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Info zur Aufsichtspflicht in der Kita

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K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenpädagogik<br />

- Onl<strong>in</strong>e-Handbuch -<br />

Herausgeber: Mart<strong>in</strong> R. Textor<br />

Aus: K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten heute 1998, 28, Heft 4, S. 32-36 (ursprüngliche Fassung)<br />

In jedem Fall verantwortlich Zur <strong>Aufsichtspflicht</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Kita</strong> und im<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten<br />

Mart<strong>in</strong> R. Textor<br />

Kaum e<strong>in</strong> Bereich ihrer Arbeit macht Erzieher<strong>in</strong>nen so viel Angst wie <strong>der</strong>jenige <strong>der</strong><br />

Aufsichtsführung - obwohl es <strong>in</strong> ganz Deutschland wohl ke<strong>in</strong>e Fachkraft geben dürfte,<br />

die wegen e<strong>in</strong>er <strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung e<strong>in</strong>e längere Haftstrafe verbüßt. Dieser<br />

Angst liegt e<strong>in</strong>e durchaus verständliche Unsicherheit zugrunde. Sie rührt daher, dass das<br />

Gesetz zwar die zivil-, straf- und arbeitsrechtlichen Folgen <strong>der</strong><br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung herausstellt, Inhalt und Umfang <strong>der</strong> <strong>Aufsichtspflicht</strong> aber<br />

noch nicht e<strong>in</strong>mal annähernd umreißt. Der Grund hierfür liegt dar<strong>in</strong>, dass die letztlich<br />

unendliche Zahl möglicher Vorkommnisse und Konstellationen im E<strong>in</strong>zelfall es<br />

unmöglich machen, Kriterien e<strong>in</strong>er ausreichenden Aufsicht gesetzlich festzulegen.<br />

Grobe Maßstäbe können aber aus den vielen Gerichtsentscheidungen erschlossen<br />

werden, die sich natürlich immer auf konkrete E<strong>in</strong>zelfälle bezogen haben. Die folgenden<br />

Aussagen können somit nur als solch grobe Richtl<strong>in</strong>ien verstanden werden; maßgeblich<br />

s<strong>in</strong>d immer die beson<strong>der</strong>en Umstände <strong>der</strong> jeweiligen Situation, <strong>in</strong> <strong>der</strong> sich e<strong>in</strong>e<br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong>ige bef<strong>in</strong>det.<br />

Gesetzliche und vertragliche <strong>Aufsichtspflicht</strong><br />

Die <strong>Aufsichtspflicht</strong> ist nach § 1631 Abs. 1 BGB (= Bürgerliches Gesetzbuch) Teil <strong>der</strong><br />

Personensorge. Laut Gesetz liegt sie somit bei den Personensorgeberechtigten, also <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Regel bei den Eltern. Melden diese ihr K<strong>in</strong>d im K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten an, so übernimmt <strong>der</strong><br />

Träger durch den Aufnahmevertrag ausdrücklich o<strong>der</strong> stillschweigend auch die<br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong> über das K<strong>in</strong>d. Da er die <strong>Aufsichtspflicht</strong> nicht selbst ausüben kann,<br />

überträgt er sie ausdrücklich o<strong>der</strong> stillschweigend auf die K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenleiter<strong>in</strong> und das<br />

übrige Personal. Zu se<strong>in</strong>en Pflichten gehört es, se<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong>nen sorgfältig<br />

auszuwählen, ihre Eignung zu prüfen, ihre E<strong>in</strong>arbeitung sicherzustellen, wichtige<br />

<strong>Info</strong>rmationen an sie weiterzugeben und sie nicht zu überfor<strong>der</strong>n.<br />

§ 1631 Abs. 1 BGB<br />

Die Personensorge umfasst <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e das Recht und die Pflicht, das K<strong>in</strong>d zu<br />

pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und se<strong>in</strong>en Aufenthalt zu bestimmen.<br />

Die vertragliche <strong>Aufsichtspflicht</strong> liegt somit beim K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenträger. Die<br />

sozialpädagogische Fachkraft ist aufgrund ihres Arbeitsvertrages "Erfüllungsgehilf<strong>in</strong>"<br />

des Trägers und ist deshalb verpflichtet, die Aufsicht über die ihr anvertrauten K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu


übernehmen. Der K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenleiter<strong>in</strong> kommt <strong>in</strong> diesem Kontext e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung zu, da sie als Vorgesetzte z.B. verpflichtet ist, neu e<strong>in</strong>gestellte<br />

Mitarbeiter<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> die Aufsichtsführung e<strong>in</strong>zuweisen sowie generell ihr Personal auf<br />

Gefahren aufmerksam zu machen, beratend und unterstützend h<strong>in</strong>sichtlich <strong>der</strong><br />

Aufsichtsführung zu wirken und bei Pflichtverletzungen e<strong>in</strong>zugreifen.<br />

Was umfasst nun die den sozialpädagogischen Fachkräften übertragene<br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong> Zunächst e<strong>in</strong>mal muss festgehalten werden, dass sie weitgehend<br />

