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Jahresheft 2002 - Murg Stiftung

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<strong>Jahresheft</strong> <strong>2002</strong><br />

Wandel – Entwicklung – Projekte:<br />

Littenheid, die lernende Organisation.


Die 14 Stationen der Klinik Littenheid ermöglichen den ca. 200 Patientinnen<br />

und Patienten eine auf das individuelle Krankheitsbild abgestimmte<br />

Behandlung. Sie gliedern sich in folgende Fachbereiche:<br />

Unsere drei offenen Therapiestationen ermöglichen eine intensive psychotherapeutische<br />

Behandlung. Für einzelne neurotische und psychosomatische<br />

Störungen (z. B. Essstörungen, Angst- und Zwangserkrankungen) bieten<br />

wir spezialisierte Behandlungsprogramme an.<br />

Auf unseren vier modernen und freundlich gestalteten Akutstationen<br />

nehmen wir Patientinnen und Patienten entweder direkt in einer Notfallsituation<br />

auf oder nach einem abklärenden Vorgespräch zur Krisenintervention<br />

oder für die Einleitung einer länger dauernden Therapie.<br />

Unsere vier gerontopsychiatrischen Stationen betreuen Alterspatienten:<br />

Ein multiprofessionelles Team leistet die notwendige medizinische, psychiatrische<br />

und therapeutische Hilfe und fördert und unterstützt wo immer<br />

möglich die Eigenaktivität. Gerade unsere betagten Patientinnen und<br />

Patienten profitieren von den sozialen Möglichkeiten unserer lebendigen<br />

Dorfgemeinschaft.<br />

Unser jugendpsychiatrisches Behandlungsangebot auf drei Stationen<br />

umfasst Abklärung und Beratung, kurz dauernde Krisenintervention sowie<br />

Therapie und Rehabilitation in offenem oder geschlossenem Rahmen.<br />

Wir arbeiten nach milieu- und psychotherapeutischen sowie sozialpädagogischen<br />

Prinzipien und nehmen jugendliche Patientinnen und Patienten<br />

zwischen 14 und 18 Jahren auf.


Inhalt<br />

Vorwort<br />

Hans Schwyn, Allgemeine Leitung 2<br />

Wandel – Entwicklung – Projekte: Einführung ins Jahresthema<br />

Dr. med. Markus Binswanger, Chefarzt 4<br />

Umgang mit der Macht<br />

Dr. Sibille Kühnel, Oberärztin Jugendpsychiatrie 6<br />

Standards für die Seele<br />

Dr. med. Jörg Burmeister, Leitender Arzt Akutpsychiatrie 11<br />

Ohne Projekt – keine Veränderung<br />

Dr. med. Susanne Kunz, Leitende Ärztin stationäre Psychotherapie 16<br />

Das Skillstraining nach der Dialektisch-Behavioralen Therapie<br />

Martin Weyer, Stationsleiter stationäre Psychotherapie, Projekt- und Gruppenleiter Skillstrainig 20<br />

«Hart, hilfreich und einfach genial!» Ein Interview mit einer Teilnehmerin der Skillstrainigsgruppe<br />

Mathias Erne, Stationsleiter stationäre Psychotherapie, Leiter der Skillstrainingsgruppe 24<br />

Jünger werden; «Bericht aus der Werkstatt» der Psychotherapiestation für junge Erwachsene<br />

Dr. med. Pia Ineichen, Oberärztin stationäre Psychotherapie 25<br />

Vom Müssen zum Dürfen<br />

Dr. med. Jürg Wunderwald, Oberarzt stationäre Psychotherapie 27<br />

Littenheid: Ein Stück Lebensweg<br />

Sandra Rust 29<br />

Stationäre Psychotherapie bei Adoleszenten – der Föhrenberg im steten Wandel<br />

Dr. med. Oliver Bilke, Leitender Arzt Jugendpsychiatrie 35<br />

Konzept und Entwicklung Station Linde G<br />

Heidi Eckrich, Oberärztin Jugendpsychiatrie 38<br />

Wie viel Entwicklung verträgt die Alterspsychiatrie heute<br />

Dr. med. Jokica Vrgoc-Mirkovic, Leitende Ärztin Gerontopsychiatrie 41<br />

Zeitwandel konkret<br />

Anna Guadagnini, Aktivierungstherapeutin Gerontopsychiatrie 43<br />

Stations-Ergotherapie: Eröffnung und Erfahrung<br />

Zeljka Slijepcevic, Stationsleiterin Gerontopsychiatrie / Monika Eberli, Stationsergo Gerontopsychiatrie 44<br />

Statistik 2001<br />

Dr. med. Oliver Bilke, Leitender Arzt Jugendpsychiatrie 46<br />

Dienstjubiläen/Lehrabschlüsse, Leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 50


Vorwort<br />

Liebe Leserinnen und Leser<br />

2<br />

Mit den Beiträgen unseres <strong>Jahresheft</strong>es<br />

<strong>2002</strong> berichten wir<br />

über abgeschlossene und aktuelle<br />

Arbeiten und Projekte zur qualitativen Weiterentwicklung<br />

unserer Behandlungsangebote mit dem<br />

Ziel, bestehende und zukünftige Anforderungen<br />

erfolgreich bewältigen zu können. Dabei gilt es,<br />

die Prioritäten richtig zu setzen: Welche Entwikklungen<br />

erfordern eine nachhaltige Anpassung<br />

der therapeutischen und pflegerischen Konzepte<br />

und wie werden die limitierten finanziellen und<br />

personellen Mittel entsprechend den Erfordernissen<br />

eingesetzt<br />

Dank einer klaren Führungsstruktur durch einen<br />

ärztlichen Leiter und eine Bereichsleitung<br />

Pflege für die vier Behandlungsschwerpunkte<br />

Akutpsychiatrie, Gerontopsychiatrie, Jugendpsychiatrie<br />

und stationäre Psychotherapie erfolgt die<br />

Entwicklungsarbeit und der Veränderungsprozess<br />

mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der verschiedenen<br />

Berufsgruppen und Verantwortungsebenen<br />

«vor Ort», wobei sich ein strukturiertes<br />

Projektmanagement mit inhaltlichen Rahmenbedingungen<br />

und zeitlichen Vorgaben bewährt<br />

hat.<br />

In diesem Heft werden die Konzeptarbeit zur<br />

Eröffnung der Akutstation für Jugendliche, die<br />

«Zukunftswerkstatt stationäre Psychotherapie»<br />

sowie die Behandlungsrichtlinien bei Depression<br />

und Suizidalität näher vorgestellt. Gute Erfahrungen<br />

machen wir mit dem Beizug externer Fachleute,<br />

welche unsere «Binnensicht» hinterfragen<br />

und ihr spezielles Fachwissen in die Projektarbeit<br />

einbringen.<br />

Als Vertragsklinik für die Behandlung grundversicherter<br />

Patienten der Kantone Thurgau,<br />

Schwyz und Zug werden auch Menschen gegen<br />

ihren Willen in die Klinik Littenheid eingewiesen.<br />

Im Frühling 2001 besuchte eine Delegation<br />

des «Ausschusses zur Verhütung von Folter und<br />

unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung»<br />

des Europarates überraschend die Klinik<br />

Littenheid und überprüfte in allen Details die Behandlung<br />

dieser Patienten. Eine anfängliche<br />

Skepsis wich bald dem Respekt vor der Objektivität<br />

und Genauigkeit, mit der die Delegationsmitglieder<br />

jeden Einzelfall abklärten. Seit diesem<br />

Frühling liegt der Schlussbericht vor; im Beitrag<br />

«Umgang mit Macht» berichtet Frau Dr. Kühnel,<br />

Oberärztin Jugendpsychiatrie, über den Besuch<br />

und seine Ergebnisse.<br />

Im Rückblick über mehrere Jahre lässt sich in<br />

der Entwicklung der Patientenzahlen eine deutliche<br />

Zunahme der Eintritte feststellen, wobei der<br />

Anteil grundversicherter Patientinnen und Patienten<br />

mit zwei Dritteln der Pflegetage und der<br />

Hälfte aller Eintritte über die letzten Jahre leicht<br />

gestiegen ist. Diese Tendenz wird in diesem Jahr<br />

durch den Betrieb einer 3. Akutstation für Jugendliche<br />

nochmals deutlich zunehmen, wir rechnen<br />

in der Jugendpsychiatrie mit einer Verdoppelung<br />

von 63 auf 130 Eintritte in diesem Jahr.


Vor diesem Hintergrund hoffen wir, dass die<br />

zweite KVG-Revision zur Spitalfinanzierung, die<br />

diesen Herbst im Nationalrat behandelt wird,<br />

die finanzielle Benachteiligung der Privatkliniken<br />

beheben wird, wonach die Krankenversicherer für<br />

grundversicherte Patienten in öffentlichen Spitälern<br />

maximal die Hälfte der anrechenbaren Kosten,<br />

in Privatspitälern aber die vollen Kosten zu<br />

begleichen haben. Diese Wettbewerbsverzerrung<br />

verschärft sich mit dem Urteil des Eidgenössischen<br />

Versicherungsgerichtes, welches auch<br />

zusatzversicherten Patienten in öffentlichen Spitälern<br />

Anrecht auf den Sockelbeitrag der Grundversicherung<br />

gibt, nicht aber bei einer Behandlung in<br />

einem Privatspital.<br />

Wir möchten weiterhin einen breit gefächerten<br />

und qualitativ hochstehenden Beitrag zur Gesundheitsversorgung<br />

leisten und hoffen, dass die<br />

gesetzlichen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen,<br />

welche «gleich lange Spiesse» zwischen<br />

den Spitälern schaffen, nicht mehr lange<br />

auf sich warten lassen.<br />

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, danke ich<br />

für Ihr Interesse an unserer Arbeit und wünsche<br />

Ihnen viel Vergnügen beim Lesen der folgenden<br />

Beiträge.<br />

3<br />

H. Schwyn


Dr. med. Markus Binswanger, Chefarzt<br />

Wandel – Entwicklung – Projekte:<br />

Einführung ins Jahresthema<br />

4<br />

Jahresberichte von Institutionen und Organisationen<br />

dienen in erster Linie dazu, Rechenschaft<br />

über eine Geschäftsperiode zu<br />

geben. Die Veröffentlichung von betrieblichen<br />

Kennzahlen, grafisch aufgearbeiteten Statistiken sowie eines<br />

Revisionsberichtes dokumentieren seriöse Geschäftsführung<br />

und ermöglichen Kontrolle und Vergleich. Differenzierte inhaltliche<br />

Tätigkeitsberichte sind indessen eher selten, Fachbeiträge die<br />

Ausnahme. Nicht ganz zu Unrecht wird davon ausgegangen, dass<br />

in unserer Zeit des Informationsüberflusses eine Leserschaft nur<br />

durch äusserst knappe Berichterstattung, allenfalls ergänzt durch<br />

ansprechendes Bildmaterial, erreicht werden kann.<br />

In der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Littenheid beschreiten<br />

wir seit vielen Jahren einen etwas anderen Weg. Unsere<br />

ausführlichen <strong>Jahresheft</strong>e sind jeweils einem fachlichen Schwerpunktthema<br />

gewidmet und sollen vertieften Einblick in die institutionelle<br />

psychiatrische Arbeit sowie vor allem in die Behandlung<br />

psychisch kranker Menschen vermitteln. Nach Festlegung der<br />

Themenwahl durch ein breit gefächertes Redaktionskomitee wird<br />

eine grössere Zahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus verschiedenen<br />

Klinikbereichen und Berufsfeldern eingeladen, aus<br />

unterschiedlicher Perspektive ihre besonderen Erfahrungen zur<br />

Darstellung zu bringen. Ebenfalls werden regelmässig Patientinnen<br />

und Patienten um eigene Beiträge gebeten oder von uns zur<br />

gewählten Thematik befragt. In den vergangenen Jahren haben<br />

wir uns folgenden Themen gewidmet:<br />

● Lebensphasen – Übergänge, Krisen und Chancen (1999)<br />

● Zwang und Freiheit – Fremd- und Selbstbestimmung in der<br />

Psychiatrie (2000)<br />

● Sinnvolle Notwendigkeit – Gesundheitsförderung und Prävention<br />

in der Psychiatrie ( 2001)<br />

Diese Form der Auseinandersetzung mit aktuellen Aspekten unserer<br />

täglichen Arbeit findet bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

Anklang und Interesse. Mit Genugtuung dürfen wir feststellen,<br />

dass unsere Anfragen nach Erstellung eines Artikels fast<br />

durchwegs positiv beantwortet werden – angesichts der hohen Arbeitsbelastung<br />

keine Selbstverständlichkeit! Auch die Resonanz<br />

bei der Leserschaft unserer <strong>Jahresheft</strong>e ist erfreulich. Nicht selten<br />

wird unser Jahresthema auch von anderen Institutionen aufgegriffen<br />

und zum Anlass genommen, sich damit näher auseinanderzusetzen.<br />

Auch von unseren Patientinnen und Patienten und deren<br />

Angehörigen erhalten wir anerkennende Rückmeldungen. So sehen<br />

wir uns ermutigt, auch zukünftig auf diesem Weg Öffentlichkeitsarbeit<br />

für Anliegen der Psychiatrie und deren Entstigmatisierung<br />

zu leisten.<br />

Im vorliegenden <strong>Jahresheft</strong> haben wir darauf verzichtet, ein<br />

umschriebenes Fachthema zu behandeln. Vielmehr möchten wir<br />

unter dem Leitmotiv Wandel – Entwicklung – Projekte unsere Leserinnen<br />

und Leser gleichsam zu einem Werkstattbesuch einladen<br />

– mit der Absicht, uns in der Auseinandersetzung mit aktuellen<br />

Anpassungs- und Entwicklungsaufgaben begleiten und beobachten<br />

zu lassen. So betrachtet könnte das Jahresthema auch mit<br />

«Changemanagement in der lernenden Organisation» umschrieben<br />

werden.<br />

Die Klinik Littenheid weist ein komplexes gesundheitspolitisches<br />

und versorgungspolitisches Umfeld auf. Im Gegensatz zu psychiatrischen<br />

Kliniken mit umschriebenem kantonalem Leistungsauftrag<br />

sind wir mit einer Vielzahl verschiedener Aufgabenstellungen betraut.<br />

Unsere vier Klinikbereiche mit ihren insgesamt vierzehn Stationen<br />

erfüllen unterschiedliche Leistungsaufträge für verschiedene<br />

Vertragskantone. Die verantwortlichen Gesundheitspolitiker erwarten<br />

von uns zu Recht, dass unsere Angebote rechtzeitig den sich<br />

wandelnden Bedürfnissen angepasst und besonders Anforderungen<br />

an eine überregionale Spezialversorgung kompetent erfüllt werden.<br />

Auch die für unsere Klinik wichtige Gruppe der zusatzversicherten<br />

Patientinnen und Patienten stellt sowohl bezüglich Erwartungen an<br />

unsere Hotellerie als auch an die psychiatrisch-psychotherapeutische<br />

Behandlung vielfältige Ansprüche, denen wir als einzige psychiatrische<br />

Privatklinik in der Ostschweiz soweit als möglich genügen<br />

möchten. Vor diesem Hintergrund werden wir immer wieder mit<br />

herausfordernden Veränderungen in unserer Arbeit konfrontiert,<br />

was Flexibilität, rasche Handlungs- und Anpassungsbereitschaft sowie<br />

innovative Unternehmungsführung verlangt.<br />

Die Methoden des Wandels und der Erneuerung sind vielgestaltig<br />

und müssen immer wieder den aktuellen Gegebenheiten<br />

angepasst werden. In der Vergangenheit und insbesondere im abgelaufenen<br />

Berichtsjahr haben wir die Erfahrung gemacht, dass in<br />

unserer Klinik – basierend auf unserer spezifischen Betriebskultur<br />

– sich besondere Merkmale von Veränderungsprozessen identifizieren<br />

lassen und bestimmte Methoden des «Changemanagements»<br />

sich als wirksam und hilfreich erweisen. Es stellt sich also<br />

die Frage: Was haben wir als Organisation gelernt<br />

Paradigmatisch für intensive Lernerfahrung im Rahmen eines<br />

Anpassungs- und Veränderungsprozesses war das in diesem Heft


eschriebene Projekt «Zukunftswerkstatt – stationäre Psychotherapie».<br />

Basierend auf der von der Klinikleitung auf strategischer<br />

Ebene getroffenen Entscheidung, den gesamten Psychotherapiebereich<br />

hinsichtlich Strukturen und Prozessen zu überprüfen,<br />

wurde den Bereichsverantwortlichen ein Projektauftrag erteilt. Als<br />

äusserst wertvoll erwies sich der Entscheid, einen psychotherapeutisch<br />

und milieutherapeutisch kompetenten, gleichzeitig in<br />

psychodynamischer Organisationsentwicklung erfahrenen externen<br />

Berater hinzuzuziehen. In der Person von Herrn Dr. phil.<br />

Matthias Lohmer konnten wir eine Fachperson gewinnen, die uns<br />

von Anfang an mit mutigen Ideen, anregenden und kreativen<br />

Neuerungsvorschlägen herausgefordert und gleichzeitig unterstützend<br />

begleitet hat. Im Rahmen dieses einjährigen Prozesses haben<br />

wir die einzelnen therapeutischen Angebote sowie die gesamten<br />

Behandlungskonzepte der drei Psychotherapiestationen überprüft<br />

und wichtige neue Akzente gesetzt. Einzelheiten der entwickelten<br />

Behandlungsangebote sowie vor allem auch subjektive Projekterfahrungen<br />

sind in den verschiedenen Artikeln des Psychotherapiebereiches<br />

eingehend beschrieben.<br />

Wir haben viel gelernt! Zu nennen wären gegenseitig vermittelte<br />

Impulse sowohl für die Fach- als auch für die Teamentwicklung.<br />

Für viele von uns hilfreich waren zudem Erfahrungen<br />

im Zusammenhang mit der Wirkung des «Unbewussten in der<br />

Unternehmung» (Lohmer). Die psychodynamische Organisationsanalyse<br />

und -beratung hat innert kurzer Zeit dazu verholfen,<br />

blockierte anstehende Veränderungs- und Umsetzungsprozesse in<br />

ihrer verborgenen Natur besser zu verstehen und so Voraussetzungen<br />

zu schaffen für neue Entwicklungen. Aber auch das Aufspüren<br />

von Mängeln und eigentlichen Fehlern im Projektablauf waren<br />

wichtig für fruchtbare neue Wechselwirkungen zwischen unserer<br />

Fehler- und Lernkultur.<br />

Die gemachten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse<br />

werden in zukünftige Projekte in unserer Klinik einfliessen. Mit<br />

der beraterischen Unterstützung von Herrn Professor Hartmut<br />

Radebolt, Kassel, hat der Bereich Gerontopsychiatrie im Frühjahr<br />

<strong>2002</strong> ebenfalls ein ähnlich aufgebautes Projekt «Zukunftswerkstatt»<br />

in Angriff genommen. Auch die Bereichsverantwortlichen<br />

der Akutpsychiatrie haben ein Vorprojekt abgeschlossen, welches<br />

später vor allem die Auseinandersetzung mit dem Qualitätsbegriff<br />

und die interdisziplinäre Zusammenarbeit fokussieren soll. Für<br />

dieses im Herbst <strong>2002</strong> beginnende Projekt hat Herr Professor Asmus<br />

Finzen, Basel, als externer Berater seine Mitarbeit zugesichert.<br />

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Klinik sind sich<br />

also bewusst, dass einmal erarbeitete und im Alltag bewährte Konzepte<br />

von Zeit zu Zeit in Frage zu stellen sind und hinsichtlich<br />

Zweckmässigkeit und Wirksamkeit überarbeitet werden müssen –<br />

und sei es nur, um mit neu gewonnener Einsicht das Bisherige<br />

fortzusetzen. Allerdings sind solche Phasen von Veränderung und<br />

Neuerung aufgrund unserer gemachten Erfahrungen immer auch<br />

potenzielle Quellen von ernsthaften Konflikten und Spannungen.<br />

Die Diskussion um Veränderungen von Strukturen und Abläufen<br />

wird nicht selten als Kritik am Bestehenden erlebt und kann<br />

Ablehnung oder gar Widerstand erzeugen. Verunsicherung, negative<br />

Befürchtungen und Zukunftsängste können sich – vor allem<br />

bei Projektbeginn – sowohl beim Einzelnen als auch in ganzen Teams<br />

einstellen. Reale oder fantasierte Konsequenzen von Veränderungsmassnahmen<br />

stehen dann einer wirksamen Umsetzung entgegen<br />

und drohen das Projekt als Ganzes zum Scheitern zu<br />

bringen. Besonders heikel sind institutionelle Konflikte, welche<br />

ungelöst über längere Zeit im Verborgenen schlummern und nun<br />

in Phasen des Wandels und des Übergangs reaktiviert werden und<br />

ihre unheilvolle Wirkung entfalten. Diese Phänomene sind uns in<br />

verschiedener Form begegnet. Die beschriebenen Projekte haben<br />

alle mehr oder weniger kritische Phasen durchlaufen, welche zum<br />

Teil selbständig, zum Teil aber auch dank Interventionen von<br />

aussen gemeistert werden konnten. Mit Stolz stellen wir fest, dass<br />

trotz – oder vielleicht auch gerade wegen – dem Auftreten derartiger<br />

Veränderungswiderstände die beschriebenen Entwicklungsprozesse<br />

wirksam in Gang gesetzt oder bereits abgeschlossen werden<br />

konnten.<br />

Evolutionäre Anpassungen gehören ebenso zur individuellen<br />

Entwicklung wie zum Leben in Gruppen und Institutionen. Allerdings<br />

darf Wandel nie zum Selbstzweck werden, sondern bedarf<br />

der Einbettung in ein übergeordnetes Ganzes. Die in einer psychiatrischen<br />

Klinik untergebrachten und dort arbeitenden Menschen<br />

sind häufig mit einem Übermass an schwerem Schicksal und Leiden<br />

konfrontiert. Es drohen Ohnmacht, Pessimismus und Resignation.<br />

Dem steht Neugier und Mut gegenüber, gepaart mit der<br />

Bereitschaft, sich zu verändern und von vorne zu beginnen. Dann<br />

kommt auch immer wieder Freude und Hoffnung auf.<br />

Markus Binswanger<br />

5


Dr. Sibille Kühnel, Oberärztin Jugendpsychiatrie<br />

Umgang mit der Macht<br />

6<br />

Der Besuch des Europäischen Ausschusses<br />

zur Verhütung von Folter und unmenschlicher<br />

Behandlung.<br />

Das europäische Übereinkommen zur Verhütung<br />

von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung<br />

führte 1987 zum Einsatz eines Ausschusses (CPT)<br />

durch den Europarat.<br />

Dieser Ausschuss besuchte im Frühjahr 2001 turnusmässig<br />

ausgewählte Institutionen der Schweiz. In diesem Zusammenhang<br />

wurde die Klinik Littenheid visitiert.<br />

Macht und Zwang im Widerspruch zu einer<br />

vertrauensvollen Arzt-Patienten Beziehung<br />

Das Selbstbestimmungsrecht ist eines der höchsten Rechtsgüter<br />

das auch gesetzlich verankert ist. Auch die Zustimmung zu einer<br />

medizinischen Behandlung ist höchstpersönliches Recht und steht<br />

allein im Ermessen des jeweils Betroffenen. Dem Selbstbestimmungsrecht<br />

des Patienten wird der Vorrang gegenüber moralischen<br />

Handlungsangeboten des Arztes, der von Berufs wegen nach<br />

dem von ihm geleisteten hippokratischen Eid zu Lebensschutz<br />

verpflichtet ist, eingeräumt. In der Regel gestaltet sich die Arzt-Patienten<br />

Beziehung in der Psychiatrie auf Freiwilligkeit und gegenseitigem<br />

Einverständnis. In Einzelfällen, z. B. bei mangelnder<br />

Einschätzungsfähigkeit des eigenen Gesundheits- bzw. Krankheitszustandes,<br />

kann eine Entscheidung zu einer Hospitalisation<br />

auch gegen den Willen des Betroffenen gefällt werden.<br />

Der Rechtsgeber hat für diese Situationen Ausnahmeregeln benannt,<br />

die es ermöglichen, Personen gegen ihren Willen einer Behandlung<br />

zuzuführen wenn: «…wegen Geisteskrankheit, Geistesschwäche…<br />

oder schwerer Verwahrlosung die nötige persönliche<br />

Fürsorge nicht anders erwiesen werden kann.» (Art. 397a Schweizerisches<br />

Zivilgesetzbuch, Fürsorgerischer Freiheitsentzug).<br />

Die Ausübung von Zwang widerspricht grundsätzlich einer auf<br />

Vertrauen basierenden Arzt-Patienten Beziehung. Das ergibt einen<br />

Konflikt per se. Die Ausübung von Zwang impliziert auch die<br />

Ausübung von Macht, bzw. stellt ein Machtgefälle dar zwischen<br />

demjenigen, der autorisiert ist Zwang auszuüben und demjenigen,<br />

den die Zwangsmassnahme ereilt.<br />

Unfreiheit und Macht in der Pädagogik<br />

Auch im Rahmen der Pädagogik, die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie<br />

untrennbar mit dem medizinisch-therapeutischen<br />

Aspekt verbunden ist, existieren Bereiche der «Unfreiheit». Erziehungsmacht<br />

impliziert ebenfalls ein Machtgefälle zwischen den Erwachsenen<br />

und den Kindern und Jugendlichen, die angewiesen<br />

sind auf die Führung und Begleitung durch ihre Erziehungsberechtigten.<br />

Im gelungenen Fall ist Erziehung durch das Konzept «Verständigung<br />

und Respekt» getragen. Pädagogik ist das Ergebnis von<br />

Aushandlungsprozessen zwischen den Erwachsenen und Kindern<br />

bzw. Jugendlichen. Im schlimmsten Fall werden Kinder durch<br />

Machtmissbrauch verletzt, gedemütigt und innerlich gebrochen.<br />

Sowohl die Ausübung von medizinisch begründbarer Macht<br />

und pädagogischer Macht provozieren notwendigerweise (externe)<br />

Kritik und (interne) Selbstkritik.<br />

Daraus folgt, dass eine kontinuierliche reflektierte Auseinandersetzung<br />

unter Einbezug aller von der Thematik Betroffenen<br />

unabdingbar ist.<br />

Diese Notwendigkeit von Kontrolle aller Institutionen in denen,<br />

durch behördliche Verfügung angeordnet, mit unfreiwilligen<br />

Festhaltungen von<br />

Personen gearbeitet<br />

werden muss, wurde<br />

überregional auch im<br />

Europarat behandelt.<br />

Im Sinne einer institutionalisierten<br />

externen<br />

Kritik ist daher<br />

auch der Tätigkeitsbereich<br />

des Europäischen<br />

Ausschusses zur<br />

Die Initiative für die<br />

Gründung des CPT (European<br />

Committee for the<br />

Prevention of Torture<br />

and Inhuman or Degrading<br />

Treatment or<br />

Punishment) geht auf<br />

den Schweizer Jean<br />

Jaques Gautier zurück.<br />

Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender<br />

Behandlung, CPT, zu sehen.<br />

Der Ausschuss ging, initiiert durch den Schweizer Jean Jaques<br />

Gautiers, aus den Arbeiten des Europarates hervor und hat seinen<br />

Sitz in Strassburg. Richtungsweisend war die Tätigkeit des Internationalen<br />

Roten Kreuzes, das Kriegsgefangenen und politisch Inhaftierten<br />

in regelmässigen Abständen Besuche abstattet. Der Ausschuss<br />

wurde am 26.6.1987 verabschiedet, auch von der Schweiz<br />

ratifiziert und ist hier seit dem 1.2. 1989 in Kraft.<br />

Multinationaler Ausschuss<br />

Mittlerweile ist der CPT von 41 Mitgliedsstaaten ratifiziert. Die<br />

Personen, die von den einzelnen Staaten in den Ausschuss entsandt<br />

werden, sind unabhängig, d.h. nicht an die Weisung einer


Regierung gebunden. Die beruflichen Tätigkeitsfelder dieser Personen<br />

kommen u. a. aus den Bereichen der Rechtswissenschaften<br />

und Medizin.<br />

Der zentrale Aufgabenbereich des Ausschusses ist die Prävention<br />

von Misshandlung bei Personen, die aufgrund behördlicher<br />

Verfügung gegen ihren Willen festgehalten werden. Diese Festhaltungen<br />

stellen Freiheitsentzüge aus strafrechtlichen, zivil- und<br />

verwaltungsrechtlichen sowie militärstrafrechtlichen Gründen<br />

dar. Somit ist neben Polizei-, Untersuchungshaft, Strafvollzug und<br />

Militärarrest auch der Fürsorgerische Freiheitsentzug (FFE) davon<br />

erfasst.<br />

Der Ausschuss entsendet Delegationen aus mindestens zwei<br />

Mitgliedern die, unter Beiziehung von Experten und Dolmetschern,<br />

den Mitgliedsstaaten bzw. deren ausgewählten Institutionen<br />

in regelmässigen Abständen Besuche abstatten.<br />

Die Delegation überprüft die Lebensbedingungen der festgehaltenen<br />

Personen und setzt sich, so nötig, für einen besseren<br />

Schutz ein.<br />

Jedem Besuch folgt ein Bericht und eine entsprechende Empfehlung<br />

die auch der Regierung des besuchten Landes zugestellt wird.<br />

Der Ausschuss besitzt jedoch keine Anklagefunktion. Er zielt<br />

nicht auf eine Verurteilung. Jeder Bericht wird grundsätzlich vertraulich<br />

gehandhabt. Jede Regierung kann jedoch um Veröffentlichung<br />

des Berichtes ansuchen.<br />

Verweigert ein Mitgliedsstaaat die Zusammenarbeit oder die<br />

Umsetzung der Empfehlungen, kann der Ausschuss eine öffentliche<br />

Erklärung abgeben.<br />

Verpflichtung zur Kooperation<br />

Die Mitgliedsstaaten gehen durch die Ratifizierung Verpflichtungen<br />

gegenüber dem Ausschuss ein. Sie gewähren uneingeschränkten<br />

Zugang zu ihrem Hoheitsgebiet. Sie erteilen Auskünfte über<br />

alle Orte an denen Personen gegen ihren Willen festgehalten werden.<br />

Sie sichern den Delegationsmitgliedern freien Zugang zu allen<br />

Orten zu und ermöglichen die Gesprächsführung mit den betroffenen<br />

Personen, deren Angehörigen, dem Personal der<br />

Institutionen ohne Zeugen.<br />

Im Falle von psychiatrischen Kliniken muss ihnen auch Einsicht<br />

in alle medizinischen Unterlagen gewährt werden. Eine Verweigerung<br />

unter Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht<br />

ist nicht möglich, da in diesem Fall die gesetzlich vorgesehene<br />

Durchbrechung im Sinne der Rechtspflege vorliegt.<br />

Die Visite durch den Ausschuss wird der Regierung eines Landes<br />

schriftlich mitgeteilt. Nach Bekanntgabe aller Institutionen, in<br />

denen Personen festgehalten werden, trifft der Auschuss eine Auswahl<br />

und lässt durch die Bundes- bzw. kantonale Regierung seine<br />

Visite kurzfristig ankündigen.<br />

Besuch des CPT in der Klinik Littenheid<br />

Am 1.2.2001 wurde die Klinikleitung vom Justizministerium<br />

überraschend über den Besuch des CPT in Kenntnis gesetzt. Die<br />

Visite fand 4 Tage später am 5.2.2001 statt. Diese kurze Zeitspanne<br />

diente zur Vorbereitung der Ausschussmitglieder auf die<br />

lokalen Gegebenheiten. Dies umfasste die Bereitstellung der<br />

bundesrechtlichen und kantonalrechtlichen Grundlagen zum Fürsorgerischen<br />

Freiheitsentzug ebenso wie die Bekanntgabe der Patientendaten<br />

und die Information über die Infrastruktur unserer<br />

Klinik.<br />

Herausforderung für die Klinik und ihre Mitarbeiter<br />

Die Visite der Delegation stellte für die Klinik und ihre Mitarbeiter<br />

eine Herausforderung dar. Gewohnt, das eigene Handeln miteinander<br />

in regelmässigen Arbeitssitzungen und in Supervisionen<br />

kontinuierlich zu reflektieren,<br />

stellte die<br />

Visite doch eine neue<br />

Misshandlungen vorzubeugen<br />

ist das zentrale<br />

Art der externen Reflexion<br />

dar.<br />

Aufgabengebiet des CPT.<br />

Die Tätigkeit der<br />

Dazu besuchen die Mitglieder<br />

des CPT regelmäs-<br />

«offiziellen Institution<br />

CPT» löste den<br />

sig Personen, die aufgrund<br />

behördlicher Verfütrolle<br />

aus. So entstan-<br />

Eindruck von Kongung<br />

gegen ihren Willen den vorerst Gefühle<br />

festgehalten werden von Skepsis, Prüfungsängsten<br />

bis hin<br />

zu Entrüstung.<br />

Das grundlegende Selbstverständnis des Helferberufes, zu ethischem<br />

Handeln verpflichtet zu sein, schien erschüttert und in<br />

Frage gestellt. Der externe Blick auf routinierte Handlungsabläufe<br />

unserer Alltagspraxis liess vorübergehend die Rolle des Helfers zur<br />

Rolle des «Angeklagten» werden.<br />

Die akribische, fachlich fundierte und sehr zeitintensive Arbeit<br />

der Delegation erforderte von den Mitarbeitern einen hohen Ein-<br />

7


8<br />

satz neben der Tagesarbeit. Durch das breite Interesse der Delegationsmitglieder<br />

