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FINE Das Weinmagazin - 03/2010

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema dieser Ausgabe: SCHLOSS JOHANNISBERG

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E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E<br />

3/<strong>2010</strong><br />

D a s W e i n m a g a z i n<br />

Seite 40 Hundert Jahre VDP<br />

Seite 58 Moët & Chandon<br />

Seite 90 Gläser von Zalto<br />

Seite 104 Ampeleia, Candialle, Nittardi<br />

Seite 120 Staatskellerei Zürich<br />

Seite 134 Wein und Adel<br />

10<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />

I n h a l t<br />

Seite 48 Gajas Einzellagenweine<br />

Seite 30 Domaine de Chevalier<br />

Seite 18<br />

Schloss Johannisberg<br />

13 Fine Editorial Thomas Schröder<br />

14 Fine Degustation Die Fine-Kriterien<br />

18 Fine Rheingau Schloss Johannisberg<br />

30 Fine Bordeaux Domaine de Chevalier<br />

40 Fine Geschichte Hundert Jahre VDP<br />

48 Fine Tasting Gajas Einzellagenweine<br />

58 Fine Champagne Moët & Chandon Moët Impérial<br />

Seite 68 Die Pigott Kolumne<br />

68 Fine Die Pigott Kolumne Angelo Gaja: Vorbild für deutsche Winzer<br />

72 Fine Lifestyle Ein Luxus-Trip ins Bordelais<br />

80 Fine Die Dollase Kolumne Wein & Speisen: Auberge de l‘Ill<br />

90 Fine Lifestyle Sinn und Sinnlichkeit: Gläser von Zalto<br />

96 Fine Die Zielke Kolumne Reiner Wein: Den Wingert von der Wurzel her aufrollen<br />

98 Fine Frauen im Wein Elisabetta Foradori<br />

104 Fine Toskana Ampeleia, Candialle, Nittardi<br />

114 Fine <strong>Das</strong> Große Dutzend K.F. Groebe Westhofener Kirchspiel<br />

118 Fine <strong>Das</strong> Bier danach Ein Pils, das zischt, muss sich nicht rechtfertigen<br />

120 Fine Schweiz Staatskellerei Zürich<br />

128 Fine Interview Panaiotis und Descotes über Wein im Klimawandel<br />

Seite 118 <strong>Das</strong> Bier danach<br />

134 Fine Persönlichkeiten Wein und Adel<br />

146 Fine Abgang Ralf Frenzel<br />

F I N E<br />

I n h a l t<br />

11


4auf)Schloss)Johannisber<br />

Ein junges Team um Christian<br />

Witte gibt einem grossen<br />

Riesling seinen Glanz zurück<br />

Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Johannes Grau<br />

Ein Schloss Oder doch ein Kloster Unten<br />

vom Rhein aus bei Geisenheim im lieblichen<br />

Rheingau ist die Frage kaum zu entscheiden.<br />

Auf einem markanten Hügel hundert Meter<br />

über dem Fluss, der über und über mit Weinreben<br />

bepflanzt zu sein scheint, erhebt sich auf<br />

18<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


g)wieder)eine)neue)Zeit$<br />

einem massiven Steinsockel ein differenziertes Gebäudeensemble.<br />

Rechts eine schlichte, im Grundbestand romanische Kirche<br />

aus trutzigem Bruchmauerwerk. Übergangslos folgt eine doppelflügelige<br />

Schlossanlage mit klassizistischer Anmutung. Ihr<br />

repräsentativer Mittelrisalit blickt erhaben ins Rheintal. Auf<br />

der linken Seite sind weitere Gebäudeteile in gleichem Stil zu<br />

erkennen. Die verputzten Fassaden sind in gebrochenem Gelb<br />

und Weiß gehalten. Keine Frage: Ort und Ausdruck zeugen von<br />

einem gerüttelten Maß an Selbstbewusstsein der Erbauer. Noch<br />

steht die Erkundung des Johannisbergs bevor, aber am Ende des<br />

Tages wird die Erkenntnis reifen, dass dieses Selbstbewusstsein<br />

mit Recht nach außen getragen wird.<br />

F I N E<br />

R h e i n g a u<br />

19


Beeindruckender noch als der Blick vom Strom auf die Schauseite<br />

ist der Weg über die Straße den Berg östlich hinauf.<br />

Eine lange Allee führt auf das zentrale Gebäude. Zwei dreistöckige<br />

mansard ge deckte Kavaliershäuser begrenzen den Vorplatz. Während<br />

das westliche Angestellten der Domäne vorbehalten ist, ist der<br />

Ostpavillon seit mehr als drei Jahrzehnten an das kunstsinnige Ehepaar<br />

Mieke und Jan Theunen vermietet. Ein kunstvoll geschmiedetes<br />

Tor gibt den Blick auf den großzügigen Vorhof frei. An dessen<br />

gegenüberliegender Seite flankieren die Seitenflügel den Weg zum<br />

Haupteingang. Aus dieser Perspektive wirkt der Mittelbau wie ein<br />

eigenständiges Haus. Fünf Sprossenfenster breit, grüne Lamellenläden<br />

vor weißen Fensterlaibungen, ein ziseliertes Balkongeländer.<br />

Zwei goldene Inschriften in Versalbuchstaben zieren den Fries:<br />

C.W.L.P.A. METTERNICH. REST. ET. EXST. MDCCCXXVI<br />

und darunter, mit in nicht einmal der Hälfte der oberen Buchstabenhöhe:<br />

P. A. METTERNICH REST. MCMLIV.<br />

Gründungs-Geschichten und -Mythen sind<br />

konstitutive Faktoren für jedes Produkt –<br />

nicht nur in der Welt des Weins. Mit Schloss<br />

Johannis berg scheint es jemand im Laufe der<br />

langen Geschichte fast zu gut gemeint zu haben.<br />

Markante Wegmarken und innovative Entscheidungen<br />

reihen sich scheinbar endlos aneinander.<br />

Doch zunächst geht es unter die Erde.<br />

Die Hand zögert, als sie die Klinke des schweren<br />

Tores greift. Draußen entfaltet einer der<br />

ersten hochsommerlichen Tage des Jahres seine<br />

ganze Pracht. Die Luft ist vom bittersüßen Duft<br />

blühender Bäume und üppiger Rosenbüsche<br />

erfüllt. Ein feuchtkalter, düsterer Weinkeller übt<br />

da zunächst keine große Anziehungskraft aus. Die<br />

ersten Schritte führen tastend die breite Treppe<br />

hinab. Die Augen gewöhnen sich ungern an die<br />

fahle Beleuchtung. Lange reihen grau schwarzer<br />

Weinfässer liegen unter dem weit gespannten<br />

gewölbe von 1721, das sich über unfass liche zweihundert<br />

sechzig Meter Länge erstreckt. Unter den<br />

Schritten knirscht feiner Kiesel. In der Ferne sind<br />

undeutlich Stimmen zu vernehmen. Vereinzeltes<br />

helles Lachen mischt sich mit tieferen Lauten. Der<br />

Weg führt über Eck nach links.<br />

Hier liegen betagte Fässer in drei langen<br />

reihen, je eine an den Wänden und eine in der<br />

Mitte. Dort hinten rechts, fast am Ende, machen<br />

sich junge Leute an gebinden neueren Datums<br />

zu schaffen. <strong>Das</strong> Eichenholz leuchtet noch gelb,<br />

seine Ober fläche ist geglättet wie die eines Möbels.<br />

<strong>Das</strong> leise Sirren einer Pumpe verklingt. Mit geübten<br />

Hand griffen wird das Türchen im Fass boden<br />

geöffnet. Ein feiner und zugleich kräftiger Duft<br />

nach Hefe und Wein breitet sich aus. Christian<br />

Wittes Zeige finger streicht durch den Hefesatz.<br />

Die Geschmacksprobe bestätigt den sauberen<br />

20<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


Tradition und Handwerk auf Schloss Johannisberg:<br />

Die großen alten Fässer sind noch in Gebrauch. In den<br />

Kellergewölben akkurat gereiht reift in ihnen der Wein.<br />

Duft. Der in diesem Fass ausgebaute Wein, da<br />

ist sich der junge Geschäftsführer der Schloss<br />

Johannis berger Weingüterverwaltung sicher, wird<br />

überzeugen. Hans Kessler entwickelte zusammen<br />

mit Keller meister Gerd Ritter die Idee, aus<br />

dem Holz ein hundert dreißig- bis zweihundertjähriger<br />

Eichen aus dem eigenen Forst Fässer<br />

küfern zu lassen. Holzküfer hösch aus Hackenheim,<br />

einer der Besten von wenigen Verbliebenen<br />

seines Fachs, lässt es sich nicht nehmen, die<br />

geeigneten Bäume selbst auszuwählen. Sechs bis<br />

acht neue Stückfässer wandern so Jahr für Jahr in<br />

den Weinkeller. Ziel ist es, vor allem im Hinblick<br />

auf das erste Gewächs, die Tradition der Holzfässer<br />

zu stärken. Deshalb werden die Moste in<br />

den Holz fässern nicht nur ge lagert, sondern auch<br />

schon vergoren. Der Erfolg gibt den dreien mehr<br />

als Recht. Doch die Auswahl »Kollektion des<br />

Jahres 2009« des Gault-Millau ist für Christian<br />

Witte nur ein weiteres Mosaiksteinchen auf dem<br />

Weg der Domäne Schloss Johannis berg an den ihr<br />

gebührenden Platz.<br />

Jungen engagierten Menschen Verantwortung<br />

zu übertragen, beginnt auf Johannisberg Methode<br />

zu werden. Schon der legendäre Domänen rat<br />

Wolfgang Schleicher, Vorgänger des jetzt gerade<br />

vierzigjährigen Witte, kam 1979 dreißigjährig in<br />

den Betrieb und lenkte die Domäne seit 1985.<br />

Keller meister Gerd ritter ist zwei Jahre älter als<br />

Witte und seit 1999 dabei; Außenbetriebsleiter<br />

