzeug bezeichnet, erste Gabeln waren vorerst kostbar und verziert, aus<br />

Silber oder Elfenbein hergestellt und erst die industrielle Anfertigung Ende des 19.<br />

Jahrhunderts brachte eine allgemeine Verbreiterung.<br />

Im 17. Jahrhundert begann sich das zu entwickeln, was man heute allgemein<br />

unter „Tischsitten“ versteht. Diese Tischsitten hatten unterschiedliche Gründe:<br />

ein wachsender Individualismus, ein erhöhter Wunsch nach Reinlichkeit, eine<br />

größere Praktikabilität etc. Die größte Bedeutung der Tischsitten lag jedoch in der<br />

Markierung sozialer Unterschiede. Mit den Tischsitten waren die Sitzordnung, die<br />

Speisefolge und die Rangordnung genau beschrieben. Herzögliche Festessen<br />

wie etwa am Hof des Schlosses Ezterhazy in Eisenstadt bestanden oft aus 16<br />

Suppen, 13 Vorspeisen, 28 Hors d´oevres, 16 Braten, 13 Zwischengerichten<br />

und 57 unterschiedliche Desserts. Der visuelle Reiz war fast wichtiger, als der<br />

geschmackliche Reiz: Figuren aus Zucker und Goldstaub, ausgestopfte Fasane<br />

und Blumen entsprachen der Vielfalt der Gänge. Das barocke Tafelmuster bildete<br />

eine streng geordnete Komposition, eine Aufzeichnung, die etwa dem streng<br />

geordneten Tanz des Barocken entspricht oder der Gesten. Sitzordnung bedeutete<br />

Rangordnung, und hier vor allem patriarchalische Rangordnung. In vielen Kulturen<br />

durften Frauen lange Zeit nicht am selben Tisch essen wie Männer, in bäuerlichen<br />

Kulturen wird bis heute der Platz an der Schmalseite, der am weitesten von der<br />

Küche entfernt ist und den offenen Blick in den Raum gewährt, dem Mann als<br />

Oberhaupt der Familie vorbehalten, oft war dies der bequemste Sessel, während<br />

alle anderen auf harten Bänken saßen. In bürgerlichen und adeligen Kreisen<br />

wurde zwischen Dienstboten und Herrschaften sowie zwischen Erwachsenen und<br />

Kindern, zwischen Speisesaal und Küche getrennt.<br />

Tisch und Sessel bilden die Einrichtungen für geregelte Abläufe und periodische<br />

Höhepunkte von Festen, sie bilden trotz geringem Platzanspruch, so Gert Selle,<br />

eine „unsichtbare Zeit-Raum-Einheit in der persönlichen Geschichte des Wohnens<br />

und Lebens ab.“ (Selle, S. 117). Bei aller Gelassenheit bestimmen dennoch auch<br />

heute noch eine Reihe von Regeln das Essen, die über die Jahrhundert hindurch<br />

entwickelt, verfeinert, gelockert und dennoch weiter transportiert wurden. Der<br />

„richtig“ gedeckte, mitteleuropäische Tisch etwa, folgt man Einrichtungsbüchern,<br />

beinhaltete in den 1950er Jahren exakt 52 Regeln. Diese wurden teils mündlich<br />

überliefert, teils wurden sie über Gegenstände und Markierungen fixiert, über<br />

in die Oberfläche des Tischtuchs gleichsam eingeschriebene Codierungen. Sie<br />

beschreiben die exakten Lagebedingungen der Gedecke und sie codieren zugleich<br />

die exakte Ausübung der Praktiken bei Tisch. Die Regeln für den gedeckten Tisch<br />

sind dem 1957 herausgegeben Ratgeber „Der Gute Ton“ entnommen. Als Beispiel<br />

sind hier die ersten fünf Regeln heraus genommen:<br />

1. Das Tischtuch soll an der geraden Kante 20 cm über die Tischkante hängen.<br />

2. Das Tischtuch legt man über eine Wollunterlage. Das bewirkt, dass alle<br />

Geräusche, die durch das Essen und Trinken verursacht werden, vollständig<br />

absorbiert werden.<br />

3. Die Essteller stehen in der Mitte des Gedecks, ihr unterer Rand schließt mit dem<br />

Tischrand ab.<br />

4. Die Messer liegen mit der Schneide nach innen rechts vom Teller, die Gabeln<br />

mit dem Hohlraum nach oben links vom Teller, die Suppenlöffel, ebenfalls mit dem<br />

Hohlraum nach oben, entweder quer hinter dem Essteller oder neben dem Messer,<br />

der Kompottlöffel neben oder unter dem Suppenlöffel. Das Fischmesser liegt<br />

rechts neben dem großen Messer, die Fischgabel links neben der großen Gabel.<br />

5. Die Serviette liegt möglichst glatt entweder auf dem Ess- oder Suppenteller oder<br />

links neben dem Besteck.<br />

Oder etwa die Regeln, wie man richtig Krebse isst, 21 Regeln:<br />

Der Krebs wird mit der linken Hand am Panzer angefasst, mit der rechten Hand<br />

reisst man mit einem kräftigen Ruck die Scheren mit den Gelenken vom Panzer<br />

ab. Man löst dann jedes Gelenk einzeln ab und saugt das Fleisch aus den<br />

Sitzordnung, Speisefolge, Rangordnung<br />

Barocke Tafelmuster<br />

Tisch- und Esssitten. Lageplan des Gedecks<br />

Richtiges Essen


Gelenken heraus. Die kleinere Scherenseite wird abgebrochen und die Spitze<br />

mittels des Loches im Krebsmesser abgeknickt. Der Inhalt lässt sich nun bequem<br />

herausdrücken oder mit der Gabel herausziehen. Auch bei der größeren Schere<br />

wird die Spitze abgebrochen und nun der obere Teil des festen Panzers mit dem<br />

Krebsmesser abgelöst. Der Schereninhalt wird mit Toast oder Butter gegessen.<br />

Etc.<br />

With-Drawing-Room, Diller & Scofidio, Capp Street, San Francisco, 1987<br />

Die Praktiken des Häuslichen zu bewahren heißt, die Kontrolle des Häuslichen und<br />

die Disziplin des Körpers zu bewahren. In einem 1987 verwirklichten Installationsprojekt<br />

von Diller & Scofidio werden gerade eben diese Regeln und Konventionen<br />

des Privaten visualisiert. Diller & Scofidio sehen in der Oberfläche Privaten, des<br />

Hauses und des Häuslichen jenes Terrain, in dem sich kulturelle Codes manifestieren.<br />

Die Vorbereitung und Aufbereitung des Häuslichen sei ein Netzwerk aus<br />

unterschiedlichen Codierungen, das nicht nur den Raum organisiere, sondern<br />

auch die Objekte, Handlungen, Aktionen und Körper. Die Codes, die das Häusliche<br />

betreffen sind juridische Codes, die das Eigentum und die eindeutige Grenze<br />

zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen sichern, die Regeln der Etiquette, die<br />

den Umgang mit den Fremden sichern sowie moralische Codes, die die Rechte<br />

und Pflichten dem anderen Körper gegenüber sichern.<br />

Die Installation „With Drawingroom“ unterscheidet sich kaum von jeder konventionellen,<br />

installierten Häuslichkeit, wie sie in jedem Mittelklassehaus in den USA<br />

finden. With Drawingroom wurde in einem von dem Künstler David Ireland umgebauten<br />

Holzframehaus in San Franzisko als eine Mischung aus Haus und Galerie<br />

installiert. Das Häusliche und die Privatheit des Künstlers sowie die mögliche<br />

„voyeuristische“ Observation durch die Besucher wurde hier zugleich Ort als auch<br />

Thema der Installation. Die Beobachtung, der voyeuristische Blick ermöglichen<br />

den Betrachtenden sowohl Einblicke in die reale Häuslichkeit des Künstlers als<br />

auch Einblicke in die installierte Häuslichkeit. Die Ebenen der Realität werden also<br />

relativiert. Und sie ermöglichen den Blick aus dem Häuslichen heraus - dem realen<br />

wie auch dem simulierten Häuslichen - in das sogenannte Öffentliche. Die Installation<br />

invertiert also die Sicht, den Blick und den Standpunkt mehrfach.<br />

Der gute Ton bei Tisch<br />

Zwei sich überkreuzende Wände definieren - wie in jedem Amerikanischen Haus,<br />

wo meist im Mittelpunkt Kamin oder Stiege bzw. der Fernseher liegen - die häuslichen<br />

Zonen und unterschiedlichen Terrains von Privatheit bzw. die Praktiken der<br />

bewohnenden Körper. With Drawing – Raum mit Zeichnung, Raum mit Bezeichnung<br />

- verwendet genau jene abstrahierte Methode der Architektur, die Zeichnung,<br />

die in ihrer objektiven Abstraktion versucht, das Reale zu simulieren. Die<br />

Repräsentation der Zeichnung wird hier zur Visualisierung eines Mechanismus der<br />

Reduktion. Neben dem subjektiven Blickwinkel und dem voyeuristischen Blickwinkel<br />

bildet nun der objektive Blickwinkel der Zeichnung als Schnitt, horizontal oder<br />

vertikal, eine zusätzliche Ebene des Häuslichen, die normalerweise im gebauten<br />

Haus nicht mehr sichtbar ist. Die Spuren der Reduktion werden also wieder aufgezeichnet.<br />

Der Schnitt wird auch methodisch als eine Praktik des designierens oder designens<br />

verwendet, um die konventionellen Bedeutungen der Objekte des Häuslichen<br />

zu zerschneiden, zu entfernen, um damit eine weitere, zusätzliche Bedeutungsebene<br />

herzustellen. Die dabei entstehenden Spuren wiederum durch das<br />

Zerschneiden, das Entfernen oder Hinzufügen werden genauso aufgezeichnet,<br />

wie die Spuren des Alltäglichen, die Spuren von Gläsern auf dem Tisch, die<br />

Spuren des zerknitterten Bettes und alle Spuren, die normalerweise sofort eliminiert<br />

werden. Diller & Scofidio entschlüsseln die konventionellen Praktiken und<br />

sie versehen die Objekte der Praktiken mit prothetischen Vorrichtungen, die das<br />

Bezeichnen, das Aufzeichnen, das Einschreiben nicht nur verdeutlichen, sondern<br />

tatsächlich vollziehen.<br />

Diller & Scofidio, With Drawing Room<br />

Einschreiben von Regeln<br />

Visualisieren von Körperpraktiken<br />

Der Tisch etwa wird hier als das Terrain des Hauses bezeichnet, das gleichsam<br />

einen mikro-organisierten Ort repräsentiert, wo kulturelle Codes ausgespielt<br />

werden und wo Konventionen zwischen Fremden und Bewohnenden, zwischen<br />

vordefinierten Geschlechterrollen, zwischen Objekt und Körper in die Oberfläche


des Tisches eingeschrieben sind. Das Bett der installierten Häuslichkeit ist genau<br />

an der Symmetrieachse zerschnitten und ist nur mehr an einem einzigen Punkt am<br />

Kopf des Bettes, einem gelenkigen Verbindungspunkt, verbunden. Die eine Hälfte<br />

des Bettes ist fixiert, die andere Hälfte erlaubt eine limitierte Beweglichkeit um zumindest<br />

180 Grad. Diese Fixierung im Zentrum des Hauses ist eine mechanische<br />

Vorrichtung, wo Positionierungen zusammenhängen, jedoch immer wieder aufs<br />

Neue verhandelt werden müssen.<br />

Daniel Spoerri, Essen, Kochen, Kunst<br />

1960 wurden in Paris am Festival d´art d´avantgarde erstmals die vom Künstler<br />

Daniel Spoerri so genannten „Fallenbilder“ ausgestellt. Ihr Autor Daniel Spoerri<br />

bezeichnete sie im Weiteren als „optische Lektionen über unbewusste Kreuzpunkte<br />

menschlicher Tätigkeiten“. Er verbot, sie als Kunst zu betrachten. Fallenbilder<br />

sind fixierte und zufällige Wirklichkeitsausschnitte aus Objekten und Unterlage,<br />

aus Tischtuch und Gedecken, die nach einem stattgefundenen Essen meistens<br />

von einer horizontalen Ausgangslage in eine vertikale Lage gebracht wurden. Es<br />

gibt keine identischen Fallenbilder. Als 1964 in der Galerie Allan Stone in New York<br />

31 Tische mit denselben Gedecken aufgestellt wurden, entstanden 31 unterschiedliche<br />

Fallenbilder. Fallenbilder zeichnen die Spuren einer stattgefundenen Einladung<br />

zum Essen auf: Teller, Essensreste, abgebrochene Baguettestücke, volle<br />

Aschenbecher, umgeworfene Weingläser etc. Oder sie zeigen den eingefrorenen<br />

Zustand eines plötzlich abgebrochenen Essens, wie zum Beispiel durch die Verkündigung,<br />

dass es sich bei dem servierten Gulasch um Pferdefleisch handle.<br />

Alle Spuren, die unsere Körper in den Interieurs hinterlassen, sind Fallenbilder,<br />

Reste und Indizien eines häuslichen Tatbestandes, die einen vorübergehenden<br />

Wirklichkeitsausschnitt des Interieurs abbilden, bevor die Spuren dieser Wirklichkeit<br />

durch Hausarbeit beseitigt werden. Um die häusliche Oberfläche von<br />

bleibenden Spuren freizuhalten und um Verfestigungen der Körperabdrücke zu<br />

verhindern, haben wir in einem taktischen Manöver zwischen dem Interieur und<br />

dem Körper ein Netzwerk aus regenerierbaren oder austauschbaren Schichten<br />

eingeführt: Fußabstreifer, Teppiche, Schoner, Läufer, Vorhänge, Handtücher,<br />

Badematten, Geschirrtücher, Schürzen, Bettücher, Überzüge, Decken, Servietten,<br />

Glasunterlagen, Tellersets und Tischtücher: Sie schieben sich zwischen das<br />

Material des Interieurs und die Hautoberfläche. Diese traditionell textilen Schichten<br />

sind maßgeblich an der hygienischen Prophylaxe des Häuslichen beteiligt. Für die<br />

Tisch- und Bettwäsche etwa gilt bis heute das Ideal der strahlend-weißen, gebügelten,<br />

im Idealfall gebleichten und gestärkten Leinen- oder Damastwäsche. Das<br />

weiße Tischtuch und die weiße Serviette sind Relikte aus dem Interieur des 19.<br />

Jahrhunderts und waren Bestandteile der ehelichen Aussteuer. Mädchen arbeiteten<br />

seit ihrem frühen Kindheitsalter an der Aussteuer, um sie bis zum Zeitpunkt<br />

ihrer Verlobung fertigstellen zu können.<br />

Daniel Spoerri, Fallenbilder<br />

Restaurant Spoerri, nach dem Dinner<br />

Futuristisches Kochen<br />

Als neue Architektur- und Kunstströmung versuchte der Futurismus auch auf alltägliche<br />