für unsere Tätigkeit, die ethische Grundhaltung<br />

der Mitarbeiter, den Kontakt zu den PatientInnen, also ein Interesse,<br />

das weit über die formal rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

hinausging, entstand sehr rasch der Eindruck einer vollumfänglichen<br />

Würdigung und Wertschätzung unserer Arbeit. Damit<br />

klang auch die anfängliche Irritation ab.<br />

Die PatientInnen nahmen die Visite durchwegs positiv auf.<br />

Alle waren über ihren rechtlichen Status ausreichend informiert<br />

und konnten darüber Auskunft geben. Es gab keine Klagen oder<br />

Beschwerden gegenüber den Delegationsmitgliedern. Vereinzelt<br />

setzten die PatientInnen Hoffnung in die Delegation, dass sie ihren<br />

Rechtsstatus ändern würde.<br />

Die Ziele der Visite<br />

Die Visite erstreckte sich über 3 Tage, an denen die Bereiche Akut-,<br />

Jugend- und Gerontopsychiatrie eingesehen wurden. Der Bereich<br />

Stationäre Psychotherapie blieb ausgespart, da hier keine Patienten<br />

mit Fürsorgerischem Freiheitsentzug untergebracht sind.<br />

Zentrales Augenmerk der Visite waren die rechtlichen Grundlagen<br />

für den Fürsorgerischen Freiheitsentzug sowie deren praktische<br />

Umsetzung im Klinikalltag. Die 6 Delegationsmitglieder,<br />

bestehend aus einem Psychiater, einem Psychologen, zwei JuristInnen,<br />

und zwei Dolmetschern, nahmen rigoros Einblick in<br />

die Umsetzungspraxis des bundesgesetzlich geregelten Fürsorgerischen<br />

Freiheitsentzugs auf kantonaler Ebene. Die Besonderheiten<br />

und Differenzen in den einzelenen Kantonen stiessen dabei auf<br />

besonderes Interesse.<br />

● Wer ist autorisiert, einen FFE auszustellen Was waren die konkreten<br />

Gründe für Zwangszuweisungen bei unseren PatientInnen<br />

● Wie werden die PatientInnen über ihre rechtlichen Möglichkeiten<br />

zum Rekurs informiert<br />

● Wie wird seitens der PatientInnen davon Gebrauch gemacht<br />

Dies ist ein Auszug aus der Palette von Fragestellungen, die durch<br />

die Delegationsmitglieder eingebracht wurden.<br />

Auch die Grundlagen und die Praxis der Überprüfung<br />

von freiheitsbeschränkenden Massnahmen wurde kontrolliert:<br />

Zwangsmassnahmen sind ausschliesslich so lange aufrechtzuerhalten<br />

bis «..die persönliche Fürsorge anders erwiesen werden kann.<br />

Die betroffene Person muss entlassen werden, sobald ihr Zustand<br />

es erlaubt.» (Art.397a, Abs. 3 Schweizerisches Zivilgesetzbuch)<br />

Dies impliziert die regelmässige Überprüfung der Notwenigkeit<br />

der Massnahme und somit eine Verlaufsbeurteilung der PatientInnen.<br />

Diese Praxis der Evaluation wurde von der Kommission<br />

ebenso überprüft wie die zentrale statistische Erfassung der<br />

FFE-Daten.<br />

Innerhalb des Stationssettings wurden die in unserer Klinik für<br />

Zwangsbehandlungen ausgearbeiteten Standards auf ihren Alltagseinsatz<br />

überprüft. So liessen sich die Delegationsmitglieder<br />

den Vorgang einer zwangsweise verabreichten Medikation detailliert<br />

schildern. Sie<br />

nahmen Einsicht in<br />

Die Zielpunkte der Visite<br />

waren breit gestreut<br />

und erfassten sowohl formal-rechtliche<br />

Grundlagen<br />

als auch ethische<br />

Grundhaltungen<br />

die Information und<br />

Aufklärung der PatientInnen<br />

über die<br />

Anordnung und in<br />

die Vorgehensweise,<br />

wie die Massnahmen<br />

mit den PatientInnen<br />

nachbearbeitet werden.<br />

Anhand unserer schriftlichen Dokumentationen, die jede<br />

Zwangsmassnahme begleiten, wurden die Indikationen, die Zeitdauer<br />

der Massnahmen und die Patientenbetreuung während der<br />

Massnahmen überprüft.<br />

Die PatientInnen wurden zu ihrem Wissen über ihren Rechtsstatus<br />

und ihren Einspruchsmöglichkeiten, zur Behandlung, zur<br />

verabreichten Medikation befragt und dadurch indirekt auf die<br />

Aufklärungspraxis durch die Mitarbeiter rückgeschlossen.<br />

Die Ausstattung und Handhabung der Intensivzimmer wurde<br />

ebenfalls eingesehen.<br />

Neben den formal-rechtlichen Bedingungen interessierte sich<br />

die Delegation auch für die Lebensbedingungen der PatientInnen.<br />

Zimmerausstattung, sanitäre und Hygienebedingungen, Ausgangsregelungen<br />

und Freizeitangebote wurden überprüft.<br />

Auf Klinikleitungs- und Mitarbeiterebene wurde in den Personalschlüssel<br />

eingesehen und dieser mit dem Aufgabenbereich der<br />

Klinik in Beziehung gesetzt. Die Mitarbeiter wurden gebeten,<br />

ihren Tätigkeitsbereich zu beschreiben und wurden zu ihrem Wissenstand<br />

der Zwangsmassnahmen befragt.<br />

Littenheid mit Bestnoten<br />

Nach Abschluss der 3-tägigen Visite erfolgte eine Woche später<br />

eine erste Abschlusssitzung, an der Regierungsmitglieder sowie die


Klinikleitung teilnahmen. Die erste schriftliche Stellungnahme<br />

durch den Ausschuss erfolgte einen Monat später. Schon in dieser<br />

ersten Zusammenfassung wurde die Arbeit unserer Klinik als hervorragend<br />

bewertet!<br />

Die gesetzlichen<br />

Rahmenbedingungen<br />

für Zwangsunterbringungen<br />

und -massnahmen<br />

waren in jedem<br />

Fall erfüllt<br />

worden. Insbesondere<br />

Die Beurteilung unserer<br />

Arbeitspraxis durch<br />

den Ausschuss war hervorragend<br />

wurde neben den guten räumlichen Bedingungen der äusserst sensible<br />

und verantwortungsvolle Umgang aller Mitarbeiter mit den<br />

PatientInnen hervorgehoben!<br />

Der erste Bericht wurde dann 4 Monate später, im Juli 2001,<br />

durch den Europarat genehmigt und ging dann im August 2001 in<br />

seiner endgültigen Fassung an den Bundesrat.<br />

Die Auseinandersetzung<br />

mit ethischen<br />

Fragen bei psychiatrischen<br />

Zwangsmassnahmen<br />

wurde auf erfreuliche<br />

Weise neu<br />

sensibilisiert<br />

Änderunngsvorschläge an Institution,<br />

Kanton und Bund<br />

Einige Änderungsvorschläge wurden von der Kommission angeregt:<br />

Auf institutioneller Ebene wurde die bessere zentrale statistische<br />

Erfassung der FFE-Daten empfohlen.<br />

Auf politischer Ebene wurde angeregt, die bisherige Praxis zur<br />

Überprüfung der Zeitdauer für Zwangsunterbringungen auf einen<br />

Zeitraum von 3 Monaten zu verkürzen. Eine entsprechende Gesetzesnovelle<br />

wurde angeregt.<br />

Kritische Anmerkungen gab es auch bezüglich der bundesrechtlichen<br />

Grundlagen des FFE und des Vormundschaftsrechtes.<br />

Ab dem Zeitpunkt des Endberichtes wurden 6 Monate Frist<br />

eingeräumt, um zu den Verbesserungsvorschlägen Stellung zu nehmen,<br />

was mittlerweile auch erfolgt ist.<br />

Auch der Schlussbericht des CPT stellte der Klinik Littenheid<br />

ein sehr gutes Zeugnis aus. Sowohl die allgemeine Führung und<br />

Organisation der Klinik als auch die Handhabung der FFE- und<br />

Zwangsmassnahmen wurden positiv bewertet.<br />

Der Bericht der Kommission war für die Mitarbeiter eine<br />

enorme Bestätigung ihrer Arbeit. Das positive feed back spornte<br />

an, den sensiblen Bereich «Zwang und Macht» im psychiatrischen<br />

Alltag durch verstärkte Reflexionen neu zu beleben. Es entstanden<br />

sogar spontane Arbeitsgruppen, die sich im Jugendbereich insbesondere<br />

mit dem Grenzbereich Pädagogik und medizinische<br />

Zwangsmassnahmen auseinandersetzten.<br />

Der Besuch des CPT hat erfreulicherweise neu sensibilisiert<br />

und das gute Ergebnis die Mitarbeiter in ihrem Handeln gestärkt<br />

und bestätigt.<br />

Die anfängliche Irritation wurde sowohl bei den Mitarbeitern<br />

als auch bei der Klinikleitung durch einen positive Haltung<br />

abgelöst, da deutlich wurde, dass eine hohe interdisziplinäre fachliche<br />

Kompetenz eine<br />

gemeinsam Arbeit erleichterte<br />

und auch<br />

kantonal- bzw. bundespolitisch<br />

unklare<br />

juristische Verhältnisse<br />

prägnant benannt<br />

wurden.<br />

Der Abschlussbericht<br />

und die entsprechenden<br />

Würdigungen<br />

der zuständigen Behörden ermutigen die Mitarbeiter in ihrer<br />

klinischen Arbeit, zumal die Umsetzungsvorschläge sehr genau auf<br />

die Alltagssituation der PatientInnen und der Stationen bezogen<br />

waren.<br />

Der vollständige Bericht ist unter folgender Internet-Adresse abzurufen:<br />

www.cpt.coe.int<br />

9


An der Grenze von Geistes- und<br />

Naturwissenschaft.<br />

Werkstattbericht aus der Akutpsychiatrie


Dr. med. Jörg Burmeister, Leitender Arzt Akutpsychiatrie<br />

Standards für die Seele<br />

In einer breit abgestützten Projektarbeit wurden<br />

Leitlinien für die Erfassung, Einschätzung<br />

und angemessene Therapie bei Depression<br />

und Suizidalität erarbeitet.<br />

Das Fachgebiet der psychiatrischen Medizin und allgemeiner der<br />

psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung liegt seit jeher im<br />

Spannungsfeld zwischen Natur- und Geisteswissenschaft. Einerseits<br />

funktioniert auch der «psychische Apparat» aufgrund neuronaler<br />

Netzwerke, die im zentralen Nervensystem, aber auch im Bauchraum<br />

(!) untergebracht sind, kann entsprechend instrumentell<br />

untersucht oder therapeutisch angegangen werden, andererseits vollziehen<br />

sich Verhaltensweisen im Rahmen komplexer, «ganzheitlicher»<br />

Handlungsmuster, die auch durch den Bauch (den Körper)<br />

und das Herz (den Affekten)geprägt werden. Dabei entziehen sich<br />

viele Vorgänge einer bewussten oder objektiven Kontrolle und Kontrollierbarkeit<br />

(die Dimension des Unbewussten). Soziale und<br />

emotionale Einflüsse hinterlassen zudem unmittelbare «Spuren» in<br />

unserem zentralen Nervensystem, Nervenbahnen<br />

und -verbindungen verändern sich durch<br />

Umwelteinflüsse. Diese enorme Anpassungsleistung<br />

unseres Gehirns, seine sogenannte<br />

Plastizität als biologische Grundlage seelischer<br />

Prozesse, macht einmal mehr deutlich wie<br />

sehr eben beides, organisch körperliche und psychisch feinstoffliche<br />

Sphäre, miteinander verwoben und nur künstlich trennbar sind.<br />

Die seit dem Altertum bekannte Spaltung zwischen Leib und<br />

Seele scheint damit eigentlich überwunden und wissenschaftlich ad<br />

acta gelegt worden zu sein. Gerade aber auch deshalb regen sich bei<br />

dem Versuch, Diagnostik und Behandlungsschritte in der Psychiatrie<br />

zu vereinheitlichen und «standardisierte» Empfehlungen auszusprechen,<br />

«natürliche» Widerstände. Von dem Versuch, dessen ungeachtet<br />

ein entsprechendes Programm in der vielschichtigen Struktur und<br />

Dynamik unserer Institution zu entwickeln und für die Anwendung<br />

in der Praxis fruchtbar zu machen, soll hier die Rede sein.<br />

Schrittweises Vorgehen in der Projektarbeit<br />

So häufig Depressionen weltweit vorkommen (die WHO geht davon<br />

aus, dass im Jahr 2010 depressive Erkrankungen die häufigste<br />

Erkrankung weltweit sein werden und damit die Rolle der Herz-<br />

Kreislauferkrankungen ablösen werden), so sehr stellen die nicht nur<br />

für die Betroffenen unmittelbar spürbaren Belastungen, sondern<br />

auch die sekundären Folgen für Angehörige, Behandelnde und Gesellschaft<br />

eine der grössten Herausforderungen an unser Fachgebiet<br />

der Psychiatrie und Psychotherapie dar. Depressive Erkrankungen<br />

machen naturgemäss auch einen erheblichen Anteil an der Gesamtzahl<br />

aller in unserer Klinik behandelten Patientinnen und Patienten<br />

aus. Und so liegt es nahe, gerade dieses Störungsbild als Pilotprojekt<br />

für qualitätssichernde und qualitätsfördernde Behandlungsempfehlungen<br />

in unserer Klinik zu etablieren.<br />

Ausgehend von einem Beschluss der Klinikleitung, in dem ein<br />

entsprechender Auftrag an den Berichterstatter übertragen worden<br />

war, bildete sich eine Projektgruppe, die auf Kaderebene alle Bereiche<br />

und Angehörige der beiden wichtigsten Berufsgruppen (therapeutische<br />

Mitarbeiter und Mitarbeiter des Pflegebereiches) vereinigte.<br />

In dieser Projektgruppe wurde der Auftrag inhaltlich<br />

abgestimmt und das konkrete Vorgehen in Einzelschritten bis zum<br />

Projektabschlusses geplant. Es entspricht der Tradition und der Kultur<br />

unseres Hauses, dass von Anfang an keine einheitliche Lösung<br />

für alle Bereiche und alle Stationen in unserem Haus angestrebt<br />

Es entspricht der Tradition und der Kultur unseres<br />

Hauses, dass von Anfang an keine einheitliche Lösung<br />

für alle Bereiche und alle Stationen in unserem<br />

Haus angestrebt wurde.<br />

wurde. Vielmehr wurden die bestehenden Unterschiede, die sich ja<br />

in der Praxis tagtäglich bewähren und ihre Rechtfertigung aus dieser<br />

Praxis schöpfen, vom Grundsatz her explizit bestätigt. Als weiteres<br />

wesentliches Prinzip galt es den Eindruck zu vermeiden, durch das<br />

Qualitätsprojekt Kritik an der gewachsenen institutionellen Praxis<br />

üben zu wollen oder diese Praxis von Aussen unnötig «scharf» kontrollieren<br />

oder gar reglementieren zu wollen. Als letztes musste vor<br />

allem der Einsatz aller beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

an dem Projekt immer wieder an die vorhandenen Ressourcen in Bezug<br />

auf Zeit, Energie und Motivation angeglichen werden.<br />

Aufnahme des Ist-Zustandes<br />

Die Projektgruppe erarbeitete als ersten Schritt einen Fragebogen, in<br />

dem die bestehende Praxis in den verschiedenen Bereichen und Stationen<br />

möglichst detailliert erfasst und abgebildet werden sollte.<br />

Gleichzeitig wurde über das Projekt an den regelmässig stattfindenden<br />

Mitarbeiterveranstaltungen in unserem Haus breit informiert<br />

(Informationen durch die Klinikleitung an Vertreter aller Berufsgruppen,<br />

z. B. auch Handwerker, Ökonomie, oder Verwaltung, in<br />

11


12<br />

sechswöchigen Abständen). Dabei stellte von Anfang an die Abklärung<br />

des Weiterbildungsbedarfs und der Wünsche nach Vertiefung<br />

einzelner Themen eines der Hauptanliegen des Projektes dar. Parallel<br />

zur Gewinnung von Daten durch den Einsatz der Fragebögen, die<br />

durch die Mitglieder der Projektgruppe (Bereichsleitung) auf allen<br />

Stationen der jeweiligen Bereiche persönlich vorgestellt und abgesprochen<br />

worden waren, entwickelte der Referent insgesamt sieben<br />

inhaltliche Standards zum Projektauftrag (Qualitätsmanagement<br />

Depression und Suizidalität, siehe Kasten).<br />

In Ihnen werden die weiter oben dargelegten Gesichtspunkte<br />

umgesetzt: Respektierung und Einbezug der bestehenden Praxis, die<br />

sich bewährt hat, möglichst individuelle, stations- oder bereichsbezogene<br />

Lösungen, die dennoch eine gemeinsame inhaltliche Struktur<br />

und gemeinsame Eckwerte abdecken. Dabei zeigte sich auch an<br />

dieser Stelle, wie stark in der Projektgruppe selbst die Bedürfnisse<br />

nach Erhalt eigener Autonomie, eigener Traditionen und die Respektierung<br />

der für die eigene Selbstbestimmung wichtigen Unterschiede<br />

mit anderen Bereichen in das Thema der Behandlungsempfehlungen<br />

hineinspielt.<br />

Zum Beispiel verfügt sowohl der Jugendbereich wie auch der gerontopsychiatrische<br />

Bereich über spezifische Instrumente und Vorgehensweisen<br />

in ihrer Praxis, die sich von der Praxis in anderen Bereichen<br />

deutlich abhebt. Aber auch Abläufe, konzeptuelles<br />

Selbstverständnis und strukturelle Vorgaben im Psychotherapiebereich<br />

(z.B. Vorgespräche, längere Behandlungsverläufe) unterscheiden<br />

diesen wiederum von allen anderen Bereichen. Hinzu kamen<br />

Verbindlichkeiten und Verpflichtungen durch andere, gleichzeitig<br />

stattfindende Projekt, welche die Bedeutung und die Umsetzung des<br />

hier beschriebenen Projektes in jedem Bereich wieder anders gewichten<br />

liess.<br />

Bei der Auswertung der Fragebögen zeigte sich über alle Stationen<br />

und Bereiche hinweg eine hohe professionelle Qualität, was Erfassung<br />

und Abklärung von Depressionen oder suizidalen Krisen betrifft.<br />

Lücken zeigten sich jedoch bei der Frage, wie man sich selbst<br />

als Behandelnde gerade in der Therapie der Depression oder der Beantwortung<br />

suizidaler Krisen gegen Überforderungsmomente schützen<br />

kann (so genannte Verhütung von Burn-Out), in der Frage wie<br />

eine möglichst breite und in sich stimmige Information für alle von<br />

der Behandlung Betroffenen gewährleistet werden kann (Transparenz<br />

der Behandlung, Informationen an Angehörige und Dritte, sogenannter<br />

Informed Consent) oder wie genau das Vorgehen bei<br />

schwerwiegenden Zwischenfällen, insbesondere bei Suizidhandlungen,<br />

auf den jeweiligen Stationen und für die Gesamtklinik einheitlich<br />

geregelt werden soll. Die Ergebnisse der Befragung wurden<br />

gesamthaft von den jeweiligen Bereichsleitungen mit jeder Station<br />

und ihren Mitarbeitern besprochen.<br />

Erarbeitung einer gemeinsamen Haltung<br />

Aufgrund der Gespräche konstituierten sich Arbeitsgruppen in den<br />

einzelnen Bereichen. Sie begannen vor dem Hintergrund der Ergebnisse<br />

der Befragung die Inhalte der einzelnen Standards pro Bereich<br />

und in Bezug auf jede einzelne Station im Detail zu entwickeln. Um<br />

den Austausch zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen zu erleichtern,<br />

wurde eine gemeinsame Abfolge der einzelnen Standards vereinbart.<br />

Zunächst beschäftigten sich die Arbeitsgruppen mit dem<br />

Prozess der Diagnosestellung bei depressiven Zuständen, der Abklärung<br />

und Einschätzung von Suizidalität sowie der Art und Weise,<br />

wie Informationen über die beabsichtigte Behandlung dem Betroffenen<br />

vermittelt werden könnten (Informed Consent).<br />

So fliessen zum Beispiel in den Prozess der Diagnosestellung die<br />

Informationen von Zuweisern, Angehörigen und früheren Behandlern<br />

ebenso ein wie die Befunde, die sich im Laufe der ersten Behandlungssequenz<br />

in den verschiedenen therapeutischen Begegnungen<br />

und stationären Schauplätzen der Behandlung ergeben haben.<br />

Gleichzeitig werden aber auch spezielle Instrumente zur Diagnosestellung<br />

verwendet (Tests, Fragebögen), welche die so gewonnenen<br />

Daten breiter abstützen und eine Verlaufskontrolle ermöglichen.<br />

Unterschiede zwischen den Bereichen und Stationen ergeben sich<br />

aufgrund unterschiedlicher Behandlungszeiten, unterschiedlicher<br />

Behandlungskonzepte, die ein anderes Störungsmodell und damit<br />

auch andere Daten für die Diagnosestellung erforderlich machen<br />

und durch unterschiedliche Behandlungserfahrungen einzelner Teams<br />

und Bereiche (z. B. seit langem eingeführte und sich bewährende<br />

Instrumente). Wie ergibt sich aber eigentlich «Qualität» durch<br />

einen Standard, wenn viele Elemente der Behandlung unverändert<br />

bleiben und sich auch schon früher bewährt haben<br />

Zum einen bewirkt die bewusste Auseinandersetzung und gemeinsame<br />

Durcharbeitung der bestehenden Behandlungsrealität für<br />

alle Stationen und alle Bereiche eine ungemein wichtige Sensibilisierung<br />

für die in den Standards angesprochenen Themen. Die<br />

durch die Arbeit an den Standards gewonnene Distanz zum eigenen<br />

Handeln wirkt schöpferisch. Sie erlaubt, allenfalls bestehende Lücken<br />

(z. B. bei der Koordination von Schnittstellen zwischen therapeutischen<br />

und pflegerischen Aktivitäten) in der Gesamtbehand-


lung zu schliessen, aber auch Bedeutung, Wert und Sinn des eigenen<br />

Vorgehens gemeinsam überprüfen zu können. Erst auf dieser<br />

Grundlage kann eine gemeinsame Haltung und Kultur gedeihen<br />

und verankert werden. Die Arbeit an den Standards schärft den<br />

Blick für die Bedürfnisse der anvertrauten Patientinnen und Patienten<br />

und der Ihnen verbundenen Angehörigen, Zuweisern und anderen<br />

Personen ausserhalb der Klinik. Gleichzeitig vermittelt sie zwischen<br />

den Bereichen und den Stationen, schafft Transparenz und<br />

13<br />

Standard Depression und Suizidalität<br />

Jede Abteilung kennt ihren (!) Prozess der Diagnosestellung<br />

und regelt ihn einvernehmlich.<br />

Kommentar: dazu gehören u. a. Zeitvorgaben, Sachvorgaben<br />

(Einbezug von Informationen/Materialien) und Vorgaben<br />

zum Setting. Dazu gehören somatische Abklärungen, ICD-10,<br />

MAS (im Jugendalter) und Pflegediagnose. Dazu können<br />

weiterhin gehören Angaben zur Genese, zu aufrechterhaltenden<br />

Faktoren der Depression (z. B. incl. OPD-Kriterien), zur<br />

Ausprägung der Depression (z. B. Hamilton-Score) aber auch<br />

zu «antidepressiven» Ressourcen inclusive dem vorherrschenden<br />

Bewältigungsstil (Achse-V DSM-IV)<br />

Jede Abteilung kennt mindestens ein Modell zur Entstehung<br />

und Verlauf von depressiven Störungen und<br />

wendet es an.<br />

Kommentar: dazu gehört u. a. die Kenntnis und Zuordnung<br />

typischer anamnestischer, somatischer, psychosozialer und<br />

interpersonaler Faktoren und Befunde in ein plausibles Erkärungsmodell.<br />

Jede Abteilung wendet das Prinzip des Informed Consent<br />

bei der Behandlung an.<br />

Kommentar: zum Informed Consent gehört u. a. eine Aufklärung<br />

über Störungs- und Behandlungsmodelle der Depression<br />

incl. alternative Behandlungsmöglichkeiten oder medikamentöse<br />

Wirkungen/Nebenwirkungen. Wenn erforderlich<br />

kann ein Behandlungsvertrag abgeschlossen werden.<br />

Jede Abteilung verfügt über ein Modell der gemeinsamen<br />

Therapieplanung. Die Therapieplanung wird regelmässig<br />

evaluiert.<br />

Kommentar: dazu gehören u. a. Zeitvorgaben, Sachvorgaben<br />

(Einbezug von Informationen/Materialien) und Vorgaben<br />

zum Setting. Dazu gehören weiterhin Aussagen über die<br />

medikamentöse Therapie, die psychotherapeutische Behandlung,<br />

die soziale Rehabilitation, den Einbezug von Angehörigen<br />

und die Prophylaxe zukünftiger depressiver Phasen. Die<br />

medikamentöse Therapie kann auf einen sogenannten Algorhytmus<br />

abgestützt werden.<br />

Jede Abteilung verfügt über ein Modell der Abklärung von<br />

Suizidalität und der Intervention bei Suizidalität.<br />

Kommentar: bei allen depressiven Störungen sollte die Suizidalität<br />

regelmässig beurteilt werden. Für die Beurteilung,<br />

aber auch für die allenfalls erforderliche Intervention, sollten<br />

Vorgaben zu Zeit, Art und beteiligten Personen incl. Entscheidungsprozessen<br />

vorhanden sein.<br />

Jede Abteilung trifft Vorkehrungen zum Schutz der<br />

Behandelnden (Anti-Burn-Out Massnahmen).<br />

Kommentar: der objektive Behandlungsanspruch depressiver<br />

Störungen kann alle (!) Behandelnden auf Dauer überfordern,<br />

Schutzmassnahmen für einzelne aber auch für ganze<br />

Teams sehen zeitliche und emotionale Entlastungsmöglichkeiten<br />

vor.<br />

Jede Abteilung vereinbart ein abgesprochenes Vorgehen<br />

bei vollzogenem Suizid oder anderen schweren und unerwarteten<br />

Zwischenfällen in der Behandlung.<br />

Kommentar: «Critical incidents» wie etwa ein vollzogener<br />

Suizid lösen eine Vielzahl emotionaler Prozesse auf Teamund<br />

Patientenebene gleichzeitig aus, die eine vernunftgeleitete<br />

Absprache über das weitere Vorgehen erheblich behindern.<br />

Vereinbarungen legen deshalb verschiedene Formen<br />

der Bewältigung schon vorab fest (Gruppeninterventionen<br />

und Einzelinterventionen im Sinne des Defusing und des<br />

Debriefing, juristische und administrative Belange, längerfristige<br />

Nachbereitung).


