reisende sommer - republik 2005 dokumentation

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14.11.2012 Aufrufe

„Die letzten Künstler“- Arbeitstitel In den letzten Monaten habe ich mich mit dem Thema Künstlerutopien und Künstlerbilder befasst. Neben der Fertigstellung von „Zuhause Reisen“ und der Installation „Am Moore“, hat mich der „Mythos Künstlerkolonie“ mit seiner immer noch lebendigen Geschichte sehr beschäftigt. Im Rahmen eines Residenzstipendiums der Künstlerhäuser Worpswede verbrachte ich 4 Monate in Worpswede. Dabei stieß ich auf Fragen wie: Welche Ideale trieben die Künstlerkollegen Anfang des 20. Jahrhunderts in das Moordorf? Wie funktionierten das Zusammenleben der ideellen Künstlerwelt und das Leben der einfachen Bauern, die harte körperliche Arbeit verrichteten? Ich war fasziniert von der scheinbar unvereinbaren Verbindung von Utopie und Realität. Worpswede und die Kunst: Worpswede und seine zeitgenössischen Künstler leben heute noch vom Mythos des Künstlerdorfes. Die Alten Worpsweder Meister sind allgegenwärtig und haben hier immer noch großen Einfluss auf das Publikum und die Kunstschaffenden. Durch die Kultur-Touristen und einen auf lokalem Niveau weitgehend intakten Worpsweder Kunstmarkt hält sich die 10.000 Seelengemeinde in der Nähe Bremens wie ein „gallisches“ Dorf in der zeitgenössischen Kulturlandschaft. Der Markt ist einzigartig. Hier findet die Kommunikation zwischen Kunstinteressierten und Künstlern direkt vor der Ateliertür statt. Wechselwirkungen zwischen Künstlern und Rezipienten sind hier bestens zu beobachten. Während des Förderzeitraums möchte ich mich vor Ort intensiver mit dem Künstlerbild beschäftigen. Gerade Worpswede bietet hier einerseits übersichtliche, aber auch seit hundert Jahren reich gewachsene Strukturen. Hobbymaler, Kunsthandwerker, Lebenskünstler, etablierte Künstler und Galeristen finden heute in Worpswede eine funktionierende und bewährte Infrastruktur in Bilderbuchmanier und existieren scheinbar friedlich nebeneinander. Mehr noch, es scheint, als funktioniere der Kulturbetrieb innerhalb des Dorfes als autarker Mikrokosmos. Arbeitsweise: Ich als Künstler bin immer wieder mit Klischees von meinem eigenen Künstlerdasein betroffen. Dadurch werde ich für das Wechselspiel zwischen Aktion und Wirkung immer wieder sensibilisiert und auf meinen eigenen Standpunkt zurückgeworfen. Wie bereits meine Campingaktion „Zuhause Reisen“, 2004-05, während der ich sechs Monate auf einem Dauercampingplatz am Berliner Stadtrand wohnte, soll die Auseinandersetzung mit den Künstlerkollegen in Worpswede eine ähnliche Vorgehensweise aufweisen. Ich begebe mich temporär in das Geschehen hinein, um von innen heraus, auf einer Gratwanderung zwischen den Beobachtungen anderer Menschen und meinem eigenem Erfahrungshorizont, indem ich ständig zwischen der Rolle des Teilhabenden und des Beobachtenden hin und her pendele. Der Prozess ist Teil der künstlerischen Arbeit. Aktionen und Beobachtungen werden von mir mit der Kamera dokumentiert. SOMMER - REPUBLIK 128

Bis heute hat sich eine Wunschvorstellung, ein Idealbild eines Künstlers in der Gesellschaft gehalten, der sich in Abgeschiedenheit, von der Natur inspiriert, an seinen Werken abarbeitet. Das Klischee des Künstlers über alle materialistischen Einflüsse erhaben zu sein und seinem künstlerischen Schicksal hoffnungslos ausgeliefert zu sein, hat sich hartnäckig in den Köpfen einiger Rezipienten und auch Künstler gehalten. Dies wird verstärkt durch die Erwartungshaltung der Touristen, die sich für einen Tag zwischen den historischen Stätten der Worpsweder Kolonie bewegen und das Leben der ehemaligen Künstler nachempfinden wollen. Hier füllen die zeitgenössischen Künstler vor Ort eine Lücke. Viele bedienen sich dem Klischee eines allgemein angenommenen Künstlerbildes, was im Ort von Touristen aufgesucht wird. Tagesgäste sind immer potentielle Interessenten und gern gesehene Gäste in den Ateliers. Hier entstehen spannende Begegnungen und Gespräche. Was hier in Worpswede für einen außenstehenden jungen Künstler wie mich utopisch und protektionistisch erscheint, ist auf internationalen Parkett in abgewandelter Form ebenfalls zu beobachten. Ergebnis: Nach meinem kurzen Aufenthalt habe ich eine Vorstellung entwickeln können, wie vielschichtig die Worpsweder Szene mit seinen unterschiedlichen Künstlerstandpunkten ist. Die höchst unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten mit ihren Motivationen ergeben zusammen ein extremes Gesamtbild. Ich möchte die unterschiedlichsten Künstler, die ich teilweise bereits kennen gelernt habe, aufsuchen und mit der Kamera portraitieren. Im Vordergrund steht die Beobachtung der Künstler und der Austausch untereinander und der mit dem kunstinteressiertem Publikum. Am Ende wird eine filmische Arbeit entstehen, wie ZUHAUSE REISEN (siehe Arbeitsmaterial), die aus meinem künstlerischen Wirken heraus resultiert und interaktive Prozesse zwischen Kunstschaffenden und ihren Rezipienten dokumentiert. Erste Interaktionen entstanden bereits mit der Installation BAHNHOF AM MOORE, einer temporären Plattform in Worpswede, die eine Utopie bzw Sehnsucht in sich tragen sollte. Dieser Ort wurde zur Begegnungsstätte und gab Anlass zur Kommunikation. Weiterer Bestandteil meines künstlerischen Vorhabens und Ziel meiner Beobachtung ist die Darstellung unterschiedlicher künstlerischer Motivation und die des jeweiligen Selbstbildes. Das künstlerische Selbstverständnis ist hier geprägt von Erwartungen und entsteht aber auch in der Selbstspiegelung am historischen Künstlermythos. Auch in diesem Fall wechsele ich die Standpunkte zwischen Beobachtenden und Teilnehmendenden. Vorübergehend schlüpfe ich in die Rolle eines Kurators und bringe in einer gemeinsamen Ausstellung die unterschiedlichen Künstlerstandpunkte Worpswedes zusammen. Sie soll unter Künstlern und Publikum einen Diskurs über Kunst und ihre Wirkung anregen. Durch die Konfrontation mit den unterschiedlichen Künstlerrealitäten innerhalb Worpswedes, unternimmt das Projekt den Versuch das Selbstbild des Künstlers näher zu beleuchten. Genauere Rechercheergebnisse lesen Sie in der Anlage KÜNSTLERBILDER SOMMER - REPUBLIK 129

