FINE Das Weinmagazin - 03/2010

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG

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verkaufen, sie öffnen ihre Flaschen aber nur höchst selten. Das ist keine Leidenschaft, das ist Geschäft«, antwortet Weinsammler Zender und blickt empört in die Runde. »Ich sammle, um zu trinken. Daher kann ich warten, bis meine Weine gereift sind. Wenn ich denke, der Zeitpunkt ist richtig, öffne ich sie. Manchmal habe ich dabei Pech, manchmal großes Glück. Irgendeine Preisentwicklung in Hongkong ist mir dabei so was von egal.« Weintrinken mit Leidenschaft ist ein Risiko wie das Fahren schneller Limousinen. Bei Angelo Gaja vereinen sich diese beiden aspekte: Der Wein-Pionier des Piemont liebt Autos und fährt gerne schnell, manchmal sehr schnell. Der Konjunktiv beschreibt das Risiko: Was wäre, wenn … Was wäre, wenn man den seltensten Wein seiner Sammlung zu einem Anlass öffnet, der angemessen ist, aber zum falschen Zeitpunkt stattfindet Der Wein ist verschlossen, voller Gerbstoffe, ohne Eleganz. Enttäuschung auf der ganzen Linie. Und drei Jahre später würde er sich wieder öffnen, komplex und voller Harmonie mit unendlicher Länge Aus, vorbei. »Wer mit seinem alten Rennwagen die Strecke, die Technik oder die eigenen Fahrkünste unterschätzt, verliert nicht nur das Rennen, sondern vielleicht sogar den Wagen, die Gesundheit, das Leben«, sinniert Autofan Schuster und widmet sich noch einmal dem fast leeren Glas mit dem eleganten, runden 1999-er. Nun folgt wieder Costa Russi, diesmal 2004, 1998, 1996 und 1995. Schon beim Beschnuppern wird klar, dass diese Weine eine Eigenschaft teilen: Ihre Verschlossenheit. Der 1996-er wirkt mit Noten nach Pflaume, Kirsche und Vanille fast noch jung. Aber er hat unbändige Kraft und die Struktur guter Säure. Der 1998-er ist ein Fall für sich: Erst sträubt er sich, zeigt sich verschlossen wie ein Tresor. Erst nach einer Viertelstunde lüftet er den Vorhang ein wenig, dann ganz langsam immer weiter. Aromen nach Himbeeren, mediterranen Kräutern und Leder verbinden sich auf wunder bare Weise, Stoffigkeit und Säure harmonieren mit seinem Volumen. Er ist weniger elegant, eher kraftvoll, mit ein paar schönen Ecken und Kanten. Ein Meisterstück. So einen Wein unterschätzt man auch mit Erfahrung recht schnell, vor allem bei Verkostungen. Der Probenrhythmus ist nicht der seine. Ist die Gruppe längst weitergezogen durch Lagen oder Jahre, vielleicht ein wenig enttäuscht, öffnet er sich, oft unbeachtet. Obwohl diese Entwicklung ja einen großen Wein ausmacht. Es wäre ein Jammer. »Das ist Schönheit auf den zweiten Blick«, resümiert Schuster, »wir haben das auch bei unseren Autos oft erlebt. Manchmal braucht man einfach viel Zeit, bis man etwas erkennt, an dem man oft einfach vorbei gegangen ist. Es gibt im Leben den richtigen Zeitpunkt für ein altes Auto.« Das Phänomen des 98-er Costa Russi bildet diesen Erkenntnisprozess im Zeitraffer ab. Bei alten Autos kann es Jahre dauern, beim Wein reicht manchmal eine halbe Stunde. Beruhigend. Nun wird es auch Zeit für alte Weine. Sori Tildin der Jahre 1973, 1971, 1970 kommt in die Gläser. Es sind die ersten Weine, die Gaja auf seiner Premiumlage erzeugt hat. Wir verkosten spannende Weine aus einer anderen Zeit. Gaja experimentierte damals mit aus Frankreich importierten Barriques, die es vor ihm im Piemont gar nicht gab. Bei Autos würde man diese drei Weine als Proto typen bezeichnen. Sie zeigen die Richtung und die Philosophie, ohne jedoch den Anspruch auf Perfektion zu erheben. So schmecken diese Weine auch: Der 1973-er nach Bienen wachs und Himbeeren mit einer intakten Struktur und vielen Altersnoten. Der 1971-er bietet aromen nach Wachs, Konfitüre und Ingwer, mit knackiger Säure und gutem Nachhall. Und der 1970-er hat etwas Archaisches: Aromen nach antikem Holz, Mahagoni, Möbelpolitur 52 F I N E 3 / 2010