Praktiken wie das Kochen und Essen einzuwirken. 1908 deklarierte Filippo<br />

Tommaso Marinetti mit einem neuen Konzept der Literatur und einem Plädoyer<br />

für den „freien Vers“ öffentlich als „Futuristischen Manifest“. Im Gegensatz zum<br />

subversiven und jede Ideologie untergrabenden Dadaismus und im Unterschied zu<br />

den unterbewussten, Trance- artigen Zuständen des Surrealismus hatte der Futurismus<br />

die Bewegung im Sinne einer positiven Weiterbewegung und einer Dynamisierung<br />

aller Lebensprozesse (und damit letztlich auch den Krieg) zum Ziel. „Nieder<br />

mit allen vergangenen, historischen, akademischen und traditionellen Begriffen<br />

des Lebens.“ Die Lösungen waren nicht länger in den Vorbildern zu finden, dazu<br />

hatte der Krieg zu viel zerstört, sondern vielmehr im Neuen, in der Fortbewegung<br />

und einem umfassenden Konzept einer Dynamisierung. Kontinuität, Elastizität<br />

und permanente Transformation waren die künstlerischen Prämissen, unter denen<br />

futuristischen Arbeiten entstanden. Das futuristischen Manifest erklärte, dass die<br />

„dynamische Sensation“, d.h. der bestimmte Rhythmus eines Objektes gezeichnet<br />

werden muss, seine Neigung, seine Bewegung und schließlich, seine „inneren<br />

Marrinetti: Neue Stadt, neue Architektur, neue<br />

Menschen, neues Essen


Kräfte“. Die Gleichzeitigkeit der Darstellung aller Aspekte eines Gegenstandes entsprach<br />

der Simultanität und der Geschwindigkeit der neuen Lebensbedingungen.<br />

Boccioni etwa verfolgte eine synthetische Darstellung mit den Bestandteilen von<br />

Licht und Farbe, um dem Gegenstand, seinen Aspekten und immanenten Zuständen<br />

die Aspekte der Zeit, Dauer und des Prozesses der Erinnerung hinzuzufügen.<br />

Das Futuristische Kochbuch schließlich, 1932 von Marinetti veröffentlicht, sollte<br />

auch mit dem traditionellen Essen des bourgeoisen 19. Jahrhunderts brechen und<br />

Kochen und Essen in ein dynamisches, technologisches und urbanes Konzept<br />

des 20. Jahrhunderts überführen. Marinettis Kochbuch kreierte nicht neue Menüs,<br />

es sollte alle konventionellen Praktiken revolutionieren: Leicht, kalorienarm und<br />

technisch, synästetisch und dynamisch sollte das futuristische Essen dem schnellen<br />

Leben der Großstädte entsprechen und den Menschen des 19. Jahrhunderts<br />

in den modernen Großstadtmenschen verwandeln. Farben waren dabei ebenso<br />

wichtig wie Geschmack: Spinat, Tomaten, Eiweiß und Pflaumen etwa bestimmten<br />

das lustvolle Gebilde auf dem futuristischen Teller und sollten von den Zwängen<br />

des bürgerlichen Essens befreien. Im futuristischen Restaurant in Turin, das von<br />

Fillìa ausgestattet war, fanden „futuristischen Banketts“ statt, zu deren Eröffnung<br />

es einen „Totalreis, Skulpturenfleisch und Elastikkuchen“ gab. Gerüche und<br />

Geräusche wurden als sinnliche Wahrnehmungen ernst genommen, bei den so<br />

genannten „Simultanessen“ wurden Parfüms versprüht und neue Musik begleitete<br />

die Menüs. Das Restaurant war fast ausschließlich in Aluminium verkleidet, da Auminium<br />

das moderne Leben am Besten ausdrücken konnte: metallisch, scheinend,<br />

elastisch und leicht. In Kombination mit Licht sollte das Innere des Restaurants so<br />

Veränderung, Bewegung und Aktivität ausdrücken. „Pillen statt Pasta!“<br />

Effiziente Körper<br />

In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts waren es vor allem zwei<br />

Erfindungen, die deutlich machten, dass der (herkömmliche) Körper unzulänglich<br />

ist und im Sinne einer gesteigerten Produktion geformt werden musste: die Erfindung<br />

der Lochkarte durch Hollerith und die Erfindung der Fließbandarbeit durch<br />

Ford. Beide knapp nacheinander in Amerika erfundenen Strategien der Beobachtung<br />

und Kontrolle über produktive und körperliche Vorgänge hatten ihre Vorläufer<br />

jedoch bereits im 18. Jahrhundert.<br />

Eines der ersten großen städtebaulichen Ensembles, die zur Gänze auf eine<br />

optimierte Arbeitswelt ausgerichtet waren, stellt die von Claude Nicolas Ledoux<br />

1773 gebaute Salinenstadt in Arc-et-Senans in Frankreich dar. Sowohl symbolisch<br />

als auch strukturell stellt diese die optimierte Arbeit, die Kontrolle über die arbeitenden<br />

Körper sowie eine maximierte Produktion in den Vordergrund. Im Zentrum<br />

der kreisförmig arrangierten Anlage steht als Machtdemonstration das Haus des<br />

Direktors, kombiniert mit einer kleinen, wiederum zentral angeordneten Kapelle,<br />

die gewissermaßen sowohl Arbeit als auch diktatorisches Beobachten und Bestimmen<br />

dieser Arbeit sanktionieren soll. Die Anlage dient dem Zweck der optimierten<br />

Produktion einerseits und der effektivsten Überwachung über diese Produktion<br />

andererseits - kurze Wege, minimierte Bewegungen und perfekte Überwachung.<br />

Die vollkommene Integration der ArbeiterInnenhäuser in die Produktionsanlage<br />

folgte vor allem diesen Prinzipien der kurzen Wege, der ununterbrochenen Produktionslinie<br />

und der Überwachung. Wohnen wird nicht mehr länger als eine von der<br />

Produktion getrennte Einheit betrachtet, sondern man versucht eher, das Leben<br />

der Arbeitenden soweit wie möglich in die Produktion zu integrieren. Eine erste<br />

Formung des gesellschaftlichen, sozialen und physischen Körpers der Arbeitenden<br />

beginnt also gewissermaßen. Das Prinzip der Überwachung wird in den ArbeiterInnenhäusern<br />

fortgesetzt, in denen eine zentrale Halle, ein „Hotel de réunion“ mit<br />

einem wiederum zentral positionierten Herd Gemeinsamkeit ermöglicht und zugleich<br />

eine interne Kontrollfunktion ausübt. Ramón M. Reichert nennt die Form der<br />

Salinen ein „Industrie-Theater“ (siehe: Weltmaschine, Wunscherfindung). Theatralisch<br />

waren sowohl die verwendeten Formen und Applikation wie die applizierten,<br />

Salz speienden Köpfe, theatralisch war jedoch vor allem die Anlage selbst. Über<br />

eine weit in den Hügeln vor La Chaux beginnenden Achse erreicht man durch eine<br />

schmale Öffnung einen ersten Vorhof, um dann in den tatsächlichen kreisrunden<br />

Hof zu gelangen, dessen geschlechtliche Metaphorik offensichtlich scheint.<br />

Futuristisches Essen für futuristische Menschen,<br />

Pillen statt Pasta!<br />

Elizabeth Diller&Ricardo Scofidio:<br />

Indigestion, 1995. Essen als Rollenspiel,<br />

visualisiert auf einem interaktiven Videoscreen-Tisch.<br />

Salinenstadt von Ledoux: Überwachung,<br />

Kontrolle


Perfektioniert wurde die kreisförmige Anlage lediglich durch das ebenso Ende des<br />

18. Jahrhunderts entwickelte „Panopticon“, das der Engländer Jeremy Bentham<br />

im Sinne der großen, zum Vergnügen konstruierten wissenschaftlichen Schaupanoptiken<br />

benannte: ein modellhaften Gebäude, das sich sowohl als Schule, als<br />

Erziehungsanstalt, als Krankenhaus, als ArbeiterInnenwohnhaus wie auch als<br />

Gefängnis eignen sollte. Das Prinzip des Panopticons glich jenem der Salzfabrik:<br />

In einer kreisrunden, geschlossenen Anstalt sollte zentral ein Beobachtungsposten<br />

eingerichtet sein, der mit einem Blick alle rundum angeordneten Zellen visuell<br />

erfassen konnte. Dieses Prinzip wurde noch durch die Lichtführung verstärkt. Die<br />

Oberlichter waren so angebracht, dass der Aufseher selbst im Dunkeln blieb, während<br />

die Arbeitenden oder GefängnisinsassInnen beleuchtet wurden - man konnte<br />

beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Nach dem Vorbild des Panopticons<br />

wurden vor allem Gefängnisse und Erzeihungsanstalten errichtet.<br />

Jeremy Bentham, Panopticon<br />

Aufzeichnung, Abstraktion, Rationalisierung<br />

Am Ende des 19. Jahrhunderts begann man in Amerika, Codier- und Adressiertechniken<br />

zur Auswertung von gesammelten Datenmaterialien wie etwa im Zuge<br />

von Volkszählungen anzuwenden. Hermann Hollerith entwickelte dazu Lochkarten,<br />

auf denen eingestanzte Löcher einen elektrischen Kontakt ermöglichten und als<br />

Daten erfasst werden konnten. Im Jahr 1890 konnte so eine Volkszählung innerhalb<br />

von zwei Jahren ausgewertet werden, was beinahe fünfmal so schnell war<br />

wie bislang. Lochkarten dienten also vorerst der Übersetzung körperlicher Daten in<br />

abstrakte Muster sowie zu deren Aufzeichnung und Speicherung.<br />

Eine mit der Methode nach Hollerith erfolgte Volkszählung in Österreich im Jahr<br />

1891 erfasst bereits Daten wie Alter, Religion und Sprache der Personen samt<br />

Familien, die Mitbewohnenden, das Einkommen, die Anzahl der Haustiere, die Art<br />

der Kleidung, die Anzahl der bewohnten Räume samt deren Raumhöhen sowie<br />

die Daten der Geburtsurkunden. Lochkarten fanden Anwendungen in statistischen<br />

Zählungen, vor allem jedoch in der inneren Organisation der Firmen, die<br />

zunehmend wuchsen, was die Verwaltung sowie die finanzielle Betriebsführung<br />

erschwerte. Mittels Lochkarten konnten große Datenmengen verarbeitet und gespeichert<br />

werden. Mechanische Rechenmaschinen und Schreibmaschinen erleichterten<br />

den verwaltungstechnischen Aufwand, Zählmaschinen hingegen überwachten<br />

die Arbeitenden selbst. In dem Bestreben, immer größere Datenmengen zu<br />

erfassen und zu bearbeiten, entwickelte die führende Lochkartenfirma IBM schließlich<br />

die ersten Computer. Die von Hollerith entwickelten Maschinen wurden auch<br />

im Nationalsozialismus eingesetzt, um Volkszählungen durchführen zu können, in<br />

denen auch die Religionszugehörigkeit festgestellt wurde.<br />

Ètienne Jules Marey, 19. Jahrhundert: Verstehen<br />

der Physiognomie, Aufzeichnen der<br />

Bewegung, Übersetzen in abstrakte Spuren,<br />

pornografisches Interesse am Körper<br />

Edweard Muybridge, Animal Locomotion<br />

Während Ökonomen des 19. Jhdts. mit der Industrialisierung der Arbeit und der<br />

Herstellung maschineller Produktionsanlagen beschäftigt waren, legte man am Beginn<br />

des 20. Jhdts. wiederum mehr Aufmerksamkeit auf die Arbeitenden selbst, auf<br />

deren physische und psychische Konstitution sowie vor allem auf deren Effektivität<br />

bei der Arbeit. Durch die Erfindung der Lochkarte konnten betriebliche Vorgänge<br />

rechnerisch erfasst und kontrolliert werden, die Arbeitenden selbst jedoch stellten<br />

in dieser Kontrolle und Erfassung immer noch den größten Unsicherheitsfaktor dar.<br />

Die Ausklammerung dieses Unsicherheitsfaktors, d.h. die vollkommene Trennung<br />

zwischen Produktion und Entscheidungskraft der Arbeitenden über diese<br />

Produktion war somit das übergeordnete Ziel jener Untersuchungen, wie sie von<br />

Frederic Taylor und dem Ehepaar Frank und Lillian Gilbreth angestrebt wurden. In<br />

den „Principles of Scientific Managements“ legte Taylor schließlich ein optimiertes<br />

Zeitsystem fest, das jedem einzelnen Arbeitsschritt eine bestimmte Zeitspanne und<br />

somit auch eine bestimmte Lohneinheit zuordnete.<br />

1916 begann Taylor, die Untersuchungen der Arbeit zu systematisieren, indem er<br />

etwa fünfzehn Versuchsarbeitende bestimmte Arbeitsschritte vollziehen ließ, diese<br />

mit einer Stoppuhr maß und schließlich die schnellste Art, die Bewegung zu verrichten,<br />

herausfilterte. Indem er anschließend alle falschen und unnötigen Bewegungen<br />

ausschloss, konnten tabellarisch die optimierten Bewegungsabläufe festgehalten<br />

und auch kontrolliert werden. Lillian und Frank Gilbreth fanden schließlich<br />

in den „Lightline – Studies“ eine ideale Methode, um die Arbeitsvorgänge selbst zu<br />

Herman Hollerith: Datenaufzeichnung für<br />

Volkszählung, Arbeitszeitmanagement


systematisieren. Am ausführenden Körperteil eines Arbeitenden wurden Glühbirnen<br />

befestigt, die Bewegung wurde mit einer Langzeitbelichtung fotografiert und<br />

zeigte sich in der Entwicklung als eine einzige, leuchtende Spur. Mittels dieses „Zyklographen“<br />

oder Bewegungsaufzeichner konnten die Kurven als optimierte, oder<br />

aber als zögerliche, verlangsamte oder unsichere Bewegung identifiziert werden.<br />

In diesem Eleminieren aller unnötigen Arbeitsschritte erreichten die Gilbreths<br />

schließlich eine Klassifizieren der Arbeit. Sie stellten eine Summe aus möglichen<br />

Einzelschritten auf und kamen schließlich auf 17 Grundelemente, in die sich jede<br />

Arbeit zerlegen ließ. Übernommen wurden diese Erkenntnisse schließlich in der<br />

Autoproduktion durch Henry Ford, der sein revolutionäres Auto namens „Model T“<br />

nach den Gesetzen der in Einzelteile zerlegten und optimierten Arbeit entwickelte.<br />

Model T wurde aus standardisierten Einzelteilen produziert, die in einer genauen<br />

