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Technischer Fortschritt - inhaltlicher Rückschritt? Ein Plädoyer ... - BFS

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<strong>Technischer</strong> <strong>Fortschritt</strong> - <strong>inhaltlicher</strong> <strong>Rückschritt</strong><br />

<strong>Ein</strong> <strong>Plädoyer</strong> für den Tonschnitt<br />

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Bild und Ton des Films sind eine <strong>Ein</strong>heit.<br />

Denkt man. In der Praxis sieht es beim Fernsehspielfilm häufig anders aus: Nach der<br />

Fertigstellung des Bildschnitts wird der Tonschnitt an den Sound-Editor übergeben. <strong>Ein</strong>e<br />

einzige Besprechung für den Tonschnitt - und damit gilt die (bezahlte) Arbeit des Film-Editors<br />

meist als beendet.<br />

Parallel zum Tonschnitt arbeitet der Komponist, nach einer Besprechung mit dem Regisseur.<br />

Film- sowie Sound-Editor sind bei der Musik-Besprechung nicht dabei - und erfahren im<br />

Regelfall erst in der Mischung, ob und wie Musik eingesetzt wird - der Film-Editor hat kaum<br />

noch <strong>Ein</strong>fluss auf dramaturgische Wirkung, der Tonschnitt kann häufig nicht mehr auf die<br />

Musik reagieren, und der Komponist hat meist keine Ahnung von den Intentionen des<br />

Tonschnitts und seiner beabsichtigten emotionalen Wirkung.<br />

Die Mischung selbst findet häufig nur noch mit Sound-Editor und Regie statt, der Film-Editor<br />

in der Mischung scheint vielen Produktionsfirmen völlig überflüssig.<br />

Dabei werden die wichtigsten Festlegungen für den Ton bereits beim Bildschnitt getroffen: ob<br />

mit Tonüberlappungen gearbeitet wird, z.B. prägnante <strong>Ein</strong>zelgeräusche oder Sprache aus der<br />

nächsten Szene bereits vorher zu hören sind, ob mit dem Bildschnitt harte Tonschnitte<br />

einhergehen oder weiche Übergänge gewünscht sind. Die Längen von <strong>Ein</strong>stellungen und der<br />

Rhythmus eines Schnitts hängen ebenfalls davon ab, welche Toneffekte geplant sind. Oder ob<br />

die inhaltliche Gestaltung durch die Divergenz von Bild und Ton geprägt wird, ob mit Stille<br />

gearbeitet wird, oder ob Montagestrecken auf Musik geschnitten werden und und und.<br />

Ich möchte betonen: diese Überlegungen sollen nicht in Richtung einer Konkurrenz zum<br />

Sounddesign oder einer Degradierung zum technisch Ausführenden gehen. Ich frage mich nur,<br />

ob das Delegieren des Tonschnitts nicht häufig schon in der Konzeption des Bildschnitts zu<br />

einen Mangel an <strong>inhaltlicher</strong> Auseinandersetzung mit dem Ton führt. Dass diese Arbeit von<br />

einem Dritten übernommen wird, verführt leicht dazu, die Tonebene erst mal auszuklammern<br />

und nicht schon vom Beginn des Bildschnitts an mitzudenken und als dramaturgisches<br />

Gestaltungselement einzusetzen.<br />

Der Ton ist die "akustische Ausstattung" des Filmes<br />

Jedem ist klar, welche Wirkung Ausstattung und Kostüm haben, wie sie das Klima eines<br />

Filmes prägen. Sei es durch die Festlegung auf ein bestimmtes Farbspektrum oder durch die<br />

Wahl von abgenutzt wirkendem Mobiliar, die Ausstattung macht sehr schnell klar, in was für<br />

einem Film wir uns befinden, etwa in einem phantastischen Filmmärchen oder ob versucht<br />

wird, ein Gefühl von Authentizität und Realismus zu vermitteln, oder ob man in dieses<br />

merkwürdige TV-Paralleluniversum gut aussehender Menschen in großartigem Ambiente<br />

geraten ist, bei denen man dann Liebeskummer und Intrigen an Steilküsten bei<br />

