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reisende sommer - republik 2005 dokumentation

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Die Durchführung<br />

Am 22. September <strong>2005</strong> um 18 Uhr öffnete das Amt. Bis zum 1. Oktober würde das Amt an 7 Spieltagen<br />

jeweils 3-5 Stunden lang Antragsteller durchschleusen. Nach all den Planungen und Mutmaßungen<br />

ging es jetzt um die Frage: Wie würden die Besucher mit diesem Performanceparcours umgehen?<br />

Heikel war die Taktung. Im 10-Minuten-Takt konnten bis zu<br />

vier Personen das Amt durchlaufen. Was passiert, wenn es<br />

sich irgendwo staut? Steigen Leute aus? Wie kooperativ sind<br />

die Zuschauer? Spielen Sie mit? Gelingt es Ihnen, alle Rätsel<br />

zu lösen?<br />

Die meisten Bedenken lösten sich schnell in Luft auf. Die Zuschauer erwiesen sich durchgehend als<br />

sehr aufgeschlossen und hatten Interesse und Freude an der Interaktivität der Aktion, auch wenn ihnen<br />

die strengen Untertöne nicht verborgen blieben. Eine Antragstellerin berichtete am Ende des Parcours,<br />

sie sei erschrocken gewesen, wie devot sie auch die unmöglichsten Anforderungen erfüllt habe,<br />

nachdem sie sich einmal auf die Logik des Amtes eingelassen hatte.<br />

Auch unvorhergesehenes Verhalten wurde von der klaren Struktur des Amtes aufgefangen. Eine Dame<br />

übersprang versehentlich die Hälfte der Stationen und landete viel zu früh im letzten Zimmer. Doch<br />

basierend auf der Spielregel „alle Stempel nur in der richtigen Reihenfolge“ wurde sie einfach zurückgeschickt<br />

- schließlich waren ihre Unterlagen ja nicht vollständig. - Bei der ärztlichen Untersuchung<br />

wurde von einem Jugendlichen in der kurzen Zeit, die den Besuchern in der Kabine dafür zur Verfügung<br />

stand, tatsächlich wider Erwarten eine Urinprobe abgegeben. Auch kein Problem: Die Ärztin war<br />

mit Gummihandschuhen und verschließbaren Behältern für alle Eventualitäten gewappnet. Der freimütige<br />

Urinspender konnte mit seiner Probe weiterziehen, ohne unter der Hand eine der illegalen Proben<br />

zu erwerben – wozu alle anderen Zuschauer gezwungen waren, um im Parcours weiterzukommen.<br />

Das Fazit<br />

Im Nachhinein wurde klar, dass wir den Besuchern noch mehr hätten zumuten können. In den meisten<br />

Fällen überwog der Spaß am Mitspielen, die inszenierten Brüche in das Unbehagen einer Ausreiseprozedur<br />

erfuhren eine etwas zu geringe Gewichtung.<br />

Andererseits muss bei dieser Art von Theater sehr genau die Region berücksichtigt werden, in die die<br />

Aktion verortet wird. Ältere Besucher fühlten sich alleine durch den stellenweise scharfen Ton der<br />

Spieler und die Unübersichtlichkeit des Amtes deutlich an Erfahrungen mit Behörden der DDR erinnert.<br />

Es gilt in dieser Form der interaktiven Performance sehr genau auszutarieren, wann die notwendige<br />

Freude am Mitwirken aufgrund zu großer Drastik verloren geht. Ideal ist die Herstellung einer<br />

ständigen Gratwanderung.<br />

Der S-Bahnhof als Spielort erwies sich als Fluch und Segen zugleich. Der heruntergekommene Zustand,<br />

die unterschiedlichen Räume und der Wechsel zwischen Innen- und Außenstationen entsprach<br />

der Idee des Szenarios. Allerdings wurde der Mut des Thalia Theaters, mit dem Festival in eine abgelegene<br />

und übel beleumdete Plattenbausiedlung zu gehen, nicht belohnt. Die Einheimischen interes-<br />

SOMMER - REPUBLIK<br />

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