Abfolge hergestellt und zusammengefügt wurden. Arbeitende, Einzelteile, die Gesamtheit<br />

der Arbeitenden und die zusammengefügten Teile schlossen sich zu einer<br />

einzigen, perfekt organisierten Maschinerie zusammen.<br />

Im Gegensatz zur persönlichen Kontrolle durch einen Aufseher, der im Zentrum<br />

panoptischer Überwachung steht, vollzieht die Maschine selbst diese Überwachung<br />

und die ArbeiterInnen sind vollkommen dem Maschinensystem untergeordnet.<br />

Eine künstlerische Entsprechung der Fließbandarbeit wurde in den großen<br />

„Girlrevuen“ gefunden, wie sie in den 1920er und 1930er Jahren in Amerika<br />

entstanden. Eine Reihe von möglichst vielen, möglichst gleich aussehenden<br />

Revuetänzerinnen, so genante „Girls“ übten mathematisch genau einstudierte<br />

Bewegungsabfolgen in einer völligen Übereinstimmung aus. Jede individualistische<br />

Bewegung wurde ausgeschlossen zugunsten eines einzigen, kollektiven<br />

Bewegungskörpers, einer „Girlsmaschine“, deren Aufstellung entlang einer Chorusline<br />

der Perfektion einer Fließbandproduktion nachempfunden war. Weiblichkeit<br />

und Maschinenästhetik, Geschlechtlichkeit, die funktioniert wie eine Maschine und<br />

ein vervielfachter Frauenkörper folgten einer männlichen Phantasie eines neuen<br />

Lebens, das dem Stakkato der Maschinen angepasst war.<br />

Perfektionierung der Arbeit,Perfektionierung<br />

der Körper<br />

Der effiziente Haushalt und die Taylorsche Küche<br />

Im Zuge der Funktionalisierung der produktiven Arbeit wurde auch die Arbeit im<br />

Haushalt auf ihre Funktion und Effizienz hin untersucht und wurde „Fordismus“ als<br />

Prinzip auch in die privaten Haushalte gebracht. Der Funktionalismus transferierte<br />

zwei Prinzipien aus der industriellen Produktion in das private Wohnen: Effizienz<br />

und Hygiene. Die Untersuchungen, die Taylor und die Gilbreths in Amerika für die<br />

industrielle Produktion gemacht hatten, fanden nun den Einzug in das Private.<br />

Man begann, die Bewegungsabläufe in Küchen zu messen, aufzuzeichnen und<br />

schließlich zu optimieren. Unter dem Prinzip der Effizienz stattete die Industrie<br />

die Wohnung mit einer Vielzahl an technischen Geräten aus, um Arbeitsschritte<br />

zu sparen: Staubsauger, Mixer, Waschmaschine und Bügeleisen waren klein,<br />

handlich, elektrisch betrieben, stromlinienförmig geformt und mit verführerischen<br />

Formen und Oberflächen versehen. Das Prinzip der Hygiene führte die Materialien<br />

des Krankenhausstandards ein: Stahlrohr, Glas und keramische Platten garantierten<br />

keimfreie Oberflächen.<br />

Das Führen des Haushaltes, die Hausarbeit und die Hauswirtschaft wurden immer<br />

mehr zu einem wissenschaftlichen Management der elektrischen Ausstattung bzw.<br />

zu einer medizinischen Prophylaxe. Hauswirtschaftsräume wurden zunehmend<br />

zu Kontrollräumen und Haushaltsbücher waren technische Manuals. Die Küche<br />

der 20er Jahre wurde wie ein Kleinbetrieb behandelt, in dem Frauen systematisch<br />

ihre Arbeit nach einem durch die Architektur der Küche vorgelegten Plan erledigen<br />

sollten. Die Küche sollte möglichst klein sein, um Platz und Baukosten zu sparen,<br />

sie reduzierte sich also von einer Großküche zu einer minimalisierten, reinen<br />

Arbeitsküche.<br />

Die neue Ausstattung der Hauswirtschaftsräume und vor allem der Küche ging<br />

Hand in Hand mit einem neuen Frauenbild. Die „Neue Frau“ war eine befreite<br />

Frau. Diese Befreiung bezog sich nicht nur auf ihre Kleidung, sie bezog sich vor<br />

allem auf ihre Arbeitsbereiche innerhalb des Privaten.<br />

Fließbandarbeit und Girlrevues


Nicht nur die Reduktion der Ermüdung durch Hausarbeit war das Ziel, das Ziel war,<br />

Ermüdung abzuschaffen. Ermüdung durfte nicht mehr existieren. Das moderne<br />

Leben war schnell und verlangte sich schnell bewegende Körper. Die Stuttgarter<br />

Küche von Erna Meyer, die Frankfurter Küche von Grete Schütte-Lihotzky und<br />

andere verkürzten die Arbeit und reduzierten die Arbeitsschritte, wodurch Frauen<br />

in der restlichen Zeit an dem öffentlichen, männlichen Leben teilhaben sollten. Mit<br />

Abmessungen von lediglich 1,9 x 3,4m stellte die 1926 von der österreichischen<br />

Architektin komzipierte Frankfurter Küche wahrscheinlich das Rationalisierungsprinzip<br />

am besten dar.<br />

Von Ernst May für die großen Stadterweiterungen in Frankfurt in AUftrag gegeben<br />

wurde die Küche über 10.000 Mal hergestellt, ihr minimaler Zuschnitt hatte jedoch<br />

auch zur Folge, dass wiederum die Frau im Zentrum der Hausarbeit stand, lediglich<br />

durch eine Durchreiche mit dem restlichen Wohnraum verbunden. Auch die<br />

Durchreiche war ein typisches Element, das in den 20er Jahren von der industriellen<br />

Küche in die private Küche eingeführt wurde. Sie sollte unnötige Schritte in<br />

das Esszimmer ersparen. Da jedoch nur im seltensten Falle hinter der Durchreiche<br />

Dienstpersonal stand, bedeutete dies, dass die Hausfrau so lange alleine in der<br />

Küche das Essen herausreichte, bis alle Familienmitglieder zum Essen hatten.<br />

Sowohl die „Kälte“ als auch die Technologie der neuen Oberfläche der Interieurs<br />

imitierten nicht nur die männliche Arbeitswelt, sie täuschten eine männliche Arbeit,<br />

also eine männliche Öffentlichkeit vor. Das Versprechen der Moderne, Frauen<br />

durch Technologie von der Hausarbeit zu befreien, um ihnen den Zugang in die<br />

öffentliche Welt der bezahlten Arbeit zu ermöglichen, war nichts als ein modernes<br />

Täuschungsmanöver gewesen. Ein Manöver, das Frauen verführen sollte, das<br />

neue und moderne Interieur wiederum als ihren Arbeitsplatz zu akzeptieren. Dabei<br />

spielte das glatte Material und die stromlinienförmige Form eine große Rolle:<br />

Formen, Oberflächen und Farben dienten dazu, eine direkte, nahezu erotische<br />

Beziehung zwischen dem Körper und dem Gerät herzustellen.<br />

Lightline - Studies in der Küche<br />

Die Versuche mit den stromlinienförmigen Geräten stammten fast ausschließlich<br />

aus dem militärischen Bereich. Man nahm die Erkenntnisse aus den militärischen<br />

Untersuchungen, um sie strategisch in den privaten Haushalten einsetzen zu können.<br />

Das Hauptziel dabei war, den Konsum zu wecken und die Produktion dadurch<br />

anzukurbeln. Die Befreiung wie auch die Entlastung der Hausfrau durch die neue<br />

Küche blieb eine Fiktion.<br />

Viele der Arbeitsschritte, die nun durch neue Geräte effizient und produktiv ablaufen<br />

konnten, mussten erst gelernt werden. Auch wenn die Hausarbeit der Frau<br />

nach wie vor als „natürlich“ betrachtet wurde, so lag der Umgang mit den neuen<br />

Materialien, Formen und Maschinen nicht zwingend in ihrer „Natur“. Über Demonstrationsküchen<br />

wurde in Kursen gezeigt, wie das neue und optimierte Kochen<br />

ablaufen sollte. Ähnlich wie an den Fordschen Fließbändern standen Frauen an<br />

Frauen und übten idealisierte Bewegungsabläufe.<br />

Im Nationalsozialismus schließlich wurde nun wiederum eine neue, veränderte<br />

Küche Teil eines architektonischen Programms. 1941 erklärte Hitler die „Wohnküche“<br />

als die einzig richtige Küche des deutschen Volkes. Wiederum wurde mit<br />

den genuin natürlichen Eigenschaften der Frau argumentiert, die nun vor allem<br />

Hausfrau und Mutter sei und für die Aufzucht ihrer Nachkommen da zu sein hatte.<br />

Wohnen wurde Teil eines ethischen Programms und diente vor allem der Vergrößerung<br />

des deutschen Volkes. In der Wohnküche sollte sich die deutsche Familie<br />

in der Früh, mittags und abends versammeln. Dere Esstisch als wichtigester Teil<br />

dieser Küche mit der Eckbank rundherum diente der Überwachung der Kinder und<br />

der Einhaltung aller häuslichen und ethischen Pflichten. Analog zu dieser Essküche<br />

mit der nun wiederum zentralen Aufgabe der Frau als Hausfrau gestalteten<br />

sich die Häuser in einem tradierten Stil mit massiven Wänden, kleinen Fenstern<br />

mit Fensterläden und einem steilen Ziegeldach. Die zuvor formulierten Typologien<br />

für allein stehende personen, kinderlose Haushalte und arbeitende Paare wichen<br />

nun der Typologie der Familienwohnung.<br />

Frankfurter Küche (1926) von Margarete<br />

Schütte-Lihotzky mit kurzen Wegen, die Ein-<br />

Personenküche<br />

Nationalsozialistische Essküche


Bad Press<br />

1993 entwickelten die ArchitektInnen Elizabeth Diller und Ricardo Scofidio, NY, ein<br />

Projekt, das sich in ironischer Weise auf die Abhängigkeit des Häuslichen von den<br />

Paradigmen der Effizienz bezog: Bad Press. Keine andere Tätigkeit des Häuslichen,<br />

so Diller&Scofidio, sei so geprägt von den Regeln der Hygiene und Effizienz<br />

wie das Bügeln von weissen (Herren-) Hemden. In einer Installation zeigen sie, wie<br />

es wäre, wenn sich diese Regeln und Praktiken vollständig von diesen Codierungen<br />

befreien würden. Sie stellen gewissermaßen „neue Regeln“ auf, die Hemden<br />

in einer völlig neuen Form des Faltens zeigen. Genau werden die Faltanleitungen<br />

dieser „neuen Hemden“ beschrieben. Für Diller & Scofidio gilt das Beispiel des<br />

„dissidenten Bügelns“ als ein Beispiel dafür, wie sich die Praktiken des Wohnen<br />

vollkommen von jeder herkömmlichen Vorstellung und Tradition sowie auch von jeder<br />

geschlechtlichen Zuordnung (Frauen bügeln die Hemden der Männer) befreien<br />

könnten. „The articulations produced by a practice of dissident ironing could, like<br />

the system developed by inmates, reprogram the codes of efficiency.“<br />

1924 entwickelte der deutsche Architekt Ludwig Hilberseimer das wohl rationalste<br />

Stadtprojekt dieser Jahre, die Hochhausstadt. Sein Entwurf folgt fast ausschließlich<br />

der otpimalen Belichtung von Wohnungen in parallel ausgestellten, schmalen<br />

Scheiben. Anders als bei Entwürfen etwa von le Corbusier werden hier die einzelnen<br />

Funktionen nicht in einzelne Zonen der Stadt gruppiert, sondern vertikal<br />

geschichtet. In den unteren Geschossen der Stadt sind Büros positioniert, darüber<br />

die Wohnungen, die einzelnen Verkehrsarten stapeln sich in drei Niveaus, wobei<br />

die Ebene für den Autoverkehr die größte Fläche einnimmt. Hilberseimer spricht in<br />

seinen theorien von einer notwendigen „Entindividualisierung“ von Stadt: Die Stadt<br />

der Zukunft sei nicht für den individuellen, sondern für den kollektiven Menschen<br />

gemacht und solle als Organisationsdiagramm entworfen werden. Tatsächlich gleichen<br />

die Darstellungen etwa den zeichnungen Giorgio de Chiricos: glatte, kahle<br />

Wände von Häusern in leeren Stadträumen mit vereinzelten, abstrakten Körpern<br />

gleich Gliederpuppen. Nach seiner Emmigration in die USA entwarf Hilberseimer<br />

weniger vertikal verdichtete und eher sich horizontal ausbreitende, dezentrale<br />

Stadterweiterungen, deren Form er meist aus einem Verkehrsdiagramm oder aus<br />

Einflüssen wie Wind oder Lärm ableitet.<br />

Reprogramming the Codes of efficiency, Bad<br />

Press<br />

Ludwig Hilberseimer, die Hochhausstadt. Die<br />

abstrakte Stadt für abstrakte Körper<br />

Ludwig Hilberseimer in den USA, The Decentralizes<br />

City.<br />

Trennung der Verkehrswege, eine Stadt ohne Zentrum, idente Bedingungen für alle.<br />

Le Corbusier, Immeuble Villas


Le Corbusier: Ausgestelltes Wohnen als Utopie<br />

1922 präsentierte Le Corbusier am Herbstsalon in Paris ein Plan für eine gigantische,<br />

neue Stadt, die Stadt der gegenwart oder die Stadt für 3 Millionen EinwohnerInnen.<br />

Der Plan stellt gewissermaßen das Paradigma eines „Stadtplans“ als<br />

alleingültiges Mittel zur Beschreibung eines idealisierten Endzustandes von Stadt<br />

dar. Le Corbusier entwickelte einen Plan und wandte diesen gleich mehrfach an,<br />

als Plan für die neue Stadt an sich, für das neue Paris, das neue New York oder<br />

das neue Buenos Aires. In einer frühen Collage vermittelt Le Corbusier eindeutig<br />

das Prinzip dieser neuen Stadt: Wie eine Lunge soll sie Durchlüftung garantieren,<br />

wie eine Pflanze Osmose ermöglichen - die alte dichte Stadt hingegen, aus<br />

ihr müsse man ganze Stadtteile wie ein wucherndes Krebsgeschwür herausschneiden.<br />

1922 entstand der fiktive Plan, 1925 der Plan Voisin, der ein ganzes<br />

Stadtviertel in Paris ersetzen sollte. Die dichte Struktur wird herausgenommen,<br />

das Terrain geleert und aufbereitet für die neue, strahlende Stadt: 18 gläserne<br />

Türme („horizontale“ Wolkenkratzer) ersetzten die alte Stadt, dazwischen Raum<br />

für Infrastruktur. Die neue Struktur ersetzte auch in ihrer Geradlinigkeit sämtliche<br />

ungeraden Wege der alten Stadt. Die gerade Linie sei, so Le Corbusier, ein der<br />

wichtigsten Errungenschaften des modernen Menschen:<br />

Die Stadt für 2 Millionen EinwohnerInnen<br />

„Man walks in a straight line because he has a goal and knows where he is going.<br />

