Informationsbroschüre als PDF - Flohrm hle - Samtgemeinde Eschede
Informationsbroschüre als PDF - Flohrm hle - Samtgemeinde Eschede Informationsbroschüre als PDF - Flohrm hle - Samtgemeinde Eschede
DIRK LEUNE Flohrmühle Eschede Die Chronik der alten Windmühle am Glockenkolk Heft l Aus der Geschichte der Samtgemeinde Eschede
- Seite 2 und 3: Aus der Geschichte der Samtgemeinde
- Seite 4 und 5: VORWORT Die vorliegende Chronik der
- Seite 6 und 7: VOM REIBSTEIN ZUR WINDMÜHLE Irgend
- Seite 8 und 9: Es handelte sich zunächst immer um
- Seite 10 und 11: MÜLLERSLEUTE UND MÜHLENHERREN Mü
- Seite 12 und 13: Die Müller sind dann noch viel kec
- Seite 14 und 15: Abb. 6: Die Aschaumühle in Habigho
- Seite 16 und 17: Eschede Eine Mühle (oder nur ein E
- Seite 18 und 19: Heyer zu einer Zeit baute, als binn
- Seite 20 und 21: DAS JAHR 1874 Die restaurierte „F
- Seite 22: und Pfennig auf die heute noch gül
- Seite 25 und 26: Abbildung 11: Rekonstruierter Schni
- Seite 27 und 28: Abb. 12: Die Familie Flohr im Garte
- Seite 29 und 30: Um die Mühle gruppierten sich klei
- Seite 31 und 32: Abb. 15: Zeichnung für den Einbau
- Seite 33 und 34: Abb. 17: „Onkel Willem“, Mülle
- Seite 35 und 36: An die Windmühlenzeit erinnerte nu
- Seite 37 und 38: Abb. 23: Die Reberlaher Straße in
- Seite 39 und 40: alten Dorf an Kirche und Aschau die
- Seite 41 und 42: Gemeinde Eschede aufgebracht; aller
- Seite 43 und 44: Abb. 27: Die Holzflügel werden ang
- Seite 45 und 46: Abb. 28: Die Mühle nach der Restau
- Seite 47 und 48: Abb. 30: Erste Trauung in der Flohr
- Seite 49 und 50: Abb. 34: Bei der Eröffnung des 2.
- Seite 51: - Siegfried Gehrmann Festschrift zu
DIRK LEUNE<br />
<strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> <strong>Eschede</strong><br />
Die Chronik der alten Windmü<strong>hle</strong> am Glockenkolk<br />
Heft l<br />
Aus der Geschichte der <strong>Samtgemeinde</strong> <strong>Eschede</strong>
Aus der Geschichte der <strong>Samtgemeinde</strong> <strong>Eschede</strong>, Band 1<br />
Herausgeber: <strong>Samtgemeinde</strong> <strong>Eschede</strong> ©<br />
Erste Auflage:<br />
Missionshandlung Hermannsburg, 1981<br />
Erweitert und korrigiert: <strong>Samtgemeinde</strong>archiv <strong>Eschede</strong>, 2005
Zum Geleit<br />
Diese kleine Schrift, zur Einweihung der restaurierten „<strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>“<br />
herausgegeben, nimmt das Geschehen um die Mü<strong>hle</strong> in <strong>Eschede</strong><br />
zum Anlass, ein Stück Orts- und Zeitgeschichte darzustellen und<br />
damit vielleicht Interesse an der Beschäftigung mit Vergangenheit<br />
und Gegenwart unserer Gemeinde zu wecken. Dafür haben wir dem<br />
Verfasser aufrichtig zu danken.<br />
Mit dem Dank verbinden wir die Hoffnung, dass anlässlich ähnlicher<br />
Ereignisse weitere Schriften folgen und auf diese Weise eine<br />
Ortschronik entsteht, denn wer die Gegenwart begreifen will, darf<br />
die Vergangenheit nicht vergessen.<br />
Die Gemeinde <strong>Eschede</strong> hat zum ersten Male in ihrer Geschichte<br />
beträchtliche Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt, um ein dem<br />
Verfall preisgegebenes Zeugnis des dörflichen Lebens für die Nachwelt<br />
zu erhalten. Gemessen an den finanziellen Möglichkeiten unserer<br />
Gemeinde war dies kein leichter Entschluss, auch wenn der<br />
Landkreis Celle durch seine Zuweisung das Bemühen der Gemeinde<br />
voll unterstützte.<br />
Wie sehr der Gedanke der Heimatpflege auch in unseren Tagen von<br />
großen Teilen der Bevölkerung getragen wird, zeigt sich darin, dass<br />
die Einrichtungsgegenstände der Mü<strong>hle</strong> aus Leihgaben unserer<br />
Bürger bestehen.<br />
Unser Dank gilt abschließend allen, die uns mit Rat und Tat unterstützt<br />
haben, um den Erwerb und den Wiederaufbau des sonst dem<br />
Verfall unweigerlich preisgegebenen Mü<strong>hle</strong>nrumpfes zu ermöglichen.<br />
<strong>Eschede</strong>, im März 1981<br />
Heinrich Lange Joachim Hoppe<br />
Bürgermeister Gemeindedirektor
VORWORT<br />
Die vorliegende Chronik der „<strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>“ soll Anfang einer Reihe<br />
von Veröffentlichungen aus der Geschichte <strong>Eschede</strong>s sein. Ganz<br />
bewusst wurde - aus Anlass der Mü<strong>hle</strong>nrestaurierung - ein Thema<br />
aus der Zeitgeschichte gewählt, denn die meisten Dokumente aus<br />
den Jahrzehnten zwischen 1900 und 1945 sind gegen Ende des<br />
Krieges vernichtet worden und es gilt soviel wie möglich aus der<br />
Erinnerung der Zeitgenossen zu sammeln und aufzuschreiben.<br />
Eine wichtige Stütze sind die Materialien zur geplanten Dorfchronik<br />
der ehemaligen Schulleiterin Hildegard Röhr, denen wir für dieses<br />
Thema die Angaben zur Geschichte der <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> vor 1920 entnehmen<br />
konnten. Aber erst wenn interessierte Mitbürger in Erinnerungen,<br />
alten Fotoalben oder „Rummelschubladen“ kramen, lassen<br />
sich die vielen Lücken schließen, die unser Wissen um die letzten<br />
hundert Jahre in <strong>Eschede</strong> noch hat.<br />
Sicher wird mancher schon beim Lesen dieses Heftes Dinge dargestellt<br />
finden, die er anders in Erinnerung hat oder die er ergänzen<br />
kann. Für alle derartigen Hinweise sind wir sehr dankbar, denn wir<br />
wissen natürlich, wie leicht sich Irrtümer einsc<strong>hle</strong>ichen und wie<br />
schnell sich Vermutungen beim Weitererzä<strong>hle</strong>n in Gewissheiten<br />
verwandeln können.<br />
Schon während der Abfassung dieser Chronik erfuhren wir ständig<br />
neue Einzelheiten, die in denText eingearbeitet werden mussten<br />
oder erhielten Fotos, die die Bebilderung ergänzten, so dass der<br />
Termin der Veröffentlichung ständig hinausgeschoben wurde.<br />
Nun ist es endlich soweit - und das ist für mich Anlass, allen Mitarbeitern<br />
ganz herzlich zu danken. Mein besonderer Dank gilt Frau<br />
Margarete Alps, geb. Flohr, Frau Berta Barchfeld, geb. Flohr und<br />
Herrn Georg Barchfeld, die sich viele Male geduldig ausfragen
ließen, und mir auch einige private Fotos zur Verfügung stellten.<br />
Darüber hinaus danke ich Herrn August Felsmann für die Zeichnungen<br />
verschiedener Mü<strong>hle</strong>n, Herrn Albert Denecke für die Bereitstellung<br />
von Bildern und die Anfertigung von Schnittbildern<br />
der alten Windmü<strong>hle</strong> sowie Klaus Drögemüller von der <strong>Samtgemeinde</strong>verwaltung<br />
<strong>Eschede</strong>, der mich zu dieser Arbeit „anstiftete“,<br />
den Druck organisierte und den Satz herstellte.<br />
Selbstverständlich sind für die ersten Kapitel eine ganze Reihe<br />
anderer Veröffentlichungen zu Rate gezogen worden. Die einzelnen<br />
Zitate sind nicht gekennzeichnet, um die Lesbarkeit des Heftes<br />
zu erleichtern. Auf entsprechende Anmerkungen wurde ebenfalls<br />
verzichtet, um die vorgegebene Seitenzahl für Berichte und Bilder<br />
zu nutzen. Es ist aber vorgesehen, ein Exemplar der Mü<strong>hle</strong>nchronik<br />
mit allen diesen Angaben zu versehen und in der Gemeindebibliothek<br />
interessierten Lesern zugänglich zu machen.<br />
<strong>Eschede</strong>, im März 1981<br />
Dirk Leune<br />
Anmerkungen zur vorliegenden Ausgabe<br />
Fast ein Vierteljahrhundert ist nun seit der Einweihung der restaurierten<br />
<strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> vergangen. Viel hat sie gesehen und erlebt in<br />