<strong>der</strong>jenigen <strong>der</strong> Eltern entspricht, da sie ja von diesen dem K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten übertragen<br />

wurde. Ansonsten wird immer wie<strong>der</strong> auf folgende Formel des Bundesgerichtshofes<br />

<strong>zur</strong>ückgegriffen: "Entscheidend ist, was verständige Eltern (o<strong>der</strong> Erzieher, o<strong>der</strong><br />

Betreuer) nach vernünftigen Anfor<strong>der</strong>ungen unternehmen müssen, um die Schädigung<br />

Dritter durch ihr K<strong>in</strong>d (o<strong>der</strong> des K<strong>in</strong>des selbst, Anm. des Autoren) zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Dabei<br />

kommt es für die Haftung nach § 832 BGB stets darauf an, ob <strong>der</strong> <strong>Aufsichtspflicht</strong> nach<br />

den beson<strong>der</strong>en Gegebenheiten des konkreten Falles genügt worden ist" (zitiert nach<br />

Mün<strong>der</strong> 1991, S. 92). In dieser Formel wird also betont, dass Art und Ausmaß <strong>der</strong><br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong> immer von den jeweils gegebenen Umständen abhängen, dass die<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an die sozialpädagogischen Fachkräfte nicht übertrieben se<strong>in</strong> dürfen und<br />

dass diese ihren Verstand <strong>zur</strong> Ermittlung <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> konkreten Situation notwendigen<br />

Aufsicht e<strong>in</strong>setzen müssen. Dabei s<strong>in</strong>d sowohl die pädagogischen Ziele des<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartens als auch das Wohl <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Dritter zu berücksichtigen. Hundmeyer<br />

(1995 a) leitet daraus folgenden Grundsatz ab: "Was pädagogisch nachvollziehbar<br />

begründet ist (d.h. von den Erziehungszielen her gerechtfertigt ist und zugleich die<br />

Sicherheits<strong>in</strong>teressen des K<strong>in</strong>des und an<strong>der</strong>er mit berücksichtigt), kann ke<strong>in</strong>e<br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung se<strong>in</strong>" (S. 10).<br />

Kriterien für die <strong>Aufsichtspflicht</strong><br />

Welche "beson<strong>der</strong>en Gegebenheiten" müssen Erzieher<strong>in</strong>nen nun <strong>in</strong> <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Situation berücksichtigen Was s<strong>in</strong>d denn "vernünftige Anfor<strong>der</strong>ungen" In <strong>der</strong> Regel<br />

ist Folgendes zu beachten:<br />

(1) Alter <strong>der</strong> zu betreuenden K<strong>in</strong><strong>der</strong>: Offensichtlich ist, dass jüngere K<strong>in</strong><strong>der</strong> mehr<br />

Aufsicht benötigen als ältere, da sie viele Gefahren noch nicht kennen, oft<br />

unberechenbar handeln und die Folgen ihres Verhaltens häufig nicht abschätzen können.<br />

(2) Person des jeweiligen K<strong>in</strong>des: Wichtiger als das Alter s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> körperliche,<br />

kognitive, emotionale und soziale Entwicklungsstand des K<strong>in</strong>des und die mit ihm<br />

gemachten Erfahrungen. Das bedeutet beispielsweise,<br />

• dass sich die Erzieher<strong>in</strong> bei <strong>der</strong> Aufnahme e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des über eventuelle<br />

Beh<strong>in</strong><strong>der</strong>ungen, Gesundheitsschäden, Allergien und an<strong>der</strong>e Risiken <strong>in</strong>formieren<br />

bzw. von den Eltern darüber unterrichtet werden muss,<br />

• dass sie ihr unbekannte o<strong>der</strong> noch wenig bekannte K<strong>in</strong><strong>der</strong> (Neuaufnahmen) mehr<br />

im Auge behalten muss als K<strong>in</strong><strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Verhalten sie aufgrund ihrer<br />

Vorerfahrungen mit ihnen gut abschätzen kann,<br />

• dass sie e<strong>in</strong>en unreifen, entwicklungsverzögerten Fünfjährigen mehr<br />

beaufsichtigen muss als e<strong>in</strong> gleichaltriges, aber sehr selbständiges o<strong>der</strong> sehr<br />

gehorsames K<strong>in</strong>d.<br />

Erhöhte Anfor<strong>der</strong>ungen an die <strong>Aufsichtspflicht</strong> s<strong>in</strong>d auch zu stellen, wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d z.B.


zu aggressivem Verhalten neigt o<strong>der</strong> die eigenen Fähigkeiten sehr überschätzt.<br />

(3) Art <strong>der</strong> Tätigkeit bzw. Beschäftigung: Offensichtlich ist, dass Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong> bei<br />

gefährlichen Spielen (z.B. Mikado), Beschäftigungen (z.B. Schneiden mit Schere),<br />

Aktivitäten (z.B. Erlernen des Umgangs mit Messer und Gabel bei den Mahlzeiten) o<strong>der</strong><br />