The curved line is that of the donkey.“<br />

Die verschiedenen Entwürfe Le Corbusiers für solche Turmstädte zeigen vollkommen<br />

symmetrische, den Parkanlagen eines Renaissanceschlosses nicht unähnliche,<br />

riesige Flächen, auf denen in kanonischer Ordnung und strenger Hierarchie<br />

nur wenige Gebäude gesetzt sind, riesige Parks mit locker verteilten Türmen in einem<br />

Abstand von 250 bis 300 Metern, kreuzförmig, 60 Stockwerke hoch, gläsern.<br />

Trotz der großen Parkfläche wäre die Bevölkerungsdichte in diesen Turmstädten<br />

„verfünffacht bis verzehnfacht“, so Le Corbusier. Analog zur formalen Logik der<br />

Struktur der Stadt sollten auch eine strenge soziale Ordnung und Hierarchie unter<br />

den Bewohnenden herrschen. So sollte das Stadtzentrum mit den 24 gläsernen<br />

Hochhaustürmen ausschließlich aus Büroeinheiten bestehen. Anschließend daran<br />

gruppierten sich sogenannte „Villen-Blocks“, die mit einem hohen Grad an Service<br />

zweigeschossige „Villen“ in verdichteter Form für eine gutbürgerliche Führungsschicht<br />

anboten. Und erst anschließend daran, an der Peripherie der Stadt, würde<br />

die städtische Mittelschicht in Form von Gartenstädten wohnen.<br />

Diese Gartenstädte wiederum waren nicht in Form von Einzelhäusern und Gärten<br />

geplant, sondern in verdichteten Blockstrukturen, in denen die Gärten als „hängende<br />

Gärten“ integriert waren, vertikal organisierte Wohnungen, die wie kleine<br />

Häuser übereinander gestapelt wären. Der von Le Corbusier gelieferte Plan ließ<br />

keinerlei Interpretationsspielraum zu, das einzige freie Element in der Planung war<br />

ein zuletzt hinzu gefügter Layer aus sich scheinbar wild entwickelnder Natur, der<br />

sich zwischen den symmetrischen Baukörpern entwickelte.<br />

Als Prototypen baute er schließlich 1925 den Pavillion L‘Esprit Nouveau auf der<br />

Ausstellung der Dekorativen Künste in Paris. Das 2- geschossige Wohnhaus wurde<br />

eingerichtet präsentiert, daran anschließend ein Ausstellungsraum mit seltsam<br />

geschwungenen Wänden für die Präsentation der großen Stadtdioramen. Verdichtet<br />

bzw. gestapelt sollten die L-förmigen Hofhäuser die so genannten „Immeuble<br />

Villas“ ergeben, groß auseinander gezogene Blockbebauungen mit riesigen<br />

Innenhöfen.<br />

Schichten, Zonen, Leere<br />

Im Zentrum der Kartesianische Wolkenkratzer<br />

Pavillion L‘Esprit Nouveau, Prototyp für die<br />

Immeuble Villas


Wohnen in Medien, Ausstellungswohnen<br />

Privates Wohnen selbst kann selbst zum Medium werden, um medial eine prototypische<br />

Architektur und ein prototypisches Wohnen zu verbreiten. Ein Beispiel dafür<br />

sind jene Bauausstellungen der 20er und 30er Jahre in Deutschland, in denen<br />

unter anderem vor allem die Frage „Wie wohnt man richtig“ beantwortet werden<br />

sollte. Wie nie zuvor wurde Privatheit so weit wie möglich von jeder Individualität<br />

befreit, um standardisiert, ausstellbar und öffentlich sein zu können.<br />

Weißenhof: Körperloses Wohnen<br />

1927 errichtete Le Corbusier auf der Weißenhofsiedlung in Stuttgart unter anderem<br />

ein Doppelhaus, welches das neue Wohnen und auch eine neue Körperlichkeit<br />

zugleich vermitteln sollte. Die beiden beinahe identischen, aneinander gebauten<br />

Häuser waren zweistöckig mit einem ebenerdigen Kellergeschoss, einem<br />

Wohngeschoss und einem als Dachterrasse ausgebauten Flachdach errichtet. Das<br />

Innere des Wohngeschosses war so konzipiert, dass sich durch verschiebbare<br />

Elemente bei Tag und Nacht zwei verschiedene Grundrisse ergaben. Tagsüber<br />

sollte die gesamte Ebene offen zum Wohnen genutzt werden. Nachts reduzierten<br />

sich die privaten Schlafzimmer auf offene Schlafnischen, ausgestattet jeweils mit<br />

einem Bett und einem Schrank für die persönlichen Dinge als Raumteiler zwischen<br />

den Zellen. In diesen Schränken, auf deren Konstruktion und Ausarbeitung Le Corbusier<br />

besonderen Wert gelegt hatte, sollten tagsüber die Schiebebetten untergebracht<br />

wurden. Dadurch entstand ein einheitlicher, großer Wohnraum mit durchlaufendem<br />

Fensterband, das sich bis in das an die Zellen angrenzende Badezimmer<br />

fortsetzte.<br />

Die Flexibilität der Häuser Nr. 14 und Nr. 15 hatte auch eine allgemein erzieherische<br />

Funktion, wie aus der Beschreibung von Alfred Roth, der die Durchführung<br />

des Entwurfes in Stuttgart übernommen hatte, hervorgeht: „Zu einem Raum, den<br />

man erst ergänzen oder gar schaffen muss, bekommt man durch die dazugelegte<br />

Arbeit ein ganz neues, engeres Verhältnis. Der Raum geht mit dem täglichen<br />

Leben mit.“ In dem verlängerten Treppenabsatz, dem „Sprechzimmer“, wo auch<br />

die „früh am Morgen erscheinenden Gäste“ empfangen wurden, sollte nach Le<br />

Corbusiers Vorstellungen vom Dienstmädchen das Frühstück serviert werden. Le<br />

Corbusiers Konzept eines modernen Wohnens war das eines bürgerlichen Intellektuellen.<br />

Während die Bewohnenden sich in diesen vom übrigen Haus exponierten<br />

Bereich zurückziehen konnten, sollte das Dienstmädchen in den übrigen Räumen<br />

alle Spuren des Schlafens beseitigen. Damit wurden auch alle Vorstellungen eines<br />

Unbewussten, Unterbewussten und Unkontrollierbaren, alle Erinnerungen an eine<br />

tatsächliche Körperlichkeit abgeschoben und verdrängt. Das Ehebett als letzter<br />

potentieller Ort eines Konflikts zwischen rationalem Handeln und subjektiven Empfinden<br />

wurde in der exakten Schnittstelle zwischen dem Bettteil der Frau und dem<br />

des Mannes gespalten und eliminiert.<br />

Le Corbusier, Weioßenhof: Körperloses Wohnen,<br />

Betten im Wanschrank, das Haus für den<br />

Tag und für die Nacht.<br />

Horizontales Wohnen, Bauausstellung<br />

Berlin 1931<br />

Bauausstellung Berlin 1931<br />

1931 wurden in einer der bedeutendsten Ausstellungen des Neuen Wohnens<br />

der Moderne in Berlin neben der neuen Architektur des privaten Wohnens auch<br />

die neuen BewohnerInnen vorgestellt. „Die Wohnung unserer Zeit“, so das Motto<br />

dieser Ausstellung, zeigte in dem von Ludwig Mies van der Rohe konzipierten<br />

Gesamtkonzept ein „Haus für ein kinderloses Ehepaar“ von Mies van der Rohe,<br />

ein „Haus für den Sportsmann“ von Marcel Breuer, ein „Erdgeschosshaus“ von<br />

Lilly Reich, Boardinghäuser, Häuser und Wohnungen für kinderlose Ehepaare,<br />

StudentInnenheime und Ähnliches. Mit den neuen Raumkonzepten wurden die<br />

neuen BewohnerInnen dieses zukünftigen Wohnens gleich mit geplant. Sie würden<br />

sportlich, alleinstehend und kinderlos sein, und das neue Wohnen dieser neuen<br />

NutzerInnen hatte sich horizontal auszubreiten, so vermitteln es Aufnahmen aus<br />

der in einer Halle gebauten Prototypen. Nur wenn das Wohnen auf einer Ebene,<br />

und dies auf der „öffentlichen Ebene“ des Erdgeschosses blieb, konnte es nicht in<br />

abgeschiedene und abgegrenzte Bereiche privater Uneinsehbarkeit, privater Individualität<br />

und falsch verstandenem „Komfort“ entkommen. Die vertikale Öffnung der<br />

Häuser, die horizontale Befreiung des Grundrisses und die Ausbreitung auf einer<br />

einzigen Ebene machte Privatheit so gering und brachte so viel Öffentlichkeit wie<br />

nur möglich in das Wohnen.<br />

Marcel Breuer, das Haus des Sportsmanns<br />

Kochschrank und fließender Raum


Die in den Folgejahren in Deutschland veranstalteten Bauausstellungen standen<br />

ab 1933 unter den Grundsätzen des Nationalsozialismus. Sowohl Wohnungs- und<br />

Haustypologien als auch die angenommenen NutzerInnen wurden zur Gänze unterschiedlich<br />

definiert. Ausstellungen wie jene in Nürnberg, Stuttgart oder Frankfurt<br />

zeigten nun kleine, überschaubare Siedlungen mit Einfamilienhäusern, einem zentralen<br />

Dorfplatz mit Dorfkrone (Gemeinschaftshaus) und Haustypen, die an das 19.<br />

Jahrhundert erinnerten: Holzfachwerkshäuser oder hell verputzte Häuser, entgegen<br />

der vormals definierten Horizontalität nun auf einen Sockel gestellt, ausgebaute<br />

Dachmansarden, kleine Fenster mit Teilungen und Fensterläden sowie durchwegs<br />

steile Dächer. Als wären alle Bemühungen der 1920er Jahre, das Wohnen<br />

zu öffnen, vergessen, wurden nun wieder geschlossene Grundrisse mit Fluren und<br />

einzelnen Zimmern propagiert. Das wichtigste Element in diesen Häusern bildete<br />

die Wohnküche, zugeordnet nun wieder der Frau und Mittel zur internen Kontrolle.<br />

Bauausstellungen nach 1931: Wohnküche,<br />

Vollfamilie, Fachwerkshäuser und Siedlung<br />

mit Dorfkrone als Idealvorstellung<br />

Traditionelle Häuser mit Sockel, Steildach und<br />

Fensterläden als 1:1 - Bauausstellung<br />

Verleihung des Mutterverdienstkreuzes<br />

Lilly Reich, Boardinghaus. Küchenlose Wohnungen mit fließendem Raum, reduzierte Möblierung. Fortschrittliche Grundrisse für eine fortschrittliche<br />

Gesellschaft als Prototyp 1:1 auf der Bauausstellung in berlin 1931.


Grün, offen, flach, ausbreitend<br />

Nahezu alle Versuche im 20. Jahrhundert, das Wohnen zu reformieren, basierten<br />

auf einem Konzept des „Grünen“. Gemeinschaftsgärten, Balkone und Terrassen,<br />

auf Pilotis gestelzte Baukörper, Belichtung, Durchlüftung, offene Übergänge<br />

zwischen Natur und Raum und freie Bewegungsmöglichkeiten waren deklariertes<br />

Ziel nahezu aller vor- und spätmoderner Wohnutopien. Insbesondere in den ersten<br />

Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde in aufgelockerten, landschaftsbezogenen<br />

Wohn- und Lebenskonzepten das Allheilmittel jeglichen (städtischen) Übels<br />

gesehen. Dem Chaos der Großstadt wurde die lockere Bebauung mit Punkten,<br />

Ypsilons, Scheiben und Reihen in (nahezu) unberührtem Grün gegenüber gestellt.<br />

Raumkonzepte des Neuen Wohnens weckten ein Sehnsuchtsbedürfnis nach<br />

fließenden Übergängen zwischen innen und außen, Wohnraum und Landschaft,<br />

nach heilendem Licht, hygienischem Durchzug und befreiendem Weitblick. Die<br />

Architektur des Wohnens hatte gesellschaftspolitische und ökonomische wie auch<br />

physische und psychologische Funktionen zu erfüllen.<br />

Frank Lloyd Wright, Broadacre City. Pragmatische<br />

Einteilung, naive Wohnvorstellung<br />

Broadacre City, Frank Lloyd Wright<br />

Während europäische ArchitektInnen sich vor allem in der Neudefinition der Großstadt<br />

versuchten und neue Dichtemodelle auf leere Terrains projizierten, schien<br />

das weite Land Amerikas wie gemacht für ländliche Gegenmodelle. 1911 begann<br />

der Protagonist Amerikanischer Architektur, Frank Lloyd Wright auf einem abgelegenen<br />

Grundstück in Spring Green, Wisconsin mit dem Bau eines eigenwilligen<br />

Komplexes, der seinen persönlichen Vorstellungen von einem Leben auf dem<br />

Land entsprach: Taliesin, eine weitläufige Anlage aus Wohnräumen, Großraumateliers<br />

und verschiedenen Außenräumen. Ungewöhnlich war das Material (roher,<br />

grob behauener Stein), deutlich sichtbar die Struktur (rotes Holz) und horizontal<br />

flach die Baukörper. Ungewöhnlich war jedoch vor allem das Gemeinschaftsleben<br />

auf Taliesin. Der wegen seiner mehrfachen ehelichen und unehelichen Beziehungen<br />

argwöhnisch beobachtete Architekt bewohnte mit verschiedenen Frauen und<br />

Ehefrauen das Haus, ließ junge ArchitektInnen aus der ganzen Welt kommen, die<br />

im Atelier zeichneten, in der Großküche kochten und im Garten Gemüse anpflanzten<br />

und praktizierte mit Frauen, Kindern und SchülerInnen eine unkonventionelle,<br />

zugleich offene und puritanische Lebensform in einfacher Selbstversorgung,<br />

gepaart mit Kultur und Intellekt. Neben der Gartenarbeit zeichnete man an den<br />

wichtigsten Projekten Wrights, veranstaltete Picknicks, nahm an agrarischen<br />

Wettbewerben teil, übte selbst auferlegten Alkoholverzicht aus, organisierte private<br />

Soirées und nahm schlimme Rückschläge wie Brand, Mord und Verteidigungen vor<br />

Gericht in Kauf. Das Leben ist eben hart am Land.<br />

Broadacre: Programmatische Stadtplanung,<br />

Utopie im Grünen, flache Ausbreitung<br />

Nach zwei Jahrzehnten ruraler Erfahrung wurde daraus ein allgemeines Wohnund<br />

Lebenskonzept, das Amerika verändern sollte. 1932 polemisierte Wright in<br />

verschiednen Schriften gegen Großstädte wie New York oder Los Angeles. Sie<br />

seien wuchernde Krebserkrankungen, das eine zu stark verdichtet, das andere<br />

durch ein sich ausbreitendes Siedeln rund um das Zentrum unkontrollierbar. Da<br />

dieses Phänomen der Besiedelung ländlicher Gebiete durch Personen, die eigentlich<br />

der Stadt verpflichtet waren, nicht aufzuhalten war, müsse man Pläne in Angriff<br />

nehmen, um kontrollierte Alternativen zu schaffen. Zwei Jahre später präsentierte<br />

er in der Zeitschrift Architectural Record das erste konkrete Modell einer solchen<br />