Bernd Neckerauer, ein Studien- und Jahrgangskollege<br />

von Witte, ein Jahr länger. Die junge<br />

Mannschaft wird vervollständigt durch den Technischen<br />

Betriebsleiter, den sechsundfünfzigjährigen<br />

Hans Kessler, der 1993 in die Domäne kam<br />

und von 1995 bis zum Eintritt von Gerd ritter<br />

als Kellermeister verantwortlich war. Mit ihnen<br />

beginnt die neue Zeit auf Schloss Johannisberg.<br />

Christian Witte drängt es zu seiner Bibliotheca<br />

subterranea. Sie ist im östlichsten Teil des Kellers<br />

untergebracht. Bis zu vierundzwanzigtausend<br />

Flaschen finden im ehe maligen Kloster keller<br />

Platz, die älteste stammt aus dem Jahr 1748. Tatsächlich<br />

nimmt die Geschichte des Johannisbergs –<br />

wie sollte es im mittleren Europa anders sein – mit<br />

einem Kloster ihren Anfang. Ruthard von Mainz,<br />

dort Erzbischof von 1089 bis 1109, hatte verwandtschaftliche<br />

Beziehungen in Winkel und<br />

Geisenheim. Er gründete zwischen 1105 und 1108<br />

das Kloster St. Johann auf dem Bischofsberg. Es<br />

war das erste Kloster im Rheingau. Elf weitere<br />

folgten ihm, eine ungewöhnliche Dichte, die die<br />

wirtschaftliche Potenz der region ebenso widerspiegelt<br />

wie ihre strategische Bedeutung.<br />

Es war ganz betont eine traditionelle benediktinische<br />

Klostergründung, die an diesem prominenten<br />

Ort nahe einer bedeutenden Handelsroute<br />

entstand. Kaum vergleichbar mit einer<br />

anderen für die Wein geschichte des Rheingaus<br />

bedeutsamen Klostergründung nur drei Jahrzehnte<br />

später. Da wurde Kloster Eberbach gegründet,<br />

nach der neuen und »modernen« Mönchsregel<br />

der Cistercienser in eremus, in der Einöde,<br />

F I N E<br />

R h e i n g a u<br />

21


Tradition und Jugend auf Schloss<br />

Johannis berg: Gelassen thronen Schloss<br />

und Weingut über dem Rheingau.<br />

<strong>Das</strong> Vermächtnis des Spätlesereiters ist<br />

heute dem jungen Domänenverwalter<br />

Christian Witte anvertraut.<br />

weit ab der zentralen Wege. Dort das abgeschiedene<br />

Tal, hier selbstbewusst auf einem Berg: das<br />

ist auch politisch ein deutlicher Hinweis auf das<br />

Selbst verständnis eines Erz bischofs von Mainz<br />

in dieser Zeit.<br />

Auf dem Rückweg aus der Bibliotheca subterranea<br />

in den Teil des Kellers, der unter dem<br />

heutigen Schlossgebäude liegt, kommt es zu<br />

einer bemerkenswerten Begegnung. Es entsteht<br />

das unwirkliche Gefühl einer Reise in die vorindustrielle<br />

Zeit: Junge Leute reinigen gerade ein<br />

großes zwölfhundert Liter fassendes Stückfass.<br />

Es hat kein Türchen im Boden und kann deshalb<br />

nur vom Spundloch aus gereinigt werden. Immer<br />

wieder wird Wasser durch das Spundloch in das<br />

mächtige Fass gefüllt und auf einer Fass schwenke<br />

mit vereinten Kräften hin und her bewegt. <strong>Das</strong><br />

ist gerade zur Genüge geschehen, das abfließende<br />

Wasser ist sauber. Nun wird das Fass auf gerichtet<br />

und eine überdimensionale Sackkarre herbeigeschafft,<br />

um es zu transportieren. Während zwei<br />

Helfer das Fass halb ziehend, halb sichernd leicht<br />

neigen, bringt ein dritter die Karre in Position. Ein<br />

vierter streckt sich und springt hoch, um den Rand<br />

des Fasses und den Griff der Karre zu greifen.<br />

<strong>Das</strong> gelingt ihm erst nach zwei oder drei kraftvollen<br />

Versuchen. Karre und Fass beginnen sich<br />

immer schneller zu senken. Behände wird die nun<br />

schwer beladene Karre unter Kontrolle gebracht.<br />

Eine eindrucksvolle Szene mit einer körperlichen<br />

Direktheit und auch Gefahr, wie sie heute nicht<br />

mehr häufig zu erleben ist. Nach der Anstrengung<br />

lachen und scherzen die Arbeiter gelöst, und auf<br />

Nachfrage bestätigen sie, dass auf diese Weise mit<br />

vereinten Kräften sechs Stückfässer, manchmal<br />

auch acht am Tag zu schaffen sind.<br />

Kellermeister Gerd Ritter entstammt einer<br />

Winzerfamilie im Remstal. Die Arbeit mit<br />

Holzfässern lernte er schon in seinem ersten Lehrjahr<br />

im VDP-Weingut Karl Haindle in Stetten<br />

kennen und achten. Er weiß ganz genau: Holzfass<br />

ist nicht gleich Holzfass. Er kennt seine gebinde,<br />

und zwei, ein Zwölfhundert- und ein Fünfzehnhundert-Liter-Stückfass,<br />

schätzt er ganz besonders.<br />

Sie erreichen in jedem Jahr einen sehr guten<br />

Endvergärungsgrad, und auch geschmacklich sind<br />

die Weine immer reintönig. Wenn der Most in<br />

ihnen angesprungen ist und ordentlich gärt, impft<br />

er gerne andere Moste, auch in Edelstahlfässern,<br />

mit ihrer Hefe. Längst ist Profis klar, was sich<br />

immer noch hartnäckig in einigen Köpfen als verquere<br />

Vorstellung hält: Es sind nicht die Hefen aus<br />

dem Weinberg, die der Spontangärung zum Erfolg<br />

verhelfen. Es sind Keller- und Fässerhefen, die die<br />

wichtigste Rolle spielen.<br />

Im Schlosskeller liegen ausschließlich die<br />

Holzfässer. Die Edelstahlgebinde haben ihren<br />

Platz im Mummschen Weingut gefunden. Etwa<br />

achtzig Gebinde unterschiedlicher Größe stehen<br />

hier für die Vergärung zur Verfügung. Sie sind<br />

von außen kühlbar und können zentral über die<br />

22<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


Temperatur oder das entstehende Kohlen dioxid<br />

gesteuert werden. Doch vor dem Ver gären ist die<br />

diffizile Arbeit der Lese zu bewerkstelligen. Auf<br />

Schloss Johannisberg wird komplett von Hand<br />

gelesen. Zwanzig eigene Helfer werden durch<br />

einhundert langjährig ausgebildete Kräfte verstärkt.<br />

Oft wird in zwei Eimer gelesen: das<br />

gesunde Lesegut in den einen, nicht perfektes<br />

in den anderen. An Lesetischen wird dann sorgfältig<br />

zwischen edelfaul, faul und gesund selektioniert.<br />

Je nach Zustand des Leseguts entscheidet<br />

Ritter, ob eine Ganztraubenpressung sinnvoll ist<br />

oder eine Maische standzeit durchgeführt werden<br />

soll; die drei Membranpressen im neuen Kelterhaus<br />

erlauben viele Varianten. Die Moste werden<br />

durch Sedimentation glanzhell vorgeklärt. Vierzig<br />

bis fünfundvierzig Prozent der Weine werden<br />

spontan vergoren, alle Rieslinge in den Holzfässern<br />

und auch ein Teil der Edelstahlgebinde.<br />

Sie werden in der beschriebenen Weise aus den<br />

Holzfässern beimpft. Doch auch Reinzuchthefen<br />

spielen weiterhin ihre Rolle. <strong>Das</strong> erste Gewächs<br />

ist ein gutes Beispiel. Dem Jahrgang entsprechend<br />

stammt es zu ungefähr achtzig Prozent aus dem<br />

Holz. Doch ist die Domäne im Holzfasskeller mit<br />

einem ziemlich robusten Bakterium gesegnet. Es<br />

leitet auch unter eigentlich ungünstigen Bedingungen<br />

(pH-Wert unter 3,0 bei Temperaturen um<br />

zehn Grad) zuverlässig den biologischen Säureabbau<br />

ein, in dem Äpfelsäure in die mildere Weinsäure<br />

überführt wird.<br />

D<br />

er Stil der Domäne sind Weine von kräftiger<br />

Statur, denen dennoch eine eigentümliche<br />

Eleganz zu eigen ist. Auch nehmen die Weine<br />

in der Lagerung keineswegs einen breiten und<br />

langweiligen Charakter an. Um das zu gewährleisten<br />

müssen Cuvée-Partner gefunden werden,<br />

die die Weine aus dem Holzfass sinnvoll ergänzen.<br />

<strong>Das</strong> werden häufig Weine aus dem Edelstahl<br />

sein, die mit Reinzuchthefen vergoren wurden.<br />

Es gibt Überlegungen, die Hefen aus den beiden<br />

Top gebinden gezielt vermehren zu lassen. Doch<br />

Gerd Ritter ist sich nicht sicher. »<strong>Das</strong> ist dann<br />

doch wieder eine Art von Reinzuchthefe!« Er<br />

schätzt die Vielfalt der Hefen bei der Spontanvergärung<br />

über alles.<br />

Die Sonne wärmt angenehm nach der feuchten<br />

Kühle des Kellers. Sein Eingang liegt unter der<br />

breiten Doppeltreppe in der Mitte des westlichen<br />

Flügels. Vis-à-vis laden baumbeschattete Sitzgelegenheiten<br />

zu einer zünftigen Winzer vesper<br />

oder auch feineren Gerichten ein. Bewirtschaftet<br />

werden Gutsrestaurant und Weingarten zur<br />

gegenseitigen Zufriedenheit von Käfer’s. Oberhalb<br />

der Reben die Weine von Schloss Johannisberg<br />

zu trinken, ist ein leicht nachzuvollziehender<br />