Betätigungen (z.B. Klettern auf e<strong>in</strong>em hohen Klettergerüst) mehr beaufsichtigt werden<br />

müssen als wenn sie beispielsweise friedlich im Sandkasten spielen o<strong>der</strong> konzentriert<br />

Bil<strong>der</strong> malen.<br />

(4) Situative Faktoren: Auch die jeweilige Situation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe und <strong>der</strong><br />

Interaktionsverlauf zwischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n s<strong>in</strong>d zu beachten. Beispielsweise s<strong>in</strong>d erhöhte<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen an die Aufsichtsausübung zu stellen, wenn die K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe beson<strong>der</strong>s<br />

aufgedreht und aggressiv ist ("Montagssyndrom") o<strong>der</strong> sich gerade e<strong>in</strong> Streit zwischen<br />

mehreren K<strong>in</strong><strong>der</strong>n anbahnt.<br />

(5) Räumliche und örtliche Gegebenheiten: E<strong>in</strong> Mehr an Aufsicht ist nötig, wenn es <strong>in</strong><br />

den Innen- o<strong>der</strong> Außenräumen des K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartens beson<strong>der</strong>e Gefahrenquellen gibt (z.B.<br />

brennende Kerzen, Arbeiten an <strong>der</strong> Elektro<strong>in</strong>stallation, kaputtes Spielgerät im Garten).<br />

Dasselbe gilt für den Fall, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe die E<strong>in</strong>richtung verlässt und mit<br />

Gefahren wie Straßenverkehr, ungesichertem Bachlauf, Baustellen usw. konfrontiert<br />

wird.<br />

(6) Person <strong>der</strong> Fachkraft: Die Erzieher<strong>in</strong> muss ihre eigenen Fähigkeiten und<br />

Berufserfahrungen berücksichtigen. Beispielsweise wird von e<strong>in</strong>er Berufsanfänger<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

eher übervorsichtiges Verhalten erwartet, darf e<strong>in</strong>e Nichtschwimmer<strong>in</strong> nicht die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

bei e<strong>in</strong>em Schwimmbadbesuch beaufsichtigen, muss sich e<strong>in</strong>e gehbeh<strong>in</strong><strong>der</strong>te Erzieher<strong>in</strong><br />

mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> aufhalten, damit sie bei Gefahr schnell genug e<strong>in</strong>greifen<br />

kann.<br />

(7) Zumutbarkeit <strong>der</strong> an die Fachkraft gestellten Anfor<strong>der</strong>ungen: Beispielsweise darf<br />

von e<strong>in</strong>er Berufsanfänger<strong>in</strong> nicht dasselbe verlangt werden wie von e<strong>in</strong>er erfahrenen<br />

Fachkraft. E<strong>in</strong>e Erzieher<strong>in</strong> darf nicht überfor<strong>der</strong>t werden, <strong>in</strong>dem von ihr verlangt wird,<br />

auf Dauer e<strong>in</strong>e zu große Gruppe o<strong>der</strong> <strong>in</strong> gefährlichen Situationen zu viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu<br />

betreuen. Auch dürfen die Anfor<strong>der</strong>ungen nicht vernünftigen pädagogischen<br />

Erwägungen zuwi<strong>der</strong>laufen.<br />

(8) Gruppengröße: "Der haftungsrechtlichen Rechtsprechung und Praxis kann man<br />

ke<strong>in</strong>e generelle, e<strong>in</strong>igermaßen def<strong>in</strong>itive Antwort entnehmen. Nur <strong>zur</strong> Aufsicht bei<br />

Ausflügen, Wan<strong>der</strong>ungen, Besichtigungen und an<strong>der</strong>en externen Unternehmungen hat<br />

sich die Relation zehn K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf e<strong>in</strong>e sozialpädagogische Fachkraft (beim<br />

Schwimmbadbesuch auch zehn auf zwei) als e<strong>in</strong>igermaßen gesicherte Richtzahl<br />

herausgebildet" (Schmitt-Wenkebach 1994, S. 23). Auf jeden Fall sollte die<br />

Gruppengröße auf Dauer nicht gegen die jeweiligen Landesrichtl<strong>in</strong>ien verstoßen.<br />

Generell ist es aber e<strong>in</strong>er Fachkraft zumutbar, für kürzere o<strong>der</strong> längere Zeit die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Gruppe mitzubetreuen. Es wird dann von ihr erwartet, dass sie z.B. auf<br />

risikoreiche Aktivitäten verzichtet und rigoroser Aufsicht führt.<br />

Deutlich wird, dass die <strong>Aufsichtspflicht</strong> ke<strong>in</strong>e Dauerbeobachtung und ständige<br />

Verhaltenskontrolle <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> verlangt. Auch sollen Gefahren und Risiken nicht von<br />

ihnen ferngehalten werden - sofern diese von ihrem Entwicklungsstand und ihren<br />

Fähigkeiten her mit ihnen umgehen können. Schließlich gehört es auch zum Auftrag des


K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartens, K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>em kompetenten Hantieren mit Schere, Messer, Gabel,<br />

Hammer u.a. sowie zu e<strong>in</strong>em verantwortungsbewussten Handeln <strong>in</strong> gefährlichen<br />