14 Verständigung für den Anderen und das Andere. Insgesamt verbessert<br />

sich im Laufe der gemeinsamen Arbeit auch die Zusammenarbeit<br />

und der Zusammenhalt im Rahmen der Gesamtklinik.<br />

gischen Vorfalles müssen angemessen behandelt<br />

werden. Da das Thema aber an sich häu-<br />

abschliessen, die Standards sind immer nur vorläufige<br />

Das Bemühen um Qualität lässt sich nicht wirklich<br />

fig der Verdrängung anheimfällt («das wird bei Ansätze, die in der Praxis verändert und angepasst<br />

uns sicher nicht passieren»), ist eine bewusste werden müssen.<br />

Auseinandersetzung in Ruhe und ohne Handlungsdruck<br />

so ungemein wichtig. Als Ergebnis der Diskussion ist<br />

eine konkrete Checkliste erarbeitet worden, mit der das Vorgehen<br />

Schritt für Schritt und im Detail vorgegeben wird. Zusätzlich sind<br />

verschiedene Planungs- und Organisationshilfen entstanden, mit<br />

denen etwa die Durchführung von Gruppensitzungen, die Betreuung<br />

von einzelnen Betroffenen oder die wichtigsten Gesichtspunkte<br />

bei der inhaltlichen Gestaltung der Betreuung selbst zwischenzeitlich<br />

gestaltet werden können.<br />

Nach einer mehr als 3-jährigen Projektphase nähern sich die einzelnen<br />

Arbeitsschritte und damit die Umsetzung des Projektausschriebs<br />

ihrem Ende. Jeder Bereich hat mittlerweile eigene Behandlungsempfehlungen<br />

und Standards geschaffen, wobei bei einzelnen<br />

Themen (Informed Consent, Behandlungsmodelle, De-Briefing<br />

nach vollzogenem Suizid) auch bereichsübergreifende, klinikweite<br />

Lösungen erarbeitet worden sind. Das Ergebnis des Projektes ist<br />

zum Teil veröffentlicht, zum Teil an internationalen Kongressen vorgetragen<br />

worden. Die einzelnen Instrumente werden in der Praxis<br />

regelmässig überprüft, zum Teil ergänzt oder ersetzt: Das Bemühen<br />

um Qualität lässt sich in diesem Sinne nicht wirklich abschliessen,<br />

die Standards sind immer nur vorläufige Ansätze, die in der Praxis<br />

verändert und angepasst werden müssen. Darüber hinaus sind auch<br />

neue Gremien und Foren entstanden (z. B. Suizidkonferenz und<br />

Peer Review nach erfolgtem Suizid, spezielle Weiterbildungen im<br />

Suizid Monitoring). Es hat sich aber auch gezeigt, dass solche Projekte<br />

die eingangs erwähnten Kriterien wie überschaubare Dauer,<br />

messbare Erfolge und Reduktion von Kontrolle und Fremdbestimmung<br />

unbedingt einhalten müssen, um letztlich erfolgreich sein zu<br />

können. Standards stehen und fallen mit den Mitarbeitern, die sie<br />

einsetzen und mit den Patienten, derer Behandlung sie dienen sollen.<br />

Den einen sei für ihre jahrelange unermüdliche Mitarbeit an<br />

den Standards an dieser Stelle noch einmal herzlich gedankt, den andern<br />

für ihre Geduld und Nachsicht, wenn trotz allem keine wirklich<br />

rasche Besserung gelingt.<br />

Standards helfen, schwierige Situationen zu meistern<br />

Einige Themen tauchen aber auch erstmalig und als solche ganz neu<br />

im Bewusstsein der Arbeitsgruppen auf: die schwierige, aber notwendige<br />

Frage, wie etwa nach einem geschehenen Suizid innerhalb<br />

der Klinik die betroffene Station das tragische Ereignis für Angehörige,<br />

Mitpatienten aber nicht zuletzt auch in Bezug auf die eigenen<br />

Mitarbeiter auffangen und angemessen beantworten kann oder die<br />

Frage, wie sich Mitarbeiter selbst vor den Folgen einer übermässigen<br />

Beanspruchung durch die Kräfte zehrende Therapie von schwer depressiv<br />

erkrankten Menschen schützen können, um nicht etwa selbst<br />

in den Sog von Überforderungsgefühlen, Versagensängsten und Enttäuschung<br />

hineingezogen zu werden. Was das genau bedeutet, soll<br />

anhand der Überlegungen zum Vorgehen nach einem erfolgten Suizid<br />

in der Klinik beantwortet werden.<br />

Die beschriebene Situation stellt sicher eine absolute Ausnahmesituation<br />

im klinischen Alltag dar (z. B. hat sich in der Klinik Littenheid<br />

in den letzten zehn Jahren maximal ein Suizid jährlich ereignet).<br />

Dennoch stellt gerade diese Situation ganz besondere<br />

Herausforderungen an das Behandlungsteam: die ungewohnte und<br />

unerwartete Krise erreicht durch ihre existentielle und der ihr innewohnenden<br />

Destruktivität und Gewalt traumatische Ausmasse. Dies<br />

führt zu heftigen, vernunftmässig nur bedingt steuerbaren emotionalen<br />

Reaktionen, die eine ruhige und geordnete Vorgehensweise gerade<br />

besonders erschweren. Es müssen so schnell wie möglich alle<br />

wichtigen Personen benachrichtigt werden, es muss die medizinische<br />

und psychologische Betreuung der betroffenen Mitpatienten<br />

und Teammitglieder gewährleistet sein und auch die formalen bis<br />

hin zu juristischen Aspekte eines solchen tra-


Hilfestellung für das Gleichgewicht<br />

der Seele.<br />

Werkstattberichte aus der Stationären Psychotherapie


Dr. med. Susanne Kunz, Leitende Ärztin stationäre Psychotherapie<br />

Ohne Projekt – keine Veränderung<br />

16<br />

Die drei 3 Stationen des Bereiches stationäre<br />

Psychotherapie haben im letzten Jahr<br />

ihre therapeutischen Konzepte überprüft<br />

und neue Inhalte erarbeitet. Die differenzierte<br />

Projektplanung hat sich als hilfreich erwiesen, um die zeitlichen<br />

Vorgaben einzuhalten und die gesteckten Ziele zu erreichen.<br />

Ausgangslage und Fragestellung<br />

Im Juli 1999 wurde die Klinik Littenheid in die 4 verschiedene Bereiche<br />

Akut-, Jugend-, Geronto- und Psychotherapie unterteilt.<br />

Seither sind für den Psychotherapiebereich Susy Wagner, Bereichsleiterin<br />

und Dr. Susanne Kunz, Leitende Ärztin, zuständig.<br />

Nach einem Jahr intensiver Einarbeitung stellte sich die Frage<br />

nach der weiteren Entwicklung des Bereiches, worauf wir uns zukünftig<br />

konzentrieren sollten.<br />

Welche therapeutischen Leitlinien haben wir bisher verfolgt,<br />

welche haben sich bewährt oder sind auch veränderungsbedürftig<br />

Auf welche Weise lässt sich der Bereich «stationäre Psychotherapie»<br />

auf dem Weg der Integration unterstützen Wie kann die inhaltliche<br />

Weiterentwicklung gefördert werden Wie können<br />

mittel- bis längerfristig bedarfsgerechte therapeutische Angebote<br />

nach neuestem wissenschaftlichem Erkenntnisstand und bei<br />

gleichzeitiger Optimierung der betriebswirtschaftlichen Aspekte<br />

entwickelt werden<br />

An welche Menschen wird sich auch zukünftig unser Angebot<br />

richten Entspricht der praktische und theoretische Ausbildungsstand<br />

fremden als auch eigenen Erwartungen <br />

Diese Fragen beschäftigten uns und bedurften einer vertieften<br />

Auseinandersetzung. Zwecks Optimierung der Aussenperspektive<br />

und Intensivierung des Veränderungsprozesses zogen wir einen<br />

Organisationsberater hinzu und von der Klinikleitung wurde uns<br />

ein detaillierter Projektauftrag erteilt.<br />

Projektgruppe<br />

Die Projektgruppe setzte sich aus VertreterInnen<br />

aller drei Stationen und interdisziplinär<br />

zusammen. Zusätzlich sollten in dieser<br />

Gruppe alle verbalen und nonverbalen Therapien<br />

vertreten sein. Der Chefarzt nahm als<br />

Vertreter der Klinikleitung teil. Die Leitung<br />

der Projektgruppe übernahmen die Bereichsleiterinnen,<br />

wobei Frau Wagner für den strukturellen Teil und<br />

Frau Kunz für den inhaltlichen Prozess zuständig war.<br />

Die Projektgruppe traf sich monatlich und das Projekt sollte<br />

innert Jahresfrist abgeschlossen sein.<br />

Planung<br />

Unsere Planung für das Projekt enthielt folgende Teilschritte:<br />

● Literaturüberblick<br />

● Erarbeitung und Erfassung des aktuellen wissenschaftlichen<br />

Standards für stationäre psychotherapeutische Behandlungen<br />

● Besuch anderer Institutionen<br />

● Mitarbeiterbefragung<br />

● Bereichs-Klausurtagung zwecks Koordination aller Informationen<br />

● Besuch von Herrn Lohmer (Organisationsberater) im Mai und<br />

Oktober 2001<br />

● Beschluss konzeptioneller Veränderungen nach dem ersten Besuch<br />

● Zweiter Besuch mit Evaluation des bisher Erreichten<br />

● Im Anschluss Einleitung aller notwendigen Maßnahmen<br />

Besuche<br />

Wir besuchten die psychotherapeutische Station und die Tagesklinik<br />

von Prof. Dr. med. J. Küchenhoff in Basel. Dort interessierte<br />

uns vor allem die Tagesklinik mit dem speziellen teilstationären<br />

Behandlungssetting als auch die Borderline-Station, die von Dr.<br />

med. Dammann oberärztlich geleitet wird. In der Nachbarklinik<br />

Wil trafen wir Dr. med. F. Altorfer, Leitender Arzt des Psychotherapiebereiches,<br />

und seinem Team zusammen. Es war übrigens das<br />

erste Zusammentreffen dieser Art mit der Psychiatrischen Klinik<br />

Wil und der Austausch war für alle Beteiligten sehr spannend.<br />

Hier interessierte uns, neben den verschiedensten inhaltlichen<br />

Fragen auch ökonomische Probleme wie Belegung, Aufenthaltsdauern,<br />

allgemeine Kosten und Personalschlüssel.<br />

Wie können mittel- bis längerfristig bedarfsgerechte<br />

therapeutische Angebote nach neuestem wissenschaftlichem<br />

Erkenntnisstand und bei gleichzeitiger Optimierung<br />

der betriebswirtschaftlichen Aspekte entwickelt<br />

werden


Nach einer ersten Auswertung des aktuellen Diskussionsstandes<br />

psychotherapeutischer Standards in der Literatur konnten wir<br />

beginnen, spezifische Fragestellungen zu erarbeiten und zu vertiefen,<br />

wozu wir unsere Klausurtagung im Februar nutzten.<br />

Mitarbeiterbefragung<br />

Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung nahmen einen eigenen<br />

Stellenwert ein. Die Umfrage ergab ein deutliches Ergebnis. Neben<br />

finanziellen Aspekten stand der Wunsch nach pflegeorientierter<br />

Weiterbildung, besseren Räumlichkeiten und Vorschlägen zur<br />

Qualitätsverbesserung im täglichen Behandlungssetting weit im<br />

Vordergrund.<br />

Auftrag<br />

Aus den unterschiedlichen fachlichen und strukturellen Fragestellungen<br />

formulierten wir einen konkreten Auftrag an Herrn Lohmer<br />

und planten einen ersten Besuch im Mai 2001.<br />

Die Vorbereitung dieses Besuches durch die Bereichsleitung<br />

hatte einen hohen Stellenwert, um mit entsprechenden Informationen<br />

über Entstehung und Geschichte des Bereiches den inhaltlichen<br />

Diskurs gut vorzubereiten.<br />

Besuch von Herrn Lohmer<br />

Für die Teilnahme an diesem Event wünschten wir den Einbezug<br />

aller Berufsgruppen, um unserem Unternehmensberater einen<br />

möglichst breiten und tiefen Einblick in den aktuellen inhaltlichen<br />

und strukturellen Prozess zu gewährleisten. In den ersten<br />

2 Tagen fanden Gespräche auf den Stationen mit Einzelpersonen<br />

oder auch in kleineren Gruppen statt.<br />

Ebenfalls einbezogen wurden die Patienten der drei Stationen,<br />

mit denen Gruppeninterviews geführt wurden. Auch bereichsübergreifende<br />

Gespräche mit dem Personal<br />

aus dem Akutbereich und der Klinikleitung<br />

schienen uns für die Schnittstellen der Zusammenarbeit<br />

auf institutioneller Ebene sehr<br />

wichtig .<br />

Nach diesen zwei dichten Tagen kamen<br />

wir zum ereignisreichsten Tag, einem Klausur-Tag<br />

mit Grossgruppe(ca. 40 Personen),<br />

deren Teilnehmer sich aus dem Bereich rekrutierten. Herr Lohmer<br />

hatte aus den verschiedenen Gesprächen und schriftlichen Unterlagen<br />

für jede Station einige strukturelle und inhaltliche Thesen<br />

formuliert. Die Sitzungsstruktur planten wir nach Art der Balintgruppen<br />

mit Innen- und Aussenkreis. Jede Station hatte im<br />

Innenkreis die Möglichkeit, sich mit den aus den Gesprächen entstandenen<br />

Thesen auseinander zu setzen, während die zwei anderen<br />

Stationen im Aussenkreis mit kritischen Fragen Impulse gaben<br />

und die Diskussion anregten.<br />

Neuerungen<br />

Was sind nun die wesentlichen Veränderungen<br />

Pünt Süd<br />

Pünt Süd soll auf der Basis seiner langjährigen Geschichte mit<br />

dem Fokus auf Einzelpsychotherapie und individueller Ausrichtung<br />

der Behandlungskonzepte zukünftig eine bestimmte Gruppe<br />

von PatientInnen mit Persönlichkeitsstörungen, aber auch leichteren<br />

neurotischen Störungen behandeln, welche besonders von diesem<br />

Stationskonzept (keine Nachtwache, reduzierte Wochenendbetreuung<br />

und damit mehr Eigenverantwortung, sehr individuelle<br />

Therapieplanung) profitieren können. Weiter wird ein Kurztherapiekonzept<br />

(2–3 Wochen) entwickelt, welches die Eintrittsschwelle<br />

niedrig hält und bei sozial gut integrierten Patienten therapeutische<br />

Kriseninterventionen (beispielsweise bei Burnout und<br />

Mobbing) oder Intervallbehandlungen in Zusammenarbeit mit<br />

den ZuweiserInnen erlaubt.<br />

Wir wünschten den Einbezug aller Berufsgruppen, um<br />

unserem Unternehmensberater einen möglichst<br />

breiten und tiefen Einblick in den aktuellen inhaltlichen<br />

und strukturellen Prozess zu gewährleisten.<br />

Pünt Mitte<br />

Als erstes wurde eine grundlegend neue Behandlungsphilosophie<br />

erarbeitet: Vom «Müssen zum Dürfen».(siehe auch Artikel von<br />

Dr. Jörg Wunderwald). Dieser Denkansatz brachte einen grossen<br />

Umdenkungsprozess in Gang. So wurde in weiterer Folge ein Stufenmodell<br />

für Patienten mit Abhängigkeitsstörungen konzeptualisiert,<br />

welches Behandlungen über vier, acht und zwölf Wochen erlauben<br />

soll. Wesentliche Neuerungen des Konzeptes bestehen<br />

darin, die PatientInnen mit Abhängigkeitsstörungen in den ersten<br />

17


18<br />

Wochen ihres Aufenthaltes zu intensiveren Therapien entweder zu<br />

motivieren oder aber auch, nach gemeinsamer Einschätzung, bei<br />

weniger Motivation wieder zu entlassen.<br />

Darüber hinaus bietet diese Station in Kombination mit Abhängigkeitsstörungen<br />

auch für andere psychiatrische Störungsbilder,<br />

allen voran bei Depressionen und Angstzuständen, Behandlungen<br />

an.<br />

Pünt Nord<br />

Pünt Nord wird die bisherige Entwicklung mit dem Fokus auf spezielle<br />

Behandlungsangebote für Adoleszente und junge Erwachsene<br />

weiter führen (siehe auch Artikel von Dr. Pia Ineichen) und<br />

sowohl milieutherapeutisch als auch psychotherapeutisch<br />

gezielte Weiterbildungen<br />

durchführen. Erfreulicherweise konnten wir<br />

für die Ausbildung eine enge Kooperation<br />

mit den Psychotherapiestationen der KPK<br />

Wil aufbauen.<br />

Insgesamt war die Erkenntnis wichtig,<br />

dass unsere sowohl im ärztlichen als auch im<br />

pflegerischen Bereich eher auf das Setting<br />

der Zweierbeziehung orientierte Haltung im<br />

stationären Rahmen (Einzelpsychotherapie, Bezugspersonengespräche)<br />

Korrekturen in Richtung konsequenter Nutzung milieutherapeutischer<br />

Prinzipien bedarf. Dazu sind gruppen- und milieutherapeutische<br />

Schulungen ebenso wichtig wie grundsätzlich<br />

neue Akzentuierungen hinsichtlich Einstellungen, Haltungen und<br />

Wertungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit.<br />

Prozess<br />

Nach diesem ersten Treffen mit Herrn Lohmer war eine ziemliche<br />

Verunsicherung spürbar. Zu welchen Veränderungen würden diese<br />

neuen Konzeptvorschläge wohl führen Besonders für die Station<br />

Pünt Nord waren die Konsequenzen am greifbarsten, was sich zunächst<br />

einmal in der Veränderung der Altersgrenze auswirkte. War<br />

auf Pünt Nord bislang eine altersmässig recht gemischte Patientengruppe<br />

zu finden, konzentrierten wir uns nun gezielter auf die<br />

Behandlung junger Adoleszenter zwischen 18 und 25 Jahren. Es<br />

brachte einiges in Bewegung und für einzelne Mitglieder des Pflegeteams<br />

wurde fraglich, ob sie auch zukünftig mit dieser jungen<br />

Patientengruppe arbeiten würden. Aber auch auf den anderen Stationen<br />

wurden kritische Diskussionen geführt.<br />

Zwischen dem ersten und zweiten Besuch von Herrn Lohmer<br />

hatten wir ein halbes Jahr Zeit, uns mit den Fragen auseinander zu<br />

setzen und die gemeinsam erarbeiten Vorschläge auf ihre Realisierbarkeit<br />

zu überprüfen.<br />

Im Rahmen von Konzeptsitzungen aller drei Stationen diskutierten<br />

wir die geplanten Veränderungen und erstellten konkrete<br />

Teilziele auf struktureller, inhaltlicher und personeller Ebene. In<br />

der Projektgruppe konnten wir den laufenden Diskussionsstand<br />

kritisch reflektieren, Bedenken und Befürchtungen im Wechsel<br />

mit enthusiastischen Veränderungswünschen auffangen und in<br />

den Prozess einfliessen lassen. Die Projektleitung begleitete diesen<br />

Prozess und bereitete den 2. Besuch von Herrn Lohmer vor.<br />

In der Projektgruppe konnten wir den laufenden<br />

Diskussionsstand kritisch reflektieren, Bedenken und<br />

Befürchtungen im Wechsel mit enthusiastischen<br />

Veränderungswünschen auffangen und in den Prozess<br />

einfliessen lassen.<br />

Der 2. Besuch diente im wesentlichen der Festigung und Vertiefung<br />

der begonnenen Entwicklung, erneut sollten fachliche Fragen<br />

nachhaltig diskutiert und evaluiert werden.<br />

Anlässlich der Gespräche wurde allen Beteiligten die unterschiedliche<br />

Veränderungskultur und Prozessdynamik jeder Station<br />

sehr deutlich. Gerade diese Offenheit miteinander trug wesentlich<br />

zur Entwicklung gegenseitigen Vertrauens bei.<br />

Resultate<br />

Konkrete Resultate des Projektes finden sich nun in den konzeptuellen<br />

Anpassungen, die Ende des Jahres festgelegt wurden. Für<br />

die Einführung der Methode der Dialektisch Behavioralen Therapie<br />

wurde eine Unterprojektgruppe gebildet, die sich in Koordination<br />

mit der Nachbarklinik mit der Realisierung der Ausbildung<br />

beschäftigt. Die Planung einer bereichsübergreifenden DBT-<br />

Gruppe ist abgeschlossen und wird seit Februar dieses Jahres im<br />

Bereich angeboten. Die Station Pünt Mitte bietet den Patienten<br />

seit Jahresanfang eine Behandlung mit zeitlich gestaffelten Therapien<br />

an und Pünt Süd verfügt über ein neues Konzept für<br />

Kurzzeitpsychotherapien und befasst sich konzeptuell mit der


Diagnostik und Behandlung von Patienten mit narzisstischen Problemstellungen.<br />

So zeigt sich, dass die konkreten Ergebnisse unseren<br />

Patienten und Patientinnen zugute kommen sollen.<br />

Im weiteren hat die TFP-Ausbildung für Therapeuten (Transferenced<br />

fokussed Therapie ) begonnen. Ebenso konnte mit personellen<br />

Umstrukturierungen den neuen Bedingungen Rechnung<br />

getragen werden.<br />

Mit der Umsetzung und Einleitung dieser Teilschritte wurde<br />

das Projekt abgeschlossen. Im Anschluss daran informierten wir<br />

alle Zuweiser und Interessenten inner- und ausserhalb der Institution<br />

Anfang des neuen Jahres über die Veränderungen in den Therapiekonzepten.<br />

19<br />

Resümee<br />

Ist der Titel «ohne Projekt keine Veränderung» gerechtfertigt Was<br />

hat das Projekt nun eigentlich gebracht<br />

Diese Prozesse wären ohne zeitlich und inhaltlich begrenzten<br />

Rahmen so nicht durchführbar gewesen. Wir haben uns mit der<br />

Planung und Realisierung des Projektes auf wesentliche inhaltliche<br />

und strategische Fragen der Weiterentwicklung des Bereiches<br />

konzentrieren können. Die Ausrichtung wurde somit für die nächsten<br />

drei Jahre festgelegt. Die gesteckten Ziele und Vorstellungen<br />

haben wir umsetzen und der Bereich hat im Rahmen des Projektes<br />

seine Identität ausbauen können. Der gewünschte bereichsübergreifende<br />

inhaltliche und personelle Ressourcentransfer<br />

macht sich deutlich bemerkbar. Die individuelle Entwicklung vieler<br />

Teammitglieder hat starken Auftrieb bekommen und wird im<br />

weiteren mit einem Zuwachs von Kompetenz einher gehen. Jede<br />

Station hat für sich neue Zielsetzungen entwickelt, alle drei Stationen<br />

zusammen ergänzen sich und sind aufeinander abgestimmt.<br />

Mit dem Spannungsverhältnis zwischen Routine und Neuerungen,<br />

therapeutischen Einheiten und dem Bereich als Ganzes<br />

stellen sich neue Herausforderungen, die für die zukünftige lebendige<br />

Entwicklung unabdingbar sind.<br />

Unser Ziel war und ist es, kompetente und nach wissenschaftlichen<br />

Ergebnissen abgestützte Behandlungen anbieten zu können.<br />

Dabei möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen,<br />

dass bei allen Neuerungen in den verhaltenstherapeutischen<br />

und den analytisch orientierten Therapieverfahren weiterhin das<br />

Bemühen um ein individuelles Verständnis des Menschen die Basis<br />

unseres therapeutischen Handelns ist.


Martin Weyer, Stationsleiter stationäre Psychotherapie, Projekt- und Gruppenleiter Skillstraining<br />

Das Skillstraining nach der<br />

Dialektisch-Behavioralen Therapie<br />

20<br />

Seit Februar wird ein neues, störungsspezifisches<br />

Konzept zur Behandlung von<br />

Borderline-Persönlichkeitsstörungen angewandt,<br />

das sich während der Therapie und<br />

auch nach dem Klinikaufenthalt als sehr wirksam erwiesen hat.<br />

Das Verringern von:<br />

● Chaotischen zwischenmenschlichen Beziehungen<br />

● Starken Gefühls- und Stimmungsschwankungen<br />

● Übermässiger Impulsivität<br />

● Identitätsunsicherheit und Denkstörungen<br />

Einleitung<br />

Ein erheblicher Anteil unseres in psychotherapeutischer Behandlung<br />

befindlichen Klientels leidet unter einer diagnostizierten<br />

Borderline-Persönlichkeitsstörung. Diese Störung ist in der Regel<br />

mit massiven selbstschädigenden, suizidalen und therapieschädigenden<br />

Verhaltensweisen der Patienten verbunden und stellt hohe<br />

therapeutische Anforderungen an die Behandler.<br />

Vor diesem Hintergrund sahen sich die Bereichsleitung und die<br />

Stationsleitungen der drei Littenheider Psychotherapiestationen<br />

veranlasst, nach wirksamen, störungsspezifischen Behandlungsmethoden<br />

für Borderline-Patienten Ausschau zu halten mit dem<br />

Ziel, diese in das bestehende Behandlungsangebot zu implementieren.<br />

Ein erwiesenermassen effektives, weil klinisch validiertes Behandlungskonzept<br />

für die Therapie von Borderline-Patienten ist<br />

die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) nach Marscha Linehan<br />

(Seattle/USA). Die DBT wurde 1996 von Dr. Martin Bohus<br />

an der Universitätsklinik Freiburg (D) erstmalig für den deutschsprachigen<br />

Raum mit Erfolg adaptiert. Seit Februar <strong>2002</strong> bietet<br />

auch die Stationäre Psychotherapie Littenheid eine Variante dieser<br />

Behandlungsmethode an. Im folgenden soll diese Variante genauer<br />

dargestellt werden.<br />

1. Generelle Ziele des Skillstrainings nach der DBT<br />

Die generelle Zielsetzung des Fertigkeitentrainings ist der Erwerb<br />

und das Training von funktionalen und adaptiven psychosozialen<br />

Fertigkeiten in den folgenden Verhaltensbereichen (Modulen):<br />

● Achtsamkeit für sich selbst<br />

● Stresstoleranz<br />

● Bewusster Umgang mit Gefühlen<br />

● Zwischenmenschliche Beziehungen<br />

Mit Hilfe des Erwerbs und der Anwendung von Fertigkeiten in<br />

den oben genannten Verhaltensmodulen werden die folgenden<br />

spezifischen Therapieziele avisiert:<br />

Das Fördern von:<br />

● Befriedigenden zwischenmenschlichen Beziehungen<br />

● Fähigkeiten zur Regulation von Stimmungsschwankungen<br />

● Spannungs- und Frustrationstoleranz<br />

● Fähigkeit zur Achtsamkeit für sich selbst<br />

Kernstück der stationären DBT ist eine hierarchische Gliederung<br />

der Behandlungsziele:<br />

1. Aufbau von Überlebensstrategien zur Bewältigung suizidaler<br />

Verhaltensmuster<br />

2. Aufbau von aktiver Mitarbeit an der Therapie (Therapiecompliance)<br />

anstelle von therapieschädigenden Verhaltensmustern<br />

3. Befähigung zur ambulanten Therapie<br />

a) Aufbau von Fertigkeiten zur Bewältigung von akutem<br />

ambulanten Problemverhalten<br />

b) Aufbau von Fertigkeiten zur Vermeidung von Hospitalisierung<br />

und Behandlungsverlängerung<br />

Leider bildet der stationäre Behandlungsrahmen für die Zementierung<br />

der erworbenen dysfunktionalen Verhaltensmuster der<br />

Borderline-PatientInnen häufig ideale Bedingungen:<br />

Professionelle Helfer, die auch auf problematische interaktionelle<br />

Muster nicht mit Beziehungsabbruch reagieren, Schutz<br />

vor Alleinsein, verständnisvolle MitpatientInnen, Schutz vor<br />

Leistungsanforderungen, häufig die Bestätigung negativer Selbsteinschätzung.<br />