Alternative: eine dezentralisierte Wohn- und Lebensform, weder Stadt noch Land,<br />

die sich horizontal als weitläufige, bebaute Stadtlandschaft endlos auszubreiten<br />

schien, feine Linien als Einschnitte im Boden, offen und doch höchst organisiert:<br />

„Broadacre City, a new community plan“.<br />

Broadacre City folgte dem Amerikanischen Traum, in dem Land okkupierbar ist, die<br />

Landschaft kein Ende zeigt und ein gleichförmiger, orthogonaler Raster das Land<br />

unterteilt und verfügbar macht. Stadt und Land, Bebautes und Landschaft waren<br />

nur unscharf voneinander abgegrenzt, der Raster teilte sich in ein Subsystem aus<br />

Anbauflächen und war punktuell mit Bauten markiert. Das raumgroße Modell eines<br />

vier Quadratmeilen großen Stück Landes ohne konkreten Ort vermittelte detailgenau<br />

eine heile, bunte und mit viel Natur überzogene Lebenswelt für ein selbst<br />

bestimmtes, „organisches“ Leben, basierend auf einer Landzuteilung<br />

Democracity: ein vertikales Zentrum, die<br />

restliche Stadt ausufernd


von je einem acre (ca. 4000 m²) und einem Tauschhandel von agrarischen und<br />

künstlerischen Produkten, ein Groß-Taliesin also für alle. Intellektuelle SelbstversorgerInnen<br />

würden ihre produzierten Güter auf Marktplätzen tauschen, ein<br />

seriengefertigtes Einfamilienhaus von Frank Lloyd Wright bewohnen, sich in ihren<br />

Automobilen fortbewegen und so eine wahrhaft Amerikanische Lebensweise (Usonian<br />

way of Life) leben. Als Gesellschaftsmodell mutet das Konzept heute seltsam<br />

an, der neutrale Raster hingegen besticht durchaus. Die kontextuell anpass- und<br />

ausbaubare Struktur der programmatischen Quadranten ist etwa mit der Pragmatik<br />

aktueller niederländischer Stadtplanungen vergleichbar. Ob das mit dem Tauschen<br />

Zukunft haben könnte bleibt dahin gestellt, Broadacre City wurde nie gebaut, es<br />

fehlt das Testmodell.<br />

Democracity, New York: Zentrum - Suburbs,<br />

ein neues Wohngefühl!<br />

Democracity, Futurama<br />

Wenig später, 1939, wurde das tatsächliche Ende der vertikal verdichteten Großstadt<br />

auf der Weltausstellung in Flushing Meadows, New York unter dem Titel „The<br />

World of Tomorrow“ einem breiten Publikum werbewirksam vorgestellt. In den zentralen<br />

Bauten und Wahrzeichen der Ausstellung, einer Perisphäre mit über sechzig<br />

Metern Durchmesser, begleitet von einem nadelförmigen, über zweihundert Meter<br />

hohen Trylon wurde ein Stadtmodell gezeigt, das der suburbanen Version von<br />

Wright sehr ähnlich war: Democracity, eine Stadtvision für das Jahr 2039, entworfen<br />

vom Architekten Wallace K. Harrison, ein flaches Anti - New York, ein Gegenentwurf<br />

zur Apotheose der Verdichtung. Auf zwei umlaufenden Galerien wurde<br />

unter einer einer blauen Himmelskuppel die neue Stadt bestaunt, garniert mit<br />

Musik- und Filmvorführungen, die einen Tagesablauf in Democracity simulierten.<br />

Im Zentrum der ringförmigen Struktur stand ein vereinzelter Turm, der alle kulturellen<br />

Einrichtungen beherbergen sollte (ein letzter Hauch von „Manhattanismus“, wie<br />

Rem Koolhaas in Delirious New York bemerkt), umgeben von niedrigen Wohnhäusern<br />

geringer Dichte in überwiegendem Grün. Democracity wurde bestaunt wie<br />

einstmals die großen Stadtpanoramen, nur bestimmte nun anstelle einer Skyline<br />

ein weiter, offener Horizont das Bild. Die Stadt war zum Park mutiert, Gebautes,<br />

Landschaft, Straßen und Häuser verschwammen zu einem ein Siedlungsteppich,<br />

der (noch) frohlockend eine durchgrünte Zukunft verkündete.<br />

Das Interesse der Bevölkerung an neuen Wohn- und Lebenskonzepten war<br />

enorm. In den zwei Jahren der Ausstellung wurden rund 50 Millionen BesucherInnen<br />

gezählt. Neben Democracity wurde in New York ein weiteres Modell für<br />

das zukünftige Leben gezeigt. Der Pavillon von General Motors, entworfen von<br />

Norman Bel Geddes, vermittelte eine nähere, für das Jahr 1960 gedachte Vision:<br />

„Futurama“, keine singuläre Stadt, sondern gleichsam ein ganzes Stück Amerika,<br />

bestehend aus Verdichtung, Landschaft, Landwirtschaft, utopischen Türmen und<br />

flächig verzweigten Ansiedlungen. Auf rotierenden Sitzen mit eingebauten Lautsprechern<br />

schwebten staunende Besuchende über einer gigantischen und detailgetreue<br />

gebauten, Miniaturlandschaft, deren Fiktion durchschaubar und dennoch<br />

wie alle Fiktionen, die auf Weltausstellungen gezeigt wurden, mit „ungebrochener<br />

Faszination als Zukunftsmodell in Erwägung gezogen wurde.“ Ein bekannter<br />

Radiomoderator erzählte mit suggestiver Stimme die unwahrscheinlichen, unglaublichen<br />

Möglichkeiten von Futurama: vollautomatisierte Farmen und Flughäfen,<br />

Schwebebahnen über weite Landschaften, neuartige Gebäude für Erholung,<br />

Industrie und Erziehung, Apartmenthäuser im Grünen und futuristisch verdichtete<br />

Zentren. Aus verschiedenen Kapseln, Zellen und Hüllen sollte Landschaft von<br />

nun an nicht mehr erwandert und erforscht, sondern von innen heraus betrachtet<br />

werden. Dementsprechend dominierte auch das notwendige Mittel für diese neue<br />

Landschaftserfahrung das Modell: die Highways. Auf vielfachen parallelen und sich<br />

kreuzenden Spuren und Schichten durchzogen sie die Landschaft, vermittelten<br />

die Bedeutung des Automobils und verkündeten die Botschaft: Industrieller Aufschwung,<br />

intakte Natur und fortschrittliches Leben konnten nur realisiert werden,<br />

wenn Amerika seine Städte neu baute – weit auseinander gezogen, horizontal und<br />

flach, sie mit gigantischen Highways verband und alle Bewohnenden ausnahmslos<br />

mit Autos ausstattete. Von der Kapsel des Autos in die aromatisierte Atmosphäre<br />

der Warenhäuser, die Klimahülle der Bürotürme und schließlich in das eingehüllte<br />

„Home“ des Vorstadthauses. Suburbia!<br />

Futurama: Das Versprechen der Highways<br />

Futurama: Die neue Stadt, das neue Wohnen<br />

und das neue Auto


Berlin, Hansaviertel: Interbau 1957. Die ikonisierte Moderne.<br />

„Die Stadt von morgen“. Schon die Typografie auf dem Schild der Ausstellung<br />

Interbau in Berlin im Jahr 1957 versprach viel: In Kleinbuchstaben geschrieben<br />

wendete sie sich von jedem traditionellen Diktat ab. Sie vermittelte das absolut<br />

Neue: ein neues Leben nach dem Krieg, ein Füllen der Leere, die Krieg und Bombardement<br />

hinterlassen hatten und ein neues Lebensgefühl, das in neuen Wohntypologien<br />

stattfinden soll. Die Bauausstellung Interbau 1957 zeigt, wie in einer<br />

bestimmten Zeit bestimmte Wertmaßstäbe über Wohnen euphorisch vermittelt<br />

wurden. Gesellschaft sollte nicht nur beeinflusst, sondern nach dem Krieg gewissermaßen<br />

neu kreiert werden.<br />

Dem ursprünglichsten Bedürfnis nach einer (neuen) Wohnung und (neuen) Einrichtungsgegenständen<br />

folgend wurde so ein ganzes Stadtviertel als didaktisches<br />

Instrument für ein neues Berlin angewandt. 1953 hatte der Berliner Senat zu einem<br />

Wettbewerb aufgerufen und schließlich wurden 53 ArchitektInnen (die teils zuvor<br />

aus Deutschland emigriert waren) aus vierzehn verschiedenen Ländern engagiert,<br />

um einen neuen Stadtteil im Zentrum Berlins neben dem Tiergarten zu planen, der<br />

im Krieg durch Bombenangriffe stark beschädigt worden war. Die ausschreibende<br />

Stelle gab die Forderung an die Planenden weiter, ein Quartier zu konzipieren, das<br />

den „Denk- und den Lebensformen der freien Völker“ entspreche. Somit setzte<br />

Westberlin auch einen Gegenpol zu Ostberlin und das Hansaviertel einen westlichen<br />

Gegensatz zur Stalinallee, der sozialistischen Vorstellung eines idealen<br />

Stadtteils in nur zehn Kilometer Luftlinie entfernt. Das Interesse an der dreimonatigen<br />

Ausstellung war groß, es kamen mehr als 1,4 Millionen Besuchende, denen<br />

ein offenes und demokratisches Westdeutschland mit entsprechendem Ambiente<br />

demonstriert wurde.<br />

Der städtebauliche Plan, offen, aufgelockert und durchgrünt, demonstrierte dies<br />

bereits sehr gut. Weit voneinander entfernte, zerstreute Einzelgebäude ließen<br />

keine Erinnerung an Miethausblöcke aus dem Westen oder an Machtdemonstration<br />

aus dem Osten aufkommen. Stadtplan, Freiraum und Musterwohnungen<br />

gaben den Ton an für eine neue Wohn- und Lebensform von morgen. Zur Ausstellungseröffnung<br />

wurden ein Hebekran als Aussichtspunkt und eine Seilbahn, mit<br />

der man über das Ausstellungsgelände schweben konnte installiert. Die neuen<br />

Wohnungen waren nieder (2,50m) und benötigten dementsprechend neue Möbel,<br />

da die alten schlichtweg nicht mehr Platz hatten. EIn Viertel für für 1.250 Personen<br />

steht als Ikone moderner Stadtplanung schlechthin und beeinflusste als Modellstadt<br />

die Planung großflächiger Wohnquartiere maßgeblich. Als eine der ersten<br />

großen Neuplanungen Berlins in der Zeit nach dem Krieg erfüllte das Quartier vor<br />

allem eine symbolische Funktion: Es vermittelte den Aufbruch in eine neue Ära,<br />

die sich von Krieg und Nachkriegszeit deutlich abhob und ein Wohnen unter völlig<br />

neuen Bedingungen ermöglichte. Das Projekt „Neues Hansaviertel“ ist weniger<br />

bezüglich seines Erfolges oder seines Scheiterns zu beurteilen, sondern vielmehr<br />

als ein Zeitdokument eines Jahrzehnts. Dass es bis heute ein gut funktionierendes<br />

Stadtquartier darstellt, mag vor allem an seiner innerstädtischen Lage in Zusammenhang<br />

mit einem dichten Naturraum liegen.<br />

Neue Architektur, neue Möbel, neues Lebensgefühl.<br />

Nachkriegswohnen in Berlin<br />

Ungewohnte Typen wie Splitlevelhäuser<br />

Das Märkische Virtel in Berlin, die „aufeglockerte<br />

Stadt“, das Problem der vertikalen<br />

Stapelung.<br />

Großwohnsiedlungen der Spätmoderne<br />

Großwohnsiedlungen werden heute, so stellt Sabine Kraft in ARCH+ 203 fest,<br />

heute differenzierter betrachtet. Weder könne man sie insgesamt als gescheitert<br />

betrachten, noch würden Erneuerungsprogramme für alle Siedlungen wirksam<br />

werden. Ihr Funktionieren oder Nichtfunktionieren in der Entstehungszeit sowie<br />

bis heute sei von unterschiedlichen Faktoren wie Lage, BewohnerInnenschaft,<br />

Größe, Form der Adaptierungen und vielem mehr abhängig. Ein Beispiel für einen<br />

bis heute gut funktionierenden Großwohnbau stellt die Wohnstadt Asemwald in<br />

Stuttgart aus dem Jahr 1961, genannt „Hannibal“ von den Architekten Otto Jäger,<br />

Werner Müller und H.P. Wirth dar. Drei Scheiben (zwei parallel, eine quer dazu) mit<br />

20 - 23 Geschossen mit 1140 Wohnungen und 3600 BewohnerInnen steht markant<br />

außerhalb von Stuttgart ohne jegliche Anbindung an die Stadt und funktioniert<br />

dennoch. Die Wohnungen sind mehrfach als Eigentum geplant, es gibt eine Reihe<br />

an Folgeeinrichtungen und während andere Siedlungen wie verschiedene Unités<br />

von Le Corbusier an der Randlage scheiterten, punktet Hannibal mit der Lage im<br />

Grünen.<br />

Bauteil O.M. Ungers: Freispielung von funktionales<br />

Bauteilen, Nischenbildung, Offenheit, Vielfalt,<br />

jedoch: keine Variationen in den Geschossen.


