FINE Das Weinmagazin - 03/2010
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG
E u r o p e a n F i n e w i n e m a g a z i n e D e u t s c h l a n d · Ö s t e r r e i c h · S c h w e i z · S k a n d i n a v i e n · G r o s s b r i t a n n i e n · U S A · A u s t r a l i e n 3 / 2010 Deutschland € 15 Österreich € 16,90 I ta l i e n € 18,50 Schweiz chf 30,00 D a s W e i n m a g a z i n Frauen im Wein: Elisabetta Forad ori Jürgen Dollase in der Auberge de l’Ill Wein und adel Ampeleia, Candialle, Nittardi Gajas Einzellagenweine Moët & Chand on D o m a i n e d e C h e va l i e r S c h l o s s j o h a n n i s b e r g
- Seite 2 und 3: GEBEN SIE IHREM SINN FÜR ÄSTHETIK
- Seite 4 und 5: d r i n k r e s p o n s i b l y w w
- Seite 6 und 7: d r i n k r e s p o n s i b l y w w
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- Seite 10 und 11: E U R O P E A N F I N E W I N E M A
- Seite 12 und 13: 4auf)Schloss)Johannisber Ein junges
- Seite 14 und 15: Beeindruckender noch als der Blick
- Seite 16 und 17: Tradition und Jugend auf Schloss Jo
- Seite 18 und 19: Johannisberg, ein knappes Viertel d
- Seite 20 und 21: Tradition und Verpflichtung auf Sch
- Seite 22 und 23: 48 F I N E 3 / 2010
- Seite 24 und 25: Große Winzer und große Autobauer
- Seite 26 und 27: verkaufen, sie öffnen ihre Flasche
- Seite 28 und 29: Fine-Verkostung Die Weine der drei
- Seite 31 und 32: Das Buch zum Jubiläum - ab sofort
- Seite 33 und 34: Sinnlichkeit er. Mit Proportionen z
- Seite 35 und 36: In seinem Weinberg erfreut sich Han
- Seite 37 und 38: Der Vater dieses Glases ist ein Wei
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D e u t s c h l a n d · Ö s t e r r e i c h · S c h w e i z · S k a n d i n a v i e n · G r o s s b r i t a n n i e n · U S A · A u s t r a l i e n<br />
3 / <strong>2010</strong> Deutschland € 15<br />
Österreich € 16,90<br />
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Schweiz chf 30,00<br />
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Frauen im Wein: Elisabetta Forad ori<br />
Jürgen Dollase in der Auberge de l’Ill<br />
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Ampeleia, Candialle, Nittardi<br />
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3/<strong>2010</strong><br />
D a s W e i n m a g a z i n<br />
Seite 40 Hundert Jahre VDP<br />
Seite 58 Moët & Chandon<br />
Seite 90 Gläser von Zalto<br />
Seite 104 Ampeleia, Candialle, Nittardi<br />
Seite 120 Staatskellerei Zürich<br />
Seite 134 Wein und Adel<br />
10<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />
I n h a l t<br />
Seite 48 Gajas Einzellagenweine<br />
Seite 30 Domaine de Chevalier<br />
Seite 18<br />
Schloss Johannisberg<br />
13 Fine Editorial Thomas Schröder<br />
14 Fine Degustation Die Fine-Kriterien<br />
18 Fine Rheingau Schloss Johannisberg<br />
30 Fine Bordeaux Domaine de Chevalier<br />
40 Fine Geschichte Hundert Jahre VDP<br />
48 Fine Tasting Gajas Einzellagenweine<br />
58 Fine Champagne Moët & Chandon Moët Impérial<br />
Seite 68 Die Pigott Kolumne<br />
68 Fine Die Pigott Kolumne Angelo Gaja: Vorbild für deutsche Winzer<br />
72 Fine Lifestyle Ein Luxus-Trip ins Bordelais<br />
80 Fine Die Dollase Kolumne Wein & Speisen: Auberge de l‘Ill<br />
90 Fine Lifestyle Sinn und Sinnlichkeit: Gläser von Zalto<br />
96 Fine Die Zielke Kolumne Reiner Wein: Den Wingert von der Wurzel her aufrollen<br />
98 Fine Frauen im Wein Elisabetta Foradori<br />
104 Fine Toskana Ampeleia, Candialle, Nittardi<br />
114 Fine <strong>Das</strong> Große Dutzend K.F. Groebe Westhofener Kirchspiel<br />
118 Fine <strong>Das</strong> Bier danach Ein Pils, das zischt, muss sich nicht rechtfertigen<br />
120 Fine Schweiz Staatskellerei Zürich<br />
128 Fine Interview Panaiotis und Descotes über Wein im Klimawandel<br />
Seite 118 <strong>Das</strong> Bier danach<br />
134 Fine Persönlichkeiten Wein und Adel<br />
146 Fine Abgang Ralf Frenzel<br />
F I N E<br />
I n h a l t<br />
11
4auf)Schloss)Johannisber<br />
Ein junges Team um Christian<br />
Witte gibt einem grossen<br />
Riesling seinen Glanz zurück<br />
Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Johannes Grau<br />
Ein Schloss Oder doch ein Kloster Unten<br />
vom Rhein aus bei Geisenheim im lieblichen<br />
Rheingau ist die Frage kaum zu entscheiden.<br />
Auf einem markanten Hügel hundert Meter<br />
über dem Fluss, der über und über mit Weinreben<br />
bepflanzt zu sein scheint, erhebt sich auf<br />
18<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
g)wieder)eine)neue)Zeit$<br />
einem massiven Steinsockel ein differenziertes Gebäudeensemble.<br />
Rechts eine schlichte, im Grundbestand romanische Kirche<br />
aus trutzigem Bruchmauerwerk. Übergangslos folgt eine doppelflügelige<br />
Schlossanlage mit klassizistischer Anmutung. Ihr<br />
repräsentativer Mittelrisalit blickt erhaben ins Rheintal. Auf<br />
der linken Seite sind weitere Gebäudeteile in gleichem Stil zu<br />
erkennen. Die verputzten Fassaden sind in gebrochenem Gelb<br />
und Weiß gehalten. Keine Frage: Ort und Ausdruck zeugen von<br />
einem gerüttelten Maß an Selbstbewusstsein der Erbauer. Noch<br />
steht die Erkundung des Johannisbergs bevor, aber am Ende des<br />
Tages wird die Erkenntnis reifen, dass dieses Selbstbewusstsein<br />
mit Recht nach außen getragen wird.<br />
F I N E<br />
R h e i n g a u<br />
19
Beeindruckender noch als der Blick vom Strom auf die Schauseite<br />
ist der Weg über die Straße den Berg östlich hinauf.<br />
Eine lange Allee führt auf das zentrale Gebäude. Zwei dreistöckige<br />
mansard ge deckte Kavaliershäuser begrenzen den Vorplatz. Während<br />
das westliche Angestellten der Domäne vorbehalten ist, ist der<br />
Ostpavillon seit mehr als drei Jahrzehnten an das kunstsinnige Ehepaar<br />
Mieke und Jan Theunen vermietet. Ein kunstvoll geschmiedetes<br />
Tor gibt den Blick auf den großzügigen Vorhof frei. An dessen<br />
gegenüberliegender Seite flankieren die Seitenflügel den Weg zum<br />
Haupteingang. Aus dieser Perspektive wirkt der Mittelbau wie ein<br />
eigenständiges Haus. Fünf Sprossenfenster breit, grüne Lamellenläden<br />
vor weißen Fensterlaibungen, ein ziseliertes Balkongeländer.<br />
Zwei goldene Inschriften in Versalbuchstaben zieren den Fries:<br />
C.W.L.P.A. METTERNICH. REST. ET. EXST. MDCCCXXVI<br />
und darunter, mit in nicht einmal der Hälfte der oberen Buchstabenhöhe:<br />
P. A. METTERNICH REST. MCMLIV.<br />
Gründungs-Geschichten und -Mythen sind<br />
konstitutive Faktoren für jedes Produkt –<br />
nicht nur in der Welt des Weins. Mit Schloss<br />
Johannis berg scheint es jemand im Laufe der<br />
langen Geschichte fast zu gut gemeint zu haben.<br />
Markante Wegmarken und innovative Entscheidungen<br />
reihen sich scheinbar endlos aneinander.<br />
Doch zunächst geht es unter die Erde.<br />
Die Hand zögert, als sie die Klinke des schweren<br />
Tores greift. Draußen entfaltet einer der<br />
ersten hochsommerlichen Tage des Jahres seine<br />
ganze Pracht. Die Luft ist vom bittersüßen Duft<br />
blühender Bäume und üppiger Rosenbüsche<br />
erfüllt. Ein feuchtkalter, düsterer Weinkeller übt<br />
da zunächst keine große Anziehungskraft aus. Die<br />
ersten Schritte führen tastend die breite Treppe<br />
hinab. Die Augen gewöhnen sich ungern an die<br />
fahle Beleuchtung. Lange reihen grau schwarzer<br />
Weinfässer liegen unter dem weit gespannten<br />
gewölbe von 1721, das sich über unfass liche zweihundert<br />
sechzig Meter Länge erstreckt. Unter den<br />
Schritten knirscht feiner Kiesel. In der Ferne sind<br />
undeutlich Stimmen zu vernehmen. Vereinzeltes<br />
helles Lachen mischt sich mit tieferen Lauten. Der<br />
Weg führt über Eck nach links.<br />
Hier liegen betagte Fässer in drei langen<br />
reihen, je eine an den Wänden und eine in der<br />
Mitte. Dort hinten rechts, fast am Ende, machen<br />
sich junge Leute an gebinden neueren Datums<br />
zu schaffen. <strong>Das</strong> Eichenholz leuchtet noch gelb,<br />
seine Ober fläche ist geglättet wie die eines Möbels.<br />
<strong>Das</strong> leise Sirren einer Pumpe verklingt. Mit geübten<br />
Hand griffen wird das Türchen im Fass boden<br />
geöffnet. Ein feiner und zugleich kräftiger Duft<br />
nach Hefe und Wein breitet sich aus. Christian<br />
Wittes Zeige finger streicht durch den Hefesatz.<br />
Die Geschmacksprobe bestätigt den sauberen<br />
20<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
Tradition und Handwerk auf Schloss Johannisberg:<br />
Die großen alten Fässer sind noch in Gebrauch. In den<br />
Kellergewölben akkurat gereiht reift in ihnen der Wein.<br />
