Phänomene - Junge Wissenschaft
Phänomene - Junge Wissenschaft
Phänomene - Junge Wissenschaft
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<strong>Junge</strong><br />
Jugend forscht<br />
9,50 EUR // Ausgabe Nr. 92 // 26. Jahrgang // 2011<br />
1<br />
<strong>Wissenschaft</strong><br />
Jugend forscht in Natur und Technik<br />
Young Researcher<br />
The European Journal of Science and Technology<br />
Young Researcher<br />
Medienpartner des<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sjahres 2011<br />
Mathematische<br />
Phänomene<br />
Themen:<br />
Der intelligente Schutzhandschuh // Das Geheimnis der<br />
Gefühle // Ein Polymer ohne Erdöl // Auf den Spuren von Weber<br />
und Gauß // Energie in Flüssigkeiten speichern<br />
Das Magazin<br />
für Nachwuchsforscher<br />
Innovative Experimente, wissenschaftliche Beiträge und spannende Ergebnisse:<br />
Außerdem im Heft: Ein Plädoyer für die Mathematik // Mathe gucken //<br />
Ingenieure für neue Branchen gesucht // Jenseits von Ölen // Raus aus<br />
dem Labor, rein in die Schule u. v. m.
Jugend forscht<br />
2<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 92 // 2011<br />
Apple on Campus<br />
bis zu 12 % Rabatt<br />
www.apple.com/de/aoc<br />
TM und © 2010 Apple Inc. Alle Rechte vorbehalten. Apple, das Apple Logo, Mac und Mac OS X Snow Leopard sind<br />
Marken der Apple Inc., die in den USA und weiteren Ländern eingetragen sind.<br />
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Editorial<br />
Dank<br />
Vielen Dank allen Firmen und<br />
Unternehmen, die mit Patenschaftsabonnements<br />
in die Zukunft investieren:<br />
Prof. Dr. Wilfried Kuhn,<br />
Villmar/Gießen<br />
Physikalisch<br />
Technische<br />
Bundesanstalt<br />
Braunschweig und Berlin<br />
Physikalisch-Technische Bundesanstalt<br />
Braunschweig und Berlin<br />
Das Aha Gefühl<br />
Im März dieses Jahres nahmen rund<br />
870000 Kinder und Jugendliche aus über<br />
9000 Schulen am Känguru Wettbewerb<br />
teil. Dieser Wettbewerb gehört damit zu<br />
den teilnehmerstärksten Schülerwettbewerben<br />
in Deutschland. Wer ein Känguru sein<br />
will, muss nicht besonders weit springen<br />
können oder eine Sportskanone sein, sondern<br />
Spaß am Rätseln und Knobeln haben.<br />
Der Känguru Wettbewerb ist nämlich<br />
ein Mathematik Wettbewerb.<br />
Physikalisch<br />
Die Aufgaben<br />
sind vielfältig und bewusst Technische nicht allzu<br />
Bundesanstalt<br />
schwer. Den Erfindern des Braunschweig Wettbewerbs,<br />
und Berlin<br />
australischen Mathematik-Professoren, war<br />
es wichtig, dass jeder etwas lösen kann. Das<br />
Erfolgserlebnis steht im Vordergrund. Und<br />
das Konzept geht auf: Während der 75 Minuten<br />
Bearbeitungszeit rauchen die Köpfe,<br />
glühen die Wangen und anschließend wird<br />
sehnsüchtig auf die Auswertung gewartet.<br />
Mathematik kann Spaß machen.<br />
Martin Mattheis, Mathematiklehrer und<br />
Dozent für Didaktik Physikalisch-Technische der Mathematik Bundesanstalt an<br />
Braunschweig und Berlin<br />
der Universität Mainz, beschreibt diesen<br />
besonderen Spaß wie folgt: „Das besonders<br />
Schöne an der Mathematik ist das erhebende<br />
Aha Gefühl, wenn man es selbst geschafft<br />
hat, ein Problem nach längerem und<br />
intensivem Nachdenken zu knacken.“<br />
Mathematik macht also nicht nur Spaß,<br />
sondern erfordert Arbeit. Der Weg zur<br />
Lösung eines Problems ist nicht immer geradlinig,<br />
es gibt Sackgassen und Umwege.<br />
Was nachher scheinbar völlig klar vor einem<br />
liegt, ist das Ergebnis intensiver Anstrengung.<br />
Fach. Dies zeigt eine Studie des Stifterverbandes<br />
der Deutschen <strong>Wissenschaft</strong> vom<br />
März 2011. In der Presse führte dies dann<br />
zu Überschriften wie „Harte Fächer sind<br />
den Deutschen viel zu anstrengend“ oder<br />
„Ingenieur ist uns zu schwör“. In deutschen<br />
Schulen und Hochschulen muss es wieder<br />
mehr Anstrengung in Mathematik geben.<br />
Es kann nicht sein – wie selbst erlebt –,<br />
dass nur etwa die Hälfte einer Studierenden<br />
Gruppe im 1. Semester Maschinenbau<br />
weiß, wie man den Extremwert einer<br />
Funktion berechnet. Wer als Dozent bei<br />
einer solch typischen Fragestellung aus der<br />
Schulmathematik in fragende Gesichter<br />
schaut, ist ratlos. Der Fachkräftemangel in<br />
Deutschland, der vor allem ein Mangel in<br />
den technischen und naturwissenschaftlichen<br />
Disziplinen ist, ist noch lange nicht<br />
überwunden und wird uns noch viele Jahre<br />
begleiten: Die Politik freut sich zwar über<br />
aktuell steigende Absolventenzahlen in den<br />
MINT Fächern. Doch diese lagen 2009<br />
gerade mal auf dem Niveau von 1995!<br />
Anstrengung ist Jungforschern, die erfolgreich<br />
sein wollen, nicht fremd. Gerade jetzt<br />
in der heißen Phase des Wettbewerbs werden<br />
Wochenendschichten eingelegt und<br />
die Weihnachtsferien für umfangreiche Experimente<br />
eingeplant. Ich bin sicher, Aha<br />
Gefühe – wie oben beschrieben – werden<br />
dabei nicht zu knapp sein.<br />
Dr. Sabine Walter,<br />
Mitherausgeberin und Chefredakteurin<br />
der <strong>Junge</strong>n <strong>Wissenschaft</strong><br />
3<br />
Young Researcher<br />
Mathematik gilt als die hohe Hürde im Ingenieurstudium<br />
und ist doch unverzichtbar,<br />
wie Sie auf den Seiten 10 und 11 lesen können.<br />
Etwa 40 % aller Studenten der Mathematik,<br />
Ingenieur- und Naturwissenschaften<br />
brechen ihr Studium ab oder wechseln das<br />
Impressum<br />
Gründungsherausgeber:<br />
Prof. Dr. rer. nat. Paul Dobrinski †<br />
Herausgeber:<br />
Prof. Dr. Manfred Euler,<br />
Dr. Dr. Jens Simon,<br />
Dr.-Ing. Sabine Walter<br />
Verlag:<br />