„Die letzten Künstler“- Arbeitstitel<br />

In den letzten Monaten habe ich mich mit dem Thema Künstlerutopien und<br />

Künstlerbilder befasst.<br />

Neben der Fertigstellung von „Zuhause Reisen“ und der Installation „Am Moore“, hat<br />

mich der „Mythos Künstlerkolonie“ mit seiner immer noch lebendigen Geschichte sehr<br />

beschäftigt.<br />

Im Rahmen eines Residenzstipendiums der Künstlerhäuser Worpswede verbrachte<br />

ich 4 Monate in Worpswede. Dabei stieß ich auf Fragen wie: Welche Ideale trieben die<br />

Künstlerkollegen Anfang des 20. Jahrhunderts in das Moordorf? Wie funktionierten<br />

das Zusammenleben der ideellen Künstlerwelt und das Leben der einfachen Bauern,<br />

die harte körperliche Arbeit verrichteten? Ich war fasziniert von der scheinbar<br />

unvereinbaren Verbindung von Utopie und Realität.<br />

Worpswede und die Kunst:<br />

Worpswede und seine zeitgenössischen Künstler leben heute noch vom Mythos des<br />

Künstlerdorfes. Die Alten Worpsweder Meister sind allgegenwärtig und haben hier<br />

immer noch großen Einfluss auf das Publikum und die Kunstschaffenden. Durch die<br />

Kultur-Touristen und einen auf lokalem Niveau weitgehend intakten Worpsweder<br />

Kunstmarkt hält sich die 10.000 Seelengemeinde in der Nähe Bremens wie ein<br />

„gallisches“ Dorf in der zeitgenössischen Kulturlandschaft. Der Markt ist einzigartig.<br />

Hier findet die Kommunikation zwischen Kunstinteressierten und Künstlern direkt vor<br />

der Ateliertür statt. Wechselwirkungen zwischen Künstlern und Rezipienten sind hier<br />

bestens zu beobachten.<br />

Während des Förderzeitraums möchte ich mich vor Ort intensiver mit dem Künstlerbild<br />

beschäftigen. Gerade Worpswede bietet hier einerseits übersichtliche, aber auch seit<br />

hundert Jahren reich gewachsene Strukturen.<br />

Hobbymaler, Kunsthandwerker, Lebenskünstler, etablierte Künstler und Galeristen<br />

finden heute in Worpswede eine funktionierende und bewährte Infrastruktur in<br />

Bilderbuchmanier und existieren scheinbar friedlich nebeneinander. Mehr noch, es<br />

scheint, als funktioniere der Kulturbetrieb innerhalb des Dorfes als autarker<br />

Mikrokosmos.<br />

Arbeitsweise:<br />

Ich als Künstler bin immer wieder mit Klischees von meinem eigenen Künstlerdasein<br />

betroffen. Dadurch werde ich für das Wechselspiel zwischen Aktion und Wirkung<br />

immer wieder sensibilisiert und auf meinen eigenen Standpunkt zurückgeworfen.<br />

Wie bereits meine Campingaktion „Zuhause Reisen“, 2004-05, während der ich sechs<br />

Monate auf einem Dauercampingplatz am Berliner Stadtrand wohnte, soll die<br />

Auseinandersetzung mit den Künstlerkollegen in Worpswede eine ähnliche<br />

Vorgehensweise aufweisen.<br />

Ich begebe mich temporär in das Geschehen hinein, um von innen heraus, auf einer<br />

Gratwanderung zwischen den Beobachtungen anderer Menschen und meinem<br />

eigenem Erfahrungshorizont, indem ich ständig zwischen der Rolle des Teilhabenden<br />

und des Beobachtenden hin und her pendele. Der Prozess ist Teil der künstlerischen<br />

Arbeit. Aktionen und Beobachtungen werden von mir mit der Kamera dokumentiert.<br />

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