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Psychopathologie - Medizinische Universität Graz

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<strong>Psychopathologie</strong><br />

Gegenstand: „Lehre vom seelisch Abnormen“<br />

• „seelisch“ Erlebnisweisen, Erfahrungen<br />

Verhaltensweisen<br />

Psychopathologische Symptome u. verstehen<br />

Zeichen, die wir beschreiben u. verstehen<br />

• „Norm“ statistische Norm – soziale Norm<br />

Individualnorm – Idealnorm<br />

+<br />

„abnorm“<br />

„abnorm“ ≠ „krank“<br />

-<br />

Kontextabhängigkeit<br />

Bedeutung<br />

Sinn<br />

quantitativ/qualitativ<br />

• „Gesundheit“ (WHO vs. gelingendes Leben, Echtheit d. Selbstverwirklichung, Bewährung)<br />

• „Krankheit“ (Leidensaspekt – Versagensaspekt – Beziehungsaspekt)<br />

(disease - illnes - sickness impairment - disability - handicap)<br />

Funktionsstörung-Aktivität- soziale Teilnahme<br />

• „Krise“


Voraussetzungen der psychiatrischen Untersuchung<br />

• Interaktion zwischen Arzt und Patient<br />

objektiv beobachtbare Verhaltensweisen<br />

[Fremdbeobachtung]<br />

berichtete subjektive Erlebnisweisen<br />

[Selbstbeobachtung]<br />

„Symptome“<br />

• <strong>Psychopathologie</strong>:<br />

Lehre von der Beschreibung psychischer Erkrankungen<br />

Symptome Syndrome Diagnosen


Wissenschaftliche Erfassung von Zusammenhängen<br />

Erklären (empirisch)<br />

Beobachtung<br />

Hypothesenbildung<br />

Operationalisierung<br />

Experiment<br />

Datenerhebung<br />

Kausalität<br />

• charakteristisches Muster von<br />

Symptomen – Syndrom – Krankheit<br />

• mögliche spezifische Ursachen<br />

• wahrscheinlichste Ursache<br />

• welche Mechanismen hinter den<br />

festgestellten Ursachen<br />

Verstehen (hermeneutisch)<br />

Nachempfinden<br />

statisches (Wesen)<br />

genetisches Verstehen / Tiefenhermeneutik<br />

(Zusammenhänge)<br />

Erzählen – Zuhören: Dialog<br />

Bedeutung - Sinn<br />

• Erzählen als subjektive Erfahrung von Krankheit<br />

• subjektive Vorstellungen / Konzepte von Erkrankung<br />

und deren Verursachung<br />

• Krankheit als Krise: Sinnsuche und Sinnfindung<br />

• chronische Krankheit als biographisch relevante Krise<br />

• Bedeutung von Metaphern im Kontext von<br />

Krankheitsbewältigung


Wissenschaftliche Wertigkeit subjektiver und objektiver Momente<br />

in der Krankengeschichte<br />

Wissenschaftliche Bewertung<br />

positiv<br />

negativ<br />

Subjektiv Individualität kaum messbar<br />

Verantwortlichkeit<br />

komplexe Handlungsebene<br />

auch Grundlage der<br />

nicht (beliebig) reproduzierbar<br />

Erkenntnis des Objektiven<br />

idiographisch<br />

verfälscht „objektive“ Daten<br />

Objektiv eindeutig distanziert<br />

meßbar<br />

ignoriert Individualität<br />

reproduzierbar<br />

bloß an äußeren Manifestationen<br />

der Krankheit orientiert<br />

nomothetisch<br />

Krankheit ohne kranken / leidenden<br />

Menschen


Psychiatrische Untersuchung<br />

• jetzige Erkrankung:<br />

- Schilderung der Beschwerden bzw. Anlass der Vorstellung/Aufnahme<br />

- Beginn und Entwicklung der aktuellen Symptomatik<br />

• psychopathologische Befunderhebung<br />

- (systematische, strukturierte Exploration)<br />

• psychiatrische Vorerkrankungen<br />

• psychiatrische Familienanamnese<br />

• aktuelle somatische Erkrankungen/Therapien<br />

- internistischer und neurologischer Status<br />

• Einnahme von psychotropen Substanzen<br />

• biographische Entwicklung (Lebensumstände, Lebensereignisse, innere Entwicklung)<br />