Duft. Der in diesem Fass ausgebaute Wein, da<br />
ist sich der junge Geschäftsführer der Schloss<br />
Johannis berger Weingüterverwaltung sicher, wird<br />
überzeugen. Hans Kessler entwickelte zusammen<br />
mit Keller meister Gerd Ritter die Idee, aus<br />
dem Holz ein hundert dreißig- bis zweihundertjähriger<br />
Eichen aus dem eigenen Forst Fässer<br />
küfern zu lassen. Holzküfer hösch aus Hackenheim,<br />
einer der Besten von wenigen Verbliebenen<br />
seines Fachs, lässt es sich nicht nehmen, die<br />
geeigneten Bäume selbst auszuwählen. Sechs bis<br />
acht neue Stückfässer wandern so Jahr für Jahr in<br />
den Weinkeller. Ziel ist es, vor allem im Hinblick<br />
auf das erste Gewächs, die Tradition der Holzfässer<br />
zu stärken. Deshalb werden die Moste in<br />
den Holz fässern nicht nur ge lagert, sondern auch<br />
schon vergoren. Der Erfolg gibt den dreien mehr<br />
als Recht. Doch die Auswahl »Kollektion des<br />
Jahres 2009« des Gault-Millau ist für Christian<br />
Witte nur ein weiteres Mosaiksteinchen auf dem<br />
Weg der Domäne Schloss Johannis berg an den ihr<br />
gebührenden Platz.<br />
Jungen engagierten Menschen Verantwortung<br />
zu übertragen, beginnt auf Johannisberg Methode<br />
zu werden. Schon der legendäre Domänen rat<br />
Wolfgang Schleicher, Vorgänger des jetzt gerade<br />
vierzigjährigen Witte, kam 1979 dreißigjährig in<br />
den Betrieb und lenkte die Domäne seit 1985.<br />
Keller meister Gerd ritter ist zwei Jahre älter als<br />
Witte und seit 1999 dabei; Außenbetriebsleiter<br />
Bernd Neckerauer, ein Studien- und Jahrgangskollege<br />
von Witte, ein Jahr länger. Die junge<br />
Mannschaft wird vervollständigt durch den Technischen<br />
Betriebsleiter, den sechsundfünfzigjährigen<br />
Hans Kessler, der 1993 in die Domäne kam<br />
und von 1995 bis zum Eintritt von Gerd ritter<br />
als Kellermeister verantwortlich war. Mit ihnen<br />
beginnt die neue Zeit auf Schloss Johannisberg.<br />
Christian Witte drängt es zu seiner Bibliotheca<br />
subterranea. Sie ist im östlichsten Teil des Kellers<br />
untergebracht. Bis zu vierundzwanzigtausend<br />
Flaschen finden im ehe maligen Kloster keller<br />
Platz, die älteste stammt aus dem Jahr 1748. Tatsächlich<br />
nimmt die Geschichte des Johannisbergs –<br />
wie sollte es im mittleren Europa anders sein – mit<br />
einem Kloster ihren Anfang. Ruthard von Mainz,<br />
dort Erzbischof von 1089 bis 1109, hatte verwandtschaftliche<br />
Beziehungen in Winkel und<br />
Geisenheim. Er gründete zwischen 1105 und 1108<br />
das Kloster St. Johann auf dem Bischofsberg. Es<br />
war das erste Kloster im Rheingau. Elf weitere<br />
folgten ihm, eine ungewöhnliche Dichte, die die<br />
wirtschaftliche Potenz der region ebenso widerspiegelt<br />
wie ihre strategische Bedeutung.<br />
Es war ganz betont eine traditionelle benediktinische<br />
Klostergründung, die an diesem prominenten<br />
Ort nahe einer bedeutenden Handelsroute<br />
entstand. Kaum vergleichbar mit einer<br />
anderen für die Wein geschichte des Rheingaus<br />
bedeutsamen Klostergründung nur drei Jahrzehnte<br />
später. Da wurde Kloster Eberbach gegründet,<br />
nach der neuen und »modernen« Mönchsregel<br />
der Cistercienser in eremus, in der Einöde,<br />
F I N E<br />
R h e i n g a u<br />
21
Tradition und Jugend auf Schloss<br />
Johannis berg: Gelassen thronen Schloss<br />
und Weingut über dem Rheingau.<br />
<strong>Das</strong> Vermächtnis des Spätlesereiters ist<br />
heute dem jungen Domänenverwalter<br />
Christian Witte anvertraut.<br />
weit ab der zentralen Wege. Dort das abgeschiedene<br />
Tal, hier selbstbewusst auf einem Berg: das<br />
ist auch politisch ein deutlicher Hinweis auf das<br />
Selbst verständnis eines Erz bischofs von Mainz<br />
in dieser Zeit.<br />
Auf dem Rückweg aus der Bibliotheca subterranea<br />
in den Teil des Kellers, der unter dem<br />
heutigen Schlossgebäude liegt, kommt es zu<br />
einer bemerkenswerten Begegnung. Es entsteht<br />
das unwirkliche Gefühl einer Reise in die vorindustrielle<br />
Zeit: Junge Leute reinigen gerade ein<br />
großes zwölfhundert Liter fassendes Stückfass.<br />
Es hat kein Türchen im Boden und kann deshalb<br />
nur vom Spundloch aus gereinigt werden. Immer<br />
wieder wird Wasser durch das Spundloch in das<br />
mächtige Fass gefüllt und auf einer Fass schwenke<br />
mit vereinten Kräften hin und her bewegt. <strong>Das</strong><br />
ist gerade zur Genüge geschehen, das abfließende<br />
Wasser ist sauber. Nun wird das Fass auf gerichtet<br />
und eine überdimensionale Sackkarre herbeigeschafft,<br />
um es zu transportieren. Während zwei<br />
Helfer das Fass halb ziehend, halb sichernd leicht<br />
neigen, bringt ein dritter die Karre in Position. Ein<br />
vierter streckt sich und springt hoch, um den Rand<br />
des Fasses und den Griff der Karre zu greifen.<br />
<strong>Das</strong> gelingt ihm erst nach zwei oder drei kraftvollen<br />
Versuchen. Karre und Fass beginnen sich<br />
immer schneller zu senken. Behände wird die nun<br />
schwer beladene Karre unter Kontrolle gebracht.<br />
Eine eindrucksvolle Szene mit einer körperlichen<br />
Direktheit und auch Gefahr, wie sie heute nicht<br />
mehr häufig zu erleben ist. Nach der Anstrengung<br />
lachen und scherzen die Arbeiter gelöst, und auf<br />
Nachfrage bestätigen sie, dass auf diese Weise mit<br />
vereinten Kräften sechs Stückfässer, manchmal<br />
auch acht am Tag zu schaffen sind.<br />
Kellermeister Gerd Ritter entstammt einer<br />
Winzerfamilie im Remstal. Die Arbeit mit<br />
Holzfässern lernte er schon in seinem ersten Lehrjahr<br />
im VDP-Weingut Karl Haindle in Stetten<br />
kennen und achten. Er weiß ganz genau: Holzfass<br />
ist nicht gleich Holzfass. Er kennt seine gebinde,<br />
und zwei, ein Zwölfhundert- und ein Fünfzehnhundert-Liter-Stückfass,<br />
schätzt er ganz besonders.<br />
Sie erreichen in jedem Jahr einen sehr guten<br />
Endvergärungsgrad, und auch geschmacklich sind<br />
die Weine immer reintönig. Wenn der Most in<br />
ihnen angesprungen ist und ordentlich gärt, impft<br />
er gerne andere Moste, auch in Edelstahlfässern,<br />
mit ihrer Hefe. Längst ist Profis klar, was sich<br />
immer noch hartnäckig in einigen Köpfen als verquere<br />
Vorstellung hält: Es sind nicht die Hefen aus<br />
dem Weinberg, die der Spontangärung zum Erfolg<br />
verhelfen. Es sind Keller- und Fässerhefen, die die<br />
wichtigste Rolle spielen.<br />
Im Schlosskeller liegen ausschließlich die<br />
Holzfässer. Die Edelstahlgebinde haben ihren<br />
Platz im Mummschen Weingut gefunden. Etwa<br />
achtzig Gebinde unterschiedlicher Größe stehen<br />
hier für die Vergärung zur Verfügung. Sie sind<br />
von außen kühlbar und können zentral über die<br />
22<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
Temperatur oder das entstehende Kohlen dioxid<br />
gesteuert werden. Doch vor dem Ver gären ist die<br />
diffizile Arbeit der Lese zu bewerkstelligen. Auf<br />
Schloss Johannisberg wird komplett von Hand<br />
gelesen. Zwanzig eigene Helfer werden durch<br />
einhundert langjährig ausgebildete Kräfte verstärkt.<br />
Oft wird in zwei Eimer gelesen: das<br />
gesunde Lesegut in den einen, nicht perfektes<br />
in den anderen. An Lesetischen wird dann sorgfältig<br />
zwischen edelfaul, faul und gesund selektioniert.<br />
Je nach Zustand des Leseguts entscheidet<br />
Ritter, ob eine Ganztraubenpressung sinnvoll ist<br />
oder eine Maische standzeit durchgeführt werden<br />
soll; die drei Membranpressen im neuen Kelterhaus<br />
erlauben viele Varianten. Die Moste werden<br />
durch Sedimentation glanzhell vorgeklärt. Vierzig<br />
bis fünfundvierzig Prozent der Weine werden<br />
spontan vergoren, alle Rieslinge in den Holzfässern<br />
und auch ein Teil der Edelstahlgebinde.<br />
Sie werden in der beschriebenen Weise aus den<br />
Holzfässern beimpft. Doch auch Reinzuchthefen<br />
spielen weiterhin ihre Rolle. <strong>Das</strong> erste Gewächs<br />
ist ein gutes Beispiel. Dem Jahrgang entsprechend<br />
stammt es zu ungefähr achtzig Prozent aus dem<br />
Holz. Doch ist die Domäne im Holzfasskeller mit<br />
einem ziemlich robusten Bakterium gesegnet. Es<br />
leitet auch unter eigentlich ungünstigen Bedingungen<br />
(pH-Wert unter 3,0 bei Temperaturen um<br />
zehn Grad) zuverlässig den biologischen Säureabbau<br />
ein, in dem Äpfelsäure in die mildere Weinsäure<br />
überführt wird.<br />
D<br />
er Stil der Domäne sind Weine von kräftiger<br />
Statur, denen dennoch eine eigentümliche<br />
Eleganz zu eigen ist. Auch nehmen die Weine<br />
