reisende sommer - republik 2005 dokumentation
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ist ganz schön. Viele Utopieräume, Utopiegedanken oder Utopie-,<br />
ja, eigentlich Utopieräume. Schlafen ist so ein Utopieraum.<br />
Vielleicht ist Schlafen aber auch utopiefrei, ich<br />
weiß es nicht ganz genau. Auf jeden Fall bin ich hier verstrickterweise<br />
hergekommen als Dorothea Wild, weiblich, 35,<br />
Bernbach, Württemberg. Und sie ist mit ihrer ganzen Familie<br />
gekommen. Und ich glaube ja eigentlich, Dorothea, Franz, Jacob<br />
und Rosine Wild, das sind Geschwister. Ich glaube, das<br />
sind Geschwister aus Württemberg. Die Württemberger waren in<br />
der Zeit ja eigentlich auch sehr voran mit dem Gedanken der<br />
Freiheit und des Liberalismus. Und deshalb kann ich mir eigentlich<br />
ganz gut vorstellen, dass die – Bernbach ist auch<br />
eher eine ärmere Gegend da oder eine landwirtschaftlichere<br />
Gegend – dass die das einfach satt hatten. Jacob Wild, das<br />
ist auch einer aus dieser Wild-Familie, Musiker, die sind ja<br />
eh immer so ein bisschen der Freiheit zugewandt.<br />
Und wie war das mit den vier Geschwistern? Haben sie sich<br />
zusammen gesetzt und den Rat gebildet, war Dorothea damit<br />
einverstanden oder hat sie jetzt doch eigentlich ganz schön<br />
viel zurückgelassen?<br />
Dorothea war ja die Älteste von den vier Geschwistern und<br />
ich glaube, die war da sehr mit einverstanden. Vielleicht<br />
hat sie ja auch gerade eine enttäuschte Liebe hinter sich<br />
oder hat ihren Mann verloren. Vielleicht waren die Wilds<br />
auch ein bisschen seltsam, weil sie eigentlich woanders hin<br />
wollten. Also ich glaube nicht, dass die verheiratet waren,<br />
weil sie ist älter als Franz und auch die Rosine Wild ist<br />
älter als der Jacob. Ich glaube, das sind Geschwister. Ich<br />
glaube, die Dorothea war sehr damit einverstanden. Mitte<br />
dreißig ist ja auch so ein Alter, wo man noch sagen kann:<br />
So, jetzt reicht’s, jetzt mal was ganz anderes. Und auch die<br />
Freude auf das Neue, auf das andere.<br />
Aber auf Harriersand war die Zeit nicht gerade von Freude<br />
geprägt. Die waren vier Wochen hier und wussten in der Zeit<br />
auch nicht genau, wann ihr Schiff kommen würde. Wie mag Do-<br />
6<br />
Identitätsforschung auf Harriersand<br />
rothea das empfunden haben, als sie hier auf der Insel war<br />
mit ihren drei Geschwistern und noch so vielen anderen Leuten,<br />
die alle in einer Scheune übernachtet haben, wo es eigentlich<br />
auch keine Privatsphäre mehr gab.<br />
Ich glaube, das war für die Dorothea nicht so ein Problem,<br />
weil sie sich gesagt hat: Egal, irgendwann kommt die<br />
Fähre. Sie haben ja schließlich dafür bezahlt und im Prinzip<br />
sehr viel dafür bezahlt. Natürlich war die Angst da, dass<br />
das alles umsonst war. Aber von solchen Gedanken wollte sie<br />
sich eigentlich gar nicht leiten lassen. Ich glaube, die saß<br />
in ihrer Scheune, war ein bisschen missgelaunt, weil das alles<br />
nicht so klappte, und vielleicht war sie auch sogar ein<br />
bisschen abergläubisch und hat gedacht: Na ja, wenn ich<br />
jetzt nach Amerika komme, na, wenn das jetzt schon so kacke<br />
anfängt, wie wird das denn dann werden? Aber letztlich<br />
wusste sie, zurück geht nicht, zurück will ich auch nicht.<br />
Und deswegen hat sie das hier alles ausgehalten.<br />
Und wie war das mit der Idee einer deutschen Muster<strong>republik</strong><br />
in Amerika: Hat sie davon konkret was mitbekommen, was<br />
aufgenommen, war das der Anlass der Reise?<br />
Na ja, so die Grundgedanken fand sie schon ganz gut, aber<br />
ich glaube, der Anlass der Reise war eher die persönliche<br />
Verbesserung in einem System, das ihr gerechter erschien.<br />
Aber nicht, wo das System über das eigene Wohl gestellt<br />
wird.<br />
Interessant, die Dorothea.<br />
Ja, ich glaube schon, sie war aber auch schwierig. Die<br />
war bestimmt schwierig, die ist bestimmt ganz oft angeeckt,<br />
die Dorothea. Als Frau kann ich mir vorstellen, dass es zu<br />
der Zeit auch echt nicht so einfach war.<br />
Was sehr auffällig ist: Es gibt zwei Dienstmädchen in der<br />
Liste und ansonsten haben die Frauen keine Berufsbezeichnungen.<br />
Daher dachte ich eigentlich, das sind die Ehefrauen.<br />
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SOMMER - REPUBLIK<br />
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