Während Hannibal in rigoroser Scheibenbauweise realisiert wurde, zeigen andere<br />

Großsiedlungen wie etwa das Märkische Viertel in Berlin aus den Jahren 1963<br />

- 1974 (städtebauliches Konzept von Werner Düttmann u.a.) einen weitaus differenzierteren<br />

Umgang mit Raum und Form. Obwohl die Siedlung im städtischen Bereich<br />

liegt und eine Reihe an geschlossenen oder halboffenen Freiräumen kreiert,<br />

weist sie dennoch weitaus mehr Probleme auf. Die Grundrisse der Bauteile von<br />

O.M. Ungers zeigen zugleich das Potential des Konzeptes wie auch dessen Problematik.<br />

Der Lageplan zeigt sich als feingliedrige Struktur, offen und beinahe organisch<br />

aneinander gefügte Zellen, die Einzelgrundrisse bieten erstaunliche offene<br />

Wohnungstypologien, der Gesamtbau konterkariert diese Feinheit jedoch in seiner<br />

vertikalen Verdichtung und eigenen Verschattung. Mit 1305 Wohnungen, Gebäudetiefen<br />

von 23 bis 32 Metern und einer Erschließungstypologie als 5 - Spänner<br />

geht <strong>Wohnbau</strong> hier an seine Grenzen. Die Ausdifferenziertheit und Asymmetrie im<br />

Grundriss erhält keine Entsprechung in der Vertikalität, es werden gleiche Typen<br />

übereinander geschachtelt.<br />

Hannibal bei Stuttgart. Rigorose Scheiben im<br />

Grünen, die dennoch bis heute funktionieren.<br />

Brutalismus. Beton, Wucherungen, Lagerungen<br />

Ab den 1970er Jahren wurden Großwohnprojekte zunehmend differenzierter, man<br />

experimentierte mit Strukturen, testete beton in allen Varianten und entwickelte<br />

teils ungewöhnlichen Wohnkonzepte. Ein solches Projekt stellt etwa das Stadtzentrum<br />

mit 600 Wohnungen, Rathaus, Bibliothek und EInkaufszentrum von Jean<br />

Renaudie in Ivry-sur-Seine aus den Jahren 1971 bis 1980 dar. Zwischen Hochhäusern<br />

entwickelt sich eine vollkommen freie Struktur, sternenförmig übereinandergelegt<br />

Grundrisse ergeben eine Vielzahl an Typologien und ein inmitten der Stadt<br />

ungewöhnliches Terrasengebilde, das sich wie ein Rhizom frei nach allen Seiten<br />

hin zu entwickeln scheint. ÄHnliche auch der Torres Blancas (es hätten ursprünglich<br />

zwei sein sollen) in Madrid aus dem Jahr 1969 vom Architekten Sáez de Oiza.<br />

Die Grundrisse des 21 Geschosse hohen Turms entwickeln sich aus Kreisen,<br />

formieren sich irregulär zu freien Gebilden und erhalten wie eine Baumstruktur<br />

gewachsen kreisrunde Terrassen. Die beiden Projekte kennzeichnen sich durch<br />

ihre markante Gestalt, den frei gelegten Sichtbeton sowie durch von jeder Doktrin<br />

der Moderne losgelöste Grundrissvarianten.<br />

Das Projekt Robin Hood Gardens von Peter und Alison Smithson ist bei aller Ambition<br />

als gescheitert zu betrachten. 1972 wurde es in London eröffnet. Mit den so<br />

genannten „Streets in the air“, großzügigen Laubengängen, die Nachbarschaftsleben<br />

ermöglichen sollten, schufen sie eine gut nutzbare, weil belichtete Variante<br />

der Innengangerschließung von Le Corbusier. Warum das Projekt letztlich scheiterte<br />

und nun abgerissen wird, bleibt unklar. Vermutlich ist es die schwierige Lage<br />

zwischen zwei stark befahrenen Straßen. Zwei geknickte Scheiben mit 7 und 10<br />

Geschossen bilden einen großzügigen Innenraum, in dem durch den Aushub ein<br />

markantes Gelände geschaffen wurde. Ein Laubengang in jedem dritten Geschoss<br />

erschließt Maisonetten, an den Knicken weitet sich der Gang jeweils zu größeren<br />

Freiräumen. Von verschiedenen Architekturpetitionen wurde versucht, den Abriss<br />

zu stoppen, unter dem Titel „Redevelopment“ wird die Erinnerung an die Spätmoderne<br />

entfernt und sollen nun 1600 neue Sozialwohnungen errichtet werden.<br />

Anders das Projekt Park Hill, 1961 von den Architekten Jack Lynn und Ivor Smith<br />

in Sheffield als mehrgeschossige, schlangenförmig geknickte Struktur gebaut.<br />

Das Projekt basiert ähnlich wie Robin Hood Gardens auf „Streets in the sky“,<br />

Laubengänge, die Maisonetten erschließen. Mit 950 Wohnungen und mehr als<br />

2000 Personen wurde es auf einem Hügel erbaut und schnell zu einem (ungeliebten)<br />

Wahrzeichen für die Stadt. Als in den 1980er Jahren eine ökonomische Krise<br />

einsetzte, waren es vor allem die hoch gelegten Erschließungsstraßen, die mit<br />

Vandalismus und Kriminalität verbunden wurden. Schließlich entschloss sich die<br />

Stadt dennoch zum Umbau anstelle eines Abrisses. Das beauftragte Büro Urban<br />

Slash entkernt den Bau zur Gänze. Der Gesamtcharakter bleibt erhalten, Teile<br />

wie die Fassenfüllungen, die zuvor wenig sensibel mit Ziegel ausgefacht worden<br />

waren, werden nun durchJack Lynn und Ivor Smith, Sheffield 1961 Leichtbauplatten<br />

ergänzt. Die Wohnungen werden teils vergrößert, die Laubengangbereiche zu<br />

semiprivaten Aneignungeflächen, die Wände zu den Küchen werden entfernt und<br />

die Bäder vergrößert.<br />

Große Wohnungen im Eigentum, gute Grundrisse,<br />

Folgeeinrichtungen für Einkaufen und<br />

Erholung. Hannibal<br />

Jean Renaudie: Vielfalt, Irregularität<br />

Robin Hood Gardens, Peter und Alison Smithson.<br />

Abriss statt Weiterdenken. Gute Grundrisse,<br />

Problematische Lage.


Haus, Heim, Heimat<br />

In den Jahren nach 1945 wurden insbesondere in den USA solche Idealvorstellungen<br />

eines eigenen Hauses wiederum wichtig. Die Frage nach leistbaren, massengefertigten<br />

und zugleich das „Home“ verkörpernden Einfamilienhäusern wurde<br />

aktuell, als Soldaten aus dem Krieg zurückkehrten und bereit waren, eine Familie<br />

zu gründen. Verbunden mit diesem Wunsch nach einer Familie war der Wunsch<br />

nach einem zwar kleinen, da günstigen, aber eigenen Haus. Die nach dem Krieg<br />

stornierende Metallindustrie führte dabei zur Produktion des ersten vorgefertigten<br />

Stahlhauses, das so genannte „Lustron House – the „all metal dream house“. Carl<br />

Strandlund hatte 1947 die Idee geboren, aus seinen vormals für Tankstellen produzierten<br />

Metallpaneelen ein System für ein Fertighaus zu machen. Mit einflussreichen<br />

Freunden unter Trumans Regierung wurde das Vorhaben geplant, hundert<br />

Häuser täglich für den Preis von je 7.000 Dollar zu produzieren. Innerhalb weniger<br />

Monate wurden die Konstruktionszeichnungen für ein eingeschossiges, rechteckiges<br />

Haus mit zwei Schlafzimmern, einem Livingroom, einem Diningroom, einem<br />

Bathroom mit Schrankraum, einer Küche und einer überdachten Veranda mit einem<br />

leicht geneigten Satteldach gezeichnet. Auch wenn Konstruktion und Material<br />

außergewöhnlich waren, wies das Haus einen relativ konservativen Grundriss und<br />

Zuschnitt auf.<br />

In der Standardausstattung inbegriffen waren vier große „Picture windows“, Heizpaneele,<br />

die in die Decke integriert waren, eine Reihe von eingebauten Schränken<br />

und Regalen in Küche, Livingroom und Master Bedroom. Bis auf den Boden, der<br />

mit Fliesen auf Asphaltbasis bedeckt war, war die gesamte Innenoberfläche mit<br />

emaillierten Metallpaneelen bedeckt, ein gewöhnungsbedürftiges Material, da Bilder<br />

anstatt mit Nägeln mit Magneten befestigt werden mussten. Die elektrisch eingerichtete<br />

Küche war über eine Durchreiche mit dem Diningroom verbunden, die<br />

Schränke in den Schlafräumen waren mit großen Schiebetüren ausgestattet und<br />

um Platz zu sparen, wurden die Türen zwischen den Zimmern in die Trennwände<br />

geschoben. Ein Wirtschaftsraum im Anschluss an die Küche machte die Konstruktion<br />

eines Kellers unnotwendig. Ein ehemaliger Flugzeughangar in Columbus<br />

wurde für die Produktion angemietet, 1946 wurden die ersten Lustron Houses<br />

errichtet, wenig später als Demonstrationshäuser geöffnet und mit entsprechender<br />

Werbung war das Interesse für die Besichtigung äußerst groß.<br />

„Florida likes the idea of a house impervious to scorching sunlight, salt air and<br />

termites!“, war etwa in Floridas Zeitungen zu lesen. Man war begeistert von der<br />

Idee, dass ein Haus gewaschen werden konnte wie ein Auto und niemals neu<br />

gestrichen werden musste. Dennoch blieb die Produktionszahl weit unter den<br />

Erwartungen. Anstelle von hundert wurden lediglich 26 Häuser pro Tag gebaut, die<br />

Errichtung war mit 300 Stunden zwar sportlich, blieb aber weit über den Versprechungen.<br />

1949 wurde zum Standardtypus mit zwei Schlafzimmern zusätzlich der<br />

Typus „Deluxe“ mit drei Schlafzimmern angeboten. 1950 wurde schließlich ein<br />

vom Architekten Carl Koch verändertes Modell angeboten, das sich mit großen<br />

Fenstern zum Garten öffnete und konstruktiv den Stahlverbrauch auf ein Minimum<br />

reduzierte. Um die Häuser entsprechend vermarkten zu können wurde die „Lustron<br />

family“ konzipiert. Eine fiktive dreiköpfige Familie wurde bei ihren Rollen entsprechenden<br />

häuslichen Tätigkeiten fotografiert. Die Frau des Hauses beim Kochen<br />

und im Hauswirtschaftsraum, der in seiner Ausstattung eher einer industriellen Produktionsanlage<br />

ähnelte als einem privaten Haushalt, der Mann des Hauses nach<br />

getaner Arbeit beim Zeitunglesen. Mit der ersten Produktion von amerikanischen<br />

Serienhäusern wurden amerikanische Rollenbilder gleich mitgeliefert. Die Lustron<br />

Company existierte nur drei Jahre und produzierte insgesamt 2500 Häuser. Die relativ<br />

geringe Produktionsdauer hatte wohl mit dem sperrigen Material Stahl zu tun.<br />

Die Lustron - Family<br />

Von der Stahlproduktion zur Hausproduktion<br />

Praktisch, schnell errichtet, günstig<br />

Der Lustron - Truck<br />

Levittown<br />

Eine Fertighausproduktion von Holzhäusern im großen Stil hingegen wurde 1946<br />

vom Industrieunternehmen Lewitt and Sons in Angriff genommen. Die während der<br />

Wirtschaftskrise gegründete Firma hatte bereits vor dem dem Zweiten Weltkrieg<br />

einige kleinere Siedlungen. Nach dem Krieg wurde von Abraham Levitt und den<br />

beiden Söhnen William und Alfred schließlich ein System für eine Massenpro-<br />

Levittown Long Island, der kollektive Traum des<br />

Nachkriegsamerika


duktion von Fertighäusern entwickelt für Siedlungen in unglaublichen Ausmaßen.<br />

So genannte „Levittowns“ entstanden am Rand bzw. außerhalb von Großstädten<br />

in der Nähe von New York, in Pennsylvania und auf New Jersey, bildeten in sich<br />

abgeschlossene Siedlungen mit mehr als 17.000 identischen Häusern und eigener<br />

Infastruktur und erfüllten einen kollektiven Amerikanischen Traum der Lower<br />

Middle Class.<br />

Die Miniaturausgaben amerikanischer Villen wurden zu denkbar niedrigsten<br />

Preisen angeboten und waren auf die aus dem Krieg heimkehrenden Soldaten mit<br />

ihren neu zu gründenden Familien zugeschnitten. Der erste Typus, den Levitt auf<br />

den Markt brachte, war das so genannte Cap Code Haus – eine einfache Box mit<br />

steilem Dach. In diesem Typ orientierte sich die Küche noch auf die Straße, um der<br />

in der Küche arbeitenden Frau die optimale Kontrolle über die auf der Straße spielenden<br />

Kindern zu ermöglichen. 1949 schließlich brachte Levitt ein neues Modell<br />

auf den Markt, das so genannte Ranch House, in dem nun der Living- und Diningroom<br />

zum privaten Garten orientiert war, Zeichen einer zunehmenden Privatisierung.<br />

Beide Häuser waren für die 1950er Jahre relativ konservativ, entsprachen<br />

jedoch vollkommen dem Ideal der Nachkriegszeit.<br />

Das Haus (oder Home) wurde nun als ein von der restlichen Stadt und vom Ort der<br />

Arbeit möglichst weit getrennter Ort betrachtet. Das Vorstadthaus, das sich beinahe<br />

zur Gänze zum privaten Garten hin öffnete, wurde zur kollektiven Wunschvorstellung<br />

Amerikas, ein Ort, an dem man (bzw. der Mann) nach getaner Arbeit<br />

zurückkehren konnte. Die rigorose Teilung zwischen Ort des Wohnens und Ort<br />

des Arbeitens bewirkte auch eine geschlechtsspezifische Teilung des Raums. Der<br />

männliche Ort der produktiven Arbeit fand seine Entsprechung im weiblich konnotierten<br />

Raum des Wohnens, der nun auch weit abseits der Stadtzentren in den<br />

neuen Vororten lag. Dieser Ort wurde sehr bald von zusätzlichen Orten für Frauen<br />

begleitet, den Orten der Konsumation. Güter füllten in den Häusern die Leere, die<br />

mangels produktiver Arbeit entstanden war. Die männliche produktive Arbeit fand<br />

eine Entsprechung in weiblichem Konsum, der über entsprechende Werbung als<br />

unwiderbringliche Notwendigkeit vermittelt wurde.<br />

Tatsächlich vermittelt wurde dies über das Fernsehen. Jene Programme, die in den<br />

1950er Jahren in den neu installierten TV – Sets der Vorstadthäuser gesendet wurden,<br />

waren so konzipiert, dass Frauen die Illusion vorgespielt wurde, sie befänden<br />

sich tatsächlich in der Öffentlichkeit. Fernsehen erlangte in Amerika genau zu dem<br />

Zeitpunkt große Verbreitung, als ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung in die<br />

Vorstädte und in private Häuser gesiedelt war. Häuser in Levittown waren nicht nur<br />

besonders preisgünstig und mit einer von General Electric entwickelten „Wunderküche“<br />

ausgestattet, sie wurden mit einem fix unter der Stiege des Livingrooms<br />

eingebauten Fernsehapparat errichtet. In einer Serie von persönlichen Fotos, die<br />

eine Familie in Levittown, Long Island von sich aufnahm, sind immer wieder Familienmitglieder<br />

vor dieser entlang der Treppe angeordneten Fernsehwand abgebildet.<br />

Fernsehen trug viel dazu bei, den Ort des privaten Heims als Zufluchtsort nach der<br />

Arbeit zu sehen. Zugleich festigte es die traditionellen Strukturen von geschlechtlicher<br />