Verlag <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Athanasios Roussidis<br />
Neuer Zollhof 3<br />
40221 Düsseldorf<br />
Chefredaktion:<br />
Dr.-Ing. Sabine Walter<br />
s.walter@verlag-jungewissenschaft.de<br />
Redaktion:<br />
Areti Karathanasi, Ekrem Atmis<br />
Erscheinungsweise:<br />
vierteljährlich<br />
Preis:<br />
30,00 € zzgl. Versand für 4 Ausgaben;<br />
Schüler, Studenten, Referendare, Lehrer<br />
zahlen nur 20,00 € zzgl. Versand;<br />
Einzelpreis: 9,50 € zzgl. Versand<br />
Anzeigen:<br />
André Mayer<br />
Telefon (02 11) 20 95 13 81<br />
a.mayer@verlag-jungewissenschaft.de<br />
Grafik & Layout:<br />
Ideenfilter Werbeund<br />
Designagentur GmbH<br />
Neuer Zollhof 3, 40221 Düsseldorf<br />
Antje Bunzel, Martin Richelmann<br />
Objektleitung<br />
Areti Karathanasi<br />
Telefon (02 11) 38 54 89 12<br />
a.karathanasi@verlag-jungewissenschaft.de<br />
Bilder:<br />
aboutpixel.de, photocase.de, sxc.hu,<br />
pixelio.de, fotolia.de<br />
Druck:<br />
Tannhäuser Media GmbH<br />
Büttgenbachstraße 7<br />
40549 Düsseldorf<br />
Geschäftsbedingungen:<br />
Es gelten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />
des Verlags <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Athanasios Roussidis<br />
ISSN 0179-8529
Magazin Inhalt<br />
4<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 92 // 2011<br />
10<br />
64<br />
Ingenieure für neue<br />
Branchen gesucht<br />
Ingenieure träumen von großen<br />
Maschinen und wollen Kraftwerke,<br />
Flugzeuge oder Autos bauen. Sie<br />
arbeiten gerne dort, wo auch viele<br />
andere Ingenieure tätig sind, weil man<br />
sie dort am besten versteht.<br />
Ein Plädoyer für die Mathematik<br />
Schwankende Brücken, gigantische Musikbibliotheken, turbulente<br />
Strömungen: „Mathematik ist überall!“ Mit Gemeinplätzen wie diesem<br />
versucht man heute, wieder mehr junge Leute zum Studium der Mathematik<br />
zu bewegen. Aber stimmt das wirklich<br />
Automobil- und Flugzeugbauer, sowie<br />
Maschinenbauunternehmen sind<br />
die favorisierten Arbeitgeber junger<br />
Absolventen. Doch es lohnt sich, einen<br />
Berufsstart in den Branchen der Life<br />
Sciences zu suchen.<br />
Editorial 3<br />
Inhalt 4 – 5<br />
Neues 6 – 9<br />
Brennstoffzellen in der Tiefsee 6<br />
Die besondere Nachricht:<br />
Wie kommt das Neue in die Welt 7<br />
Benfords Gesetz entlarvt<br />
Zahlenfälscher 7<br />
Großer Schritt auf dem Weg zur<br />
Neudefinition des Kelvin 8<br />
Ein mathematisches<br />
3D-Puzzle 9<br />
Magazin I 10 – 15<br />
Ein Plädoyer für die Mathematik 10<br />
Mathe gucken – Schüler erstellen<br />
Podcast für den Unterricht 12<br />
Wie aus Jungforschern junge<br />
<strong>Wissenschaft</strong>ler werden 15<br />
Magazin II 58 – 74<br />
Jenseits von Ölen 58<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sjahr 2011:<br />
Forschen für unsere Gesundheit –<br />
Die Medizin der Zukunft 60<br />
Forschungsbörse:<br />
Raus aus dem Labor, rein in die<br />
Schule 62<br />
Neues aus „MINT":<br />
Ingenieure für neue<br />
Branchen gesucht 64<br />
Studien- und Berufsführer:<br />
Masterstudiengänge<br />
Ingenieurwissenschaften 66<br />
Literaturtipps 73<br />
Jugend forscht 16 – 57<br />
Der intelligente Schutzhandschuh<br />
Ein Schutzhandschuh mit<br />
Warnfunktion durch<br />
pH-Indikatoren 16<br />
Das Geheimnis der Gefühle<br />
Neurobiologische Aspekte und<br />
spezifische Differenzen bei<br />
der Ausprägung bewusster<br />
Emotionen 22<br />
Ein Polymer ohne Erdöl<br />
Herstellung und Analyse der<br />
Eigenschaften eines Glycerin-<br />
Citronensäure-Polyesters 32<br />
Auf den Spuren von Weber<br />
und Gauß<br />
Präzise Messung des Erdmagnetfeldes<br />
mit einer selbstgebauten<br />
Messapparatur 42<br />
Energie in Flüssigkeiten<br />
speichern<br />
Untersuchungen zur<br />
Verbesserung der Redox-Flow<br />
Zelle 50
Der intelligente<br />
Schutzhandschuh<br />
Mit Schutzhandschuhen fühlt man sich im<br />
Labor sicher. Unachtsame Bewegungen mit<br />
verschmutzten Handschuhen können jedoch<br />
unangenehme Folgen haben. Davor warnt in<br />
Zukunft ein spezieller Handschuh.<br />
Autor: Alexander Herms<br />
Das Geheimnis der Gefühle<br />
Gefühle bestimmen unser Leben. Manche<br />
erleben wir stärker, andere schwächer. Welche<br />
Ausprägungen bei Schülern der Mittelstufe<br />
vorliegen, wurde nach verschiedenen Kriterien<br />
untersucht.<br />
Autorin: Ramona Rosenzweig<br />
18<br />
22<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> –<br />
Jugend forscht in Natur<br />
und Technik<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> veröffentlicht Originalbeiträge<br />
junger Autoren bis zum Alter von<br />
23 Jahren mit anspruchsvollen Themen aus<br />
allen Bereichen der Naturwissenschaften<br />
und Technik.<br />
Gründungsherausgeber:<br />
Prof. Dr. rer. nat. Paul Dobrinski †<br />
Herausgeber:<br />
Prof. Dr. Manfred Euler<br />
Dr. Dr. Jens Simon<br />
Dr.-Ing. Sabine Walter<br />
Inhalt<br />
5<br />
Young Researcher<br />
Ein Polymer ohne Erdöl<br />
Kunststoffe werden heute noch überwiegend<br />
aus Erdöl gewonnen. Welche Möglichkeiten<br />
bestehen, aus Glycerin und Citronensäure<br />
Polymere zu gewinnen, wird systematisch<br />
untersucht.<br />
32<br />
Beirat:<br />
Dr. J. Georg Bednorz<br />
Nobelpreisträger<br />
IBM Research Division<br />
Forschungslaboratorium Zürich<br />
Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c.<br />
Manfred Eigen<br />
Nobelpreisträger,<br />
Max-Planck-Institut für<br />
Biophysikalische Chemie,<br />
Göttingen<br />
Autor: Robert Böhme<br />
Prof. Dr. Gerhard Ertl<br />
Nobelpreisträger<br />
Fritz-Haber-Institut der<br />
Max-Planck-Gesellschaft, Berlin<br />
Auf den Spuren von Weber<br />
und Gauß<br />
42<br />
Prof. Dr. Ernst O. Göbel<br />