Gerade weil diese Bedingungen so ideal sind, muss<br />

diese Gefahr von Anfang an benannt werden (Therapieplanung<br />

ist Entlassungsplanung).<br />

Die PatientIn<br />

muss über Lerngesetze,<br />

Verstärker und<br />

den Zusammenhang<br />

zwischen Verhalten,<br />

Konsequenzen und<br />

der Wahrscheinlichkeit<br />

der Wiederho-<br />

Die Fertigkeiten-Trainingsgruppe<br />

ist keine<br />

therapeutische Prozessgruppe,<br />

sondern eine<br />

psychoedukative Gruppe<br />

mit dem Fokus der<br />

Vermittlung von Fertigkeiten.


lung oder Verringerung des Verhaltens (Kontingenzmanagement)<br />

aufgeklärt werden, um so frühzeitig mit ihr zusammen dysfunktionalen<br />

Tendenzen entgegenzusteuern.<br />

● Besprechen von neuen Hausaufgaben für das stationäre Skillstraining<br />

● Wind-down via Achtsamkeitsübung<br />

21<br />

2. Die Behandlungsstrukturen des stationären<br />

Skillstrainings<br />

2.1. Erwerb und Förderung der Skillskompetenz in<br />

der stationsübergreifenden Skillstrainingsgruppe<br />

Ziele der Trainingsgruppe sind die Vermittlung und Einübung von<br />

psychosozialen Fertigkeiten in den Verhaltensmodulen innere<br />

Achtsamkeit, Stresstoleranz, Umgang mit Gefühlen und zwischenmenschliche<br />

Beziehungen. Demzufolge ist die Fertigkeiten-Trainingsgruppe<br />

keine therapeutische Prozessgruppe, sondern eine<br />

psychoedukative Gruppe mit dem Fokus der Vermittlung von Fertigkeiten.<br />

Struktur der Skillstrainingsgruppe<br />

Gruppengrösse:<br />

drei bis maximal acht PatientInnen<br />

Frequenz:<br />

ein Mal pro Woche, jeweils zwei Stunden<br />

Leitung:<br />

zwei in der DBT ausgebildete TrainerInnen aus der Pflege<br />

Modalität:<br />

offene Gruppe<br />

Beginn und Dauer:<br />

je nach Indikation und nach Dauer des stationären Aufenthaltes;<br />

Beginn in der Regel ab Behandlungsphase II (Übertritt in die Therapiephase)<br />

Verlauf der Sitzungen<br />

● Begrüssung/Einstiegsritual: Erklärung der DBT- und Gruppenregeln;<br />

Einstieg via Achtsamkeitsübung<br />

● Evaluation der in der Gruppe vermittelten und auf der Station<br />

angewendeten Skills:<br />

– Besprechung der Hausaufgaben<br />

– Besprechung von Verhaltensanalysen<br />

– Besprechung und Controlling der individuell eingerichteten<br />

Notfall- und Skillskoffer<br />

● Kleine Pause<br />

● Vermittlung von neuen Skills gemäss den individuellen Behandlungsaufträgen<br />

Einrichten von individuellen Fertigkeitentrainings-<br />

Ordnern<br />

Jede PatientIn legt für sich einen individuellen Skillstrainings-<br />

Ordner an.<br />

Inhalt des Ordners:<br />

– Anmeldeformular mit Indikationsstellung und Behandlungsauftrag<br />

– Behandlungsvertrag für die Teilnahme an der Trainingsgruppe<br />

– Grundregeln DBT<br />

– Skills-Arbeitsblätter<br />

– Hausaufgabenblätter<br />

– Verhaltensanalysen<br />

Anmeldung für die Skillstrainingsgruppe<br />

Für die indikations-, ziel- und auftragsgebundene Durchführung<br />

des Skillstrainings ist eine vorgängige, formalisierte Anmeldung<br />

mit der Indikationsstellung und der Auftragsformulierung notwendig.<br />

Die Indikation und die Behandlungsziele werden von der<br />

jeweiligen TherapeutIn der in Frage stehenden PatientIn erstellt.<br />

2.2. Skillstraining auf der Station<br />

Ziele<br />

Die PatientInnen erkennen und problematisieren ihre maladaptiven,<br />

dysfunktionalen und selbstschädigenden Verhaltensweisen<br />

und können diese durch adaptive, funktionale, nicht selbstschädigende<br />

Verhaltensweisen ersetzen, indem sie die ihnen in der Skillstrainingsgruppe<br />

vermittelten Fertigkeiten auf der Station situativ<br />

gezielt und erfolgreich anwenden.<br />

Rolle der PatientInnen<br />

Fokussiert auf ihr Problemverhalten wenden die PatientInnen die<br />

ihnen in der Trainingsgruppe vermittelten Fertigkeiten konsequent<br />

und gezielt an. Dabei greifen sie systematisch auf die Hilfsmittel<br />

ihres individuell eingerichteten Notfallkoffers sowie auf die<br />

Arbeitsblätter ihres Fertigkeitentrainings-Ordners zurück. Dysfunktionale,<br />

selbstschädigende Verhaltensweisen werden über die<br />

Erarbeitung und Auswertung von Verhaltensanalysen problematisiert.


22<br />

Rolle der Pflege<br />

Die pflegerischen Bezugspersonen der betreffenden PatientInnen<br />

begleiten diese bei der Problematisierung dysfunktionaler und bei<br />

der Anwendung und Evaluierung funktionaler Verhaltensweisen.<br />

Bezüglich der Problematisierung dysfunktionalen Verhaltens achten<br />

sie auf die gezielte und vollständige Erarbeitung von Verhaltensanalysen<br />

durch die PatientInnen und evaluieren diese Verhaltensanalysen<br />

gemeinsam mit ihnen (fokussiert auf alternative<br />

Verhaltensstrategien). Die pflegerischen Bezugspersonen unterstützen<br />

die PatientInnen in der Anwendung funktionaler Verhaltensweisen,<br />

indem sie die in der Trainingsgruppe erworbenen<br />

Skills im Rahmen der Verhaltensanalyse abrufen und die PatientInnen<br />

bei der gezielten und korrekten Durchführung ihrer Skills<br />

unterstützen.<br />

Rolle der EinzeltherapeutInnen<br />

Die TherapeutInnen stellen die Indikation und setzen den generellen<br />

Behandlungsfokus für das Skillstraining. Eine wichtige Aufgabe<br />

der Einzeltherapie ist es, die PatientInnen dazu zu motivieren,<br />

ihre Skills anstelle ihrer gewohnten<br />

dysfunktionalen Verhaltensweisen einzusetzen.<br />

Dementsprechend ist es die Aufgabe der<br />

Einzeltherapeuten, eine mangelnde Motivation<br />

der PatientInnen bezüglich des Skillstrainings<br />

therapeutisch zu bearbeiten.<br />

Kommt es im Rahmen des Skillstrainings<br />

zu häufigem therapiestörenden Verhalten<br />

(z. B. Nichterscheinen, häufiges Zuspätkommen,<br />

Verweigerung von Verhaltensanalysen<br />

oder Hausaufgaben), melden die Skillstrainer und pflegerischen<br />

Bezugspersonen dies der EinzeltherapeutIn zurück. Die Verantwortung<br />

für die Bearbeitung von therapiegefährdenden Verhaltensweisen<br />

liegt bei der TherapeutIn.<br />

3. Auswirkungen des neuen Behandlungskonzeptes<br />

für die Arbeitsweise und für das Selbstverständnis<br />

der Pflege<br />

An der Umsetzung des neuen Behandlungskonzeptes ist das Pflegepersonal<br />

massgeblich beteiligt und zu jeder Zeit der Therapie<br />

aktiv eingebunden. Voraussetzungen für diese Art der Arbeit sind<br />

zentrale Annahmen im Selbstverständnis der Pflege. Die Pflege<br />

sieht sich:<br />

Die pflegerischen Bezugspersonen unterstützen die<br />

PatientInnen in der Anwendung funktionaler Verhaltensweisen,<br />

indem sie die in der Trainingsgruppe<br />

erworbenen Fertigkeiten im Rahmen der Verhaltensanalyse<br />

abrufen und die PatientInnen bei der<br />

gezielten und korrekten Durchführung unterstützen.<br />

Zielorientiert: das bedeutet, sich nicht auf Nebenschauplätzen der<br />

PatientIn aufzuhalten, sondern sich an den vereinbarten Therapiezielen<br />

zu orientieren.<br />

Zurückhaltend: in der Einstellung gegenüber der PatientIn, d. h.<br />

Verantwortung zurückgeben.<br />

Validierend: d.h. die PatientIn in ihren Gefühlen und Wahrnehmungen<br />

ernst nehmen, sie darin bestärken, dass ihr Verhalten für<br />

uns nachvollziehbar ist.<br />

Offen: Die Dinge beim Namen nennen, d.h. Selbstverletzungen<br />

sowie Gefühle wie Scham und Hass direkt ansprechen, so dass der<br />

PatientIn die Angst vor dem Ansprechen genommen wird und ihr<br />

gleichzeitig ein Modell geboten wird.<br />

Flexibel: zwar bestehen genaue Strukturen in der Verhaltenstherapie,<br />

was das Vorgehen angeht, im Mittelpunkt stehen aber immer<br />

die individuellen Bedürfnisse, Probleme und Problemlösungen<br />

der PatientIn.<br />

Nicht wertend: d.h. sowohl den Menschen als solchen mit seiner<br />

Borderline-Störung akzeptieren als auch die Situationen, die auf<br />

der Station auftreten und versuchen, mit der PatientIn zu erarbeiten,<br />

was es ihr im Moment schwer macht, Alternativen zu ihrem<br />

Verhalten zu sehen.<br />

Sachlich: mit der Problematik der PatientIn sachlich umgehen.<br />

Direktiv: direktiv arbeiten, d. h. Problemsituationen mit der<br />

PatientIn genau analysieren und auf Alternativen hinweisen.<br />

Ressourcenorientiert: Orientierung an den Ressourcen der jeweiligen<br />

PatientIn, die oft vorhanden sind, aber von vielen PatientInnen<br />

als solche nicht wahrgenommen werden.<br />

Dialektisch: dialektisch mit der PatientIn arbeiten, d.h. die Balance<br />

finden zwischen der Akzeptanz der Situation und gleichzeitigem<br />

Hinweisen auf mögliche Veränderungen.<br />

Aus dieser Haltung und der Umsetzung des oben beschriebenen<br />

Behandlungskonzeptes ergeben sich aufgrund der bisherigen


Erfahrungen unter anderem die folgenden Veränderungen im<br />

Pflegealltag:<br />

● Die Sicherheit im Umgang mit Borderline-PatientInnen ist<br />

spürbar gestiegen.<br />

● Der Umgang mit Selbstverletzungen findet in einem ruhigen<br />

und sachlichen Rahmen statt.<br />

● Das Pflegepersonal erlebt mehr Eigenverantwortung und Partizipationsmöglichkeiten<br />

im Behandlungsplan.<br />

● Der Zeitaufwand für die jeweilige PatientIn wurde auf ein therapeutisches<br />

Mass reduziert.<br />

● Die Beziehung zwischen PatienIn und der pflegerischen Bezugsperson<br />

ist tragfähiger, weil Absprachen von beiden Seiten besser<br />

eingehalten werden, was gleichzeitig eine aktivere Beziehungsgestaltung<br />

seitens der PatientIn bedeutet.<br />

● Die PatientInnen haben mehr Eigenverantwortung für ihre<br />

Handlungen im stationären Rahmen und können ihr dysfunktionales<br />

Verhalten vermehrt alternativ ersetzen.<br />

23


Mathias Erne, Stationsleiter stationäre Psychotherapie, Leiter der Skillstrainingsgruppe<br />

«Hart, hilfreich und einfach genial!»<br />

Ein Interview mit einer Teilnehmerin der Skillstrainingsgruppe<br />

24<br />

Frau Salver (Pseudonym), eine Patientin<br />

mit einer Borderline-Störung, ist seit vier<br />

Monaten in Behandlung auf einer Psychotherapiestation<br />

für junge Erwachsene. Sie<br />

besuchte die Skillstrainingsgruppe regelmässig und steht jetzt<br />

kurz vor ihrem Austritt.<br />

M.Erne: Bewertet auf einer Skala von eins bis zehn, wie hilfreich<br />

war die Skillsgruppe für Sie<br />

Fr.Salver: Sie hat mir total viel gebracht, acht bis neun auf der<br />

Skala.<br />

M.Erne: Wie belastend waren die wöchentlichen, zweistündigen<br />

Gruppensitzungen für Sie<br />

Fr.Salver: Je nach Thema sehr belastend. Auf der Skala auch bei<br />

acht bis neun.<br />

M.Erne: Was waren die schwierigen Themen<br />

Fr.Salver: Vor allem die Themen Selbstverletzungen und Selbstmord.<br />

M.Erne: War Ihnen die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung<br />

vorher schon bekannt, wie gingen Sie damit um<br />

Fr.Salver: Ich erfuhr die Diagnose das erste Mal bei meiner Anmeldung<br />

für die Skillsgruppe. Danach begann ich mich mit dem<br />

Thema auseinander zusetzen. Ich holte mir alles vom Internet<br />

herunter. Mit der Zeit lernte ich die Diagnose zu akzeptieren. Es<br />

ging mir besser dabei, und ich schnitt mich weniger.<br />

M.Erne: Hat die Skillsgruppe Ihnen etwas Besonderes vermittelt<br />

Fr.Salver: Ja, schon, die Skillsgruppe finde ich einfach genial.<br />

M.Erne: Was ist das Spezielle an der Gruppe<br />

Fr.Salver: Einfach in der Gruppe sein. Alle haben etwa die gleichen<br />

Probleme mit Spannungen, die man miteinander austauschen<br />

kann. Fast wie in einer Familie, man fühlt sich nicht so allein. Du<br />

lernst auch zu weinen und zu sagen, es geht mir jetzt wirklich<br />

schlecht, ohne sich schämen zu müssen, weil du weisst, zehn Minuten<br />

später kann es einem Anderen genau so gehen.<br />

M.Erne: Unterscheidet sich die Behandlung in der Skillsgruppe<br />

von den anderen Therapien<br />

Fr.Salver: Ja, in der Skillsgruppe wurde ich herausgefordert, und<br />

zwar aufs Härteste und aufs Tiefste.<br />

M.Erne: Wie empfanden Sie die vielen Gruppenregeln ( Behandlungsvertrag,<br />

Hausaufgaben, Videoaufzeichnung)<br />

Fr.Salver: Sehr hart! Doch ich sagte mir, jetzt musst du das halt<br />

akzeptieren, denn Regeln braucht es. Die Videokamera habe ich<br />

gar nicht so bemerkt, war mir ehrlich gesagt auch egal.<br />

M.Erne: Hat Ihr Therapeut Sie auf die Skillsgruppe oder auf Ihr<br />

Skillstraining angesprochen<br />

Fr.Salver: Es war einmal Thema, als es für mich in der Gruppe mit<br />

Ihnen schwierig wurde, in der Sitzung, wo ich mich von Ihnen<br />

übersehen fühlte.<br />

M.Erne: Was nehmen Sie für Ihren bevorstehenden Austritt mit<br />

von der Gruppe<br />

Fr.Salver: Sehr viel. Ich habe gelernt, mit meinen Gefühlen besser<br />

umzugehen und meine Spannungen besser auszuhalten, was sehr<br />

schwierig ist. Ich habe gelernt, dass es andere Hilfsmittel gibt, als<br />

mich zu schneiden. Und zwar einen ganzen Haufen, nicht nur<br />

zwei oder drei. Ich konnte mir in der Gruppe immer wieder neue<br />

Skills dazuschreiben.<br />

M.Erne: Was aus der Gruppe hilft Ihnen nach Ihrem Austritt, und<br />

wozu hilft es<br />

Fr.Salver: Sicher die ganzen Skills anzuwenden. Wenn ich es nicht<br />

mehr aushalte, mich zu wehren, zu sagen, es geht jetzt nicht mehr,<br />

ich brauche Hilfe, egal, ob zu Hause oder bei der Arbeit oder im<br />

Ausgang. Ich habe die Skillsliste zu Hause aufgehängt. Auch die<br />

Spannungskurve, für meinen Freund, wo ich mit einer Büroklammer<br />

hin und her fahren kann und ihm so meine momentane Spannung<br />

anzeigen kann.<br />

M.Erne: Sie haben Ihren Freund in die Spannungskurve eingeweiht<br />

Fr.Salver: Ja, damit er weiss, woran er ist. Wenn ich bei 50 bin,<br />

kann er mich auffordern spazieren zu gehen, wenn nötig, mit<br />

Steinchen im Schuh.<br />

M.Erne: Er hilft Ihnen also bei der gezielten Anwendung Ihrer<br />

Skills<br />

Fr.Salver: Ja, denn oft bin ich in meinen Gedanken so gefangen,<br />

dass ich mich nur noch schneiden möchte. Ich habe auch viele<br />

Hilfsmittel immer bei mir, den Igelball, die Steinchen im Portemonnaie,<br />

das Tabascofläschchen in der Handtasche, zwei Coldpack<br />

im Eisfach.<br />

M.Erne: Sehr gut! Möchten Sie zum Schluss noch etwas sagen<br />

Fr.Salver: Ich finde die Gruppe toll, und es wäre gut, wenn es das<br />

auch auf anderen Stationen und in anderen Kliniken gäbe. Es<br />

wäre auch gut, wenn ich ambulant in eine solche Gruppe gehen<br />

könnte.<br />

M.Erne: Frau Salver, ich danke Ihnen für Ihre Offenheit und für<br />

Ihren Mut, sich diesen Fragen gestellt zu haben. Ich wünsche Ihnen<br />

einen achtsamen Umgang mit sich und Ihrer Mitwelt.


Dr. med. Pia Ineichen, Oberärztin stationäre Psychotherapie<br />

Jünger werden<br />

«Bericht aus der Werkstatt» der Psychotherapiestation<br />

für junge Erwachsene<br />

Pünt Nord im Frühjahr <strong>2002</strong>. Auf der<br />

Piazza vor dem Haus liegen junge Leute in<br />

der Sonne. Der Tischtennisball klackert<br />

hektisch auf der warmen Platte. Laute Musik<br />

beschallt den Eingang ins Klinikdorf, lässt Ankommende mitwippen<br />

oder gequält das Gesicht verziehen. Versuche, Gespräche<br />

zu führen. Die Stationskatze sucht dazwischen ihr Plätzchen…<br />

Seit einem Jahr behandelt die offene milieutherapeutische und<br />

psychodynamisch orientierte Psychotherapiestation Pünt Nord<br />

mit 20 Betten fast aussschliesslich junge Erwachsene zwischen 18<br />

und 25 Jahren.<br />

Psychotherapiestationen arbeiten mit freiwillig eintretenden<br />

Klientinnen und Klienten, denen die Probleme, die sie zum Aufenthalt<br />

bewogen haben, im Wesentlichen bekannt sind und die<br />

sich im geschützten, aber auch konfrontativen Setting mehrere<br />

Wochen bis Monate mit sich auseinandersetzen wollen. Das Ziel<br />

der Therapie ist es, weniger an Symptomen zu leiden und besser<br />

mit der Umwelt zurecht zu kommen. Unsere Psychotherapiestation<br />

hat ein strukturiertes, gruppenorientiertes Setting und, weil<br />

sie sich als Hausgemeinschaft versteht, feste Vorgaben, die das Zusammenleben<br />

regeln.<br />

In der Adoleszenz – der Begriff wird heute überwiegend für die<br />

Alterstufe von 14 bis 25 Jahre verwendet – sind für junge Menschen<br />

wesentliche Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Dazu gehören<br />

bei allen Adoleszenten u. a.<br />

● Identitätsfindung, -stabilisierung<br />

● Veränderte Körperwahrnehmung<br />

● Ablösung vom Elternhaus und Neudefinition der Eltern-<br />

Kind-Beziehung<br />

● Gestaltung von Beziehungen zu Gleichaltrigen mit Aufnahme<br />

intimer bzw. sexueller Beziehungen<br />

● Hinterfragung der geltenden Werte, in der Folge Entwicklung<br />

eines eigenen erwachsenen Wertesystems<br />

● berufliche Orientierung und Entwicklung von Zukunftsperspektiven.<br />

Bei unseren Patientinnen und Patienten treten Störungen auf, die<br />

mit dieser Lebensphase eng verknüpft sind.<br />

Frau X ist 18 Jahre alt. Seit 4 Jahren versucht sie ihren Wunsch<br />

nach perfekter Identität, genährt aus gesellschaftlichen, familiären<br />

und eigenen Ansprüchen, zu erreichen. Sie ist hübsch, intelligent,<br />

gut angezogen, wirkt viel erwachsener als ihr Geburtsdatum suggeriert.<br />

Aus Angst vor Kritik versucht sie es allen recht zu machen.<br />

Alle Regeln gilt es einzuhalten. Die ständige Frustration, der Idealvorstellung<br />

nicht zu entsprechen, erschöpft sie. Zum Spannungsabbau<br />

und zum Erhalt eines schlanken Körpers isst und<br />

bricht sie mehrmals täglich.<br />

Herr Y ist 18 Jahre alt. Seit 4 Jahren konsumiert er Cannabis in<br />

immer höheren Mengen. Sinnlosigkeit und innere Leere setzen<br />

ihm zu. Er ist hübsch, intelligent und gut angezogen, wirkt jünger<br />

als sein Geburtdatum vorgibt. Regeln gelten ihm nichts, ausser als<br />

Anlass, sich darüber hinwegzusetzen. Seine Regeln definiert er<br />

selbst und eckt damit überall an. Er wird oft wütend, so wütend,<br />

dass er alles kurz und klein schlagen könnte.<br />

Beide Adoleszente kommen nun zur Therapie. Bereits die Voraussetzungen<br />

sind unterschiedlich. Während Frau X aus hohem<br />

Leidensdruck wegen der Essstörung Hilfe sucht, kommt Herr Y<br />

nur auf Druck seiner Umgebung. Er weiss nicht so recht was passiert,<br />

wenn er sich dem Druck nicht anpasst, aber zumindest die<br />

Gefährdung seiner Schullaufbahn ist ihm erkenntlich. Während<br />

Frau X auf der Station freundlich hilfsbereit ihre Therapie aufnimmt,<br />

kämpft Herr Y von Anfang an um Freiheit. Wo wir im<br />

Verlauf der Therapie mit Frau X versuchen sie zu motivieren, eigene<br />

Meinungen zu vertreten, Kritik herauszufordern, ja auch mal<br />

eine unserer Regeln zu brechen und sich mit den Folgen auseinander<br />

zu setzen, stellt Herr Y von Anfang an alles in Frage, was wir<br />

ihm anbieten. Das Verbot Cannabis zu konsumieren wird belächelt<br />

und hintergangen, Konsequenzen werden als ungerechtfertigte<br />

Strafen erlebt. Frau X passt sich an Herrn Y an, der das tut,<br />

was sie vielleicht gerne würde und unterstützt ihn bei Diskussionen<br />

freundlich aber deutlich gegen das Behandlungsteam.<br />

Dieses Beispiel- ein konstruiertes- verdeutlicht das Spannungsfeld,<br />

in dem Therapie von Adoleszenten stattfindet. Als Psychotherapiestation<br />

wollen wir den jeweiligen persönlichen Eigenheiten<br />

der KlientInnen gerecht werden und vielfältiges Wachstum im<br />

Sinne der oben genannten Entwicklungsaufgaben fördern. Wir<br />

haben keine «Normmenschen» zum Therapieziel oder als Idealvorstellung.<br />

Gleichzeitig treten wir klar für unsere Stations- und<br />

Therapieregeln ein. Dabei geraten wir häufig in Elternpositionen,<br />

die, ebenfalls ganz im Spannungsfeld der adoleszentären Situation,<br />

heftig bekämpft werden müssen. Die Gratwanderung, wieviel<br />

Hinterfragung, Entwertung und Regelverstoss im Einzelfall möglich<br />

ist und wo wir als Behandler die Grenzen setzen wollen und<br />

müssen, ist nicht immer einfach. Die z. T. schwerwiegenden Störungsbilder<br />

unserer PatientInnen erfordern häufig rasches Han-<br />

25


26<br />

deln. Die Fähigkeit zur Antizipation der Konsequenzen eigener<br />

Handlungen oder der Verhaltensweisen Anderer sind bei Adoleszenten<br />

oft noch wenig entwickelt. Es braucht viel Unterstützung<br />

im Umgang mit Alltagsanforderungen und Beziehungsgestaltung.<br />

Etwas pointierter ausgedrückt stecken wir in einem fliessenden<br />

Übergang von Psychotherapie – individuell, intrapsychisch und<br />

verstehend orientiert – und Pädagogik – gesellschaftlich, interpersonell<br />

und überindividuell ausgerichtet. Als Behandlungsteam<br />

müssen wir uns deshalb ständig mit unserem jeweiligen Standpunkt<br />

und Blickwinkel auseinander setzen und uns klar werden,<br />

in welchem der beiden Felder unsere Interventionen liegen und<br />

wie wir unseren jungen Patienten gerecht werden können.<br />

Die Behandlung Adoleszenter ist nicht nur «schwierig». Unsere<br />

PatientInnen stehen am Anfang ihres Erwachsenenlebens. Sie sind<br />

in der Regel sehr kreativ, spontan, klug und lebendig. Ihr Hinterfragen<br />

geltender Werte ist von immenser Wichtigkeit. Zunächst<br />

für sie selbst, aber auch für die Gesellschaft, die ohne Wertewandel<br />

und Veränderung in ihrer Entwicklung genauso stecken bleibt<br />

wie das einzelne Individuum. Unsere gemeinsame Arbeit ist anspruchsvoll<br />

und spannend. Fortschritte erleben wir als sinngebend<br />

und als Belohnung für uns alle, PatientInnen und Behandler.<br />

Pünt Nord im Frühjahr <strong>2002</strong>. Frau X isst und bricht deutlich<br />

seltener. Sie erscheint ungeschminkt in der Gruppe und lebt immer<br />

mehr ihre eigenen Bedürfnisse. Regeln gelten immer noch,<br />

aber man kann ja zumindest mal fragen… Herr Y übt sich im Umgang<br />

mit seinen Aggressionen. Innerer Leere versucht er mit neuen<br />

Aktivitäten zu begegnen. Cannabis ist immer noch wichtig. Aber<br />

seit ein paar Wochen einen klaren Kopf zu haben macht auch<br />

Spass, ist ein echter Aufsteller. Und Regeln Na ja, man muss ja<br />

nicht alle verletzen…<br />

Das Behandlungsteam sitzt manchmal mit in der Sonne, klakkert<br />

an der Tischtennisplatte. Regeln Man muss ja nicht immer<br />

alle stur anwenden.<br />

Wir versuchen, als Station unsere Entwicklungsaufgaben wahrzunehmen.<br />

Das Behandlungskonzept wird ständig weiterentwikkelt,<br />

die Stationsidentität tiefer geprägt und gefestigt. Das Personal<br />

mit den unterschiedlichen Berufsbildern setzt sich mit seinen Zukunftsperspektiven<br />

auseinander. Die Station löst sich langsam von<br />

früheren und entwickelt eigene neue Werte, ohne Altes radikal zu<br />

verwerfen. Beziehungen unter den Behandlern und zu den PatientInnen<br />

wollen immer neu gestaltet werden. Nur gut, dass unsere<br />

KlientInnen uns diese Aufgaben immer lebhaft vor Augen halten.