Klassiker des Automobilbaus und große alte Weine können perfekte Sammlerstücke sein – mit Ecken und Kanten, mit Altersnoten, etwas ganz Besonderes für Puristen. und Espresso mit gerundeten Gerbstoffkanten, viel Volumen und Alterstönen. Es sind keine Weine für eine Loge im Genusshimmel, doch sie zeigen klar die Basis, aus der sich Gajas Weinstil entwickelte. Es geht zurück zum Costa Russi. Die Jahrgänge 1982 und 1979 werden ausgeschenkt. Waren eben die »Vorserienmodelle« im Glas, sind es nun zwei zeitlose Klassiker, die nach rund dreißig Jahren strahlen. Vielleicht die beiden besten Weine dieses Vergleichs: Sie zeigen Beerenfrucht, Mineralität, Feinheit, Würze, Komplexität und Eleganz – der 1982-er noch eine Nuance deutlicher als der ebenso großartige 1979-er. Sie sind in Würde alt geworden, haben Tiefe und erklären eindrucksvoll, warum der Name Gaja zu den größten der Weinwelt Italiens zählt. Sie ver körpern Freude und Freundschaft, haben etwas Verschwenderisches. Nach dem zweiten Schluck ruft Zender: »Diese Weine darf man nicht verkosten. Man muss sie trinken. Würde ich sie nicht über Kehle laufen lassen – ich könnte sie gar nicht genießen, niemals!« »Sind diese beiden Weine für euch Klassiker«, fragt Norbert Wittlich über die Gläserreihen hinweg. Die Köpfe am Tisch nicken. »Ich vergleiche sie mit dem Rolls Royce Chinese Eyes«, fügt er hinzu, »der Wagen strahlt auch nach fünfundvierzig Jahren die aristokratische Eleganz und Linienführung aus, die diese Marke durch ihre ganze Geschichte auszeichnet hat. Es gab übrigens nur siebenundzwanzig Stück in seinem Baujahr 1964.« Wolfgang Zender nickt bedächtig. »Im Wein kann man Klassiker nicht schaffen, nur die Voraussetzung dazu. Jede Handlung im Ausbau ist auf eine Zukunft gerichtet, die niemand vorhersehen kann. Im besten Fall wird nach Jahrzehnten das Besondere eines solchen Weins zu einem Teil der Marke Gaja, und ihr Können sorgt dafür, dass diese Weine nicht in Vergessenheit geraten, sondern geöffnet werden und über sie gesprochen wird.« Die heutige Automobilindustrie mit ihrem Drang nach glatter, geräuschloser Perfektion schafft keine Klassiker. Die Modelle sind erfüllt von Kundenbedürfnissen und Mainstream, von Technologie, Zeitgeist und Mode. Das ist der internationale Stil globalisierter Märkte, mit dem im Wein bislang wenig Klassiker entstanden sind. Die Weine lassen sich gut trinken, bieten gute Qualität. Im Glas sind sie offen wie ein aufgeschlagenes Buch. Aber sie haben nichts, das Jahrzehnte überdauern würde. Aber auch nicht alle alten Autos werden Sammlerstücke. Der Gastgeber kündigt die letzten vier Weine der Verkostung an. Diesmal stammen sie aus Gajas dritter Einzellage, dem Sori San Lorenzo. 1967 entstand hier Gajas erster Einzel lagen-Wein. Wir schwenken ihn im Glas. Daneben stehen der 1968-er, der 1979-er und der 1986-er. Wieder ein Prototyp, mit Wachs, Honig, Holz und Pferdeschweiß, dazu Sherry noten, Maha goni und Firn mit noch immer langem Nachhall. Diese Ecken und Kanten sind es, die aufmerken lassen. Auch er ist nicht perfekt. Dieser Wein ist wie ein Classic Car. Denn auch die sorgsam gehegten Modelle rußen, stinken, haben Kurzschlüsse, verlieren Öl, sind unbequem. »Aber sie vermitteln ein so direktes und pures Fahrgefühl, das kein modernes Auto mit all seiner Technologie bieten kann«, sagt Norbert Wittlich, »und so empfinde ich auch diesen Wein. Er ist das perfekte Sammler stück. Mit Ecken und Kanten. Mit Altersnoten. Und dennoch ein ganz besonderer Wein für Puristen.« Er nimmt noch einen kleinen Schluck und erzählt von seinem Jaguar XK 120 aus dem Jahr 1951, dem ältesten Fahrzeug in der Halle. Eine alte Dame aus Los angeles verkaufte ihm den einst luxuriösen Wagen in desolatem Zustand. Zuhause beschlossen Schuster und Wittlich zunächst, den Wagen komplett zu restaurieren. Doch sie entschieden anders: »Wir haben ihn nur ganz sorgfältig poliert. Er sollte seine Macken behalten. Schließlich gehören sie zu seiner Vergangenheit.« Der Wein sammler seufzt: »Das unterscheidet eure Leiden schaft von meiner. Ich kann Wein weder restaurieren noch polieren. Ich kann Flaschen nicht warten. Ich kann nur warten.« > F I N E T a s t i n g 53

verkaufen, sie öffnen ihre Flaschen<br />

aber nur höchst selten. <strong>Das</strong> ist keine<br />

Leidenschaft, das ist Geschäft«, antwortet<br />

Weinsammler Zender und<br />

blickt empört in die Runde. »Ich<br />

sammle, um zu trinken. Daher kann<br />

ich warten, bis meine Weine gereift<br />

sind. Wenn ich denke, der Zeitpunkt<br />

ist richtig, öffne ich sie. Manchmal<br />

habe ich dabei Pech, manchmal<br />

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in Hongkong ist mir dabei<br />