- Geburtkomplikationen<br />

- frühe körperliche, emotionale, kognitive u. soziale Entwicklung<br />

- frühkindliche Neurotizismen, Traumatisierungen<br />

- frühe familiäre u. soziale Umwelt<br />

- schulischer, beruflicher, sozialer Werdegang<br />

- sexuelle Anamnese, Partnerbeziehungen, Ehe u. Familie<br />

- aktuelle Lebenssituation


Erfassung psychopathologischer Symptome<br />

• Äußeres Erscheinungsbild, Verhalten<br />

• Bewusstsein - quantitaive/qualitative Störungen<br />

• Orientierung - Zeit, Ort, Person<br />

• Aufmerksamkeit, Konzentration, Auffassung<br />

• Merkfähigkeit, Altzeitgedächtnis<br />

• Intelligenz - Allgemeinwissen, Denkleistung<br />

• Formales Denken<br />

• Wahrnehmung - Halluzinationen (akustisch, optisch u. a.)<br />

• inhaltliche Denkstörungen - überwertige, wahnhafte Ideen<br />

• Ich-Erleben - psychotische Ich-Störungen<br />

• Zwänge, Phobien, Ängste<br />

• Stimmungslage, Affektivität<br />

• Antrieb/Psychomotorik<br />

• Vitalität/Vegetativum<br />

• Suizidalität<br />

• Krankheitserleben, - gefühl, -einsicht<br />

• Primärpersönlichkeit


Diagnostische Überlegungen<br />

Welches Syndrom steht im Vordergrund<br />

des psychopathologischen Status<br />

Querschnitt und Verlauf<br />

Pathogenese - Ätiologie<br />

Differentialdiagnose<br />

Diagnose<br />

Therapie


Syndrom-Begriff<br />

Symptome:<br />

Syndrome:<br />

Zeichen von Erkrankungen<br />

Muster typischer Symptomkonstellationen<br />

- nosologisch unspezifisch<br />

- unterschiedliche Ursachen<br />

„Syndrom“<br />

„multifaktorielle Syndromgenese“


Multifaktorielle Syndromgenese<br />

Kategorien der<br />

Anlagefaktoren<br />

Charakter [Persönlichkeit]<br />

Dimensionen der<br />

syndromgenetischen<br />

Faktoren (I – IV)<br />

Umwelt-Faktoren [I]<br />

einschließlich aktueller<br />

psychosozialer Situation<br />

psychopathologisches<br />

Intelligenz Biographische Faktoren [II] Syndrom<br />

Hereditäre Faktoren im<br />

Hinblick auf eine Disposition<br />

von psychischen Störungen<br />

Anlagefaktoren [III]<br />

Organische Faktoren [IV]