Dr. med. Jürg Wunderwald, Oberarzt stationäre Psychotherapie<br />

Vom Müssen zum Dürfen<br />

In unserem <strong>Jahresheft</strong> 2000 ging es um das<br />

Thema «Zwang und Freiheit: Selbst- und<br />

Fremdbestimmung in der Psychiatrie». Der<br />

Referent ging das Thema damals mit Blick<br />

auf den Patienten an, dem es aus seinem teils selbstverschuldeten,<br />

teils krankheitsbedingten Verlust an Selbstbestimmung gilt, therapeutisch<br />

herauszuhelfen. Es ist einfacher, derartige Defizite bei<br />

Mitmenschen, insbesondere Patienten, aufzuspüren, als bei sich<br />

selber. Nur zu leicht neigen wir professionell Tätigen dazu, sei es<br />

im psychotherapeutischen, sozialen oder pflegerischen Bereich,<br />

unsere Patienten verstehen, ihnen helfen und sie disziplinieren zu<br />

müssen; d.h. es verbirgt sich hinter unserem Helferwillen ein Stück<br />

weit ein moralischer Druck, diese hilfsbedürftiger als wir selbst erscheinenden<br />

Menschen fürsorglich zu belagern. Der Schweizer<br />

Pionier der Milieutherapie, E. Heim, versuchte Mitte der Siebzigerjahre<br />

in der Psychiatrischen Klinik Schlössli in Ötwil am See,<br />

diese alteingesessenen, hartnäckigen kustodialen Strukturen aus<br />

der Anstaltspsychiatrie durch sozio- und psychodynamische<br />

Strukturen in neu zu gestaltenden multiprofessionellen Teams zu<br />

ersetzen. Dabei stützte er sich auf das klassische Konzept der<br />

«Therapeutischen Gemeinschaft». Diese entstand Ende des<br />

2. Weltkrieges in Grossbritannien unter dem Druck des Erfordernisses,<br />

eine grosse Zahl psychisch erkrankter Soldaten zu behandeln.<br />

Der Begriff selbst wurde 1946 von T. F. Main geprägt und<br />

von einer Reihe britischer Autoren, unter ihnen M. Jones,<br />

S. H. Foulkes und W. R. Bion, aufgegriffen. Der Grundgedanke<br />

war, eine Station als ein Gruppenganzes anstatt einer Ansammlung<br />

einzelner verhaltensgestörter Individuen zu betrachten. Dies beinhaltete<br />

eine Reihe von Konsequenzen, insbesondere für die Organisationsstruktur<br />

in der Klinik oder einer Station. «Hierarchie»<br />

wurde dabei als tendenziell hinderlich betrachtet, sie sollte durch<br />

eine horizontale demokratische Struktur ersetzt werden. Die Offenheit<br />

und Durchlässigkeit für Informationen und Gefühle zwischen<br />

den verschiedenen Berufsgruppen galt als förderlich für die<br />

Entwicklung des Gemeinschaftssinnes und ermöglichte in den<br />

Siebzigerjahren die Konzeptualisierung der stationären Psychotherapie,<br />

die um das Beziehungsparadigma der angewandten Psychoanalyse<br />

erweitert wurde.<br />

Diskurs über den freien Willen<br />

Eines unserer grossen Probleme ist die Erkenntnis dessen, was<br />

Freiheit ist. Das Bedürfnis danach scheint im Wachsen begriffen<br />

zu sein, wo es so viele und unterschiedliche Formen äusserer und<br />

innerer Zwänge, aber auch chaotische und widersprüchliche Haltungen<br />

und Meinungen in unserem Zeitalter grenzenloser Informationsmöglichkeiten<br />

gibt. So wird es immer schwieriger, frei zu<br />

denken und Eigensinn zu entwickeln. Wir sind solche Experten<br />

geworden im Zitieren, was andere Leute sagen oder gesagt haben,<br />

dass wir uns nostalgisch an das alte Volkslied erinnern mögen «die<br />

Gedanken sind frei» – wohl wissend, dass wir in unseren Entwikklungs-<br />

und Lehrjahren denken, was uns von den Eltern, von Lehrern,<br />

aus Büchern oder Zeitungen mitgeteilt wurde. Eigenständiges<br />

Denken will also mühsam gelernt sein.<br />

Unser postmodernes Zeitalter ist geprägt durch Verlust an verbindlicher<br />

Moral, Willkür in den Lehrmeinungen, jedoch auch<br />

durch die Herausforderung, bisher unversöhnlich Erscheinendes<br />

in neuen Zusammenhängen zu sehen. So zeichnet sich ein deutlicher<br />

Trend ab, Neurobiologie und Psychoanalyse als komplementäre<br />

Zweige der Humanwissenschaften zu sehen. Auch Neurowissenschaftler<br />

sind sich heute einig, dass das Unterbewusstsein in<br />

letzter Instanz all unser Tun und Lassen lenkt. Das Bewusstsein ist<br />

nur ein Zuträger, ein Ratgeber dabei, wenn auch ein wichtiger. Ein<br />

führender Politiker kann zwar ohne Ratgeber nicht auskommen,<br />

entscheiden tut er jedoch weitgehend «aus dem Bauch heraus».<br />

Ungefähr die Hälfte unserer Eigentümlichkeiten und Fähigkeiten<br />

als Persönlichkeit sind genetisch bestimmt. Weitere etwa 30% werden<br />

geformt durch frühere Konditionierung, d.h. durch Lernprozesse<br />

in den ersten 3 bis 4 Lebensjahren. Das Prinzip ist einfach:<br />

werde ich für ein bestimmtes Verhalten belohnt oder bestraft Bin<br />

ich bedroht, muss ich Angst haben Kann ich zufrieden und zuversichtlich<br />

sein Das Unbewusste merkt sich die Antwort nachhaltig.<br />

Die ersten Lebensjahre, die Beziehung zwischen Eltern und<br />

Kind sind deshalb sehr wichtig. Mit etwa 4–5 Jahren ist unsere<br />

Persönlichkeit in den Grundzügen geprägt. Die übrigen rund 20%<br />

flexiblen Anteile stehen dann bestenfalls für die Entfaltung des<br />

«freien Willens» zur Verfügung. Die eigentlichen Antriebe oder<br />

Ursachen unseres Handelns liegen jedoch weitgehend im Verborgenen.<br />

Das Gefühl von «das will ich jetzt» ist nur die bewusste<br />

Rückmeldung des vorangegangenen unbewussten Abwägens.<br />

Vom Müssen zum Dürfen<br />

Dürfen will gelernt sein. Dies vermittelte uns bereits der Münchner<br />

Volkssänger und Komiker Karl Valentin in einem Brief an<br />

seine Geliebte:<br />

27


28<br />

«Mögen hätt’ ich schon wollen, aber dürfen hab’ ich mich nicht<br />

getraut». Hier ist also ein Basiskonflikt angesprochen, der sich<br />

zwischen den Polen Lust und Last bewegt. Um gleichsam dürfen<br />

zu können, bedarf es eines flexiblen Gewissens, eines reifen Überichs,<br />

im Gegensatz zu unserem archaischen, das vor allem verfolgenden<br />

Charakter hat und uns Strafe androht für den Fall, dass wir<br />

es mit unserem Luststreben übertreiben.<br />

Es ist bemerkenswert, dass das archaische Überich ein Relikt<br />

unseres ältesten Hirnteils aus der Reptilienphase darstellt. Neuerdings<br />

wissen wir auch, dass das Prinzip Belohnung und Bestrafung<br />

ein nachweisbares Substrat in unserem Zwischenhirn (mesolimbisches<br />

System) hat. Dürfen hat also etwas mit erworbener Freiheit<br />

zu tun, die nur dadurch entsteht, dass wir versuchen, uns lernend<br />

von konstitutionellen, anerzogenen und damit verinnerlichten<br />

Zwängen ein Stück weit zu befreien. Der Sozialpsychologe<br />

E. Fromm war es, der sich in einem Buch mit der «Furcht vor der<br />

Freiheit» befasste und die Vision eines Menschen hatte, der im<br />

weitesten Sinne frei für etwas wird und nicht ständig damit zu<br />

kämpfen hat, frei von Anpassungszwängen zu sein. Dies setzt allerdings<br />

einen Menschen voraus, der sich den Anforderungen des Lebens<br />

einpassen kann und nicht Anpassungsleistungen erbringen<br />

muss, die zu seiner Selbstentfremdung führen.<br />

Gerade der Umgang mit Suchtpatienten zeigt, wie diese Menschen<br />

oft zu Fehl-, Schein- und Überanpassung neigen und zu<br />

Drogen greifen, um Schmerzliches aus ihrem Bewusstsein auszublenden,<br />

ihr Gewissen aufzuweichen und damit zu verdrängen. Im<br />

Umgang mit Sucht sind wir Helfer im weitesten Sinne aufgefordert,<br />

unseren eigenen Kopf frei zu machen von verinnerlichten<br />

Doppel-Moralvorstellungen, die wir zur eigenen Entlastung oft<br />

auf unsere Patienten projizieren.<br />

die Motivation des Patienten für eine psychotherapeutische Arbeit<br />

unter Abstinenz und damit Ernüchterung und Enttäuschung in drei<br />

Schritten prozesshaft zu erarbeiten versucht. Motivation also nicht<br />

als Voraussetzung, sondern als Weg. Schon allein diese Vorstellung<br />

gibt Luft und damit therapeutischen Spielraum. So ist die Teilnahme<br />

an einer therapeutischen Gruppe nicht mehr ein Muss,<br />

sondern ein Darf. In einer ersten Phase des Ankommens auf der<br />

Abteilung wird an einem Standortgespräch mit dem Patienten die<br />

Indikation für eine Teilnahme an der therapeutischen Gruppe besprochen.<br />

Nach einer Probezeit wird dann Bilanz gemacht, ob sich<br />

Patient und die Therapiemethode gegenseitig zuträglich sind.<br />

Damit kommt das Prinzip der Bewährung und damit auch der<br />

Qualitätssicherung zum Tragen. Nach dieser zweiten Phase des eigentlichen<br />

Therapieprozesses wird zu gegebener Zeit die Austrittsphase<br />

eingeleitet, die auf die alte oder neue Umgebung vorbereiten<br />

soll. Noch stehen wir am Anfang dieses Paradigmawechsels,<br />

können aber schon jetzt festhalten, dass Müssen auf Betreuer- und<br />

auf Patientenseite mit Zwang und Unlust, Dürfen jedoch mit lustvoller<br />

Selbstentfaltung einhergehen kann.<br />

Vom Müssen zum Dürfen im milieutherapeutischen<br />

Umgang mit Süchtigen<br />

Bereits bei Vorgesprächen mit Suchtpatienten zeigt sich deren<br />

Schwierigkeit mit der Selbst-Motivation. Suchtkranke sind aufgrund<br />

ihrer Struktur eines «falschen Selbst» oft schwer zu beurteilen,<br />

so auch in ihrer Motivation für ein Psychotherapieprogramm.<br />

Alkoholiker neigen in nüchternen Phasen dazu, fromme Bekenntnisse<br />

und Versprechungen abzugeben, auf die wir Betreuer teils<br />

positiv, teils aber aus Erfahrung recht skeptisch reagieren.<br />

So haben wir inzwischen mit Hilfe eines auswärtigen Experten<br />

ein Stufenprogramm für unsere Station Pünt Mitte erarbeitet, das


Sandra Rust<br />

Littenheid: Ein Stück Lebensweg<br />

Als Barbina in der Theaterrolle. Als Sandra Rust in der Lebensrolle.<br />

Verrückt, trotzend, nach dem Verstehen schreiend, pflegt,<br />

hilft und beratet Kinder und Erwachsene, kämpft, liebt.<br />

Vor Littenheid.<br />

Verloren<br />

Das Tram rollt durch die Stadt. Mit mir, einem Haufen Körper,<br />

dessen Seele nicht in diesem Tram mitfährt.<br />

Oder doch<br />

Warum befiehlt sie dem so lästigen, erschlafften Körper nicht auszusteigen<br />

Warum kommt der Tramführer nicht aus seiner Kabine, nimmt<br />

mich in seine starken Arme und führt mich selbstbestimmt an den<br />

Ort, wo ich wieder lerne zu leben<br />

Obwohl ich absolut nicht an das erträgliche, lohnende Leben<br />

glaube. Wie kann ich, wenn die Bedrohung überall tanzt<br />

Wie hier bei der Haltestelle, eine Insel mitten in der Stadt, umzingelt<br />

von lärmenden Autos. Immer in Bewegung verwandeln<br />

sich die rollenden Bleche in<br />

klebrige Monster, die sich<br />

mir immer mehr nähern,<br />

mich hämisch angrinsen<br />

und sich an die Fenster des<br />

Trams drücken und bedrohlich<br />

an das Glas trommeln.<br />

Warum reagiert denn keiner<br />

im Tram. Sehen sie denn<br />

nicht, was ich sehe<br />

Der Film dreht weiter und<br />

weiter, bis ich erschöpft<br />

irgendwo aussteige.<br />

Ich muss zu meiner Freundin, sagt der eine Kopf.<br />

Jahr 2000 und 2001<br />

5 Tage Kriseninterventionsstation Basel: 27.März 2000–1.April 2000<br />

Übertritt nach Littenheid (1. Etappe): 1.April 2000<br />

Austritt: 5.Juli 2000<br />

Beginn 80% Arbeit (normales Arbeitspensum): 6.Juli–26. August 2000<br />

Wiedereintritt Littenheid (2.Etappe): 27.August 2000<br />

Austritt: 8.Dezember 2000<br />

40% krank geschrieben, Arbeitsbeginn: 8.Januar 2001–7.April 2001<br />

Eintritt: Herberge Häutligen 9.April 2001<br />

Austritt und 80% Arbeitspensum: 9.Mai 2001<br />

Ich schaffe das nicht, sagt der andere Kopf. Aber doch, ich muss,<br />

sagt der eine.<br />

Und dann Wo bringt sie mich hin Psychiatrie!<br />

Nein, ich gehöre nicht in eine Nervenanstalt, sagt der eine Kopf.<br />

Aber ich kann nicht mehr, ich muss Begleitung haben, ich kann<br />

nicht mehr Verantwortung tragen, ich bin so erschöpft und verwirrt,<br />

ich, ich,… sagt der andere. Zu Hause liegt seit Wochen ungeöffnet<br />

die Post. Schlaflos sitze ich nachts vor dem Computer<br />

und trinke und spiele bis 5 Uhr morgens, um dann noch 2 Stunden<br />

zu schlafen, bevor ich zur Arbeit gehe. Die Filme erwarten<br />

mich schon überall, beim Klienten, im Auto, im Zug, im Büro.<br />

Aber niemand merkt es mir an… Das ist die Hauptsache…<br />

So sitze ich am Strassenrand, irgendwie, einige Häuserblocks von<br />

meiner Freundin entfernt.<br />

Sie muss kommen und mich finden.<br />

Ich muss gehen und mich finden lassen.<br />

Ich muss finden und gehen.<br />

Das Natel. Ich rede mit mir: Anrufen, jetzt. Ja, drück. Nein. Ein<br />

Druck, gleich Psychiatrie.<br />

Also los, ruf an, sag wo Du steckst.<br />

Nachdem sie mich schon so erfolgreich telefonisch begleitete<br />

und mir aufzählte, was ich packen muss. So, dass meine Köpfe<br />

mich nicht dauernd bearbeiten konnten, dieses oder jenes zu tun<br />

– selbstverständlich waren sie nie gleicher Meinung – und mein<br />

ganzes Sein auseinander rissen und mich in unbewegliche, leere<br />

Erschöpfung zwangen.<br />

Auch zum Bahnhof in Luzern habe ich gefunden und den Zug<br />

nach Basel, dank ihren telefonischen Zusprüchen und Orientierungshilfen.<br />

Und wenn ich dann in Basel sei, meint meine Freundin,<br />

werde sie mich dorthin begleiten, wo ich meinem Psychiater<br />

zugesichert habe, hinzugehen. Auf die Kriseninterventionsstation.<br />

Ich sitze im Zug, der mich ins Verderben, in die grösste meiner<br />

Demütigungen führt. In die Psychiatrie.<br />

Die Verbindung zu meiner Freundin haben wir unterbrochen.<br />

Bis dann, bei mir zu Hause. Bist du sicher, dass du alleine den Weg<br />

findest, fragt meine Freundin fürsorglich.<br />

29


30 Ja, sagt der automatische Kopf. Der aufgelöste Kopf denkt,<br />

nein, ich falle, ich spüre mich nicht.<br />

So sitze ich da am Strassenrand irgendwo in Basel und schaffe es<br />

tatsächlich, mit meinen Finger die eingespeicherte Nummer meiner<br />

Freundin zu drücken.<br />

Dann lief alles. Alles lief. Ich lief nicht. Aber ich rauchte, sah<br />

Das Leben neu erleben<br />

Das Leben<br />

neu erleben<br />

Dem Strampeln ein Ende setzen<br />

Genug vom Irren und Hetzen<br />

Es wird Zeit den inneren Asketen<br />

Fernsehen, lag auf meinem Bett. 5 Tage auf der Kriseninterventionsstation.<br />

Reise und Aufnahmegespräch in Littenheid. Zusage.<br />

mit beten<br />

auf eine harte Probe zu stellen<br />

Packen. Eintritt. Tritt ein, in die unvergessliche Welt der Verrükkten.<br />

sich zu den heulenden Wölfen gesellen<br />

Schützen und staunen<br />

Während Littenheid:<br />

1. Etappe:<br />

Eigenverantwortung, Netzwerke und Schlupflöcher<br />

Hier sitze ich nun, auf der Akutpsychiatrie in Littenheid und versuche<br />

mir bewusst zu werden, wo ich bin, warum ich bin, was ich<br />

bin. Aber so Fragen kann ich gar nicht einordnen, weil ich zu erschöpft<br />

bin, zu verwirrt und gefüllt mit Bildern und Gedanken,<br />

die mir den Boden unter den Füssen wegziehen. Ich habe panische<br />

Angst vor den dauernden Begegnungen, respektive dem Zusammensein<br />

mit den gleichen Menschen. Das löst eine lähmende<br />

Erstarrung in mir aus, wo ich in meine wohlbekannte Welt der destruktiven<br />

Filme flüchte, die nur ich sehe. Ich will weg, aber es<br />

geht nicht. Gegen aussen wirkte ich völlig «normal». Ich strengte<br />

mich an, mich als gut und lieb darzustellen. Das kenne ich schon<br />

viele Jahre und frisst meine ganze Energie auf, weil ich auf verschiedenen<br />

Ebenen gleichzeitig schalte und walte.<br />

Ich schäme mich zutiefst, meinen ArbeitskollegInnen meine<br />

Arbeit auch noch aufzubrummen, wo wir doch gerade soviel zu<br />

tun haben. Ich verurteile und bestrafe mich, dass ich versage. Natürlich<br />

mache ich mir noch vor, dass ich in 2 Wochen wieder<br />

draussen bin und völlig cool und gelassen mein zukünftiges Leben<br />

leben werde. Na ja. Diese Vorstellung nahm einen anderen Lauf.<br />

Auf der akuten Psychiatrie war nichts los. Ein Absitzen, ab und<br />

zu wurden wir eingesperrt, weil wieder jemand sich das Leben<br />

nehmen wollte. Rauchen, Kaffee trinken. Ein bisschen Ergotherapie,<br />

ein bisschen Gruppentherapie und 1–2 Sitzungen beim Psychiater.<br />

Sich alleine für Spaziergänge zu motivieren war schwierig.<br />

Zum Glück wurde ich nach 3 Wochen auf das Pünt Süd, eine<br />

Psychotherapie-Station mit 20 MitbewohnerInnen verlegt. Nachts<br />

ohne Betreuung und das Wochenende verbringt man/frau zu<br />

Hause. Eigenverantwortung. Das ist gefragt hier. Melden wenn du<br />

hinnehmen die wogenden Launen<br />

lieben, jagen, kämpfen<br />

die Emotionen nicht gefiltert dämpfen<br />

Auch ein Bauchkribbeln darf sein<br />

Abschiedstränen im Schein<br />

der Urgewalt der Instinkte vertrauen<br />

auf den Zauber des Zentrums schauen<br />

im Licht der Feuerspucker stehen<br />

auf fruchtbarem Boden gehen<br />

überlieferte Zeremonien tragen das ihre bei<br />

um den stummen Schrei<br />

hörbar zu machen<br />

und achtsam darüber zu wachen<br />

dass die ewige Verlockung nach Schweigen versiegt<br />

weil im Urschrei die eigene Wahrheit liegt.<br />

Littenheid, 5.12.2000<br />

Weitere Gedichte von Sandra Rust finden Sie unter www.littenheid.ch im<br />

Kapitel «Fenster zur Welt»


was brauchst oder wenn es dir nicht gut geht. Tönt gut. Klar schaff<br />

ich doch. Da meldet sich meine destruktive Stimme zu Wort. Du<br />

bist doch zu nutzlos und unkreativ,um das Leben zu managen.<br />

Stell dir vor, soviel Eigenverantwortung zu übernehmen. In deinem<br />

miserablen, verkümmerten Zustand.<br />

Und tatsächlich stellte sich dieser Schritt als grosse Herauforderung<br />

und Hindernis heraus. Die Bezugsperson um Hilfe zu bitten<br />

war alles andere als selbstverständlich und einfach, wenn es wieder<br />

mit mir durchdrehte und die Bilder und Gedanken, die unaufhörlich<br />

auftauchten und nicht enden wollten und mich bedrohten.<br />

Ja, ich habe um Hilfe geschrieen. Aber ich habe so gelernt zu<br />

schreien, dass es niemand hört. Stumm. Das geht wirklich. Ich<br />

habe gehört, wie laut ich schreien konnte, gespürt, wie mein Körper<br />

vibrierte und wie die Augen voller Hoffnung auf die Tür gerichtet<br />

waren. In der stillen Illusion: Diesmal kommt bestimmt jemand<br />

und nimmt mich in die Arme oder schüttelt mich wach.<br />

Denn ich wusste nicht, dass die grusligen Filme, die ich sah, nicht<br />

Realität waren. Und es war sehr schwer für mich, die Filme abzuschalten.<br />

Mit der Zeit lernte ich es selber zu tun, aber anfangs<br />

musste man mich rausreissen aus der Tretmühle und mir zeigen,<br />

wie ich den Abschaltknopf betätige. Ich fühlte mich isoliert und<br />

alleine. Abgeschnitten von allem.<br />

Zu diesem Zeitpunkt des tiefen Abgrundes und Unterganges<br />

meiner selbst, hat mir die Psychotherapiestation viele Auffang-,<br />

Verarbeitungs- und Weiterkommensmöglichkeiten angeboten,<br />

welche punktuell gesehen geniale Unterstützungen waren.<br />

In meinem Dämmerzustand haben die BetreuerInnen und BegleiterInnen<br />

es immer wieder geschafft, an meiner Kreativität und<br />

meiner Haltung zu rütteln. In der Maltherapie z. B. entstanden<br />

Geschichten und Gedichte, durch die Gespräche mit den Bezugspersonen<br />

fand ich immer wieder Mut, trotzdem ja zum Leben zu<br />

sagen oder wir erfanden Rollenspiele, um Themen spielerisch zu<br />

gestalten. Ihre ehrlich gemeinte und mitfühlende Unterstützung<br />

und Geduld gab mir immer wieder das Gefühl, jemand Liebenswerter<br />

zu sein. Obwohl ich immer wieder ihre geduldig wiederholende<br />

Meinung erfolgreich verdrängte. Wir erfanden auch Taktiken,<br />

um die Filme loszuwerden. Ich fand den Mut, wieder zu<br />

malen. Der Psychiater unterstützte mich, die spirituelle Ebene auszuleben,<br />

um so zur Wahrnehmung meiner selbst zu kommen. Mit<br />

einem Wohngenossen von Pünt Süd haben wir ein morgendliches<br />

Meditieren in der Kapelle einige Zeit aufgebaut (Danke Herr Kollege).<br />

Leider fehlen die spirituellen Angebote in Littenheid. In der<br />

Körperwahrnehmung konnten die ganzen Gefühle über den Körper<br />

ausgelebt und erkannt werden. Der Masseur hat für Entspannung<br />

gesorgt. In der Werkstatt konnte die Kreativität und handwerklichen<br />

Ressourcen ausgeschöpft werden, im Sportangebot<br />

wurde heilend geschwitzt. Die Pfarrer boten Gespräche für die<br />

Sorgen der Seelen an. Alle Pünt Süd-Bewohner bewegten mich unbewusst<br />

zum Hinschauen, um an Aktivitäten und der Auseinandersetzung<br />

mit der Gesellschaft teilzunehmen. Danke allen.<br />

Ich möchte kein einziges Gespräch oder Begleitung in jeglicher<br />

Art missen. Alle waren wertvoll, auch wenn ich es in jener Zeit<br />

nicht immer so gesehen habe.<br />

Doch gab es viele Schlupflöcher und Fluchtorte in diesem grossen<br />

Betreuungsnetz.<br />

Wenn eine Therapie etwas Trauriges, Schreckliches oder nicht<br />

Aussprechbares ausgelöst oder aufgerissen hat in mir, war das<br />

Schlupfloch da und hat mich verschlungen. Zum handeln selber<br />

unfähig. Die Eigenverantwortung ein zu hohes Ideal im Moment.<br />

Und ich habe geschrieen. Stumm. Und niemand kam.<br />

Zu häufig gelang es mir mit List oder vor Kummer und<br />

Schmerz, zu fliehen. Mich abzuwenden von der Notwenigkeit der<br />

intensiven Auseinandersetzung mit mir selber. Fluchtorte gab es<br />

viele. In Form von Ablenkungen, indem ich mich mehr auf das<br />

Geschehen der MitbewohnerInnen einliess als auf das eigene.<br />

Bangen um die Borderliner, die sich verletzten. Suchen einer Bulimiekranken,<br />

die sich im Keller hinter die Essensreste macht. Rätseln<br />

und ängstigen um das Verschwinden einer liebgewonnenen<br />

Mitgenossin. Zuhören. Mitleiden. Trösten und gute Ratschläge<br />

geben. Ins Zimmer flüchten. Unter die Bettdecke. 12 Tassen Kaffee<br />

trinken…<br />

Fluchtorte und Schlupflöcher waren überall und häufig.<br />

Mich vergleichen mit anderen war auch ein geliebtes Verhalten<br />

aus dem Schlupfloch heraus. Wenn ich das Gefühl hatte, meine<br />

Zimmerkollegin sei ärmer dran als ich, hatte ich wieder einen<br />

Grund, mich zu bestrafen und verletzen.<br />

Vor allem in der Zeit der Destruktivität und Selbstvernichtung<br />

hätte ich den Wunsch gehabt, engmaschiger betreut zu werden. Das<br />

Netz sollte zu mir kommen – wenn ich stumm schreie; das Netz<br />

sollte mir einen Spiegel vorhalten – mir zeigen wie ich bin: trotzig,<br />

ausgelaugt und gedemütigt; und was am wichtigsten wäre, es sollte<br />

mir von morgens bis abends Aufgaben zum lösen geben – dass es für<br />

mich unmöglich war, vor mir auszuweichen; das Netz sollte sich<br />

vermehrt absprechen – um mir keinen Fluchtweg zu lassen.<br />

31


32<br />

Ich habe mir den Aufenthalt auf Pünt Süd mit diesem Konzept<br />

mehr oder weniger selber gewählt, und ich hätte auch nirgends anders<br />

hinwollen und trotzdem war mir die an mich gestellte Selbstverantwortung<br />

zuviel. Wenigstens in der ersten Etappe auf dem<br />

Stück Lebensweg in Littenheid.<br />

Ein ganz wichtiges und lehrreiches Highlight kurz vor meinem<br />

Austritt war das Theater «Irrgärten: König und Narr» unter der<br />

Regie von Jo Eisfeld, einem Konstanzer Theaterpädagogen. Während<br />

der 2-wöchigen Vorbereitung der Theaterproduktion konnten<br />

alle Beteiligten Erstaunliches erbringen in ihren Rollen. Die<br />

Anforderung war gross, die Doppelrollen zu bewältigen. Einerseits<br />

die Theaterrolle und andererseits die Lebensrolle einer lebensmüden,<br />

selbstzerstörerischen Patientin der Psychiatrischen Klinik in<br />

Littenheid. Aber letztendlich war der Erfolg der Aufführungen<br />

Balsam für die Seele.<br />

Austritt. Nach Hause. 80% arbeiten. Für 6 Wochen reichen die<br />

frisch gewonnen Erkenntnisse und Euphorie aus. Und dann. Der<br />

grosse seelische Schmerz lässt mich nicht in Ruhe. Zerreisst mein<br />

Herz und verwirrt meine Gedanken, dass ich vor Erschöpfung,<br />

Enttäuschung und angefülltem Lebensunwille, wieder in Littenheid<br />

eintrete.<br />

Während Littenheid: 2. Etappe:<br />

Aufwachen<br />

Zu früh bin ich ausgetreten im Juli. Alle haben mir gesagt, ich soll<br />

bleiben. Nun bin ich wieder da. Das Leben war noch zu ungeordnet<br />

in der schnellen Welt.<br />

Zum 2. Mal auf der Akutpsychiatrie wurde mir bewusst, als<br />

sich meine Zimmerkollegin die Pulsadern ankratzte, dass ich Ja<br />

zum Leben sage. Dass ich weg will von der Selbstzerstörung und<br />

lebensverneinenden Haltung. Meine Mitkameradin hat sich bei<br />

mir so gespiegelt, wie ich mich selber verhalte und bin. Und das<br />

hat mich erschreckt, was ich gesehen und gefühlt habe.<br />

Meine ehemaligen Bezugspersonen und mein Psychiater erhörten<br />

meinen flehenden Hilferuf, mich aus der Akutpsychiatrie herauszuholen,<br />

so wechselte ich auf Pünt Süd zurück.<br />

Dort wo man Ja zum Leben sagt. Aber auch da gibt es viele Momente<br />

– und jeder Moment ist zuviel – wo man das Ja anzweifelt,<br />

es davonschleicht und einem einfach so stehen lässt. Alleine. Wertlos.<br />

Sinnlos.<br />

Aber der Lebensfunke war nicht mehr zu löschen. So konnte<br />

ich endlich die Eigenverantwortung wahrnehmen und den Tyrannen<br />

ins Gesicht blicken. Ich lernte, mir Hilfe zu holen für mein<br />

Seelenheil. Ich lernte, mir helfen zu lassen. Ich lernte zu fallen,<br />

und wieder aufzustehen. Ich lernte, nicht zu dramatisieren. Ich<br />

verlernte zu trotzen – und mir selber im Wege zu stehen. Und ich<br />

lernte zu vertrauen – trotzdem. Ich lernte und mir wurde gelehrt.<br />

Ich lernte anzunehmen, dass ich noch viel zu lernen habe.<br />

Ich lernte, meiner Familie zu begegnen und meinem Vorgesetzten.<br />

Ich lernte, mir Gedanken zu machen über meine zukünftige<br />

Wohnsituation und lernte, betreute Wohngruppen anzuschauen<br />

und klar und differenziert zu überlegen, ob ich es mir in diesem<br />

und jenem Wohnheim vorstellen könnte. Ich lernte nicht, mich zu<br />

entscheiden. Die Kündigung der Wohnung ist geschrieben, aber<br />

eine neue Bleibe ist noch nicht in Sicht. Und ich lernte durch und<br />

mit den MitbewohnerInnen. Wir haben gelernt zu singen. Zu Singen<br />

und zwei Konzerte zu füllen mit unseren Liedern, im Kanon.<br />

Wir berührten und motivierten uns gegenseitig, uns aufzuraffen<br />

und uns einzulassen in stundenlanges Üben. Und es war Balsam<br />

für die Seele. Bei dieser Gelegenheit möchte ich all meinen damaligen<br />

«Gspänli» danken für das starke Miteinander und die grossartige<br />

Achtung, die wir uns entgegengebracht haben. Wir haben<br />

viele Velotouren gemacht und sind gejoggt. Der Körper hat seine<br />

Erschöpfung überwunden und die Selbstzerstörung verdrängt.<br />

Der Austritt war soweit. Freude. Tränen des Abschiedes. Aufgefüllte<br />

Seele mit Erwartungen, neuer Lebensbrunst und Respekt<br />

vor dem, was kommen wird. Gewappnet mit Werkzeugen, um bei<br />

jeder misslungenen Handlung sofort eine neu erlernte Überlebensstrategie<br />

zu zücken.<br />

Nach Littenheid<br />

Zu Hause. Fuss fassen.<br />

Die Tyrannen treiben weiter ihr Spiel nach dem Austritt aus der<br />

Klinik. Tyrannen, negative Glaubenssätze, die 2.Stimme in mir<br />

oder was auch immer. Schade, dass ich sie nicht zurücklassen und<br />

einschliessen konnte in einem Safe für Hinterlassenschaften der<br />

Vergangenheit. So euphorisch, aber auch so ungeschützt, nackt<br />

und frisch ausgeschlüpft wie ich mich fühlte, versuchte ich den<br />

verlorenen Alltag zu leben. Einkaufen Kochen Waschen Administrationen<br />

erledigen All diesen Dingen konnte ich mich entziehen.<br />

Ich konnte 6,5 Monate an einen gedeckten Tisch sitzen,<br />

meine Administration mit einem Sozialarbeiter der Klinik erledigen,<br />

mein Zimmer und Badezimmer putzen lassen und meinen<br />

Alltag mit vielseitiger Begleitung strukturieren.