in der Lagerung keineswegs einen breiten und<br />
langweiligen Charakter an. Um das zu gewährleisten<br />
müssen Cuvée-Partner gefunden werden,<br />
die die Weine aus dem Holzfass sinnvoll ergänzen.<br />
<strong>Das</strong> werden häufig Weine aus dem Edelstahl<br />
sein, die mit Reinzuchthefen vergoren wurden.<br />
Es gibt Überlegungen, die Hefen aus den beiden<br />
Top gebinden gezielt vermehren zu lassen. Doch<br />
Gerd Ritter ist sich nicht sicher. »<strong>Das</strong> ist dann<br />
doch wieder eine Art von Reinzuchthefe!« Er<br />
schätzt die Vielfalt der Hefen bei der Spontanvergärung<br />
über alles.<br />
Die Sonne wärmt angenehm nach der feuchten<br />
Kühle des Kellers. Sein Eingang liegt unter der<br />
breiten Doppeltreppe in der Mitte des westlichen<br />
Flügels. Vis-à-vis laden baumbeschattete Sitzgelegenheiten<br />
zu einer zünftigen Winzer vesper<br />
oder auch feineren Gerichten ein. Bewirtschaftet<br />
werden Gutsrestaurant und Weingarten zur<br />
gegenseitigen Zufriedenheit von Käfer’s. Oberhalb<br />
der Reben die Weine von Schloss Johannisberg<br />
zu trinken, ist ein leicht nachzuvollziehender<br />
Genuss. Hier und im angrenzenden<br />
Wein-Cabinet, das schon 1980 im ehemaligen<br />
Kelterhaus als Vinothek entstand, werden substanzielle<br />
Mengen Wein verkauft. Nicht weniger<br />
als einhundertdreißigtausend Besucher aus aller<br />
Herren Länder strömen Jahr für Jahr auf den<br />
F I N E<br />
R h e i n g a u<br />
23
Johannisberg, ein knappes Viertel der hier produzierten<br />
zweihundert- bis zweihundertvierzigtausend<br />
Flaschen werden direkt am Standort<br />
über Vinothek und Gastronomie verkauft. Neben<br />
dem Wein hat in jüngerer Zeit auch das Rheingau<br />
Musik Festival zur Popularität von Schloss<br />
Johannis berg beigetragen.<br />
Ein zierliches Reiterstandbild schmückt den<br />
kleinen Platz, der links von der Vinothek, an der<br />
Kopfseite durch das neue Kelterhaus von 1980 und<br />
rechts von einem kleinen Saal begrenzt wird. Kein<br />
Fürst, kein Herrscher wird durch die skulptur<br />
befeiert. Es dient nichts Geringerem als der Erinnerung<br />
an die Geburt edelsüßer Ries linge. Die<br />
Geschichte des Spätlesereiters ist schnell erzählt:<br />
Im Jahre des Herrn 1775 wartete man im Kloster<br />
Johannisberg auf das Startzeichen zum Beginn<br />
der Weinlese. Dies wurde durch die Obrigkeit<br />
erlassen, für das Kloster war der Fürstbischof von<br />
Fulda zuständig. Doch der berittene Bote, der mit<br />
einer Traubenprobe geschickt war, ließ auf sich<br />
warten – über mögliche Gründe wird bis heute<br />
mehr spekuliert als gewusst. Doch als er schließlich<br />
mit dem Bescheid eintraf, schien es um die<br />
Ernte schlecht bestellt. Flächendeckend hatte sich<br />
Schimmel über die Trauben gelegt, die Beerenhäute<br />
angegriffen und die Beeren selbst eingetrocknet.<br />
Fast schien es, als lohne eine ernte sich<br />
überhaupt nicht mehr. Doch der gewonnene Most<br />
war süß und der fertige Wein ganz ausgezeichnet<br />
mit einem ungeahnten Alterungspotential. Dieses<br />
Ereignis und das in der Folge systematische Vorgehen,<br />
solche Weine zu gewinnen, als epochal zu<br />
bezeichnen, ist nicht übertrieben.<br />
Schon zuvor hatte sich das Kloster dauerhaft<br />
in die Weingeschichtsbücher eingeschrieben.<br />
Der Initiator saß auch damals in Fulda. 1716<br />
erwarb Fürstabt Konstantin von Buttlar das Kloster.<br />
Freude an der Rhein gauer Landschaft und der<br />
Ruf, den sich das Kloster in der Wein erzeugung<br />
gemacht hatte, mögen seine Beweggründe gewesen<br />
sein. Zunächst ließ er die Gebäude bis auf<br />
die Kirche niederlegen. Mit viel Geld und den<br />
besten zeitgenössischen Barockbaumeistern wie<br />
Johann Dientzenhofer und Künstlern wie Carlo<br />
Maria Pozzi wurde eine sehenswerte Schloss anlage<br />
erbaut. In der Folge erweitere er die Rebfläche auf<br />
fast zwanzig Hektar. Angepflanzt wurde nicht der<br />
übliche »gemischte Satz«. Konstantin bestimmte<br />
Riesling als einzige in seinen Weinbergen anzubauende<br />
Rebe. <strong>Das</strong> verhalf mehr als ein halbes<br />
Jahrhundert vor dem bekannten Trierer Erlass<br />
zur Verbesserung der Moselweine dem Riesling<br />
zum ersten Durchbruch. Anfang des 19. Jahrhunderts<br />
schließlich ist der Riesling die einzig<br />
er laubte sorte im ganzen Rheingau. In diese Zeit<br />
fallen die ersten Flaschenabfüllungen, wieder ein<br />
bemerkenswerter Akt erfolgreicher und ertragreicher<br />
Innovation.<br />
Die neunhundertjährige Geschichte vom<br />
Johannisberg blieb auch nach dem entscheidenden<br />
Engagement der Fuldaer Bischöfe spannend.<br />
War es Glück, war es Können Der Johannisberg<br />
konnte die Wechselfälle immer wieder zu seinem<br />
Nutzen wenden. Zur nächsten Heraus forderung<br />
entwickelte sich die Säkularisation. <strong>Das</strong> Kloster<br />
wurde zum Spielball politischer und militärischer<br />
Kräfte. <strong>Das</strong>s schließlich 1816, nach mancherlei<br />
Ränken, Clemens Wenzel Lothar Fürst von<br />
Metter nich-Winneburg für seine Verdienste während<br />
des Wiener Kongresses vom habsburgischen<br />
Kaiser Franz I. mit dem Johannisberg bedacht<br />
wurde, erwies sich auf lange Sicht als Glücksfall.<br />
Auch die Habsburger profitierten von dieser Gabe,<br />
hatte sich Franz I. doch einen Zehnten des Weinertrags<br />
»auf ewige Zeiten« festschreiben lassen.<br />
Konnte der Fürst mit den Weinqualitäten<br />
auch nahtlos an die Fuldaer Tradition anschließen,<br />
der barocke Charakter des Johannisberger Schlosses<br />
behagte ihm nicht. Schon 1826 ließ er es klassizistisch<br />
umbauen. Die Mittel hierzu erwirtschaftete<br />
er, der vordem finanziell nicht gerade auf Rosen<br />
gebettet war, aus dem Verkauf Johannis berger<br />
Weine. In dieser Zeit bildete sich zum ersten Mal<br />
eine Kennzeichnung gereifter Weine in Flaschen<br />
mit unterschiedlichen Siegellackfarben heraus.<br />
Metternich verordnete überdies, dass jedes<br />
etikett die handschriftliche Signatur des Verwalters<br />
tragen müsse. Beide Traditionen haben sich<br />
24<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
auf Schloss Johannisberg bis heute erhalten. Seit<br />
dem Jahrgang 1970 gilt, konform mit dem deutschen<br />
Weingesetz von 1971, folgendes Farben spiel:<br />
Gelb für die Qualitäts weine trocken und halbtrocken,<br />
Rot für den trockenen und halb trockenen<br />
Kabinett, Grün für die Spät lesen, Rosa für die<br />
Auslesen, Rosa-Gold für die Beerenauslesen, Gold<br />
für die Trockenbeeren auslesen und Blau für den<br />
Eiswein. Seitdem ist nur eine einzige Änderung zu<br />
vermelden: die Einführung des Ersten Gewächses<br />
2005 und seine Kennzeichnung mit Silberlack.<br />
Vom zurückhaltend und fein mit Bodenquerschnitt<br />
und historischen Zeugnissen ausgestatteten<br />
Spätlesereitersaal, der Weinproben und Feierlichkeiten<br />
gleichermaßen dient, geht es nun in das<br />
Domänenrentamt. Hier hat Christian Witte sein<br />
Büro. Er war nach dem Studium »Weinbau und<br />
Oenologie« an der FH Geisenheim in den handel<br />
gegangen. Wolfgang Schleicher selbst holte ihn<br />
auf das Schloss. Er lernte ihn auf Weinmessen in<br />
den Vereinigten Staaten als regen und kenntnisreichen<br />
Verkäufer kennen und gewann bald den<br />
Eindruck, einen möglichen Nachfolger vor sich zu<br />
haben. Mitte 2004 wechselte Witte ans Schloss<br />
und übernahm Schleichers Schreibtisch Anfang<br />
2005. Dem Quartett Ritter, Kessler, Neckerauer<br />
und Witte gelang es in nur wenigen Jahren, die<br />
günstigen Vorbedingungen zu nutzen und in die<br />
Spitze des Rheingaus zurückzukehren.<br />
Vom Domänenrentamt führt der Weg endlich<br />
in die Weinberge. Der Innenhof des<br />
schlosses liegt verwaist. Nichts regt sich, nur während<br />
des Rheingau Musik Festivals füllt sich das<br />
Schloss mit pulsierendem Leben. 1992 starb Fürst<br />
Paul August, seine Frau Tatiana hilarionowa 2006.<br />
Ihnen beiden oblag es, das Schloss nach seiner<br />
Zerstörung 1942 wieder aufzubauen. Paul August<br />
hat sich selbst dezent im Fries verewigt, während<br />
die Erinnerung an Fürstin Tatiana eng mit dem<br />
Rheingau Musik Festival verbunden ist. Der<br />
Grundstein für den reibungslosen Übergang der<br />
Eigentumsverhältnisse wurde früh gelegt. Schon<br />
1958 wurde das benachbarte Weingut G. H. von<br />
Mumm von einer Unternehmensgruppe erworben,<br />
zu der heute auch die Söhnlein Rheingold KG<br />
gehört. Die Beziehungen von Schloss Johannisberg<br />