dieser Zeit: zahlreiche Trauungen, Ausstellungen und Veranstaltungen<br />
in ihrem Innern und rundherum, auch immer wieder notwendige<br />
Restaurierungsarbeiten.<br />
Da das Heft zur Geschichte der <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> schon seit geraumer<br />
Zeit völlig vergriffen ist, aber immer wieder danach verlangt wird,<br />
wurde diese etwas erweiterte (teilweise berichtigte) Druckausgabe<br />
erstellt.<br />
<strong>Eschede</strong>, im Februar 2005<br />
Kurt-W. Seebo
VOM REIBSTEIN ZUR WINDMÜHLE<br />
Irgendwann, vor Tausenden von Jahren, begannen die Menschen<br />
Gerichte aus Körner zu bereiten.Aus dem Steppengras der Sammlerhorden<br />
züchteten Bauern der Jungsteinzeit Getreide. Seither brauchte<br />
man auch Geräte zum Zerkleinern der Körner. Viele Jahrhunderte<br />
hindurch war das Ma<strong>hle</strong>n eine langwierige und mühevolle Hausarbeit,<br />
die Frauen oder Sklaven mit Hilfe primitiver Steingeräte<br />
verrichteten (Abbildung 1).<br />
Die Entwicklung der „Quernen“ (Abbildung 2) erleichterte die Arbeit<br />
ein wenig. Der Läuferstein war durch eine Achse oder einen<br />
Rand festgehalten, und die Drehbewegung ist arbeitstechnisch angenehmer,<br />
<strong>als</strong> das Hin- und Herrollen eines losen Steins. Quernen<br />
wurden noch vor 200 Jahren im Solling <strong>als</strong> Haushaltsmü<strong>hle</strong>n hergestellt,<br />
dienten aber zu dieser Zeit wohl nur <strong>als</strong> Gewürzmü<strong>hle</strong>n.<br />
Der Begriff wurde in älterer Zeit aber auch auf die mechanischen<br />
Mü<strong>hle</strong>n übertragen. So findet er sich in unserer „Quarmü<strong>hle</strong>“ (früher<br />
„Quernemole“) und die Mü<strong>hle</strong>nstadt Hameln hieß früher<br />
„Quernhameln“.<br />
Die ältesten Mahlwerkmaschinen sind Wassermü<strong>hle</strong>n. Sie wurden<br />
vor etwa 2000 Jahren im Mittelmeerraum entwickelt und zur Römerzeit<br />
nach Deutschland gebracht. Vor rund tausend Jahren waren<br />
sie überall verbreitet.<br />
Eine Beschreibung der vielen verschiedenen Arten des Wasserantriebs<br />
würde über den Rahmen dieser Veröffentlichung hinausgehen;<br />
jedenfalls wirkten auch in unserer Heimat die Müller des<br />
Mittelalters stets in Wassermü<strong>hle</strong>n.<br />
Erst einige Jahrhunderte später gab es in Deutschland eine nennenswerte<br />
Anzahl von Windmü<strong>hle</strong>n. Über den Beginn ihres Aufkommens<br />
in Westeuropa streiten sich noch die Gelehrten (bis hin<br />
zum Vorwurf der Quellenfälschung!).<br />
6
Abb. 1: Reibstein. Zum Ma<strong>hle</strong>n hockte man auf den Knien und rollte<br />
die Steinkugel auf der Unterlage.<br />
Abb. 2: Querne. Die steinerne Drehmü<strong>hle</strong> wurde von oben<br />
gefüllt. Die Öffnung an der Vorderseite hieß im Volksmund<br />
„Kleikotzer“.<br />
7
Es handelte sich zunächst immer um die ganz aus Holz gebauten<br />
Bockwindmü<strong>hle</strong>n (Abbildung 3) deren gesamtes Gehäuse mit Hilfe<br />
eines Balkens (Steert) über einem Holzfundament (dem „Bock“)<br />
in den Wind gedreht werden konnte. In unserem Landkreis ist ein<br />
schönes Exemplar in Winsen/Aller erhalten.<br />
Da bei dieser Mü<strong>hle</strong> das ganze Gewicht auf dem Drehpunkt des<br />
Holzbockes lag, ließ sie sich nicht beliebig vergrößern. So entstand<br />
<strong>als</strong> Weiterentwicklung die Holländerwindmü<strong>hle</strong>. Das Prinzip eines<br />
festen Hauses mit drehbarem Oberteil hatte schon Leonardo da<br />
Vinci, der vielseitige Künstler und Techniker, um 1500 skizziert.<br />
Es dauerte aber noch fast 200 Jahre, bis sie sich von Holland her im<br />
nördlichen Mitteleuropa durchsetzten.<br />
Während im Küstengebiet die mehrstöckigen „Galerieholländer“<br />
überwiegen, gab es im Kreis Celle nur „Erdholländer“ (Abbildung<br />
5). Die Kappe beider Typen wurde entweder – wie in <strong>Eschede</strong> –<br />
mit einer Balkenkonstruktion per Hand, oder durch eine Windrose<br />
gedreht.<br />
8<br />
Abb. 3: Bockwindmü<strong>hle</strong>.
Abb. 4: Erdholländer.<br />
Diesem Mü<strong>hle</strong>ntyp<br />
entspricht auch die<br />
<strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>.<br />
Abb. 5: Galerieholländer.<br />
Mü<strong>hle</strong>n dieses Typs sind vor<br />
allem im Küstenraum<br />
verbreitet.<br />
9
MÜLLERSLEUTE UND MÜHLENHERREN<br />
Mü<strong>hle</strong>n wurden bis ins frühe 19. Jahrhundert vom – adligen –<br />
Grundherrn eingerichtet. Er schuf die rechtlichen Voraussetzungen,<br />
wies Grundstück und Bauholz zu, veranlasste Wasserbaumaßnahmen,<br />
bestellte und überwachte die Pächter und entließ<br />
sie bei Misswirtschaft. Mit der Einrichtung der Mü<strong>hle</strong> wurden ihr<br />
auch bestimmte Dörfer zugeteilt („Mahlzwang“) in denen dann<br />
das Benutzen von Handmü<strong>hle</strong>n bei Strafe verboten war.<br />
Unsere Altvorderen werden den technischen Fortschritt kaum freudig<br />
begrüßt haben, denn selbstverständlich war das herrschaftliche<br />
Ma<strong>hle</strong>n mit einer Abgabe (der „Matte“, von „Maß“) verbunden,<br />
die der Müller einzog – und behördliche Gebühren waren im Mittelalter<br />
so unbeliebt wie heute.<br />
Dem Müller oblag der Mü<strong>hle</strong>nbetrieb und meistens auch die Erhaltung<br />
der Brücke über den Mü<strong>hle</strong>nbach. Daneben benötigte er<br />
eine kleine Landwirtschaft zur Selbstversorgung und durfte gelegentlich<br />
einen Ausschank für wartende Kunden betreiben.<br />
Als unfreie Pächter und mögliche Vertraute des Grundherrn waren<br />
die Müller bei den Bauern nicht sonderlich geschätzt. Man verdächtigte<br />
sie immer der Unehrlichkeit; denn niemand konnte überprüfen<br />
ob dem Kunden wirklich alles Korn vermä<strong>hle</strong>n wurde, oder<br />
ob der Müller neben der „Matte“ noch etwas beiseite schaffte. Jedenfalls<br />
soll den Müllern nicht überall das Halten von Federvieh<br />
und mehr <strong>als</strong> drei Kühen gestattet worden sein, um die Verlockung<br />
zum Untersc<strong>hle</strong>if in Grenzen zu halten.<br />
Müller galten im Mittelalter – und das dauerte wirtschaftsrechtlich<br />
bei uns oft bis ins 19. Jahrhundert – <strong>als</strong> „unehrliche“ Leute. Sie<br />
teilten diese Einschätzung mit Schäfern, Abdeckern, Henkern und<br />
fahrendem Volk, Berufsständen, die entweder „unreine “ Tätigkeiten<br />
ausübten oder keiner Nachbarschaftskontrolle unterlagen.<br />
10
Diese Menschen wurden nicht in Handwerkszünfte aufgenommen<br />
und hatten noch <strong>als</strong> Kinder und Enkel rechtliche Nachteile.<br />
Die Müller waren wohl auch deswegen betroffen, weil ihre Mü<strong>hle</strong><br />
– manchmal weit außerhalb des Dorfes – <strong>als</strong> verschwiegener Treffpunkt<br />
für Pärchen oder lichtscheue Gestalten galt. Ob auch noch<br />
alte germanische Vorstellungen im Spiel sind, wonach der Müller<br />
den einstm<strong>als</strong> heiligen Naturkräften Wind und Wasser Gewalt antut,<br />
lässt sich nicht mehr sicher beantworten. Jedenfalls erzä<strong>hle</strong>n Märchen,<br />
Sagen und Spukgeschichten, in denen vermutlich viele alte<br />
Glaubensvorstellungen fortwirkten, häufig von Müller und Mü<strong>hle</strong>n.<br />
Ein Beleg für das Verhältnis von Bauer und Müller findet sich in<br />
einem Aufsatz des Heimatforschers Friedrich Barenscheer über die<br />