Genuss. Hier und im angrenzenden<br />

Wein-Cabinet, das schon 1980 im ehemaligen<br />

Kelterhaus als Vinothek entstand, werden substanzielle<br />

Mengen Wein verkauft. Nicht weniger<br />

als einhundertdreißigtausend Besucher aus aller<br />

Herren Länder strömen Jahr für Jahr auf den<br />

F I N E<br />

R h e i n g a u<br />

23


Johannisberg, ein knappes Viertel der hier produzierten<br />

zweihundert- bis zweihundertvierzigtausend<br />

Flaschen werden direkt am Standort<br />

über Vinothek und Gastronomie verkauft. Neben<br />

dem Wein hat in jüngerer Zeit auch das Rheingau<br />

Musik Festival zur Popularität von Schloss<br />

Johannis berg beigetragen.<br />

Ein zierliches Reiterstandbild schmückt den<br />

kleinen Platz, der links von der Vinothek, an der<br />

Kopfseite durch das neue Kelterhaus von 1980 und<br />

rechts von einem kleinen Saal begrenzt wird. Kein<br />

Fürst, kein Herrscher wird durch die skulptur<br />

befeiert. Es dient nichts Geringerem als der Erinnerung<br />

an die Geburt edelsüßer Ries linge. Die<br />

Geschichte des Spätlesereiters ist schnell erzählt:<br />

Im Jahre des Herrn 1775 wartete man im Kloster<br />

Johannisberg auf das Startzeichen zum Beginn<br />

der Weinlese. Dies wurde durch die Obrigkeit<br />

erlassen, für das Kloster war der Fürstbischof von<br />

Fulda zuständig. Doch der berittene Bote, der mit<br />

einer Traubenprobe geschickt war, ließ auf sich<br />

warten – über mögliche Gründe wird bis heute<br />

mehr spekuliert als gewusst. Doch als er schließlich<br />

mit dem Bescheid eintraf, schien es um die<br />

Ernte schlecht bestellt. Flächendeckend hatte sich<br />

Schimmel über die Trauben gelegt, die Beerenhäute<br />

angegriffen und die Beeren selbst eingetrocknet.<br />

Fast schien es, als lohne eine ernte sich<br />

überhaupt nicht mehr. Doch der gewonnene Most<br />

war süß und der fertige Wein ganz ausgezeichnet<br />

mit einem ungeahnten Alterungspotential. Dieses<br />

Ereignis und das in der Folge systematische Vorgehen,<br />

solche Weine zu gewinnen, als epochal zu<br />

bezeichnen, ist nicht übertrieben.<br />

Schon zuvor hatte sich das Kloster dauerhaft<br />

in die Weingeschichtsbücher eingeschrieben.<br />

Der Initiator saß auch damals in Fulda. 1716<br />

erwarb Fürstabt Konstantin von Buttlar das Kloster.<br />

Freude an der Rhein gauer Landschaft und der<br />

Ruf, den sich das Kloster in der Wein erzeugung<br />

gemacht hatte, mögen seine Beweggründe gewesen<br />

sein. Zunächst ließ er die Gebäude bis auf<br />

die Kirche niederlegen. Mit viel Geld und den<br />

besten zeitgenössischen Barockbaumeistern wie<br />

Johann Dientzenhofer und Künstlern wie Carlo<br />

Maria Pozzi wurde eine sehenswerte Schloss anlage<br />

erbaut. In der Folge erweitere er die Rebfläche auf<br />

fast zwanzig Hektar. Angepflanzt wurde nicht der<br />

übliche »gemischte Satz«. Konstantin bestimmte<br />

Riesling als einzige in seinen Weinbergen anzubauende<br />

Rebe. <strong>Das</strong> verhalf mehr als ein halbes<br />

Jahrhundert vor dem bekannten Trierer Erlass<br />

zur Verbesserung der Moselweine dem Riesling<br />

zum ersten Durchbruch. Anfang des 19. Jahrhunderts<br />

schließlich ist der Riesling die einzig<br />

er laubte sorte im ganzen Rheingau. In diese Zeit<br />

fallen die ersten Flaschenabfüllungen, wieder ein<br />

bemerkenswerter Akt erfolgreicher und ertragreicher<br />

Innovation.<br />

Die neunhundertjährige Geschichte vom<br />

Johannisberg blieb auch nach dem entscheidenden<br />

Engagement der Fuldaer Bischöfe spannend.<br />

War es Glück, war es Können Der Johannisberg<br />

konnte die Wechselfälle immer wieder zu seinem<br />

Nutzen wenden. Zur nächsten Heraus forderung<br />

entwickelte sich die Säkularisation. <strong>Das</strong> Kloster<br />

wurde zum Spielball politischer und militärischer<br />

Kräfte. <strong>Das</strong>s schließlich 1816, nach mancherlei<br />

Ränken, Clemens Wenzel Lothar Fürst von<br />

Metter nich-Winneburg für seine Verdienste während<br />

des Wiener Kongresses vom habsburgischen<br />

Kaiser Franz I. mit dem Johannisberg bedacht<br />

wurde, erwies sich auf lange Sicht als Glücksfall.<br />

Auch die Habsburger profitierten von dieser Gabe,<br />

hatte sich Franz I. doch einen Zehnten des Weinertrags<br />

»auf ewige Zeiten« festschreiben lassen.<br />

Konnte der Fürst mit den Weinqualitäten<br />

auch nahtlos an die Fuldaer Tradition anschließen,<br />

der barocke Charakter des Johannisberger Schlosses<br />

behagte ihm nicht. Schon 1826 ließ er es klassizistisch<br />

umbauen. Die Mittel hierzu erwirtschaftete<br />

er, der vordem finanziell nicht gerade auf Rosen<br />

gebettet war, aus dem Verkauf Johannis berger<br />

Weine. In dieser Zeit bildete sich zum ersten Mal<br />

eine Kennzeichnung gereifter Weine in Flaschen<br />

mit unterschiedlichen Siegellackfarben heraus.<br />

Metternich verordnete überdies, dass jedes<br />

etikett die handschriftliche Signatur des Verwalters<br />

tragen müsse. Beide Traditionen haben sich<br />

24<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


auf Schloss Johannisberg bis heute erhalten. Seit<br />

dem Jahrgang 1970 gilt, konform mit dem deutschen<br />

Weingesetz von 1971, folgendes Farben spiel:<br />

Gelb für die Qualitäts weine trocken und halbtrocken,<br />

Rot für den trockenen und halb trockenen<br />

Kabinett, Grün für die Spät lesen, Rosa für die<br />

Auslesen, Rosa-Gold für die Beerenauslesen, Gold<br />

für die Trockenbeeren auslesen und Blau für den<br />

Eiswein. Seitdem ist nur eine einzige Änderung zu<br />

vermelden: die Einführung des Ersten Gewächses<br />

2005 und seine Kennzeichnung mit Silberlack.<br />

Vom zurückhaltend und fein mit Bodenquerschnitt<br />

und historischen Zeugnissen ausgestatteten<br />

Spätlesereitersaal, der Weinproben und Feierlichkeiten<br />

gleichermaßen dient, geht es nun in das<br />

Domänenrentamt. Hier hat Christian Witte sein<br />

Büro. Er war nach dem Studium »Weinbau und<br />

Oenologie« an der FH Geisenheim in den handel<br />

gegangen. Wolfgang Schleicher selbst holte ihn<br />

auf das Schloss. Er lernte ihn auf Weinmessen in<br />

den Vereinigten Staaten als regen und kenntnisreichen<br />

Verkäufer kennen und gewann bald den<br />

Eindruck, einen möglichen Nachfolger vor sich zu<br />

haben. Mitte 2004 wechselte Witte ans Schloss<br />

und übernahm Schleichers Schreibtisch Anfang<br />

2005. Dem Quartett Ritter, Kessler, Neckerauer<br />

und Witte gelang es in nur wenigen Jahren, die<br />

günstigen Vorbedingungen zu nutzen und in die<br />

Spitze des Rheingaus zurückzukehren.<br />

Vom Domänenrentamt führt der Weg endlich<br />

in die Weinberge. Der Innenhof des<br />

schlosses liegt verwaist. Nichts regt sich, nur während<br />

des Rheingau Musik Festivals füllt sich das<br />

Schloss mit pulsierendem Leben. 1992 starb Fürst<br />

Paul August, seine Frau Tatiana hilarionowa 2006.<br />

Ihnen beiden oblag es, das Schloss nach seiner<br />

Zerstörung 1942 wieder aufzubauen. Paul August<br />

hat sich selbst dezent im Fries verewigt, während<br />

die Erinnerung an Fürstin Tatiana eng mit dem<br />

Rheingau Musik Festival verbunden ist. Der<br />

Grundstein für den reibungslosen Übergang der<br />

Eigentumsverhältnisse wurde früh gelegt. Schon<br />

1958 wurde das benachbarte Weingut G. H. von<br />

Mumm von einer Unternehmensgruppe erworben,<br />

zu der heute auch die Söhnlein Rheingold KG<br />

gehört. Die Beziehungen von Schloss Johannisberg<br />

zu Söhnlein lassen sich bis in das Jahr 1865<br />

zurückverfolgen. Söhnlein vermarktete Teile der<br />

Ernte von Schloss Johannisberg, bevor gemeinsame<br />

Versuche zur Sekt herstellung begannen. Sie<br />

waren höchst erfolgreich: Schon der erste Sekt<br />

gewann auf der Weltausstellung in Paris 1867 zwei<br />

Goldmedaillen. Über Zwischenstationen mündet<br />

die Zusammenarbeit 1971 in die Premium-Sektmarke<br />

»Fürst von Metternich«. Söhnlein ließ sich<br />

von Metternich zunächst die Namensrechte übertragen.<br />

Um die Versorgung mit Johannisberger<br />

Sektgrundweinen und die Wurzeln der Marke<br />

sicherzustellen, erwarb er später eine Mehrheit<br />

an Schloss Johannisberg. Fast ein Jahrzehnt wurde<br />