Präsident der Physikalisch-<br />
Technischen Bundesanstalt,<br />
Braunschweig und Berlin<br />
Das Erdmagnetfeld ist eine sehr kleine Messgröße.<br />
Für Schulzwecke wurde eine Apparatur<br />
gebaut, die so präzise misst, dass Störeinflüsse<br />
von Stahlbeton und Stromleitung erkannt<br />
werden.<br />
Autoren: Felix Keidel, Stefan Groha<br />
Dr. Uwe Groth<br />
VDI Projektleitung<br />
„Jugend entdeckt Technik“,<br />
Hemmingen<br />
Prof. Dr. Elke Hartmann<br />
Universität Halle<br />
VDI Bereichsvorstand<br />
„Technik und Bildung“<br />
Energie in Flüssigkeiten<br />
speichern<br />
50<br />
Dr. Sven Baszio<br />
Geschäftsführer der Stiftung<br />
„Jugend forscht“ e. V.,<br />
Hamburg<br />
Redox-Flow Zellen gelten als eine Option für<br />
die Elektromobilität, da Energie in Flüssigkeiten<br />
gespeichert wird. Ein neu entwickelter Aufbau<br />
verbessert die Dichtigkeit, den Oxidationsschutz<br />
und die Leistung.<br />
Autoren: Sebastian Klick, Michael Garzem, Jens<br />
Nettersheim<br />
Prof. Dr. Bernd Ralle<br />
Schriftführer der Zeitschrift MNU,<br />
Fachbereich Chemie,<br />
Universität Dortmund<br />
Wolfgang Scheunemann<br />
Geschäftsführer der dokeo GmbH,<br />
Stuttgart
Magazin<br />
10<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 92 // 2011<br />
Titelthema<br />
Ein Plädoyer für die Mathematik<br />
Schwankende Brücken, gigantische Musikbibliotheken, turbulente Strömungen: „Mathematik ist überall!“<br />
Mit Gemeinplätzen wie diesem versucht man heute, wieder mehr junge Leute zum Studium der Mathematik<br />
zu bewegen. Aber stimmt das wirklich<br />
Durch die Entwicklung der Mathematik<br />
im 18. Jahrhundert, speziell durch die<br />
Theorie der Differentialgleichungen, öffneten<br />
sich Möglichkeiten für zahlreiche<br />
technische Entwicklungen. Aber es bildeten<br />
sich zwei verschiedene Zugänge<br />
zu den Ingenieurwissenschaften heraus:<br />
In der kontinentaleuropäischen Tradition<br />
zählte die „Höhere Mathematik“ zu<br />
den zentralen Ausbildungssträngen der<br />
Ingenieurwissenschaften; in England<br />
hingegen spielte Mathematik nur eine<br />
untergeordnete Rolle, und die beispiellosen<br />
Ingenieurleistungen der Engländer<br />
im 19. Jahrhundert – Eisenbahn, Brückenbau,<br />
Schiffbau – scheinen ein Beispiel<br />
dafür zu sein, dass Ingenieure auch<br />
ganz gut ohne Mathematik auskommen<br />
können. Solcher Ansicht sind übrigens<br />
auch einige Ingenieure in unserem Land.<br />
Vor kurzem meldete sich ein Bauingenieur<br />
bei mir, der einen meiner verzweifelten<br />
Aufrufe zur Rettung des<br />
Niveaus der Schulmathematik gelesen<br />
hatte. Er schrieb mir, Mathematik sei<br />
in der Ausbildung von Bauingenieuren<br />
verzichtbar, nur Verständnis von<br />
Formeln sei wichtig, die jeder Bauingenieur<br />
in Formelsammlungen nachschlagen<br />
würde.<br />
Blamage für Brückenbauer<br />
Ich war sprachlos, aber es gibt ein modernes<br />
Menetekel, das klar pro Mathematik<br />
spricht: Die Millennium Bridge<br />
– eine Fußgängerbrücke in London<br />
über die Themse. Zwei Tage nach der<br />
Öffnung am 10. Juni 2000 musste diese<br />
Brücke wieder geschlossen werden, nachdem<br />
unkontrollierte Querschwingungen<br />
aufgetreten waren. Eine (mathematische!)<br />
Analyse der Brücke ergab eine viel zu<br />
geringe Dämpfung. Begann die Brücke<br />
durch die Bewegungen der Fußgänger<br />
zu schwingen, dann versuchte jeder<br />
Fußgänger diese Schwingungen auszugleichen<br />
und so gerieten alle in einen<br />
Gleichschritt, dessen Frequenz nahe an<br />
der Resonanzfrequenz der Brücke lag.<br />
Die Brücke musste mit 58 Dämpfern<br />
nachgerüstet werden. Zahlreiche Gründe<br />
wurden gefunden, um diese Blamage<br />
zu erklären, aber Insidern war klar, dass<br />
es bei den Berechnungsingenieuren an<br />
Mathematikkenntnissen gefehlt hatte.<br />
Bleiben wir bei Brücken: Am 7. November<br />
1840 wurde in den USA die<br />
Tacoma-Narrows-Brücke vollständig<br />
zerstört. Sehr früh war sie als „Galopping<br />
Gertie“ bekannt geworden, da<br />
sie zu Schwingungen neigte. Eine Untersuchung<br />
nach der Zerstörung ergab,<br />
dass sich hinter der Brücke durch<br />
Strömungsabriss von Querwinden eine<br />
Wirbelstraße gebildet hatte, deren Frequenz<br />
der Resonanzfrequenz der Brücke<br />
entsprach. Solch ein Desaster ist heute<br />
zwar nicht ausgeschlossen (siehe Millennium<br />
Bridge), aber immerhin steht<br />
jetzt die Mathematik zur Verfügung, um<br />
Brücken bereits vor ihrem Bau im Computer<br />
zu untersuchen.<br />
MP3-Player statt LKW<br />
Insbesondere jüngere Menschen sind<br />
heute kaum noch ohne Kopfhörer anzutreffen.<br />
Aus miniaturisierten Geräten,<br />
sogenannten MP3-Playern, lassen sie<br />
sich mit ihrer Lieblingsmusik beschallen<br />
und tragen dabei meist eine gigantische<br />
Musikbibliothek von mehreren tausend<br />
Titeln mit sich herum – dafür hätte<br />
ein Discjockey 1980 einen LKW voll
Magazin<br />
mationen ein dreidimensionales Bild<br />
des durchstrahlten Gewebes berechnet.<br />
11<br />
Vor jeder Konstruktion eines Maschinenteils steht eine mathematische Berechnung der<br />
Festigkeit und Tragkraft.<br />
Schallplatten benötigt! Möglich macht<br />
diese Fülle von Musik die Mathematik.<br />
MP3 heißt eigentlich „MPEG-1 Audio<br />
Layer 3“ und bezeichnet eine (mathematische)<br />
Kompressionsmethode für<br />
Daten. So etwas kennen wir auch bei<br />
Bildern. Der JPEG-2000 Standard<br />
für die Kompression von Bildern basiert<br />
auf der relativ neuen Technik der<br />
„Wavelets“. Klassischerweise entwickelt<br />
man Daten (und auch Bilder sind nur<br />
Daten) in Fourierdarstellungen, aber<br />
man muss relativ viele Fourier-Koeffizienten<br />