Stufen der psychiatrischen Diagnostik<br />

Paranoid-halluzinatorische Schizophrenie<br />

Diagnose<br />

keine körperliche Ursache Symptome seit einem Monat diagnostische<br />

Ein-/Ausschluss-<br />

Kriterien<br />

paranoid-halluzinatorisches Syndrom<br />

Syndromebene<br />

Gedanken- Verfolgungswahn gemachte Gefühle Psychopatholautwerden<br />

Ich-Störungen logische<br />

Symptomebene<br />

„ich höre meine „Geheimdienst „meine Gefühle Exploration<br />

eigenen Gedanken“ ist hinter mir her“ werden ferngelenkt“


Multiaxiale Ansätze in ICD 10 und DSM IV<br />

ICD 10<br />

DSM IV<br />

Achse I Klinische Diagnosen: Klinische Störungen<br />

- psychisch und andere klinische<br />

- somatisch Zustandsbilder<br />

Achse II Psychosoziale Funktions- Persönlichkeitsstörungen<br />

einschränkungen<br />

Intelligenzstörungen<br />

-Selbstfürsorge<br />

-Beruf<br />

- Familie und Haushalt<br />

- weitere soziale Kontexte<br />

- Globaleinschätzung<br />

Achse III Psychosoziale Belastungsfaktoren allgemeine medizinische<br />

und Lebensbewältigung<br />

Zustandsbilder<br />

Achse IV ./. Psychosoziale u.<br />

Umgebungsfaktoren<br />

Achse V ./. Globalbeurteilung des<br />

psychosozialen<br />

Funktionsniveaus


Lebensgeschichte und Krankengeschichte<br />

Biographie:<br />

Krankheit:<br />

persönliche Entwicklung und Lebensentwurf<br />

Lebenskräfte, Lebenskonflikte, Entwicklungsaufgaben<br />

Zeitdimension: Vergangenheit – Aktualität – Zukunft<br />

Grundthemen: Identität – Beziehung – Umwelt<br />

Wertedimension<br />

Lebensgeschichte – Erzählung – Narrativ<br />

Krankheitskonzeptualisierung - Krankheitsbilder<br />

Erkenntnismethoden<br />

Subjekt des Erkennens – Objekt der Erkenntnis<br />

Krankheitsgeschichte – Diskurs / Konstruktion der Erkrankungen<br />

Krankengeschichte – Geschichte des erkrankten, kranken,<br />

wiedergesundenden, sterbenden Menschen<br />

Sprachen, Erzählungen von Leben und Krankheit:<br />

Konsequenzen - Relationen


Lebensgeschichte und Krankengeschichte<br />

Geschichte der Krankheit<br />

(Pathogenese)<br />

Kasuistik<br />

Geschichte des Kranken<br />

(Psychohistorie)<br />

Biographik<br />

Figur<br />

Grund<br />

Grund<br />

Figur


Die Interaktion der <strong>Psychopathologie</strong><br />

mit wissenschaftlichen Nachbardisziplinen<br />

Psychodynamik<br />

Psychologie<br />

Epidemiologie<br />

Neuroscience <strong>Psychopathologie</strong> Soziologie<br />

Spezielle Psychopatholgoie<br />

Psychiatrische Krankheitslehre


Zum Verhältnis von Psychiatrie und Psychologie –<br />

einige Anmerkungen und Beispiele<br />

Wilhelm Wundt: Begründer der naturwissenschaftlichen,<br />

physiologischen Psychologie<br />

Emil Kraepelin: Begründer der empirisch-klinischen<br />

Psychiatrie und Klassifikation psychischer Krankheiten<br />

mühevoller Selbstfindungsprozess der Psychologie<br />

ebenso wie der modernen Psychiatrie


Das Forschungsprogramm E. Kraepelins,<br />

Professor der Psychiatrie in München (1903 – 1922)<br />

Experimental-Psychologie / „Über die Einwirkung einiger medikamentöser Stoffe auf die Dauer<br />

Pharmakopsychologie einfacher Stoffe“ (1881): Tee, Koffein, Alkohol Pharmakopsychiatrie<br />

Methodologie<br />

Genetische Forschung<br />

klinische Beobachtung und Beschreibung von „Erscheinungsformen“ und<br />

„Verläufen“: systematische Befunderhebung und Klassifikation<br />

zur Auswertung klinischer Daten: statistische Methoden<br />

Psychiatrische Epidemiologie<br />

Neuroanatomie/Neuropathologie – Chemie - Forensische Psychiatrie - Transkulturelle Psychiatrie