Sonnenuntergang erwarten darf.<br />

Jedoch - Ausstattung wird zwar gesehen und manchmal auch sehr schön gefunden, aber ihre<br />

Wirkung wird zum großen Teil nicht bewusst wahrgenommen, sondern führt zum größten Teil<br />

zu einer unbewussten <strong>Ein</strong>schätzung von Personen und Situationen. Dasselbe findet in der<br />

Tonebene statt - der Ton ist die "akustische Ausstattung" des Filmes. Genauso wie allein die<br />

farbliche Gestaltung eines Films eine Grundstimmung herstellen kann (sonnig, düster,<br />

monochrom), führe ich mit der Wahl der Geräusche die Wahrnehmung.


Auch das wird in den seltensten Fällen wirklich bewusst registriert: aber auch damit verorte<br />

ich einen Film auf einer bestimmten Realitätsebene:<br />

Wie klingt die Umgebung Realistisch oder überspitzt, naturalistisch oder artifiziell Wie<br />

modern sind die Geräusche Klapperndes Fahrrad oder sanft surrender Freilauf Wie<br />

überhöht Hat eigentlich irgendjemand seit der Erfindung von ABS außer im Film noch<br />

Reifenquietschen gehört Arbeitet man mit flächigen Atmosphären oder mit präzise<br />

gesetzten <strong>Ein</strong>zelgeräuschen, macht man aus einem Schlafzimmer einen lauschigen<br />

Rückzugsort oder die Hölle auf Erden in der <strong>Ein</strong>flugschneise eines Flughafens<br />

Man kann einzelne Geräusche als Schlüsselsignale für eine Umgebung einsetzen, oder ersetzt<br />

durch die Tonmischung das "selektive Hören" der Realität, in der das Gehirn unwichtige<br />

Geräusche der Umgebung einfach "ausblendet". So wie der Bildschnitt den Blick des<br />

Zuschauers führt, kann ich mit den Tönen "sein Ohr führen".<br />

Die Tongestaltung kann über die Assoziationsebenen, die sie erzeugt, die emotionale Wirkung<br />

des Bildes verstärken oder ganz verschieben, kann Handlung räumlich, zeitlich und emotional<br />

verorten: Was für ein Gefühl erzeugt eine summende Fliege am Fenster einer Gefängniszelle<br />

Oder ist die Wirkung von absoluter Stille doch stärker Unter dem Dialog vielleicht eher<br />

Geräusche und Stimmen aus den Nachbarzellen, um so den Verlust von Privatsphäre zu<br />

verdeutlichen Oder lenkt es zu sehr vom Inhalt des Dialogs ab<br />

Wie man aus diesen wenigen Beispielen ersehen kann, sind das alles Entscheidungen, die<br />

bewusst abgewogen werden müssen, und die sich immer auf den Film als Ganzes beziehen.<br />

Sie müssen mit Tonschnitt und Regie erörtert werden. Sie können oft im Vorfeld besprochen<br />

werden, aber viele dieser Entscheidungen werden meist erst in der Mischung endgültig gefällt.<br />

Der Ton als eigenständiges Erzählelement<br />

Stell Dir mal vor: ein leerer, grauer Berliner Hinterhof in der Mittagsonne, die Gebäude etwas<br />

schäbig, in der Ecke stehen ein paar Mülltonnen. Totale von oben, ein Mann durchquert den<br />

Hof, er bleibt stehen, die Kamera nähert sich, er dreht sich um, sein Blick wandert über den<br />

Hof, er geht weiter ins Hinterhaus. Und dazu entweder:<br />

a) leiser O-Ton: Schritte mit Berliner Stadtatmo, entfernter Verkehr.<br />

b) aus den Fenstern ertönen verschiedene Musikfetzen - türkische Schnulzen, deutscher Hip-<br />

Hop übertönen die Schritte, Kinder toben im Hintergrund lärmend und lachend die Treppen<br />

runter.<br />

c) deutsche Volksmusik, eine Frau singt fröhlich und falsch mit, ein Hund jault mit.<br />

d) deutsche Volksmusik, ein Mann brüllt wütend, als Wortfetzen erkennbar sind<br />