speichern, da Informationen<br />
über Frequenzen über alle Koeffizienten<br />
verstreut sind. Wavelets hingegen sind<br />
nur auf einem kleinen Bereich von Null<br />
verschieden, und sie lassen sich skalieren<br />
und verschieben. Tastet man mit solchen<br />
Wavelets ein Signal ab, dann lassen<br />
sich lokal Aussagen über Frequenzen<br />
machen, und so ist eine hohe Kompressionsrate<br />
erreichbar.<br />
Im Jahr 1917 (!) arbeitete der österreichische<br />
Mathematiker Johann Radon<br />
(1887-1956) an einer Integraltransformation,<br />
die heute „Radon-Transformation“<br />
heißt. Radon integrierte eine<br />
unbekannte Funktion längs einer Geraden<br />
und untersuchte, wie man aus dem<br />
Wert des Integrals auf die Funktion<br />
rückschließen konnte. Es gibt wohl<br />
kein schöneres Beispiel dafür, wie wichtig<br />
letztlich die Grundlagenforschung<br />
in der Mathematik ist! Im Wesentlichen<br />
ist ein Computertomograph<br />
eine Maschine, die permanent Radon-<br />
Transformationen berechnet und mit<br />
Hilfe zahlreicher weiterer mathematischer<br />
Techniken aus diesen Transfor-<br />
Es findet sich immer eine Anwendung<br />
Mathematik wird gerne in reine und<br />
angewandte Mathematik unterschieden.<br />
Das ist jedoch immer weniger<br />
sinnvoll: Immer wichtiger für die<br />
Praxis von Berechnungsingenieuren werden<br />
Computeralgebra-Systeme (CAS)<br />
wie Mathematica oder Maple, die auch<br />
komplizierteste Berechnungen übernehmen<br />
können. Den Kern aller dieser<br />
Systeme bildet „reine“ Mathematik,<br />
im Wesentlichen ist es die Algebra! Es<br />
gehört für mich zu den erstaunlichsten<br />
Entwicklungen der Moderne, dass in<br />
den mächtigen CAS in weiten Teilen<br />
Mathematik regiert, die im 19. Jahrhundert<br />
entwickelt wurde und zu ihrer<br />
Zeit (und lange danach) als unanwendbar<br />
galt.<br />
Mathematik, die heute noch unanwendbar<br />
erscheint, kann in wenigen<br />
Jahren schon im Zentrum irgendeiner<br />
Anwendung stehen.<br />
Thomas Sonar<br />
Young Researcher<br />
Bahnbrechende Entwicklungen<br />
Auch in der Medizintechnik hat die<br />
Mathematik zu enormen Umwälzungen<br />
geführt. Wie selbstverständlich leben wir<br />
heute mit Untersuchungen am Computertomographen<br />
CT oder dem Magnetresonanztomographen<br />
MRT, für<br />
die die Entwickler im Jahr 2003 sogar<br />
den Nobelpreis für Medizin erhielten.<br />
Bei der Tomographie wird der Körper<br />
durch eindimensionale Strahlen „durchleuchtet“.<br />
Die einzige Information, über<br />
die man verfügt, ist dabei der Energieverlust,<br />
den der Strahl bei Durchgang<br />
durch den Körper erleidet. Von einem<br />
Strahl auf das durchstrahlte Gewebe zu<br />
schließen, ist unmöglich. Daher rotiert<br />
der Strahl 360 Grad um den Körper herum<br />
und man bekommt so die Energieverluste<br />
aus ganz verschiedenen Richtungen<br />
durch dasselbe Gewebe. Nun<br />
kommt die Mathematik ins Spiel.<br />
Mit Hilfe der "Radon-Transformation" und vielen weiteren mathematischen Techniken berechnet<br />
der Computertomograph aus den Werten rotierender Strahlen ein dreidimensionales<br />
Bild des durchstrahlten Gewebes.<br />
Über den Autor<br />
Prof. Dr. Thomas Sonar arbeitet und lehrt am Institut<br />
Computational Mathematics der TU Braunschweig. Sein<br />
Artikel ist dem IQ Journal des VDI Braunschweigs zum<br />
Thema „Mathematik als Innovationsschlüssel“ entnommen.
Magazin<br />
13<br />
Wie könnten Sie Ihrer Karriere Flügel verleihen<br />
Wenn Sie sich den großen Herausforderungen der Welt stellen<br />
Indem Sie dabei helfen, Satelliten ins All zu schicken<br />
Young Researcher<br />
In Brainstormings mit Ingenieuren, Mathematikern und Risikomanagern<br />
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Unsere Stärke liegt im Wissen unserer interdisziplinären Teams. Wissen, mit dem<br />
wir komplexe Herausforderungen aus allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft<br />
meistern, von Großbauprojekten über den Klimawandel bis hin zur Raumfahrt. So<br />
entwickeln wir maßgeschneiderte Lösungen für Risiken, die die Menschheit heute<br />
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senschaft<br />
earcher<br />
Ausgabe Nr. 89 // 26. Jahrgang // 2011<br />
<strong>Junge</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong><br />
Jugend forscht in Natur und Technik<br />
The European Journal of Science and Technology<br />
Young Researcher<br />
umanoide<br />
oboter<br />
Zeitalter<br />
Internet<br />
Jugend forscht–Themen:<br />
Auf Napoleons Spur // Es gibt immer einen Weg nach Hause //<br />
Auf direktem Weg nach Hause // Energie aus der Wand //<br />
Die vierte Dimension<br />
Außerdem im Heft: Beim modularen Roboter lernen die Körperteile<br />
einzeln // Der elektronische Küchenjunge lernt ständig dazu //<br />
KISSWIN.DE unterstützt beim Weg in die <strong>Wissenschaft</strong> u. v. m.<br />
Medienpartner des<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sjahres 2011<br />
Jugend forscht<br />
Abo macht schlau!<br />
<strong>Junge</strong><br />
<strong>Wissenschaft</strong><br />
9,50 EUR // Ausgabe Nr. 90 // 26. Jahrgang // 2011<br />
JUBILÄUMSAUSGABE: 25 Jahre <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Jugend forscht in Natur und Technik<br />
The European Journal of Science and Technology<br />
Young Researcher<br />
Das Magazin<br />
für Nachwuchsforscher<br />
Innovative Experimente, wissenschaftliche Beiträge und spannende Ergebnisse:<br />
Medienpartner des<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sjahres 2011<br />
Internationales<br />
Jahr der<br />
Chemie<br />
Das Magazin<br />
für Nachwuchsforscher<br />
Themen:<br />
