reisende sommer - republik 2005 dokumentation
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feine Ironie, das ist anderen Leuten dann schon zu weit und man verletzt sie dadurch, das ist dann schon sehr unangenehm, wenn das passiert. LL Das heißt, es gibt ein eingeübtes Publikum und mit denen entwickelt sich auch ein Spiel im Laufe der Produktionen? AW Es ist ja so, wenn man freies Theater macht, dann ist es wahnsinnig schwierig, Publikum zu kriegen. Die meisten Gruppen arbeiten so, dass sie Anträge stellen, dann eine Produktion machen, die aufführen, sagen wir zwei Wochen hintereinander, dann proben sie das nächste Stück und können erst in drei Monaten oder einem halben Jahr wieder aufführen. Wir haben uns überlegt, um halt auch ein Publikum langfristig an uns heranzuführen und zu binden, haben wir ein Produkt – will ich mal so sagen – das ist unsere Schmusetier-Soap „Humana – Leben in Berlin“, die wir einmal im Monat zeigen, das läuft jetzt auch schon im dritten Jahr, wo wir es durch Kontinuität geschafft haben in Berlin doch immer präsent und bekannt zu sein und darüber hinaus ein Stammpublikum für unsere anderen Projekte zu interessieren. LL Was passiert in der Schmusetier-Soap? AW Das ist ein Umzugskarton, der aufgeschnitten ist. Im Hintergrund werden Dias als Bühnenbild von Berliner Orten projiziert. Ich stehe mit einer Kollegin rechts und links neben diesem Karton auf Bierkisten. Und wir haben Schmusetiere, vielleicht erinnert ihr euch an diese kleinen Wuscheltiere, und die agiere. Wir haben zwei Ebenen: Wir stehen als Darsteller neben dem Karton, im Karton agieren die Schmusetiere und wir geben ihnen die Stimme. Das sind immer so 30-Minüter aus dem Alltag. Die letzte Folge war Ausziehen. Jemand zieht aus, muss eine neue Wohnung finden, muss sie renovieren. Also wirklich Banalitäten, die aber dadurch, dass sie mit diesen Stofftieren passieren, eine Brechung kriegen und dadurch kommt dann Ironie. Man muss vorsichtig sein, wenn man mir etwas erzählt, es könnte eine Folge später... LL Wie arbeitest du? AW Die Soap ist mein Kontinuum, wodurch ich mein Leben auch ein bisschen strukturiert habe. Da habe ich mittlerweile viel gelernt in den letzten drei Jahren. Ich sammle über einen Monat Ideen zu einem Thema und Situationen – und dann schreibe ich das in zehn Stunden runter. Wie eine richtige Soap. Und dann proben wir nochmal zwei Stunden und dann geht’s ins Eingemachte. LL Ich möchte noch über zwei, drei andere Projekte sprechen, weil für mich da ein ganz wichtiges Thema anklingt, und zwar das Thema der Moral. Es gibt eins, das ich ganz spannend beim Lesen fand, das ist „Kraft zum Leben“. Wo ich zuerst dachte, um Himmels Willen, was ist das? Es geht darum, das kleine Situationen, die irgendwie fies sind, wo man alltäglich scheitert, dass du die aufgreifst und auf eine bestimmte Art und Weise darstellst. SOMMER - REPUBLIK 112
AW Es ist wieder der Alltag, Grenzsituationen im Alltag. Ein Autofahrer nimmt einem die Vorfahrt und man hat darum den ganzen Tag schlechte Laune. Und es sind trotzdem Sachen, wo unsere alltägliche Normalität einfach so wegbrechen kann, wo wir selber emotional auch gar nicht in der Lage sind, das zu bewältigen. Also es passiert ja öfters, wir tun dann so, als wenn es normal weitergeht, aber eigentlich sind das Situationen, mit denen wir nicht klar kommen. Und die passieren uns täglich. Diese Fälle haben wir nachgestellt à la „Aktenzeichen XY“ mit Videos, und dann gibt es halt eine Diskussion darüber. Das sind Fälle, wo einmal die Darsteller Opfer waren, sich als Opfer gefühlt haben und als Gegensatz ein Set dazu, wo die, die vorher Opfer waren, sich nun als Täter fühlen. Das