Arbeitsteilung. Das moderne Haus, durch Picture windows geöffnet und durch<br />

Medien scheinbar mit der Außenwelt verbunden, war tatsächlich auf typisierte Verhältnisse<br />

zugeschnitten, in denen Frauen den Haushalt und die Kinder versorgten<br />

und Männer der produktiven Arbeit nachgingen.<br />

Organischer Plan, identische Häuser, keine<br />

Garagen<br />

Die Idealfamilie vor dem Idealhaus<br />

Cap Code - Typ<br />

Fix montierte Fernseher, auf Konsum zugeschnittene<br />

TV -Programme, Shoppingmalls<br />

Monsanto House of the Future. „The future won‘t wait“<br />

Ideale Wohnvorstellungen waren in der Geschichte der Prototypentwicklung meist<br />

auch mit Interessen von Industrien verbunden. Neue, seriengefertigte Häuser<br />

sollten die Betonindustrie (1920 - 1933), die Holzindustrie (1933 - 1945), die<br />

Stahl- und Asbestindustrie (1945 - 1955) des jeweiligen Landes beleben. Eine<br />

Verstrickung zwischen industriellem Interesse eines Großkonzerns, universitärer<br />

Forschung und der Macht eines Unterhaltungskonzernes zeigt das „Monsanto<br />

House“, ein Versuchshaus aus Plastik, das 1957 vom Disneykonzern, vom Konzern<br />

Monsanto, führend in der Entwicklung von chemischen Stoffen und Düngemittel<br />

und vom Massachustes Institute of Technology in den USA entwickelt wurde<br />

und das zwölf Millionen Interessierte als Haus der Zukunft besichtigten: Plastik<br />

Monsanto House: Glückliche Zusammenfügung<br />

von Industrie, Unterhaltung und universitärer<br />

Forschung


als Konstruktionsmaterial, Teppich, Vorhangstoff, Polsterbezug und Objektdesign<br />

verbunden mit der Suggestivität der filmischen Vermittlung durch Walt Disney. „It<br />

was decided that only a full-scale display house would demon strate these grow ing<br />

appli cations both to builders and the public.“<br />

1957 wurde in Disneyland, Kalifornien im so genannten „Tomorrowland“ vor dem<br />

Hintergrund eines künstlichen Matterhorns in kleinem Maßstab das Prototypenhaus<br />

errichtet. Eingeschossig, auf einem Sockel aufgestelzt und mit vier auskragenden,<br />

kreuzförmigen Flügeln versehen wurde das Neue des Wohnens vor allem<br />

durch das Material Plastik vermittelt. „Better living through chemistry“, so lautete<br />

das Motto von Monsanto und nach diesem Motto war tatsächlich nahezu das<br />

gesamte Haus samt Einrichtung aus Plastik hergestellt. L- förmige, abgerundete<br />

Paneele wurden vor Ort zusammen montiert, das Innere der Kreuzflächen war<br />

zur Gänze verglast und technische Neuheiten wie ein bewegliches Waschbecken<br />

(aus Plastik), ein neuartiges Tastentelefon (aus Plastik), ein Mikrowellenherd (aus<br />

Plastik), eine zentrale Klimakontrolle sowie frei geformte Plastikeinrichtungen<br />

begeisterten die BesucherInnen. “The floors on which you are walking, the gently<br />

sloping walls around you, and even the ceilings are made of plastics.”, so lauteten<br />

die begeisterten Berichte. Mit Adjektiven wie „ultramodern“ oder „entirely synthetic“<br />

wurde das Ausstellungshaus als ein Blick in die Zukunft des Wohnens vermittelt.<br />

Man berichtete, die Flügel des Baukörpers würden gleichsam über der (künstlichen)<br />

Landschaft schweben, die einzelnen Zimmer seien für den „Boy of the<br />

future“ und für „the girl of the future“ entwickelt, die Badezimmer seien aus einem<br />

Stück (Plastik) geformt und im Masterbedroom sei ein gigantischer, raumhoher TV<br />

- Screen montiert.<br />

1960 wurde das Monsanto House bereits umgebaut, vieles, was 1957 noch zukunftsweisend<br />

gewesen war, war drei Jahre später bereits Standard in amerikanischen<br />

Haushalten geworden. Die Firma Monsanto verwendete die Erfolgsberichte<br />

über das Ausstellungshaus, um ihre Produkte zu platzieren, für Disney war es Teil<br />

eines größeren Ausstellungskonzeptes, das Einblicke in das Leben der Zukunft<br />

geben sollte und dennoch erwies sich Plastik nicht wirklich zielführend als Baustoff<br />

für <strong>Wohnbau</strong>ten, was sich spätestens beim schwierigen Abbruch des Hauses im<br />

Jahr 1967 erwiesen haben mag.<br />

Leicht, offen, modern, aus Kunststoff<br />

Teppich aus Plastik, Möbel aus Plastik, Konstruktion<br />

aus Plastik<br />

EPCOT - Experimental prototype community of tomorrow<br />

Das Monsanto House blieb nicht die einzige Vision, die Walt Disney in Bezug auf<br />

ein Wohnen und Leben der Zukunft entwickelte. Am Beginn der 1960er Jahre<br />

begann er zum einen, die Ostküste der USA für einen zweiten Vergnügungspark<br />

zu sondieren, zum anderen entwickelte er eine utopisch anmutende und doch<br />

baubare Vision einer künstlich errichteten Stadt. EPCOT - Experimental prototype<br />

community of tomorrow lautete der zukunftsweisende Name des Projektes, geplant<br />

für ein Grundstück in Orlando, Florida, das schließlich 1971 zu Disneyland werden<br />

sollte. Diese sehr genau formulierte Vorstellung eines besseren Lebens in einer<br />

besseren Stadt ist nur in Zusammenhang mit der filmischen Produktion Disneys<br />

zu verstehen. Filmische Elemente, utopischer Charakter, eine relativ wirklichkeitsfremde<br />

Vorstellung gepaart mit einer genauen Regelung gleich einem Drehbuch<br />

sowie der traditionelle politische Hintergrund Disneys formierten das Terrain, in<br />

dem die Idee von EPCOT entstand.<br />

„A showcasing and testing and demonstrating new materials and systems“, so<br />

beschrieb Disney sein Vorhaben. Sein Plan basierte auf einer Kritik der modernen<br />

Großstadt, die chaotisch, schmutzig und gefährlich sei. 1964 hatte Disney seine<br />

Vorstellungen bereits bei der Weltausstellung in New York demonstriert, der Plan<br />

für ein Disneyworld an der Ostküste gedieh und schließlich kaufte Disney ein Stück<br />

Land in der Größe von 120km2 in der Nähe von Orlando, Florida. Am 27. Oktober<br />

1966 präsentierte Disney das Projekt: Ein Vergnügungspark und eine Stadt für<br />

20.000 Einwohnende. Das Konzept dieser Stadt war prototypisch aufgebaut und<br />

sollte, so Disney in der ganzen Welt das Problem der Stadt an sich lösen. Das<br />

Stadtmodell selbst war traditionell, auch traditionell utopisch in seiner Mischung<br />

aus neuester (noch nicht realisierter) Technologie und rigiden Stadtregeln. Ein<br />

radialer Aufbau verdichtet sich im Zentrum und wird in den Außenringen lockerer.<br />

Geschichten erzählen: Der mächtigste Konzern<br />

der USA definiert das Wohnen der Zukunft<br />

Futuristische Architektur, traditionelles Konzept


Erschlossen werden sollte die Stadt durch den WEDway (peoplemover), eine<br />

Schwebebahn in erhöhter Lage, der Stadt-eigene Flughafen sollte Disneyworld<br />

und EPCOT an die Welt anschließen. „The pedestrian will be the king“. Im Zentrum<br />

sollte ein Dom ein künstliches Klima schaffen für Shopping, im Brennpunkt des<br />

Kreises stand ein 30- geschossiges Hotel und Convention Center. In den Außenringen<br />

sollten 20.000 EinwohnerInnen in verdichtetem Flachbau wohnen, umgeben<br />

von einer Stadteigenen Industrie und einem Grüngürtel mit Erholungseinrichtungen,<br />

also eine sehr herkömmliche Idee von Stadt, kombiniert mit einem rigiden<br />

Regelwerk und neuester Technologie.<br />

Niemand sollte Land besitzen, alle EinwohnerInnen sollten bis an ihr Lebensende<br />

arbeiten, Personen, die sich nicht an die Regeln hielten, sollten der Stadt verwiesen<br />

werden, es gab kein Wahlrecht für BürgerInnen, da sie ja kein Land besassen<br />

und EinwohnerInnen in den besten Nachbarschaften sollten von Disney ausgewählt<br />

werden, insofern sie sich für die Stadt engagierten.<br />

Bis zu seinem Tod im Jahr 1966 forcierte Disney das Stadtprojekt. Die Bilder, mit<br />

denen Disney das Projekt propagierte, zeigen eine ambivalente Haltung. Im Stadtzentrum<br />

sind alle Gebäude höchst futuristisch konzipiert, in den Wohnbezirken der<br />

Außenringe zeigen sich höchst traditionelle Haustypen mit historisierenden Fassaden.<br />

Organischer Plan, genaue Regeln<br />

„It will be a planned, controlled community, a showcase for American industry and<br />

research, schools, cultural and educational opportunities. In EPCOT there will be<br />

no slum areas because we will not let them develop. There will be no landowners<br />

and therefore no voting control. […] There will be no retirees; everyone must be<br />

employed. One of the requirements is that people who live in EPCOT must help<br />

keep it alive.“<br />

Das propagierte Glück und die Beschäftigung für alle konnten nur realisiert werden,<br />

wenn der Disneykonzern die Kontrolle über das Land verfügte und die Regeln<br />

für die Stadt definierte. Zwei Monate, nachdem Disney sein Projekt öffentlich<br />

vorgestellt hatte, starb er. Das Stadtprojekt wurde aus mehreren Gründen nicht<br />

weiter verfolgt, zum einen fehlte die leitende Figur Disney, zum anderen war die<br />

wirtschaftliche Entwicklung nicht entsprechend. In Folge entstanden auf dem Areal<br />

Disneyworld sowie die ebenso vom Disneykonzern geplante und realisierte, ähnlich<br />

regulierte Stadt Celebration als eine der ersten künstlichen (Gated) Communities<br />

in den USA, eine reduzierte aber umso ausformuliertere Version von EPCOT.<br />

Celebration<br />

Im Sinne des New Urbanism basiert auch Celebration aus einer Kombination von<br />

tradierten Wohnformen und Nachbarschaften und moderner Kommunikationstechnologie.<br />

1995 wurden die ersten Häuser verkauft. Wie EPCOT wurde auch<br />

Celebration für 20.000 BewohnerInnen geplant. Autofreie Straßen sollten nachbarschaftliche<br />

Kontakte erzeugen, tradierte Hausformen im Stil der kolonialen<br />

„Südstaatenhäuser“ sollten das Gefühl einer „guten alten Zeit“ näher bringen. Die<br />

Eigenart von Celebration liegt wohl in der Kombination von Tradition (oder besser<br />

gesagt jenen Bildern, die Tradition vermitteln) und Technologisierung. Celebration<br />

war eine der ersten Städte, die zur Gänze mit einem digitalen System für Serviceeinrichtungen<br />

ausgestattet war. Per Intranet kann etwa eine KrankenpflegerIn<br />

laut Foto bestellt werden, die Stadt verfügte sehr früh über einen internen Chatroom<br />

und im Gegensatz dazu symbolisiert der weisse Lattenzaun rund um die frei<br />

stehenden Häuser Sicherheit und Kontrolle über das private wie öffentliche Leben.<br />

Celebration ist nicht wirklich eingezäunt, die Community bleibt jedoch unter sich,<br />

das Klientel wird über Wohnungspreise reguliert.<br />

Neue Technologie gepaart mit traditionellen<br />

Vorstadthäusern<br />

Auch die Form der Stadt orientiert sich an EPCOT. Wiederum radial aufgebaut,<br />

allerdings nur in einem Halbkreis wird die fehlende Hälfte durch einen künstlichen<br />

Teich ergänzt. Im Zentrum aller amerikanischer Häuser nach 1960, dort, wo das<br />

TV - gerät platziert ist, liefert der von Disney betriebene Stadt-eigene Sender alle<br />

Neuigkeiten der Stadt direkt in die Haushalte.<br />

Wohnen wie für Mickeymouse: Celebration


Gated Communities als späte Form utopischen Inseldenkens.<br />

Wie Ethnofood, Eventkultur und Cluburlaub orientiert sich nun auch spätkapitalistisches<br />

Wohnen vor allem an Themen. Mit thematisch verdichteten Bauvorhaben<br />

wie Golfsiedlungen, Teichsiedlungen, Reitsiedlungen, intelligentem Wohnen, autofreien<br />

Siedlungen und Ökodörfern locken InvestorInnen ausgesuchte Schichten<br />

an. Das marktgerechte Angebot solcher selbstgewählter Wohnghettos gehorcht<br />

dem steigenden Wunsch nach vorgefertigten Lebensmodellen. Die Bedeutung von<br />

Themensiedlungen liegt daher weniger im Thema selbst als in der synergetischen<br />

Konzeption eines exklusiven Wohnmodells für eine limitierte Anzahl von NutzerInnen,<br />

in dem ein konformer Lebensentwurf von vornherein inkludiert ist.<br />

Die Idee eines solchen Themenwohnens stammt aus den USA. Dort gehören<br />

ausgesuchte Reservate der Reichen, in die Sport, Shopping und Betreuung inkludiert<br />

sind, seit den 90er Jahren zum alltäglichen Bild der Städte und Vorstädte.<br />

Hier bedeuten thematische Wohnsiedlungen vor allem die Abgrenzung und das<br />

Ausschließen von Anderen. Das Motiv für den Rückzug in Intentional Communities<br />

und Common-Interest-Developments liegt in der irreal steigenden und medial<br />

dramatisierten Angst vor der Gefahr in amerikanischen Großstädten. Diese Angst<br />

bewirkt das Absiedeln all jener aus den Stadtzentren, die es sich leisten können,<br />

was wiederum die ohnehin steigende Polarisierung der Gesellschaft verstärkt. Geschlossene<br />

Wohngemeinschaften sollen die wohlhabende Klasse vor ethnischen<br />

Minderheiten, MigrantInnen, Obdachlosen und Gewalttätigen schützen, artifizielle<br />

„Dörfer“ und Enklaven des Glücks abseits des potentiellen Verbrechens in der<br />

Großstadt. In härteren Varianten werden Exklusivität und Status der Siedlung sowie<br />

die Differenz von Orten und Personen auch baulich manifestiert.<br />

Über eine Festungsmentalität verwirklicht die thematisch von dem Begriff der Sicherheit<br />

dominierte Architektur solcher Gated Communities die Teilung der Gesellschaft<br />

in Ein- und Ausgeschlossene. In den von Mauern umgrenzten Wohnghettos<br />

mit strategischen Bepflanzungen und Videoüberwachungsanlagen sorgt ein<br />

privater, mit Waffen ausgestatteter Sicherheitsdienst, die selbsternannte Polizei, für<br />

Ordnung. Gated Communities bilden ultimative Wohnfestungen, die an mittelalterliche<br />