zu Söhnlein lassen sich bis in das Jahr 1865<br />
zurückverfolgen. Söhnlein vermarktete Teile der<br />
Ernte von Schloss Johannisberg, bevor gemeinsame<br />
Versuche zur Sekt herstellung begannen. Sie<br />
waren höchst erfolgreich: Schon der erste Sekt<br />
gewann auf der Weltausstellung in Paris 1867 zwei<br />
Goldmedaillen. Über Zwischenstationen mündet<br />
die Zusammenarbeit 1971 in die Premium-Sektmarke<br />
»Fürst von Metternich«. Söhnlein ließ sich<br />
von Metternich zunächst die Namensrechte übertragen.<br />
Um die Versorgung mit Johannisberger<br />
Sektgrundweinen und die Wurzeln der Marke<br />
sicherzustellen, erwarb er später eine Mehrheit<br />
an Schloss Johannisberg. Fast ein Jahrzehnt wurde<br />
ausschließlich Sektgrundwein hergestellt, bis der<br />
Erfolg der Marke in den 1980-er Jahren so groß<br />
wurde, dass die Ernten von Schloss Johannisberg<br />
alleine nicht mehr ausreichten. Ein anderer Weg<br />
musste gefunden werden. Seit diesem Zeitpunkt<br />
konnte man sich wieder den Flaschen weinen<br />
zuwenden. Die Grund weine für den Fürst Metternich<br />
brut Jahrgangssekt, etwa fünfzehn tausend<br />
Flaschen, stammen nach wie vor vom Johannisberg.<br />
Sie werden, anders als die Moste für die Stillweine,<br />
bei etwa neunzig Oechsle graden geerntet.<br />
Ihr Säuregehalt sollte neun bis zehn Promille nicht<br />
unterschreiten. Die Grundweine für die übrige<br />
Sektproduktion werden vor dem Versekten von<br />
den Oenologen von Schloss Johannis berg in der<br />
Cuvée-Kellerei auf dem Johannisberg ausgebaut,<br />
frei nach dem Motto: Ein Sekt ist immer so gut wie<br />
der Wein, aus dem er gemacht wird. 1992 schließlich<br />
ging das Schloss Johannisberg vollständig in<br />
den Besitz der Unternehmensgruppe über.<br />
Der große Schlosspark links von der Zufahrt<br />
ist seit langem geschlossen. 1994 wütete ein Orkan<br />
im Metternichschen Park. Ihm fielen sieben uralte<br />
Zedern zum Opfer, ein schmerzlicher Verlust im<br />
wertvollen historischen Baumbestand. Er wurde<br />
aufgeforstet und bald schon, ist sich Witte sicher,<br />
wird er wieder geöffnet werden können.<br />
Wir stehen nun inmitten der Reben an der<br />
östlichen Bergseite; über uns erhebt sich die trutzige<br />
Kirche. Kein Geringerer als Rudolf Schwarz,<br />
der bedeutendste deutsche Kirchenbaumeister<br />
des 20. Jahrhunderts, baute sie auf den Mauern<br />
des romanischen Vorgängerbaus wieder auf.<br />
Vielleicht ist der weite, unverstellte Blick<br />
nach Osten in den Rheingau und hinunter an<br />
den Rhein der schönste, den der Johannisberg<br />
zu bieten hat. Der Rhein erscheint durch die im<br />
Strom liegenden Inseln als eine langgestreckte<br />
Seenplatte mit funkelnden Wasserflächen. Ganz<br />
hinten ist die Eltviller Aue noch gut zu erkennen,<br />
davor die Mariannenaue in ihrer differenzierten<br />
Form, die Fulder Aue und schließlich, schon<br />
Tradition und Ehrgeiz auf Schloss Johannisberg:<br />
<strong>Das</strong> Team um Christian Witte mit<br />
Hans Kessler, Kellermeister Gerd Ritter und<br />
Bernd Neckerauer hat schon nach kurzer<br />
Zeit den historischen Glanz seiner Rieslinge<br />
wieder erstrahlen lassen.<br />
F I N E<br />
R h e i n g a u<br />
25
Tradition und Verpflichtung<br />
auf Schloss Johannisberg:<br />
In der Bibliotheca subterranea<br />
ist die Qualität des Weins über<br />
Jahr hunderte archiviert.<br />
westlich von Geisenheim, die Ilmen Aue. Der<br />
Turm von Schloss Vollrads reckt seine Spitze durch<br />
das Rheingauer Rebenmeer. Die Kontakte zwischen<br />
den Metternichs und Greiffenclaus waren<br />
ab den 1930-er Jahren recht gut. Besuchergruppen<br />
wurden untereinander getauscht, und wenn Graf<br />
Matuschka-Greiffenclau sie an der Gemarkungsgrenze<br />
lächelnd an Wolfgang Schleicher übergab,<br />
wechselten die beiden so manchen flotten Spruch.<br />
Auf halber Höhe unterhalb des Schlosses verläuft<br />
in einem weiten Bogen ein bequemer Weg.<br />
Vor allem die Steilheit des Kernstücks wird hier<br />
direkt erfahrbar. Der Johannisberg ist geologisch<br />
recht einheitlich. Auf einem Kegel aus Taunusquarzit<br />
liegt eine achtzig Zentimeter bis zweieinhalb<br />
Meter dicke Schicht aus rötlichem Lößlehm.<br />
Er ist einige Male durchzogen von schmalen Kalkstreifen.<br />
Vergleichbare Formationen finden sich in<br />
zwei weiteren Lagen in Sichtweite: beim Geisenheimer<br />
Rothenberg und am Binger Rochusberg.<br />
Von den fünfunddreißig Hektar Rebfläche des<br />
Johannisbergs stehen zur Zeit dreiunddreißigeinhalb<br />
Hektar im Ertrag.<br />
Der Außenbetrieb ist das Reich von Bernd<br />
Necker auer. Nach dem Abitur durchlief er die<br />
klassische Ausbildung zum Winzer. Dem ersten<br />
Lehrjahr im elterlichen Betrieb im pfälzischen<br />
Weisenheim am Sand folgte ein zweites im Weingut<br />
Dr. Deinhard in Deidesheim. Anfang 1998<br />
schloss er sein Studium an der FH Geisenheim ab<br />
und wurde auf Empfehlung und ohne Umschweife<br />
Außenbetriebsleiter der Schloss Johannisberger<br />
Weingüterverwaltung. Er ist durch und durch<br />
Weingärtner. Die achtzig Flächen, in die der<br />
Johannisberg intern eingeteilt ist, kennt er wie<br />
seine Westentasche. Sie unterscheiden sich nach<br />
der Himmelsrichtung, der Hangneigung und der<br />
Sonneneinstrahlung. Die Wasserversorgung des<br />
Bergs ist durchweg ausgezeichnet. Eine Versuchsanlage<br />
zur Bewässerung ist in elf Jahren nur ein<br />
einziges Mal in Betrieb gewesen – und war auch<br />
da eigentlich überflüssig. Die besten Stücke sind<br />
die steilsten und optimal zur Sonne ausgerichteten<br />
direkt unter dem Schloss. Von hier kommen<br />
die Weine vom Grünlack an aufwärts. Westlich<br />
davon, etwa unterhalb der Weinschenke, werden<br />
die Kabinette geerntet. Am Fuß des Bergs, mit<br />
optimaler Wasserversorgung, können ebenfalls<br />
Grünlack-Rieslinge entstehen. Unten am Elsterbach<br />
und in den Flächen im Rücken des schlosses<br />
entsteht der Gelblack.<br />
Da der Reblausdruck im Rheingau immer<br />
noch hoch ist, wird bei Neuanpflanzungen auf<br />
der Domäne ausschließlich die in Geisenheim<br />
von Dr. Becker gezüchtete Unterlage Börner,<br />
eine Kreuzung zwischen der Vitis riparia mit der<br />
Vitis cinerea, beide aus Nordamerika, verwendet.<br />
Auch die Veredelungen sind ausnahmslos Geisenheimer<br />
Züchtungen, wobei in jeder Pflanz periode<br />
ein anderer Klon Verwendung findet, um eine<br />
gewisse Vielfalt zu erhalten. Jede zweite zeile der<br />
Drahtrahmenerziehung ist dauerbegrünt. Eine<br />
Untersuchung hat ergeben, dass sie sich aus über<br />
zwanzig Pflanzensorten zusammensetzt. Der<br />
übliche Pflanzenschutz zielt darauf ab, die Reben<br />
bis in den Reifebeginn krankheitsfrei zu halten<br />
und zu einem langjährigen Durchschnittsertrag<br />
von siebenundsechzig Hektolitern pro Hektar<br />
zu führen. Botrytis wird erst ab Ende September/Anfang<br />
Oktober für die Bereiche, in denen<br />
edelsüße Weine gewonnen werden sollen, toleriert.<br />
Zu den qualitätssteigernden Maßnahmen<br />
zählen Traubenteilungen und Entblätterungen.<br />
Doch das, so Neckerauer, geschehe immer individuell,<br />
nach Gefühl. Seine Aufgabe sei es, die Witterung<br />
abzuschätzen und genau den Wachstumsund<br />
Reifungsfortschritt zu beobachten. <strong>Das</strong> sei<br />
die unabdingbare Grundlage für die sorgfältige<br />
Planung der benötigten Qualitäten, wobei die<br />
Unwägbarkeiten des Wetters mit einkalkuliert<br />
werden müssten.<br />
Eine kleine Besonderheit findet sich inmitten<br />
des Johannisbergs: Eine quadratische Stele<br />
aus rotem Sandstein wird bekrönt von einer goldenen<br />
Fünfzig. An dieser Stelle verläuft der fünfzigste<br />
Breitengrad. Lange Jahre bezeichnete er die<br />
nördlichste Grenze für den Weinbau. Doch das<br />
könnte bald Geschichte sein. Schloss Johannisberg<br />
ficht das nicht an. Seine Geschichte hat ihm<br />
eine zentrale Rolle in der Weinkultur schon längst<br />
gesichert, und seine Gegenwart lässt nichts anderes<br />
erwarten als: dass sie noch lange nicht an ihr<br />
Ende gekommen ist. ><br />
26<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
Hinter den Kulissen …<br />
Grosser Wein im Tagesweinkeller der Ente<br />
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48<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
Weine<br />
kann man nicht<br />
polieren<br />
Ungewöhnliches Fine-Tasting: Zweierlei Leidenschaften – Die<br />
grossen Weine aus Angelo Gajas Einzellagen und spektakuläre<br />
