FINE Das Weinmagazin - 03/2010

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG

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Tradition und Jugend auf Schloss Johannis berg: Gelassen thronen Schloss und Weingut über dem Rheingau. Das Vermächtnis des Spätlesereiters ist heute dem jungen Domänenverwalter Christian Witte anvertraut. weit ab der zentralen Wege. Dort das abgeschiedene Tal, hier selbstbewusst auf einem Berg: das ist auch politisch ein deutlicher Hinweis auf das Selbst verständnis eines Erz bischofs von Mainz in dieser Zeit. Auf dem Rückweg aus der Bibliotheca subterranea in den Teil des Kellers, der unter dem heutigen Schlossgebäude liegt, kommt es zu einer bemerkenswerten Begegnung. Es entsteht das unwirkliche Gefühl einer Reise in die vorindustrielle Zeit: Junge Leute reinigen gerade ein großes zwölfhundert Liter fassendes Stückfass. Es hat kein Türchen im Boden und kann deshalb nur vom Spundloch aus gereinigt werden. Immer wieder wird Wasser durch das Spundloch in das mächtige Fass gefüllt und auf einer Fass schwenke mit vereinten Kräften hin und her bewegt. Das ist gerade zur Genüge geschehen, das abfließende Wasser ist sauber. Nun wird das Fass auf gerichtet und eine überdimensionale Sackkarre herbeigeschafft, um es zu transportieren. Während zwei Helfer das Fass halb ziehend, halb sichernd leicht neigen, bringt ein dritter die Karre in Position. Ein vierter streckt sich und springt hoch, um den Rand des Fasses und den Griff der Karre zu greifen. Das gelingt ihm erst nach zwei oder drei kraftvollen Versuchen. Karre und Fass beginnen sich immer schneller zu senken. Behände wird die nun schwer beladene Karre unter Kontrolle gebracht. Eine eindrucksvolle Szene mit einer körperlichen Direktheit und auch Gefahr, wie sie heute nicht mehr häufig zu erleben ist. Nach der Anstrengung lachen und scherzen die Arbeiter gelöst, und auf Nachfrage bestätigen sie, dass auf diese Weise mit vereinten Kräften sechs Stückfässer, manchmal auch acht am Tag zu schaffen sind. Kellermeister Gerd Ritter entstammt einer Winzerfamilie im Remstal. Die Arbeit mit Holzfässern lernte er schon in seinem ersten Lehrjahr im VDP-Weingut Karl Haindle in Stetten kennen und achten. Er weiß ganz genau: Holzfass ist nicht gleich Holzfass. Er kennt seine gebinde, und zwei, ein Zwölfhundert- und ein Fünfzehnhundert-Liter-Stückfass, schätzt er ganz besonders. Sie erreichen in jedem Jahr einen sehr guten Endvergärungsgrad, und auch geschmacklich sind die Weine immer reintönig. Wenn der Most in ihnen angesprungen ist und ordentlich gärt, impft er gerne andere Moste, auch in Edelstahlfässern, mit ihrer Hefe. Längst ist Profis klar, was sich immer noch hartnäckig in einigen Köpfen als verquere Vorstellung hält: Es sind nicht die Hefen aus dem Weinberg, die der Spontangärung zum Erfolg verhelfen. Es sind Keller- und Fässerhefen, die die wichtigste Rolle spielen. Im Schlosskeller liegen ausschließlich die Holzfässer. Die Edelstahlgebinde haben ihren Platz im Mummschen Weingut gefunden. Etwa achtzig Gebinde unterschiedlicher Größe stehen hier für die Vergärung zur Verfügung. Sie sind von außen kühlbar und können zentral über die 22 F I N E 3 / 2010

Temperatur oder das entstehende Kohlen dioxid gesteuert werden. Doch vor dem Ver gären ist die diffizile Arbeit der Lese zu bewerkstelligen. Auf Schloss Johannisberg wird komplett von Hand gelesen. Zwanzig eigene Helfer werden durch einhundert langjährig ausgebildete Kräfte verstärkt. Oft wird in zwei Eimer gelesen: das gesunde Lesegut in den einen, nicht perfektes in den anderen. An Lesetischen wird dann sorgfältig zwischen edelfaul, faul und gesund selektioniert. Je nach Zustand des Leseguts entscheidet Ritter, ob eine Ganztraubenpressung sinnvoll ist oder eine Maische standzeit durchgeführt werden soll; die drei Membranpressen im neuen Kelterhaus erlauben viele Varianten. Die Moste werden durch Sedimentation glanzhell vorgeklärt. Vierzig bis fünfundvierzig Prozent der Weine werden spontan vergoren, alle Rieslinge in den Holzfässern und auch ein Teil der Edelstahlgebinde. Sie werden in der beschriebenen Weise aus den Holzfässern beimpft. Doch auch Reinzuchthefen spielen weiterhin ihre Rolle. Das erste Gewächs ist ein gutes Beispiel. Dem Jahrgang entsprechend stammt es zu ungefähr achtzig Prozent aus dem Holz. Doch ist die Domäne im Holzfasskeller mit einem ziemlich robusten Bakterium gesegnet. Es leitet auch unter eigentlich ungünstigen Bedingungen (pH-Wert unter 3,0 bei Temperaturen um zehn Grad) zuverlässig den biologischen Säureabbau ein, in dem Äpfelsäure in die mildere Weinsäure überführt wird. D er Stil der Domäne sind Weine von kräftiger Statur, denen dennoch eine eigentümliche Eleganz zu eigen ist. Auch nehmen die Weine in der Lagerung keineswegs einen breiten und langweiligen Charakter an. Um das zu gewährleisten müssen Cuvée-Partner gefunden werden, die die Weine aus dem Holzfass sinnvoll ergänzen. Das werden häufig Weine aus dem Edelstahl sein, die mit Reinzuchthefen vergoren wurden. Es gibt Überlegungen, die Hefen aus den beiden Top gebinden gezielt vermehren zu lassen. Doch Gerd Ritter ist sich nicht sicher. »Das ist dann doch wieder eine Art von Reinzuchthefe!« Er schätzt die Vielfalt der Hefen bei der Spontanvergärung über alles. Die Sonne wärmt angenehm nach der feuchten Kühle des Kellers. Sein Eingang liegt unter der breiten Doppeltreppe in der Mitte des westlichen Flügels. Vis-à-vis laden baumbeschattete Sitzgelegenheiten zu einer zünftigen Winzer vesper oder auch feineren Gerichten ein. Bewirtschaftet werden Gutsrestaurant und Weingarten zur gegenseitigen Zufriedenheit von Käfer’s. Oberhalb der Reben die Weine von Schloss Johannisberg zu trinken, ist ein leicht nachzuvollziehender Genuss. Hier und im angrenzenden Wein-Cabinet, das schon 1980 im ehemaligen Kelterhaus als Vinothek entstand, werden substanzielle Mengen Wein verkauft. Nicht weniger als einhundertdreißigtausend Besucher aus aller Herren Länder strömen Jahr für Jahr auf den F I N E R h e i n g a u 23