Situationen zu erziehen. K<strong>in</strong><strong>der</strong> sollen schrittweise an Gefahren herangeführt werden<br />

und das richtige Verhalten möglichst selbständig erlernen, also ohne E<strong>in</strong>greifen <strong>der</strong><br />

Erzieher<strong>in</strong>.<br />

Nach Mün<strong>der</strong> (1991, S. 102) ist die <strong>Aufsichtspflicht</strong> "nur Nebenpflicht, vorrangig ist die<br />

Erziehung <strong>der</strong> M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen <strong>zur</strong> Selbständigkeit und Mündigkeit". Von zentraler<br />

Bedeutung s<strong>in</strong>d hier § 1 Abs. 1 SGB VIII (= K<strong>in</strong><strong>der</strong>- und Jugendhilfegesetz, KJHG) -<br />

auch als Ausfluss von Artikel 2 Abs. 1 GG (= Grundgesetz) - und § 9 Nr. 2 SGB VIII.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben e<strong>in</strong> Recht auf Erziehung zu Selbständigkeit und Eigenverantwortung, auf<br />

freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Das verbietet Bevormundung, Gängelei und<br />

fortwährende Kontrolle.<br />

§ 1 Abs. 1 SGB VIII<br />

Je<strong>der</strong> junge Mensch hat e<strong>in</strong> Recht auf För<strong>der</strong>ung se<strong>in</strong>er Entwicklung und auf<br />

Erziehung zu e<strong>in</strong>er eigenverantwortlichen und geme<strong>in</strong>schaftsfähigen<br />

Persönlichkeit.<br />

§ 9 Nr. 2 SGB VIII<br />

Bei <strong>der</strong> Ausgestaltung <strong>der</strong> Leistungen und <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Aufgaben s<strong>in</strong>d ...<br />

2. die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong> des<br />

Jugendlichen zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln ... zu<br />

berücksichtigen, ...<br />

Artikel 2 Abs. 1 GG<br />

Je<strong>der</strong> hat das Recht auf die freie Entfaltung se<strong>in</strong>er Persönlichkeit, so weit er<br />

nicht die Rechte an<strong>der</strong>er verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige<br />

Ordnung o<strong>der</strong> das Sittengesetz verstößt.<br />

Die k<strong>in</strong>dliche Entwicklung, <strong>der</strong> Erziehungsprozess und die pädagogischen Aktivitäten<br />

sollten also immer im Vor<strong>der</strong>grund stehen; Aufsichtsaspekte dürfen nur Korrektive se<strong>in</strong>:<br />

"Das Recht kann und soll nicht pädagogische Inhalte bestimmen, son<strong>der</strong>n nur die<br />

Grenzen erzieherischer Gestaltungsräume aufzeigen, <strong>der</strong>en Überschreitung nicht mehr<br />

mit den berechtigten Schutz<strong>in</strong>teressen des K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit zu vere<strong>in</strong>baren<br />

s<strong>in</strong>d" (Sahliger 1994, S. 8).<br />

Formen <strong>der</strong> Aufsichtsführung<br />

Dem Vorrang <strong>der</strong> Erziehung kommt entgegen, dass es unterschiedlich <strong>in</strong>tensive Formen<br />

<strong>der</strong> Aufsichtsführung gibt. Die sozialpädagogische Fachkraft muss also nur dasjenige<br />

Mittel ergreifen, das vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> gerade beschriebenen Kriterien von se<strong>in</strong>er<br />

E<strong>in</strong>flussstärke her <strong>der</strong> jeweiligen Situation entspricht. Sie kann wählen zwischen:<br />

(1) <strong>Info</strong>rmieren, Belehren, Ermahnen: Die Erzieher<strong>in</strong> muss die K<strong>in</strong><strong>der</strong> über mögliche<br />

Gefahren und <strong>der</strong>en Verh<strong>in</strong><strong>der</strong>ung klar und verständlich <strong>in</strong>formieren, zum richtigen<br />

Umgang mit gefährlichen Objekten anleiten und Verhaltensweisen lehren, mit denen


isikoreiche Situationen (z.B. im Straßenverkehr) gemeistert werden können. Sie muss<br />

sich vergewissern, ob sie verstanden wurde. Wichtig ist auch das eigene Vorbild.<br />

(2) Ge- und Verbote: E<strong>in</strong> exakt umschriebenes Verhalten wird verlangt bzw. untersagt.<br />

Dies ist z.B. notwendig, wenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> Belehrungen und Warnungen nicht beachtet<br />

haben, wenn sie zu wenig E<strong>in</strong>sicht zeigen, wenn sie bestimmte Verhaltensweisen noch<br />

nicht beherrrschen o<strong>der</strong> wenn <strong>der</strong> Schadense<strong>in</strong>tritt sehr wahrsche<strong>in</strong>lich ist. Verbote<br />

sollten eher selten aufgestellt werden, da sie die Entwicklung von Selbständigkeit und<br />