Bröckeler Windmü<strong>hle</strong> von 1861 – sozusagen eine „Schwester“ der<br />
<strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>. Hier sind ein paar Verse abgedruckt, die vom damaligen<br />
Dorfvorsteher und Gelegenheitsdichter Christian Berkhan<br />
(Bröckel) stammen und <strong>als</strong> Abschluss dieses Kapitels dienen sollen.<br />
Man drischt das Korn und macht es rein<br />
und tut es in den Sack hinein;<br />
man bringt es nach der Mühl hinauf,<br />
doch warten da schon viere drauf.<br />
Erst nimmt der Wind sein Teil in Staub<br />
und führt ihn weg <strong>als</strong> seinen Raub,<br />
die Müller tun viel darauf rechnen<br />
und tun gar viel vom Staube sprechen.<br />
Die Mü<strong>hle</strong> will auch etwas haben<br />
und sich für ihre Arbeit laben;<br />
dieselbe hat dann viele Ecken,<br />
darin sie kann ihr Teil verstecken,<br />
und wenn dies dann die Müller finden,<br />
dies sind ja doch wohl keine Sünden.<br />
11
Die Müller sind dann noch viel kecker,<br />
sie greifen mit’n Toftern Becher<br />
in jeden Himpten mal hinein,<br />
und wenn sie sich nicht sicher sein,<br />
ob sie die Matte schon bekommen,<br />
so wird sie gleich nochmal genommen!<br />
Jetzt denkt man, ist das Geben aus,<br />
man will jetzt mit dem Rest nach Haus<br />
und kommt man an die Türesschwelle,<br />
da steht dem Müller sein Geselle,<br />
auch dieser will noch eine Gabe,<br />
weil er die Mühl’ gestellet habe.<br />
GETREIDEMÜHLEN IM GEBIET DER HEUTIGEN SAMT-<br />
GEMEINDE ESCHEDE<br />
Habighorst<br />
Die älteste Mü<strong>hle</strong> in Habighorst lag etwa 500 Meter vor der Mündung<br />
des Quarmbaches in die Aschau. Laut einer Urkunde aus dem<br />
Jahr 1417 wurde der Sattelhofbesitzer Luderus Havichorst nebst<br />
einer Kote und zwei Höfen in Habighorst mit dieser Mü<strong>hle</strong> belehnt.<br />
Später wurde noch eine Mü<strong>hle</strong> direkt im Dorf an der Aschau angelegt.<br />
Sie gehörte auch dem Gute und wurde zum Unterschied von<br />
der alten Mü<strong>hle</strong> die „Hasselmü<strong>hle</strong>“ genannt. Im Jahre 1589 sind<br />
beide Mü<strong>hle</strong>n bzw. Müller für Habighorst genannt: der „Haßelmoller“<br />
und der „Quermoller“. Nach der Quarmü<strong>hle</strong><br />
(„Quernemole“) erhielt der „Quarmbeck“, der Mü<strong>hle</strong>nbach, seinen<br />
Namen.<br />
Während die Aschaumü<strong>hle</strong> noch heute an der gleichen Stelle liegt,<br />
hatte die Quarmü<strong>hle</strong> eine bewegtere Geschichte. Während des Dreißigjährigen<br />
Krieges war sie eingegangen. In einer Eingabe aus dem<br />
Jahr 1675 heißt es: „Die hievor in den Kriegszeiten verwüstete<br />
12
Quermü<strong>hle</strong>.“ Erst Jahrzehnte später wurde sie durch Initiative des<br />
Rittergutsbesitzers Georg Ernst von Melville wieder aufgebaut. 1870<br />
wurde das alte Gebäude abgetragen.<br />
An der Stelle wurde das gleichnamige Ausflugslokal „Quarmü<strong>hle</strong>“<br />
errichtet, das 1983 abbrannte und abgerissen wurde.<br />
Marwede<br />
Die Marweder Mü<strong>hle</strong> wird im Schatzregister von 1438 erwähnt.<br />
Ihr wirtschaftliches Auf undAb im Laufe der Jahrhunderte hat Paul<br />
Borstelmann im Sachsenspiegel vom 27.9.1975 ausführlich beschrieben.<br />
Besondere Bedeutung hatte sie vermutlich im 17. Jahrhundert,<br />
<strong>als</strong> sie Bäckerei und Konditorei des königlichen Jagdschlosses<br />
Weyhausen beliefern musste. In dieser Zeit war auch eine Sägemü<strong>hle</strong><br />
angeschlossen worden. Der Mahl- und Sägebetrieb wurde<br />
bis in die jüngere Vergangenheit fortgesetzt.<br />
Endeholz<br />
Auf eine Mü<strong>hle</strong> in Endeholz deutet der Flurname „Mö<strong>hle</strong>nbrink“.<br />
Dort fand man bei der Anlage von Stauwiesen im Jahr 1874 Mühlsteine<br />
undGeräte. Diese Mü<strong>hle</strong> wurde anscheinend schon sehr früh<br />
aufgegeben und wegen der Nähe von Marwede und Bargfeld wohl<br />
nicht neu eingerichtet.<br />
Höfer<br />
In dem genannten Zinsverzeichnis der Großvogtei Celle ist 1438<br />
ein „Evert Muller to Höfer“ genannt. Ein Mü<strong>hle</strong>nstandort war allerdings<br />
bis vor kurzem nicht bekannt. Erst durch Grabungen Ende<br />
der siebziger Jahre wurde der Platz eindeutig an der Aschau, südlich<br />
des Dorfes, festgestellt. Mehr darüber findet sich in der Ortschronik<br />
Höfer von Rektor Wittmann, die Anfang 1981 erscheinen<br />
wird.<br />
13
Abb. 6:<br />
Die Aschaumü<strong>hle</strong> in Habighorst. Zeichnung von August Felsmann.
Abb. 7:<br />
Die alte Luttermü<strong>hle</strong> in Marwede. Zeichnung von August Felsmann.
<strong>Eschede</strong><br />
Eine Mü<strong>hle</strong> (oder nur ein Einwohner namens Müller?) soll für 1377<br />
urkundlich erwähnt sein. Falls es sie wirklich gegeben hat, ist es<br />
sicher eine Wassermü<strong>hle</strong> gewesen, die an der Aschau lag. Eine<br />
kleine Spur findet sich im Flurnamenverzeichnis, das östlich des<br />
Habighorster Weges einen „Beckmanns Mö<strong>hle</strong>nkamp“ nennt. Das<br />
Flurstück gehörte <strong>als</strong>o zum Beckmann-Alps-Hof in der Osterstraße,<br />
dessen Gelände ja an die Aschau grenzte. Bei entsprechender Spatenforschung<br />
lassen sich vielleicht auch in unserem Ort – wie in<br />
Höfer und Endeholz – noch Reste von Fundamenten und Geräten<br />
finden, die dann präzise Aussagen erlauben.<br />
Außerdem gab es hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Dampfmü<strong>hle</strong><br />
an der Ecke Mü<strong>hle</strong>nstraße/Höhenbergsweg, die von der Bäkkerei<br />
Behn (Bahnhofstraße) betrieben wurde. Über die Gründung<br />
ist bisher nichts bekannt. In einem Rundschreiben der „Korn- und<br />
Mehlverteilungsstelle Celle“ vom 11.10.1917 wird sie genannt.<br />
Eine handschriftliche Notiz der ehemaligen Schulleiterin Röhr erwähnt,<br />
dass die Behn’sche Dampfmü<strong>hle</strong> und Bäckerei am<br />
30.10.1919 abbrannte und nicht wieder aufgebaut wurde. Das<br />
Grundstück nutzten später die Maschinenfabrik Lorenz, das „Celler<br />
Isolierwerk“ (Semler), die Rütgerswerke, und später die Firma<br />
Ulrich-Fördertechnik.<br />
WARUM WURDE IN ESCHEDE 1871 EINE WIND-<br />
MÜHLE GEBAUT?<br />
Wir wissen nicht genau, was den Altmärker Müller Heyer bewog,<br />
im „Grundacker“ über dem Glockenkolk eine Windmü<strong>hle</strong> zu bauen.<br />
Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit dem Abbruch der<br />
Quarmü<strong>hle</strong> (1870). Schriftliche Aufzeichnungen liegen in <strong>Eschede</strong><br />
jedenfalls nicht vor, und die Cellesche Zeitung von 1874 meldet<br />
16
Abb. 8:<br />
Dampfmü<strong>hle</strong> Behn. Die historische Fotografie zeigt rechts den Mü<strong>hle</strong>nbetrieb<br />
und links neben dem Schornstein die Sägerei. Die Mitarbeiter haben<br />
sich malerisch aufgestellt. Der erste von links soll Besitzer Behn sein.<br />
Das Anwesen brannte im Oktober 1919 ab.<br />
aus unserem Dorf nur die Gründung eines Kriegervereins und das<br />
fünfte Stiftungsfest des Gesangvereins. Berichte von so profanen<br />
Dingen wie Geschäftseröffnungen und Neubauten findet man im –<br />
kurzen – Lokalteil zu jener Zeit nicht.<br />
Und doch war es keine Zufallsgründung. Ein Blick in das Verzeichnis<br />
der dörflichen Mü<strong>hle</strong>ntypen im Kreis Celle zeigt, dass<br />
17