Unikate der Automobil-Geschichte<br />
Text: Uwe Kauss Fotos: Alex Habermehl<br />
<strong>Das</strong> elegante Holz wird fein kontrastiert von schwarzen Tönen.<br />
Klassische Struktur, toller Körper. Die dezente Eleganz strahlt Zeitlosigkeit<br />
und Klarheit aus, mit unendlicher Länge und Kraft. Viel<br />
Kraft. Wo Holz hingehört, ist eine wunderbar ziselierte Struktur zu<br />
betrachten. Der Lack über dem Holz fühlt sich warm und geschmeidig<br />
an. Wo Metall hingehört, blitzt Chrom. Wo Technik gebraucht<br />
wird, ist sie klar und übersichtlich angeordnet. Wer bequem in den<br />
unendlich tiefen Polstern versinkt, ahnt die Stärke des Motors. Eine<br />
große Limousine eben. Dieser seltene Rolls Royce Chinese Eyes<br />
aus dem Jahr 1963 ist wie ein großer Rotwein: Potenz und Eleganz,<br />
Komplexität und Klarheit gehen eine Einheit ein. Chrom-Juwelen<br />
und rotes Gold – sie haben viel mehr gemeinsam, als die strapazierten<br />
Begriffe wie Besonderheit, Wert und Individualität suggerieren.<br />
F I N E<br />
T a s t i n g<br />
49
Große Winzer und große<br />
Autobauer wandeln mit<br />
jeder Kollektion auf dem<br />
schmalen Grat zwischen<br />
Zeitgeist und Zeitlosigkeit.<br />
Autosammler und Weinsammler<br />
sehen die Welt<br />
auf ähnliche Weise, obwohl der<br />
Gegenstand der Leidenschaft nicht<br />
unterschiedlicher sein könnte: Reife<br />
kontra Reifen. Für eine kleine Schar<br />
von Weinfreunden haben sich diese<br />
Terrains ganz unmittelbar erkunden<br />
lassen. Inmitten von sechzehn<br />
besonderen Fahrzeugen aus den<br />
besten Jahrgängen, darunter dieser<br />
Rolls Royce, verkosteten sie besonderen<br />
Rotwein bester Jahrgänge:<br />
Die drei Einzellagen des Star winzers<br />
Angelo Gaja aus dem Piemont. Sori<br />
Tildin, Costa Russi und Sori San<br />
Lorenzo von 1967 bis 2004. Die<br />
Chinese Eyes, die in Mandelform<br />
angeordneten Scheinwerfer, beobachten<br />
die Weinfans dabei. Außerdem<br />
stehen hier beispielsweise vier<br />
Porsche-Renn modelle der Reihe 911,<br />
ein Aston Martin DB4, ein Jaguar<br />
XK 120 von 1951, ein Lamborghini<br />
Miura LP 400S, ein Facel Vega HK<br />
500 und ein Ferrari 365 GTB4 Daytona,<br />
der einst dem Popstar Richard<br />
Carpenter (The Carpenters) ge hörte.<br />
Es sind Unikate – wie die Weine auf<br />
dem Tisch.<br />
Ein wolkiger, schwüler Samstagmittag<br />
in der Nähe von Frankfurt<br />
am Main. Gleich hinter der Bahnlinie<br />
liegt das Industriegebiet in seiner<br />
Wochenendruhe. Verschlossene<br />
Hallen strecken sich entlang der<br />
Schlaglöcher; Wohnmobile und Caravans<br />
dösen hinterm hohen Zaun. Der<br />
Parkplatz der Druckerei ist leer, nur<br />
vorm Sportstudio langweilen sich ein<br />
paar Autos. Vor einem Flachbau in<br />
einer kleinen Neben straße wuchert<br />
Unkraut in der asphaltierten Einfahrt.<br />
Dort ist das breite Stahl rollo nach<br />
oben geschoben. Im Halb dunkel sind<br />
die Silhouetten eleganter und sportlicher<br />
Formen zu erkennen. Drinnen<br />
warten entspannte Menschen auf<br />
Champagner. Da durchschneidet der<br />
ohrenbetäubende Lärm von 330 PS<br />
die Sommerstille. In der Halle führt<br />
der Gast geber vor, wie ein zweihundert<br />
fünfzig Stunden kilometer<br />
schneller Porsche 911 3.0 RSR IROC<br />
des Jahres 1973 klingt. Pure Kraft, die<br />
sich zur entspannten Stadtfahrt eher<br />
nicht eignet. Noch einmal röhrt die<br />
bullige Maschine auf, dann ist es wieder<br />
still. Jetzt ist Gaja dran.<br />
In der Mitte der weiß gestrichenen<br />
Halle mit mausgrauem<br />
Estrich boden steht ein langer Tisch,<br />
auf dem sich die Flaschen reihen<br />
und viele große Weingläser. » Liebe<br />
Freunde, bitte Platz nehmen!«, ruft<br />
Weinsammler Wolfgang Zender, aus<br />
dessen Beständen die Gaja- Weine<br />
stammen. Den Auftakt macht der<br />
berühmte Sori Tildin der Jahr gänge<br />
2005, 2000, 1997, 1996 und 1993. Wir<br />
verkosten. Johannisbeeren, Kräuter,<br />
Kakao und Espresso, Teer und Kohle.<br />
Da ist Eleganz, manchmal extrem viel<br />
Kraft. Die Virilität des Piemont. Nur<br />
der 1993-er ist anders: Der fruchtund<br />
tannin betonte internationale<br />
Stil unterscheidet sich deutlich von<br />
den Charakterweinen der jüngeren<br />
Jahrgänge. Ein Wein, dessen Stil im<br />
Jahr 1993 die Zukunft galt. <strong>2010</strong> ist<br />
sie vorbei – was weniger am Wein<br />
selbst als an seiner im Ausbau mitgegebenen<br />
Stilistik liegt. Dem selben<br />
Widerspruch müssen sich Autodesigner<br />
aussetzen. Sie müssen sich<br />
Trends der Zeit aneignen, ohne dabei<br />
das Unverkennbare eines besonderen<br />
Fahrzeugs aufs Spiel setzen zu<br />
dürfen. Produzenten großer Weine<br />
und Autohersteller wandeln mit<br />
jedem Jahrgang, jeder Kollektion auf<br />
dem ziemlich schmalen Grat zwischen<br />
dem Einssein ihrer Produkte<br />
mit dem Jetzt und dem Einssein mit<br />
dem Zeitlosen.<br />
Der Sori Tildin kam 1967 in den<br />
Besitz der Familie Gaja, 1970 wurde<br />
erstmals Wein aus dieser Einzellage<br />
in der Gemeinde Barbaresco gekeltert.<br />
<strong>Das</strong> Wort »Sori« bezeichnet im<br />
Piemontesischen eine sonnige Südlage,<br />
und »Tildin« war der Spitzname<br />
von Angelo Gajas Großmutter. Vor<br />
50<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
der Anlage des Weinbergs war dort:<br />
nichts. Karges Weideland, manchmal<br />
etwas Landwirtschaft und Gebüsch.<br />
Gaja leistete Pionierarbeit und legte<br />
dort einen Weinberg an, der heute<br />
zu den besten des Landes gehört. Der<br />
Nebbiolo dieser Lage, gerundet mit<br />
fünf Prozent Barbera, ist ein zweifelsohne<br />
großer Wein: Dichte, Feinheit<br />
und Komplexität dominieren, dazu<br />
Kirschnoten, Karamel und Kakao –<br />
und ein wunderbarer Nachhall. Der<br />
1990-er ist wieder ein gewisser maßen<br />
Internationaler. Fünfzehn Jahre nach<br />
seinem Erscheinen zeigt sich, dass<br />
dieser Stil zwar auch heute wiedererkennbar<br />
ist, aber nicht den Wein<br />
und sein Terroir, sondern nur den<br />
Trend der Zeit seiner Entstehung<br />
reflektiert.<br />
Der zweite Flight. Costa Russi<br />
der Jahre 1990, 1993, 1996 und<br />
1999. Die Einzellage gehört angelo<br />
Gaja seit 1967, aber erst 1978 produzierte<br />
er daraus erstmals den heute<br />
berühmten Nebbiolo. Vor allem<br />
Dichte, Raffinesse und Komplexität<br />
charakterisieren diesen Wein. Während<br />
die Gläser wieder gefüllt werden,<br />
beantwortet Rainer Schuster,<br />
einer der beiden Besitzer der Vintage-<br />
Sammlung, die neugierigen Fragen<br />
der acht Gäste. Würden die Fahrzeuge<br />
von ihnen denn auch gefahren<br />
»Ja klar«, sagt er und streicht sich<br />
die langen blonden Haare aus dem<br />
Gesicht. Auch die Rennwagen seien<br />
»nicht bei risikolosen Grüß-und-<br />
Wink-Rallyes« unterwegs, sondern<br />
bei Rennen auf der Piste, in denen<br />
es den Fahrern ums Gewinnen geht.<br />
»Wir haben da schon öfter mal im<br />
Graben gelegen. Danach geht’s halt<br />
ans Reparieren, was soll’s«, erzählt<br />
er und betont: »Für diesen Zweck<br />
wurden die Autos nun mal gebaut.<br />
So fahren wir sie auch. Unsere Halle<br />
ist kein Museum.« Er schließt gleich<br />
eine Frage in die Runde an: »Wie ist<br />
das mit euren Weinkellern Sind die<br />
bei euch ein Museum« »Für mich<br />
wäre das nichts«, eröffnet Norbert<br />
Wittlich die Diskussion, der Wein<br />
fast so sehr wie alte Autos liebt – er<br />
sammelt sie gemeinsam mit Schuster.<br />
»Ich will meine Autos fahren und<br />
meinen Wein genießen. Flaschen<br />
abstauben finde ich langweilig.«<br />
»Soll man Weine wie diese Gaja-<br />
Granaten nun sammeln oder trinken«,<br />
fragt einer der Gäste in die<br />
Runde. »Ich kenne Sammler, die<br />
haben die größten Weine der Welt im<br />
Keller, aber wissen nur aus Büchern,<br />
wie sie schmecken. Sie kaufen und<br />
F I N E<br />
T a s t i n g<br />
51
verkaufen, sie öffnen ihre Flaschen<br />
aber nur höchst selten. <strong>Das</strong> ist keine<br />
Leidenschaft, das ist Geschäft«, antwortet<br />
Weinsammler Zender und<br />
blickt empört in die Runde. »Ich<br />
sammle, um zu trinken. Daher kann<br />
ich warten, bis meine Weine gereift<br />
sind. Wenn ich denke, der Zeitpunkt<br />
ist richtig, öffne ich sie. Manchmal<br />
habe ich dabei Pech, manchmal<br />
großes Glück. Irgendeine Preisentwicklung<br />
in Hongkong ist mir dabei<br />
so was von egal.«<br />
Weintrinken mit Leidenschaft ist<br />
