reisende sommer - republik 2005 dokumentation
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Jörg Kaier über Fred Singer<br />
Mit Fred Singer trat beim Inselkongress <strong>2005</strong> ein Urenkel einer der 250 Auswanderer von<br />
1834 auf. Genauso wie sein Vater Sam und sein Großvater Moshe ist Fred Singer im New<br />
Yorker Stadtteil Brooklyn aufgewachsen. Sein Urgroßvater Mendel aber, der auch auf Harriersand<br />
auf seine Ausreise nach Amerika wartete, stammte aus Süddeutschland. Fred Singer<br />
ist nun wieder nach Deutschland zurückgekehrt – zumindest vorübergehend. Wie viele amerikanische<br />
Künstler und Bohemiens ist auch er vor den absurd hohen Lebenshaltungskosten in<br />
New York und der Bush-Administration nach Berlin „geflohen“. Nach Harriersand brachte er<br />
seine Gitarre und jede Menge Anekdoten über seinen Urgroßvater Mendel mit:<br />
„...tja wisst ihr, die Utopisten haben im November 1834 auf Harriersand campiert und das vier<br />
Wochen lang. Und bereits nach einigen Tagen merkten sie, dass man Utopien nicht essen<br />
kann. Aber immerhin war da dieser Typ, der die Utopie hatte, mit der Zucht des deutschen<br />
Hausschweins in Amerika richtig reich zu werden. Nun, es blieb für immer eine Utopie, den<br />
am 3. November, das war ein Samstag, hatten 249 Auswanderer eine big Schweinebraten-<br />
Party mit dem Eber und der Sau, die dieser Typ so Arche-Nova-mäßig auf das Schiff nach<br />
Amerika nehmen wollte. Stattdessen schlugen sich alle die Bäuche voll und waren das erste<br />
Mal seit langen mal wieder richtig satt.<br />
Wenn ich „alle“ sage, meine ich alle bis auf einen, der alleine und hungrig in seinem Zelt an<br />
die Decke starrte: Mein Urgroßvater Mendel Singer. Nun ja, er war kein Vegetarier, aber<br />
Jude, so wie ich und alle Singers. Und Schweinefleisch am Sabbat das wäre nun überhaupt<br />
nicht gegangen! So und ich spiel Euch jetzt meinen ersten Song vor, den ich auf deutsch geschrieben<br />
habe, er heißt ‚Broilermann’ und handelt davon, wie cool ich es finde, dass man in<br />
Ost-Berlin immer noch die DDR-Tradition des Hähnchengrillens aufrechterhält. ...“<br />
Im nicht so schönen Hohenschönhausen<br />
steht ein Mann im Winter draußen.<br />
Kein Weihnachtsmann, kein Briefzusteller<br />
kein schlechtgelaunter Wendeverlierer –<br />
es ist der Broilermann,<br />
er macht die Broiler warm.<br />
GDR Chicken Man...<br />
Fred Singer wusste auf dem Inselkongress zu überzeugen: Mit seinen Songs und Anekdoten,<br />
die er durch witzige, großformatige Zeichnungen „aufpeppte“ („...for those who haven’t<br />
found the time to pick up some English – Goddamn!“), lotete er das Verhältnis zwischen<br />
Amerikanern, Juden und Deutschen aus. Dabei griff er auch auf manche Coverversion zurück.<br />
Im Repertoire hatte er etwa Bruce Springsteens „Promised Land“ ( „...I mean, if that’s not a<br />
song for every fan of Utopia, then I don’t know...“) oder „The KKK took may baby away“<br />
von den Ramones („...you won’t believe this, but the Klan actually did kidnap my girl-friend,<br />
which is one of the reasons I came to Germany – you know, I wanna find me a new one...“)<br />
Zum Schluß spielte er dann noch eine ergreifende Ballade mit dem Titel „My daughter is a<br />
flight attendant“: Seine zeitgemäße Interpretation des Pocahontas-Mythos, wie er sagte.<br />
„Wisst ihr, Stewardessen sind für mich die wahren Heldinnen der Neuzeit - schön, unnahbar<br />
und immer mit einem souveränen Lächeln auf den Lippen...“<br />
Kontakt Jörg Kaier<br />
Tel. (030) 42 08 70 77<br />
joergkaier@web.de<br />
SOMMER - REPUBLIK<br />
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