Verantwortungsbewusstse<strong>in</strong> erschweren.<br />

(3) Überwachen, Kontrollieren: Auch Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong> müssen nicht auf Schritt und Tritt<br />

beobachtet werden; dies ist we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erzieher<strong>in</strong> zumutbar noch pädagogisch zulässig.<br />

Die Fachkraft muss sich also nicht ständig im Raum bzw. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

aufhalten o<strong>der</strong> fortwährend <strong>in</strong> Blickkontakt bleiben. Zumeist reicht e<strong>in</strong> relativ häufiges,<br />

stichprobenartiges Kontrollieren. Entsprechend <strong>der</strong> vorgenannten Kriterien s<strong>in</strong>d aber<br />

<strong>in</strong>tensivere Überwachung und Kontrolle von (e<strong>in</strong>zelnen) K<strong>in</strong><strong>der</strong>n notwendig, wenn diese<br />

sich z.B. an frühere Belehrungen und Verbote nicht gehalten haben, mit gefährlichen<br />

Objekten spielen o<strong>der</strong> sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er risikoreichen Situation (Klettern, Straßenverkehr<br />

usw.) bef<strong>in</strong>den.<br />

(4) E<strong>in</strong>greifen: Ist e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e dritte Person gefährdet bzw. ist e<strong>in</strong> Sachschaden<br />

zu erwarten, dann muss die Erzieher<strong>in</strong> verbal o<strong>der</strong> auch unter körperlichem E<strong>in</strong>satz<br />

e<strong>in</strong>greifen und die Gefahrenquelle entfernen (z.B. durch Wegnehmen, Verschließen,<br />

Abbrechen des Spiels, Trennen sich prügeln<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>).<br />

Hundmeyer (1995 a) fasst zusammen: "E<strong>in</strong>em Erzieher kann nicht begründet <strong>der</strong><br />

Vorwurf <strong>der</strong> <strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung gemacht werden, falls er sich über die<br />

persönliche Verfassung des K<strong>in</strong>des und über die sonstigen Umstände, die für die<br />

Aufsichtsführung Bedeutung haben, <strong>in</strong>formiert, das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>em Alter und<br />

se<strong>in</strong>er Entwicklung gemäßen Weise auf mögliche Gefahren aufmerksam macht, es vor<br />

falschem Verhalten warnt und sich vergewissert, dass das K<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Warnungen und<br />

Ermahnungen verstanden hat und befolgt. Schließlich muss er das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise<br />

überwachen, wie dies e<strong>in</strong>em verständigen <strong>Aufsichtspflicht</strong>igen unter Abwägung<br />

pädagogischer Zielsetzungen und Risiken für das K<strong>in</strong>d und an<strong>der</strong>e vernünftigerweise<br />

zugemutet werden kann. Notfalls muss er zum Schutz des K<strong>in</strong>des und an<strong>der</strong>er auch<br />

e<strong>in</strong>greifen" (S. 26).<br />

Beg<strong>in</strong>n und Ende <strong>der</strong> <strong>Aufsichtspflicht</strong><br />

Pr<strong>in</strong>zipiell können Beg<strong>in</strong>n und Ende <strong>der</strong> <strong>Aufsichtspflicht</strong> im Aufnahmevertrag, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenordnung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er geson<strong>der</strong>ten Vere<strong>in</strong>barung festgelegt werden. Ist dies<br />

nicht geschehen, gilt das, was stillschweigend zwischen K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten und Eltern aus <strong>der</strong><br />

Sicht e<strong>in</strong>es objektiven Dritten - <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit - als vere<strong>in</strong>bart angesehen werden<br />

kann. Dies kann ab Betreten bzw. Verlassen des K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartengrundstücks, des<br />

Gebäudes o<strong>der</strong> des Flurs/des Vorraumes zum Gruppenraum (Letzteres <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bei<br />

größeren E<strong>in</strong>richtungen mit mehreren Gruppen) se<strong>in</strong>.<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die vor Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> offiziellen Öffnungszeit <strong>in</strong> den K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten kommen o<strong>der</strong><br />

gebracht werden, stehen noch nicht unter <strong>der</strong> Aufsicht <strong>der</strong> Fachkräfte. Werden sie von<br />

den Eltern e<strong>in</strong>fach vor <strong>der</strong> verschlossenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartentür abgestellt, verletzen diese<br />

möglicherweise ihre <strong>Aufsichtspflicht</strong>. S<strong>in</strong>d Mitarbeiter<strong>in</strong>nen dann schon anwesend und


äußere Umstände wie das Verkehrsgeschehen o<strong>der</strong> die Witterungsverhältnisse Gefahr<br />

br<strong>in</strong>gend, wird jedoch erwartet, dass sie das K<strong>in</strong>d schon vorzeitig <strong>in</strong> ihre Obhut nehmen.<br />

Generell endet die <strong>Aufsichtspflicht</strong> mit <strong>der</strong> Übergabe des K<strong>in</strong>des an die<br />

Personensorgeberechtigten (Eltern). Sie tritt nicht wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>, wenn <strong>der</strong> Abholer z.B. das<br />