"Kanakenbraut", "Abschaum", "man müsste mal" etc. <strong>Ein</strong> Säugling schreit.<br />

e) es ist unnatürlich still. Die Schritte des Mannes hallen laut durch den Hof. Während er sich<br />

umsieht, ist kein einziger Ton zu hören außer seinem Atem.<br />

d) es ist sehr still. Die Schritte des Mannes hallen durch den Hof. Von irgendwo kommt das<br />

jämmerliche Maunzen einer Katze.<br />

f) es ist still. Die Schritte des Mannes hallen durch den Hof. Von irgendwo kommt das leise<br />

Kichern eines Kindes.


Ohne weitere Besprechung bekommt man in der Regel: die Variante a).<br />

Dramaturgisch völlig leer und absolut öde.<br />

Ist aber - im Gegensatz zu allen anderen Varianten - ohne jeden Aufwand zu haben.<br />

Alles andere erfordert aufwändige Suche in Tonarchiven, Musiken finden, extra<br />

Sprachaufnahmen und/ oder Geräuschsynchron.<br />

Das kostet Zeit - und Geld.<br />

Erfordert ein genaues Definieren, was man warum erzählen will. Wenn ein Komponist aber<br />

zum Beispiel nicht in diese Überlegungen einbezogen wird, dann wird er für diesen Hinterhof<br />

Musik komponieren. Nur wird er keine Musik erfinden, die diesen Tonschnitt ersetzt, die so<br />

präzise eine Stimmung und einen Ort erzählen kann, weder das Multi-Kulti-Idyll noch die<br />

subtile Bedrohung durch Stille oder die Irritation durch das kichernde Kind.<br />

Miteinander reden<br />

Damit bin ich bei meinem Wunsch einer engeren Verzahnung der Arbeiten. Dass man über den<br />

Sound-Editor seiner Wahl und seines Vertrauens schon mal vorab diverse Töne bekommen<br />

kann, sollte selbstverständlich sein. Denn schließlich muss man über ein Ton-Layout in einigen<br />

Szenen auch Timing und Wirkung überprüfen können.<br />

Genauso sollte es selbstverständlich sein, dass der Sound-Editor den Film vor der<br />

Besprechung bereits gesehen hat.<br />

Und vielleicht wäre eine Kopie des Protokolls der Tonbesprechung in manchen Fällen auch für<br />

den Komponisten hilfreich, denn er erhält den Film in tonlicher Hinsicht erstmal "nackt". Die<br />

Informationen, wie sich die Tonebene gestalten soll, laufen - wenn überhaupt - mündlich über<br />

den Regisseur. Und sind mit Sicherheit bei der Musikbesprechung eher ein Randthema. Und<br />

umgekehrt - wie oft erhält denn ein Sound-Editor während des Tonschnitts Informationen<br />

darüber, wo genau Musik geplant ist, und vor allem mit welcher Charakteristik Das zielt auf<br />

das bekannte Mischproblem bei Fernsehfilmen, dass sich Geräusche und Musik gegenseitig<br />

"plattmachen" können, wenn beide z.B. basslastig oder zu flächig sind, und die Addierung der<br />

Pegel dazu führt, dass beides zu leise wirkt. Oder sie doppeln sich in ihrer Wirkung und<br />

schwächen sich damit ab, weil die Musik Bild oder Geräusche lediglich illustriert.<br />

Zu aufwendig Zu teuer Nur für's Kino möglich<br />

Auch uns ist klar, dass Produktionsfirmen scharf kalkulieren müssen. Es ist auch einleuchtend,<br />

dass es für Produktionsfirmen sehr praktisch ist, die gesamte Postproduktion als<br />

Gesamtpaket auszulagern: kein extra Kalkulieren und Organisieren, ein Festpreis für alles und<br />

bei Problemen ist nur diese eine Firma zuständig. Doch von welchem Aufwand und welchen<br />

Mehrkosten ist denn hier die Rede: Peanuts im Vergleich zu dem logistischen Aufwand und<br />

den Gesamtkosten einer Films.<br />

Wir finden, dass diese Schneideraum-Postpro-all-inclusive-Pakete den qualitativen<br />