ausschließlich Sektgrundwein hergestellt, bis der<br />

Erfolg der Marke in den 1980-er Jahren so groß<br />

wurde, dass die Ernten von Schloss Johannisberg<br />

alleine nicht mehr ausreichten. Ein anderer Weg<br />

musste gefunden werden. Seit diesem Zeitpunkt<br />

konnte man sich wieder den Flaschen weinen<br />

zuwenden. Die Grund weine für den Fürst Metternich<br />

brut Jahrgangssekt, etwa fünfzehn tausend<br />

Flaschen, stammen nach wie vor vom Johannisberg.<br />

Sie werden, anders als die Moste für die Stillweine,<br />

bei etwa neunzig Oechsle graden geerntet.<br />

Ihr Säuregehalt sollte neun bis zehn Promille nicht<br />

unterschreiten. Die Grundweine für die übrige<br />

Sektproduktion werden vor dem Versekten von<br />

den Oenologen von Schloss Johannis berg in der<br />

Cuvée-Kellerei auf dem Johannisberg ausgebaut,<br />

frei nach dem Motto: Ein Sekt ist immer so gut wie<br />

der Wein, aus dem er gemacht wird. 1992 schließlich<br />

ging das Schloss Johannisberg vollständig in<br />

den Besitz der Unternehmensgruppe über.<br />

Der große Schlosspark links von der Zufahrt<br />

ist seit langem geschlossen. 1994 wütete ein Orkan<br />

im Metternichschen Park. Ihm fielen sieben uralte<br />

Zedern zum Opfer, ein schmerzlicher Verlust im<br />

wertvollen historischen Baumbestand. Er wurde<br />

aufgeforstet und bald schon, ist sich Witte sicher,<br />

wird er wieder geöffnet werden können.<br />

Wir stehen nun inmitten der Reben an der<br />

östlichen Bergseite; über uns erhebt sich die trutzige<br />

Kirche. Kein Geringerer als Rudolf Schwarz,<br />

der bedeutendste deutsche Kirchenbaumeister<br />

des 20. Jahrhunderts, baute sie auf den Mauern<br />

des romanischen Vorgängerbaus wieder auf.<br />

Vielleicht ist der weite, unverstellte Blick<br />

nach Osten in den Rheingau und hinunter an<br />

den Rhein der schönste, den der Johannisberg<br />

zu bieten hat. Der Rhein erscheint durch die im<br />

Strom liegenden Inseln als eine langgestreckte<br />

Seenplatte mit funkelnden Wasserflächen. Ganz<br />

hinten ist die Eltviller Aue noch gut zu erkennen,<br />

davor die Mariannenaue in ihrer differenzierten<br />

Form, die Fulder Aue und schließlich, schon<br />

Tradition und Ehrgeiz auf Schloss Johannisberg:<br />

<strong>Das</strong> Team um Christian Witte mit<br />

Hans Kessler, Kellermeister Gerd Ritter und<br />

Bernd Neckerauer hat schon nach kurzer<br />

Zeit den historischen Glanz seiner Rieslinge<br />

wieder erstrahlen lassen.<br />

F I N E<br />

R h e i n g a u<br />

25


Tradition und Verpflichtung<br />

auf Schloss Johannisberg:<br />

In der Bibliotheca subterranea<br />

ist die Qualität des Weins über<br />

Jahr hunderte archiviert.<br />

westlich von Geisenheim, die Ilmen Aue. Der<br />

Turm von Schloss Vollrads reckt seine Spitze durch<br />

das Rheingauer Rebenmeer. Die Kontakte zwischen<br />

den Metternichs und Greiffenclaus waren<br />

ab den 1930-er Jahren recht gut. Besuchergruppen<br />

wurden untereinander getauscht, und wenn Graf<br />

Matuschka-Greiffenclau sie an der Gemarkungsgrenze<br />

lächelnd an Wolfgang Schleicher übergab,<br />

wechselten die beiden so manchen flotten Spruch.<br />

Auf halber Höhe unterhalb des Schlosses verläuft<br />

in einem weiten Bogen ein bequemer Weg.<br />

Vor allem die Steilheit des Kernstücks wird hier<br />

direkt erfahrbar. Der Johannisberg ist geologisch<br />

recht einheitlich. Auf einem Kegel aus Taunusquarzit<br />

liegt eine achtzig Zentimeter bis zweieinhalb<br />

Meter dicke Schicht aus rötlichem Lößlehm.<br />

Er ist einige Male durchzogen von schmalen Kalkstreifen.<br />

Vergleichbare Formationen finden sich in<br />

zwei weiteren Lagen in Sichtweite: beim Geisenheimer<br />

Rothenberg und am Binger Rochusberg.<br />

Von den fünfunddreißig Hektar Rebfläche des<br />

Johannisbergs stehen zur Zeit dreiunddreißigeinhalb<br />

Hektar im Ertrag.<br />

Der Außenbetrieb ist das Reich von Bernd<br />

Necker auer. Nach dem Abitur durchlief er die<br />

klassische Ausbildung zum Winzer. Dem ersten<br />

Lehrjahr im elterlichen Betrieb im pfälzischen<br />

Weisenheim am Sand folgte ein zweites im Weingut<br />

Dr. Deinhard in Deidesheim. Anfang 1998<br />

schloss er sein Studium an der FH Geisenheim ab<br />

und wurde auf Empfehlung und ohne Umschweife<br />

Außenbetriebsleiter der Schloss Johannisberger<br />

Weingüterverwaltung. Er ist durch und durch<br />

Weingärtner. Die achtzig Flächen, in die der<br />

Johannisberg intern eingeteilt ist, kennt er wie<br />

seine Westentasche. Sie unterscheiden sich nach<br />

der Himmelsrichtung, der Hangneigung und der<br />

Sonneneinstrahlung. Die Wasserversorgung des<br />

Bergs ist durchweg ausgezeichnet. Eine Versuchsanlage<br />

zur Bewässerung ist in elf Jahren nur ein<br />

einziges Mal in Betrieb gewesen – und war auch<br />

da eigentlich überflüssig. Die besten Stücke sind<br />

die steilsten und optimal zur Sonne ausgerichteten<br />

direkt unter dem Schloss. Von hier kommen<br />

die Weine vom Grünlack an aufwärts. Westlich<br />

davon, etwa unterhalb der Weinschenke, werden<br />

die Kabinette geerntet. Am Fuß des Bergs, mit<br />

optimaler Wasserversorgung, können ebenfalls<br />

Grünlack-Rieslinge entstehen. Unten am Elsterbach<br />

und in den Flächen im Rücken des schlosses<br />

entsteht der Gelblack.<br />

Da der Reblausdruck im Rheingau immer<br />

noch hoch ist, wird bei Neuanpflanzungen auf<br />

der Domäne ausschließlich die in Geisenheim<br />

von Dr. Becker gezüchtete Unterlage Börner,<br />

eine Kreuzung zwischen der Vitis riparia mit der<br />

Vitis cinerea, beide aus Nordamerika, verwendet.<br />

Auch die Veredelungen sind ausnahmslos Geisenheimer<br />

Züchtungen, wobei in jeder Pflanz periode<br />

ein anderer Klon Verwendung findet, um eine<br />

gewisse Vielfalt zu erhalten. Jede zweite zeile der<br />

Drahtrahmenerziehung ist dauerbegrünt. Eine<br />

Untersuchung hat ergeben, dass sie sich aus über<br />

zwanzig Pflanzensorten zusammensetzt. Der<br />

übliche Pflanzenschutz zielt darauf ab, die Reben<br />

bis in den Reifebeginn krankheitsfrei zu halten<br />

und zu einem langjährigen Durchschnittsertrag<br />

von siebenundsechzig Hektolitern pro Hektar<br />

zu führen. Botrytis wird erst ab Ende September/Anfang<br />

Oktober für die Bereiche, in denen<br />

edelsüße Weine gewonnen werden sollen, toleriert.<br />

Zu den qualitätssteigernden Maßnahmen<br />

zählen Traubenteilungen und Entblätterungen.<br />

Doch das, so Neckerauer, geschehe immer individuell,<br />

nach Gefühl. Seine Aufgabe sei es, die Witterung<br />

abzuschätzen und genau den Wachstumsund<br />

Reifungsfortschritt zu beobachten. <strong>Das</strong> sei<br />

die unabdingbare Grundlage für die sorgfältige<br />

Planung der benötigten Qualitäten, wobei die<br />

Unwägbarkeiten des Wetters mit einkalkuliert<br />

werden müssten.<br />

Eine kleine Besonderheit findet sich inmitten<br />

des Johannisbergs: Eine quadratische Stele<br />

aus rotem Sandstein wird bekrönt von einer goldenen<br />

Fünfzig. An dieser Stelle verläuft der fünfzigste<br />

Breitengrad. Lange Jahre bezeichnete er die<br />

nördlichste Grenze für den Weinbau. Doch das<br />

könnte bald Geschichte sein. Schloss Johannisberg<br />

ficht das nicht an. Seine Geschichte hat ihm<br />

eine zentrale Rolle in der Weinkultur schon längst<br />

gesichert, und seine Gegenwart lässt nichts anderes<br />

erwarten als: dass sie noch lange nicht an ihr<br />

Ende gekommen ist. ><br />

26<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


Hinter den Kulissen …<br />

Grosser Wein im Tagesweinkeller der Ente<br />

Kaiser-Friedrich-Platz 3–4 · D-65183 Wiesbaden · Telefon +49 (0) 611 / 133 666 · www.nassauer-hof.de


48<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


Weine<br />

kann man nicht<br />

polieren<br />

Ungewöhnliches Fine-Tasting: Zweierlei Leidenschaften – Die<br />

grossen Weine aus Angelo Gajas Einzellagen und spektakuläre<br />

Unikate der Automobil-Geschichte<br />

Text: Uwe Kauss Fotos: Alex Habermehl<br />

<strong>Das</strong> elegante Holz wird fein kontrastiert von schwarzen Tönen.<br />

Klassische Struktur, toller Körper. Die dezente Eleganz strahlt Zeitlosigkeit<br />