K<strong>in</strong>d noch auf dem K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartengelände (unbeaufsichtigt) spielen lässt, selbst wenn dies<br />

während <strong>der</strong> Öffnungszeit <strong>der</strong> Fall ist. Die Eltern können auch e<strong>in</strong>e dritte Person<br />

beauftragen, das K<strong>in</strong>d zu br<strong>in</strong>gen o<strong>der</strong> abzuholen, wobei <strong>der</strong>en Berechtigung vorab dem<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenpersonal mitgeteilt werden sollte. Handelt es sich um e<strong>in</strong>en Geschwisterteil<br />

bzw. M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigen, sollten sich die Fachkräfte von se<strong>in</strong>er Eignung überzeugen.<br />

Generell darf das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>em Elternteil o<strong>der</strong> sonstigen Abholer nicht überlassen werden,<br />

wenn ihm von diesem Gefahr droht (z.B. bei Trunkenheit). Dann sollte <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Elternteil bzw. die Eltern, notfalls das Jugendamt o<strong>der</strong> die Polizei, e<strong>in</strong>geschaltet werden.<br />

Droht <strong>der</strong> Abholer mit Gewaltanwendung, muss sich das K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenpersonal aber<br />

nicht dieser Gefahr aussetzen. Dasselbe gilt übrigens auch, wenn e<strong>in</strong> nicht<br />

sorgeberechtigter (getrennt leben<strong>der</strong>, geschiedener) Elternteil das K<strong>in</strong>d zu entführen<br />

versucht. Ansonsten kann e<strong>in</strong> getrennt leben<strong>der</strong> Elternteil dem K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenpersonal<br />

nicht verbieten, das K<strong>in</strong>d dem an<strong>der</strong>en Elternteil mitzugeben - sofern das<br />

Familiengericht ke<strong>in</strong>e entsprechende vorläufige Entscheidung über die Ausübung <strong>der</strong><br />

elterlichen Sorge getroffen hat.<br />

Wird e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d nicht rechtzeitig abgeholt, verletzen die Eltern ihre vertraglichen<br />

Pflichten. Der K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten muss <strong>in</strong> diesem Fall aber weiterh<strong>in</strong> die Beaufsichtigung des<br />

K<strong>in</strong>des übernehmen bzw. sicherstellen. Die Erzieher<strong>in</strong> sollte zunächst versuchen, die<br />

Eltern bzw. den üblichen Abholer telefonisch zu erreichen. Gel<strong>in</strong>gt dies nicht und kann<br />

ke<strong>in</strong>e Fachkraft noch länger <strong>in</strong> <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung bleiben, kann das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Obhut des<br />

Hausmeisters o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Putzfrau übergeben werden, sofern diese die Verantwortung<br />

übernehmen wollen. Alternativ kann es von e<strong>in</strong>er Erzieher<strong>in</strong> mit nach Hause genommen<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en, dem K<strong>in</strong>d bekannten Mutter mitgegeben werden. Schließlich kann<br />

es <strong>zur</strong> Wohnung se<strong>in</strong>er Eltern gebracht und z.B. bei e<strong>in</strong>er Nachbar<strong>in</strong> abgegeben werden;<br />

es darf aber nicht unbeaufsichtigt vor <strong>der</strong> Wohnungstür <strong>zur</strong>ückgelassen werden. In<br />

jedem dieser Fälle muss e<strong>in</strong>e entsprechende Notiz für die Eltern an <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartentür<br />

angebracht werden.<br />

Konsequenzen <strong>der</strong> <strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung<br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzungen können strafrechtliche, zivilrechtliche und/o<strong>der</strong><br />

arbeitsrechtliche Folgen haben. Die Verletzung <strong>der</strong> <strong>Aufsichtspflicht</strong> an sich ist nicht<br />

strafbar. Nur wenn deswegen e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Dritter (schwer) verletzt o<strong>der</strong> gar getötet<br />

wurde, wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel e<strong>in</strong>e Ermittlung durchgeführt - und zwar grundsätzlich<br />

unabhängig davon, ob <strong>der</strong> Verletzte bzw. die Verwandten des Getöteten e<strong>in</strong> Interesse an<br />

e<strong>in</strong>er Bestrafung des Täters haben. Dann muss die Staatsanwaltschaft <strong>der</strong> Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

(grob) fahrlässige o<strong>der</strong> vorsätzliche Verletzung ihrer <strong>Aufsichtspflicht</strong> nachweisen.<br />

Strafrechtliche Verfahren mit rechtskräftiger Verurteilung <strong>der</strong> Fachkraft s<strong>in</strong>d sehr selten.<br />

Zivilgerichte werden h<strong>in</strong>gegen nicht von sich aus tätig, son<strong>der</strong>n müssen von den<br />

Geschädigten bzw. <strong>der</strong>en gesetzlichen Vertretern angerufen werden. Dies kann zum<br />

e<strong>in</strong>en nach § 823 BGB <strong>der</strong> Fall se<strong>in</strong>, wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d selbst e<strong>in</strong>en Schaden erleidet -<br />

wobei die Verletzungshandlung <strong>der</strong> Erzieher<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Unterlassen <strong>der</strong> notwendigen<br />