Heyer zu einer Zeit baute, <strong>als</strong> binnen 30 Jahren neben den historischen<br />
Wasser- und Bockwindmü<strong>hle</strong>n sieben Erdholländer entstanden.<br />
Da es sich nur in Lachendorf um den Ersatz einer abgebrannten<br />
Windmü<strong>hle</strong> handelte, musste das Anlegen neuer Mü<strong>hle</strong>n zu dieser<br />
Zeit notwendig oder lohnend sein.<br />
Dafür gab es mehrere Ursachen. So war zwischen 1810 und 1812<br />
das Hauptwerk Albrecht Thaers „Grundsätze der rationellen Landwirtschaft“<br />
erschienen. Die naturwissenschaftlich begründeten Vorschläge<br />
des Celler Reformers wurden zunächst auf großen Gütern,<br />
später auch von anderen Bauern, erprobt. Die mittelalterliche Dreifelderwirtschaft,<br />
die immer ein Drittel der Ackerfläche brach liegen<br />
ließ, wurde bis zur Mitte des Jahrhunderts aufgegeben. Die neue<br />
Fruchtfolgewirtschaft brachte deutlich bessere Erfolge.<br />
Außerdem begann um 1840 mit Liebigs Arbeiten das Zeitalter des<br />
Kunstdüngers. Die alte Abhängigkeitskette „Futtermenge – Viehmenge<br />
– Düngermenge“ konnte überwunden werden. Das führte<br />
vor allem auf unseren armen Heideböden zu einer erheblichen Ausweitung<br />
der Ackerflächen bei gleichzeitiger Steigerung der<br />
Hektarertrage. Sie wuchsen bei Getreide von 1800 bis 1900 um<br />
150 % (vom sechsfachen auf das fünfzehnfache des eingesetzten<br />
Saatgut es).<br />
Da in der Zeit von 1830 bis 1870 die Bevölkerung Deutschlands<br />
von 30 auf 40 Millionen gewachsen war bestand auch ein „Nachfragezuwachs“<br />
von über 30 %.<br />
Mit der Ablösung der Grundherrschaft - in Hannover 1831 - fiel der<br />
Mahlzwang (s. Kapitel 2). Nun waren Einrichtung und Betrieb einer<br />
Mü<strong>hle</strong> nicht mehr von der Initiative des Grundherrn abhängig,<br />
sondern dem Entschluss eines kapitalkräftigen Unternehmers freigestellt.<br />
Die Erdholländer im Kreis Celle wurden <strong>als</strong>o errichtet, nachdem<br />
erhöhte Getreideproduktion, gesteigerte Verbrauchernachfrage und<br />
die Ablösung der Grundherrschaft die wirtschaftlichen und gesetzlichen<br />
Voraussetzungen dafür geschaffen hatten.<br />
18
DÖRFLICHE MÜHLENTYPEN IM LANDKREIS CELLE<br />
19
DAS JAHR 1874<br />
Die restaurierte „<strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>“ bleibt unserem Dorf <strong>als</strong> Baudenkmal<br />
erhalten. Sie ist Zeuge einer Zeit, die trotz aller Beschaulichkeit<br />
nachhaltige Veränderungen mit sich brachte.<br />
Die frühen siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts standen ganz unter<br />
dem Eindruck des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 und<br />
der in Versailles bei Paris besiegelten Gründung des deutschen Reiches<br />
mit Kaiser Wilhelm I. Die Reichsregierung hatte Frankreich<br />
neben den Gebieten Elsaß und Lothringen auch hohe finanzielle<br />
Kriegsentschädigungen (eigentlich Beute) abverlangt, die dann in<br />
Berlin dazu verwendet wurden, Staatsschulden zu tilgen. Das freiwerdende<br />
Privatkapital wurde in die Wirtschaft investiert und verursachte<br />
einen großen Aufschwung.<br />
Wegen der vielen Firmengründungen stehen die Jahre von 1870 bis<br />
1873 <strong>als</strong> „Gründerzeit“ in den Geschichtsbüchern. Zwar hatten<br />
manche Unternehmer zuviel riskiert, so dass Pleiten nicht auf sich<br />
warten ließen, die wirtschaftliche Entwicklung war aber insgesamt<br />
gut, und der Glaube an den technischen Fortschritt ungebrochen.<br />
Die vaterländische Begeisterung über das neue „zweite deutsche<br />
Reich“ sorgte für den nötigen Optimismus.<br />
Freilich hieß das nicht, dass sich schon Massenwohlstand anbahnte;<br />
die Za<strong>hle</strong>n der Auswanderer nach Amerika – über zwei Millionen<br />
zwischen 1870 und 1890 – sprechen für sich. Auch ein Blick<br />
in die Anzeigenseiten der Celleschen Zeitung von 1874 gibt bezeichnende<br />
Hinweise auf die Lage der Bevölkerung. Da werden<br />
verlorene Wertgegenstände wie „ein Schal“ oder „ein linker Kinderüberschuh“<br />
per Inserat gesucht und Angebote von gebrauchtem<br />
Hausrat oder abgelegter Kleidung finden sich fast täglich.<br />
Andere Annoncen und amtliche Mitteilungen beweisen allerdings,<br />
dass der allgemeine Aufschwung auch <strong>Eschede</strong> erreichte. Immerhin<br />
hatte unser Dorf neben der Einödstation Unterlüß und der Stadt<br />
20
Celle seit 1847 den einzigen Bahnhof im Landkreis. Da auch die<br />
Chaussee Celle-Uelzen (heute B 191) ausgebaut war, lenkten sich<br />
die Verkehrs- und Landhandelswege zunehmend in unsere Gemeinde.<br />
Täglich um 7-55 Uhr ging eine Personen-(-pferde-)post<br />
nach Hermannsburg.<br />
1874 kaufte die Bahnverwaltung Bauernland rechts und links der<br />
Schienen <strong>als</strong> Brandschutzstreifen, was sicher die Kapitalkraft der<br />
entsprechenden Besitzer (Gottschalk, Hoppe, Knoop, Thies,<br />
Hasselmann) stärkte. In diesen Jahren wurden auch - zumindest in<br />
Endeholz - die ertragreicheren Stauwiesen angelegt. Kurz zuvor<br />
(1870) war die alte Quarmü<strong>hle</strong> abgerissen und neu gebaut worden.<br />
Staatliche Aufträge, wie die Erweiterung der Oberförster-Dienstwohnung<br />
(Uelzener Straße 2) im März 1874 und Chausseebauten<br />
boten Gewerbetreibenden und Arbeitern Verdienstmöglichkeiten.<br />
Große Anzeigen der „CZ“ warben für Landmaschinen. Kommentare<br />
dazu verwiesen ausdrücklich auf den Mangel an billigen Arbeitskräften.<br />
Vermutlich setzten die Industrielöhne mittlerweile<br />
neue Maßstäbe.<br />
Wenn wir heute zurückblicken, so zeichnet sich in jener Zeit der<br />
Beginn einer Entwicklung ab, die heute zu industrieller Warenproduktion<br />
und mechanisierter Landwirtschaft geführt hat und eine<br />
für damalige Verhältnisse wohl unvorstellbare materielle und soziale<br />
Sicherung mit sich brachte.<br />
Die Zeitgenossen des Mü<strong>hle</strong>nbauers Heyer werden diese Zukunft<br />
wohl kaum abgesehen haben, denn es wurde nicht nur investiert<br />
und gebaut, sondern auch versteigert und gepfändet. Die Bekanntmachungen<br />
des Gerichtsvogts Schulz, Beedenbostel, bedeuteten<br />
schiere Not für Hausbesitzer oder Gewerbetreibende, denen<br />
buchstäblich das letzte Hemd gepfändet wurde.<br />
Für jeden offensichtlich waren dagegen politische Neuerungen.<br />
So wurde im Laufe des Jahres die Währung von Taler, Groschen<br />
21
und Pfennig auf die heute noch gültige Mark und Pfennig umgestellt.<br />
Außerdem kam es im Rahmen des „Kulturkampfes“ zwischen<br />
Bismarck-Staat und Kirche zur Einführung der Standesämter,<br />
deren Urkunden die bis dahin üblichen Kirchenbücher ablösten.<br />
Erster Standesbeamter in <strong>Eschede</strong> war der Gemeindevorsteher<br />
Marwede mit seinem Beigeordneten Heinecke <strong>als</strong> Stellvertreter.<br />
Das „Standesamt“ war Marwedes Wohnstube. Sie betreuten neben<br />
ihrem eigenen Dorf auch noch Scharnhorst, Habighorst,<br />
Rebberlah und Starkshorn. Entsprechend versorgten der Ortsvorsteher<br />
Lutterloh in Endeholz und sein Stellvertreter Bührke auch<br />
die Gemeinden Marwede, Kragen und Heese.<br />
Vermutlich reagierten unsere „königlich- hannoverschen“ Landleute,<br />
die ja erst acht Jahre zuvor - zähneknirschend - preußische<br />
Staatsbürger geworden waren, sehr zurückhaltend auf diese Verordnung<br />
aus Berlin. Aber mit der Zeit gewöhnen sich die Menschen<br />