Tradition und Jugend auf Schloss<br />

Johannis berg: Gelassen thronen Schloss<br />

und Weingut über dem Rheingau.<br />

<strong>Das</strong> Vermächtnis des Spätlesereiters ist<br />

heute dem jungen Domänenverwalter<br />

Christian Witte anvertraut.<br />

weit ab der zentralen Wege. Dort das abgeschiedene<br />

Tal, hier selbstbewusst auf einem Berg: das<br />

ist auch politisch ein deutlicher Hinweis auf das<br />

Selbst verständnis eines Erz bischofs von Mainz<br />

in dieser Zeit.<br />

Auf dem Rückweg aus der Bibliotheca subterranea<br />

in den Teil des Kellers, der unter dem<br />

heutigen Schlossgebäude liegt, kommt es zu<br />

einer bemerkenswerten Begegnung. Es entsteht<br />

das unwirkliche Gefühl einer Reise in die vorindustrielle<br />

Zeit: Junge Leute reinigen gerade ein<br />

großes zwölfhundert Liter fassendes Stückfass.<br />

Es hat kein Türchen im Boden und kann deshalb<br />

nur vom Spundloch aus gereinigt werden. Immer<br />

wieder wird Wasser durch das Spundloch in das<br />

mächtige Fass gefüllt und auf einer Fass schwenke<br />

mit vereinten Kräften hin und her bewegt. <strong>Das</strong><br />

ist gerade zur Genüge geschehen, das abfließende<br />

Wasser ist sauber. Nun wird das Fass auf gerichtet<br />

und eine überdimensionale Sackkarre herbeigeschafft,<br />

um es zu transportieren. Während zwei<br />

Helfer das Fass halb ziehend, halb sichernd leicht<br />

neigen, bringt ein dritter die Karre in Position. Ein<br />

vierter streckt sich und springt hoch, um den Rand<br />

des Fasses und den Griff der Karre zu greifen.<br />

<strong>Das</strong> gelingt ihm erst nach zwei oder drei kraftvollen<br />

Versuchen. Karre und Fass beginnen sich<br />

immer schneller zu senken. Behände wird die nun<br />

schwer beladene Karre unter Kontrolle gebracht.<br />

Eine eindrucksvolle Szene mit einer körperlichen<br />

Direktheit und auch Gefahr, wie sie heute nicht<br />

mehr häufig zu erleben ist. Nach der Anstrengung<br />

lachen und scherzen die Arbeiter gelöst, und auf<br />

Nachfrage bestätigen sie, dass auf diese Weise mit<br />

vereinten Kräften sechs Stückfässer, manchmal<br />

auch acht am Tag zu schaffen sind.<br />

Kellermeister Gerd Ritter entstammt einer<br />

Winzerfamilie im Remstal. Die Arbeit mit<br />

Holzfässern lernte er schon in seinem ersten Lehrjahr<br />

im VDP-Weingut Karl Haindle in Stetten<br />

kennen und achten. Er weiß ganz genau: Holzfass<br />

ist nicht gleich Holzfass. Er kennt seine gebinde,<br />

und zwei, ein Zwölfhundert- und ein Fünfzehnhundert-Liter-Stückfass,<br />

schätzt er ganz besonders.<br />

Sie erreichen in jedem Jahr einen sehr guten<br />

Endvergärungsgrad, und auch geschmacklich sind<br />

die Weine immer reintönig. Wenn der Most in<br />

ihnen angesprungen ist und ordentlich gärt, impft<br />

er gerne andere Moste, auch in Edelstahlfässern,<br />

mit ihrer Hefe. Längst ist Profis klar, was sich<br />

immer noch hartnäckig in einigen Köpfen als verquere<br />

Vorstellung hält: Es sind nicht die Hefen aus<br />

dem Weinberg, die der Spontangärung zum Erfolg<br />

verhelfen. Es sind Keller- und Fässerhefen, die die<br />

wichtigste Rolle spielen.<br />

Im Schlosskeller liegen ausschließlich die<br />

Holzfässer. Die Edelstahlgebinde haben ihren<br />

Platz im Mummschen Weingut gefunden. Etwa<br />

achtzig Gebinde unterschiedlicher Größe stehen<br />

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