Das Risiko mit dem Risiko // Opfer der Gravitation // Zahnkronen<br />
aus Zucker// Das Labyrinth der Kreise // Nicht wegwerfen,<br />
sondern aufladen<br />
Außerdem im Heft:<br />
Hacker Kurse an der Universität // 25 Jahre <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> // Biowissenschaften –<br />
So bunt wie das Leben selbst // Shell-Eco Marathon // Studienführer Medizintechnik u. v. m.<br />
Innovative Experimente, wissenschaftliche Beiträge und spannende Ergebnisse:<br />
9,50 EUR // Ausgabe Nr. 91 // 26. Jahrgang // 2011<br />
Jugend forscht in Natur und Technik<br />
The European Journal of Science and Technology<br />
Medienpartner des<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sjahres 2011<br />
Das Magazin<br />
für Nachwuchsforscher<br />
Themen: Wieder aufrecht gehen lernen // Fingerabdruck<br />
entlarvt Gammelfleisch // Vom Regenbogen zur Tonleiter //<br />
Wohlgeformte Grenzlinien // Auf Kosten von Grasfröschen //<br />
Früh erkannt ist halb gebannt<br />
Außerdem im Heft: Das Auto der Zukunft basiert auf Chemie // Job-Chancen durch Daten-Wolken //<br />
Studium & Beruf: Kommunikationstechnologie // <strong>Wissenschaft</strong>sjahr 2011: Moderne Implantate u. v. m.<br />
www.verlag-jungewissenschaft.de<br />
Innovative Experimente, wissenschaftliche Beiträge und spannende Ergebnisse:<br />
Nichts mehr versäumen mit dem Jahresabo der<br />
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4 x im Jahr das Neueste aus der Welt von<br />
<strong>Wissenschaft</strong> und Technik.<br />
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Abonnieren Sie das einzige europäische<br />
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Beiträgen junger Nachwuchsforscher.<br />
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Vorteilsabo<br />
41<br />
Young Researcher<br />
Ja, ich möchte keine <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> mehr versäumen.<br />
Ich abonniere die <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> zunächst für ein Jahr (vier<br />
Ausgaben) für nur 30,00 EUR (zzgl. Versandkosten).<br />
Ich bin Schüler, Student, Referendar oder Lehrer und erhalte<br />
die <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> im Jahresabonnement gegen Vorlage<br />
einer aktuellen Bescheinigung zum Vorzugspreis von 20,00 EUR<br />
statt 30,00 EUR (zzgl. Versandkosten).<br />
Laufzeit: Das Abonnement verlängert sich automatisch um ein weiteres Jahr, wenn<br />
nicht acht Wochen vor Ende des jeweiligen Bezugsjahres schriftlich gekündigt wird.<br />
Widerrufsrecht: Diese Vereinbarung kann innerhalb von zwei Wochen ab Erhalt des<br />
Magazins ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. Zur Fristwahrung reicht die<br />
rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist in Textform (zum Beispiel<br />
Brief, Telefax, E-Mail) gegenüber dem Verlag <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong>, Neuer Zollhof 3,<br />
40221 Düsseldorf, zu erklären.<br />
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Verlag <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> Athanasios Roussidis, Neuer Zollhof 3, 40221 Düsseldorf
Jugend forscht<br />
50<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 92 // 2011<br />
Sebastian Klick, *1992<br />
Michael Garzem, *1991<br />
Jens Nettersheim, *1991<br />
Schule:<br />
St. Michael-Gymnasium,<br />
Bad Münstereifel<br />
Eingang der Arbeit:<br />
September 2010<br />
Zur Veröffentlichung angenommen:<br />
Dezember 2010<br />
Energie in Flüssigkeiten speichern<br />
Untersuchungen zur Verbesserung der Redox-Flow-Zelle<br />
In der Redox-Flow-Zelle wird Energie in Flüssigkeiten gespeichert. Da die Zelle weder eine Selbstentladung<br />
noch einen Memory-Effekt aufweist, ist eine Speicherung über lange Zeiträume möglich. Wir entwarfen<br />
eine neuartige Redox-Flow-Zelle, wobei Probleme der Dichtigkeit sowie des Oxidationsschutzes<br />
preisgünstig gelöst wurden. Ein spezieller Aufbau der Elektrode dient der Leistungssteigerung.<br />
1. Einleitung<br />
Die Redox-Flow-Zelle ist eine sehr gute<br />
Möglichkeit, Energie über lange Zeiträume<br />
zu speichern, da sie keine Selbstentladung<br />
aufweist und keinen Memory-<br />
Effekt kennt. Sie speichert die Energie<br />
in Flüssigkeiten und nicht in Feststoffen<br />
oder Gasen. Damit hat sie eine sehr hohe<br />
Lebensdauer, da keine strukturellen Änderungen<br />
an den Elektroden stattfinden.<br />
Außerdem können große Mengen Energie<br />
relativ preiswert gespeichert werden,<br />
da lediglich große Tanks und ausreichend<br />
Elektrolytlösung erforderlich sind.<br />
2. Funktionsweise einer Redox-Flow-<br />
Zelle<br />
Die Redox-Flow-Zelle ist eine spezielle<br />
galvanische Zelle, bei der die Redoxpaare<br />
nur aus Ionen bestehen, die in einem<br />
Lösungsmittel, zum Beispiel Schwefelsäure,<br />
gelöst sind. Die Energie wird also<br />
in Flüssigkeiten gespeichert.<br />
In dieser Arbeit entwickelten wir eine<br />
völlig neuartige Redox-Flow-Zelle auf<br />
der Basis eines Vanadium/Vanadium-<br />
Akkus. Es ist uns gelungen, die Probleme<br />
der Dichtigkeit sowie des Oxidationsschutzes<br />
preiswert zu lösen. Außerdem<br />
konnten wir durch einen speziellen Aufbau<br />
der Elektrode, die Leistung unserer<br />
Zelle steigern.<br />
Abb. 1: Die vier Oxidationsstufen des Vanadiums: (V, IV, III, II von links nach rechts) aus eigener Herstellung
Jugend forscht<br />
Anode:<br />
V 2+ →V 3+ +e -<br />
1,7 V, da ab dieser Spannung das Wasser<br />
aus der Lösung zersetzt wird.<br />
51<br />
Abb. 2: Die Entladereaktion in der Redox-Flow-<br />
Zelle<br />
Ein Redox-Flow-System besteht aus einer<br />
Reaktionseinheit, der eigentlichen Zelle<br />
und den Tanks, in denen die Flüssigkeiten<br />