ein Risiko wie das Fahren schneller<br />
Limousinen. Bei Angelo Gaja vereinen<br />
sich diese beiden aspekte: Der<br />
Wein-Pionier des Piemont liebt<br />
Autos und fährt gerne schnell, manchmal<br />
sehr schnell. Der Konjunktiv<br />
beschreibt das Risiko: Was wäre,<br />
wenn … Was wäre, wenn man den<br />
seltensten Wein seiner Sammlung zu<br />
einem Anlass öffnet, der angemessen<br />
ist, aber zum falschen Zeitpunkt<br />
stattfindet Der Wein ist verschlossen,<br />
voller Gerbstoffe, ohne Eleganz.<br />
Enttäuschung auf der ganzen Linie.<br />
Und drei Jahre später würde er sich<br />
wieder öffnen, komplex und voller<br />
Harmonie mit unendlicher Länge<br />
Aus, vorbei. »Wer mit seinem alten<br />
Rennwagen die Strecke, die Technik<br />
oder die eigenen Fahrkünste unterschätzt,<br />
verliert nicht nur das Rennen,<br />
sondern vielleicht sogar den Wagen,<br />
die Gesundheit, das Leben«, sinniert<br />
Autofan Schuster und widmet sich<br />
noch einmal dem fast leeren Glas<br />
mit dem eleganten, runden 1999-er.<br />
Nun folgt wieder Costa<br />
Russi, diesmal 2004,<br />
1998, 1996 und 1995. Schon beim<br />
Beschnuppern wird klar, dass diese<br />
Weine eine Eigenschaft teilen: Ihre<br />
Verschlossenheit. Der 1996-er wirkt<br />
mit Noten nach Pflaume, Kirsche<br />
und Vanille fast noch jung. Aber er<br />
hat unbändige Kraft und die Struktur<br />
guter Säure. Der 1998-er ist ein Fall<br />
für sich: Erst sträubt er sich, zeigt sich<br />
verschlossen wie ein Tresor. Erst nach<br />
einer Viertelstunde lüftet er den Vorhang<br />
ein wenig, dann ganz langsam<br />
immer weiter. Aromen nach Himbeeren,<br />
mediterranen Kräutern und<br />
Leder verbinden sich auf wunder bare<br />
Weise, Stoffigkeit und Säure harmonieren<br />
mit seinem Volumen. Er ist<br />
weniger elegant, eher kraftvoll, mit<br />
ein paar schönen Ecken und Kanten.<br />
Ein Meisterstück. So einen Wein<br />
unterschätzt man auch mit Erfahrung<br />
recht schnell, vor allem bei Verkostungen.<br />
Der Probenrhythmus<br />
ist nicht der seine. Ist die Gruppe<br />
längst weitergezogen durch Lagen<br />
oder Jahre, vielleicht ein wenig enttäuscht,<br />
öffnet er sich, oft unbeachtet.<br />
Obwohl diese Entwicklung ja einen<br />
großen Wein ausmacht. Es wäre ein<br />
Jammer.<br />
»<strong>Das</strong> ist Schönheit auf den zweiten<br />
Blick«, resümiert Schuster, »wir<br />
haben das auch bei unseren Autos oft<br />
erlebt. Manchmal braucht man einfach<br />
viel Zeit, bis man etwas erkennt,<br />
an dem man oft einfach vorbei gegangen<br />
ist. Es gibt im Leben den richtigen<br />
Zeitpunkt für ein altes Auto.«<br />
<strong>Das</strong> Phänomen des 98-er Costa Russi<br />
bildet diesen Erkenntnisprozess<br />
im Zeitraffer ab. Bei alten Autos<br />
kann es Jahre dauern, beim Wein<br />
reicht manchmal eine halbe Stunde.<br />
Beruhigend.<br />
Nun wird es auch Zeit für alte<br />
Weine. Sori Tildin der Jahre 1973,<br />
1971, 1970 kommt in die Gläser. Es<br />
sind die ersten Weine, die Gaja auf<br />
seiner Premiumlage erzeugt hat.<br />
Wir verkosten spannende Weine<br />
aus einer anderen Zeit. Gaja experimentierte<br />
damals mit aus Frankreich<br />
importierten Barriques, die es<br />
vor ihm im Piemont gar nicht gab. Bei<br />
Autos würde man diese drei Weine<br />
als Proto typen bezeichnen. Sie<br />
zeigen die Richtung und die Philosophie,<br />
ohne jedoch den Anspruch<br />
auf Perfektion zu erheben. So schmecken<br />
diese Weine auch: Der 1973-er<br />
nach Bienen wachs und Himbeeren<br />
mit einer intakten Struktur und<br />
vielen Altersnoten. Der 1971-er bietet<br />
aromen nach Wachs, Konfitüre und<br />
Ingwer, mit knackiger Säure und<br />
gutem Nachhall. Und der 1970-er hat<br />
etwas Archaisches: Aromen nach antikem<br />
Holz, Mahagoni, Möbelpolitur<br />
52<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
Klassiker des Automobilbaus und große alte<br />
Weine können perfekte Sammlerstücke sein –<br />
mit Ecken und Kanten, mit Altersnoten, etwas<br />
ganz Besonderes für Puristen.<br />
und Espresso mit gerundeten Gerbstoffkanten,<br />
viel Volumen und Alterstönen.<br />
Es sind keine Weine für eine<br />
Loge im Genusshimmel, doch sie zeigen<br />
klar die Basis, aus der sich Gajas<br />
Weinstil entwickelte.<br />
Es geht zurück zum Costa Russi.<br />
Die Jahrgänge 1982 und 1979 werden<br />
ausgeschenkt. Waren eben die »Vorserienmodelle«<br />
im Glas, sind es nun<br />
zwei zeitlose Klassiker, die nach<br />
rund dreißig Jahren strahlen. Vielleicht<br />
die beiden besten Weine dieses<br />
Vergleichs: Sie zeigen Beerenfrucht,<br />
Mineralität, Feinheit, Würze, Komplexität<br />
und Eleganz – der 1982-er<br />
noch eine Nuance deutlicher als der<br />
ebenso großartige 1979-er. Sie sind in<br />
Würde alt geworden, haben Tiefe und<br />
erklären eindrucksvoll, warum der<br />
Name Gaja zu den größten der Weinwelt<br />
Italiens zählt. Sie ver körpern<br />
Freude und Freundschaft, haben<br />
etwas Verschwenderisches. Nach dem<br />
zweiten Schluck ruft Zender: »Diese<br />
Weine darf man nicht verkosten. Man<br />
muss sie trinken. Würde ich sie nicht<br />
über Kehle laufen lassen – ich könnte<br />
sie gar nicht genießen, niemals!«<br />
»Sind diese beiden Weine für euch<br />
Klassiker«, fragt Norbert Wittlich<br />
über die Gläserreihen hinweg. Die<br />
Köpfe am Tisch nicken. »Ich vergleiche<br />
sie mit dem Rolls Royce Chinese<br />
Eyes«, fügt er hinzu, »der Wagen<br />
strahlt auch nach fünfundvierzig<br />
Jahren die aristokratische Eleganz<br />
und Linienführung aus, die diese<br />
Marke durch ihre ganze Geschichte<br />
auszeichnet hat. Es gab übrigens nur<br />
siebenundzwanzig Stück in seinem<br />
Baujahr 1964.« Wolfgang Zender<br />
nickt bedächtig. »Im Wein kann man<br />
Klassiker nicht schaffen, nur die Voraussetzung<br />
dazu. Jede Handlung im<br />
Ausbau ist auf eine Zukunft gerichtet,<br />
die niemand vorhersehen kann.<br />
Im besten Fall wird nach Jahrzehnten<br />
das Besondere eines solchen Weins<br />
zu einem Teil der Marke Gaja, und ihr<br />
Können sorgt dafür, dass diese Weine<br />
nicht in Vergessenheit geraten, sondern<br />
geöffnet werden und über sie<br />
gesprochen wird.« Die heutige Automobilindustrie<br />
mit ihrem Drang nach<br />
glatter, geräuschloser Perfektion<br />
schafft keine Klassiker. Die Modelle<br />
sind erfüllt von Kundenbedürfnissen<br />
und Mainstream, von Technologie,<br />
Zeitgeist und Mode. <strong>Das</strong> ist<br />
der internationale Stil globalisierter<br />
Märkte, mit dem im Wein bislang<br />
wenig Klassiker entstanden sind. Die<br />
Weine lassen sich gut trinken, bieten<br />
gute Qualität. Im Glas sind sie offen<br />
wie ein aufgeschlagenes Buch. Aber<br />
sie haben nichts, das Jahrzehnte überdauern<br />
würde. Aber auch nicht alle<br />
alten Autos werden Sammlerstücke.<br />
Der Gastgeber kündigt die letzten<br />
vier Weine der Verkostung an.<br />
Diesmal stammen sie aus Gajas dritter<br />
Einzellage, dem Sori San Lorenzo.<br />
1967 entstand hier Gajas erster<br />
Einzel lagen-Wein. Wir schwenken<br />
ihn im Glas. Daneben stehen der<br />
1968-er, der 1979-er und der 1986-er.<br />
Wieder ein Prototyp, mit Wachs,<br />
Honig, Holz und Pferdeschweiß,<br />
dazu Sherry noten, Maha goni und<br />
Firn mit noch immer langem Nachhall.<br />
Diese Ecken und Kanten sind<br />
es, die aufmerken lassen. Auch er ist<br />
nicht perfekt. Dieser Wein ist wie<br />
ein Classic Car. Denn auch die sorgsam<br />
gehegten Modelle rußen, stinken,<br />
haben Kurzschlüsse, verlieren<br />
Öl, sind unbequem. »Aber sie vermitteln<br />
ein so direktes und pures<br />
Fahrgefühl, das kein modernes Auto<br />
mit all seiner Technologie bieten<br />
kann«, sagt Norbert Wittlich, »und<br />
so empfinde ich auch diesen Wein.<br />
Er ist das perfekte Sammler stück. Mit<br />
Ecken und Kanten. Mit Altersnoten.<br />
Und dennoch ein ganz besonderer<br />
Wein für Puristen.« Er nimmt noch<br />
einen kleinen Schluck und erzählt<br />
von seinem Jaguar XK 120 aus dem<br />
Jahr 1951, dem ältesten Fahrzeug in<br />
der Halle. Eine alte Dame aus Los<br />
angeles verkaufte ihm den einst luxuriösen<br />
Wagen in desolatem Zustand.<br />
Zuhause beschlossen Schuster und<br />
Wittlich zunächst, den Wagen komplett<br />
zu restaurieren. Doch sie entschieden<br />
anders: »Wir haben ihn<br />
nur ganz sorgfältig poliert. Er sollte<br />
seine Macken behalten. Schließlich<br />
gehören sie zu seiner Vergangenheit.«<br />
Der Wein sammler seufzt: »<strong>Das</strong><br />