Aufsicht besteht -, o<strong>der</strong> zum an<strong>der</strong>en nach § 832 BGB, wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d aufgrund<br />

mangeln<strong>der</strong> Beaufsichtigung e<strong>in</strong>em Dritten e<strong>in</strong>en Schaden zufügt. Die Fachkraft haftet


für den e<strong>in</strong>getretenen Schaden - e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d unter sieben Jahren haftet nach § 828 Abs. 1<br />

BGB übrigens nie -, wenn die <strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung vorsätzlich o<strong>der</strong> (grob)<br />

fahrlässig erfolgte. Fahrlässigkeit ist gegeben, "wenn e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e, ausreichend<br />

ausgebildete, entsprechend erfahrene Kolleg<strong>in</strong> bei Anspannung <strong>der</strong> gebotenen und ihr <strong>in</strong><br />

dieser Situation auch möglichen Aufmerksamkeit an<strong>der</strong>s gehandelt und den<br />

schädigenden Erfolg vermieden hätte" (Mün<strong>der</strong> 1991, S. 106). Im Gegensatz zu<br />

strafrechtlichen Verfahren muss bei zivilrechtlichen <strong>der</strong> Erzieher<strong>in</strong> aber die<br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung nicht nachgewiesen werden. Vielmehr kommt es zu e<strong>in</strong>er<br />

Umkehr <strong>der</strong> Beweislage: Die Fachkraft muss sich selbst entlasten und glaubhaft<br />

machen, dass sie ihrer <strong>Aufsichtspflicht</strong> nachgekommen ist. Durch die Formulierung <strong>der</strong><br />

entsprechenden Rechtsgrundlage - <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e § 832 BGB - hat <strong>der</strong> Gesetzgeber<br />

klargestellt, dass se<strong>in</strong>es Erachtens e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>getretener Schaden <strong>in</strong> aller Regel auf<br />

un<strong>zur</strong>eichende Aufsichtsführung beruht. Die Fachkraft muss also die Vorannahme<br />

entkräften o<strong>der</strong> nachweisen, dass <strong>der</strong> Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung<br />

entstanden wäre.<br />

§ 823 BGB<br />

(1) Wer vorsätzlich o<strong>der</strong> fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die<br />

Freiheit, das Eigentum o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> sonstiges Recht e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en wi<strong>der</strong>rechtlich<br />

verletzt, ist dem An<strong>der</strong>en zum Ersatze des daraus entstehenden Schadens<br />

verpflichtet.<br />

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen e<strong>in</strong> den Schutz<br />

e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalte des Gesetzes<br />

e<strong>in</strong> Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die<br />

Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens e<strong>in</strong>.<br />

§ 832 BGB<br />

(1) Wer kraft Gesetzes <strong>zur</strong> Führung <strong>der</strong> Aufsicht über e<strong>in</strong>e Person verpflichtet<br />

ist, die wegen M<strong>in</strong><strong>der</strong>jährigkeit o<strong>der</strong> wegen ihres geistigen o<strong>der</strong> körperlichen<br />

Zustandes <strong>der</strong> Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatze des Schadens verpflichtet,<br />

den diese Person e<strong>in</strong>em Dritten wi<strong>der</strong>rechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt<br />

nicht e<strong>in</strong>, wenn er se<strong>in</strong>er <strong>Aufsichtspflicht</strong> genügt o<strong>der</strong> wenn <strong>der</strong> Schaden auch<br />

bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden se<strong>in</strong> würde.<br />

(2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung <strong>der</strong><br />

Aufsicht durch Vertrag übernimmt.<br />

Bei e<strong>in</strong>er <strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung müssen entstandene Personen-, Sach- o<strong>der</strong><br />

Vermögensschäden wie<strong>der</strong> gutgemacht und unter Umständen Schmerzensgeldansprüche<br />

erfüllt werden. In <strong>der</strong> Regel werden die Kosten von <strong>der</strong> gesetzlichen Unfallversicherung<br />

o<strong>der</strong> - sofern vorhanden - <strong>der</strong> Betriebshaftpflichtversicherung des Trägers bzw. <strong>der</strong><br />

Berufshaftpflichtversicherung <strong>der</strong> Erzieher<strong>in</strong> übernommen - außer die<br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung erfolgte vorsätzlich o<strong>der</strong> (dies gilt nur für die gesetzliche<br />

Unfallversicherung) grob fahrlässig. Haftpflichtversicherungen übernehmen auch<br />

gesetzliche und außergerichtliche Kosten bei Rechtsstreit o<strong>der</strong> Strafverfahren.<br />

Oft ist aber nicht nur e<strong>in</strong>e Fachkraft verantwortlich: "Waren mehrere Erzieher an <strong>der</strong><br />

<strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung beteiligt, haften sie als sog. Gesamtschuldner (§§ 840, 426


BGB). Dies bedeutet, dass je<strong>der</strong> dem Geschädigten zum Ersatz des gesamten Schadens<br />

verpflichtet ist; allerd<strong>in</strong>gs kann <strong>der</strong> Schadensersatz nur e<strong>in</strong>mal gefor<strong>der</strong>t werden. Hat<br />

also von zwei Erziehern e<strong>in</strong>er den gesamten Schadensersatz geleistet, hat <strong>der</strong><br />

