reisende sommer - republik 2005 dokumentation

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sind nach Kanada gegangen, haben die Kinder groß gezogen. Sie hat dann gesagt: Jetzt, wo der Hof das aushält, muss das Versprechen, dass ich noch studieren kann, Wirklichkeit werden. Sie hat studiert, ist fertig mit dem Studium und hat im Landwirtschaftsministerium einen Job bekommen, in Kanada, und muss da natürlich in die Verwaltungsmetropole. Jetzt ist der Konflikt in der Familie groß und er hat gerade entschieden: Ich verkaufe den Hof und deine Karriere setzt sich fort. Das finde ich eine insgesamt wunderbare Geschichte, wie Träume noch verwirklicht worden sind und gleichzeitig die Träume der anderen noch ermöglicht werden. Also nicht: Jetzt haben wir den Hof und jetzt studierst du nicht mehr und wir machen das weiter. Sondern der Deal war: Du hilfst mir und ich helfe dir, sobald es geht. Mit wunderbaren weiteren Geschichten, dass zur Überraschung aller Beteiligten die Tochter, die gerade das Abitur gemacht hat, jetzt Landwirtschaft machen will. Und dass der Sohn, drei Jahre jünger und ein ganz zarter Mensch, seinerseits Interesse an der Landwirtschaft gewinnt. Also eine Sache, die die Eltern nie für möglich gehalten haben und wo sie auch gesagt haben: Wir wollen sie nicht zwingen in den Job. Wo sie, was ich auch schön finde, gesagt haben: Wir werden das Geld so anlegen, dass sie, wenn sie tatsächlich dann eine Farm machen wollen, eine Farm machen können. Aber erst mal sollen sie die Welt angucken, erst mal sollen sie studieren. Und wenn sie es dann immer noch wollen, können sie es. Vielleicht haben auch die Eltern mehr Vorbehalte gegen die Landwirtschaft als ihre Kinder, weil natürlich sie dieses Leben kennen und auch wissen, mit welchen Strapazen es verbunden ist. Das trifft für die Frau zu, für den Mann nicht. Karl hat eine solche Liebe zu seiner Arbeit. Und man sieht ja, wenn jemand beglückt in den Kuhstall tritt und nicht einfach die ganze Arbeit sieht. Und es ist wahnsinnig viel Arbeit. Gerade wenn man sich so große Mühe gibt und nicht nur so ein- 24 Identitätsforschung auf Harriersand fach seinen Job runterhaut. Karl hat vorher im Rahmen von der Bewegung achtundsechzig, neunundsechzig, der hat die Welt einfach auch gesehen. Er ist sehr viel gereist, hat alles Mögliche erlebt, von Wohngemeinschaften bis sonst was. Und ist dann zurück gekehrt zu seinen Wurzeln. Für seine Frau Katrin, zwanzig Jahre jünger, war das eine andere Geschichte. Sie ist direkt nach dem Abitur mit dem für sie älteren Mann, den sie geliebt hat, aber dennoch ist sie gleich in dessen Zukunftsperspektive mit eingestiegen. Umso schöner finde ich es, dass er ihr das wieder geöffnet hat, und dass sie jetzt gucken werden. Sie hat ihren Job. Sie sind jetzt da, wo sie arbeitet, haben was gemietet, gucken sich nach einem Haus um. Und insofern nehme ich das mal so, dass das jetzt ein Gruß an den Freund ist. Dass ich froh bin, dass ich den doch noch gefunden habe. Du meinst, Hochstradter ist nicht in den USA geblieben, sondern er ist wirklich weiter nach Kanada gezogen. Mit der Republik hat es nicht geklappt, das hat sich relativ schnell zerstritten, auf der Insel hat es schon gekriselt, dann ging es weiter, die Schiffsfahrt war strapaziös, es war klar, die Ernte ist nicht mehr zu schaffen. Er als Landwirt wird sicherlich mehr als andere damit konfrontiert gewesen sein. Ich wäre damit ganz einverstanden, das jemand sagt, in dieser ganzen deutschen Kolonie halte ich es nicht aus, ich bin weiter der Einzelgänger, auch der, der ich geblieben bin, auch das kann sein, und gehe von daher nach Kanada. Was sicher unüblich war zu der Zeit, weil man hatte ja in Amerika genug, musste nicht da hoch, wo die Bedingungen etwas schwieriger sind. Dennoch wünsche ich mir für ihn, dass seine Sehnsüchte – so oder so oder so – für ihn noch funktioniert haben und dass er das hat leben können, was er sich da erträumt hat. Möglicherweise hat er, wenn er Leser war, später geschrieben. Es gibt irgendwas. Wir können ja mal gucken, ob wir noch etwas finden: Tagebücher, Briefe, Briefe an zu Hause. In Ziegelfeld. 25 SOMMER - REPUBLIK 72