unterscheidet eure Leiden schaft von<br />
meiner. Ich kann Wein weder restaurieren<br />
noch polieren. Ich kann<br />
Flaschen nicht warten. Ich kann nur<br />
warten.« ><br />
F I N E<br />
T a s t i n g<br />
53
Fine-Verkostung<br />
Die Weine der drei grossen Einzellagen von Angelo Gaja<br />
Präsentiert von: Fine <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong><br />
Ort: Sprendlingen, am 19. Juni <strong>2010</strong><br />
Verkoster: Uwe Kauss<br />
Gäste:<br />
Ralf Frenzel, Axel Hörger, Uwe Kauss,<br />
Stephan Köhler, Axel König, Juha Lithonen,<br />
Rene Meisner, Rainer Schuster, Klaus Westrick,<br />
Norbert Wittlich, Wolfgang Zender<br />
2005 Sori Tildin 95 P<br />
In der Nase Himbeeren, Kohle und Teer. Am Gaumen Beeren, Wach older,<br />
etwas Kohle mit intensivem Tanningerüst. Dabei elegant, seidig und<br />
leichtfüßig.<br />
2000 Sori Tildin 91 P<br />
Nase nach Johannisbeeren. Im Mund Himbeeren, Johannisbeeren. Sehr<br />
rund und fein, etwas wenig Struktur, dennoch sehr elegant. Langer, fülliger<br />
Nachhall.<br />
1997 Sori Tildin 96 P<br />
Duft nach schwarzer Johannisbeere und Kräutern. Im Mund Rosmarin,<br />
Johannisbeeren, mediterrane Kräuter, viel Kohle. Sehr dicht, rund und komplex<br />
mit wunderbarem Nachhall.<br />
1996 Sori Tildin 94 P<br />
Verhaltene Nase nach antikem Holz. Im Mund Kaffee, Espresso, Kakao bohne.<br />
Sehr homogen und kompakt. Schöner, intensiver Nachhall.<br />
1993 Sori Tildin 90 P<br />
Aromen nach Herzkirsche und Vanille. Am Gaumen bereits sehr gereift,<br />
tanninbetont mit intensiven Fruchtnoten, dazu Vanille und Karamel. Sehr<br />
internationaler Stil.<br />
1973 Sori Tildin 87 P<br />
Aromen nach Bienenwachs und Himbeere. Etwas Mineralität, intakte<br />
Struktur.<br />
1971 Sori Tildin 90 P<br />
Noten nach Wachs, Ingwer und dunkler Konfitüre. Nicht zu intensiv,<br />
knackige Säure, wunderbar langer Nachhall.<br />
1970 Sori Tildin 91 P<br />
In der Nase antikes Holz und Möbelpolitur. Am Gaumen Espresso, Mahagoni<br />
mit schön eingebundener, milder Säure. Sehr dicht und stoffig, ein paar<br />
Firnnoten. Sehr lang.<br />
2004 Costa Russi 94 P<br />
In der Nase ein Hauch Himbeere, am Gaumen viel Mineralität mit schönen<br />
Schiefernoten. Sehr präsent, dicht, rund und komplex. Eleganter Nachhall.<br />
1999 San Lorenzo 95 P<br />
Intensive Frucht in der Nase. Im Mund sehr rund und elegant, etwas Karamel,<br />
feiner, langer Nachhall.<br />
1998 Costa Russi 92 P<br />
Präsente Aromen nach Himbeere und Leder. Im Mund Beeren, Kräuter<br />
und kraftvolle Tannine, dazu knackige, intensive Säure. Ein Wein mit sehr<br />
viel Kraft und Energie.<br />
1996 Costa Russi 94 P<br />
In der Nase Pflaume, Kirsche und Vanille. Im Mund elegante Noten nach<br />
Frucht und Mineraliät, viel Druck, dabei eine elegante, feine Säure. Etwas<br />
verschlossen, fast noch jung.<br />
1995 Costa Russi 91 P<br />
Teer und Noten nach Pflaumen in der Nase. Am Gaumen dazu Kirschen,<br />
ein Hauch Wacholder und Rosmarin. Fast etwas zu stoffig, daher recht verschlossen<br />
und ein wenig unausgewogen.<br />
1982 Costa Russi 96 P<br />
Aromen nach Beeren. Tolle Struktur, kraftvolles Tannin, dazu ein paar Honignoten<br />
und eleganter Nachhall. Ein wunderbar gealterter Wein. Perfekt.<br />
1979 Costa Russi 95 P<br />
In der Nase Mahagoni und Brombeere. Im Mund Teer, Kaffee und Bleistiftnoten.<br />
Tolle Mineralität, feine Komplexität. Sehr elegant und dicht.<br />
1978 Costa Russi<br />
Kork<br />
1996 San Lorenzo 93 P<br />
Feine Fruchtaromen nach Kirsche, Himbeere und Brombeere. Viel Würze,<br />
Teernoten, hoch elegant, sehr komplex, aber nicht zu tief. Seidig.<br />
1993 San Lorenzo 90 P<br />
Ein sehr dichter, filigraner Wein mit Noten nach Mandeln, Haselnüssen und<br />
Kirschen. Fast zart, fragil, dabei mit interessantem Charme.<br />
1990 San Lorenzo 90 P<br />
In der Nase Himbeere, Schokolade, und Kaffee. Im Mund intensiv fruchtbetont<br />
und rund. Die Eleganz wird kontastiert durch eine kraftvolle, aber<br />
gut eingebundene Säure. Internationaler Stil.<br />
1986 San Lorenzo 89 P<br />
Noten nach Espresso, Brombeeren und viel Wacholder. Recht säurebetont,<br />
nicht zu viel Druck, etwas kurzer Nachhall.<br />
1979 San Lorenzo 92 P<br />
Aromen nach Karamel, Kaffee und gut gealtertem Sherry. Ein paar Holznoten,<br />
mit Luft ein wenig Stall. Sehr elegant, fein und wunderbar geschliffen.<br />
1968 San Lorenzo 89 P<br />
Verhaltene Nase nach altem Holz. Am Gaumen Kaffee, Mahagoni, Holz und<br />
mineralische Noten. Elegant, aber nicht zu komplex.<br />
1967 San Lorenzo 89 P<br />
In der Nase Wachs, Honig und Holz und Pferdeschweiß. Im Mund feine<br />
Sherrynoten, Mahagoni und Firn, knackige Säure. Dabei sehr langer, dennoch<br />
dezenter Nachhall.<br />
54<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
COLBATZKY<br />
Unsere Winzer gehen ihre eigenen Wege. Und das kommt an.<br />
Die Neugier führte sie zu Weingütern in<br />
aller Welt, ihre Heimatliebe wieder nach<br />
Rheinhessen. Jetzt machen unsere Winzer ausgezeichnete<br />
Weine jenseits ausgetrampelter<br />
Pfade. Unsicher waren sie sich nur, ob man<br />
das in wenigen Zeilen vermitteln kann. Mehr<br />
Wissenswertes unter www.rheinhessenwein.de
<strong>Das</strong> Buch zum Jubiläum – ab sofort im Buchhandel<br />
und überall wo es gute Bücher gibt.<br />
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Johannes Denk, der berühmte »Wein-Pfarrer«<br />
und Galionsfigur des Wachauer Weins, hebt<br />
das von ihm inspirierte Universalglas von Zalto<br />
mit einem frischen Grünen Veltliner ans Licht.<br />
Sinn und<br />
Zalto ist ein Weinglas, das vom Wein her ersonnen wurde. Von einem Weinliebhaber für Weinliebhab<br />
90<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
Sinnlichkeit<br />
er. Mit Proportionen zwischen Wein und Glas, die gewagt und stimmig sind – ein neues Kapitel einer alten Beziehung<br />
Text: Till Ehrlich Fotos: Thomas Schauer<br />
F I N E<br />
L i f e s t y l e<br />
91
Ein gutes Weinglas ist ein GefäSS und soweit<br />
ein Gegenstand. Gefüllt aber ist es ein Gegenüber,<br />
das einen Wein in Frage stellen und mit<br />
ihm korrespondieren kann. Edler Wein ist nicht<br />
nur rund und harmonisch, er birgt auch ein<br />
moment der Spannung in sich – einen kleinen<br />
Wider stand. Auf diesen komplexen Wesenszug,<br />
der den GUten Wein vom mediokren unterscheidet,<br />
spielt der Kelch des mundgeblasenen<br />
Zalto- Glases mit seiner gerundeten Eckigkeit<br />
an. Er biegt ab, statt anzuecken, ruft die Zeit<br />
des Art déco wach und erzeugt eine Spannungser<br />
Wartung an den Wein. Dieses sublime Moment<br />
unter scheidet Zalto von den meisten modernen<br />
aroma- und Degustationsgläsern, die überwiegend<br />
industriell gefertigt sind und oft eine<br />
eindimensionale und übertrieben bauchige oder<br />
eiförmige Form haben. Gegenüber dieser etwas<br />
lanG WEiligen Gastro nomiekonvention sind die<br />
Weingläser der Zalto-Serie eine Alternative.<br />
Lukas Pichler probiert<br />
im lichten Verkostungs raum<br />
des Weinguts F. X. Pichler<br />
einen großen Veltliner<br />
smaragd aus den Burgundergläsern<br />
von Zalto.<br />
<strong>Das</strong> »Universalglas« kann man in seinen Proportionen als das in sich<br />
stimmigste Glas dieser Serie bezeichnen. Es besitzt eine innere<br />
Spannung und äußere Fragilität, die sich vor allem auf die eckige<br />
Anmutung der Kelchform zurückführen lässt. Eine Ecke entsteht bekanntlich,<br />
wenn zwei Geraden aufeinander treffen; Gläser mit Ecken und Kanten<br />
kamen besonders in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen<br />
Jahrhunderts auf und sind wieder vergessen worden. Mit ihrer Kantigkeit<br />
wirkten sie oft unsinnlich, ja bedrohlich, was einem Weinglas, das das<br />
Gefäß für das edelste und komplexeste aller Getränke sein soll, wesensfremd<br />
ist. <strong>Das</strong> Raffinierte beim Zalto-Glas ist aber, dass der eckige Bauch<br />
des Kelchs durch einen sanften Schwung gerundet ist, wodurch unsinnliche<br />
Kanten vermieden werden und eine Art eleganter Knick entsteht,<br />
der im Zusammenspiel mit dem Wein eine erstaunliche Wirkung erzeugt.<br />
Sie wird dadurch erhöht, dass der untere Teil des Glases mit Rundungen<br />
laboriert. So wird die Lichtführung der Ränder fließend und kristallin.<br />
92<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
In seinem Weinberg<br />
erfreut sich Hans tschida<br />
am Farbspiel seines<br />
Weins im Süßweinglas<br />
von Zalto.<br />
Ein mit Wein gefülltes Glas hat eine andere Anmutung als ein leeres, was<br />