und Klarheit aus, mit unendlicher Länge und Kraft. Viel<br />

Kraft. Wo Holz hingehört, ist eine wunderbar ziselierte Struktur zu<br />

betrachten. Der Lack über dem Holz fühlt sich warm und geschmeidig<br />

an. Wo Metall hingehört, blitzt Chrom. Wo Technik gebraucht<br />

wird, ist sie klar und übersichtlich angeordnet. Wer bequem in den<br />

unendlich tiefen Polstern versinkt, ahnt die Stärke des Motors. Eine<br />

große Limousine eben. Dieser seltene Rolls Royce Chinese Eyes<br />

aus dem Jahr 1963 ist wie ein großer Rotwein: Potenz und Eleganz,<br />

Komplexität und Klarheit gehen eine Einheit ein. Chrom-Juwelen<br />

und rotes Gold – sie haben viel mehr gemeinsam, als die strapazierten<br />

Begriffe wie Besonderheit, Wert und Individualität suggerieren.<br />

F I N E<br />

T a s t i n g<br />

49


Große Winzer und große<br />

Autobauer wandeln mit<br />

jeder Kollektion auf dem<br />

schmalen Grat zwischen<br />

Zeitgeist und Zeitlosigkeit.<br />

Autosammler und Weinsammler<br />

sehen die Welt<br />

auf ähnliche Weise, obwohl der<br />

Gegenstand der Leidenschaft nicht<br />

unterschiedlicher sein könnte: Reife<br />

kontra Reifen. Für eine kleine Schar<br />

von Weinfreunden haben sich diese<br />

Terrains ganz unmittelbar erkunden<br />

lassen. Inmitten von sechzehn<br />

besonderen Fahrzeugen aus den<br />

besten Jahrgängen, darunter dieser<br />

Rolls Royce, verkosteten sie besonderen<br />

Rotwein bester Jahrgänge:<br />

Die drei Einzellagen des Star winzers<br />

Angelo Gaja aus dem Piemont. Sori<br />

Tildin, Costa Russi und Sori San<br />

Lorenzo von 1967 bis 2004. Die<br />

Chinese Eyes, die in Mandelform<br />

angeordneten Scheinwerfer, beobachten<br />

die Weinfans dabei. Außerdem<br />

stehen hier beispielsweise vier<br />

Porsche-Renn modelle der Reihe 911,<br />

ein Aston Martin DB4, ein Jaguar<br />

XK 120 von 1951, ein Lamborghini<br />

Miura LP 400S, ein Facel Vega HK<br />

500 und ein Ferrari 365 GTB4 Daytona,<br />

der einst dem Popstar Richard<br />

Carpenter (The Carpenters) ge hörte.<br />

Es sind Unikate – wie die Weine auf<br />

dem Tisch.<br />

Ein wolkiger, schwüler Samstagmittag<br />

in der Nähe von Frankfurt<br />

am Main. Gleich hinter der Bahnlinie<br />

liegt das Industriegebiet in seiner<br />

Wochenendruhe. Verschlossene<br />

Hallen strecken sich entlang der<br />

Schlaglöcher; Wohnmobile und Caravans<br />

dösen hinterm hohen Zaun. Der<br />

Parkplatz der Druckerei ist leer, nur<br />

vorm Sportstudio langweilen sich ein<br />

paar Autos. Vor einem Flachbau in<br />

einer kleinen Neben straße wuchert<br />

Unkraut in der asphaltierten Einfahrt.<br />

Dort ist das breite Stahl rollo nach<br />

oben geschoben. Im Halb dunkel sind<br />

die Silhouetten eleganter und sportlicher<br />

Formen zu erkennen. Drinnen<br />

warten entspannte Menschen auf<br />

Champagner. Da durchschneidet der<br />

ohrenbetäubende Lärm von 330 PS<br />

die Sommerstille. In der Halle führt<br />

der Gast geber vor, wie ein zweihundert<br />

fünfzig Stunden kilometer<br />

schneller Porsche 911 3.0 RSR IROC<br />

des Jahres 1973 klingt. Pure Kraft, die<br />

sich zur entspannten Stadtfahrt eher<br />

nicht eignet. Noch einmal röhrt die<br />

bullige Maschine auf, dann ist es wieder<br />

still. Jetzt ist Gaja dran.<br />

In der Mitte der weiß gestrichenen<br />

Halle mit mausgrauem<br />

Estrich boden steht ein langer Tisch,<br />

auf dem sich die Flaschen reihen<br />

und viele große Weingläser. » Liebe<br />

Freunde, bitte Platz nehmen!«, ruft<br />

Weinsammler Wolfgang Zender, aus<br />

dessen Beständen die Gaja- Weine<br />

stammen. Den Auftakt macht der<br />

berühmte Sori Tildin der Jahr gänge<br />

2005, 2000, 1997, 1996 und 1993. Wir<br />

verkosten. Johannisbeeren, Kräuter,<br />

Kakao und Espresso, Teer und Kohle.<br />

Da ist Eleganz, manchmal extrem viel<br />

Kraft. Die Virilität des Piemont. Nur<br />

der 1993-er ist anders: Der fruchtund<br />

tannin betonte internationale<br />

Stil unterscheidet sich deutlich von<br />

den Charakterweinen der jüngeren<br />

Jahrgänge. Ein Wein, dessen Stil im<br />

Jahr 1993 die Zukunft galt. <strong>2010</strong> ist<br />

sie vorbei – was weniger am Wein<br />

selbst als an seiner im Ausbau mitgegebenen<br />

Stilistik liegt. Dem selben<br />

Widerspruch müssen sich Autodesigner<br />

aussetzen. Sie müssen sich<br />

Trends der Zeit aneignen, ohne dabei<br />

das Unverkennbare eines besonderen<br />

Fahrzeugs aufs Spiel setzen zu<br />

dürfen. Produzenten großer Weine<br />

und Autohersteller wandeln mit<br />

jedem Jahrgang, jeder Kollektion auf<br />

dem ziemlich schmalen Grat zwischen<br />

dem Einssein ihrer Produkte<br />

mit dem Jetzt und dem Einssein mit<br />

dem Zeitlosen.<br />

Der Sori Tildin kam 1967 in den<br />

Besitz der Familie Gaja, 1970 wurde<br />

erstmals Wein aus dieser Einzellage<br />

in der Gemeinde Barbaresco gekeltert.<br />

<strong>Das</strong> Wort »Sori« bezeichnet im<br />

Piemontesischen eine sonnige Südlage,<br />

und »Tildin« war der Spitzname<br />

von Angelo Gajas Großmutter. Vor<br />

50<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


der Anlage des Weinbergs war dort:<br />

nichts. Karges Weideland, manchmal<br />

etwas Landwirtschaft und Gebüsch.<br />

Gaja leistete Pionierarbeit und legte<br />

dort einen Weinberg an, der heute<br />

zu den besten des Landes gehört. Der<br />

Nebbiolo dieser Lage, gerundet mit<br />

fünf Prozent Barbera, ist ein zweifelsohne<br />

großer Wein: Dichte, Feinheit<br />

und Komplexität dominieren, dazu<br />

Kirschnoten, Karamel und Kakao –<br />

und ein wunderbarer Nachhall. Der<br />

1990-er ist wieder ein gewisser maßen<br />

Internationaler. Fünfzehn Jahre nach<br />

seinem Erscheinen zeigt sich, dass<br />

dieser Stil zwar auch heute wiedererkennbar<br />

ist, aber nicht den Wein<br />

und sein Terroir, sondern nur den<br />

Trend der Zeit seiner Entstehung<br />

reflektiert.<br />

Der zweite Flight. Costa Russi<br />

der Jahre 1990, 1993, 1996 und<br />

1999. Die Einzellage gehört angelo<br />

Gaja seit 1967, aber erst 1978 produzierte<br />

er daraus erstmals den heute<br />

berühmten Nebbiolo. Vor allem<br />

Dichte, Raffinesse und Komplexität<br />

charakterisieren diesen Wein. Während<br />

die Gläser wieder gefüllt werden,<br />

beantwortet Rainer Schuster,<br />

einer der beiden Besitzer der Vintage-<br />

Sammlung, die neugierigen Fragen<br />

der acht Gäste. Würden die Fahrzeuge<br />

von ihnen denn auch gefahren<br />

»Ja klar«, sagt er und streicht sich<br />

die langen blonden Haare aus dem<br />

Gesicht. Auch die Rennwagen seien<br />

»nicht bei risikolosen Grüß-und-<br />

Wink-Rallyes« unterwegs, sondern<br />

bei Rennen auf der Piste, in denen<br />

es den Fahrern ums Gewinnen geht.<br />

»Wir haben da schon öfter mal im<br />

Graben gelegen. Danach geht’s halt<br />

ans Reparieren, was soll’s«, erzählt<br />

er und betont: »Für diesen Zweck<br />

wurden die Autos nun mal gebaut.<br />

So fahren wir sie auch. Unsere Halle<br />

ist kein Museum.« Er schließt gleich<br />

eine Frage in die Runde an: »Wie ist<br />

das mit euren Weinkellern Sind die<br />

bei euch ein Museum« »Für mich<br />

wäre das nichts«, eröffnet Norbert<br />

Wittlich die Diskussion, der Wein<br />

fast so sehr wie alte Autos liebt – er<br />

sammelt sie gemeinsam mit Schuster.<br />

»Ich will meine Autos fahren und<br />

meinen Wein genießen. Flaschen<br />

abstauben finde ich langweilig.«<br />

»Soll man Weine wie diese Gaja-<br />

Granaten nun sammeln oder trinken«,<br />

fragt einer der Gäste in die<br />

Runde. »Ich kenne Sammler, die<br />

haben die größten Weine der Welt im<br />

Keller, aber wissen nur aus Büchern,<br />

wie sie schmecken. Sie kaufen und<br />

F I N E<br />

T a s t i n g<br />

51


verkaufen, sie öffnen ihre Flaschen<br />

aber nur höchst selten. <strong>Das</strong> ist keine<br />

Leidenschaft, das ist Geschäft«, antwortet<br />

Weinsammler Zender und<br />

blickt empört in die Runde. »Ich<br />

sammle, um zu trinken. Daher kann<br />

ich warten, bis meine Weine gereift<br />

sind. Wenn ich denke, der Zeitpunkt<br />

ist richtig, öffne ich sie. Manchmal<br />

habe ich dabei Pech, manchmal<br />

großes Glück. Irgendeine Preisentwicklung<br />

in Hongkong ist mir dabei<br />

so was von egal.«<br />

Weintrinken mit Leidenschaft ist<br />

ein Risiko wie das Fahren schneller<br />

Limousinen. Bei Angelo Gaja vereinen<br />

sich diese beiden aspekte: Der<br />

Wein-Pionier des Piemont liebt<br />

Autos und fährt gerne schnell, manchmal<br />

sehr schnell. Der Konjunktiv<br />

beschreibt das Risiko: Was wäre,<br />

wenn … Was wäre, wenn man den<br />

seltensten Wein seiner Sammlung zu<br />

einem Anlass öffnet, der angemessen<br />

ist, aber zum falschen Zeitpunkt<br />

stattfindet Der Wein ist verschlossen,<br />

voller Gerbstoffe, ohne Eleganz.<br />

Enttäuschung auf der ganzen Linie.<br />

Und drei Jahre später würde er sich<br />

wieder öffnen, komplex und voller<br />

Harmonie mit unendlicher Länge<br />