E. Kraepelin als Mitbegründer der<br />

Biologischen Psychiatrie<br />

• Förderung vor allem von biologisch-psychiatrischen Forschungsansätzen<br />

• Forderung eines Methodenpluralismus<br />

• Wissenschaftstheoretisch: kein rein materialistischer Standpunkt,<br />

sondern Parallelismus-Standpunkt beim Leib-Seele-Problem<br />

[grundlegender Einfluss von Wilhelm Wundt]<br />

Forschungsprogramm:<br />

Biologische Psychiatrie im Dialog<br />

mit benachbarten „Hilfswissenschaften“


Selbstverständnis der Psychologie in Beziehung<br />

zur Psychiatrie<br />

• „Science of behavior and the mind“ (Gray 1994)<br />

• empirische Wissenschaft: erfahrungswissenschaftliche Disziplin Experiment<br />

• Grundlagenwissenschaft: Mechanismen / Prinzipien, die menschliches Verhalten regulieren, den<br />

Veränderungen des Verhaltens im normalen und pathologischen Bereich zugrunde liegen<br />

Diagnostik<br />

• Angewandte Wissenschaft: rational fundierte Anwendung von Methoden, unter welchen<br />

Bedingungen welche Methoden der Handlungsstrategien welche Erfolge<br />

Therapie<br />

• Sozial- / Geisteswissenschaften – Psychologie – Natur- / Biowissenschaften / Medizin<br />

• Leib-Seele-Problem: Komplementaritätsprinzip (Fahrenberg 1981) - somatische und psychische<br />

Datenebene ergänzen sich wechselseitig, je eigene Kategoriensysteme, theoretische<br />

Begründungszusammenhänge, Begründungsmethodologien, gegen ontologischen Reduktionismus<br />

• Klinische Psychologie: „Teildisziplin der Psychologie, die sich mit psychischen Störungen und<br />

mit den psychischen Aspekten somatischer Störungen befasst“ (Baumann, Perrez 1998)


Psychiatrie und Psychologie –<br />

eine fruchtbare und unverzichtbare Arbeitsbeziehung<br />

• Klassifikation psychischer Störungen: operationalisierte Diagnosesysteme<br />

• Psychologische Forschungsansätze zu Reliabilität und Validität<br />

psychiatrischer Diagnostik und Verlaufsforschung<br />

• Zunehmende Bedeutung von Entwicklungspsychopathologie<br />

und Persönlichkeitsforschung<br />

• Zunehmende Bedeutung von Edukation, Bewältigung, Rehabilitation<br />

• Überragende Bedeutung von klinischer Psychologie und Psychotherapie


Beziehung von Psychologie und Psychiatrie –<br />

einige Beispiele der konstruktiven Arbeitsbeziehung<br />

„If psychology has a contribution to make to the understanding of psychiatric<br />

problems, it should be able to pinpoint psychiatric problems to ´underlying´<br />

psychological processes. The success of this explanatory endeaver should be<br />

apparent from its fruits; it should produce powerful predictions of clinical<br />

phenomena and effective interventions, preferable not only in psychological<br />

laboratories but also in treatment settings“<br />

New Oxford Textbook of Psychiatry [2000]


Beziehung von Psychologie und Psychiatrie –<br />

einige Beispiele der konstruktiven Arbeitsbeziehung<br />

• Biologische Psychologie<br />

klinische Phänomene (Kognition, Emotion, Verhalten): biopsychologische Phänomene<br />

[Kontext der Analyse: gestörte zerebrale Funktionen]<br />

• Modelle der Informationsverarbeitung<br />

Störungen in der Informationsverarbeitung: Reizaufnahme (Filter), Aufmerksamkeit,<br />

Gedächtnis etc.: mögliche Vorbedingungen und aufrechterhaltende Faktoren in<br />

Entstehung und Verlauf psychischer Störungen<br />

[Kontext der Analyse: Parallelen zur Computertechnologie]<br />

• Kognitive Theorien zu Schemata, Überzeugungen, Intentionen<br />

falsche Überzeugungen bedeutsam für Entstehung, Auslösung, Aufrechterhaltung<br />

psychischer Störungen<br />

[Kontext der Analyse: falsche Überzeugungen eines Patienten]

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