Tatsächlich müsste man in die Archive gehen, um zu recherchieren, ob es da Briefe gibt, ob da Briefe angekommen sind, ob die in irgendeiner Form dokumentiert sind. Ja, und es ist erstaunlich, wie viel da noch da ist. Es ist unglaublich, was man in den Archiven findet. Und mit diesem Namen vermute ich auch mal, anders als Heinrich Becker, nach dem ich übrigens gesucht habe – es gibt auch einen Heinrich Becker hier, also einen wirklichen Großonkel von mir, aber leider ist der das nicht –, hat man bei Hochstradter natürlich auch die Chance, dass der Name und dieser Ort so ungewöhnlich sind, dass man da in den Archiven noch fündig wird. Ob das wirklich so ist, dass die Leute zurückgekommen sind, die Kinder, Großkinder, und jetzt in Ziegelfeld den Biohof haben. Das weiß ich natürlich nicht. Aber wenn wir ohnehin nach Ziegelfeld gehen, um diese Sachen aufzuklären, können wir ja mal bei den größten Biohöfen in Ziegelfeld anfangen. Und wenn wir da eben sehen, dass der Name Hochstradter noch da ist… Vielleicht auch irgendwelche Verwandte, der Bruder, der dageblieben ist, der den Hof geerbt hat, zum Beispiel. Oder geborene Hochstradter, dass seine Tocher zurückgegangen ist. Es gibt ja diese komischen Höferollen. Danach darf der Hof nur an das älteste bauernfähige Familienmitglied vererbt werden. Bauernfähig, das heißt, dass derjenige in der Lage ist, den Betrieb als Landwirt zu führen, so dass er die Kenntnisse hat, dass er körperlich die Kraft hat, dass er geistig nicht behindert ist und so weiter. Und so könnte es natürlich sein, dass die Gefahr bestand in Ziegelfeld, dass der Hof aus der Höferolle kommt, weil man keinen Erben mehr hatte, der bereit war, Landwirtschaft zu machen. Und das man dann gesagt hat: Die in Kanada machen doch immer noch und dann wollen wir doch mal gucken. Und dann hat eines von den Kinder, die alle auf eine deutsche Schule gegangen sind und dort quälend deutsch gelernt haben, gesagt: Ich guck mir das mal an. 26 Identitätsforschung auf Harriersand Du meinst also, dass sie auch weiterhin deutsch gesprochen haben, in Kanada oder USA. Wenn beide Auswanderer waren, werden sie es möglicherweise schon aus Tradition den Kindern offenbart haben oder nahe gelegt haben, dass sie die Sprache lernen. Wenn nur er Deutscher war und eine Kanadierin oder eine Amerikanerin oder wer immer sich hinter dem Wort Kanadierin oder Amerikanerin verbirgt. – Wir werden nie klug genug sein zu sagen, dass das Land, an das wir geglaubt haben, nicht mehr das Land für uns war. Warum sollen wir nicht die Option für die Kinder offen halten? Allemal nach den historischen Erfahrungen, die wir gemacht haben: Wir haben gerade einen Film gemacht, wo der Filmemacher gesagt hat, die Familie meiner Eltern hat teils auf deutscher, teils auf englischer Seite aufeinander geschossen im Krieg. Auch das kann ein Punkt sein. Wir erleichtern den Kindern den Weg. Ob die dann als zweite Sprache deutsch genommen haben, was nahe liegt, oder was haben wir noch: Holland, viele Leute aus Holland sind sicher gegangen, Skandinavien, Frankreich, Italien. – Und möglicherweise stellen wir fest, dass die 42-jährige Italienerin, die dann bereit war, den Hof zu übernehmen und aus Kanada zurückgekommen ist, dass wir sie wirklich einfach befragen sollten, ob das alles richtig ist, was wir hier im Nachhinein herausgefunden haben. Oder ob doch ein Detail sich in der Wirklichkeit anders dargestellt hat. Wir können es ja nicht ausschließen. 27 SOMMER - REPUBLIK 73