an Veränderungen und kommende Generationen wissen gar<br />
nicht mehr, dass es einmal anders war.<br />
Wenn heute junge Menschen in <strong>Eschede</strong> beim Standesamt das Aufgebot<br />
bestellen, ihre Gebühren in Mark und Pfennig entrichten und<br />
bald darauf in der historischen Mü<strong>hle</strong> den Bund fürs Leben schließen,<br />
dann stehen sie <strong>als</strong>o gleich dreimal in einer Tradition, die<br />
1874 begann.<br />
22
DER WINDMÜHLENBETRIEB (ZU ABB. 11)<br />
Wenn das Ma<strong>hle</strong>n beginnen sollte, drehten der Müller oder sein<br />
Geselle mit Hilfe des Steerts [5] die Kappe in den Wind. Sie lief mit<br />
eisernen Rädern über den Rollkranz [6], eine Ringschiene auf der<br />
Mauerkrone. Die Flügel [1] wirkten über Flügelwelle [3), Kammrad<br />
[4] und Bunkelrad [7] auf den Königsbaum [8]. Diese Hauptachse,<br />
die vom Erdgeschoss bis zum Kappboden durch vier Etagen reichte,<br />
bewegte über drei Stirnräder [9] den Schrotgang [12], den Mehlgang<br />
[13] und die Mechanik der Beutelkiste [14], eines Siebsystems<br />
zum Trennen von Kleie und Mehl. Innerhalb jedes Mahlgangs lagen<br />
der feste Unterstein und der bewegliche „Läufer“ übereinander.<br />
Oberhalb der Einfüllöffnung sorgten Rüttelwerke aus Holz und<br />
Leder für das Einfüllen des Korns.<br />
Bis zur zweiten Etage ging ein Fahrstuhl [11], der ebenfalls über<br />
ein Stirnrad betrieben wurde. Wenn auch eine Treppe nach oben führte,<br />
benutzte der Müller doch lieber den „Lift“, zumal er ja meistens<br />
Doppelzentnersäcke befördern musste.<br />
Die Mehlkiste im Erdgeschoss war sozusagen die „Landhandelsabteilung“<br />
des Betriebes. Für das dam<strong>als</strong> zu Feiertagen übliche Kuchen-<br />
und Semmelbacken wurde Weizenmehl benötigt. Da die<br />
<strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> fast nur Roggen verarbeitete, musste man Weizenmehl<br />
anderweitig - meist in der Ratsmü<strong>hle</strong> Celle - beziehen. Es wurde in<br />
der Mehlkiste gelagert und dort im Kleinverkauf abgegeben.<br />
Erläuterungen zu Abbildung 11<br />
24<br />
1 Jalousieflügel<br />
2 Flügelbaum<br />
3 Flügelwelle<br />
4 Kammrad<br />
5 Steert mit<br />
Schwertern<br />
6 Rollkranz<br />
7 Bunkel<br />
8 Königswelle<br />
9 Stirnräder<br />
10 Lojerie (Sackwinde)<br />
11 Fahrstuhl<br />
12 Schrotgang<br />
13 Mehlgang<br />
14 Beutelkiste<br />
15 Mehlkiste<br />
16 Bremse
Abbildung 11: Rekonstruierter Schnitt durch die <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong><br />
25
VON HEYERS WINDMÜHLE ZUM LANDWIRT-<br />
SCHAFTLICHEN DIENSTLEISTUNGSBETRIEB<br />
FLOHR<br />
Der Mü<strong>hle</strong>nbauer, Müller und spätere Vorsteher des Dorfes, Carl<br />
Heyer, war 1844 in Nahrstedt bei Stendal geboren. Er kam 1874<br />
<strong>als</strong> Dreißigjähriger nach <strong>Eschede</strong> und wohnte mit seiner Frau im<br />
Hause Rebberlaher Straße/Ecke Gartenstraße.<br />
Im Oktober des gleichen Jahres wurde sein Sohn Carl Wilhelm Heinrich<br />
geboren, der nach den Vorstellungen desVaters sicher die Mü<strong>hle</strong><br />
übernehmen sollte. Daran schien er aber kein Interesse zu haben,<br />
denn 1907 verkaufte er sie an den Müller Gustav Flohr, der aus<br />
Adenbüttel, Kreis Gifhorn, hierher kam.<br />
Über die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist wenig von der Mü<strong>hle</strong><br />
bekannt. Es gibt keine Fotos oder Berichte, und auch Augenzeugen<br />
sind kaum mehr unter uns. Nur auf Bildern von Albert König,<br />
vor allem dem Ölgemälde von 1907, sind Gebäude und Umgebung<br />
dargestellt.<br />
Eine Fotografie, vermutlich aus der Zeit kurz nach dem Krieg,<br />
zeigt den Müller Gustav Flohr mit seiner Frau, den vier Kindern<br />
Gustav, Hildegard, Magdalene und Bertha und Hanne Leinius,<br />
einer Cousine der Mutter, imGarten des Hauses (heute Rebberlaher<br />
Straße 10). Diese Aufnahme (Abbildung 10) wird eine der letzten<br />
von Gustav Flohr sen. gewesen sein, da er 1921 an den Folgen einer<br />
im Weltkrieg sc<strong>hle</strong>cht auskurierten und vermutlich unzulänglich<br />
versorgten Rippenfellentzündung starb.<br />
Da alle Kinder noch klein waren, musste Frau Flohr – wie schon<br />
im Krieg – die Mü<strong>hle</strong> alleine führen. Wechselnde Müllergesellen<br />
wirtschafteten für einige Zeit sc<strong>hle</strong>cht und recht vor sich hin, bis<br />
sich 1923 mit Wilhelm Preuße ein verantwortlicher Mitarbeiter<br />
fand, der für geordneten Betrieb sorgte, bis Gustav Flohr junior<br />
26
Abb. 12: Die Familie Flohr im Garten ihres Hauses an der Rebberlaher<br />
Straße, vermutlich zwischen 1917 und 1919 fotografiert.<br />
Sitzend v. l.: Magdalene Flohr, Frau Flohr, geb. Leinius, Bertha Flohr,<br />
Gustav Flohr sen. Stehend v. l.: Hanne Leinius (Cousine der Mutter),<br />
Hildegard Flohr, Gustav Flohr jun.<br />
Abb. 13: Postkarte von 1921. Blick vom Denkmal an der Celler Straße<br />
über den Glockenkolk zur alten Windmü<strong>hle</strong>. Rechts neben der Mü<strong>hle</strong> ist<br />
der hölzerne Turm des alten Spritzenhauses schwach zu erkennen. Der<br />
Schuppen links im Bilde gehörte zur Verbrauchergenossenschaft<br />
(Konsum).<br />
27
herangewachsen war. „Onkel Willem“ blieb jahrzehntelang in der<br />
Mü<strong>hle</strong>. Er gehörte sozusagen „zum Inventar“ und konnte noch 1973<br />
den fünfzigsten Jahrestag seines Firmeneintritts mit der Familie<br />
Flohr feiern.<br />
Seit den zwanziger Jahren hat sich die Dorflandschaft rund um<br />
die Mü<strong>hle</strong> so sehr verändert, dass man sich den alten Zustand<br />
kaum vorstellen kann. Eine Postkarte des Kriegerdenkm<strong>als</strong> an der<br />
Celler Str.aße von 1921 (Abbildung 13) zeigt im Hintergrund die<br />
freistehende <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> über dem Glockenkolk, der früher <strong>als</strong> Sandgrube<br />
gedient hatte. In den zwanziger Jahren war er eine nasse Wiese.<br />
Am Platz der heutigen Hauptschule, unterhalb von „Brockmanns<br />
Schlosserbude“ (Anbau des Gries’schen Hauses) lockte ein Froschteich<br />
die Kinder an. Ein anderes Wasserloch war immerhin so tief,<br />
dass Wilhelm Preuße einmal ein Stöckmannsches Kind vor dem Ertrinken<br />
gerettet haben soll. Die alten Uferränder waren mit Buschwerk<br />
und Weiden bewachsen. Dahinter sah man im Nordosten die<br />
(heutige Grund-)Schule und die niedrigen Häuser „an der Breite“.<br />
Die Ostseite des Glockenkolks begrenzte das alte eingeschossige<br />
Spritzenhaus mit einem hölzernen Schlauchturm, der auf der genannten<br />
Postkarte rechts neben der Mü<strong>hle</strong> schwach zu erkennen<br />
ist. An der Nordseite war das Gebäude durch Anbau etwas verlängert<br />
worden, um ein „sicheres Nachtquartier“ für Landstreicher und<br />
andere aufgegriffene Personen zu schaffen. Nach mehreren Umbauten,<br />
Aufstockungen und Erweiterungen beherbergt das Haus jetzt<br />
die <strong>Samtgemeinde</strong>verwaltung.<br />
Die Rebberlaher Straße, ein radbrechendes Kopfsteinpflaster mit<br />
Sommerweg, führte zwischen Feldern zumBahnübergang. Biszum Ende der zwanziger Jahre standen zwischen dem Denkmal und der<br />
Mü<strong>hle</strong> zwar schon die Häuser Brockmann, Müller, Oehm, Gottschalk<br />
(Drangmeister) und Flohr (heute Nummern 2 bis 10), doch<br />
westlich der Gartenstraße blickten die Anwohner hinter ihren Häusern<br />
