FINE Das Weinmagazin - 03/2010

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG

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Große Winzer und große Autobauer wandeln mit jeder Kollektion auf dem schmalen Grat zwischen Zeitgeist und Zeitlosigkeit. Autosammler und Weinsammler sehen die Welt auf ähnliche Weise, obwohl der Gegenstand der Leidenschaft nicht unterschiedlicher sein könnte: Reife kontra Reifen. Für eine kleine Schar von Weinfreunden haben sich diese Terrains ganz unmittelbar erkunden lassen. Inmitten von sechzehn besonderen Fahrzeugen aus den besten Jahrgängen, darunter dieser Rolls Royce, verkosteten sie besonderen Rotwein bester Jahrgänge: Die drei Einzellagen des Star winzers Angelo Gaja aus dem Piemont. Sori Tildin, Costa Russi und Sori San Lorenzo von 1967 bis 2004. Die Chinese Eyes, die in Mandelform angeordneten Scheinwerfer, beobachten die Weinfans dabei. Außerdem stehen hier beispielsweise vier Porsche-Renn modelle der Reihe 911, ein Aston Martin DB4, ein Jaguar XK 120 von 1951, ein Lamborghini Miura LP 400S, ein Facel Vega HK 500 und ein Ferrari 365 GTB4 Daytona, der einst dem Popstar Richard Carpenter (The Carpenters) ge hörte. Es sind Unikate – wie die Weine auf dem Tisch. Ein wolkiger, schwüler Samstagmittag in der Nähe von Frankfurt am Main. Gleich hinter der Bahnlinie liegt das Industriegebiet in seiner Wochenendruhe. Verschlossene Hallen strecken sich entlang der Schlaglöcher; Wohnmobile und Caravans dösen hinterm hohen Zaun. Der Parkplatz der Druckerei ist leer, nur vorm Sportstudio langweilen sich ein paar Autos. Vor einem Flachbau in einer kleinen Neben straße wuchert Unkraut in der asphaltierten Einfahrt. Dort ist das breite Stahl rollo nach oben geschoben. Im Halb dunkel sind die Silhouetten eleganter und sportlicher Formen zu erkennen. Drinnen warten entspannte Menschen auf Champagner. Da durchschneidet der ohrenbetäubende Lärm von 330 PS die Sommerstille. In der Halle führt der Gast geber vor, wie ein zweihundert fünfzig Stunden kilometer schneller Porsche 911 3.0 RSR IROC des Jahres 1973 klingt. Pure Kraft, die sich zur entspannten Stadtfahrt eher nicht eignet. Noch einmal röhrt die bullige Maschine auf, dann ist es wieder still. Jetzt ist Gaja dran. In der Mitte der weiß gestrichenen Halle mit mausgrauem Estrich boden steht ein langer Tisch, auf dem sich die Flaschen reihen und viele große Weingläser. » Liebe Freunde, bitte Platz nehmen!«, ruft Weinsammler Wolfgang Zender, aus dessen Beständen die Gaja- Weine stammen. Den Auftakt macht der berühmte Sori Tildin der Jahr gänge 2005, 2000, 1997, 1996 und 1993. Wir verkosten. Johannisbeeren, Kräuter, Kakao und Espresso, Teer und Kohle. Da ist Eleganz, manchmal extrem viel Kraft. Die Virilität des Piemont. Nur der 1993-er ist anders: Der fruchtund tannin betonte internationale Stil unterscheidet sich deutlich von den Charakterweinen der jüngeren Jahrgänge. Ein Wein, dessen Stil im Jahr 1993 die Zukunft galt. 2010 ist sie vorbei – was weniger am Wein selbst als an seiner im Ausbau mitgegebenen Stilistik liegt. Dem selben Widerspruch müssen sich Autodesigner aussetzen. Sie müssen sich Trends der Zeit aneignen, ohne dabei das Unverkennbare eines besonderen Fahrzeugs aufs Spiel setzen zu dürfen. Produzenten großer Weine und Autohersteller wandeln mit jedem Jahrgang, jeder Kollektion auf dem ziemlich schmalen Grat zwischen dem Einssein ihrer Produkte mit dem Jetzt und dem Einssein mit dem Zeitlosen. Der Sori Tildin kam 1967 in den Besitz der Familie Gaja, 1970 wurde erstmals Wein aus dieser Einzellage in der Gemeinde Barbaresco gekeltert. Das Wort »Sori« bezeichnet im Piemontesischen eine sonnige Südlage, und »Tildin« war der Spitzname von Angelo Gajas Großmutter. Vor 50 F I N E 3 / 2010