Wettbewerb der Sound-Editoren, Geräuschemacher und Mischtonmeister verzerren.<br />

Wir wollen die Sound-Editoren selber aussuchen, denn eine regelmäßige Zusammenarbeit ist<br />

auch Garantie für gute Resultate.<br />

Wir wollen eine anständige Bemessung der Arbeitszeit für den Sound-Editor, damit nicht aus<br />

Zeitgründen aufwändigere Tongestaltungen unterbleiben müssen, und damit nicht solche<br />

Vorbereitungsgeschichten wie sich den Film vorher ansehen, eine ausführliche<br />

Tonbesprechung, vielleicht einige Telefonate und Rückfragen mit Komponisten, Film-Editor<br />

und Regisseur zum Privatvergnügen für besonders engagierte Kollegen gehören.


Wir hätten gerne bestimmte Standards im Sprachsynchron - gleiches Mikro wie am Set, auf<br />

jeden Fall geangelter Ton beim Teilsynchron von Szenen (und am besten eigentlich immer).<br />

Wir hätten gerne wirklich gutes Geräuschsynchron.<br />

Wir wollen, dass der Film-Editor wieder selbstverständlich mit in der Mischung sitzt, denn da<br />

der Entwurf der Tongestaltung Teil seiner Arbeit ist, sollte auch die Kontrolle der Ausführung<br />

dazu gehören.<br />

Technisch wird das auf Bild höchstem Standard behandelt - Stichwort HDTV -, Ausstattung,<br />

Licht, Kostüm und Maske stellen sich auf die zu erwartende größere Detailschärfe ein. Es wird<br />

gerade bei Fernsehproduktionen gerne über den "Production Value" eines Filmes in Bezug auf<br />

Ausstattung und Kostüm debattiert. Jedoch beim Ton wird aber häufig so getan, als sei die<br />

Zeit bei den winzigen Fernsehlautsprechern stehen geblieben, als sei Rauschfreiheit und<br />

Sprachverständlichkeit einziges und höchstes Gut - dem Rest wird kaum Beachtung<br />

geschenkt, es wird, was die emotionale Wirkung des Tons angeht, komplett auf Musik<br />

gesetzt.<br />

Ich denke, es ist eine nur Frage der Zeit, bis sich Dolby 5.1 auch als Fernsehstandard<br />

durchsetzten wird. Durch die Nutzung ausschließlich digitaler Übertragungswege wird die<br />

Begrenzung der Dynamik als technische Anforderung für eine Fernsehmischung im Gegensatz<br />

zur Kinomischung wegfallen oder zumindest weniger extrem sein; es wird wieder (wie im Kino<br />

oder auf DVD) mehr Platz geben für Tonräume neben der Sprache, da sich die Lautstärke der<br />

einzelnen Kanäle von jedem Nutzer separat regeln lässt.<br />

Wäre schön, wenn es dann auch noch Leute gibt, die dies auch inhaltlich zu nutzen wissen.<br />

Denn mit der Fokussierung auf die reine Sprachverständlichkeit komme ich vielleicht älteren<br />

oder hörgeschädigten Zuschauern entgegen, erzeuge aber lediglich ein akustisches<br />

Äquivalent zu Lars von Triers "Dogville": eine leere Bühne der Worte (interessanter Film: aber<br />

jeden Tag).<br />

Ute Astrid Rall<br />

P.S. Ich gebe freimütig zu: ich habe den Tonschnitt immer gehasst - diese Fummelei, diese<br />

akribische Genauigkeit, dieser Wust an Tönen. Ich war ziemlich erleichtert, als die<br />

Spezialisierung in Bild- und Tonschnitt zur Regel wurde, das einzige, was ich daran vermisst<br />

habe, war das Aussuchen der Töne im Archiv. Heute finde ich, wir haben uns ziemlich<br />

leichtfertig damit arrangiert, über die Trennung von Bild- und Tonschnitt und auch den<br />

<strong>Ein</strong>fluss auf die Gestaltung des Tones aus der Hand zu geben.

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