über Felder bis zu „Tanken Alps Busch“, dem Wald vor der<br />
Quarmü<strong>hle</strong>.<br />
28
Um die Mü<strong>hle</strong> gruppierten sich kleinere Schuppen, die Bebauung<br />
endete mit dem Haus von Zimmermann Kuhlmann (heute Baugeschäft<br />
Felsmann). Dazwischen, auf dem Flohrschen Ackerland,<br />
entstanden vor 1930 das Marwedesche Haus und die Turnhalle der<br />
„FreienTurnerschaft“, einer Sportvereinigung, die der Sozialdemokratie<br />
nahe stand. Daher wurde das Gebäude nach der Machtübernahme<br />
der NSDAP 1933 enteignet und <strong>als</strong> Arbeitsdienstunterkunft<br />
eingerichtet. Später nahm es das „Landjahrlager“ für schulentlassene<br />
Jugend liche auf, bis es nach dem Krieg <strong>als</strong> Wasserwerk und<br />
gemeindeeigenes Mehrfamilienhaus diente.<br />
Abb. 14:<br />
Wilhelm Preuße<br />
und Gustav Flohr<br />
vor der Mü<strong>hle</strong>.<br />
Das Foto muss<br />
zwischen 1923 und<br />
1925 entstanden<br />
sein. Die Jalousie-<br />
Mechanik der<br />
Flügel ist deutlich<br />
zu erkennen.<br />
Vermutlich wurde<br />
sie mit Seilzügen<br />
durch die<br />
aufgebohrte<br />
Flügelwelle<br />
eingestellt. Im<br />
Hintergrund<br />
Gebäude der<br />
Sägerei Kuhlmann.<br />
29
Im Jahre 1923 stand die Mü<strong>hle</strong> noch auf freiem Feld und hatte<br />
gerade neue Flügel bekommen. Inzwischen waren aber die Linden<br />
an der Celler Straße und die Eichen auf dem Grundstück Netz<br />
(zwischen Bahnhofstraße und Kriegerdenkmal) so groß geworden,<br />
dass der Wind sich fing und die Mü<strong>hle</strong> nicht mehr ordentlich durchzog.<br />
Die Unterhaltungskosten für den Flügelantrieb rentierten sich<br />
kaum noch; außerdem brachte die Abhängigkeit vom Wind es mit<br />
sich, dass kaum geregelte Arbeitszeiten eingehalten werden konnten.<br />
Wehte es gut, musste Tag und Nacht geschafft werden, bei<br />
Flaute stapelten sich die Kornsäcke im Lager. Daher nahm man<br />
1925 die Flügel endgültig ab und beschaffte einen Körting-Dieselmotor.<br />
Er stand in einem Schuppenanbau neben der Mü<strong>hle</strong> und<br />
drehte über Treibriemen und Welle die alte Holzmechanik.<br />
In diesem Zusammenhang hört man hin und wieder, der Windantrieb<br />
sei abgebaut worden, nachdem Gustav Flohrs Tochter Hildegard<br />
(geb. 1908) von einem Flügel schwer amKopf verletzt worden<br />
war. Tatsächlich geschah dieser Unfall schon 1915. Auf dem Familienbild<br />
(Abb. 12) erkennt man deutlich die breite Stirnnarbe des<br />
Mädchens. Nach diesem Ereignis sind aber sogar noch neue Flügel<br />
beschafft worden.<br />
Als Gustav Flohr in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre allmählich<br />
in die Rolle des Betriebsleiters hineinwuchs, begann eine planvolle<br />
Erweiterung der Anlagen. So wurde die erste Dreschmaschine<br />
in <strong>Eschede</strong> beschafft. Von einem fahrbaren Elektromotor über<br />
Treibriemen in Gang gehalten, stand sie, in Lärm und Staub gehüllt,<br />
den Landwirten zur Verfügung. Große Höfe schickten mehrere Fuhrwerke,<br />
kleine Siedler brachten ihr Getreide auf Handwagen.<br />
Die Dreschzeit riss den Betrieb aus seiner dörflichen Beschaulichkeit<br />
und verbreitete ungewohnte Hektik und Eile. Das Angeben<br />
und Öffnen der Garben, das Einlegen in den Dreschkasten, das Abfüllen<br />
derKornsäcke und Wegschaffen der Strohbunde waren Handund<br />
Knochenarbeit. Dabei musste die Maschine geschmiert werden,<br />
Strohbandrollen waren zu ersetzen, der Treibriemen konn-<br />
30
Abb. 15: Zeichnung für den Einbau eines Motorantriebs in der Mü<strong>hle</strong>,<br />
1925.<br />
te abspringen oder reißen, die Wartenden w aren ungeduldig und<br />
sicher brannte oft die Sonne vom Himmel.<br />
Die „<strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>“ vermietete außerdem eine Kreissäge. Der Holzplatz<br />
lag jenseits der Rebberlaher Straße, wo jetzt das Lehrer-Reihenhaus<br />
(Nr. 12/Ecke Kantstraße) steht und reichte fast bis zur heutigen<br />
Eichendorffstraße. Hier war auch die Bude, die auf dem<br />
Mü<strong>hle</strong>nbild von Albert König im Hintergrund schwach zu erkennen<br />
ist. Bei Gartenarbeiten auf dem Grundstück fand sich noch vor<br />
einigen Jahren ein Groschen von 1924. Der Verlierer wird sich geärgert<br />
haben, denn für viele Arbeiter waren dam<strong>als</strong> 10 Pfennig fast<br />
ein halber Stundenlohn; für Lehrlinge sogar beinahe ein Tages-<br />
31
entgelt. Bei Lachmund, Gottschalk oder Kuhlmann hätte man dafür<br />
ein schönes Helles bekommen!<br />
Ein weiterer Betriebszweig der <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> war die Nahspedition.<br />
Auf einem Foto (Abbildung 17) sieht man das Fuhrwerk <strong>als</strong> geschmückten<br />
Festwagen bei einem Umzug zum 1. Mai, vermutlich<br />
zwischen 1935 und 1937. Wilhelm Preuße und Gustav Flohr sitzen<br />
mit dem Müllergesellen Alfred Bölke vor einem Mü<strong>hle</strong>nmodell auf<br />
Mehlsäcken. Das Haus im Hintergrund ist die ehemalige Alpssche<br />
Schmiede, Albert-König-/Ecke Dammstraße.<br />
Abb. 16:<br />
1927 hatten sich die Müller eine „Terrasse“ aus Mühlsteinen gebaut.<br />
V. l.: Wilhelm Preuße, Willi Deppc, Ernst Poggendorf, Gustav Flohr jun.<br />
Willi Deppe war Sohn des Stellmachers Deppe, der auf dem Wredeschen<br />
Hof eine kleine Werkstatt betrieb. Willi arbeitete nicht bei Flohr, hielt<br />
sich aber oft in der Mü<strong>hle</strong> auf. Ernst Poggendorf aus Salzderhelden war<br />
einige Jahre Müllergeselle.<br />
Auf dem Tisch liegen Geräte, mit denen die Rillen der Mühlsteine<br />
nachgeschlagen wurden, davor einige Schnapsgläser.<br />
32
Abb. 17: „Onkel Willem“, Müllergesclle Alfred Bölke und Gustav Flohr<br />
(v. l.) auf dem Mü<strong>hle</strong>nwagen bei einem Festumzug zum 1. Mai (NS-Zeit).<br />
Auf dem Wagen steht ein Mü<strong>hle</strong>nmodell. Im Hintergund die Schmiede<br />
Alps, Ecke Dammstraße/Marktstraße (heute Albert-König-Straße).<br />
Abb. 18: Müllergesellen mit ihren Gespannpferden vor der <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>.<br />
33
Alltags wurde die kräftigen Pferde eingespannt, um Korn- und<br />
Mehlfuhren in die Nachbardörfer und bis nach Celle zu erledigen.<br />
Auch wenn am Bahnhof Stückgut abzufahren war, übernahm der<br />
Plattenwagen die Auslieferung. Seine halbvergangenen Überreste<br />
lagen noch in den 1980er Jahren am Weg zum Klärwerk zwischen<br />
Unkraut und Steinen.<br />
Abb. 19: Der Mü<strong>hle</strong>nkomplex um 1930 von der Rebberlaher Straße aus<br />
gesehen.. Links neben der Mü<strong>hle</strong> der Dreschschuppen.<br />
Schon mit der Umstellung auf Dieselbetrieb hatte die <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong><br />
Abschied vom 19. Jahrhundert genommen; aber immerhin nutzte man<br />
noch das Gebäude der alten Windmü<strong>hle</strong>. In den 1930er Jahren wurde<br />
es endgültig zu klein, so dass Gustav Flohr zwischen 1937 und 1941<br />
die neue Mü<strong>hle</strong> bauen ließ. Unter Leitung einer Lüneburger Firma<br />
waren <strong>als</strong> einheimische Betriebe Zimmermann Kuhlmann und<br />
Maurermeister Hoppenstedt, Poststraße, beteiligt.<br />
34
An die Windmü<strong>hle</strong>nzeit erinnerte nur noch eine Wetterfahne, die<br />
der damalige Landrat Heinichen anlässlich einer Dorfbereisung<br />