40% Arbeit, 40% krank geschrieben. Was mache ich mit den<br />

restlichen Stunden Sagen wir, ich schlafe 8 Stunden, 4,2 Stunden<br />

Arbeit pro Tag, 1 Stunde Arbeitsweg. Das macht 13,2 Stunden<br />

strukturierte Stunden. Fehlen noch 10,8 wache Stunden. Die es zu<br />

ordnen und zu leben gilt. Glücklich wie ich bin, darf ich noch 1–2<br />

Stunden pro Woche zum Psychotherapeuten.<br />

Die Angst vor dem abermaligen Versagen, dass ich von der Arbeit<br />

und meinem Freundeskreis wegfalle – ausfalle – einfalle – auffalle<br />

ist gross. Diese Faktoren: Überforderung im Strukturieren des<br />

Alltags und Angst sorgten wieder für zunehmenden Energieverlust,<br />

damit mangelnden Selbstvertrauens, und erneut zu Isolation. Der<br />

Teufelskreis ist wieder perfekt. Die kleinen und grossen Entscheide,<br />

die ich treffen musste, trugen das ihre bei zum erneuten Chaos. Ob<br />

ich einen Liter oder einen halben Liter Milch kaufen sollte, wurde<br />

zum Tagesthema stilisiert, bis die Geschäfte abends schlossen und<br />

ich wieder vor einem leeren Kühlschrank sass.<br />

Mit der Erwartung an mich, das Leben nun endlich selber zu<br />

meistern und dem vormachen eines «normalen» Lebens, traute ich<br />

meine Freunde nicht mehr um Hilfe zu bitten, mir Einkaufslisten<br />

zu machen, Listen für «zu erledigen» aufzustellen, Einzahlungen<br />

(resp. Mahnungen) zu erledigen oder mich zu unterstützen, meine<br />

Wohnsituation zu klären.<br />

Die Wohnung war auf den 31. März 2001 gekündigt. Und<br />

nichts Neues in Sicht. Der Gedanke an ein Wohnen in einem<br />

Wohnheim liess mich beelenden, vor allem weil ich ein Zimmer<br />

hätte teilen müssen, oder vor allem chronisch psychisch kranke<br />

Menschen darin hausten und ich mich da nicht einordnen konnte<br />

und wollte.<br />

Ja, die Illusion war da, ein «normales» Leben selbständig gestalten<br />

zu können.<br />

4 Monate profitierte ich von der Kraft und den Erkenntnissen<br />

des 6,5 monatigen Aufenthaltes in Littenheid, bis ich im April<br />

schon wieder mit einem Erschöpfungssyndrom für einen Monat in<br />

die Herberge Häutligen eintrat.<br />

Nach dem Austritt aus der Herberge war mein grösster<br />

Wunsch, von einer neutralen Person zu Hause begleitet zu werden.<br />

So eine Art Spitex für psychisch Kranke, die nach Austritt aus einer<br />

Klinik oder bei wiederholten Lebenskrisen einem intensiv begleitet,<br />

um eventuell einen Klinikeintritt zu vermeiden. Vor allem<br />

um zu lernen, den Alltag in den eigenen vier Wänden und im eigenen<br />

sozialen Umfeld zu gestalten und bewältigen. Es ist eine<br />

grosse Herausforderung für viele meiner MitbewohnerInnen, mit<br />

denen ich heute noch Kontakt habe, zu überleben, bis die eigene<br />

Seele, Psyche und Körper einen Weg gefunden haben, ein Leben<br />

zu leben, ohne dass jeder winzigste Wind einem umstösst. Und das<br />

kann je nachdem Jahre dauern.<br />

Jeder Mensch ist einzigartig. Und alle brauchen verschiedene<br />

Angebote.<br />

Die Psychiatrie war ein Angebot in meinem Leben, um ein<br />

Stück Lebensweg zu beschreiten. Hinterlassen hat es Eindrücke,<br />

die bleiben. Viel Geschehenes muss ich noch verdauen. Ich<br />

möchte all jenen danken, die mich unterstützt haben zu lernen,<br />

verstehen und weiterzukommen und an mich geglaubt haben. Die<br />

Erkenntnisse und Strategien, die ich mit eurer Unterstützung entwickelt<br />

habe, sind mir heute immer wieder eine Hilfe, das Leben<br />

bekömmlicher zu machen.<br />

Und ich möchte der Herberge danken, dass sie mich Aufrichtigkeit,<br />

Aufmerksamkeit und Achtung lehrte, um der Natur und<br />

dem Leben mit offenen Augen und einem geduldigen Herzen täglich<br />

neu zu begegnen.<br />

Ich möchte nicht auslassen, meiner Mutter und meinem Bruder<br />

für die direkte und ehrliche Auseinandersetzung zu danken.<br />

Und dafür, dass wir miteinander wachsen dürfen. Und ich umarme<br />

meine Freunde, die mich begleitet und an mich geglaubt haben.<br />

Jeder und jede auf seine Art.<br />

Jetzt und heute.<br />

Ich lebe auf einem Bio Bauernhof mit einer Freundin zusammen.<br />

Der Kontakt zu der Bauernfamilie, den Tieren, der Natur und<br />

dem natürlichen Fluss des Lebens ist ein Geschenk. Die Tyrannen<br />

sind immer noch meine treuen Begleiter. Doch ich habe gelernt<br />

und lerne immer noch, mit ihnen zu leben. Und ich glaube,das gelingt<br />

mir ganz gut und macht das Leben schön. Immer wieder.<br />

Mai <strong>2002</strong>, Sandra Rust<br />

33


Die Jugend im harten Spannungsfeld<br />

der Gesellschaft.<br />

Werkstattberichte aus der Jugendpsychiatrie


Dr. med. Oliver Bilke, Leitender Arzt Jugendpsychiatrie<br />

Stationäre Psychotherapie bei Adoleszenten –<br />

der Föhrenberg im steten Wandel<br />

Im Haus Föhrenberg wurde die erste jugendpsychiatrische<br />

Station der Klinik Littenheid<br />

im Jahre 1995 eröffnet. Der<br />

Schwerpunkt der Station liegt heute in einem<br />

differenzierten Angebot psychotherapeutischer Behandlungsangebote<br />

auf der Individual-, Gruppen- und Familienebene sowie<br />

der sozialpädagogisch geführten Milieu- und Soziotheapie.<br />

Die stationäre Psychotherapie gehört zu den intensivsten und<br />

aufwändigsten Verfahren in der Psychiatrie und Psychotherapie.<br />

Bei jugendlichen Patientinnen und Patienten kommt zu den aus<br />

dem Erwachsenenalter bekannten multidisziplinären Ansätzen die<br />

Notwendigkeit einer (sozial)-pädagogischen Führung und Begleitung<br />

hinzu.<br />

Eine Psychotherapiestation für Jugendliche ist daher in einem<br />

ständigen internen und externen Austauschprozess, entwickelt<br />

Konzepte und Standards, setzt diese um und reflektiert sie kritisch.<br />

Der Wechsel zwischen Konstanz und Wandel, Konstanz und<br />

Flexibilität, manchmal zwischen Struktur und Chaos gehört zum<br />

spannenden Alltag einer solchen Station.<br />

Die Entwicklung des Föhrenberg<br />

Als erstes jugendpsychiatrisches Angebot der Klinik Littenheid<br />

wurde im Jahre 1995 das Haus Föhrenberg nach Modellen aus Basel<br />

und Tiefenbrunn eröffnet. Seither ist diese Station einer der<br />

anspruchsvollsten Arbeitsbereiche unserer Klinik. Nach einer anfänglichen<br />

Pionierphase mit hohem persönlichen Einsatz aller Berufsgruppen<br />

erfolgte ab 1997 eine Konsolidierung, als es möglich<br />

wurde, deutlich zu akut psychiatrisch kranke Jugendliche in anderen<br />

Stationen der Klinik zu betreuen und ab 1998 mit der Eröffnung<br />

der geschlossenen Akutstation Linde H auch im Jugendbereich<br />

selbst zu versorgen.<br />

Dennoch war das Team des Föhrenberg immer wieder damit<br />

konfrontiert, dass Patientinnen und Patienten aufgenommen wurden,<br />

die das offene und die individuelle Entwicklung fördernde<br />

Klima nicht aushalten konnten und gegen die beziehungsorientierte<br />

und konfliktfreudige Therapiehaltung opponierten.<br />

Erst mit der Eröffnung unserer zweiten offenen Station Linde<br />

G im September 2001 wurde es möglich, den Patientinnen und<br />

Patienten, die aufgrund ihrer Störungsbilder eine stärker verhaltenstherapeutisch<br />

und sozialpsychiatrisch orientierte Station brauchen,<br />

dieses Angebot zu machen. Die permanente Vollbelegung<br />

dieser neuen Station belegt seither eindrücklich den Bedarf.<br />

Der Föhrenberg kann sich seither erstmalig in seiner Geschichte<br />

vollumfänglich seinen «eigentlichen» Aufgaben widmen.<br />

Erfreulicherweise konnte zeitgleich im Herbst 2001 das aktuelle<br />

Leitungstandem bestehend aus dem Stationsleiter Peter Fleischmann<br />

und der Oberärztin Heidi Eckrich etabliert werden, das<br />

jetzt für das tägliche und für das konzeptionelle Geschehen auf der<br />

Station verantwortlich ist.<br />

Aufgabenprofil und Konzeption<br />

Was ist nun der spezifische Auftrag des Föhrenberg im Jahre <strong>2002</strong><br />

Ueblicherweise folgen auf diese Fragen lange Listen von Indikationsstellungen,<br />

wie dies für Kostenträger nötig ist…<br />

Dies wollen wir auch pflichtgemäss tun, viel wichtiger ist aber<br />

die Frage, welche adoleszentären Entwicklungskrisen und Entwicklungsaufgaben<br />

bei uns auf dem Föhrenberg angegangen werden<br />

können.<br />

Diagnosespektrum Föhrenberg:<br />

● Persönlichkeitsentwicklungsstörungen<br />

● Nichtakute Psychosen<br />

● Zwangsstörungen<br />

● Chronifiziertes ADD/H<br />

● Atypische Essstörungen<br />

● Depressive Störungen<br />

● Dissozialität und Aggressivität<br />

● PTSD<br />

● Angststörungen<br />

Wir begleiten Patientinnen und Patienten, die einerseits teils<br />

bis zu vier psychiatrische Diagnosen haben, andererseits aber die<br />

alterstypischen Entwicklungsschritte ebenfalls bewältigen müssen.<br />

Manchmal behindern sich diese Komplexe gegenseitig, manchmal<br />

befruchten sich die jeweiligen Herausforderungen und führen zu<br />

unkonventionellen Lösungen. Im einzelnen begegnen wir häufig<br />

bei folgenden Themen besonderen krisenhaften Zuspitzungen der<br />

Entwicklung:<br />

● Neudefinition des Körperbildes<br />

● Sexuelle Identitätsfindung<br />

● Aggressionsentwicklung<br />

● Erste Drogenerfahrungen<br />

35


36<br />

● Ausbildungsabschluss<br />

● Berufsfindung<br />

● Ablösung vom Elternhaus<br />

● Integration in peergroups<br />

● Ablösung von Helfersystemen und Therapeuten<br />

Diese Entwicklungsaufgaben treffen selbstverständlich auf alle<br />

Menschen zwischen 12 und 18 Jahren zu, sind aber bei unseren<br />

Patientinnen und Patienten oft verzögert, verstrickt, ausgefallen<br />

oder «pseudoautonom» beschleunigt. Damit nicht normale entwicklungspsychologische<br />

Krisen und spezifische krankhafte Störungsbilder<br />

konzeptionell vermischt werden, ist eine standardisierte<br />

Diagnostik für die Therapieplanung um so wichtiger.<br />

Hierzu wenden wir verschiedene Instrumente an, welche die Problematik<br />

und den Erfolg unserer Arbeit abbilden.<br />

Instrumente der Diagnosestellung und Klassifikation<br />

1. MAS/ICD-10<br />

1.1 Psychiatrisches Syndrom<br />

1.2 Teilleistungsstörungen<br />

1.3 Intelligenz<br />

1.4 Körperliche Störungen<br />

1.5 Abnorme psychosoziale Umstände<br />

2. OPD-KJ (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik)<br />

2.1 Beziehung<br />

2.2 Konflikte<br />

2.3 Struktur<br />

2.4 Behandlungsvoraussetzungen<br />

3. YSR/CBCL (Youth Self Report, Child Behaviour Checklist)<br />

4. BADO (Basisdokumentation)<br />

5. FBB (Fragebogen zur Therapiezufriedenheit)<br />

Therapeutische Ansätze<br />

Moderne Psychotherapie integriert in allen Altersgruppen mehrere<br />

Ansätze im Sinne der multimodalen Therapie.<br />

Stationäre jugendpsychiatrische Behandlung komorbider Patienten<br />

stellt in typischer Weise eine multimodale und interdisziplinäre<br />

Herangehensweise an komplexe biopsychosoziale und familiäre<br />

Problemstellungen und Entwickungspathologien dar. Es<br />

sind differenzierte Therapieebenen zu berücksichtigen, die teils<br />

parallel, teils zeitversetzt besondere Wichtigkeit haben.<br />

Die psychotherapeutischen Interventionen, sei es auf Individual-,<br />

Gruppen- oder Familienebene, stehen im Zentrum der<br />

Stationsarbeit. Nach dem Ende sinnloser «Schulenstreits» sind<br />

empfehlenswerterweise, je nach individuellem Störungsbild und<br />

Entwicklungspsychopathologie, die entsprechenden psychotherapeutischen<br />

Strategien anzuwenden. Hier gibt es bei chronifizierten<br />

Patientinnen und Patienten die Besonderheit, dass nicht nur<br />

individuelle oder familienbezogene Interventionen zu planen sind,<br />

sondern auch das gesamte schulische, berufliche oder sonstige private<br />

Umfeld in die therapeutischen Überlegungen mit integriert<br />

werden sollte. Bei bis in das Erwachsenenalter hineinreichenden<br />

Störungsbildern ist die Ausbildungs- und Arbeitsumgebung hierbei<br />

von langfristiger Bedeutung.<br />

Diese theoretischen Standards und Postulate sind allerdings bei<br />

Jugendlichen mit multiplen psychiatrischen Störungen z.B. im<br />

Rahmen einer Persönlichkeitsentwicklungsstörung vom instabilen<br />

oder Borderline-Typus (ICD-10 Nr. F60.3, siehe Fallbeispiel)<br />

nicht immer einwandfrei anzuwenden und es verlangt viel Geschick<br />

und Anpassungsfähigkeit von allen, um den individuellen<br />

Ansprüchen unserer oft schwer traumatisierten Patienten gerecht<br />

zu werden.<br />

Auch wenn ohne individuell geplante Pharmakotherapie bei<br />

vielen Patienten kein wirklicher Behandlungserfolg zu erwarten<br />

ist, so obliegt es doch eindeutig der beziehungs- und lösungsorientierten<br />

Psychotherapie, die vielfältigen Problemkonstellationen<br />

im individuellen, familiären und sozialen Rahmen so aufzuarbeiten,<br />

dass retrospektiv-biographische, gegenwartsorientiertalltagsrelevante<br />

und zukunftsorientierte Aspekte integriert werden.<br />

Im stationären Alltag bilden die psychodynamische Psychotherapie<br />

ergänzt durch störungsspezifische Medikation die Hauptachse<br />

der Behandlungsstrategie, allerdings wegen der erheblichen<br />

Unterschiede in der Schweregradausprägung mit wichtigen Variationen<br />

im Vergleich zu ambulanten Settings.<br />

Die dritte Säule des Föhrenbergs ist die sozialpädagogisch geführte<br />

Milieu- oder Soziotherapie. Der Rahmen einer Therapiestation<br />

ermöglicht auch dem schwer gestörten Patienten, neue<br />

kreative Potentiale zu entdecken und eigene Problemverhaltensweisen<br />

in einer prinzipiell wertneutralen und akzeptierenden Umgebung<br />

zu variieren. Integrierte Sozialkompetenzgruppen, stressreduzierter<br />

Schulunterricht in Kleingruppen, Verhaltensanalyen<br />

und die tägliche pädagogische Reflexionsmöglichkeit im Tagesrückblick<br />

tragen dazu bei, subjektiv chaotisch erlebte und zu-


nächst belastende Situationen neu zu bedenken und im Sinne des<br />

«reframing» als hilfreiche Herausforderung zu erleben.<br />

Fallvignette ( «Maria»)<br />

Nachdem die Kindheit der Patientin als «Sonnenschein» der Familie<br />

verlaufen war, zog sich Maria nach dem Krebstod des Vaters<br />

im Alter von zwölf Jahren immer mehr zurück. Während die Mutter<br />

mittels Aufbau einer eigenen Praxis die Trauer durch Arbeit<br />

verdrängte, verwickelte sich die Patientin zunehmend in eine<br />

Traumwelt aus Fantasy-Romanen, Internet-Chats und Astrologie.<br />

Die Stimmungslage verringerte sich langsam<br />

Eine beziehungs- und lösungsorientierte Psychotherapie<br />

integriert die vielfältigen Problemkonstellationen,<br />

welche auf individueller, familiärer oder<br />

sozialer Ebene bestehen.<br />

und fast unmerklich und auch die Schulleistungen<br />

wurden schlechter, ohne dass dies<br />

bei den Lehrern stärker bemerkt wurde. Erst<br />

als Maria im Alter von 16 Jahren nicht mehr<br />

in der Lage war, am Schulunterricht teilzunehmen,<br />

da sie sich auf keine konkreten Aufgaben mehr konzentrieren<br />

konnte, wurde die Mutter und die nähere soziale Umgebung<br />

aufmerksam. Ambulante Psychotherapieversuche und eine<br />

antidepressive Pharmakotherapie hatten keinen Erfolg und Maria<br />

wurde immer teilnahmsloser. Auffällig war, dass die junge Frau am<br />

Wochenende und insbesondere sonntags erstaunlich aktiv war und<br />

auch mental in besserer Verfassung schien.<br />

Nach der mehrfach verschobenen klinischen Aufnahme zeigte<br />

sich auf dem Föhrenberg zunächst das bekannte häusliche Bild der<br />

Isolation und Zurückgezogenheit, das sich auch durch die Gleichaltrigengruppe<br />

kaum beeinflussen liess.<br />

Nach einigen Wochen der Beobachtung, multiplen Urinkontrollen<br />

und in der Einzeltherapie erfolgtem Vertrauensaufbau berichtete<br />

die Patientin über ihr jahrelanges etabliertes Doppelleben.<br />

Während die Woche in relativer Drogenfreiheit verlief, konsumierte<br />

die Patientin am Wochendende zunächst bei Parties, dann<br />

zunehmend allein kontinuierlich steigende Mengen von Ecstasy<br />

bis zu 10 Tabletten am Tag und zusätzlich Halluzinogene wie LSD<br />

und psylocibinhaltige Pilze («Magic mushrooms»). Diese Kombinationen<br />

verstärkten die Realitätsflucht und liessen die Patientin<br />

den belastenden Alltag vollständig vergessen. Zunehmende Derealisation,<br />

Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, erhebliche Konzentrationsschwankungen<br />

und Motivationslosigkeit prägten dann<br />

auch den monatelangen Therapieverlauf unter zunächst stark kontrollierenden<br />

Bedingungen. Medikamentöse Interventionen blieben<br />

weitgehend erfolglos, allein eine Art Substitution der Designerdrogen<br />

durch SSRI (Antidepressiva) verringerte das Verlangen<br />

nach Ecstasy.<br />

Erst nach kontinuierlicher Entwöhnung und langsamem Realitätsaufbau<br />

mit Hilfe der Bezugsperson konnte die Patientin zu den<br />

zugrundeliegenden familiären und individuellen Traumatisierungen<br />

kommen und diese psychotherapeutisch bearbeiten. Schuldzuweisungen<br />

an die Mutter, Verlassenheitsängste und erhebliche<br />

Aggressivität bis hin zur Suizidalität kamen zum Vorschein und<br />

zur therapeutischen Bearbeitung. Mehrfaches Weglaufen und<br />

Selbstverletzungen konnten das einmal geschlossene therapeutische<br />

Bündnis nicht grundsätzlich stören. Nach 13-monatiger Behandlung<br />

war eine Reintegration in eine neue Schule möglich und<br />

unter regelmässiger antidepressiver Medikation konnte der Übergang<br />

in eine ambulante Therapie realisiert werden.<br />

Ausblick<br />

Die stationäre Psychotherapie steht mit Recht fachlich und gesundheitsökonomisch<br />

auf dem kritischen Prüfstand als langes, aufwändiges<br />

und teures Verfahren. Bei sorgfältiger Indikationsstellung,<br />

ausführlicher Diagnostik und konsequenter Therapieplanung<br />

ist sie aber eine Methode, die weit über eine Symptomheilung hinaus<br />

kreative und gesunde Anteile unserer oft jahrelang körperlich,<br />

sexuell oder seelisch traumatisierten Patientinnen und Patienten<br />

fördert. Da alle Langzeitstudien zeigen, dass eine frühkindliche<br />

Traumatisierung zeitlebens ein schweres Risiko für psychische und<br />

übrigens auch körperliche Krankheiten darstellt, sehen wir es als<br />

unsere vornehme Aufgabe an, mit denjenigen jungen Menschen,<br />

die bereits beim Einstieg in den Lebens- und Arbeitsprozess so<br />

grosse Schwierigkeiten zeigen, in einer förderlichen Umgebung<br />

langfristige innerpsychische und soziale Stabilität aufzubauen, um<br />

später chronifizierte Patientenlebensläufe zu vermeiden.<br />

Katamnestische Nachuntersuchungen unserer Patientinnen<br />

und Patienten sind daher in der Planung und stellen einen neuen<br />

Schritt in der selbstkritischen und selbstbewussten Entwicklung<br />

des Föhrenberg dar.<br />

Es gibt noch viel zu tun!<br />

37


Heidi Eckrich, Oberärztin Bereich Jugendpsychiatrie<br />

Konzept und Entwicklung Station Linde G<br />

38<br />

Aufgrund des hohen Aufnahmedruckes<br />

wurde die Eröffnung einer 3. Station für jugend<br />

psychiatrische Patientinnen und Patienten<br />

geplant. Die Station wurde im Sommer<br />

2001 eröffnet und ergänzt als offen geführte Akutstation die<br />

bestehenden Angebote.<br />

Acht Tage vor Weihnachten 1999 traf sich ein Häufchen engagierter<br />

Mitarbeiter der Klinik Littenheid zum kollektiven Brainstorming.<br />

Sie nannten sich «Projektgruppe Rössli» und setzten<br />

sich interdisziplinär zusammen. In vier Sitzungen (und mit vielen<br />

Hausaufgaben…) entstand ein Grobkonzept. Es galt, eine neue<br />

Station zu konzipieren, die den Aufnahme- und Weitervermittlungsdruck<br />

auf die bestehenden Jugend-Stationen Föhrenberg<br />

und Linde H sowie auf die unterstützenden<br />

Erwachsenen-Aufnahmestationen<br />

erleichtern<br />

und gleichzeitig ein neues, anderes Setting<br />

bieten sollte. Der damalige Konzeptentwurf<br />

sah eine Rehabilitations-Station mit<br />

längerfristiger Intensivbetreuung chronifizierter Störungen vor bei<br />

geplanter Mindestaufenthaltsdauer von 1–2 Jahren und einer<br />

Gruppengrösse von 6–8 Personen. An Ausschlussdiagnosen wurden<br />

zu diesem Zeitpunkt u. a. Borderline-Störungen, schwere<br />

Selbstverletzung und akutpsychiatrische Krankheitsbilder genannt,<br />

ebenfalls nicht vorgesehen waren eine Assistenzarztstelle<br />

sowie mehr als 20% Oberarzt-Betreuung. Drei Monate später<br />

zeigte sich unter Einbezug der Klinikleitung rasch, dass ein so anspruchsvolles<br />

Projekt nicht realisierbar sein würde, dass aber eine<br />

Erweiterung der Kapazitäten für akute Behandlungen aufgrund des<br />

Versorgungsauftrages für die Kantone Thurgau, Schwyz und Zug<br />

und des hohen Aufnahmedruckes im Bereich Jugendpsychiatrie erforderlich<br />

war. Die Errichtung einer psychiatrisch unterstützten<br />

Wohngruppe wurde deshalb zurückgestellt.<br />

Bei konstantem Aufnahmedruck und mit neuem Personal startete<br />

im Oktober 2000 die «Projektgruppe Linde G», nun unter Federführung<br />

von O. Bilke und U. Gasser, den Bereichsleitern Jugendpsychiatrie,<br />

unter Einbezug der neu eingestellten Oberärztin<br />

S. Kühnel. Konzipiert wurde eine offene Akutaufnahmestation<br />

mit 12–14 Betten. Der Umbauauftrag ging an das Architekturbüro<br />

Peter Jäger in Wil, die Fertigstellung wurde für Ende August<br />

2001 terminiert. So geschah es, am 31.8.01 war interne und am<br />

20.9.01 die offizielle Eröffnungsfeier. Dazwischen gab es mancherlei<br />

Überraschungen, die aber allen nur neuer Ansporn war.<br />

Sukzessiver Aufbau und Teamentwicklung<br />

Gestartet wurde mit vier Jugendlichen und noch nicht vollständigem<br />

Team. Trotz allen Versuchen, den Dingen vorausschauend zu<br />

begegnen, gab jede Erhöhung der Patientenanzahl, auch jede Erweiterung<br />

des Teams immer wieder neue Bewegung, manchmal<br />

auch kleinere «Erdbeben». Interessante Phänomene am Rande waren<br />

dabei der Übergang von «den Patienten» zur «Patientengruppe»,<br />

die gleichbleibende Länge der Besprechungszeiten des<br />

Teams und Verhaltensänderungen einzelner Jugendlichen durch<br />

ihre neue Position innerhalb der sich wandelnden Gruppe.<br />

Die Erweiterung des Teams durch das Hinzukommen von<br />

Ober- und später Assistenzärztin erforderte jedesmal einen Adaptationsprozess<br />

des Einzelnen und der Gruppe. Hier zeigt sich die<br />

Die Interdisziplinarität des Teams mit Fachkräften<br />

verschiedenster Berufsgruppen erfordert ein hohes<br />

Mass an Kommunikationskultur.<br />

Teamsupervision als enorm wichtig und hilfreich, wiewohl – nicht<br />

zuletzt durch weitere Personalmutationen – der Prozess noch nicht<br />

als abgeschlossen gelten kann. Auch die Multi-Nationalität<br />

(Schweiz, Deutschland, Österreich, Tibet, Portugal, etc.) und<br />

Interdisziplinarität (Psychiatriefachpflege, Krankenpflege, Sozialpädagogik,<br />