Aus, vorbei. »Wer mit seinem alten<br />

Rennwagen die Strecke, die Technik<br />

oder die eigenen Fahrkünste unterschätzt,<br />

verliert nicht nur das Rennen,<br />

sondern vielleicht sogar den Wagen,<br />

die Gesundheit, das Leben«, sinniert<br />

Autofan Schuster und widmet sich<br />

noch einmal dem fast leeren Glas<br />

mit dem eleganten, runden 1999-er.<br />

Nun folgt wieder Costa<br />

Russi, diesmal 2004,<br />

1998, 1996 und 1995. Schon beim<br />

Beschnuppern wird klar, dass diese<br />

Weine eine Eigenschaft teilen: Ihre<br />

Verschlossenheit. Der 1996-er wirkt<br />

mit Noten nach Pflaume, Kirsche<br />

und Vanille fast noch jung. Aber er<br />

hat unbändige Kraft und die Struktur<br />

guter Säure. Der 1998-er ist ein Fall<br />

für sich: Erst sträubt er sich, zeigt sich<br />

verschlossen wie ein Tresor. Erst nach<br />

einer Viertelstunde lüftet er den Vorhang<br />

ein wenig, dann ganz langsam<br />

immer weiter. Aromen nach Himbeeren,<br />

mediterranen Kräutern und<br />

Leder verbinden sich auf wunder bare<br />

Weise, Stoffigkeit und Säure harmonieren<br />

mit seinem Volumen. Er ist<br />

weniger elegant, eher kraftvoll, mit<br />

ein paar schönen Ecken und Kanten.<br />

Ein Meisterstück. So einen Wein<br />

unterschätzt man auch mit Erfahrung<br />

recht schnell, vor allem bei Verkostungen.<br />

Der Probenrhythmus<br />

ist nicht der seine. Ist die Gruppe<br />

längst weitergezogen durch Lagen<br />

oder Jahre, vielleicht ein wenig enttäuscht,<br />

öffnet er sich, oft unbeachtet.<br />

Obwohl diese Entwicklung ja einen<br />

großen Wein ausmacht. Es wäre ein<br />

Jammer.<br />

»<strong>Das</strong> ist Schönheit auf den zweiten<br />

Blick«, resümiert Schuster, »wir<br />

haben das auch bei unseren Autos oft<br />

erlebt. Manchmal braucht man einfach<br />

viel Zeit, bis man etwas erkennt,<br />

an dem man oft einfach vorbei gegangen<br />

ist. Es gibt im Leben den richtigen<br />

Zeitpunkt für ein altes Auto.«<br />

<strong>Das</strong> Phänomen des 98-er Costa Russi<br />

bildet diesen Erkenntnisprozess<br />

im Zeitraffer ab. Bei alten Autos<br />

kann es Jahre dauern, beim Wein<br />

reicht manchmal eine halbe Stunde.<br />

Beruhigend.<br />

Nun wird es auch Zeit für alte<br />

Weine. Sori Tildin der Jahre 1973,<br />

1971, 1970 kommt in die Gläser. Es<br />

sind die ersten Weine, die Gaja auf<br />

seiner Premiumlage erzeugt hat.<br />

Wir verkosten spannende Weine<br />

aus einer anderen Zeit. Gaja experimentierte<br />

damals mit aus Frankreich<br />

importierten Barriques, die es<br />

vor ihm im Piemont gar nicht gab. Bei<br />

Autos würde man diese drei Weine<br />

als Proto typen bezeichnen. Sie<br />

zeigen die Richtung und die Philosophie,<br />

ohne jedoch den Anspruch<br />

auf Perfektion zu erheben. So schmecken<br />

diese Weine auch: Der 1973-er<br />

nach Bienen wachs und Himbeeren<br />

mit einer intakten Struktur und<br />

vielen Altersnoten. Der 1971-er bietet<br />

aromen nach Wachs, Konfitüre und<br />

Ingwer, mit knackiger Säure und<br />

gutem Nachhall. Und der 1970-er hat<br />

etwas Archaisches: Aromen nach antikem<br />

Holz, Mahagoni, Möbelpolitur<br />

52<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


Klassiker des Automobilbaus und große alte<br />

Weine können perfekte Sammlerstücke sein –<br />

mit Ecken und Kanten, mit Altersnoten, etwas<br />

ganz Besonderes für Puristen.<br />

und Espresso mit gerundeten Gerbstoffkanten,<br />

viel Volumen und Alterstönen.<br />

Es sind keine Weine für eine<br />

Loge im Genusshimmel, doch sie zeigen<br />

klar die Basis, aus der sich Gajas<br />

Weinstil entwickelte.<br />

Es geht zurück zum Costa Russi.<br />

Die Jahrgänge 1982 und 1979 werden<br />

ausgeschenkt. Waren eben die »Vorserienmodelle«<br />

im Glas, sind es nun<br />

zwei zeitlose Klassiker, die nach<br />

rund dreißig Jahren strahlen. Vielleicht<br />

die beiden besten Weine dieses<br />

Vergleichs: Sie zeigen Beerenfrucht,<br />

Mineralität, Feinheit, Würze, Komplexität<br />

und Eleganz – der 1982-er<br />

noch eine Nuance deutlicher als der<br />

ebenso großartige 1979-er. Sie sind in<br />

Würde alt geworden, haben Tiefe und<br />

erklären eindrucksvoll, warum der<br />

Name Gaja zu den größten der Weinwelt<br />

Italiens zählt. Sie ver körpern<br />

Freude und Freundschaft, haben<br />

etwas Verschwenderisches. Nach dem<br />

zweiten Schluck ruft Zender: »Diese<br />

Weine darf man nicht verkosten. Man<br />

muss sie trinken. Würde ich sie nicht<br />

über Kehle laufen lassen – ich könnte<br />

sie gar nicht genießen, niemals!«<br />

»Sind diese beiden Weine für euch<br />

Klassiker«, fragt Norbert Wittlich<br />

über die Gläserreihen hinweg. Die<br />

Köpfe am Tisch nicken. »Ich vergleiche<br />

sie mit dem Rolls Royce Chinese<br />

Eyes«, fügt er hinzu, »der Wagen<br />

strahlt auch nach fünfundvierzig<br />

Jahren die aristokratische Eleganz<br />

und Linienführung aus, die diese<br />

Marke durch ihre ganze Geschichte<br />

auszeichnet hat. Es gab übrigens nur<br />

siebenundzwanzig Stück in seinem<br />

Baujahr 1964.« Wolfgang Zender<br />

nickt bedächtig. »Im Wein kann man<br />

Klassiker nicht schaffen, nur die Voraussetzung<br />

dazu. Jede Handlung im<br />

Ausbau ist auf eine Zukunft gerichtet,<br />

die niemand vorhersehen kann.<br />

Im besten Fall wird nach Jahrzehnten<br />

das Besondere eines solchen Weins<br />

zu einem Teil der Marke Gaja, und ihr<br />

Können sorgt dafür, dass diese Weine<br />

nicht in Vergessenheit geraten, sondern<br />

geöffnet werden und über sie<br />

gesprochen wird.« Die heutige Automobilindustrie<br />

mit ihrem Drang nach<br />

glatter, geräuschloser Perfektion<br />

schafft keine Klassiker. Die Modelle<br />

sind erfüllt von Kundenbedürfnissen<br />

und Mainstream, von Technologie,<br />

Zeitgeist und Mode. <strong>Das</strong> ist<br />

der internationale Stil globalisierter<br />

Märkte, mit dem im Wein bislang<br />

wenig Klassiker entstanden sind. Die<br />

Weine lassen sich gut trinken, bieten<br />

gute Qualität. Im Glas sind sie offen<br />

wie ein aufgeschlagenes Buch. Aber<br />

sie haben nichts, das Jahrzehnte überdauern<br />

würde. Aber auch nicht alle<br />

alten Autos werden Sammlerstücke.<br />

Der Gastgeber kündigt die letzten<br />

vier Weine der Verkostung an.<br />

Diesmal stammen sie aus Gajas dritter<br />

Einzellage, dem Sori San Lorenzo.<br />

1967 entstand hier Gajas erster<br />

Einzel lagen-Wein. Wir schwenken<br />

ihn im Glas. Daneben stehen der<br />

1968-er, der 1979-er und der 1986-er.<br />

Wieder ein Prototyp, mit Wachs,<br />

Honig, Holz und Pferdeschweiß,<br />

dazu Sherry noten, Maha goni und<br />

Firn mit noch immer langem Nachhall.<br />

Diese Ecken und Kanten sind<br />

es, die aufmerken lassen. Auch er ist<br />

nicht perfekt. Dieser Wein ist wie<br />

ein Classic Car. Denn auch die sorgsam<br />

gehegten Modelle rußen, stinken,<br />

haben Kurzschlüsse, verlieren<br />

Öl, sind unbequem. »Aber sie vermitteln<br />

ein so direktes und pures<br />

Fahrgefühl, das kein modernes Auto<br />

mit all seiner Technologie bieten<br />

kann«, sagt Norbert Wittlich, »und<br />

so empfinde ich auch diesen Wein.<br />

Er ist das perfekte Sammler stück. Mit<br />

Ecken und Kanten. Mit Altersnoten.<br />

Und dennoch ein ganz besonderer<br />

Wein für Puristen.« Er nimmt noch<br />

einen kleinen Schluck und erzählt<br />

von seinem Jaguar XK 120 aus dem<br />

Jahr 1951, dem ältesten Fahrzeug in<br />

der Halle. Eine alte Dame aus Los<br />

angeles verkaufte ihm den einst luxuriösen<br />

Wagen in desolatem Zustand.<br />

Zuhause beschlossen Schuster und<br />

Wittlich zunächst, den Wagen komplett<br />

zu restaurieren. Doch sie entschieden<br />

anders: »Wir haben ihn<br />

nur ganz sorgfältig poliert. Er sollte<br />

seine Macken behalten. Schließlich<br />

gehören sie zu seiner Vergangenheit.«<br />

Der Wein sammler seufzt: »<strong>Das</strong><br />

unterscheidet eure Leiden schaft von<br />

meiner. Ich kann Wein weder restaurieren<br />

noch polieren. Ich kann<br />

Flaschen nicht warten. Ich kann nur<br />

warten.« ><br />

F I N E<br />

T a s t i n g<br />

53


Fine-Verkostung<br />

Die Weine der drei grossen Einzellagen von Angelo Gaja<br />

Präsentiert von: Fine <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong><br />

Ort: Sprendlingen, am 19. Juni <strong>2010</strong><br />

Verkoster: Uwe Kauss<br />

Gäste:<br />

Ralf Frenzel, Axel Hörger, Uwe Kauss,<br />

Stephan Köhler, Axel König, Juha Lithonen,<br />

Rene Meisner, Rainer Schuster, Klaus Westrick,<br />

Norbert Wittlich, Wolfgang Zender<br />

2005 Sori Tildin 95 P<br />

In der Nase Himbeeren, Kohle und Teer. Am Gaumen Beeren, Wach older,<br />

etwas Kohle mit intensivem Tanningerüst. Dabei elegant, seidig und<br />

leichtfüßig.<br />

2000 Sori Tildin 91 P<br />

Nase nach Johannisbeeren. Im Mund Himbeeren, Johannisbeeren. Sehr<br />

rund und fein, etwas wenig Struktur, dennoch sehr elegant. Langer, fülliger<br />