kennt man ja auch, Banalität, ich lästere mit jemanden über einen anderen und später denkt man, was habe ich da für einen Scheiß geredet. Da fühlt man sich auch schlecht. Das sind so die Themen. LL Mir kommt es vor wie ein vorsichtiges Tasten nach moralischen Vorstellungen, die tragfähig sind im Jetzt und nicht von irgendwoher stammen. Also ich lese mal ein paar Fälle vor: Der Fall des gemeinen Remplers in der Oranienburger Straße, der Fall der gnadenlosen Telecom- Hotline, der Fall des redseligen Kneipenbesuchers, der Fall der überheblichen Kunstdozentin, der Fall der unfreundlichen Partygäste, der Fall der tratschenden Freundin. Als ich das gelesen hatte, fielen mir noch 200 andere Fälle ein aus meinem Leben, wo ich dachte, genau das ist es. Wie oft am Tag geht meine Energie in irgendeine eine Situation, wo ich das Gefühl habe, hier bin ich gedemütigt worden. Das ist so klein und banal, das man denkt, so ein großes Wort darf man dafür ja gar nicht benutzen. Und was macht ihr? Du nimmst diese kleinen Szenen her und machst sie groß, um zu zeigen, da passiert tatsächlich was. Was kommt dann? Für mich folgt dann, angedeutet durch dieses Konzept, eine Suche nach der Moral, des Umgangs mit solchen Verletzungen, Demütigungen, die man entweder austeilt oder auch einstecken muss. Ist das eine Frage für dich: Moral in dieser Gesellschaft? Moralisches Handeln? Oder ist das ein zu großes Wort, ist das gar nicht dein Interesse? AW Also das mit der Moral... Also ich bin ja streng evangelisch erzogen worden. Es gibt schon, glaube ich, ganz tief in mir das Bestreben, etwas für die Gemeinschaft zu tun, etwas Gemeinsames zu schaffen, etwas tun zu müssen, damit ich eine Rechtfertigung habe zu existieren. Ich definiere mich, glaube ich doch, sehr stark über Arbeit. Das macht meine Mutter auch. Sie hat über ihrem Bett ein Schild hängen da steht „Und dennoch!“. Das hat sie von Tante Frieda gekriegt. Und dennoch. Heute lief alles so Scheiße, und dennoch habe ich ein schönes Leben. Bei meiner Mutter, bei uns Evangelen ist es so: Ich habe solche Schmerzen, und dennoch stehe ich auf und grabe den Garten um. Das habe ich auch in mir. Das ist was Moralisches. Wenn man Moral hört, ist es für mich ja auch was negativ Besetztes. Moral ist für mich ja auch eine Art Zwang. Also es ist ja nichts Freies. Moral ist ja entweder etwas Anerzogenes oder etwas, wo man versucht, ein bisschen davon weg kommen. Vielleicht deswegen die Ironie, dass ich versuche das Moralische ein bisschen zu ironisieren. Ich habe in mir schon so ein Bedürfnis nach Political Correctness, es allen Recht zu machen, und auch dafür zu arbeiten und etwas zu tun. Und wenn das nicht klappt bin ich total unglücklich. Das hat ja auch etwas damit zu tun, dass ich nicht genießen kann und mich reiben lassen kann, sondern dass ich immer etwas dafür tun muss. LL In allen deinen Projekten machst du ja nicht den „Alleinunterhalter“, sondern du suchst tragfähige Arbeitsbeziehungen, mit denen man etwas aufbauen kann, mit denen man auch weitergehen kann. SOMMER - REPUBLIK 113
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Es ist wieder der Alltag, Grenzsituationen im Alltag. Ein Autofahrer nimmt einem die Vorfahrt<br />
und man hat darum den ganzen Tag schlechte Laune. Und es sind trotzdem Sachen, wo<br />
unsere alltägliche Normalität einfach so wegbrechen kann, wo wir selber emotional auch gar<br />
nicht in der Lage sind, das zu bewältigen. Also es passiert ja öfters, wir tun dann so, als wenn<br />
es normal weitergeht, aber eigentlich sind das Situationen, mit denen wir nicht klar kommen.<br />
Und die passieren uns täglich. Diese Fälle haben wir nachgestellt à la „Aktenzeichen XY“ mit<br />