sich besonders an der Füllhöhe beobachten lässt. <strong>Das</strong> Zalto-Glas lädt ein,<br />
mit ihr zu spielen. So erreicht es höchste Raffinesse, wenn es gut einen bis<br />
eineinhalb Daumen hoch über dem Knick gefüllt ist. Denn wenn das Eckige<br />
überschritten wird, entsteht ein Gefühl von Großzügigkeit, wodurch<br />
das Glas auf einen Wesenszug der Weinkultur anspielt: Man gönnt nicht<br />
nur sich allein, sondern auch den Seinen den guten Wein, indem man ihn<br />
mit ihnen teilt, womit ein vergänglicher Augenblick zu einem unvergesslichen<br />
Ereignis werden kann.<br />
Der Stiel ist erstaunlich dünn und dabei elastisch, weil er – wie das gesamte<br />
Glas – aus weichem Kristallglas besteht, das weder Blei- noch andere<br />
Metalloxide enthält. Dieser Stiel suggeriert Zerbrechlichkeit, obwohl er<br />
die nötige Festigkeit besitzt. Er endet in einem sehr breiten und flachen<br />
Fuß. Dieser wirkt der Fragilität entgegen und gibt dem Glas Stabilität.<br />
Es ist ein mundgeblasenes Glas, das in der Tradition der europäischen<br />
Glaskunst steht. Mit der Glaspfeife nimmt der Glasbläser einen Batzen<br />
von der eintausenddreihundert Grad heißen, glühenden Kristallschmelze<br />
auf und bläst sie frei zu einer kleinen Blase an. Sodann wird sie in einen<br />
Model eingeblasen, wobei der Kelch entsteht. Der Stiel wird mit einer<br />
Eisenzange aus dem noch heißen Kelch herausgezogen. Nun wird der<br />
Fuß frei geformt und rasch angesetzt, solange das Glas heiß ist. Es wird<br />
dabei von unten nach oben gezogen.<br />
Doch die Wahrnehmung des fertig geblasenen Glases ist entgegensetzt:<br />
Man hat die Vorstellung, dass es von oben nach unten fließt. Der Stiel<br />
löst dabei die Assoziation einer dicht glänzenden Dickflüssigkeit aus, die<br />
vom Kelch konzentriert nach unten zum Glasfuß fließt. Die Lichtwirkung<br />
ist geschmeidig, sanft. Zugleich wirkt das Glas kristallin, obwohl es nicht<br />
auf kristallartig harte Kanten hin geschliffen wurde.<br />
Ein mit Wein gefülltes Zalto-Glas wirkt wie ein gefüllter Blütenkelch. Diese<br />
organische Anmutung wird durch die Linsenwirkung des Glases und<br />
die Farbe des Weins erzeugt. Dagegen gibt es bei den Degustationsgläsern<br />
anderer renommierter Erzeuger oft einen Bruch in der ästhetischen<br />
Wahrnehmung, dort macht die rubinrote oder topasartige Farbe des<br />
Weins sichtbar, dass der Kelch auf den Stiel gesetzt ist. <strong>Das</strong> kann gewollt<br />
sein, oder man achtete nicht darauf.<br />
Der Klang des Zalto-Glases ist tief mit einer sehr schönen präsenten<br />
Obertonstruktur – wie ein Glockenklang mit langem Nachhall, der die Stille<br />
nach dem Anstoßen in hörbare Intensität verwandelt. Man bringt das<br />
In Erwartung des Genusses schenkt sich Andreas<br />
Gattinger seinen Riesling Federspiel in das schlanke<br />
Weißweinglas von Zalto.<br />
F I N E<br />
L i f e s t y l e<br />
93
Voller Vorlust blickt Claus<br />
Preisinger zu seinem<br />
Pinot noir im Rotweinglas<br />
von Zalto auf.<br />
Glas zum Klingen, in dem man an der unteren Wölbung der Kuppa, am<br />
Knick, anstößt. Durch das weiche, elastische Material des Glases und den<br />
tiefen Glockenton wird die Eckigkeit der Glasform ausgeglichen.<br />
Die eckige Eleganz des Oberteils steht in einem Spannungsverhältnis<br />
zur Rundung des Unterteils. <strong>Das</strong> erinnert an die avantgardistische Glasgestaltung<br />
vor gut einem Jahrhundert, an die geometrischen Kelch gläser<br />
des Jugendstils und des Art déco, an zeitlose Entwürfe von Koloman<br />
Moser, Josef Hoffmann oder Otto Prutscher für die Wiener Werk stätte,<br />
ausgeführt von den angesehensten Glasmanufakturen Österreich-<br />
Ungarns wie Moser, Gräflich Harrach, Meyers Neffe oder Lötz Witwe.<br />
Diese Glasmacher waren herausgefordert von der neuen Bildarchitektur<br />
und der Welt der Abstraktion. Auch das Zalto-Glas wäre verkannt, würde<br />
man darin nur Rationalismus oder Geometrie sehen. Die komponierten<br />
Winkel und fein abgestimmten Proportionen zeigen, dass hier das Design<br />
den alten Gedanken aufnimmt, flüssiges mit der Idee des Idealkörpers in<br />
Verbindung zu bringen.<br />
94<br />
F I N E 3 / <strong>2010</strong>
Der Vater dieses Glases ist ein Weinliebhaber: Johannes Denk, Pfarrer in<br />
den niederösterreichischen Gemeinden Albrechtsberg und Els im Waldviertel<br />
und Kenner des Wachauer Weinbaus. Er hat das Glas zusammen<br />
mit dem Waldviertler Glasmacher Kurt Zalto entwickelt. Denk hat dabei<br />
seinen Weinverstand und seine langjährige Erfahrung mit guten Weinen<br />
eingebracht. So kam es zu der glücklichen Fügung, dass ein Weinglas<br />
nicht – wie so oft – vom Glasmarketing, sondern vom Wein her gedacht<br />
und verwirklicht wurde. Es ist denn auch das Weinglas eines Weinliebhabers<br />
für Weinliebhaber. Und es ist ein Glas der Winzer geworden, in<br />
wenigen Jahren hat es sich unter den Spitzenwinzern durchgesetzt; das<br />
Gros der österreichischen und italienischen Winzerelite präsentiert inzwischen<br />
seine Gewächse in diesen Gläsern.<br />
Die kulturgeschichtliche und auch räumliche Nähe des Waldviertels zur<br />
Wachau hat eine besondere Bindung zwischen Johannes Denk und den<br />
Wachauer Winzern geschaffen. Vor drei Jahrzehnten hat Denk beim<br />
Weissen kirchener Winzer Franz Zottl den Gedanken des Naturweins<br />
und des ökologischen Weinbaus kennen gelernt. Es war der Beginn eines<br />
fruchtbaren Dialogs, der ihn zu einer vertieften Auseinander setzung mit<br />
der Kultur des Weins anregte. »Dabei hat sich bald er wiesen, dass ich<br />
einen nicht so schlechten Gaumen habe«. Denk sagt, dass er sich dem<br />
Wein nicht von der hedonischen, sondern von der ökologischen seite<br />
genähert habe. Verantwortung und Ethik seien bei ihm nicht vom Wein zu<br />
trennen. Und dazu gehöre auch ein Glas, das den Wein auf eine würde volle,<br />
organische Art ehrt. Die besten Winzer Österreichs tauschen sich gern<br />
mit Johannes Denk aus, vor allem die junge Winzer generation ist offen<br />
für das neue Glas, in dem sie ihre Weine gut zur Geltung gebracht sieht.<br />
Im Weingut F. X. Pichler in der Wachau ist Lucas Pichler davon überzeugt,<br />
dass seine Smaragde, die Rieslinge und Grünen Veltliner Kellerberg<br />
sich am Besten im Burgunderglas von Zalto zeigen. »Es ist schön«,<br />
sagt der junge Winzer, »filigran und eigen«. Auch bei Weingläsern mag<br />
er nicht, wenn sie Schmeichler sind. Die grazile Form schätzt auch Claus<br />
Preisinger, der in Gols am Neusiedlersee intensiven Pinot noir entstehen<br />
lässt. Er bevorzugt für seine schönsten Roten das Burgunderglas. Er findet,<br />
dass sie darin mehr von ihrer tiefen, vitalen Frucht zeigen. Sogar vom<br />
Fass probiert er den Wein mit diesem Glas. »Wenn der Wein im Fass reift,<br />
ist er sehr verschlossen«. <strong>Das</strong> Glas aber setze mit seiner großen Oberfläche<br />
die Weinaromen rasch frei.<br />
Am östlichen Ufer des Neusiedler Sees, im Seewinkel, begutachtet Winzer<br />
Hans Tschida im Zalto-Süßweinglas seine besten Edelsüßen, die Trockenbeerenauslesen.<br />
Der Sämling (Scheurebe) aus dem Jahrgang 2006<br />
funkelt darin wie ein Goldtopas. »Es ist ein feines Glas, wenn ich den Wein<br />
darin schwenke, kommt die Frucht intensiv zum Vorschein.« Tschida hat<br />
sich einen Namen mit edelsüßen Weinen gemacht, die perfekt balanciert<br />
sind und eine wahre Fruchtfülle entwickeln können. »Sie ist beim Süßwein<br />
die Pointe.« Der junge Wachauer Andreas Gattinger schätzt wiederum<br />
das schlanke Weißweinglas aus der Zalto-Serie für seinen mineralischen,<br />
trockenen Federspiel, den er vom Riesling keltert und der in den<br />
Urgesteinsterrassen von Weissenkirchen gedeiht. Gattinger macht mit<br />
einem reintönigen Weinstil auf sich aufmerksam, der auf Effekte verzichtet.<br />
Sein 2009-er Smaragd aus der Lage Steinriegl zeigt sich im Universalglas<br />
nuanciert mit köstlichem Schmelz. »So ein Weinglas«, sagt Andreas<br />
Gattinger, »kann man nicht ohne Weinseele machen«. ><br />
In der Weinlandschaft der Wachau<br />
entstand die Vision der federleichten<br />
Gläser kollektion von Zalto.<br />
F I N E<br />
L i f e s t y l e<br />
95
Mit Gaggenau beginnt perfekter Weingenuss schon vor dem Öffnen der Flasche.<br />
Der Unterschied heißt Gaggenau.<br />
Zum Genuss gehört immer auch das Warten auf den perfekten<br />
Moment. Genau das wird mit unseren Weinklimageräten<br />
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