Nachhall.<br />

1997 Sori Tildin 96 P<br />

Duft nach schwarzer Johannisbeere und Kräutern. Im Mund Rosmarin,<br />

Johannisbeeren, mediterrane Kräuter, viel Kohle. Sehr dicht, rund und komplex<br />

mit wunderbarem Nachhall.<br />

1996 Sori Tildin 94 P<br />

Verhaltene Nase nach antikem Holz. Im Mund Kaffee, Espresso, Kakao bohne.<br />

Sehr homogen und kompakt. Schöner, intensiver Nachhall.<br />

1993 Sori Tildin 90 P<br />

Aromen nach Herzkirsche und Vanille. Am Gaumen bereits sehr gereift,<br />

tanninbetont mit intensiven Fruchtnoten, dazu Vanille und Karamel. Sehr<br />

internationaler Stil.<br />

1973 Sori Tildin 87 P<br />

Aromen nach Bienenwachs und Himbeere. Etwas Mineralität, intakte<br />

Struktur.<br />

1971 Sori Tildin 90 P<br />

Noten nach Wachs, Ingwer und dunkler Konfitüre. Nicht zu intensiv,<br />

knackige Säure, wunderbar langer Nachhall.<br />

1970 Sori Tildin 91 P<br />

In der Nase antikes Holz und Möbelpolitur. Am Gaumen Espresso, Mahagoni<br />

mit schön eingebundener, milder Säure. Sehr dicht und stoffig, ein paar<br />

Firnnoten. Sehr lang.<br />

2004 Costa Russi 94 P<br />

In der Nase ein Hauch Himbeere, am Gaumen viel Mineralität mit schönen<br />

Schiefernoten. Sehr präsent, dicht, rund und komplex. Eleganter Nachhall.<br />

1999 San Lorenzo 95 P<br />

Intensive Frucht in der Nase. Im Mund sehr rund und elegant, etwas Karamel,<br />

feiner, langer Nachhall.<br />

1998 Costa Russi 92 P<br />

Präsente Aromen nach Himbeere und Leder. Im Mund Beeren, Kräuter<br />

und kraftvolle Tannine, dazu knackige, intensive Säure. Ein Wein mit sehr<br />

viel Kraft und Energie.<br />

1996 Costa Russi 94 P<br />

In der Nase Pflaume, Kirsche und Vanille. Im Mund elegante Noten nach<br />

Frucht und Mineraliät, viel Druck, dabei eine elegante, feine Säure. Etwas<br />

verschlossen, fast noch jung.<br />

1995 Costa Russi 91 P<br />

Teer und Noten nach Pflaumen in der Nase. Am Gaumen dazu Kirschen,<br />

ein Hauch Wacholder und Rosmarin. Fast etwas zu stoffig, daher recht verschlossen<br />

und ein wenig unausgewogen.<br />

1982 Costa Russi 96 P<br />

Aromen nach Beeren. Tolle Struktur, kraftvolles Tannin, dazu ein paar Honignoten<br />

und eleganter Nachhall. Ein wunderbar gealterter Wein. Perfekt.<br />

1979 Costa Russi 95 P<br />

In der Nase Mahagoni und Brombeere. Im Mund Teer, Kaffee und Bleistiftnoten.<br />

Tolle Mineralität, feine Komplexität. Sehr elegant und dicht.<br />

1978 Costa Russi<br />

Kork<br />

1996 San Lorenzo 93 P<br />

Feine Fruchtaromen nach Kirsche, Himbeere und Brombeere. Viel Würze,<br />

Teernoten, hoch elegant, sehr komplex, aber nicht zu tief. Seidig.<br />

1993 San Lorenzo 90 P<br />

Ein sehr dichter, filigraner Wein mit Noten nach Mandeln, Haselnüssen und<br />

Kirschen. Fast zart, fragil, dabei mit interessantem Charme.<br />

1990 San Lorenzo 90 P<br />

In der Nase Himbeere, Schokolade, und Kaffee. Im Mund intensiv fruchtbetont<br />

und rund. Die Eleganz wird kontastiert durch eine kraftvolle, aber<br />

gut eingebundene Säure. Internationaler Stil.<br />

1986 San Lorenzo 89 P<br />

Noten nach Espresso, Brombeeren und viel Wacholder. Recht säurebetont,<br />

nicht zu viel Druck, etwas kurzer Nachhall.<br />

1979 San Lorenzo 92 P<br />

Aromen nach Karamel, Kaffee und gut gealtertem Sherry. Ein paar Holznoten,<br />

mit Luft ein wenig Stall. Sehr elegant, fein und wunderbar geschliffen.<br />

1968 San Lorenzo 89 P<br />

Verhaltene Nase nach altem Holz. Am Gaumen Kaffee, Mahagoni, Holz und<br />

mineralische Noten. Elegant, aber nicht zu komplex.<br />

1967 San Lorenzo 89 P<br />

In der Nase Wachs, Honig und Holz und Pferdeschweiß. Im Mund feine<br />

Sherrynoten, Mahagoni und Firn, knackige Säure. Dabei sehr langer, dennoch<br />

dezenter Nachhall.<br />

54<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


COLBATZKY<br />

Unsere Winzer gehen ihre eigenen Wege. Und das kommt an.<br />

Die Neugier führte sie zu Weingütern in<br />

aller Welt, ihre Heimatliebe wieder nach<br />

Rheinhessen. Jetzt machen unsere Winzer ausgezeichnete<br />

Weine jenseits ausgetrampelter<br />

Pfade. Unsicher waren sie sich nur, ob man<br />

das in wenigen Zeilen vermitteln kann. Mehr<br />

Wissenswertes unter www.rheinhessenwein.de


<strong>Das</strong> Buch zum Jubiläum – ab sofort im Buchhandel<br />

und überall wo es gute Bücher gibt.<br />

vdp@tretorri.de


Johannes Denk, der berühmte »Wein-Pfarrer«<br />

und Galionsfigur des Wachauer Weins, hebt<br />

das von ihm inspirierte Universalglas von Zalto<br />

mit einem frischen Grünen Veltliner ans Licht.<br />

Sinn und<br />

Zalto ist ein Weinglas, das vom Wein her ersonnen wurde. Von einem Weinliebhaber für Weinliebhab<br />

90<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


Sinnlichkeit<br />

er. Mit Proportionen zwischen Wein und Glas, die gewagt und stimmig sind – ein neues Kapitel einer alten Beziehung<br />

Text: Till Ehrlich Fotos: Thomas Schauer<br />

F I N E<br />

L i f e s t y l e<br />

91


Ein gutes Weinglas ist ein GefäSS und soweit<br />

ein Gegenstand. Gefüllt aber ist es ein Gegenüber,<br />

das einen Wein in Frage stellen und mit<br />

ihm korrespondieren kann. Edler Wein ist nicht<br />

nur rund und harmonisch, er birgt auch ein<br />

moment der Spannung in sich – einen kleinen<br />

Wider stand. Auf diesen komplexen Wesenszug,<br />

der den GUten Wein vom mediokren unterscheidet,<br />

spielt der Kelch des mundgeblasenen<br />

Zalto- Glases mit seiner gerundeten Eckigkeit<br />

an. Er biegt ab, statt anzuecken, ruft die Zeit<br />

des Art déco wach und erzeugt eine Spannungser<br />

Wartung an den Wein. Dieses sublime Moment<br />

unter scheidet Zalto von den meisten modernen<br />

aroma- und Degustationsgläsern, die überwiegend<br />

industriell gefertigt sind und oft eine<br />

eindimensionale und übertrieben bauchige oder<br />

eiförmige Form haben. Gegenüber dieser etwas<br />

lanG WEiligen Gastro nomiekonvention sind die<br />

Weingläser der Zalto-Serie eine Alternative.<br />

Lukas Pichler probiert<br />

im lichten Verkostungs raum<br />

des Weinguts F. X. Pichler<br />

einen großen Veltliner<br />

smaragd aus den Burgundergläsern<br />

von Zalto.<br />

<strong>Das</strong> »Universalglas« kann man in seinen Proportionen als das in sich<br />

stimmigste Glas dieser Serie bezeichnen. Es besitzt eine innere<br />

Spannung und äußere Fragilität, die sich vor allem auf die eckige<br />

Anmutung der Kelchform zurückführen lässt. Eine Ecke entsteht bekanntlich,<br />

wenn zwei Geraden aufeinander treffen; Gläser mit Ecken und Kanten<br />

kamen besonders in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen<br />

Jahrhunderts auf und sind wieder vergessen worden. Mit ihrer Kantigkeit<br />

wirkten sie oft unsinnlich, ja bedrohlich, was einem Weinglas, das das<br />

Gefäß für das edelste und komplexeste aller Getränke sein soll, wesensfremd<br />

ist. <strong>Das</strong> Raffinierte beim Zalto-Glas ist aber, dass der eckige Bauch<br />

des Kelchs durch einen sanften Schwung gerundet ist, wodurch unsinnliche<br />

Kanten vermieden werden und eine Art eleganter Knick entsteht,<br />

der im Zusammenspiel mit dem Wein eine erstaunliche Wirkung erzeugt.<br />

Sie wird dadurch erhöht, dass der untere Teil des Glases mit Rundungen<br />

laboriert. So wird die Lichtführung der Ränder fließend und kristallin.<br />

92<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


In seinem Weinberg<br />

erfreut sich Hans tschida<br />

am Farbspiel seines<br />

Weins im Süßweinglas<br />

von Zalto.<br />

Ein mit Wein gefülltes Glas hat eine andere Anmutung als ein leeres, was<br />

sich besonders an der Füllhöhe beobachten lässt. <strong>Das</strong> Zalto-Glas lädt ein,<br />

mit ihr zu spielen. So erreicht es höchste Raffinesse, wenn es gut einen bis<br />

eineinhalb Daumen hoch über dem Knick gefüllt ist. Denn wenn das Eckige<br />

überschritten wird, entsteht ein Gefühl von Großzügigkeit, wodurch<br />

das Glas auf einen Wesenszug der Weinkultur anspielt: Man gönnt nicht<br />

nur sich allein, sondern auch den Seinen den guten Wein, indem man ihn<br />

mit ihnen teilt, womit ein vergänglicher Augenblick zu einem unvergesslichen<br />

