reisende sommer - republik 2005 dokumentation
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Publikum<br />
Kannst du ein bisschen erzählen, in welchem Rahmen sich das abgespielt hat. Ist man da mitgelaufen?<br />
AW<br />
Wir haben das nicht so gemacht wie in Jerusalem, das man da mitgeht. Es gibt in Berlin die<br />
Oberbaumbrücke und da ist ein Bootsanleger am Gröbenufer mit einer Treppe. Wir haben da<br />
mal gegrillt und gedacht, das ist ja wie ein Amphitheater. Das ist sehr schön mit der Spree und<br />
der symbolträchtigen Brücke (vereinigt Ost- und Westberlin). Wir haben uns dann auch die<br />
Freiheit genommen, das wir den Tod Jesus, oder das Verschwinden Jesu, oder das Hinwegscheiden<br />
Jesus, nicht so dargestellt haben, dass er ans Kreuz genagelt wurde und starb,<br />
sondern er ist dann hinweggerudert über die Spree.<br />
LL<br />
Wir sind das für Themen, die ihr aus dem christlichen Passionsspiel herausgelöst habt, so dass<br />
auch ein Kreuzberger sagen kann, das ist ein Stoff, der mir auch was sagt?<br />
AW<br />
Also, es ging uns nicht darum, die Passionsgeschichte neu zu interpretieren, dass sie für jeden<br />
klar wird, sondern mal zu gucken – ich habe einen starken christlichen Hintergrund, habe<br />
diverse Kirchenfreizeiten selbst mitgemacht – was passiert zwischen den Leuten. Das war mir<br />
ganz wichtig. Wenn man da genauer hinguckt, sieht man zum Beispiel, dass der Simon – nicht<br />
wie bei Mel Gibson – total wild darauf ist, das Kreuz zu tragen, sondern dazu gezwungen wird.<br />
Die Freiwilligkeit ist gar nicht da. In der Bibel verschwindet diese Figur danach auch wieder, ist<br />
gar nicht mehr präsent. Das ist ganz interessant. Das ist nicht der tolle Mensch, ich habe mich<br />
bekehren lassen und mache danach nur noch tolle Sachen.<br />
Jörg Kaier<br />
Simon war der Cousin, der von der Mutter geschickt wurde, um den Jörg/Jesus zu trösten.<br />
Sozialer Druck von der Verwandtschaft quasi.<br />
Publikum<br />
Wo nimmst du jetzt deine Ideen her? Orientierst du dich am Zeitgeschehen?<br />
AW<br />
Es ist eigentlich Alltag, mein Alltag, der Alltag meiner Freunde, der Alltag, aus dem ich durch<br />
Erzählungen von meinen Mitmenschen erfahre. Es ist nicht die Oberschicht, die große Politik,<br />
sondern ganz kleine Themen des Alltags, mit denen wir arbeiten und die wir zeigen.<br />
LL<br />
Es gibt ja eine ganz spannende Kombination, wie ich finde – vielleicht stimmt es auch nicht –<br />
von Ironie und einer Balance, die dabei nie angreifend wirkt, nie verspottet. Ironisch sein, sich<br />
selbst das anzuschauen, um sich selbst herumgehen und gleichzeitig mit einer großen Ernsthaftigkeit<br />
sich Geschichten wie Liebeskummer, Liebesleid erzählen – wie jetzt gerade in deiner<br />
Performance zu sehen war. Wenn man 30, 35 Jahre geworden ist, sich diesen Geschichten zu<br />
nähern – und trotzdem nicht darin zu versinken.<br />
AW<br />
Ironie ja, und ich bemühe mich schon, dass es nicht zynisch wird. Meine Mutter hat letztens<br />
gesagt, das machst du so toll, so leicht und fein, man kann drüber lachen ist aber berührt. Aber<br />
dann habe ich in einer unserer Soaps eine christliche Szene dargestellt und schwups war die<br />
Grenze überschritten. Also das ist eine ganz schwierige Balance und deswegen ist es auch<br />
immer mit neuem Publikum wahnsinnig schwierig; Sachen, die konzipiert sind, woanders<br />
aufzuführen. Das kann dann auch mal nach hinten losgehen. Wo man selber denkt, das ist<br />
SOMMER - REPUBLIK<br />
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