Städte mit Stadtmauern erinnern, sie verschweissen die von ihr Eingeschlossenen<br />

zu einer verschworenen Gemeinschaft und verwandeln ganze Stadtteile in<br />

„No go aereas“ für Ausgeschlossene. Räumliche Prozesse, die Wohnsiedlungen<br />

in Festungen verwandeln, visualisieren Exklusionsprozesse von Minderheiten, die<br />

auf sozialer und ethnischer Ebene längst erfolgt sind. Sie schließen also längst aus<br />

der Gesellschaft Ausgeschlossene zeichenhaft neuerlich aus.<br />

Neue Häuser, vermittelt im Stil um 1900<br />

Logo: weißer Lattenzaun, Ahornbaum, sichere<br />

Straßen, Vernetzung<br />

Die Eröffnung, weltweit vielbeachtet<br />

Truman Show, Seaside<br />

Als 1998 der Film „The Truman Show“ in den Kinos gezeigt wurde, waren im „Sunbelt“<br />

der USA bereits einige Hunderte thematischer Modellsiedlungen entstanden,<br />

die den Stil der im Film gezeigten Architektur zu imitieren schienen. Die Filmstadt<br />

„Seaheaven Island“, im Drehbuch als künstliche Stadtkulisse für den Protagonisten<br />

Truman Burbank dargestellt, verkörperte einen Stil, der Erinnerungen an jene Zeit<br />

weckte, in denen Straßen noch sicher, Communities noch intakt und Familien noch<br />

glücklich gewesen waren. Tatsächlich erwies sich die Realität von „Seaheaven<br />

Island“ schneller, echter und authentischer als die im Film dargestellte, hyperreale<br />

Illusion. „The Truman Show“ wurde nicht in der Kulisse einer potemkinschen Stadt<br />

gedreht, sondern in der soeben fertiggestellten Stadt „Seaside“, eine auf 90 Hektar<br />

entlang der Küste im Nordwesten von Florida erbaute, nahezu prototypische Themensiedlung,<br />

die das Flair einer Feriensiedlung vermitteln soll. Auch wenn „Seaside“<br />

nicht physisch von der Umgebung abgezäunt ist, vermittelt es dennoch den<br />

Eindruck einer geschlossenen Gemeinschaft, die unter sich bleiben will: Häuser<br />

wie im Bilderbuch, umgeben von einem weißen Jägerzaun und Symbole eines vergangen<br />

geglaubten Glücks. Im viktorianischen Stil verkörpern sie die Sauberkeit,<br />

Moral und Sicherheit einer Kleinstadt der Jahrhundertwende, als die Welt noch in<br />

Ordnung schien.<br />

Rund um die vielbeachtete Planung von Seaside entstand die Bewegung des<br />

„New Urbanism“. Die Planenden dieses „Neuen Städtebaus“ vertreten die Ideolo-<br />

Häuser im Südstaatenstil, Nachbarschaft,<br />

Überwachbarkeit<br />

Fontana: Industrie, Macht und Idealvorstellung<br />

von Wohnen


gie der intakten, homogenen Kleinstadt, die von keinerlei Verdichtung oder Strip<br />

verunstaltet ist und praktizieren Städtebau mit den Paradigmen einer präindustriellen<br />

Zeit. Die fiktiven Kleinstädte, die jeden realen Vorbilds entbehren, werben,<br />

ähnlich wie die nur für Truman Burbank gebaute Stadt, für ein ausschließliches Klientel,<br />

das sich von der Heterogenität normaler Städte der USA abheben soll. Eine<br />

solchermaßen homogene, wie aus einem Guss gemachte Gesellschaft erinnert<br />

auch an jene Gemeinschaften, die etwa in frühen Utopieentwürfen wie Campanellas<br />

„Sonnenstaat“ oder Thomas Morus „Utopia“ beschrieben wurden: eine ausgesuchte,<br />

glückliche und homogene Gemeinschaft, aufrechterhalten durch ein rigides<br />

und moralisierendes Regelwerk.<br />

Fontana: Sicherheit, Abgrenzung, Gated<br />

Community ohne Gate<br />

FONTANA. Heimatliche Variation<br />

Auch in Österreich steht seit 1998 ein „Celebration“ nicht unähnliches, geklontes<br />

amerikanisches Dorf. 1994 erwarb der kanadische Autozulieferant steirischen<br />

Ursprungs, Frank Stronach, 20km südlich von <strong>Wien</strong> am Rand der niederösterreichischen<br />

Gemeinde Oberwaltersdorf ein 170 ha großes Grundstück, um darauf<br />

vorerst die Europazentrale des Magnakonzerns zu errichten. Um seinen GeschäftpartnerInnen<br />

ein entsprechendes Ambiente bieten zu können, errichtete Stronach<br />

im Anschluss an die Firmenzentrale einen Wohnpark sowie einen der größten<br />

Golfplätze Europas: Fontana.<br />

Das Konzept der Siedlung folgt dem amerikanischen Vorbild einer distanzierten<br />

Gemeinschaft mit homogenem Bau- und Lebensstil. Siedlungen wie Fontana<br />

funktionieren vor allem durch ihre isolierte Lage. Wenn die Stadt selbst keinen<br />

geeigneten Lebensraum mehr bietet, der den gehobenen Ansprüchen entspricht,<br />

so wird abseits der Stadtzentren das künstliche Modell einer Kleinstadt entworfen,<br />

das besser ist als das Vorbild Stadt selbst, da es spezifische Themen fokussiert<br />

und unerwünschte Themen ausschließt. Das Leben kann so fast ausschließlich<br />

in „sicheren“ Orten organisiert werden: Von der Wohnung kommend steigt man in<br />

das Auto, um über die Autobahn direkt zum Arbeitsplatz, in die Shoppingmall oder<br />

in das Stadtzentrum zu gelangen, ohne mit unerwünschten Personen und Orten,<br />

also mit dem Unbekannten und Fremden der Stadt in Kontakt zu kommen.<br />

In Fontana regelt sich der eingeschränkte Zugang durch den Preis , der von vornherein<br />

bestimmte Schichten und Personen abweist.<br />

Apartmentwohnungen in Schloßform<br />

Der 10 ha große See mit weißem Sandstrand, das exklusive Clubhaus, getarnt<br />

als Neoschloss, der professionelle Fitnessclub, die Golfanlage, Tennis, eine<br />

Haubengastronomie und klassizistische Häuser im Südstaatenstil verströmen im<br />

alltäglichen Wohnen das Gefühl eines exquisiten Urlaubsambientes und weisen<br />

jene ab, die sich um profanere Dinge des Lebens kümmern müssen. Die von Peter<br />

Marcuse am Ende der 80er Jahre heraufbeschworene „geviertelte Stadt“ erhält<br />

nun ihr Pendant, ihre Außenstelle, ihre Eremitage mitten im Grünen, über ein strategisches<br />

Konzept gleichsam „natürlich“ befestigt und wie von selbst isoliert, ein<br />

Luxusghetto der Reichen, Schönen und Mächtigen. Bei solcher Exklusivität bleibt<br />

die unerwünschte Klientel freiwillig draußen.<br />

Die Bilder, mit denen für die Wohnungen und Häuser geworben wird, gleichen<br />

jenen ersten Bildern, mit denen David Lynch im Film „Blue Velvet“ die scheinbar<br />

sorglose und heile Welt der Kleinstadt Lumberton vermittelt: leuchtend rote und<br />

gelbe Blumen vor einem weiß gestrichenen Zaun unter blitzblauem Himmel. In<br />

dem beigefügten Text wird Fontana unter dem Slogan des „Paradieses“ verkauft:<br />

ein „Tennisparadies“ mit fünf ganzjährig bespielbaren Hallenplätzen und 9 „bestens<br />

präparierten“ Freiplätzen, ein „18-Loch-Golfparadies“, das sowohl das „Beste<br />

aus dem europäischen“ als auch aus dem „nordamerikanischen Raum“ zu einem<br />

„beeindruckenden Freizeiterlebnis“ verbindet und ein „Wohnen wie im Paradies“ in<br />

350 Häusern und 65 Apartments, mit „einzigartige Lebensqualität“ inmitten „herrlicher<br />

Natur“. Die Häuser dieses paradiesischen Wohnens vermitteln den Eindruck<br />

einer Villa aus dem 19. Jahrhundert mit großer Wohnhalle im Erdgeschoss und intimen<br />

Schlafräumen unter einem Stabilität und Ewigkeit versprechenden, gewalmten<br />

Dach, massiven oder zumindest Massivität vortäuschenden Wänden, klein<br />

unterteilten Fenstern und dicken Balustraden an den Balkonen. Auch die Grundrisse<br />

der Wohnungen repräsentieren massive Zurückgezogenheit: abgeschlossene,<br />

Badesee und Golfclub


isolierte Zimmer, die über eine Unzahl an Gängen und Fluren erschlossen werden,<br />

ein Wohnsalon sowie eine dem herrschaftlichen Stil des Hauses entsprechende,<br />

große „Wohnküche“. Die KundInnen von Einzelhäusern können ein Grundstück<br />

erwerben und anhand eines Musterhauses aus acht Grundrissen sowie aus einer<br />

Farbpalette mit 25 Pastellfarben wählen. Alles Weitere ist vorbestimmt.<br />

Fontana verkörpert ein in eine exklusive Freizeitwelt eingebundenes Wohnen<br />

gleich einem Cluburlaub, in dem individuelle Entscheidungen so gering wie möglich<br />

gehalten werden. Die Gartengestaltung entwerfen hauseigene GartenarchitektInnen,<br />

die Verwaltung erfolgt durch das Facility Management, „Greenkeeper“<br />

kümmern sich um das Grün und eine eigene Securityfirma sorgt für die Sicherheit.<br />

Eine Studie über den Fontana-Club untersuchte die Auswirkungen der Anlage auf<br />

die bestehende Infrastruktur und auf die dort ansässige Bevölkerung. Es hätte, so<br />

die Studie, einen Aufschwung für die Gemeinde gegeben, sie profitiere durch die<br />

Kommunalsteuer und die gesamte Region erwarte sich eine „touristische Publicity“,<br />

einen wirtschaftlichen Aufschwung, eine Verbesserung der teils tristen Situation<br />

des Einzelhandels sowie eine Kultivierung der Landschaft.<br />

Nur wenige Kilometer entfernt erhält diese „kultivierte Landschaft“ der ressorthaften<br />

Künstlichkeit von Fontana nun ein Pendant. Trotz Proteste, negativer Gutachten<br />

der Umweltbehörde und einer Verwarnung durch die EU-Kommission errichtet<br />

Frank Stronach in der Gemeinde Ebreichsdorf auf Hunderten Hektar Grünland ein<br />

ehrgeiziges Projekt. Hier soll ein dem Golfclub Fontana nicht unähnlicher Pferdesportpark<br />

entstehen. Ohne wasserrechtliche Bewilligung wird naturgeschütztes<br />

Moorland abgetragen und werden kilometerlange, mehrspurige Fahr- und Rennbahnen<br />

errichtet. Das Konzept des „Just do it“ funktioniert auch hier. Nicht nur die<br />

Bilder glücklicher Kinder auf autofreien Strassen, der restriktive Verhaltenscodex<br />

und das konforme Äußere, nach denen Ressorts dieser Art konzipiert werden,<br />

stammen aus den USA. Aus dem goldenen Westen stammt auch die Gewissheit<br />

und die Zuversicht einiger weniger, reicher und mächtiger Magnaten, dass mit<br />

genügend Geld alles käuflich ist: Land, Utopien, Ideale und auch Architektur.<br />

Clubhaus im Stil französischer Schlossarchitektur<br />

Südstaatenhäuser in Niederösterreich


Literatur:<br />

ARCH + 203: Planung und Realität. Strategien im Umgang mit Großwohnsiedlungen<br />

Ariès, Philippe und Georges Duby, Hrsg., Geschichte des Privaten Lebens, Band<br />

1-5, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1992<br />

Benjamin, Walter, Das Passagen-Werk, Erster Band, Suhrkamp Verlag, Frankfurt<br />

am Main 1982<br />

Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Gender Studies, Edition Suhrkamp,<br />

Frankfurt 1991<br />

Corbusier, Le, Ausblick auf eine Architektur, Bauwelt Fundamente, Verlag Ullstein<br />

GMBH, Frankfurt/M-Berlin 1963, Original Paris 1922<br />

Diller, Ricardo + Elizabeth Scofidio: Flesh. Architectural Probes. Princeton 1996<br />

DOMUS 787: Steiner, Dietmar: A Diary of Disney‘s Celebration<br />

Elias, Norbert, Über den Prozeß der Zivilisation. Soiogenetische und psychogenetische<br />

Untersuchungen. Erster Band. Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen<br />

Oberschichten des Abendlandes. Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt am<br />

Main, 1997<br />

Freud, Sigmund Zur Psychopathologie des Alltagslebens, Fischer Verlag, Frankfurt<br />

am Main, 1954<br />

Giedion, Sigfried, Befreites Wohnen, Syndikat Verlag, Frankfurt am Main 1985,<br />

Orig. Zürich-Leipzig 1929<br />

Giedion, Sigfried, Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen<br />

Geschichte, Hrsg. Henning Ritter, Europäische Verlagsanstalt, Orig. Oxford 1948<br />

Metken, Günter, Hrsg., Als die Surrealisten noch recht hatten. Texte und Dokumente,<br />

Reclam Verlag, Stuttgart 1976, Orig. 1936, Paris<br />

Reed, Christopher, Ed.: Not at Home. The Suppression of Domesticity in Modern<br />

Art and Architecture, Thames and Hudson Verlag, London 1996<br />

Schwab, Alexander Das Buch vom bauen, 1930 – Wohnungsnot, Neue Technik,<br />

Neue Baukunst, Städtebau aus sozialistischer Sicht. Bauwelt Fundamente 42,<br />

Hrsg. Ulrich Conrads, Bertelsmann Fachverlag, Düsseldorf 1973, Orig. unter dem<br />

Pseudonym Albert Sigrist, Berlin 1930<br />

Selle, Gert, Die eigenen vier Wände. Zur verborgenen Geschichte des Wohnens.<br />

Campus Verlag, Frankfurt am Main und New York, Frankfurt am Main 1996<br />

Sennet, Richard: Fleisch und Stein. Der Körper und die Stadt in der westlichen<br />

Zivilisation, Berlin, , Berlin 1995<br />

Theyssot, Georges, Die Krankheit des Domizils. Wohnen und <strong>Wohnbau</strong> 1800 –<br />

1930, Bauwelt Fundamente 87, F. Vieweg & Sohn Verlag, Braunschweig 1989<br />

Total Housing. Alternatives to Urban Sprawl. Actar, Barcelona 2010<br />

Vidler, Anthony: The Architectural Uncanny. Essays in the Modern Unhomely, MIT<br />

Press, Cambridge, Massachusetts, London, England 1992.<br />

Wigley, Mark, White walls, Designer Dresses. The Fashioning of Modern Architecture,<br />

MIT Press, Cambridge, Massachusetts 1995.

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