Videos, und dann gibt es halt eine Diskussion darüber. Das sind Fälle, wo einmal die Darsteller<br />
Opfer waren, sich als Opfer gefühlt haben und als Gegensatz ein Set dazu, wo die, die vorher<br />
Opfer waren, sich nun als Täter fühlen. Das kennt man ja auch, Banalität, ich lästere mit<br />
jemanden über einen anderen und später denkt man, was habe ich da für einen Scheiß geredet.<br />
Da fühlt man sich auch schlecht. Das sind so die Themen.<br />
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Mir kommt es vor wie ein vorsichtiges Tasten nach moralischen Vorstellungen, die tragfähig<br />
sind im Jetzt und nicht von irgendwoher stammen. Also ich lese mal ein paar Fälle vor: Der Fall<br />
des gemeinen Remplers in der Oranienburger Straße, der Fall der gnadenlosen Telecom-<br />
Hotline, der Fall des redseligen Kneipenbesuchers, der Fall der überheblichen Kunstdozentin,<br />
der Fall der unfreundlichen Partygäste, der Fall der tratschenden Freundin. Als ich das gelesen<br />
hatte, fielen mir noch 200 andere Fälle ein aus meinem Leben, wo ich dachte, genau das ist es.<br />
Wie oft am Tag geht meine Energie in irgendeine eine Situation, wo ich das Gefühl habe, hier<br />
bin ich gedemütigt worden. Das ist so klein und banal, das man denkt, so ein großes Wort darf<br />
man dafür ja gar nicht benutzen. Und was macht ihr? Du nimmst diese kleinen Szenen her und<br />
machst sie groß, um zu zeigen, da passiert tatsächlich was. Was kommt dann? Für mich folgt<br />
dann, angedeutet durch dieses Konzept, eine Suche nach der Moral, des Umgangs mit solchen<br />
Verletzungen, Demütigungen, die man entweder austeilt oder auch einstecken muss. Ist das<br />
eine Frage für dich: Moral in dieser Gesellschaft? Moralisches Handeln? Oder ist das ein zu<br />
großes Wort, ist das gar nicht dein Interesse?<br />
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Also das mit der Moral... Also ich bin ja streng evangelisch erzogen worden. Es gibt schon,<br />
glaube ich, ganz tief in mir das Bestreben, etwas für die Gemeinschaft zu tun, etwas Gemeinsames<br />
zu schaffen, etwas tun zu müssen, damit ich eine Rechtfertigung habe zu existieren. Ich<br />
definiere mich, glaube ich doch, sehr stark über Arbeit. Das macht meine Mutter auch. Sie hat<br />
über ihrem Bett ein Schild hängen da steht „Und dennoch!“. Das hat sie von Tante Frieda<br />
gekriegt. Und dennoch. Heute lief alles so Scheiße, und dennoch habe ich ein schönes Leben.<br />
Bei meiner Mutter, bei uns Evangelen ist es so: Ich habe solche Schmerzen, und dennoch<br />
stehe ich auf und grabe den Garten um. Das habe ich auch in mir. Das ist was Moralisches.<br />
Wenn man Moral hört, ist es für mich ja auch was negativ Besetztes. Moral ist für mich ja auch<br />
eine Art Zwang. Also es ist ja nichts Freies. Moral ist ja entweder etwas Anerzogenes oder<br />
etwas, wo man versucht, ein bisschen davon weg kommen. Vielleicht deswegen die Ironie,<br />
dass ich versuche das Moralische ein bisschen zu ironisieren.<br />
Ich habe in mir schon so ein Bedürfnis nach Political Correctness, es allen Recht zu machen,<br />
und auch dafür zu arbeiten und etwas zu tun. Und wenn das nicht klappt bin ich total unglücklich.<br />
Das hat ja auch etwas damit zu tun, dass ich nicht genießen kann und mich reiben lassen<br />
kann, sondern dass ich immer etwas dafür tun muss.<br />
LL<br />
In allen deinen Projekten machst du ja nicht den „Alleinunterhalter“, sondern du suchst tragfähige<br />
Arbeitsbeziehungen, mit denen man etwas aufbauen kann, mit denen man auch weitergehen<br />
kann.<br />
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