FINE Das Weinmagazin - 03/2010
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG
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Klassiker des Automobilbaus und große alte<br />
Weine können perfekte Sammlerstücke sein –<br />
mit Ecken und Kanten, mit Altersnoten, etwas<br />
ganz Besonderes für Puristen.<br />
und Espresso mit gerundeten Gerbstoffkanten,<br />
viel Volumen und Alterstönen.<br />
Es sind keine Weine für eine<br />
Loge im Genusshimmel, doch sie zeigen<br />
klar die Basis, aus der sich Gajas<br />
Weinstil entwickelte.<br />
Es geht zurück zum Costa Russi.<br />
Die Jahrgänge 1982 und 1979 werden<br />
ausgeschenkt. Waren eben die »Vorserienmodelle«<br />
im Glas, sind es nun<br />
zwei zeitlose Klassiker, die nach<br />
rund dreißig Jahren strahlen. Vielleicht<br />
die beiden besten Weine dieses<br />
Vergleichs: Sie zeigen Beerenfrucht,<br />
Mineralität, Feinheit, Würze, Komplexität<br />
und Eleganz – der 1982-er<br />
noch eine Nuance deutlicher als der<br />
ebenso großartige 1979-er. Sie sind in<br />
Würde alt geworden, haben Tiefe und<br />
erklären eindrucksvoll, warum der<br />
Name Gaja zu den größten der Weinwelt<br />
Italiens zählt. Sie ver körpern<br />
Freude und Freundschaft, haben<br />
etwas Verschwenderisches. Nach dem<br />
zweiten Schluck ruft Zender: »Diese<br />
Weine darf man nicht verkosten. Man<br />
muss sie trinken. Würde ich sie nicht<br />
über Kehle laufen lassen – ich könnte<br />
sie gar nicht genießen, niemals!«<br />
»Sind diese beiden Weine für euch<br />
Klassiker«, fragt Norbert Wittlich<br />
über die Gläserreihen hinweg. Die<br />
Köpfe am Tisch nicken. »Ich vergleiche<br />
sie mit dem Rolls Royce Chinese<br />
Eyes«, fügt er hinzu, »der Wagen<br />
strahlt auch nach fünfundvierzig<br />
Jahren die aristokratische Eleganz<br />
und Linienführung aus, die diese<br />
Marke durch ihre ganze Geschichte<br />
auszeichnet hat. Es gab übrigens nur<br />
siebenundzwanzig Stück in seinem<br />
Baujahr 1964.« Wolfgang Zender<br />
nickt bedächtig. »Im Wein kann man<br />
Klassiker nicht schaffen, nur die Voraussetzung<br />
dazu. Jede Handlung im<br />
Ausbau ist auf eine Zukunft gerichtet,<br />
die niemand vorhersehen kann.<br />
Im besten Fall wird nach Jahrzehnten<br />
das Besondere eines solchen Weins<br />
zu einem Teil der Marke Gaja, und ihr<br />
Können sorgt dafür, dass diese Weine<br />
nicht in Vergessenheit geraten, sondern<br />
geöffnet werden und über sie<br />
gesprochen wird.« Die heutige Automobilindustrie<br />
mit ihrem Drang nach<br />
glatter, geräuschloser Perfektion<br />
schafft keine Klassiker. Die Modelle<br />
sind erfüllt von Kundenbedürfnissen<br />
und Mainstream, von Technologie,<br />
Zeitgeist und Mode. <strong>Das</strong> ist<br />
der internationale Stil globalisierter<br />
Märkte, mit dem im Wein bislang<br />
wenig Klassiker entstanden sind. Die<br />
Weine lassen sich gut trinken, bieten<br />
gute Qualität. Im Glas sind sie offen<br />
wie ein aufgeschlagenes Buch. Aber<br />
sie haben nichts, das Jahrzehnte überdauern<br />
würde. Aber auch nicht alle<br />
alten Autos werden Sammlerstücke.<br />
Der Gastgeber kündigt die letzten<br />
vier Weine der Verkostung an.<br />
Diesmal stammen sie aus Gajas dritter<br />
Einzellage, dem Sori San Lorenzo.<br />
1967 entstand hier Gajas erster<br />
Einzel lagen-Wein. Wir schwenken<br />
ihn im Glas. Daneben stehen der<br />
1968-er, der 1979-er und der 1986-er.<br />
Wieder ein Prototyp, mit Wachs,<br />
Honig, Holz und Pferdeschweiß,<br />
dazu Sherry noten, Maha goni und<br />
Firn mit noch immer langem Nachhall.<br />
Diese Ecken und Kanten sind<br />
es, die aufmerken lassen. Auch er ist<br />
nicht perfekt. Dieser Wein ist wie<br />
ein Classic Car. Denn auch die sorgsam<br />
gehegten Modelle rußen, stinken,<br />
haben Kurzschlüsse, verlieren<br />
Öl, sind unbequem. »Aber sie vermitteln<br />
ein so direktes und pures<br />
Fahrgefühl, das kein modernes Auto<br />
mit all seiner Technologie bieten<br />
kann«, sagt Norbert Wittlich, »und<br />
so empfinde ich auch diesen Wein.<br />
Er ist das perfekte Sammler stück. Mit<br />
Ecken und Kanten. Mit Altersnoten.<br />
Und dennoch ein ganz besonderer<br />
Wein für Puristen.« Er nimmt noch<br />
einen kleinen Schluck und erzählt<br />
von seinem Jaguar XK 120 aus dem<br />
Jahr 1951, dem ältesten Fahrzeug in<br />
der Halle. Eine alte Dame aus Los<br />
angeles verkaufte ihm den einst luxuriösen<br />
Wagen in desolatem Zustand.<br />
Zuhause beschlossen Schuster und<br />
Wittlich zunächst, den Wagen komplett<br />
zu restaurieren. Doch sie entschieden<br />
anders: »Wir haben ihn<br />
nur ganz sorgfältig poliert. Er sollte<br />
seine Macken behalten. Schließlich<br />
gehören sie zu seiner Vergangenheit.«<br />
Der Wein sammler seufzt: »<strong>Das</strong><br />
unterscheidet eure Leiden schaft von<br />
meiner. Ich kann Wein weder restaurieren<br />
noch polieren. Ich kann<br />
Flaschen nicht warten. Ich kann nur<br />
warten.« ><br />
F I N E<br />
T a s t i n g<br />
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