Ereignis werden kann.<br />

Der Stiel ist erstaunlich dünn und dabei elastisch, weil er – wie das gesamte<br />

Glas – aus weichem Kristallglas besteht, das weder Blei- noch andere<br />

Metalloxide enthält. Dieser Stiel suggeriert Zerbrechlichkeit, obwohl er<br />

die nötige Festigkeit besitzt. Er endet in einem sehr breiten und flachen<br />

Fuß. Dieser wirkt der Fragilität entgegen und gibt dem Glas Stabilität.<br />

Es ist ein mundgeblasenes Glas, das in der Tradition der europäischen<br />

Glaskunst steht. Mit der Glaspfeife nimmt der Glasbläser einen Batzen<br />

von der eintausenddreihundert Grad heißen, glühenden Kristallschmelze<br />

auf und bläst sie frei zu einer kleinen Blase an. Sodann wird sie in einen<br />

Model eingeblasen, wobei der Kelch entsteht. Der Stiel wird mit einer<br />

Eisenzange aus dem noch heißen Kelch herausgezogen. Nun wird der<br />

Fuß frei geformt und rasch angesetzt, solange das Glas heiß ist. Es wird<br />

dabei von unten nach oben gezogen.<br />

Doch die Wahrnehmung des fertig geblasenen Glases ist entgegensetzt:<br />

Man hat die Vorstellung, dass es von oben nach unten fließt. Der Stiel<br />

löst dabei die Assoziation einer dicht glänzenden Dickflüssigkeit aus, die<br />

vom Kelch konzentriert nach unten zum Glasfuß fließt. Die Lichtwirkung<br />

ist geschmeidig, sanft. Zugleich wirkt das Glas kristallin, obwohl es nicht<br />

auf kristallartig harte Kanten hin geschliffen wurde.<br />

Ein mit Wein gefülltes Zalto-Glas wirkt wie ein gefüllter Blütenkelch. Diese<br />

organische Anmutung wird durch die Linsenwirkung des Glases und<br />

die Farbe des Weins erzeugt. Dagegen gibt es bei den Degustationsgläsern<br />

anderer renommierter Erzeuger oft einen Bruch in der ästhetischen<br />

Wahrnehmung, dort macht die rubinrote oder topasartige Farbe des<br />

Weins sichtbar, dass der Kelch auf den Stiel gesetzt ist. <strong>Das</strong> kann gewollt<br />

sein, oder man achtete nicht darauf.<br />

Der Klang des Zalto-Glases ist tief mit einer sehr schönen präsenten<br />

Obertonstruktur – wie ein Glockenklang mit langem Nachhall, der die Stille<br />

nach dem Anstoßen in hörbare Intensität verwandelt. Man bringt das<br />

In Erwartung des Genusses schenkt sich Andreas<br />

Gattinger seinen Riesling Federspiel in das schlanke<br />

Weißweinglas von Zalto.<br />

F I N E<br />

L i f e s t y l e<br />

93


Voller Vorlust blickt Claus<br />

Preisinger zu seinem<br />

Pinot noir im Rotweinglas<br />

von Zalto auf.<br />

Glas zum Klingen, in dem man an der unteren Wölbung der Kuppa, am<br />

Knick, anstößt. Durch das weiche, elastische Material des Glases und den<br />

tiefen Glockenton wird die Eckigkeit der Glasform ausgeglichen.<br />

Die eckige Eleganz des Oberteils steht in einem Spannungsverhältnis<br />

zur Rundung des Unterteils. <strong>Das</strong> erinnert an die avantgardistische Glasgestaltung<br />

vor gut einem Jahrhundert, an die geometrischen Kelch gläser<br />

des Jugendstils und des Art déco, an zeitlose Entwürfe von Koloman<br />

Moser, Josef Hoffmann oder Otto Prutscher für die Wiener Werk stätte,<br />

ausgeführt von den angesehensten Glasmanufakturen Österreich-<br />

Ungarns wie Moser, Gräflich Harrach, Meyers Neffe oder Lötz Witwe.<br />

Diese Glasmacher waren herausgefordert von der neuen Bildarchitektur<br />

und der Welt der Abstraktion. Auch das Zalto-Glas wäre verkannt, würde<br />

man darin nur Rationalismus oder Geometrie sehen. Die komponierten<br />

Winkel und fein abgestimmten Proportionen zeigen, dass hier das Design<br />

den alten Gedanken aufnimmt, flüssiges mit der Idee des Idealkörpers in<br />

Verbindung zu bringen.<br />

94<br />

F I N E 3 / <strong>2010</strong>


Der Vater dieses Glases ist ein Weinliebhaber: Johannes Denk, Pfarrer in<br />

den niederösterreichischen Gemeinden Albrechtsberg und Els im Waldviertel<br />

und Kenner des Wachauer Weinbaus. Er hat das Glas zusammen<br />

mit dem Waldviertler Glasmacher Kurt Zalto entwickelt. Denk hat dabei<br />

seinen Weinverstand und seine langjährige Erfahrung mit guten Weinen<br />

eingebracht. So kam es zu der glücklichen Fügung, dass ein Weinglas<br />

nicht – wie so oft – vom Glasmarketing, sondern vom Wein her gedacht<br />

und verwirklicht wurde. Es ist denn auch das Weinglas eines Weinliebhabers<br />

für Weinliebhaber. Und es ist ein Glas der Winzer geworden, in<br />

wenigen Jahren hat es sich unter den Spitzenwinzern durchgesetzt; das<br />

Gros der österreichischen und italienischen Winzerelite präsentiert inzwischen<br />

seine Gewächse in diesen Gläsern.<br />

Die kulturgeschichtliche und auch räumliche Nähe des Waldviertels zur<br />

Wachau hat eine besondere Bindung zwischen Johannes Denk und den<br />

Wachauer Winzern geschaffen. Vor drei Jahrzehnten hat Denk beim<br />

Weissen kirchener Winzer Franz Zottl den Gedanken des Naturweins<br />

und des ökologischen Weinbaus kennen gelernt. Es war der Beginn eines<br />

fruchtbaren Dialogs, der ihn zu einer vertieften Auseinander setzung mit<br />

der Kultur des Weins anregte. »Dabei hat sich bald er wiesen, dass ich<br />

einen nicht so schlechten Gaumen habe«. Denk sagt, dass er sich dem<br />

Wein nicht von der hedonischen, sondern von der ökologischen seite<br />

genähert habe. Verantwortung und Ethik seien bei ihm nicht vom Wein zu<br />

trennen. Und dazu gehöre auch ein Glas, das den Wein auf eine würde volle,<br />

organische Art ehrt. Die besten Winzer Österreichs tauschen sich gern<br />

mit Johannes Denk aus, vor allem die junge Winzer generation ist offen<br />

für das neue Glas, in dem sie ihre Weine gut zur Geltung gebracht sieht.<br />

Im Weingut F. X. Pichler in der Wachau ist Lucas Pichler davon überzeugt,<br />

dass seine Smaragde, die Rieslinge und Grünen Veltliner Kellerberg<br />

sich am Besten im Burgunderglas von Zalto zeigen. »Es ist schön«,<br />

sagt der junge Winzer, »filigran und eigen«. Auch bei Weingläsern mag<br />

er nicht, wenn sie Schmeichler sind. Die grazile Form schätzt auch Claus<br />

Preisinger, der in Gols am Neusiedlersee intensiven Pinot noir entstehen<br />

lässt. Er bevorzugt für seine schönsten Roten das Burgunderglas. Er findet,<br />

dass sie darin mehr von ihrer tiefen, vitalen Frucht zeigen. Sogar vom<br />

Fass probiert er den Wein mit diesem Glas. »Wenn der Wein im Fass reift,<br />

ist er sehr verschlossen«. <strong>Das</strong> Glas aber setze mit seiner großen Oberfläche<br />

die Weinaromen rasch frei.<br />

Am östlichen Ufer des Neusiedler Sees, im Seewinkel, begutachtet Winzer<br />

Hans Tschida im Zalto-Süßweinglas seine besten Edelsüßen, die Trockenbeerenauslesen.<br />

Der Sämling (Scheurebe) aus dem Jahrgang 2006<br />

funkelt darin wie ein Goldtopas. »Es ist ein feines Glas, wenn ich den Wein<br />

darin schwenke, kommt die Frucht intensiv zum Vorschein.« Tschida hat<br />

sich einen Namen mit edelsüßen Weinen gemacht, die perfekt balanciert<br />

sind und eine wahre Fruchtfülle entwickeln können. »Sie ist beim Süßwein<br />

die Pointe.« Der junge Wachauer Andreas Gattinger schätzt wiederum<br />

das schlanke Weißweinglas aus der Zalto-Serie für seinen mineralischen,<br />

trockenen Federspiel, den er vom Riesling keltert und der in den<br />

Urgesteinsterrassen von Weissenkirchen gedeiht. Gattinger macht mit<br />

einem reintönigen Weinstil auf sich aufmerksam, der auf Effekte verzichtet.<br />

Sein 2009-er Smaragd aus der Lage Steinriegl zeigt sich im Universalglas<br />

nuanciert mit köstlichem Schmelz. »So ein Weinglas«, sagt Andreas<br />

Gattinger, »kann man nicht ohne Weinseele machen«. ><br />

In der Weinlandschaft der Wachau<br />

entstand die Vision der federleichten<br />

Gläser kollektion von Zalto.<br />

F I N E<br />

L i f e s t y l e<br />

95


Mit Gaggenau beginnt perfekter Weingenuss schon vor dem Öffnen der Flasche.<br />

Der Unterschied heißt Gaggenau.<br />

Zum Genuss gehört immer auch das Warten auf den perfekten<br />

Moment. Genau das wird mit unseren Weinklimageräten<br />

zum sinnlichen Erlebnis: Sie erfreuen das Auge<br />

und bestehen aus Materialien, deren besondere Güte<br />

fühlbar ist. Zudem reifen Ihre Schätze hier auf vibrationsarmen<br />

Flaschenablagen in separaten Klimazonen. Der<br />

Anspruch ist dabei der gleiche, den Sie auch an exzellente<br />

Jahrgänge haben: Perfektion für alle Sinne.<br />

Informieren Sie sich unter 01801.11 22 11 (3,9 Ct./Min. a.d.<br />

Festnetz der T­Com, mobil ggf. auch abweichend) oder unter<br />

www.gaggenau.com.

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