(Kleinkind-) Erzieher, Lehrer, etc.) erfordern ein hohes<br />

Mass an Kommunikationskultur beim Einzelnen. Ein grosser Verdienst<br />

liegt hier bei der unermüdlichen Stationsleiterin Phüntsok<br />

Dahortsang, die selbstkritisch Verbindlichkeiten zu erzeugen und<br />

für ein offenes Klima zu sorgen weiss.<br />

Cui bono<br />

An wen richtet sich nun das Behandlungsangebot der Linde G<br />

Wem will sie und wem kann sie nützen<br />

Aufgenommen werden Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren<br />

beiderlei Geschlechts. Voraussetzung ist eine psychiatrische<br />

oder psychosomatische Behandlungsbedürftigkeit, der nicht oder<br />

nur ungenügend im ambulanten oder teilstationären Rahmen<br />

entsprochen werden kann. Folgende Hauptindikationen sind zu<br />

nennen:<br />

● Suizidalität<br />

● Psychosen<br />

● Misshandlungen und posttraumatisches Stress-Syndrom<br />

● depressive Zustandsbilder


● Persönlichkeitsentwicklungsstörungen<br />

● Angststörungen<br />

● Zwangsstörungen<br />

● Hyperkinetische Syndrome<br />

● Psychosomatosen<br />

Folgende Angebote bestehen:<br />

● Kriseninterventionen (sofern ein offener Rahmen vertretbar ist)<br />

● Diagnostik und Abklärung bei unklaren Zustandsbildern und<br />

Verhaltensstörungen<br />

● mittel- und längerfristige Therapie und Wiedereingliederung<br />

● Begutachtungen im Auftrag der Jugendanwaltschaften und<br />

Vormundschaftsbehörden<br />

Absolute Kontraindikationen für eine Aufnahme auf Linde G sind<br />

ausschliesslich schwere Verwahrlosung und Dissozialität, gravierende<br />

Minderbegabung sowie manifeste, im Vordergrund stehende<br />

Substanzabhängigkeit.<br />

Diagnoseunabhängige Kriterien ergeben sich aus dem Pflichtversorgungsauftrag,<br />

den Linde G für die drei Vertragskantone<br />

Schwyz, Zug und Thurgau wahrnimmt. Eine ausserkantonale Versorgung<br />

nebst den genannten Vertragskantonen ist bei dem derzeitig<br />

hohen Aufnahmedruck auch bei Vorliegen einer Kostengutsprache<br />

nur selten möglich, oft nur in Ausnahmefällen, wenn eine<br />

gute Zusammenarbeit mit Vormundschaftsbehörden und den im<br />

betreffenden Kanton zuständigen Erwachsenenpsychiatrien und<br />

Kinder- und Jugendpsychiatrischen Diensten einen planbaren<br />

Eintrittstermin und eine Verkürzung des Aufenthaltes ermöglicht.<br />

Behandlungskonzept<br />

Konzept ist ein integrativer systemisch-lösungsorientierter, verhaltenstherapeutischer<br />

und medizinischer Ansatz, gemäß «biopsycho-soziologischen»<br />

Erklärungsansätzen bzgl. der Entstehung<br />

psychischer Erkrankungen. Soweit evidenzbasierte Methoden vorliegen,<br />

kommen diese zum Einsatz, wobei dies vom jeweiligen<br />

Stand der Forschung und Klinik abhängt. Ein intensiver Einbezug<br />

der Familie ist – je nach Entwicklungsstand des Jugendlichen – ein<br />

zentraler Baustein der Therapie, die durchschnittlich drei (1–6)<br />

Monate dauert. Das Behandlungsangebot umfaßt verschiedene<br />

Formen der Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch<br />

fundierte Gesprächstherapie etc.), Gestaltungs- und<br />

Bewegungstherapien, medikamentöse Behandlung, milieutherapeutische<br />

Elemente, Tagesstrukturen, Beschulung sowie Sozialund<br />

Berufsberatung.<br />

Eine ambulante Nachbehandlung wird übergangsweise angeboten,<br />

bis eine Anbindung an externe Dienste möglich ist.<br />

Weiterentwicklungen<br />

Nach dem einwöchigen, komplikationsfreien und von allen Beteiligten<br />

als sehr positiv wahrgenommenen Skilager im März <strong>2002</strong><br />

der fast kompletten Station Linde G stellte sich das Team – nicht<br />

ganz zu Unrecht – die Frage, was die Jugendlichen denn eigentlich<br />

wirklich und zentral therapeutisch bräuchten.<br />

Die Psychopharmakotherapie blieb bei dieser kritischen Diskussion<br />

aussen vor, da eine konsequente Weiterführung auch in<br />

diesem Rahmen erfolgte und als Grundlage für die Durchführungsmöglichkeit<br />

dieser Unternehmung zu sehen war, wiewohl<br />

durchaus eine Reduktion der benötigten Reserve-Medikation verzeichnet<br />

wurde. Tagesstruktur und professionelle, ungewöhnlich<br />

zeitintensive Zuwendung seitens des interdisziplinären Betreuungspersonals<br />

sowie Gruppenaktivitäten in den Bereichen Sportund<br />

Freizeitgestaltung als Elemente der sogenannten Milieu-Therapie<br />

waren vorhanden. Entspannung brachte die Abwesenheit<br />

von Anforderungen des Alltags wie z. B. Schule oder Ausbildung.<br />

Diesem kurzfristigen Erlebnis- und Entlastungs-Phänomen<br />

muss natürlich im stationären Alltag anderweitig und mit den<br />

Austritt überdauernden Methoden nahe zu kommen versucht werden.<br />

Hier gibt es noch viel zu tun.<br />

In eigener Sache – ein Dank!<br />

Ich bin als Oberärztin im Oktober 2001 dazu gestossen, neu in<br />

meiner Rolle in einem neuen Team auf einer neuen Station in einem<br />

«neuen» Land. Nicht gerade ein junger Hase im Fach, sehr<br />

wohl «neugierig», aber nach zwei Jahren selbständiger und alleinverantwortlicher<br />

Ambulanz- und Praxistätigkeit gewohnt, rasch<br />

und vorwiegend als einzige Entscheidungsträgerin zu handeln. Sicherlich<br />

nicht leicht für ein noch im Aufbau und Selbstfindungsprozess<br />

befindliches Team so jemanden «einzubremsen», der noch<br />

nicht einmal die Sprache beherrscht… Meine innere Ungeduld<br />

liess mich oft schweigen, was – entgegen dem Sprichwort – in einem<br />

Team nur Silber ist. Nicht nur deswegen möchte ich dem<br />

Linde G-Team und der Bereichsleitung an dieser Stelle danken,<br />

mich sehr persönlich aufgenommen und mir die Chance gegeben<br />

zu haben, mich zu integrieren.<br />

39


Individuelle Angebote für den<br />

alternden Menschen.<br />

Werkstattberichte aus der Alterspsychiatrie


Dr. med. Jokica Vrgoc-Mirkovic, Leitende Ärztin Gerontopsychiatrie<br />

Wie viel Entwicklung verträgt die<br />

Alterspsychiatrie heute<br />

Die Behandlung älterer Menschen hat sich<br />

in den letzten Jahren durch neue medizinische<br />

Erkenntnisse und die entsprechenden<br />

therapeutischen Angebote sowie einem erweiterten<br />

Behandlungsnetz ambulanter, teilstationärer und stationärer<br />

Betreuungsdienste stark verändert. Es gilt, diese dynamsiche<br />

Entwicklung in die bestehenden therapeutischen Angebote zu<br />

intergrieren.<br />

Der Alterungsprozess<br />

verläuft sehr individuell,<br />

es lassen sich deshalb<br />

auch keine allgemeingültigen<br />

Aussagen zu einheitlichen<br />

Kriterien des<br />

Altwerdens formulieren.<br />

Demographische Entwicklung<br />

Der demographische Wandel in der Bevölkerungsstruktur westeuropäischer<br />

Länder ist unübersehbar. Innerhalb der letzten 100<br />

Jahre hat sich die Lebenserwartung der Menschen etwa verdoppelt.<br />

1890 lag die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen<br />

bei 39 und für Männer bei 36 Jahren. Heute hat eine 60-jährige<br />

Frau statistisch gesehen weitere 22 Jahre, ein gleichaltriger Mann<br />

noch 17,5 Jahre zu leben. Durch die Verbesserung zahlreicher Faktoren<br />

wie z. B. der hygienischen Bedingungen und der Entwikklung<br />

von Impfstoffen erfolgte einerseits eine deutliche Abnahme<br />

der Kindersterblichkeit, zum andern haben der Aufbau eines modernen<br />

medizinischen Behandlungssystems und der Anstieg des<br />

allgemeinen Lebensstandards eine deutliche Verringerung der<br />

Krankheits- und Sterberisiken im Erwachsenenalter bewirkt. Mit<br />

der zunehmenden Lebenserwartung verändert sich gleichzeitig die<br />

Ehedauer, so dass immer mehr Paare die Möglichkeit haben, ihre<br />

«goldene Hochzeit» zu feiern und auf eine 50-jährige Zweisamkeit<br />

zurück zu blicken.<br />

Diese Tatsachen nehmen wir meistens zur Kenntnis, ohne uns<br />

zugleich mit der Frage auseinander zu setzen, inwieweit uns diese<br />

Entwicklung selber betreffen wird. Natürlich werden wir jeden<br />

Tag, jede Woche, jedes<br />

Jahr älter, dazu<br />

müssen wir nichts<br />

beitragen – älter werden<br />

wir von selbst<br />

und «alt» sind im<br />

Zweifelsfall eher die<br />

anderen. In einer klinikinternen<br />

Umfrage<br />

unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wie sie sich ihr eigenes<br />

Alter nach dem 65. Lebensjahr vorstellen, berichteten sie über<br />

ihre zahlreichen Wünsche und Ideen wie Reisen, Bücher lesen,<br />

Freunde besuchen. Erstaunlicherweise wurden fast ausschliesslich<br />

positive Erwartungen an das eigene Alter geäussert. Im Gegensatz<br />

zu unserer persönlichen Erwartungshaltung ist unser «Bild» älterer<br />

Menschen oft durch negative Vorstellungen geprägt, die unsere eigenen<br />

Erfahrungen mit Vertretern einer älteren Generationen<br />

spiegeln, zum Beispiel den Grosseltern, und diese früheren Erfahrungen<br />

werden auf die heutige Situation übertragen.<br />

Altwerden beinhaltet sehr viele positive Aspekte wie:<br />

● über viele Erfahrungen und Kenntnisse verfügen<br />

● mit Freude und Stolz auf die Vergangenheit zurückblicken<br />

● Freizeit geniessen<br />

● Zeit für Partnerschaft und Beziehungen haben<br />

● Hobbys ausbauen und pflegen («endlich Zeit für mich»)<br />

● keine finanziellen Sorgen mehr haben<br />

● häufiger Ferien machen können, usw.<br />

Das Älter werden – ein individueller Prozess<br />

Der Alterungsprozess verläuft sehr individuell, es lassen sich<br />

deshalb auch keine allgemeingültigen Aussagen zu einheitlichen<br />

Kriterien des Altwerdens formulieren. Viele Faktoren wie die biologischen<br />

Veränderungen, die seelische Befindlichkeit und Entwicklung,<br />

soziale und familiäre Beziehungen und die Integration<br />

in die Gesellschaft ermöglichen verschiedenste Entwicklungsverläufe.<br />

Auch äussere Kriterien wie der Übertritt in den Ruhestand<br />

sind von Land zu Land sehr verschieden, in der Türkei erreicht<br />

man das Rentenalter mit 55 Jahren, hingegen bei uns erst mit 63<br />

oder 65 Jahren.<br />

Strukturelle und konzeptuelle Änderungen in den<br />

psychiatrischen Kliniken<br />

In den 90er Jahren fand in vielen psychiatrischen Kliniken eine<br />

Bettenreduktion auf den Stationen der Gerontopsychiatrie statt,<br />

in dem Patienten in Altersheime oder in neu geschaffene Wohnheime<br />

verlegt wurden. Dadurch reduzierte sich ein spezialisiertes<br />

Behandlungsangebot und es wurden nur noch in wenigen Kliniken<br />

dem Alter angepasste, differenzierte Therapiekonzepte entwickelt.<br />

Dies steht in Widerspruch zur demographischen Entwicklung<br />

und könnte den Eindruck erwecken, als ob ältere<br />

Menschen psychische Belastungen wie den Verlust des Ehepartners,<br />

Trennung von den Kindern, Pensionierung mit Verlust des<br />

Selbstwertgefühles und damit verbundenen finanziellen Einbus-<br />

41


42<br />

sen, zunehmende körperliche Einschränkung und Krankheiten<br />

ohne fachliche Betreuung meistern können oder müssen. Auch ältere<br />

Menschen stellen oft sehr hohe Ansprüche an sich selbst und<br />

schämen sich, wenn sie psychotherapeutische Hilfe beanspruchen<br />

müssen.<br />

Wie sieht die Entwicklung der Gerontopsychiatrie<br />

in der Klinik Littenheid aus<br />

Von den 4 Stationen des Bereiches Gerontopsychiatrie haben die<br />

Stationen Park B und Waldegg C einen Behandlungsauftrag mit<br />

Schwerpunkt Krisenintervention und Therapie. Im Alltag werden<br />

wir mit zwei verschiedenen Altersgruppen konfrontiert: Ältere,<br />

häufig multimorbide und demenzkranke Patienten, die ein niederschwelliges<br />

Therapieangebot benötigen (Waldegg C) sowie jüngere<br />

Patienten, die Anspruch auf eine differenzierte psychotherapeutische<br />

Behandlung (Park B) erheben. Die unterschiedlichen<br />

Konzepte und Therapieangebote der Stationen ermöglichen individuell<br />

angepasste und attraktive Therapieangebote für Menschen<br />

in der zweiten Lebenshälfte.<br />

Die zwei Stationen Waldegg A und Waldegg B bieten längere<br />

Behandlungen im Sinne der Akut-Rehabilitation mit unterschiedlichen<br />

milieutherapeutischen Schwerpunkten. Beide Stationen integrieren<br />

ressourcenorientierte, verhaltenstherapeutische Prinzipien<br />

mit dem Ziel der persönlichen Stabilisierung.<br />

Dank grösseren baulichen Anpassungen, welche mit der<br />

Wiedereröffnung des Hauses Waldegg im Herbst 2000 abgeschlossen<br />

wurden, bieten auch die Gemeinschaftsräume und Patientenzimmer<br />

der Stationen eine optimal angepasste Infrastruktur<br />

mit einem gehobenen Wohnkomfort.<br />

Unsere täglichen Erfahrungen und die wertvollen Rückmeldungen<br />

unserer Patientinnen und Patienten veranlassen uns, die<br />

bestehenden Konzepte laufend zu überprüfen und anzupassen.<br />

Über diesen normalen Entwicklungsprozess<br />

hinaus haben wir eine interdisziplinäre Projektgruppe<br />

gebildet, welche sich in den Die unterschiedlichen Konzepte der Stationen<br />

nächsten Monaten Gedanken über eine moderne<br />

zukünftige Altersversorgung macht. attraktive Therapieangebote für Menschen in<br />

ermöglichen individuell angepasste und<br />

Wir suchen nach Antworten zu Fragen nach der zweiten Lebenshälfte.<br />

den zukünftige Anforderungen an eine stationäre<br />

Behandlung, der Rolle der beteiligten Berufsgruppen, die<br />

Aufgabenteilung zwischen ambulanter, teilstationärer und stationärer<br />

Behandlung und die möglichen Konsequenzen zur Mitarbeiterrekrutierung<br />

und -schulung. Denn wie sich die Lebensgestaltung<br />

und die Bedürfnisse älterer Menschen geändert haben<br />

und auch weiterhin ändern werden, so müssen sich auch die Behandlungsangebote<br />

nach diesen Wünschen und Erfordernissen<br />

richten.<br />

Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass das Entwicklungspotential<br />

und die Entfaltungsmöglichkeiten älterer Menschen sehr<br />

gross sind. «Das Alter gleicht dem Übergang vom Tag zur Nacht.<br />

Wer sich im Halbdunkeln bewegen will, muss lernen, verschiedene<br />

Grautöne zu unterscheiden. Wer sich an die Dunkelheit gewöhnt<br />

und sein Bewegungstempo auf die Dunkelheit abgestimmt<br />

hat, macht die Erfahrung, dass die Finsternis nicht absolut und<br />

lähmend ist, sondern dass die Dunkelheit zu leben beginnt. Im<br />

Dunkeln werden dabei Erlebnisse ermöglicht, die im grellen Tageslicht<br />

übersehen werden. Sie verleihen der Dunkelheit – ähnlich<br />

wie dem Alter – einen einmaligen Reiz.» (Goldbrunner 1994)


Anna Guadagnini, Aktivierungstherapeutin Gerontopsychiatrie<br />

Zeitenwandel konkret<br />

Die Anforderungen an die Aktivierungstherapie<br />

haben sich in letzter Zeit geändert, gefragt<br />

sind heute mehr kreative und individuellere<br />

Therapieformen.<br />

Die Aktivierungstherapie (AT) in Littenheid hilft Menschen in<br />

der zweiten Lebenshälfte, indem sie ihre sozialen, geistigen und<br />

körperlichen Ressourcen unterstützt und fördert. Mit ausgewählten<br />

und angepassten therapeutischen Mitteln und Aktivitäten<br />

richtet die AT ihr Augenmerk auf die vorhandenen Fähigkeiten<br />

der Patientinnen und Patienten. In gezielten Einzel- und Gruppentherapien<br />

trägt die AT so zur Erhaltung und Förderung der<br />

Lebensqualität bei. In verschiedenen Gruppenangeboten werden<br />

beispielsweise Malaktivitäten, handwerkliche Arbeiten oder Themengruppen<br />

durchgeführt. Doch je länger je<br />

mehr ist ein Wandel in den Bedürfnissen<br />

und Gewohnheiten unserer Patientinnen<br />

und Patienten festzustellen. Genügten die<br />

obengenannten Aktivitäten, um die ältere<br />

Generation, ich möchte sie mit «Kriegserfahrungsgeneration»<br />

bezeichnen, zu beschäftigen<br />

und dadurch zu aktivieren, so ist unser heutiges Klientel anspruchsvoller<br />

und verlangt einen anderen und manchmal auch<br />

ganz individuellen Zugang.<br />

Ein Beispiel aus den Malgruppen soll dies verdeutlichen: Einen<br />

Blumenstrauss auf dem Tisch abzuzeichnen galt bei den früheren<br />

Patienten als gelungen, wenn er möglichst originalgetreu auf dem<br />

Blatt Papier wieder zu erkennen war. Demgegenüber werden Äpfel<br />

heute auch schon als gelungen betrachtet, wenn sie violett auf<br />

dem Blatt leuchten. Man könnte diese Tendenz als Wechsel in der<br />

Wahrnehmung vom «Haben» zum «Sein» bezeichnen.<br />

Ein ausdrucksstarkes Bild, welches vermehrt auch abstrakt gemalt<br />

wird, kann uns Therapeutinnen häufig als Anknüpfungspunkt<br />

dienen für Gespräche über Lebenserfahrungen und<br />

Gewohnheiten unserer Patienten. In dieser folgerichtigen Entwicklungsrichtung<br />

entstehen immer wieder neue gruppentherapeutische<br />

Angebote wie Malen mit verschiedenen Techniken<br />

(Kohlemalen, Nass-in-nass, Stimmungs- oder Ausdrucksmalen<br />

etc.), Gedächtnistraining (neudeutsch als Hirnjogging bezeichnet)<br />

oder auch Poesiegruppen (Auseinandersetzen mit diversen Literaturformen<br />

oder gar selber Gedichte oder Texte entwickeln). Diesen<br />

Wechsel kann man auch erkennen bei Garten- und anderen<br />

manuellen Arbeiten. Man hört auch schon die Bemerkung wie<br />

«ich habe das ganze Leben gearbeitet und jetzt soll ich wieder im<br />

Garten arbeiten oder stricken» Bei den früheren Generationen<br />

war hingegen durch die Aktivierung von ehemals gut bekannten<br />

manuellen Fertigkeiten eine gewisse Befriedigung erkennbar im<br />

Sinne von «ich fühle mich noch sinnvoll und gebraucht hier» oder<br />

«ich kann doch noch etwas machen».<br />

Die neuen Anforderungen unterstreichen je länger je mehr die<br />

Notwendigkeit der Professionalisierung im aktivierungstherapeutischen<br />

Bereich. Diesem Wandel hat sich auch die Klinik Littenheid<br />

gestellt und als schönes äusseres Zeichen dafür können wir<br />

unsere Angebote seit gut einem Jahr in zweckmässig umgebauten<br />

und renovierten Räumlichkeiten durchführen. Unsere Lokalitäten<br />

sind jetzt alle rollstuhlgängig (inkl. WC) und die übersichtlichen,<br />

Ein ausdrucksstarkes Bild, welches vermehrt auch<br />

abstrakt gemalt wird, kann uns Therapeutinnen<br />

häufig als Anknüpfungspunkt dienen für Gespräche<br />

über Lebenserfahrungen und Gewohnheiten<br />

unserer Patienten.<br />

hellen und grossen Räume lassen eine warme Atmosphäre aufkommen.<br />

Die grösser gestalteten Räume gestatten es uns, auch die<br />

individuellen Therapieplätze grosszügiger zu bemessen und dadurch<br />

besser auf die einzelnen Personen eingehen zu können. So<br />

müssen wir nicht mehr zurückschrecken, auch mal grössere Malereien<br />

durchzuführen oder entsprechend grössere Therapiegruppen<br />

anzubieten.<br />

Dieser Wandel in der Zeit, dem wir alle, ob Patient oder Therapeut,<br />

auch ganz individuell ausgesetzt sind, bietet immer wieder<br />

neue und spannende Herausforderungen, die unser Leben und<br />

Sein hier in Littenheid anspornen und uns zu neuen und manchmal<br />

unkonventionellen Lösungen vorantreiben.<br />

43


Zeljka Slijepcevic, Stationsleiterin Gerontopsychiatrie / Monika Eberli, Stationsergo Gerontopsychiatrie<br />

Stations-Ergotherapie:<br />

Eröffnung und Erfahrung<br />

44<br />

Die Ergotherapie ist<br />

ein hilfreiches therapeutisches<br />

Angebot,<br />

um handwerkliche<br />

Fähigkeiten zu erhalten und zu fördern. Bei der Auswahl der Tätigkeiten<br />

versuchen wir, frühere Neigungen und Interessen der Patienten<br />

zu berücksichtigen.<br />

Mancher Leser wird sich fragen: «Was ist Ergo, was versteht<br />

man unter diesem Namen Welche Bedeutung hat die Erogtherapie<br />

in der Gerontopsychiatrie» Ich versuche, mit dem folgenden<br />

Artikel diese Frage zu beantworten. Zunächst mal, wer sind wir<br />

Die Station Waldegg B ist eine von vier Stationen der Gerontopsychiatrie<br />

der Klinik Littenheid. Wir bieten für 20 Patienten<br />

komfortable Zimmer und Aufenthaltsräume. Die Behandlung ist<br />

auf die Bedürnisse von Patienten mit längeren Aufenthaltszeiten<br />

zugeschnitten. Ein multiprofessionelles und multikulturelles Team<br />

steht dafür zur Verfügung. Die Stationsergo ist seit fast zwei Jahren<br />

in unserem Angebot integriert. Das Wort «Ergon» kommt aus dem<br />

griechischen und bedeutet Tätigkeit, Aufgabe und Werk. In der<br />

Gerontopsychiatrie ist das Ziel die Erhaltung und Förderung der<br />

Selbständigkeit der PatientInnen.<br />

In der Ergotherapie unterscheidet man zwischen dem funktionellen,<br />

berufsorientierten und dem Selbsthilfe-Training. Je nach<br />

den Bedürfnissen der sind Einzel- und Gruppentherapien möglich.<br />

Für uns vom Pflegeteam ist vor allem das funktionelle und<br />

das Selbsthilfetraining wichtig. Deren Ziel ist die Erhaltung und<br />

Förderung der geistigen und körperlichen Beweglichkeit. Die Aufgabe<br />

der Pflegeperson bzw. der Stations-Ergotherapeutin ist es,<br />

Stärken und Schwächen der Patienten zu erkennen und entsprechende<br />

Massnahmen zu ergreifen, die mit den Patienten besprochen<br />

werden. Die Biografiearbeit ist eine der möglichen Vorgehensweisen,<br />

wie wir einen Patieten näher kennen lernen<br />

können.<br />

Das folgende Beispiel erzählt über eine solche Erfahrung. Aus<br />

der Erzählung eines Patienten wusste ich, dass er früher seinen<br />

Garten pflegte und hegte. Ich schlug ihm vor, dies auch hier zu<br />

tun. Daraufhin fragte er selbständig bei der zuständigen Person,<br />

ob er ein paar Gartenbeete bewirtschaften könne. Dies wurde ihm<br />

auch bewilligt. Zuerst fuhren wir nach Wil, um sein eigenes Gartenwerkzeug<br />

zu kaufen. Beim nächsten Mal organisierte ich beim<br />

naheliegenden Bauernhof Dünger, den wir zusammen mit der<br />

Schubkarre holten. Durch die Gärtnerei erhielten wir die verschiedenen<br />

Setzlinge, die etappenweise gepflanzt wurden. Eingeplant<br />

für die Bearbeitung von zwei Beeten Blumen und einem<br />

Beet mit Tomaten und Gurken waren zwei Wochenstunden. Doch<br />

wir merkten schnell, dass zwei Stunden viel zu kurz waren für die<br />

Arbeiten. Der Patient verblieb im Sommer nicht mehr oft auf der<br />

Station, sein Garten wurde von ihm stündlich begutachtet und bearbeitet.<br />

Er überhäufte uns den ganzen Sommer mit Blumen, Tomaten,<br />

Gurken und Zucchetti.<br />

Das nächste Beispiel erzählt, wie PatientInnen mit unterschiedlichen<br />

Persönlichkeiten miteinander arbeiten können und<br />

dabei vernachlässigte Fähigkeiten aktivieren: Die Backgruppe existiert<br />

schon seit einigen Jahren. Zu Beginn ermittelten wir die<br />

Wünsche und Interessen der Patienten. Auf einer Liste wurde alles<br />

festgehalten, was benötigt wurde, daraufhin wurden die Zutaten<br />

bestellt. Allein richtete ich am Montagmorgen die Backzutaten<br />

und stellte sie auf dem Tisch bereit. Die Teilnehmerinnen<br />

nahmen ihren Platz ein, dann wurden die Aufgaben bis ins Detail<br />

abgesprochen. Es wurde sogar abgemacht, wer den Kuchen aus<br />

dem Ofen nimmt. Während meiner Abwesenheit konnte die<br />

Backgruppe autonom von einer Teilnehmerin geführt werden. An<br />

den Montagen, an denen ich fehlte, wurde die Backgruppe von<br />

den Teilnehmerinnen gestaltet. In der Zwischenzeit backte die<br />

Gruppe der Saison entsprechende Kuchen, Weihnachtsguetzli,<br />

Salzgebäcke und sogar verschiedenen Desserts.<br />

Das Vertrauen zwischen den einzelnen Pflegenden und den PatientInnen<br />

wächst mit der Zeit: Beim Übertritt einer Patientin<br />

wurde uns rapportiert, dass Frau K. sehr zurückgezogen lebe und<br />

die meiste Zeit des Tages in ihrem Zimmer verbringen würde. Zu<br />

Beginn war dies auch bei uns der Fall. Des öfteren beanspruchte<br />

sie meine Unterstützung, sei es beim Stricken oder beim Malen ihrer<br />

Bilder. Nach einigen Tagen erklärte ich ihr, dass ich nicht so<br />

viel Zeit bei ihr im Zimmer verbringen könne, denn sie wisse, wo<br />

sie mich finden könne und ich lud sie persönlich ins Ergozimmer<br />

ein. Nach kurzem Zögern folgte Frau K. meiner Einladung. Seit<br />

diesem Zeitpunkt lud sie mich nur noch gelegentlich zu sich ins<br />

Zimmer, denn sie kam stets zu mir und malte und strickte. Anfänglich<br />

tauschten wir nur wenige Worte miteinander aus, aber<br />

mit der Zeit vertraute sie mir mehr aus ihrem Leben an.<br />

Die Ergotherapie ist ein wichtiger Baustein für unsere Patienten,<br />

um ihre Selbständigkeit zu erhalten oder wieder zu erlangen.<br />

Sie ermöglicht ihnen eine sinnvolle und strukturierte Tagesgestaltung<br />

und fördert die sozialen Kontakte zwischen den Patienten.