gespeichert werden. In der Reaktionseinheit<br />
befindet sich eine Membran,<br />
die den Austausch von H 3 O + Ionen ermöglicht,<br />
aber den Übergang der Metallionen<br />
möglichst verhindert. Die Größe<br />
der Tanks kann frei nach dem benötigten<br />
Speichervolumen gewählt werden.<br />
Bei einer Redox-Flow-Zelle auf Vanadium<br />
Basis befinden sich im geladenen<br />
Zustand in einem Tank zweifach positiv<br />
geladene Vanadiumionen (V 2+ ). Im anderen<br />
Tank befindet sich einfach positiv<br />
geladenes Vanadium(V)oxid (VO 2 + ).<br />
Diese Zutaten sind in Batteriesäure (38%<br />
Schwefelsäure) gelöst. Wenn die Zelle<br />
entladen ist, enthält die Zelle dreifach positiv<br />
geladene Vanadiumionen (V 3+ ) und<br />
zweifach positiv geladene Vanadium(IV)<br />
oxid-Ionen (VO 2+ ). Durch die Verwendung<br />
von Vanadium auf beiden Seiten<br />
der Zelle ist eine Beschädigung der Zelle<br />
durch Crossovereffekt der Ionen in der<br />
Membran ausgeschlossen, so dass eine<br />
Vanadium/Vanadium-Zelle eine sehr<br />
hohe Lebensdauer hat. Außerdem kann<br />
der Ladezustand der Zelle an der Farbe<br />
der Flüssigkeiten erkannt werden (VO 2 + -<br />
Ionen sind gelb, VO 2+ -Ionen blau, V 3+ -<br />
Ionen grün und V 2+ -Ionen grauviolett s.<br />
Abb. 1).<br />
Kathode:<br />
VO 2 + + 2H + + e - → VO 2+ + H 2 O<br />
Gesamtreaktion:<br />
V 2+ + VO 2 + + 2H + - → V 3+ + VO 2+ +H 2 O<br />
Das V(II) gibt also ein Elektron ab, um<br />
der günstigen Elektronenkonfiguration<br />
von acht Elektronen auf der äußersten<br />
Schale näher zu kommen. An der Kathode<br />
nimmt das VO2 + ein Elektron<br />
auf, dadurch kann sich ein Sauerstoffatom<br />
lösen und sich mit den H + -Ionen<br />
zu Wasser verbinden. Beim Laden laufen<br />
die Reaktionen genau anders herum ab.<br />
Die Membran dient dazu, dass sich die<br />
H + -Ionen austauschen können und das<br />
Spannungspotenzial erhalten bleibt.<br />
Das Spannungspotenzial der Zelle lässt<br />
sich aus den Standardpotenzialen der beteiligten<br />
Redoxpaare berechnen:<br />
V 2+ →V 3+ +e -<br />
E 0 = -0,26V<br />
VO + 2 + 2H + + (SO 4 ) 2- + e - → VO 2+ +<br />
(SO 4 ) 2- + H 2 O E 0 =+1.00V<br />
Allerdings spielt auch das verwendete<br />
Elektrodenmaterial eine Rolle. Aufgrund<br />
der Nernst-Gleichung lässt sich jedoch<br />
eine höhere Spannung erreichen. Allerdings<br />
liegt die maximale Spannung bei<br />
3. Sicherheitsaspekte<br />
Bevor wir mit unseren Experimenten<br />
beginnen konnten, mussten wir natürlich<br />
sicherstellen, dass uns und unserer<br />
Umwelt dabei nichts zustoßen kann.<br />
Die von uns verwendete Batteriesäure ist<br />
stark ätzend und das Vanadiumpentoxid,<br />
welches wir zur Herstellung der Elektrolytlösung<br />
verwenden, ist giftig und<br />
umweltgefährlich. Daher arbeiteten wir<br />
mit Vanadiumpentoxid stets unter dem<br />
Abzug und testeten alle Materialien der<br />
Zelle zunächst auf ihre Säurebeständigkeit.<br />
Außerdem stellten wir unsere Zelle<br />
zunächst in eine Kunststoffkiste, um im<br />
Falle eines Lecks die Folgen gering zu<br />
halten. Um uns selbst zu schützen, verwendeten<br />
wir Kittel, Schutzbrillen und<br />
Schutzhandschuhe. Selbstverständlich<br />
beachteten wir die S-Sätze und nahmen<br />
die R-Sätze (S- und R- Sätze sind gesetzlich<br />
vorgeschriebene Sicherheits- und<br />
Risikohinweise) zur Kenntnis. Außerdem<br />
standen wir bei besonders kritischen<br />
Versuchen unter Aufsicht unserer Chemielehrerin.<br />
4. Die Redox-Flow-Zelle – ein erster<br />
Versuch<br />
4.1 Aufbau<br />
Die Redox-Flow-Zelle ist nach dem Sandwichprinzip<br />
aus zwei Gummischichten,<br />
einer Elektrodenschicht, einer Plexiglas-<br />
Young Researcher<br />
Wenn die Zelle entladen wird, reagieren<br />
die Stoffe wie folgt (siehe auch Abb. 2)<br />
Abb. 3: Die Autoren in voller Schutzausrüstung
Jugend forscht<br />
52<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 92 // 2011<br />
schicht und einer Membranschicht aufgebaut<br />
(siehe Abb. 4). Die dabei benutzte<br />
Membran besteht aus Nafion und separiert<br />
die beiden Halbzellen, indem sie<br />
nur Oxoniumionen (H 3 O + ) hindurch<br />
lässt. Auf sie folgt eine Gummischicht,<br />
aus der zentral ein großes Rechteck herausgeschnitten<br />
wurde, damit die Elektrolytflüssigkeit<br />
Kontakt zu den Elektrodenplatten<br />
hat, die die nächste Schicht<br />
der Zelle darstellt.<br />
Die Elektrodenschicht besitzt wie die<br />
beiden folgenden Schichten zwei Löcher,<br />
die den Elektrolyten den Zugang zum<br />
Zelleninneren (über Glasröhrchen) ermöglichen.<br />
Eine weitere Gummischicht<br />
(hier ohne rechteckige Freifläche) wird<br />
als Dichtung eingesetzt. Komplettiert<br />
wird das Ganze von einer Plexiglasschicht,<br />
die von der Fläche größer ist als<br />
die restlichen Schichten der Zelle, sodass<br />
Gewindestangen durch Löcher am überstehenden<br />
Rand gesteckt werden können<br />
und so die Zelle zusammengepresst werden<br />
kann. Die Dichtigkeit wird durch<br />
dieses Vorgehen deutlich verbessert.<br />
Die Elektrolytflüssigkeiten werden in<br />
externen Tanks gelagert. Den Transport<br />
der Flüssigkeiten erledigt eine Schlauchpumpe.<br />
Die Stromversorgung für den<br />
Auf- und Entladevorgang erfolgt über<br />
Kupferblech, das zwischen die Elektrodenschicht<br />
und die 2. Gummischicht<br />
geklemmt wird.<br />
4.2. Probleme<br />
Wie wir feststellten, brachte diese Konstruktion<br />
der Zelle viele Probleme mit<br />
sich. Ein großes Problem war die Dichtigkeit<br />
der Zelle an den Anschlüssen des<br />
Schlauchs und in der Schlauchpumpe,<br />
wo der Schlauch einer hohen mechanischen<br />
Belastung ausgesetzt ist. Auch<br />
die Schlauchpumpe machte Probleme:<br />
