reisende sommer - republik 2005 dokumentation
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Keine Ahnung, ich meine, ich bin nicht mehr jung, mal gucken<br />
einfach. Man kann jeden Tag sterben, einfach mal was<br />
erleben. Ich habe in acht Ländern schon gelebt: in Italien,<br />
in Kanada, in England, in Indien…<br />
Friedrich Manowsky, 33, Schneider, aus Bromberg in Preußen<br />
(Monika Kiesewetter, 28, gelernte Schneiderin, aus Bayern)<br />
Auf der Insel bin ich Friedrich Manowsky, männlich, 33<br />
Jahre alt und Schneider, aus Bromberg in Preußen. Und in<br />
Wirklichkeit heiße ich Monika Kiesewetter, bin weiblich, 28<br />
Jahre alt und bin gelernte Schneiderin, komme aus Bayern vom<br />
Land, mittlerweile wohne ich in Frankfurt, in Hessen.<br />
Du bist alleine unterwegs. Wie bist du darauf gekommen,<br />
überhaupt auszuwandern, und was erwartest du dir von Amerika?<br />
Ich dachte, ich kann in Amerika auch noch meinen Beruf<br />
ausüben. Schneider sucht man ja überall und da kann man,<br />
glaube ich, immer gut Geld mit verdienen.<br />
Und warum Amerika? Zum Schneidern hättest du ja dann auch<br />
in Bromberg, in Preußen bleiben können.<br />
Ja, warum Amerika? Ja, vielleicht ein bisschen Abenteuerlust.<br />
Und ich weiß nicht, ich weiß nicht wirklich, warum<br />
Amerika, einfach so.<br />
Und wie hast du von der Auswanderung erfahren? Es gab<br />
diesen Aufruf, diese Aufforderung zur Auswanderung im Großen<br />
von Friedrich Münch. Und das hast du wahrscheinlich gelesen.<br />
Hast du dich dann ganz spontan entschieden, wie viel Zeit<br />
war zwischen dieser Aufforderung und dass du dich auf diese<br />
Liste eingeschrieben hast? Wie bist du dann nach Gießen gekommen,<br />
wo die Auswanderung losging.<br />
Ich habe diesen Aushang gefunden, und dann habe ich halt<br />
überlegt, ob ich jetzt noch in Preußen bleiben will, aber<br />
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Identitätsforschung auf Harriersand<br />
eigentlich wollte ich schon immer weg aus Preußen. Ja, und<br />
bin dann irgendwie nach Gießen gekommen. Hm, also es war<br />
eine Spontanentscheidung oder Sofortentscheidung. Ich habe<br />
mir das ein bisschen durch den Kopf gehen lassen und habe<br />
überlegt und gedacht: Ja, das könnte passen, jetzt nach Amerika<br />
zu gehen.<br />
Und hast du da jemanden zurückgelassen: Freunde, eine<br />
Verlobte, vielleicht sogar eine Familie?<br />
Also nee, ich hatte da niemanden gehabt. Ich war eh alleine<br />
und ich habe keinen Ballast zurückgelassen und wollte<br />
mein Glück mal in einem anderen Land probieren.<br />
Und was stellst du dir unter Glück vor? Du hast gesagt,<br />
Schneider kann man überall sein, Schneider sein an sich bedeutet<br />
wahrscheinlich dann nicht das Glück.<br />
Ja, mein Glück. Es ist einfach, dass es mir dann gut<br />
geht. Egal, auf welche Art und Weise. Ob es nun beruflich<br />
ist oder privat.<br />
Und das Fremde, das reizt dich?<br />
Ja, schon bisschen, reizt mich schon bisschen, irgendwie<br />
bin ich schon so ein bisschen abenteuerlustig. Sieht man<br />
vielleicht nicht unbedingt. Aber so tief in mir drin.<br />
Dorothea Wild, 35, aus Bernbach in Württemberg<br />
(Manuela Weisenrieder, AKKU)<br />
Die Dorothea Wild ist eigentlich gar nicht meine Personalität.<br />
Weil wir keine eigenen Säckchen und Löffelchen bekommen<br />
haben, haben wir Löffelchen von Leuten bekommen, die gar<br />
nicht angekommen sind. Also das ist quasi eine dreifache<br />
Verstrickung. Ich mag ja Utopien eigentlich ganz gerne, muss<br />
ich sagen. Man braucht ja immer so ein bisschen was, woran<br />
man sich festhält, das nicht real ist. Und was sich auch<br />
nicht realisieren wird. Aber sich daran festzuhalten, das<br />
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SOMMER - REPUBLIK<br />
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