Tatsächlich müsste man in die Archive gehen, um zu recherchieren,<br />

ob es da Briefe gibt, ob da Briefe angekommen<br />

sind, ob die in irgendeiner Form dokumentiert sind.<br />

Ja, und es ist erstaunlich, wie viel da noch da ist. Es<br />

ist unglaublich, was man in den Archiven findet. Und mit<br />

diesem Namen vermute ich auch mal, anders als Heinrich Becker,<br />

nach dem ich übrigens gesucht habe – es gibt auch einen<br />

Heinrich Becker hier, also einen wirklichen Großonkel<br />

von mir, aber leider ist der das nicht –, hat man bei Hochstradter<br />

natürlich auch die Chance, dass der Name und dieser<br />

Ort so ungewöhnlich sind, dass man da in den Archiven noch<br />

fündig wird. Ob das wirklich so ist, dass die Leute zurückgekommen<br />

sind, die Kinder, Großkinder, und jetzt in Ziegelfeld<br />

den Biohof haben. Das weiß ich natürlich nicht. Aber<br />

wenn wir ohnehin nach Ziegelfeld gehen, um diese Sachen aufzuklären,<br />

können wir ja mal bei den größten Biohöfen in Ziegelfeld<br />

anfangen. Und wenn wir da eben sehen, dass der Name<br />

Hochstradter noch da ist…<br />

Vielleicht auch irgendwelche Verwandte, der Bruder, der<br />

dageblieben ist, der den Hof geerbt hat, zum Beispiel.<br />

Oder geborene Hochstradter, dass seine Tocher<br />

zurückgegangen ist. Es gibt ja diese komischen Höferollen.<br />

Danach darf der Hof nur an das älteste bauernfähige Familienmitglied<br />

vererbt werden. Bauernfähig, das heißt, dass derjenige<br />

in der Lage ist, den Betrieb als Landwirt zu führen,<br />

so dass er die Kenntnisse hat, dass er körperlich die Kraft<br />

hat, dass er geistig nicht behindert ist und so weiter. Und<br />

so könnte es natürlich sein, dass die Gefahr bestand in Ziegelfeld,<br />

dass der Hof aus der Höferolle kommt, weil man keinen<br />

Erben mehr hatte, der bereit war, Landwirtschaft zu machen.<br />

Und das man dann gesagt hat: Die in Kanada machen doch<br />

immer noch und dann wollen wir doch mal gucken. Und dann hat<br />

eines von den Kinder, die alle auf eine deutsche Schule gegangen<br />

sind und dort quälend deutsch gelernt haben, gesagt:<br />

Ich guck mir das mal an.<br />

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Du meinst also, dass sie auch weiterhin deutsch gesprochen<br />

haben, in Kanada oder USA.<br />

Wenn beide Auswanderer waren, werden sie es möglicherweise<br />

schon aus Tradition den Kindern offenbart haben oder<br />

nahe gelegt haben, dass sie die Sprache lernen. Wenn nur er<br />

Deutscher war und eine Kanadierin oder eine Amerikanerin<br />

oder wer immer sich hinter dem Wort Kanadierin oder Amerikanerin<br />

verbirgt. – Wir werden nie klug genug sein zu sagen,<br />

dass das Land, an das wir geglaubt haben, nicht mehr das<br />

Land für uns war. Warum sollen wir nicht die Option für die<br />

Kinder offen halten? Allemal nach den historischen Erfahrungen,<br />

die wir gemacht haben: Wir haben gerade einen Film gemacht,<br />

wo der Filmemacher gesagt hat, die Familie meiner<br />

Eltern hat teils auf deutscher, teils auf englischer Seite<br />

aufeinander geschossen im Krieg. Auch das kann ein Punkt<br />

sein. Wir erleichtern den Kindern den Weg. Ob die dann als<br />

zweite Sprache deutsch genommen haben, was nahe liegt, oder<br />

was haben wir noch: Holland, viele Leute aus Holland sind<br />

sicher gegangen, Skandinavien, Frankreich, Italien. – Und<br />

möglicherweise stellen wir fest, dass die 42-jährige Italienerin,<br />

die dann bereit war, den Hof zu übernehmen und aus<br />

Kanada zurückgekommen ist, dass wir sie wirklich einfach befragen<br />

sollten, ob das alles richtig ist, was wir hier im<br />

Nachhinein herausgefunden haben. Oder ob doch ein Detail<br />

sich in der Wirklichkeit anders dargestellt hat. Wir können<br />

es ja nicht ausschließen.<br />

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