reisende sommer - republik 2005 dokumentation
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SOMMER - REPUBLIK 156
taz 23.8.2005 Die Insel ist reif für die utopische Realität Die Insel ist reif für die utopische Realität Die 180 Einheimischen der "Sommer-Republik Harrier Sand" suchen ihr Glück in den "trüben Gewässern der Wirklichkeit" und lassen sich dabei auch vom Regen nicht stören. Viel zu wichtig sind die Themen des "Insel-Kongresses": Arbeit, Arbeit, Arbeit und ein Gezeiten-Lehrpfad für das Weser- Eiland von Harrier Sand Henning Bleyl Seite 1 von 3 In Utopia regnet es. Wie schon auf dem Weg dorthin. "Ihr müsst jetzt elend lang geradeaus und dann irgendwann über den Deich", sagte vorhin der tropfende Herr am Straßenrand. So nämlich gelangt man auf den Harrier Sand, eine Weser-Insel nördlich von Bremen. 180 UtopistInnen aus der ganzen Republik haben sich ebenfalls dorthin auf den Weg gemacht, um ein Wochenende lang "Sommer-Republik" zu sein, um eine andere Welt zu entwerfen. Oder wenigstens ein ganz persönliches besseres Leben. Viel Zeit ist das nicht, zumal etliche schon am ersten Morgen, am vergangenen Samstag, an vorzeitigen Aufbruch denken. "Die Unterkünfte kosten zu viel Energie", klagt eine Hamburger Musiktheater-Regisseurin, "zu viele Schnarcher und Furzer, Massenlager eben." Außerdem vermisse sie "die konkreten Netzwerkideen", den Erfahrungsaustausch darüber, wie sie ihr erträumtes "fahrendes Theater" endlich realisieren könne. Auch der Kulturamtsleiter der nächstgelegenen Stadt - Osterholz-Scharmbeck - hat eine nasse Zeltnacht hinter sich, er ist hier, weil ihn die Insel als potentielle Künstlerkolonie interessiert. Jetzt tut Frühsport not. Am Strand stehen die Riemenbänke des "Ruderparks Freiheit": Für 20 Cent darf man 1.000 Meter zurücklegen, als Reiseziele stehen Freiheit, Zukunft und "drüben" zur Wahl. Wer nicht nur sich, sondern gleich das gesamte Eiland in Bewegung versetzen will, kann einen Pflock in den Boden rammen. Ein Seil dran binden und kräftig gen Amerika ziehen. "Das ganze Gerede bringt ja nichts, wenn man nicht auch selber mal anfasst", erklärt Jörg Wagner von der Aktionsgemeinschaft "Utopisten voran!". Auf diesem Kongress trifft man eher Künstler als Kommune-Vertreter, statt über Infostände zum selbst bestimmten Wohnen-Leben-Arbeiten und dergleichen stolpert man allerorten über Installationen. Nicht zufällig ist das Lieblingswort von Organisator Oliver Behnecke von der "Reisenden Sommer-Republik" (siehe Infokasten) "Dramaturgie". Behnecke will "Kommunikationsräume inszenieren", dazu gehörte die Anreise der meisten Teilnehmer per Segelschiff, auch das erwähnte Übernachten an Bord und in Großzelten. Und wo kann man mal eine dramaturgische Pause machen? Vielleicht in der "Utopischen Bibliothek", im Zivilleben das Wartehäuschen des Fähranlegers. Dort schmökert man in der Ernst Bloch-Gesamtausgabe oder verschickt das "Manifest der reisenden Sommer-Republik" in Postkartenform: "Der Kanzler will nicht mehr. Wir wollen aber. Als lebhafter Schwarm durchschwimmen wir die trüben Gewässer der Wirklichkeit und verfolgen die utopischen Themen (...) das Ziel ist reiche Beute." Das gefragteste Thema heißt "Utopie der Arbeit". "Meine Frau und viele Freunde sind arbeitslos", erzählt ein Bühnentechniker aus Freiburg, da müsse man schon mal "mentale Dämme gegen den Absturz in einen für wertlos befundenen Bereich" bauen. Zwischen Wimpel, Geweih und maritimer Seidenmalerei sitzt er nun im "Inselhus" und versucht mit den anderen, eine "deutsche Musterrepublik" zu entwerfen. Da dort die "Wertigkeit der Arbeit an ihrem Sinn gemessen werden soll", muss letzterer erstmal definiert werden. Vorschlag: Arbeit muss "bedürfnisorientiert" stattfinden - aber was heißt das schon? "Früher hatten die doch file://C:\Dokumente und Einstellungen\Maxim\Eigene Dateien\Projekte\Sommer-Rep... 23.08.2005 SOMMER - REPUBLIK 157
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taz 23.8.<strong>2005</strong> Die Insel ist reif für die utopische Realität<br />