Zum einen wurden die Kunststoffschläuche<br />
von der rotierenden Walze auf der<br />
einen Seite eingezogen und auf der anderen<br />
ausgestoßen, sodass sie nach einiger<br />
Zeit von den Elektrolytflüssigkeitstanks<br />
getrennt wurden und das System nicht<br />
dauerhaft in Betrieb sein konnte. Zudem<br />
benötigt die Schlauchpumpe sehr viel<br />
Energie und arbeitet damit nicht effizient.<br />
Ein weiteres Problem war die Oxidation<br />
von V 2+ an der Luft. Dieses Problem<br />
konnten wir durch eine Schutzgasatmosphäre<br />
(hierzu verwendeten wir<br />
Stickstoff) beheben, die allerdings für<br />
den Dauerbetrieb ein hohes Kostenaufkommen<br />
darstellt.<br />
Abb. 4: Plan der ersten Zelle<br />
5. Die verbesserte Redox-Flow-Zelle<br />
5.1 Aufbau<br />
Unsere bisherige Durchflusszelle war<br />
weder vollständig noch langfristig dicht.<br />
Die benötigte Pumpe verbrauchte sehr<br />
viel Energie. Daher entschlossen wir uns<br />
eine neue Zelle zu entwickeln. Die Dichtungen<br />
der jeweiligen Reaktionseinheit<br />
waren nicht das Problem. Die kritischen<br />
Stellen stellten die Übergänge von<br />
der Zelle zum Schlauch dar sowie der<br />
Schlauch in der Pumpe, der sehr starken<br />
mechanischen Belastungen ausgesetzt<br />
ist. Ideal wäre der Verzicht der Pumpe.<br />
Allerdings ist sie für den dauerhaften Betrieb<br />
der Zelle nötig, da die Elektrolyten<br />
bewegt werden müssen um zu reagieren.<br />
Dann kam uns die Idee, die Tanks in die<br />
Zelle zu integrieren. So müssen die Elektrolyten<br />
nur noch durch einen Rührer<br />
bewegt werden. Dazu verwendeten wir<br />
zunächst Magnetrührer, die wir später<br />
durch selbst gebaute Rührer ersetzten.<br />
Diese neue Zelle sieht im Prinzip genauso<br />
aus wie unsere flache Durchflusszelle<br />
allerdings mit dem Unterschied, dass auf<br />
beiden Seiten statt einer durchgehenden<br />
Wand ein Tank angebracht ist (siehe<br />
Abb. 5). Die Halbzellen ließen wir von<br />
der Firma Creaplex aus Plexiglas anfertigen.<br />
Abb. 5: Plander verbesserten Redox-Flow Zelle<br />
Die komplette Zelle besteht aus zwei<br />
Halbzellen, auf die Gummirahmen<br />
mit Löchern für die Gewindestangen<br />
zur Abdichtung der Zelle gesetzt werden.<br />
Die Membran, welche später die<br />
Elektrolyte voneinander trennt, befindet<br />
sichzwischen den Dichtungsgummis.<br />
Sie besitzt ebenfalls Löcher für die
Jugend forscht<br />
5.3. Experimente zur Steigerung der<br />
Leistung<br />
Um verschiedene Elektroden zu vergleichen,<br />
ließen wir weitere kleinere Zellen<br />
bauen. Sie sind innen 6 cm hoch 4,5 cm<br />
breit und 4 cm tief. Da sie jedoch nicht<br />
komplett gefüllt werden können, gehen<br />
wir davon aus, dass wir sie bis zu einem<br />
Füllstand von 4 cm Höhe befüllen. Daraus<br />
ergibt sich eine aktive Membranfläche<br />
von 18 cm 2 (siehe Abb. 7). Als<br />
Rührer verwendeten wir Glasröhrchen<br />
aus der Chemie-Sammlung, die wir auf<br />
ausrangierte PC-Lüfter klebten.<br />
53<br />
Young Researcher<br />
Abb. 6: Die verbesserte Redox-Flow-Zelle mit selbst gebauten Rührern<br />
Gewindestangen. Das System wird wie<br />
unsere bisherigen Zellen durch Gewindestangen<br />
zusammengehalten (siehe<br />
Abb. 6). Die zwei Elektroden (je eine pro<br />
Halbzelle), welche mit Löchern versehen<br />
sind um die Lösung durchzulassen, werden<br />
von oben an die Membran gesetzt.<br />
Bei den ersten Tests zeigte sich, dass die<br />
Zelle vollständig dicht war. Somit haben<br />
wir jetzt ein System, das auch längere<br />
Zeit unbeaufsichtigt laufen kann. Allerdings<br />
mussten wir uns für den Oxidationsschutz<br />
der Zelle eine Alternative zur<br />
Gasspülung überlegen, da diese auf Dauer<br />
nicht ganz billig ist. Doch ein komplett<br />
luftdichtes Gefäß, das wir bis oben<br />
mit der Elektrolytflüssigkeit auffüllen<br />
ist nicht einfach zu konstruieren, da die<br />
Elektroden und Rührer eine Verbindung<br />
nach außen brauchen. Außerdem soll die<br />
Flüssigkeit ausgetauscht werden können.<br />
Schließlich kamen wir auf die Idee,eine<br />
Ölschicht über die Lösung zu geben. Das<br />
Öl vermischt sich nicht mit der wässrigen<br />
Elektrolytlösung, da es hydrophob<br />
ist, und schwimmt auf der Lösung, da es<br />
eine geringere Dichte besitzt. Doch das<br />
Öl wurde nach einigen Tagen ranzig, sodass<br />
wir eine andere Flüssigkeit verwenden<br />
mussten. Wir entschieden uns für<br />
flüssiges Paraffin. Der Vorteil des Paraffins<br />
gegenüber dem Öl ist, dass es nicht<br />
ranzig wird und damit über längere Zeit<br />
als Oxidationsschutz dienen kann.<br />
der anderen Seite mit Hilfe des neuen<br />
Oxidationsschutzes durch Paraffin sowie<br />
den Verzicht auf eine Schlauchpumpe<br />
eine enorme Kosteneinsparung erzielt<br />
hat. Außerdem sparen wir durch den<br />
Verzicht auf die Schlauchpumpe Energie<br />
ein und erhöhen somit die nutzbare<br />
Energie unserer Zelle. Trotz intensiver<br />
Recherche konnten wir keine Erwähnung<br />
des Paraffins als Oxidationsschútz<br />
für die Redox-Flow-Zelle finden. Wir<br />
haben unsere Weiterentwicklung patentieren<br />
lassen. Durch unsere Verbesserung<br />
lässt sich eine Redox-Flow-Zelle deutlich<br />
preiswerter betreiben, da keine dauerhafte<br />
Schutzgasspülung mehr nötig ist.<br />
Um unsere Versuchszellen schneller<br />
zu laden und die Leistung, die aus der<br />
Zelle entnommen werden kann, zu erhöhen,<br />
haben wir den Strom, den die<br />
Zelle liefern kann, erhöht. Der Strom ist<br />
abhängig von der Elektrodenoberfläche<br />
sowie der Membranfläche. Bei unserer<br />
Zelle erreichen wir einen Ladestrom von<br />
10 mA, die Membran hat nach Angaben<br />
aus dem Internet eine maximale Stromdichte<br />