geschenkt hatte (Abbildung 20). Sie stellt eine Mü<strong>hle</strong> dar, deren Flügel<br />
sich bei starkem Wind drehen. Der Müller steht breitbeinig in der<br />
Tür, während sich neben dem Gebäude ein Knecht mit seinem störrischen<br />
Esel abmüht. Die Wetterfahne zierte das Dach noch bis in<br />
die späten 1970er Jahre. Heute erhebt sie sich wieder auf der Kuppe<br />
der restaurierten <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>.<br />
Abb. 20: Die Wetterfahne,<br />
von Landrat Heinichen 1939 für die Motormü<strong>hle</strong> gestiftet.<br />
Der alte Mü<strong>hle</strong>nstumpf diente fast vierzig Jahre <strong>als</strong> Rumpelkammer.<br />
Gelegentlich führte die Feuerwehr daran Löschübungen durch<br />
und zuletzt wuchsen schon Birken aus dem Mauerwerk. Nachdem<br />
er seit 1874 für 65 Jahre Zentrum des Betriebes gewesen war, schien<br />
er nun dem Verfall preisgegeben.<br />
35
Abb. 21: Der Mü<strong>hle</strong>nneubau an der Rebberlaher Straße, 1938. Im<br />
Hintergrund der Stumpf der alten Windmü<strong>hle</strong>.<br />
Abb. 22: Der Mü<strong>hle</strong>nneubau 1938 von der anderen Seite. Noch ist das<br />
Gebäude unverputzt. Verputzt wurde es erst Ende der 1940er Jahre.<br />
36
Abb. 23: Die Reberlaher Straße in den 1950er Jahren, in der Bildmitte<br />
das ehemalige Mü<strong>hle</strong>ngebäude, Erbaut wurde es 1937/41 durch den<br />
Mü<strong>hle</strong>nbaumeister Heß aus Lüneburg, die Maurerarbeiten führte der<br />
örtliche Maurermeister Wilhelm Hoppenstedt aus, die Holzabeiten<br />
Zimmermeister Wilhelm Kuhlmann aus <strong>Eschede</strong>.<br />
37
Abb. 24: Der Mü<strong>hle</strong>nstumpf vor der Restaurierung. Zeichnung von<br />
August Felsmann.<br />
WIE DIE FLOHRMÜHLE ZUM BAUDENKMAL<br />
WURDE<br />
Die Chronik der Restaurierung unserer Mü<strong>hle</strong> fügt sich in die Baugeschichte<br />
des Dorfes, eine Geschichte der Zufälle, der überörtlichen<br />
Fremdbestimmung, des knappen Geldes und der Wahl des jeweils<br />
kleineren Übels.<br />
<strong>Eschede</strong> hatte keinen kunstsinnigen Gutsherrn, der sich – wenn<br />
auch auf Kosten der kleinen Leute – architektonische Schmuckstücke<br />
zulegte oder eine einheitliche Bebauung veranlasste. Es lag<br />
auch nicht imWindschatten der großen Entwicklungen, wiemanch<br />
verschlafenes Heidedörfchen, dessen ländliche Harmonie Schönheitswettbewerbe<br />
herausfordert und bei naturromantischen Großstädtern<br />
Geborgenheitsgefü<strong>hle</strong> und Urlaubsstimmung weckt. Der<br />
Bau von Eisenbahn und Chaussee im 19. Jahrhundert hatte dem<br />
38
alten Dorf an Kirche und Aschau die Kernlage genommen und neue<br />
Besiedlungsschwerpunkte gesetzt. Das Salzbergwerk, die Rüstungsindustrie<br />
in Unterlüß, Scharnhorst-Höfer (Muna) und zuletzt<br />
<strong>Eschede</strong> selber und die Gewerbebetriebe im Bahnhofsbereich führten<br />
viele Auswärtige hierher, die ihre Wohnungen entlang der Ausfallstraßen<br />
bauten. Zuletzt brachte die Aufnahme der Flüchtlinge<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg die Erschließung der Wohngebiete im<br />
Südwesten des Dorfes.<br />
Häufig mussten die – ehrenamtlichen – Gemeindeväter gegebene<br />
Entwicklungen absegnen ohne selber viel planen zu dürfen: Das<br />
„Marinesperrzeugamt“ gab es nach 1945 nicht mehr; aber die<br />
Marinesiedlung war da. Das Vorhaben einer Schnellstraße durchs<br />
Aschautal wurde zu den Akten gelegt; aber die Bebauung war danach<br />
seit Ende der 1930er Jahre ausgerichtet. Die Planungen für<br />
die Bebauung des Bereiches zwischen Grünacker-, Sägemü<strong>hle</strong>n- und<br />
Bahnhofstraße lagen seit 1938 vor; aber die Besitzer – unter ihnen<br />
Gustav Flohr – waren nicht am Verkauf des Geländes interessiert.<br />
So waren schließlich Ausfallstraßen und Ortsrand bebaut; aber<br />
die gute Wohnlage im Ortskern diente <strong>als</strong> Acker- und Gartenfläche<br />
und weder der verschachtelte Mü<strong>hle</strong>nkomplex, noch die selbstgebaute<br />
„Alternativ-Architektur“ hinter dem ehemaligen Landjahrlager<br />
trugen zur Verschönerung des Ortsbildes bei.<br />
Ein Umschwung zeichnete sich erst ab, <strong>als</strong> sich Otto Marwede 1973<br />
bereiterklärte, Gelände für den Bau des neuen Kindergartens abzugeben,<br />
nachdem das alte Barackengebäude „Im Langen Felde“<br />
abgängig war. Immerhin wurde das Labyrinth der Schuppen,<br />
Kaninchenställe, Außentoiletten, Kleinstgärten und Holzstapel<br />
entfernt, doch eine Verbindung zwischen Kindergarten und Straße<br />
„An der Breite“ konnte nicht hergestellt werden. Erst 1977 glückte<br />
der Gemeinde ein gewisser planerischer Durchbruch, <strong>als</strong> sie das<br />
Gelände zwischen Grünacker- und Bahnhofstraße zu großen Teilen<br />
erwerben und <strong>als</strong> Bauland ausweisen konnte. Kurz darauf geriet sie<br />
aber schon wieder in Zugzwang, da der Betrieb Stoll aus der Mü<strong>hle</strong><br />
39
in das Gewerbegebiet am Höhenbergsweg aussiedelte und den gesamten<br />
Komplex <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> anbot. Der Kauf kostete die Gemeindeväter<br />
einige Überwindung, zumal für das große Gebäude kein Verwendungszweck<br />
zu erkennen war. Ein Verzicht hätte aber vielleicht<br />
bedeutet, dass mitten im Dorf eine Bauruine entstanden wäre,<br />
wie man sie mit den Resten des Kalksandsteinwerkes gerade beseitigen<br />
wollte.<br />
Schließlich gelang es nach dem plötzlichen Tod von Gustav Flohr<br />
auch noch, die restlichen Flohrschen Fläche mit Ausnahme des<br />
Wohnhauses an der Rebberlaher Straße zu übernehmen. Im Rahmen<br />
dieser Transaktionen war die Gemeinde auf einmal Besitzer<br />
des 105 Jahre alten Mü<strong>hle</strong>nrumpfes geworden, den sie durch den<br />
Grundstückserwerb <strong>als</strong> „Zugabe“ erhalten hatte.<br />
Vielleicht wäre das Problem Anfang der 1970er Jahre noch mit Spitzhacke<br />
und Waschbeton gelöst worden. Glücklicherweise keimte aber<br />
die Idee, das historische Bauwerk mit öffentlichen Mitteln zu<br />
erhalten. So ein Gedanke war in <strong>Eschede</strong> völlig neu; aber nach<br />
anfänglich kontroverser Diskussion wurden die nötigen Mittel im<br />
Haushalt 1980 bereitgestellt - die Restaurierung konnte beginnen.<br />
DIE RESTAURIERUNGSARBEITEN<br />
Zunächst war noch völlig offen, wie das Gebäude genutzt werden<br />
sollte. Im Laufe der Zeit entwickelte sich dann die Planung. Die<br />
Räume sollten so gestaltet werden , dass sie <strong>als</strong> Ausstellungshalle<br />
(Erdgeschoss), Trauzimmer des Standesamtes (1. Etage) und<br />
Sitzungsraum (2. Etage) verwendet werden konnten, dass aber für<br />
die Zukunft andere Nutzungsmöglichkeiten kultureller Art nicht ausgeschlossen<br />
wurden.<br />
Nachdem die Denkm<strong>als</strong>pflege der Bezirksregierung Lüneburg keine<br />
finanzielle Unterstützung in Aussicht stellen konnte, da es sich<br />
nach dortiger Meinung nicht um einmalige Gebäudesubstanz handelte,<br />
wurden die Baukosten von ca. 300.000 DM weitgehend von der<br />
40
Gemeinde <strong>Eschede</strong> aufgebracht; allerdings gab der Landkreis einen<br />
namhaften Zuschuss von 35.000 DM.<br />
Schon bevor die endgültigen Entscheidungen gefallen waren, hatte<br />
man sich 1979 davon überzeugt, wie das Bauwerk erhalten war.<br />
Das war erst nach einer mühevollen Entrümplungsaktion möglich, in<br />
