reisende sommer - republik 2005 dokumentation

Nicolaus Eisentraut, 52, Landwirt, aus Eichelsdorf in Bayern
(Deborah Phillips, Berlin)
Ich mag diesen Namen total, Eisentraut, das gefällt mir.
Wie bist du denn darauf gekommen auszuwandern, wie bist
du überhaupt an die Information gekommen, da kommen ja nur
ganz wenige aus Bayern?
Das ist so: erst mal musste ich eine neue Identität machen.
Es gab viele Leute, die ich kenne, die auswandern
wollten, die an Papiere rankommen mussten und auf illegalen
Wegen einfach an irgendwas. Und ich bin eigentlich aus Breslau.
Ich bin über so ein paar Schieber, die ich kenne, aus
Bayern, an die Papiere rangekommen.
Du bist also zuerst nach Gießen und dann ging die Auswanderung
in Gießen wirklich los, und dann seid ihr im Treck
nach Bremen beziehungsweise erst mal nach Bremerhaven und da
war euer Schiff nicht da und dann seid ihr hierher gekommen
nach Harriersand und jetzt sitzt ihr hier fest.
O Gott, ich hoffe, die Bullen kommen nicht, ich will echt
nicht wieder zurück nach Osten. Ich dachte, ich mache einen
neuen Anfang auf einem anderem Kontinent und da kennt mich
keiner. Und jetzt bin ich einfach Eisentraut, klingt einfach
lustig, ich muss immer schmunzeln und ja, ich kann was neues
anfangen.
Aha, dann bist du in Wirklichkeit auch kein Landwirt.
Nee, aber hallo. (lacht)
Was bist du?
Ich handle mit verschiedenen Gegenständen.
Hast du auch was dabei zum Handeln?
Nee, heute nicht, heute habe ich gerade Sabbat und ich
trage nichts mit mir. Nee, aber ich habe ein paar Connections
da in Amerika. Ich kenne Leute, und wenn ich da an-
2
Identitätsforschung auf Harriersand
komme, die können sofort irgendwas regeln. Vielleicht arbeite
ich in einer Kneipe oder so was, mal schauen.
Und wie ist jetzt hier die Zeit auf der Insel, kennst du
schon alle anderen Leute?
Ja, voll komische Leute, das ist ein ganz anderes Volk.
Aber ich versuche, mit den Leuten zu quatschen. Da sind ein
paar Leute, mit denen man sich unterhalten kann, die nicht
ganz blöde sind. Ich meine, die Leute wissen nicht, wie das
da ist. Das ist bestimmt total krass, wenn wir da mal in
Nord- oder Südamerika oder was auch immer da ankommen.
Und kannst du englisch?
Nee, woher das denn? Aber ich kenne Leute, die verschiedene
Sprachen sprechen, bisschen deutsch, bisschen polnisch,
man kommt schon hin. Na ja, überall gibt es Menschen, die
verschiedene Sprachen sprechen. Man lernt dann eine neue
Sprache, das ist anstrengend, aber ja, würd’ ich irgendwie
mit klar kommen.
Hast du schon viel gesehen in deinem Leben…
Ja, immer wieder was Neues.
Also dann bist du nicht über Bayern nach Gießen?
Nee, die Papiere kamen dort her. Ich kannte Leute in
Frankfurt und von da aus sind wir erst mal nach Gießen.
Ist das für dich dann auch klar, dass du dich abseilst,
wenn du in Amerika bist?
Ja, ich habe Kontakte…
Du hast keine Ambitionen, eine deutsche Republik zu gründen?
AAAAch, nee, nee, nee, ich reise weiter. Mal gucken, Chicago
klingt irgendwie gut. Da baut sich gerade was auf. Ja,
ich will irgendwie weiter, ich hoffe, nach Chicago.
Wie stellst du dir die nächsten zehn Jahre vor?
3
SOMMER - REPUBLIK
61