Geschädigte gegen den an<strong>der</strong>en ke<strong>in</strong>en Anspruch mehr. Im Innenverhältnis s<strong>in</strong>d die<br />

Gesamtschuldner untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zum Ausgleich verpflichtet" (Sahliger 1994, S. 54).<br />

In machen Fällen haftet auch die K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenleiter<strong>in</strong> mit, wenn sie gegen ihre Pflichten<br />

verstoßen hat - also z.B. wenn sie die Aufsichtsführenden un<strong>zur</strong>eichend e<strong>in</strong>gewiesen,<br />

belehrt o<strong>der</strong> unterstützt hat, o<strong>der</strong> wenn sie bei offensichtlichem Fehlverhalten <strong>der</strong>selben<br />

nicht e<strong>in</strong>geschritten ist. Ähnliches gilt für den Träger des K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartens: Er haftet mit,<br />

wenn er beispielsweise unqualifiziertes Personal e<strong>in</strong>stellt, se<strong>in</strong>e Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />

ungenügend angeleitet hat o<strong>der</strong> überwacht, sie z.B. durch auf Dauer zu große Gruppen<br />

überfor<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> ihnen relevante <strong>Info</strong>rmationen (z.B. über Risiken) nicht gegeben hat.<br />

Schließlich haftet <strong>der</strong> Träger laut §§ 278, 831 BGB grundsätzlich für<br />

Pflichtverletzungen se<strong>in</strong>es Personals mit: Insbeson<strong>der</strong>e Schäden, die we<strong>der</strong> aufgrund<br />

e<strong>in</strong>er vorsätzlichen noch e<strong>in</strong>er grob fahrlässigen <strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzung se<strong>in</strong>er<br />

Mitarbeiter<strong>in</strong>nen entstanden, werden dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugerechnet<br />

und s<strong>in</strong>d von diesem alle<strong>in</strong> zu tragen. "Das Bundesarbeitsgericht hält es nämlich für<br />

unbillig, e<strong>in</strong>en Arbeitnehmer <strong>in</strong> jedem Fall haften zu lassen, wenn dessen Tätigkeit<br />

leicht zu <strong>der</strong>artigen Schäden führen kann o<strong>der</strong> die Gefahr besteht, dass <strong>der</strong> verursachte<br />

Schaden sehr groß ist und <strong>in</strong> ke<strong>in</strong>em Verhältnis zum Arbeitse<strong>in</strong>kommen steht"<br />

(Hundmeyer 1995 b, S. 83)<br />

Unabhängig davon, ob e<strong>in</strong> Schaden e<strong>in</strong>getreten ist, können <strong>Aufsichtspflicht</strong>verletzungen<br />

auch arbeitsrechtliche Folgen haben. Diese reichen von <strong>der</strong> formlosen Belehrung über<br />

Verweis und Abmahnung bis h<strong>in</strong> <strong>zur</strong> ordentlichen und <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s schwerwiegenden<br />

Fällen sogar fristlosen Kündigung. Die Sanktion muss aber <strong>in</strong> angemessenem Verhältnis<br />

<strong>zur</strong> Schwere <strong>der</strong> Pflichtverletzung stehen.<br />

Weiterführende Literatur<br />

Groner, F.: Die <strong>Aufsichtspflicht</strong> gegenüber K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen. Faltblatt. München: Aktion<br />

Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern e.V., o.J.<br />

Hundmeyer, S.: <strong>Aufsichtspflicht</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagese<strong>in</strong>richtungen. Rechtlich begründete Antworten auf Fragen<br />

<strong>der</strong> Praxis <strong>zur</strong> <strong>Aufsichtspflicht</strong>, Haftung und zum Versicherungsschutz. Kronach: Carl L<strong>in</strong>k, 3. Aufl. 1995<br />

a<br />

Hundmeyer, S.: Recht für Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher. München: TR-Verlagsunion, 15. Aufl. 1995 b<br />

Jacobi, V.: Rechtsfragen im K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartenalltag. Für Erzieher, Träger, Eltern. Donauwörth: Auer, 6. Aufl.<br />

1993<br />

Mün<strong>der</strong>, J.: Beratung, Betreuung, Erziehung und Recht. Handbuch für Lehre und Praxis. Münster: Votum,<br />

2. Aufl. 1991<br />

Preiss<strong>in</strong>g, C./Prott, R.: Rechtshandbuch für Erzieher<strong>in</strong>nen. Berl<strong>in</strong>: FIPP-Verlag, 2. Aufl. 1993<br />

Sahliger, U.: <strong>Aufsichtspflicht</strong> im K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten. Münster: Votum 1994<br />

Schmitt-Wenkebach, R.: <strong>Aufsichtspflicht</strong> <strong>in</strong> Tagese<strong>in</strong>richtungen für K<strong>in</strong><strong>der</strong>. Bonn: Arbeiterwohlfahrt<br />

Bundesverband e.V. 1994

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