so was von egal.«<br />

Weintrinken mit Leidenschaft ist<br />

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Limousinen. Bei Angelo Gaja vereinen<br />

sich diese beiden aspekte: Der<br />

Wein-Pionier des Piemont liebt<br />

Autos und fährt gerne schnell, manchmal<br />

sehr schnell. Der Konjunktiv<br />

beschreibt das Risiko: Was wäre,<br />

wenn … Was wäre, wenn man den<br />

seltensten Wein seiner Sammlung zu<br />

einem Anlass öffnet, der angemessen<br />

ist, aber zum falschen Zeitpunkt<br />

stattfindet Der Wein ist verschlossen,<br />

voller Gerbstoffe, ohne Eleganz.<br />

Enttäuschung auf der ganzen Linie.<br />

Und drei Jahre später würde er sich<br />

wieder öffnen, komplex und voller<br />

Harmonie mit unendlicher Länge<br />

Aus, vorbei. »Wer mit seinem alten<br />

Rennwagen die Strecke, die Technik<br />

oder die eigenen Fahrkünste unterschätzt,<br />

verliert nicht nur das Rennen,<br />

sondern vielleicht sogar den Wagen,<br />

die Gesundheit, das Leben«, sinniert<br />

Autofan Schuster und widmet sich<br />

noch einmal dem fast leeren Glas<br />

mit dem eleganten, runden 1999-er.<br />

Nun folgt wieder Costa<br />

Russi, diesmal 2004,<br />

1998, 1996 und 1995. Schon beim<br />

Beschnuppern wird klar, dass diese<br />

Weine eine Eigenschaft teilen: Ihre<br />

Verschlossenheit. Der 1996-er wirkt<br />

mit Noten nach Pflaume, Kirsche<br />

und Vanille fast noch jung. Aber er<br />

hat unbändige Kraft und die Struktur<br />

guter Säure. Der 1998-er ist ein Fall<br />

für sich: Erst sträubt er sich, zeigt sich<br />

verschlossen wie ein Tresor. Erst nach<br />

einer Viertelstunde lüftet er den Vorhang<br />

ein wenig, dann ganz langsam<br />

immer weiter. Aromen nach Himbeeren,<br />

mediterranen Kräutern und<br />

Leder verbinden sich auf wunder bare<br />

Weise, Stoffigkeit und Säure harmonieren<br />

mit seinem Volumen. Er ist<br />

weniger elegant, eher kraftvoll, mit<br />

ein paar schönen Ecken und Kanten.<br />

Ein Meisterstück. So einen Wein<br />

unterschätzt man auch mit Erfahrung<br />

recht schnell, vor allem bei Verkostungen.<br />

Der Probenrhythmus<br />

ist nicht der seine. Ist die Gruppe<br />

längst weitergezogen durch Lagen<br />

oder Jahre, vielleicht ein wenig enttäuscht,<br />

öffnet er sich, oft unbeachtet.<br />

Obwohl diese Entwicklung ja einen<br />

großen Wein ausmacht. Es wäre ein<br />

Jammer.<br />

»<strong>Das</strong> ist Schönheit auf den zweiten<br />

Blick«, resümiert Schuster, »wir<br />

haben das auch bei unseren Autos oft<br />

erlebt. Manchmal braucht man einfach<br />

viel Zeit, bis man etwas erkennt,<br />

an dem man oft einfach vorbei gegangen<br />

ist. Es gibt im Leben den richtigen<br />

Zeitpunkt für ein altes Auto.«<br />

<strong>Das</strong> Phänomen des 98-er Costa Russi<br />

bildet diesen Erkenntnisprozess<br />

im Zeitraffer ab. Bei alten Autos<br />

kann es Jahre dauern, beim Wein<br />

reicht manchmal eine halbe Stunde.<br />

Beruhigend.<br />

Nun wird es auch Zeit für alte<br />

Weine. Sori Tildin der Jahre 1973,<br />

1971, 1970 kommt in die Gläser. Es<br />

sind die ersten Weine, die Gaja auf<br />

seiner Premiumlage erzeugt hat.<br />

Wir verkosten spannende Weine<br />

aus einer anderen Zeit. Gaja experimentierte<br />

damals mit aus Frankreich<br />

importierten Barriques, die es<br />

vor ihm im Piemont gar nicht gab. Bei<br />

Autos würde man diese drei Weine<br />

als Proto typen bezeichnen. Sie<br />

zeigen die Richtung und die Philosophie,<br />

ohne jedoch den Anspruch<br />

auf Perfektion zu erheben. So schmecken<br />

diese Weine auch: Der 1973-er<br />

nach Bienen wachs und Himbeeren<br />

mit einer intakten Struktur und<br />

vielen Altersnoten. Der 1971-er bietet<br />

aromen nach Wachs, Konfitüre und<br />

Ingwer, mit knackiger Säure und<br />

gutem Nachhall. Und der 1970-er hat<br />

etwas Archaisches: Aromen nach antikem<br />

Holz, Mahagoni, Möbelpolitur<br />

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