Zahlen und Fakten zur Klinik<br />

Littenheid.<br />

Das Jahr 2001 im Spiegel der Statistik


Dr. med. Oliver Bilke, Leitender Arzt Jugendpsychiatrie<br />

Statistik 2001<br />

46<br />

Eintritte nach Geschlechtern 1997–2001<br />

Im Jahr 2001 setzte sich die Steigerung der Eintritte fort, im Vergleich zum Vorjahr um 7%, zu 1997 um 31%. Im betrachteten Fünfjahres-Zeitraum<br />

betrug die durchschnittliche Zuwachsrate an Eintritten pro Jahr 6%. Die Geschlechtsrelation hat sich 2001 geringfügig<br />

von 1:1,39 auf 1:1,29 verändert.<br />

Jahr Männer Frauen Total Geschlechtsrelation<br />

1997 255 345 600 1:1,35<br />

1998 269 326 595 1:1,21<br />

1999 278 302 580 1:1,09<br />

2000 307 427 734 1:1,39<br />

2001 342 441 783 1:1,29<br />

Männer<br />

Frauen<br />

Total<br />

800<br />

700<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

1997 1998 1999 2000 2001<br />

Eintritte nach Alter 1997–2001<br />

Die Verteilung der Altersgruppen ist in den letzten Jahren weitgehend konstant. Die Zunahme der Gesamtaufnahmezahl zeigt sich in<br />

allen Altersgruppen. Die altersabhängigen Zahlen steigen proportional zu den Gesamtaufnahmezahlen.<br />

Jahr 10–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 80–99<br />

1997 93 126 116 118 75 37 21 14<br />

1998 107 104 119 140 60 39 15 11<br />

1999 95 111 123 107 84 33 21 6<br />

2000 89 144 145 140 110 58 31 17<br />

2001 96 158 170 149 128 34 32 16


Eintritte nach Kantonen 1997–2001<br />

Gegenüber dem Vorjahr nahm die Zahl der Eintritte aus den Vertragskantonen Thurgau, Schwyz und Zug sowie die Eintritte zusatzversicherter<br />

Patienten leicht zu. Gegenüber dem Vorjahr betrug die Steigerung im Standortkanton Thurgau 5%, in den Vertragskantonen<br />

Schwyz 15% und Zug 6%.<br />

47<br />

Kanton 1997 1998 1999 2000 2001<br />

TG 211 238 200 300 315<br />

SZ 59 45 60 110 126<br />

ZG 23 21 28 52 55<br />

ZH 161 115 113 75 71<br />

SG 67 84 87 89 93<br />

Übrige 79 92 92 108 123<br />

Total 600 595 580 734 783<br />

TG<br />

SZ<br />

ZG<br />

ZH<br />

SG<br />

Übrige<br />

400<br />

375<br />

350<br />

325<br />

300<br />

275<br />

250<br />

225<br />

200<br />

175<br />

150<br />

125<br />

100<br />

75<br />

50<br />

25<br />

0<br />

1997 1998 1999 2000 2001<br />

Eintritte nach Klinikbereichen 1997–2001<br />

Die Zahl der Eintritte spiegelt auch die unterschiedlichen Aufgabengebiete der vier Klinikbereiche wieder. Während in der Gerontopsychiatrie<br />

(Zuwachs 9%) und der stationären Psychotherapie (Zuwachs 14%). Wahleintritte dominieren, hat die Akutpsychiatrie (Zuwachs<br />

2%) und Jugendpsychiatrie vor allem einenVersorgungsauftrag für die Vertragskantone Thurgau, Schwyz und Zug zu erfüllen.<br />

1997 1998 1999 2000 2001<br />

Akutpsychiatrie 323 311 294 418 428<br />

Stationäre Psychotherapie 132 127 124 125 143<br />

Gerontopsychiatrie 69 81 84 137 149<br />

Jugendpsychiatrie 66 76 78 54 63<br />

übrige 10 0 0 0 0<br />

Total 600 595 580 734 783


48 Eintrittsdiagnosen 1997–2001<br />

Die einzelnen Diagnosegruppen nach ICD-10 entwickeln sich gesamtklinisch recht homogen. Die dominierenden Bereiche F3 (stabil)<br />

und F4 (plus 9%) sind weiter bedeutsam. Aufgrund mangelnder institutioneller Weiterplatzierungsmöglichkeiten stieg die<br />

Zahl sekundär sozial auffälliger Jugendlicher (F9) von 2000 auf 2001 aus den Pflichtversorgungsgebieten (plus 45%) und die Zahl der<br />

Benutzer psychotroper Substanzen (F1) nahm im gleichen Zeitraum um 30% zu.<br />

1997 1998 1999 2000 2001<br />

F0 19 16 15 25 22<br />

F1 96 79 52 71 92<br />

F2 92 74 75 113 113<br />

F3 182 207 236 274 278<br />

F4 108 112 98 147 160<br />

F5 26 23 22 32 27<br />

F6 39 46 48 49 56<br />

F7 5 2 1 1 2<br />

F8 3 3 2 0 1<br />

F9 30 33 31 22 32<br />

F0 Organische inkl. symptomatischer psychischer Störungen<br />

F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope<br />

Substanzen<br />

F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen<br />

F3 Affektive Störungen<br />

F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen<br />

F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen<br />

und Faktoren<br />

F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen<br />

F7 Intelligenzminderung<br />

F8 Umschriebene Entwicklungsstörungen<br />

F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in<br />

Kindheit und Jugend<br />

2001<br />

F0 2,8%<br />

F1 11,7%<br />

F2 14,4%<br />

F3 35,5%<br />

F4 20,4%<br />

F5 3,4%<br />

F6 7,2%<br />

F7 0,3%<br />

F8 0,1%<br />

F9 4,1%


Mehrfachdiagnosen (Austrittsdiagnosen) 1998–2001<br />

Mittlerweile haben 246 von 777 Patienten drei psychiatrische Diagnosen, d.h. 32% aller Patienten sind mehrfach von seelischem Leid<br />

betroffen. Bei 12% der austretenden Patienten mussten sogar vier Diagnosen gestellt werden, bei 5% fünf Diagnosen.<br />

49<br />

HD ND1 ND2 ND3 ND4 u. mehr<br />

1998 639 254 87 23 8<br />

1999 573 330 133 44 10<br />

2000 727 514 221 63 15<br />

2001 777 549 246 91 36<br />

Anteil an Privat- und Halbprivat versicherten PatientInnen<br />

Der Anteil an Privat und Halbprivat versicherten Patientinnen und Patienten konnte durch weiterentwickelte diagnostische und<br />

therapeutische Angebote sowie eine Optimierung in der Betreuung und Hotellerie ausgebaut werden, was sich in einem Zuwachs von<br />

18% bzw. 69% der Pflegetage abbildet.<br />

Pflegetage Privat/Halbprivat<br />

9000<br />

Privatpatienten<br />

2000: 3’169<br />

2001: 3’738<br />

2000: 4,5%<br />

2001: 5,1%<br />

8000<br />

7000<br />

6000<br />

Halbprivatpatienten<br />

2000: 5’236<br />

2001: 8’849<br />

2000: 7,4%<br />

2001: 12,1%<br />

5000<br />

4000<br />

3000<br />

3’169<br />

3’738<br />

5’236<br />

8’849<br />

2000<br />

4,5%<br />

7,4%<br />

7,4%<br />

12,1%<br />

2000<br />

2001<br />

1000<br />

0<br />

Privatpatienten<br />

Halbprivatpatienten


Wir gratulieren<br />

50<br />

Dienstjubiläenm 2001<br />

40 Dienstjahre<br />

Helmut Hauptmann<br />

30 Dienstjahre<br />

Hans Zimmerli<br />

25 Dienstjahre<br />

Gyurmie Buga<br />

Rita Knecht<br />

Brigitte Susanek<br />

20 Dienstjahre<br />

Aral Gülizar<br />

Elsa Baumgartner<br />

Heidi Grob<br />

Radmila Miljkovic<br />

Rakip Saiti<br />

Hüsnü Yücel<br />

Schlosser<br />

Schreiner<br />

Hilfspfleger<br />

Anmeldung/Information<br />

Psychiatrieschwester<br />

Hilfsschwester<br />

Angestellte Laden<br />

Hilfsschwester<br />

Krankenschwester<br />

Angestellter Gärtnerei<br />

Angestellter Gärtnerei<br />

Gianna Caramazza Krankenpflegerin FASRK<br />

Werner Egli<br />

Zimmermann<br />

Ursula Fuchs<br />

Psychiatrieschwester<br />

Astrid Herzog<br />

Aerztesekretariat<br />

Atidzda Ljatifi<br />

Hausdienst<br />

Heike Panov<br />

Psychiatrieschwester<br />

Sonja Ruckstuhl<br />

Gärtnerin<br />

Caterina Scuderi<br />

Hilfsschwester<br />

Elsa Stauffacher<br />

Anmeldung/Information<br />

Martin Waldispühl Gärtnermeister<br />

Wir danken den Jubilaren herzlich für ihre langjährige und<br />

aktive Mitarbeit.<br />

Lehrabschlüsse 2001<br />

15 Dienstjahre<br />

Ernst Abbt<br />

Hanspeter Bachmann<br />

Danica Bucan<br />

Dincer Furtana<br />

Rosmarie Kathriner<br />

Corinne Klopfer<br />

Axel Krausse<br />

Lina Odermatt<br />

Jela Pavlovic<br />

Maria Siegenthaler<br />

Albert Thür<br />

Marie Vetsch<br />

Bojana Vurusic<br />

10 Dienstjahre<br />

Maria Teresa Aebischer<br />

Roland Asprion<br />

Makus Binswanger<br />

Brigitta Bommer<br />

Elisabeth Burtscher<br />

Leiter Schlosserei<br />

Koch<br />

Stationsleiterin<br />

Reinigung<br />

Angestellte Wäscherei<br />

Psychiatrieschwester<br />

Psychiatriepfleger<br />

Anmeldung/Information<br />

Stationshilfe<br />

Reinigung<br />

Leiter Klinikschule<br />

Hausbeamtin<br />

Psychiatrieschwester<br />

Hilfsschwester<br />

Sozialarbeiter<br />

Chefarzt<br />

Maltherapeutin<br />

Stationsleiterin<br />

Das Diplom-Niveau II für psychiatrische Krankenpflege des<br />

Schweizerischen Roten Kreuzes erwarben:<br />

● Marianne Frei<br />

● Sonja Giezendanner<br />

● Rebekka Grögli<br />

● Eveline Karlen<br />

● Andrea Keller<br />

● Christof Koller<br />

● Kurt Steiner<br />

● Marlis Stürm<br />

● Fritz Wüest<br />

Die Lehre schlossen ab:<br />

● Thomas Langensand als Schreiner Richtung Bau + Fenster<br />

● Luzia Bühler als Koch<br />

● Tatjana Mäder als Kleinkindererzieherin


Leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

Allgemeine Leitung Hans Schwyn<br />

51<br />

Chefarzt Dr. med. Markus Binswanger Chefarzt-Stellvertreter Dr. med. Jörg Burmeister<br />

Leitende Ärzte/innen Dr. med. Oliver Bilke; Dr. med. Susanne Kunz Mehlstaub, Dr. med. Jokica Vrgoc<br />

Oberärzte/innen Dr. med. Heidi Eckrich; Dr. med. Eckhard Freund; Dr. med. Pia Ineichen; Dr. med. Josef Jenewein;<br />

Dr. med. Elisabeth Koppensteiner; Dr. med. Sibille Kühnel; Dr. med. Gudrun Rohrbeck; Dr. med. Thomas Schuhmann;<br />

Dr. med. Christiane Thomas; Dr. med. Jörg Wunderwald<br />

Stationsärzte/innen Dr. med. Britta Baumann-Schanné; Dr. med. Judith Bühler; Dr. med. Oliver Christen;<br />

Dr. med. Matthias Esenwein; Dr. med. Gabriele Feigl; Dr. med. Bernd Frank; Dr. med. Cordula Illner; Dr. med. Regina Korth;<br />

Dr. med. Andrea Kreissl; Dr. med. Julie Mannchen; Dr. med. Christoph Müller; Dr. med. Björn Press; Dr. med. Jürgen Rüegg;<br />

Dr. med. Stefan Sannwald; Dr. med. Antje Schatton; Dr. med. Maria Veraar; Dr,. med. Bettina Völkle<br />

Klinische Psychologen/innen Dr. phil. Margitta Backes; Noori Beg; Sophie Christen; Peter Fischer; Dr. phil. Monika Földényi;<br />

Colette Guillaumier; Lilli-Anne Howaldt; Christian Rappan; Ute Vetter<br />

Sozialdienst Roland Asprion; Caroline Welsch<br />

Aktivierungstherapie Anna-Marie Guadagnini<br />

Arbeitstherapie/Beschäftigung Jürg Denzler; Verena Mächler; Bruno Meier<br />

Ergotherapie Ulla Ogger<br />

Maltherapie Brigitta Bommer<br />

Physio- und Bewegungstherapie Bettina Baldo; Monika-Rosanna Corrodi; Martin Kempf<br />

Apotheke Monika Haag<br />

Labor Ingrid Hofmann<br />

Leiter Pflegedienst Hubert Dietschi<br />

Bereichsleiter/in Pflege Stephan Albert; Raymond Scheer; Susy Wagner<br />

Bereichsleiter Pädagogik Jugendpsychiatrie Urs Gasser<br />

Stationsleiter/innen Irene Blumer; Ernst Boos; Elisabeth Burtscher; Louis Chopard; Phuntsok Dahortsang; Mathias Erne;<br />

Peter Fleischmann; Annelies Helfenberger; Hendrik Johannes Houwing; Monika Hüppi; Kaarina Karlstedt;<br />

Henricus Slaats; Zeljka Slijepcevic; Martin Weyer<br />

Klinikschule Albert Thür, Leiter; Jeannette Röösli; Beate Tonina<br />

Seelsorge, Pfarrherren Peter Schüle, Evang. Pfarramt Sirnach; Beat Muntwyler, kath. Pfarrer, Kantonsspital Frauenfeld;<br />

Martin Geu, Methodistenkirche Eschlikon<br />

Leiter Oekonomie Lucien Kessler<br />

Leiter Verwaltung Daniel Wild<br />

Leiter Organisationsentwicklung/QM Urs Zürcher<br />

Betriebe Ernst Abbt, Schlosserei; Heidi Aggeler, Lingerie; Carmen Breu, Café «Huggi»; Andrea Caspar, Kinderkrippe;<br />

Helene Leonardi, Näherei; Erwin Brauchli, Techn. Betriebe; Werner Pfister, Malerei; Andreas Schneider, Schreinerei;<br />

Markus Scheiwiller, Küche; Marie Vetsch, Hausw. Betriebsleiterin; Martin Waldispühl, Gärtnerei;<br />

Edith Weiss, Hausw. Betriebsleiterin Stand: Juli <strong>2002</strong>


52<br />

<strong>Stiftung</strong>szweck<br />

Zweck der <strong>Murg</strong>-<strong>Stiftung</strong> ist die Einrichtung und der Betrieb<br />

geeigneter Arbeitsstätten, um den psychisch Behinderten eine<br />

ihrer Individualität entsprechende Tätigkeit und Verdienstmöglichkeit<br />

zu bieten, sowie die Schaffung weiterer Einrichtungen<br />

wie Beratungsstellen, Wohnheime usw. Beratungsstelle und<br />

Ambulatorium des Externen Psychiatrischen Dienstes Sirnach<br />

sind der <strong>Murg</strong>-<strong>Stiftung</strong> angeschlossen.<br />

<strong>Stiftung</strong>srat<br />

Humbert Entress, Präsident, Aadorf<br />

Hans Schwyn jun., Vizepräsident, Littenheid<br />

Dr. med. Markus Binswanger, Littenheid<br />

Myrta Klarer, Sirnach<br />

Dr. med. Ulrich Paul Rotach, Oberwangen<br />

Paul Holenstein, Fischingen<br />

Die eng mit unserer Klinik verbundene <strong>Murg</strong>-<strong>Stiftung</strong> ergänzt<br />

unser Angebot und entfaltet folgende Aktivitäten:<br />

Wohnheim Littenheid<br />

Das Wohnheim Littenheid bietet seinen Bewohnerinnen und<br />

Bewohnern eine stabile und geregelte Wohnsituation zur Förderung<br />

der Selbstständigkeit.<br />

Geschützte Werkstätten Littenheid<br />

Die verschiedenen Werkstätten und geschützten Arbeitsplätze<br />

schaffen eine sinnvolle Tagesstruktur für psychisch Behinderte<br />

und dienen der Wiedereingliederung in die Arbeitswelt.<br />

EPD Sirnach<br />

Der externe psychiatrische Dienst Sirnach ist im Auftrag des<br />

Kantons Thurgau für die ambulante psychiatrische und psychotherapeutische<br />

Versorgung der Region Hinterthurgau zuständig.<br />

Postcheckkonto 85-7186-6, «<strong>Murg</strong>-<strong>Stiftung</strong>»<br />

Frauenfeld<br />

Schaffhausen<br />

Konstanz<br />

Münchwilen<br />

Zürich<br />

Winterthur<br />

Frauenfeld<br />

Wil<br />

St. Gallen<br />

Ausfahrt Münchwilen<br />

A1<br />

Gloten<br />

Kreuzlingen/Konstanz<br />

Wil<br />

Altstadt<br />

Weinfelden/Bürglen<br />

Zürich<br />

Littenheid<br />

Uster<br />

Sirnach<br />

SBB<br />

Rest.<br />

Ilge<br />

Rapperswil<br />

Wattwil<br />

N<br />

Hub<br />

Lagerhaus AG<br />

Wil<br />

Ausfahrt<br />

Wil<br />

St. Gallen<br />

Zug<br />

Busswil<br />

Wilen<br />

Rickenbach<br />

Waro<br />

Luzern<br />

Schwyz<br />

Klinik Littenheid<br />

Wegweiser Littenheid<br />

Wattwil<br />

0 1 2 km


Der Patient als Partner<br />

Unsere Klinik steht Menschen bei, die ihr seelisches Gleichgewicht verloren haben und<br />

zeitweilig auf einen geschützten Rahmen angewiesen sind. Die Vielfalt und Professionalität<br />

unseres psychiatrischen und therapeutischen Angebotes soll dazu dienen, die<br />

psychischen, sozialen und körperlichen Störungen zu beheben oder zu mildern sowie<br />

vorhandene Kräfte und Fähigkeiten wieder zu stärken. Dabei ist es unser gemeinsames<br />

Ziel, die Patientinnen und Patienten so rasch wie möglich und so behutsam wie nötig<br />

in den Alltag zurückzuführen. Eine schöne und ruhige Umgebung, der architektonische<br />

Komfort unserer Gebäude sowie der Dorfcharakter unserer Klinik bieten dazu ein<br />

optimales Umfeld.<br />

Die umsichtige Planung des Klinikeintrittes<br />

Von einem ersten informellen Besuch, einer unverbindlichen Klinik-Führung bis zum<br />

eigentlichen ärztlichen Abklärungs- resp. Eintrittsgespräch sind verschiedene Formen<br />

der Kontaktaufnahme möglich. In der Regel erfolgt die Anmeldung durch den<br />

Hausarzt. Gerne geben wir auch Auskunft über weitere Fragen des Klinikaufenthaltes,<br />

über spezifische Behandlungsangebote auf den einzelnen Stationen sowie über die<br />

Fragen der Finanzierung des Klinikaufenthaltes. Als Kontaktperson steht Frau Brigitte<br />

Kühni, Ärztesekretariat, für Auskünfte zur Verfügung.<br />

Adresse:<br />

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie<br />

CH-9573 Littenheid<br />

Telefon Ärztesekretariat 071 929 63 50<br />

Fax Ärztlicher Dienst 071 929 60 10<br />

Telefon Klinik/Empfang 071 929 60 60<br />

Fax Verwaltung 071 929 60 30<br />

E-Mail: info@littenheid.ch<br />

www.littenheid.ch<br />

Öffentliche Verkehrsmittel<br />

Ab dem Bahnhof Wil/SG (ca. 4 km) besteht eine Busverbindung nach Littenheid im<br />

Stundentakt.<br />

Freibettenfonds<br />

<strong>Stiftung</strong>szweck dieses Fonds ist es, bedürftigen Patienten durch Beiträge den Klinikaufenthalt<br />

über kürzere oder längere Zeit zu ermöglichen.<br />

Postcheckkonto 85-227-0, Vermerk «Freibettenfonds»


Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firmen der Littenheid-Holding AG:<br />

Abbt-Peterer Ernst, Abduli Zimrije, Adams-Gschwend William, Aggeler Heidi, Ahorn Judith, Albert Sonja,<br />

Albert Stephan, Ammann Frieda, Amrhein Tanja, Aral Gülizar, Arnold Claudia, Asprion-Heule Roland, Babic<br />

Marlen, Bachmann-Müller Hans Peter, Backes Margitta, Baisch Thomas, Baldo-Kirschmann Bettina, Baric-Zloh<br />

Zlatka, Bärlocher Iris, Bartels Michael, Bauer Erika, Baumann Désirée, Baumann-Schanné Britta, Baumberger<br />

Anna, Baumgartner Elsa, Baumgartner Hansruedi, Beg Noori, Bein Rosmarie, Belt Johannes, Berlinger Valérie,<br />

Bernhart Herbert, Bilke Oliver, Bindschedler Marcel, Binswanger Markus, Blumer Irene, Bolt Maria, Bommer<br />

Fusco Brigitta, Boos Ernst, Borgards Cornelia, Brand-Ahcin Marija, Brändle-Faust Zita, Brauchli Erwin, Braun<br />

Edith, Braun-Stegemann Markus, Braunwalder Eliane, Breu Carmen, Brockhus Marcellus C.M., Broger<br />

Manuela, Brömmer Martin, Brotzer Roman, Brühwiler Monika, Brunner Eva, Brunschwiler Rahel, Büchel<br />

Monika, Büchi Mohl Madeleine, Buga Gyurmie, Bühler Judith, Burmeister Jörg, Burtscher Elisabeth, Cakir-<br />

Köseoglu Halil, Camenzind Christine, Caramazza Gianna, Casangcapan Rufina, Caspar Andrea, Ceta Danijela,<br />

Chandrasegeram-Kühne Anita, Chopard Louis, Christen Oliver, Christen Sophie, Christen Ulrich, Conconi Silvio,<br />

Corrodi Monika-Rosanna, Crivelli Alessandra, Dahortsang Peng Cuo Da Ji, Dahortsang Phuntsok, De Stradis<br />

Raffaella, Deari Dzemilije, Denzler-Häberli Jürg, Dietschi Hubert, Djukic-Grmas Marija, Dodic Catherine,<br />

Dübendorfer Christa, Dudli-Müller Eveline, Ebeling Susann, Eberle Lukas, Eberli-Kammermann Rosmarie,<br />

Eberli-Lehmann Monika, Eckrich Heidemarie, Edelmann Ramona, Egger Sonja, Egli Werner, Eigenmann<br />

Sandra, Eisenring Margrit, Erne-Schmitz Mathias, Erni Anna, Esenwein Matthias, Etzensperger Barbara, Falk<br />

Heidi, Faller Eveline, Fehrmann Erika, Feigl Gabriele, Fischer Peter, Fleischmann Peter, Fluri Michaela, Földényi<br />

Monika, Frank Bernd, Frehner Erwin, Frei Marianne, Freund Eckhard, Frick Daniel, Fröhlich Ruth Laura, Fuchs<br />

Ursula, Furrer Renata, Furtana-Alci Dincer, Furtana-Alci Elif, Furtana-Kara Halil, Furtana-Kara Hatice, Gadola<br />

Erika, Gamba Daniela, Gämperli Johanna, Gasser Urs, Gavranic Mara, Gehrig Daniel, Gerber Markus, Giesser<br />

Tamara, Giezendanner Sonja, Giger Maya, Girsberger Andri, Gisinger Erich, Gisler Christoph, Glaser Michael,<br />

Gostic Spomenka, Grabher Martin, Graf Daniel, Gremaud François, Grob Evelyn, Grob Heidi, Grögli Heidi,<br />

Grossglauser Christoph, Guadagnini Annamarie, Guillaumier Colette, Günay Kadir, Günay Nebiye, Haag<br />

Monica, Haas Yvonne, Handschin Eveline, Harder Roland, Hasler Olivia, Hasler-Schönenberger Jolanda, Hauck<br />

Ursula, Hauptmann Helmut, Hauser Heidi, Heider Stephanie, Heijerman Jacoba, Heimberg Susanne, Helbling<br />

Simone, Helfenberger Annelies, Hensle Renate, Herzig Claudia, Herzog Astrid, Hess Marlene, Hess Sonja,<br />

Hilgart Christian, Hofmann-Stabenau Ingrid, Hohl-Kammermann René, Holenstein Claudia, Hoost Karla,<br />

Houwing Hendrik Johannes, Howaldt Lilli-Anne, Hüppi Monika, Hürlemann Madeleine, Hürlemann Margrit,<br />

Hürner Ilona, Iacobozzi Alberto, Illner Cordula, Ineichen Pia, Injodikaran Reena, Iseli Krähenmann Beatrice,<br />

Jacob-Ebbinghaus Luzia, Janett Maria, Jäppinen Kauko, Jaun Walter, Jenewein Josef, Jung Michael, Jung<br />

Monika, Karge Wolfgang, Karisik-Imsic Emina, Karlstedt Kaarina, Karrer Renate, Karsay Margrit, Kathriner<br />

Rosmarie, Keist Sonja, Keller Franz, Keller Hansruedi, Kempf Martin, Kesim Raziye, Kesim-Kücük Abdullah,<br />

Keskin Dilek, Keskin Yilmaz, Keskin-Dalkic Pembe, Keskin-Dalkic Yilmaz, Kessler-Hunziker Lucien, Kessler-<br />

Hunziker Margrith, Khair Semira, Kilbey-Kartal Gülay, Kilbey-Kartal Necmettin, Kis Gabor, Klaus Veronika,<br />

Klauser Doris, Kljajic Milanka, Kljajic Zorica, Klopfer Corinne, Knecht Rita, Kobelt Esther, Kocka Mihaly, Kocka<br />

Miroslava, Kofel Ursula, Koller Christof, Koller Ruth, Kont Ali, Koppensteiner Elisbeth, Korth Regina,<br />

Kouwenhoven Menno, Krausse Axel, Kreissl Andrea, Kühnel Sibille, Kühni Brigitte, Kunz Mehlstaub Susanne,<br />

Künzle Urs, Künzli Margaritha, Kurian Jansamma, Kütük Hüseyin, Lahti-Arendain Aida, Lahti-Arendain Jukka,<br />

Landolt Jakob, Lederer Anatoli, Ledergerber Yvonne, Leiterer-Hörni Gertrud, Leiterer-Hörni Gertrud, Lenz<br />

Eva, Leonardi Grazia, Leonardi Helene, Leuenberger Cornelia, Leven Katrin, Liurni Clementine, Liurni Robert,<br />

Ljatifi Atidza, Lonardi Herrmann Corina, Luder Anneliese, Ludescher Nadja, Lüdt Ruth, Lukac Ilija, Lüthi<br />

Andrea, Mächler Verena, Mäder Tatjana, Mannchen Julie, Marko Bojan, Mattle Silvia, Meier Bruno, Meier<br />

Elsbeth, Meier Rosmarie, Meier Ruth, Meile Beat, Meili Lucia, Memeti Jetmire, Menegola Pia, Menzi Kuno,<br />

Micic Radojka, Mijatovic Adriana, Mikolasek Eeva, Mitic Dubravka, Moravac Maca, Müller Annemarie, Müller<br />

Christoph, Müller Fabienne, Müller Hans, Müller Susanne, Munana Petra, Nussbaumer Daniel, Oberholzer<br />

Anne-Marie, Oberthaler David, Ochsner Monika, Odermatt Lina, Odermatt Renata, Oehlschlegel Cornelia,<br />

Ogger-Jaakkola Ulla, Omollo Omondi, Osmani Dzemile, Osmani Hajrije, Osswald Miriam, Oswald Felix,<br />

Parampett Elzamma, Pavlica Milka, Pavlovic Jela, Pelli Marja, Petrovic Simka, Pfister Werner, Pinheiro Luis,<br />

Pollmann André, Press Björn, Preter Karin, Räbsamen Regula, Radovanovic-Milosevic Danka, Ramsperger<br />

André, Rappan Christian, Ratkic Ljubica, Rauch Bettina, Reimann-Schwager Marta, Ricek Vida, Rickenbach<br />

Alex, Rodriguez Marcial, Rohrbeck Gudrun, Romanelli Katharina, Romer Astrid, Römer Jacqueline, Röösli<br />

Jeannette, Roth Martin, Ruckstuhl Sonja, Ruckstuhl Yvonne, Rüegg Jürgen, Rüegger Christina, Rüesch Anton,<br />

Ruf Stefan, Rütsche-Rüesch Ruth, Saiti Rakip, Saiti-Vejsiu Luljeta, Sampaio Alexandre, Sannwald Stefan, Savic-<br />

Jovanovic Milina, Schatton Antje, Scheer Raymond, Schefer Monika, Scheiwiller-Gemperle Markus, Scheurer<br />

Linda, Schmeitz Paul H.C., Schmid Annemarie, Schmid Claudia, Schmid Doris, Schneider Andreas, Schöb Guido,<br />

Scholz-Kolloeffel Yvonne, Scholz-Kollöffel Walter, Schuhmann Thomas, Schulz Manuela, Schwarz Elisabeth,<br />

Schwyn-Weber Hans, Schwyn-Weber Hans, Schwyn-Weber Marianne, Scuderi Caterina, Seiringer Andrea, Senn<br />

Brigitte, Shitsetsang Dickie, Siegenthaler Maria-Roswitha, Simon-Bott Heidrun, Simon-Bott Heinz, Slaats<br />

Henricus, Slijepcevic Zeljka, Stadler Marie-Louise, Stahel Carmen, Starke Messikommer Katrin, Stauffacher<br />

Elsa, Steiner Kurt, Steudler Matthias, Stöckli-Böhi Guido, Stoll Alexander, Storrer Lisbeth, Stössel Michael,<br />

Stricker Hans-Peter, Stucki-Angele Kurt, Stürm Marlis, Subramaniam Jeevakanthan, Suntharampillai Vijayakumar,<br />

Susanek Brigitte, Sutter-Tönz Luzia, Tamao-Palma Anna Maria, Thieme Bernd, Thomas Christiane,<br />

Thür-Brütsch Albert, Thüringer Arno, Tikvic Nikola, Tinner Roger, Tobler Brigitta, Tobler Patrick, Tobler-<br />

Paulitsch Heidi, Todorovic Milena, Tonina-Hollerbach Beate, Topalovic Miroslav, Travaini-Zellweger Edith,<br />

Trieblnig Doris, Trüb Markus, Uhrig Evelyne, Vasiljevic-Bozic Jelica, Vasiljevic-Micic Rada, Veraar Maria-<br />

Katharina, Verloove Frits, Vetsch Marie, Vetter-Grün Ute, Völkle Bettina, Vrgoc-Mirkovic Jokica, Vurusic<br />

Bojana, Vurusic Ivan, Vurusic Stefka, Wagner Susy, Waldispühl Martin, Walt Konrad, Weber-Hermann<br />

Rosmarie, Wehrlin Corinne, Weiss Edith, Weiss Edith, Weiss Edith, Welsch Caroline, Wey Beatrice, Weyer<br />

Martin, Widmer Linda, Wielatt Rosa, Wiesli Lilly, Wiesli Waltraud, Wild-Bruggmann Andrea, Wild-Bruggmann<br />

Daniel, Wildersinn Ralf, Wüest Fritz, Wunderwald-Nierhaus Jörg, Würmli Karin, Würmli Karin, Wyrsch Heidi,<br />

Yücel Derya, Yücel Hüsnü, Yücel Meryem, Zimmerli Hans, Zivanovic Djurdjija, Zivanovic Milica, Zuberbühler<br />

Marianne, Zulic Azra, Zulic Mirzeta, Zuppinger Brigitte, Zürcher-Hasler Urs Stand: Juli <strong>2002</strong>

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