der Anlage des Weinbergs war dort: nichts. Karges Weideland, manchmal etwas Landwirtschaft und Gebüsch. Gaja leistete Pionierarbeit und legte dort einen Weinberg an, der heute zu den besten des Landes gehört. Der Nebbiolo dieser Lage, gerundet mit fünf Prozent Barbera, ist ein zweifelsohne großer Wein: Dichte, Feinheit und Komplexität dominieren, dazu Kirschnoten, Karamel und Kakao – und ein wunderbarer Nachhall. Der 1990-er ist wieder ein gewisser maßen Internationaler. Fünfzehn Jahre nach seinem Erscheinen zeigt sich, dass dieser Stil zwar auch heute wiedererkennbar ist, aber nicht den Wein und sein Terroir, sondern nur den Trend der Zeit seiner Entstehung reflektiert. Der zweite Flight. Costa Russi der Jahre 1990, 1993, 1996 und 1999. Die Einzellage gehört angelo Gaja seit 1967, aber erst 1978 produzierte er daraus erstmals den heute berühmten Nebbiolo. Vor allem Dichte, Raffinesse und Komplexität charakterisieren diesen Wein. Während die Gläser wieder gefüllt werden, beantwortet Rainer Schuster, einer der beiden Besitzer der Vintage- Sammlung, die neugierigen Fragen der acht Gäste. Würden die Fahrzeuge von ihnen denn auch gefahren »Ja klar«, sagt er und streicht sich die langen blonden Haare aus dem Gesicht. Auch die Rennwagen seien »nicht bei risikolosen Grüß-und- Wink-Rallyes« unterwegs, sondern bei Rennen auf der Piste, in denen es den Fahrern ums Gewinnen geht. »Wir haben da schon öfter mal im Graben gelegen. Danach geht’s halt ans Reparieren, was soll’s«, erzählt er und betont: »Für diesen Zweck wurden die Autos nun mal gebaut. So fahren wir sie auch. Unsere Halle ist kein Museum.« Er schließt gleich eine Frage in die Runde an: »Wie ist das mit euren Weinkellern Sind die bei euch ein Museum« »Für mich wäre das nichts«, eröffnet Norbert Wittlich die Diskussion, der Wein fast so sehr wie alte Autos liebt – er sammelt sie gemeinsam mit Schuster. »Ich will meine Autos fahren und meinen Wein genießen. Flaschen abstauben finde ich langweilig.« »Soll man Weine wie diese Gaja- Granaten nun sammeln oder trinken«, fragt einer der Gäste in die Runde. »Ich kenne Sammler, die haben die größten Weine der Welt im Keller, aber wissen nur aus Büchern, wie sie schmecken. Sie kaufen und F I N E T a s t i n g 51

Große Winzer und große<br />

Autobauer wandeln mit<br />

jeder Kollektion auf dem<br />

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Autosammler und Weinsammler<br />