deren Verlauf sich herausstellte, dass eine Luke im Notdach schon<br />
jahrelang offen stand. Ob sie bei der Einsatzübung der Feuerwehr<br />
1970 geöffnet worden war oder schon früher, konnte man natürlich<br />
nicht mehr feststellen. Jedenfalls war Regenwasser eingedrungen<br />
und hatte die Balkenlagen der oberen Geschossdecken angegriffen.<br />
Vor allem die Balkenenden im Mauerwerk waren verfault.<br />
Mit dem beratenden Ingenieur Albert Denecke, Endeholz, wurde<br />
ein Architekt beauftragt, der im Umgang mit alter Bausubstanz<br />
sehr erfahren war. Nachdem er die Planungen fertiggestellt hatte,<br />
begannen zunächst die Zimmerleute der Firma Cohrs aus Lüder,<br />
Kreis Uelzen, die mit der Rekonstruktion von Mü<strong>hle</strong>n vertraut waren,<br />
neue Zwischendecken einzuziehen. Firma Felsmann führte die<br />
anfallenden Maurerarbeiten durch (Unterfangen des Fundaments,<br />
Estrich imErdgeschoss, Ausbesserung schadhafter Stellen im Mauerwerk).<br />
Die Reinigung des Mauerwerks von innen und außen mit<br />
einem Sandstrahlverfahren und die Imprägnierung der Wände gegen<br />
aufsteigende Feuchtigkeit übernahm die Firma Uthe, Bückeburg.<br />
Da das Notdach auf den Grundelementen der alten Kappe gebaut<br />
worden war, konnten einzelne intakte Eichenbalken und der<br />
Rollkranz <strong>als</strong> Basis der neuen Kappe dienen, die im Laufe des Sommers<br />
1980 neben dem alten Mauerrumpf konstruiert und mit Schindeln<br />
gedeckt wurde. Die alte Haube war mit Teerpappe benagelt;<br />
eine derartige Rekonstruktion hätte aber nicht gut ausgesehen und<br />
zudem ständiger Unterhaltung bedurft.<br />
Im Oktober 1980 hob ein „Schröder“-Kran aus Celle das 24,8-<br />
Tonnen-Ungetüm vor den Augen vieler Schaulustiger nach oben<br />
und setzte es ohne Komplikationen – zur großen Erleichterung der<br />
Verantwortlichen – sicher auf.<br />
41
Abb. 25: Arbeiten an der Flügelwelle.<br />
Abb. 26: Die Kappe wird aufgesetzt.<br />
42
Abb. 27: Die Holzflügel werden angesetzt. Später (1988/89) mussten<br />
diese Holzflügel durch Aluminiumflügel ersetzt werden. Da die Flügel<br />
sich nicht mehr drehten, war Wasser in den Balkenschuh eingedrungen<br />
und hatte über die Jahre den Teil des oberen Flügels, der im<br />
Balkenschuh steckte, in Mitleidenschaft gezogen.<br />
43
Mittlerweile war auch der Innenausbau fortgeschritten. Die Firma<br />
Frobusch hatte Treppen, Fenster und Glastrennwände fertiggestellt,<br />
Beleuchtung und Heizung waren von der Firma Gerger installiert<br />
worden, und die Malerarbeiten, insbesondere den feuerhemmenden<br />
Schutzanstrich der Holzkonstruktion, führte Malermeister<br />
Vehreschild durch.<br />
Da es 1980 früh Winter wurde, das Anbringen der Flügel bei Kälte<br />
oder Wind zu gefährlich für die Handwerker war, dauerte es bis zu<br />
einer Tauwetterperiode im Januar 1981, ehe die Mü<strong>hle</strong> endlich<br />
wieder im vollen Schmuck dastand. Das Anbringen des „Steerts“<br />
und der Schwerter war dann die letzte Außenarbeit vor der Vollendung<br />
des Bauwerks.<br />
Bis zuletzt war nicht klar, wie die ursprüngliche Innenkonstruktion<br />
der <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> aussah. Aus den Resten der Mahlgänge und Getriebe,<br />
die noch dazu beim Einsatz des Dieselmotors etwas verändert<br />
worden waren, konnte man zunächst die alte Mechanik nicht rekonstruieren.<br />
Erst genaue Untersuchungen von Abnutzungsspuren<br />
an Mauerwerk und Holzbau, Vergleiche mit Schnittzeichnungen<br />
ähnlicher Mü<strong>hle</strong>n und Befragungen älterer Mitbürger erlaubten<br />
schließlich die Rekonstruktionszeichnung (Abbildung 11), die dem<br />
Büro Denecke in mühevoller Kleinarbeit gelang.<br />
44
Abb. 28: Die Mü<strong>hle</strong> nach der Restaurierung. Schnittzeichnung.<br />
45
Abb. 29: Die restaurierte <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> wurde vom 24. bis 26.April 1981 eingeweiht.<br />
Hier ist vorne die Kindertanzgruppe Markmann zu sehen.
Abb. 30: Erste Trauung in der <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> am 15.5.1981. Von links:<br />
<strong>Samtgemeinde</strong>bürgermeister Heinrich Lange, Karin un d Holger<br />
Schack.<br />
Abb. 31: Erste Feriengasttrauung in der <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>, 1981. Von links:<br />
Standesbeamtin Gertrude Wunsch, Jutta und Heinz Georg Hölzemann<br />
aus Berlin, Fremdenverkehrsvereinsvorsitzender Rolf Lüchau.<br />
47
Abb. 32: Eine der vielen und abwechslungsreichen Ausstellungen in<br />
der <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong> ( hier: „Bürger zeigen ihre Hobbys“, im Bild<br />
Töpfereien von Bärbel Schütze, September/Oktober 1981) .......<br />
Abb. 33: ... und Veranstaltungen rund um die <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>.<br />
48
Abb. 34:<br />
Bei der Eröffnung des 2. Heide(n)spektakels <strong>Eschede</strong> im Mai 1989 vor<br />
der <strong>Flohrm</strong>ü<strong>hle</strong>: <strong>Samtgemeinde</strong>bürgermeister Heinrich Lange<br />
überreicht dem Theatermann George Tabori, der gerade seinen<br />
fünfundsiebzigsten Geburtstag in <strong>Eschede</strong> begeht, ein Glas Heidehonig.<br />
Tabori, dessen Frau Ursula Höpfner einen Teil ihrer Kindheit in der<br />
Marinesiedlung bei <strong>Eschede</strong> verbracht hatte, schuf mit seinen Auftritten<br />
in <strong>Eschede</strong> (so zum Beispiel 1992 mit dem Starensemble des Wiener<br />
Burgtheaters) unvergeßliche Momente.<br />
Am 29. Mai 2000 wurde Taboris Wirken in und für <strong>Eschede</strong> vom<br />
Gemeinderat mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet.<br />
49
50<br />
VERZEICHNIS DER VERWENDETEN VERÖF-<br />
FENTLICHUNGEN<br />
Wilhem Kleeberg<br />
Niedersächsische Mü<strong>hle</strong>ngeschichte, Hannover 1979<br />
Hermann Gleisberg<br />
Technikgeschichte der Getreidemü<strong>hle</strong>, München 1956<br />
Friedrich Klemm<br />
Zur Kulturgeschichte der Technik, München 1979<br />
Joachim Verchim/Joachim Radkau<br />
Kraft, Energie und Arbeit, München 1979<br />
Franz F. Wurm<br />
Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland 1848 –<br />
1948, Opladen 1969<br />
Friedrich Helmke/Heinrich Hohls<br />
Heimatbuch „Der Speicher“, Celle 1930<br />
Wilhelm Bomann<br />
Bäuerliches Hauswesen und Tagewerk im alten Niedersachsen,<br />
Weimar 1941<br />
Cellesche Zeitung, Jahrgang 1874,<br />
sowie folgende Beilagen („Sachsenspiegel“):<br />
- Friedrich Barenscheer<br />
100 Jahre Windmü<strong>hle</strong> in Bröckel (18.11.1961)<br />
Mü<strong>hle</strong>nschicksale in Stadt und Land Celle<br />
(26.3.1968)
- Siegfried Gehrmann<br />
Festschrift zum Jubiläum der Ortsfeuerwehr, <strong>Eschede</strong><br />
1975<br />
- Paul Borstelmann<br />
Zur Geschichte der Marweder Mü<strong>hle</strong> (27.9.1975)<br />
- Adolf Meyer<br />
Bauernbefreiung in unserer Heimat und in Preußen<br />
(20.9.1975)<br />
<strong>Samtgemeinde</strong>archiv <strong>Eschede</strong>, Fächer 158/1a,b; 158/5;<br />
158/6; 357/16; 358/22; 359/59<br />
BILDNACHWEIS<br />
Felsmann: Abb. l–5,24<br />
Denecke: Abb. 6, 7, 11, 28<br />
Alps: Abb. 16, 17<br />
Barchfeld: Abb. 10, 11<br />
Schünemeyer: Abb. 8<br />
(Mügge - Luttermann: Titelbild)<br />
Soweit nicht anders angegeben sind die Abbildungen<br />
aus dem <strong>Samtgemeinde</strong>archiv <strong>Eschede</strong>.<br />
51