Titel - Berliner Ärzte
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F O R T B I L D U N G<br />
CIRS Berlin: Der aktuelle Fall<br />
Magensonde verhakt<br />
Was ist das Netzwerk CIRS-Berlin<br />
Das Netzwerk CIRS-Berlin (www.cirs-berlin.de) ist ein regionales, einrichtungsübergreifendes<br />
Fehlerberichts- und Lernsystem. Hier arbeiten derzeit 20 <strong>Berliner</strong> Krankenhäuser<br />
gemeinsam mit der <strong>Ärzte</strong>kammer Berlin (ÄKB) und dem Ärztlichen Zentrum<br />
für Qualität in der Medizin (ÄZQ) daran, die Sicherheit ihrer Patienten weiter zu verbessern.<br />
Dazu betreiben die Kliniken nicht nur intern ein Fehlerberichts- und Lernsystem,<br />
sondern berichten aus ihrem internen in das regionale CIRS (Critical Incident<br />
Reporting System): In anonymisierter Form werden im Netzwerk CIRS-Berlin Berichte<br />
über kritische Er eig nisse und Beinahe-Schäden gesammelt. Ziel ist es, das gemeinsame<br />
Lernen aus Fehlern zu fördern und beim Lernen nicht an Klinikgrenzen halt zu<br />
machen. Insbesondere praktische Hinweise und bewährte Maßnahmen zur Vermeidung<br />
von unerwünschten Ereignissen und Beinahe-Schäden werden im Anwender-<br />
Forum des Netzwerks ausgetauscht. Damit andere von den teilnehmenden Kliniken<br />
lernen können, werden aktuelle Fälle auch in „BERLINER ÄRZTE“ veröffentlicht.<br />
Aus der Kinder- und Jugendmedizin<br />
wird der folgende, erstmalige Fall<br />
berichtet:<br />
Das Foto zeigt die abgeschnittene Spitze der<br />
Magensonde, die im Körper des Kindes<br />
verhärtete und in dieser Form nicht über die<br />
Nase entfernt werden konnte.<br />
Eine (nasale) Magensonde konnte bei einem<br />
Säugling nicht gezogen werden, da<br />
die Spitze verdreht und verhärtet war. Die<br />
Sonde lag bereits sechs Tage; sie darf laut<br />
Hersteller sieben Tage liegen bleiben. Zur<br />
Entfernung musste sie durch einen Arzt –<br />
Zugang über den Mund – durchgeschnitten<br />
werden. Die Firma wurde informiert.<br />
Eine Woche nach dem Vorfall, nach Rücksprache<br />
mit der Vertreterin der Firma,<br />
wurden alle gleichen Magensonden aus<br />
dem stationären Ablauf genommen. Die<br />
Magensonde wurde aufgehoben und fotografiert<br />
(siehe Foto), die Medizin technik<br />
des Hauses informiert.<br />
Kommentar und Hinweise des<br />
Anwender-Forums des Netzwerk<br />
CIRS-Berlin:<br />
In diesem Fall wurden – wie vielerorts –<br />
Magensonden aus PVC (Polyvinylchlorid)<br />
verwendet, unter Berücksichtigung der<br />
angegebenen Verwendungs-(Liege-)<br />
Dauer. Dennoch kam es zur Aushärtung<br />
des Materials und dem beschriebenen<br />
Ereignis. Die Magensonde konnte komplikationslos<br />
entfernt werden, allerdings<br />
wurde das Kind dafür kurz sediert.<br />
Die Aushärtung des Materials ist für<br />
PVC bekannt: Über die Zeit lösen sich<br />
die Weichmacher aus dem Material. Aus<br />
diesem Grund sind die Wechselintervalle<br />
für Magensonden aus PVC auch kurz.<br />
Von der Klinik wurde der Fall beim Hersteller<br />
und beim Bundesinstitut für Arznei<br />
mittel und Medizinprodukte (BfArM)<br />
gemeldet. Infolge der Meldung nahm<br />
der Hersteller die PVC-Magensonden<br />
vom Markt und liefert nur noch PU<br />
(Polyure than)-Magensonden aus.<br />
Neben PVC-Sonden gibt es noch Sonden<br />
aus PU und Silikon. PU-Sonden haben bei<br />
gleichem Außen durch messer ein größeres<br />
Lumen und erscheinen damit z.B. für<br />
Frühgeborene geeigneter. Silikonsonden<br />
dürfen bis zu sechs Wochen im Patienten<br />
belassen werden. Ursprünglich waren sicherlich<br />
Kosten gründe ausschlaggebend<br />
für die Ent schei dung für PVC-<br />
Magensonden. Das Material PVC ist bei<br />
der Verwen dung bei Kindern umstritten,<br />
da die Weichmacher (meist so genannte<br />
Phthalate), die sich aus dem Material herauslösen,<br />
z. T. vom Körper aufgenommen<br />
werden und hier hormonartige<br />
Wirkungen entfalten können.<br />
In diesem Fall wurde richtig gehandelt, um<br />
Schaden vom einzelnen Patienten abzuwenden.<br />
Damit auch Schaden von weiteren<br />
Patienten in anderen Häusern abgewendet<br />
werden konnte, war die Meldung<br />
an Hersteller und BfArM unerlässlich!<br />
Wichtige Empfehlungen aus diesem<br />
Ereignis:<br />
Überprüfung des Einsatzes von<br />
(Phthalat-haltigen) PVC-Materialien<br />
Meldung von Produktfehlern (auch<br />
bei Verdacht!) und Medikamentenneben<br />
wirkungen an die entsprechenden<br />
Ins titutionen (BfArM und Hersteller),<br />
damit ggf. Produkte überarbeitet,<br />
Indika tionen eingeschränkt<br />
oder Produkte gar vom Markt genommen<br />
werden können. Diese Meldungen<br />
sind für Ärz te und Angehörige<br />
anderer Heilberufe sowie Klink betreiber<br />
verpflichtend.<br />
Meldung von möglichen oder bereits<br />
nachgewiesenen Fehlern nach intern<br />
sowie extern (z.B. CIRS-Berlin), um<br />
Feh lervermeidungsstrategien zu etablieren<br />
und auch Außenstehenden<br />
die Mög lichkeit zu geben, aus Fehlern<br />
zu lernen.<br />
Patientennahe Beobachtung und<br />
ausführliche Dokumentation auch<br />
von eingespielten Prozessen und<br />
Hand lungs abläufen, um sie ggf.<br />
nachvollziehen und Fehler bzw.<br />
Fehlerquellen nachträglich analysieren<br />
sowie benennen zu können.<br />
Diesen Fall können Sie auch unter der<br />
Nummer 37615 unter www.cirs-berlin.de<br />
nachlesen.<br />
Kontakt:<br />
Dr. med. Barbara Hoffmann, MPH<br />
b.hoffmann@aekb.de<br />
Abt. Fortbildung/Qualitätssicherung ÄKB<br />
BERLINER ÄRZTE 12/2013 S. 34