sehen die Welt<br />

auf ähnliche Weise, obwohl der<br />

Gegenstand der Leidenschaft nicht<br />

unterschiedlicher sein könnte: Reife<br />

kontra Reifen. Für eine kleine Schar<br />

von Weinfreunden haben sich diese<br />

Terrains ganz unmittelbar erkunden<br />

lassen. Inmitten von sechzehn<br />

besonderen Fahrzeugen aus den<br />

besten Jahrgängen, darunter dieser<br />

Rolls Royce, verkosteten sie besonderen<br />

Rotwein bester Jahrgänge:<br />

Die drei Einzellagen des Star winzers<br />

Angelo Gaja aus dem Piemont. Sori<br />

Tildin, Costa Russi und Sori San<br />

Lorenzo von 1967 bis 2004. Die<br />

Chinese Eyes, die in Mandelform<br />

angeordneten Scheinwerfer, beobachten<br />

die Weinfans dabei. Außerdem<br />

stehen hier beispielsweise vier<br />

Porsche-Renn modelle der Reihe 911,<br />

ein Aston Martin DB4, ein Jaguar<br />

XK 120 von 1951, ein Lamborghini<br />

Miura LP 400S, ein Facel Vega HK<br />

500 und ein Ferrari 365 GTB4 Daytona,<br />

der einst dem Popstar Richard<br />

Carpenter (The Carpenters) ge hörte.<br />

Es sind Unikate – wie die Weine auf<br />

dem Tisch.<br />

Ein wolkiger, schwüler Samstagmittag<br />

in der Nähe von Frankfurt<br />

am Main. Gleich hinter der Bahnlinie<br />

liegt das Industriegebiet in seiner<br />

Wochenendruhe. Verschlossene<br />

Hallen strecken sich entlang der<br />

Schlaglöcher; Wohnmobile und Caravans<br />

dösen hinterm hohen Zaun. Der<br />

Parkplatz der Druckerei ist leer, nur<br />

vorm Sportstudio langweilen sich ein<br />

paar Autos. Vor einem Flachbau in<br />

einer kleinen Neben straße wuchert<br />

Unkraut in der asphaltierten Einfahrt.<br />

Dort ist das breite Stahl rollo nach<br />

oben geschoben. Im Halb dunkel sind<br />

die Silhouetten eleganter und sportlicher<br />

Formen zu erkennen. Drinnen<br />

warten entspannte Menschen auf<br />

Champagner. Da durchschneidet der<br />

ohrenbetäubende Lärm von 330 PS<br />

die Sommerstille. In der Halle führt<br />

der Gast geber vor, wie ein zweihundert<br />

fünfzig Stunden kilometer<br />

schneller Porsche 911 3.0 RSR IROC<br />

des Jahres 1973 klingt. Pure Kraft, die<br />

sich zur entspannten Stadtfahrt eher<br />

nicht eignet. Noch einmal röhrt die<br />

bullige Maschine auf, dann ist es wieder<br />

still. Jetzt ist Gaja dran.<br />

In der Mitte der weiß gestrichenen<br />

Halle mit mausgrauem<br />

Estrich boden steht ein langer Tisch,<br />

auf dem sich die Flaschen reihen<br />

und viele große Weingläser. » Liebe<br />

Freunde, bitte Platz nehmen!«, ruft<br />

Weinsammler Wolfgang Zender, aus<br />

dessen Beständen die Gaja- Weine<br />

stammen. Den Auftakt macht der<br />

berühmte Sori Tildin der Jahr gänge<br />

2005, 2000, 1997, 1996 und 1993. Wir<br />

verkosten. Johannisbeeren, Kräuter,<br />

Kakao und Espresso, Teer und Kohle.<br />

Da ist Eleganz, manchmal extrem viel<br />

Kraft. Die Virilität des Piemont. Nur<br />

der 1993-er ist anders: Der fruchtund<br />

tannin betonte internationale<br />

Stil unterscheidet sich deutlich von<br />

den Charakterweinen der jüngeren<br />

Jahrgänge. Ein Wein, dessen Stil im<br />

Jahr 1993 die Zukunft galt. <strong>2010</strong> ist<br />

sie vorbei – was weniger am Wein<br />

selbst als an seiner im Ausbau mitgegebenen<br />

Stilistik liegt. Dem selben<br />

Widerspruch müssen sich Autodesigner<br />

aussetzen. Sie müssen sich<br />

Trends der Zeit aneignen, ohne dabei<br />

das Unverkennbare eines besonderen<br />

Fahrzeugs aufs Spiel setzen zu<br />

dürfen. Produzenten großer Weine<br />

und Autohersteller wandeln mit<br />

jedem Jahrgang, jeder Kollektion auf<br />

dem ziemlich schmalen Grat zwischen<br />

dem Einssein ihrer Produkte<br />

mit dem Jetzt und dem Einssein mit<br />

dem Zeitlosen.<br />

Der Sori Tildin kam 1967 in den<br />

Besitz der Familie Gaja, 1970 wurde<br />

erstmals Wein aus dieser Einzellage<br />

in der Gemeinde Barbaresco gekeltert.<br />

<strong>Das</strong> Wort »Sori« bezeichnet im<br />

Piemontesischen eine sonnige Südlage,<br />

und »Tildin« war der Spitzname<br />

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