Die Insel ist reif für die utopische Realität<br />
Die 180 Einheimischen der "Sommer-Republik Harrier Sand" suchen ihr Glück in den "trüben<br />
Gewässern der Wirklichkeit" und lassen sich dabei auch vom Regen nicht stören. Viel zu wichtig sind<br />
die Themen des "Insel-Kongresses": Arbeit, Arbeit, Arbeit und ein Gezeiten-Lehrpfad für das Weser-<br />
Eiland<br />
von Harrier Sand<br />
Henning Bleyl<br />
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In Utopia regnet es. Wie schon auf dem Weg dorthin. "Ihr müsst jetzt elend lang geradeaus und dann<br />
irgendwann über den Deich", sagte vorhin der tropfende Herr am Straßenrand. So nämlich gelangt man auf<br />
den Harrier Sand, eine Weser-Insel nördlich von Bremen. 180 UtopistInnen aus der ganzen Republik haben<br />
sich ebenfalls dorthin auf den Weg gemacht, um ein Wochenende lang "Sommer-Republik" zu sein, um eine<br />
andere Welt zu entwerfen. Oder wenigstens ein ganz persönliches besseres Leben.<br />
Viel Zeit ist das nicht, zumal etliche schon am ersten Morgen, am vergangenen Samstag, an vorzeitigen<br />
Aufbruch denken. "Die Unterkünfte kosten zu viel Energie", klagt eine Hamburger Musiktheater-Regisseurin,<br />
"zu viele Schnarcher und Furzer, Massenlager eben." Außerdem vermisse sie "die konkreten Netzwerkideen",<br />
den Erfahrungsaustausch darüber, wie sie ihr erträumtes "fahrendes Theater" endlich realisieren könne. Auch<br />
der Kulturamtsleiter der nächstgelegenen Stadt - Osterholz-Scharmbeck - hat eine nasse Zeltnacht hinter<br />
sich, er ist hier, weil ihn die Insel als potentielle Künstlerkolonie interessiert.<br />
Jetzt tut Frühsport not. Am Strand stehen die Riemenbänke des "Ruderparks Freiheit": Für 20 Cent darf man<br />
1.000 Meter zurücklegen, als Reiseziele stehen Freiheit, Zukunft und "drüben" zur Wahl. Wer nicht nur sich,<br />
sondern gleich das gesamte Eiland in Bewegung versetzen will, kann einen Pflock in den Boden rammen. Ein<br />
Seil dran binden und kräftig gen Amerika ziehen. "Das ganze Gerede bringt ja nichts, wenn man nicht auch<br />
selber mal anfasst", erklärt Jörg Wagner von der Aktionsgemeinschaft "Utopisten voran!".<br />
Auf diesem Kongress trifft man eher Künstler als Kommune-Vertreter, statt über Infostände zum selbst<br />
bestimmten Wohnen-Leben-Arbeiten und dergleichen stolpert man allerorten über Installationen. Nicht zufällig<br />
ist das Lieblingswort von Organisator Oliver Behnecke von der "Reisenden Sommer-Republik" (siehe<br />
Infokasten) "Dramaturgie". Behnecke will "Kommunikationsräume inszenieren", dazu gehörte die Anreise der<br />
meisten Teilnehmer per Segelschiff, auch das erwähnte Übernachten an Bord und in Großzelten.<br />
Und wo kann man mal eine dramaturgische Pause machen? Vielleicht in der "Utopischen Bibliothek", im<br />
Zivilleben das Wartehäuschen des Fähranlegers. Dort schmökert man in der Ernst Bloch-Gesamtausgabe<br />
oder verschickt das "Manifest der <strong>reisende</strong>n Sommer-Republik" in Postkartenform: "Der Kanzler will nicht<br />
mehr. Wir wollen aber. Als lebhafter Schwarm durchschwimmen wir die trüben Gewässer der Wirklichkeit und<br />
verfolgen die utopischen Themen (...) das Ziel ist reiche Beute."<br />
Das gefragteste Thema heißt "Utopie der Arbeit". "Meine Frau und viele Freunde sind arbeitslos", erzählt ein<br />
Bühnentechniker aus Freiburg, da müsse man schon mal "mentale Dämme gegen den Absturz in einen für<br />
wertlos befundenen Bereich" bauen. Zwischen Wimpel, Geweih und maritimer Seidenmalerei sitzt er nun im<br />
"Inselhus" und versucht mit den anderen, eine "deutsche Muster<strong>republik</strong>" zu entwerfen. Da dort die<br />
"Wertigkeit der Arbeit an ihrem Sinn gemessen werden soll", muss letzterer erstmal definiert werden.<br />
Vorschlag: Arbeit muss "bedürfnisorientiert" stattfinden - aber was heißt das schon? "Früher hatten die doch<br />
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23.08.<strong>2005</strong><br />
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