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Ärzteblatt - qs- nrw

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Editorial<br />

Ein Zwangsversicherungssystem nach deutscher Art kann gar nicht<br />

überleben, ohne Unterschiede in der Krankenversorgung zuzulassen.<br />

Und diese Unterschiede werden zwangsläufig in den gesetzlichen<br />

Krankenkassen gemacht werden müssen, damit das System Krankenversicherung<br />

sich langfristig und selbsttragend im Gesamtsystem<br />

Gesellschaft behaupten kann.<br />

Und dass unsere Gesellschaft gerade auf Unterschiede ausgerichtet<br />

ist, welche vor allem von den Menschen gefordert werden, erfährt ja<br />

jeder von Kindesbeinen an. Da hilft auch das Solidaritätsgestöhne<br />

der Politiker nicht. Wohlhabende werden immer auch nach besserer<br />

Gesundheitsbetreuung streben als Ärmere und da die Gesellschaft<br />

scheinbar nicht die Kraft oder den Willen besitzt, dieses z. B. durch<br />

Steuermittel auszugleichen, wird es weiterhin zu enormen Verwerfungen<br />

in den Krankenkassen kommen.<br />

Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen,<br />

auch in diesem Herbst spitzt sich die Lage im Gesundheitswesen weiter<br />

zu. Um nur einige der Schlagzeilen zu nennen: die Krankenkassen<br />

mit Defiziten von fünf Milliarden DM im ersten Halbjahr, der so<br />

genannte Sachverständigenrat konstatiert eklatante Fehlsteuerung<br />

bei der Versorgung.<br />

Willkommen bei der Selbsthilfegruppe „Gesundheitswesen“ oder<br />

besser noch „Gesundheit ohne Arzt“ – denn dass die Ärzte an allem<br />

Schuld sind und scheinbar äußerst störend wirken, das ist doch sonnenklar.<br />

Es darf wieder gebastelt werden. Die heutigen Bausteine sind<br />

z. B. die Einführung eines Arzneimittelpasses zur Verhinderung von<br />

Über- und Fehlversorgung oder die Krankheits-Management-Programme<br />

für chronisch Kranke. Die Bausteine Leistungskürzungen zur<br />

Eindämmung der Kosten und Steuermittelzuschüsse dürfen in der<br />

chronisch kranken Baustelle natürlich nicht verbaut werden.<br />

Alle bisherigen Versuche, den Kostenanstieg in den Griff zu bekommen,<br />

ob das nun der Budgetdeckel des einen oder der Risikostrukturausgleich<br />

des anderen Ministers war, haben daran gelitten, dass<br />

sie an den fundamentalen Konstruktionsmängeln des Systems nicht<br />

rühren wollten. Wie alle solidarischen Systeme hat auch die gesetzliche<br />

Krankenversicherung eine Mentalität großgezogen, die Leistungen<br />

auch dann verlangt, wenn sie zur Gegenleistung nicht im Stande<br />

oder nicht bereit ist. Eine Zweiklassenmedizin darf es nicht geben,<br />

jeder wird gleich gut mit hoher Qualität und nach den neuesten wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen behandelt und dafür reicht das Geld –<br />

so die Aussage fast jedes Gesundheitspolitikers – aus. Dabei gibt es<br />

die Zweiklassenmedizin schon seit Jahrzehnten: privat und gesetzlich<br />

Versicherte, nur machen sich nun die Unterschiede krasser bemerkbar.<br />

Dass nicht alle gesetzlich versicherten Menschen in Zukunft bei gleichen<br />

Einnahmen der Kassen auch gleich versorgt werden können, allein<br />

die Kosten des galoppierenden wissenschaftlichen Fortschrittes<br />

werden es verhindern, ahnen Politiker wahrscheinlich immer eindringlicher.<br />

Nur der Mut, dem Patienten und Wähler die Wahrheit<br />

und die Funktion des Systems zu erklären, nimmt mit zunehmenden<br />

Schwierigkeiten exponenziell ab. Aus diesem Grund ist es wenig<br />

publik,<br />

• dass die Politik seit zehn Jahren 50 Mrd. DM zur Entlastung<br />

öffentlicher Haushalte und Schonung anderer Sozialleistungsetats<br />

aus dem Budget der gesetzlichen Krankenkassen entnimmt,<br />

• dass der Staat immer noch Hauptprofiteur der Probleme der Krankenversicherung<br />

durch europaweit einmalige steuerliche Belastung<br />

für medizinische Leistungen ist.<br />

Wenn der Versuch, die periodischen Kostenexplosionen im Gesundheitswesen<br />

gründlich – also von den Ursachen her – zu bekämpfen,<br />

ernst gemeint sein sollte, wird man um rigorose Maßnahmen nicht<br />

herumkommen. Die könnten dann so aussehen, dass eine Mindestversorgung<br />

gesetzlich garantiert wird, persönliche Risiken und Wünsche<br />

betreffs des Versorgungsumfanges bausteinmäßig zusätzlich<br />

versichert werden.<br />

Diese eklatanten Veränderungen könnte man rechtlich noch etwas<br />

hinausschieben, wenn man den politischen Mut hätte, die gesetzliche<br />

Krankenversicherung von allem Ballast zu befreien, der nichts mit<br />

dem Kranksein zu tun hat – aber wer will das schon ernsthaft!<br />

Die Frage ist nicht, ob der Wandel kommt, sondern, ob man ihn bloß<br />

geschehen lässt oder versucht, ihn sinnvoll zu gestalten. Wenn die<br />

Dinge vor sich hin treiben, wird es gehen wie so oft im Leben: Diejenigen,<br />

die es am wenigsten verdienen, werden am härtesten bestraft.<br />

Vorher sind aber ganz andere zu bestrafen, nämlich Angehörige der<br />

Berufsgruppe, die mit durchschnittlich 58 Stunden Wochenarbeitszeit<br />

weit mehr Zeit für ihren Beruf aufwendet als der Durchschnitt, die<br />

durch ihre ungeheure Anzahl, durch schlechte Therapiestandards<br />

und durch ihre Neigung Rezeptblöcke vollzuschreiben, am Ruin des<br />

Systems schuld sein soll.<br />

Es ist immer wieder erschreckend, mit welcher Dreistigkeit wir Ärzte<br />

für Dinge verantwortlich gemacht werden, die das System ureigenst<br />

täglich erzeugt, obwohl wir jeden Tag versuchen, die maroden Prozesse<br />

am Leben zu erhalten. Man kann nur hoffen, dass zu guter Letzt<br />

die Politik nicht nur zu Palliativmaßnahmen taugt, sondern in der<br />

Lage ist, gesellschaftliche Prozesse richtig zu analysieren.<br />

Wir dürfen nicht müde werden, den politisch Verantwortlichen die<br />

Probleme darzulegen und sie in ihrer Komplexität zu erklären. Ein<br />

gutes Forum dafür ist der diesjährige Fortbildungskongress der Landesärztekammer<br />

in Kleinmachnow vom 11. bis 13. Oktober, wo berufspolitischen<br />

Podiumsdiskussionen genügend Zeit eingeräumt wird.<br />

Er bietet geballte Fortbildung in Kombination mit nützlichen Kursen.<br />

Mit viel Engagement vorbereitet, hoffen die Verantwortlichen und die<br />

Landesärztekammer auf rege Beteiligung.<br />

Ihr<br />

Hanjo Pohle<br />

298 Brandenburgisches Ärzteblatt 10/2001 • 11. Jahrgang

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