von 80 mA/cm². Das ergibt für<br />
unsere kleinen Versuchszellen einen maximalen<br />
Strom von etwa 1,5 A. Daraus<br />
folgerten wir, dass die Erhöhung der<br />
Elektrodenoberfläche der erfolgversprechendste<br />
Ansatz zur Steigerung der Leistung<br />
ist.<br />
Also suchten wir Materialien, die an<br />
der Schule vorhanden sind, eine große<br />
Grafitoberfläche haben und zudem noch<br />
säurefest sind. Dabei stießen wir auf Aktivkohle.<br />
Sie besteht aus Grafit und hat<br />
5.2. Vorteile<br />
Gegenüber der ersten Redox-Flow-Zelle<br />
hatten wir nun eine Zelle entwickelt, die<br />
auf der einen Seite absolut dicht ist, auf<br />
Abb. 7: Die kleine Versuchszelle
54<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 92 // 2011<br />
Jugend forscht<br />
eine große innere Oberfläche. Damit<br />
war die Aktivkohle für uns ein Kandidat<br />
um unsere Elektrodenoberfläche zu<br />
vergrößern.<br />
Für den experimentellen Nachweis benutzten<br />
wir zwei unserer Versuchszellen<br />
und statteten eine mit normalen Grafitplatten<br />
als Elektroden aus. In die andere<br />
Zelle gaben wir 7 g Aktivkohle pro Elektrode<br />
und kontaktierten diese mit zwei<br />
Grafitplatten. In beide Zellen gaben wir<br />
nun 100 ml der Elektrolytlösung. Dann<br />
legten wir eine Ladespannung von 1,7 V<br />
an. Durch zwei Amperemeter konnten<br />
wir den Ladestrom jeder Zelle messen.<br />
Dabei hatte die Aktivkohlenzelle 160 mA<br />
Ladestrom, wohingegen die normale<br />
Zelle mit 10 mA lud. Somit war unser<br />
Experiment erfolgreich.<br />
Um herauszufinden, welchen Einfluss<br />
unterschiedliche Mengen der Aktivkohle<br />
haben, testeten wir weitere Zellen mit<br />
unterschiedlichen Mengen Aktivkohle.<br />
Dabei stellte sich ein linearer Zusammenhang<br />
zwischen den Menge der Aktivkohle<br />
und dem maximalen Strom<br />
heraus. Dies entspricht auch der Erwartung,<br />
da an einer doppelt so großen<br />
Oberfläche auch doppelt so viele Ionen<br />
reagieren können.<br />
Doch als wir dann in eine Zelle mit<br />
frischer Aktivkohle die geladenen Elektrolyte<br />
gaben wurde das Vanadium(V)<br />
zu Vanadium(IV) reduziert. Doch was<br />
wurde oxidiert Auf der Suche nach einer<br />
Antwort überlegten wir zunächst, ob<br />
das Grafit oder andere Bestandteile der<br />
Lösung oxidiert wurden. Die Lösung<br />
enthält noch SO 4 2- - Ionen sowie Wasser<br />
und H + -Ionen. Von diesen Ionen kann<br />
keines durch das Vanadium oxidiert werden.<br />
Auch das Grafit erschien uns zu stabil.<br />
Also fragten wir unsere Chemielehrerin<br />
nach Rat. Sie war der Meinung, dass<br />
Verunreinigungen der Aktivkohle für die<br />
Reaktion verantwortlich waren. Allerdings<br />
konnten wir die Aktivkohle selbst<br />
durch sehr starke Oxidationsmittel wie<br />
Kaliumpermanganat nicht „reinigen“.<br />
Also mussten wir die Elektrodenoberfläche<br />
auf andere Art und Weise vergrößern.<br />
Bei unserer Suche fanden wir außer<br />
Aktivkohle und den bereits erwähnten<br />
teuren Grafitvliesen nichts. Also kamen<br />
wir zu den Elektrodenplatten zurück.<br />
Doch wie kann man die Oberfläche<br />
Leistung in mW<br />
2,5<br />
2<br />
1,5<br />
1<br />
0,5<br />
0<br />
der Elektrodenplatten stark erhöhen<br />
Natürlich kann man eine geringfügige<br />
Erhöhung der Oberfläche erreichen, indem<br />
man die Platten mit Schmirgelpapier<br />
anraut. Allerdings kann damit keine<br />
deutliche Erhöhung der Leistung unserer<br />
Zelle erreicht werden. Nach einiger<br />
Überlegung kamen wir auf die Idee,<br />
Bruchstückchen der Elektrodenplatten<br />
einzusetzen. Den Kontakt zu Elektrodenplatte<br />
stellten wir sicher, indem wir<br />
den Bereich zwischen den Elektroden<br />
und der Membran mit den Bruchstücken<br />
auffüllten, sodass sie sich gegenseitig berühren.<br />
Nun setzten wir eine Zelle mit diesen<br />
modifizierten Elektroden an. Zum Vergleich<br />
starteten wir zur selben Zeit eine<br />
zweite Zelle mit normalen Elektroden.<br />
Jetzt luden wir diese Zelle auf. Am nächsten<br />
Morgen konnten wir in der modifizierten<br />
Zelle eine deutliche Gelbfärbung<br />
der Elektrolytlösung in der positiven<br />
Halbzelle erkennen. Auch in der negativen<br />
Halbzelle hatte sich die Farbe verändert<br />
(siehe Abb. 6.3.3). Als wir den Ladestrom<br />
maßen, stellten wir einen Strom<br />
im Mikroamperebereich fest. So schnell<br />
hatten wir noch nie eine Zelle geladen.<br />
Nach einem weiteren Tag war auch die<br />
unveränderte Zelle geladen.<br />
5.4. Zellenleistung im Vergleich<br />
Um nun zu ermitteln wie die Leistung<br />
einer so modifizierten Zelle im Vergleich<br />
zu einer Zelle mit den normalen Elektrodenplatten<br />
aus Grafit aussieht, stellten<br />
wir die nötigen Elektrolyte Vanadium(V)<br />
und Vanadium(II) her und füllten zwei<br />
Mit Grafitstücken<br />
Ohne Grafitstücke<br />
0 50 100 150 200<br />
Zeit in h<br />
Abb. 8: Vergleich der Leistung einer modifizierten Zelle mit Grafitstückchen als Elektrode mit einer<br />
Zelle mit ganzen Elektroden.<br />
Zellen mit je 50ml pro Halbzelle. Nun<br />
entluden wir diese Zellen über einen Widerstand<br />
(R=1kΩ). Dieser Widerstand<br />
hat den Vorteil, dass der Betrag der gemessenen<br />
Spannung gleichzeitig der Betrag<br />
des Stroms in mA ist, der durch den<br />
Widerstand fließt (I=U/R).<br />
Wie aus dem Diagramm (Abb. 8) ersichtlich<br />
ist, liefen unsere Experimente über<br />
einen Zeitraum von etwa 200 Stunden.<br />
Die Anfangsleistung lag bei der modifizierten<br />
Zelle bei 1,96 mW. Dies ist eine<br />
um 36% höhere Leistung als bei der Zelle<br />
mit den normalen Elektroden, die eine<br />
Anfangsleistung von 1,44 mW aufweist.<br />
Im weiteren Verlauf bleibt die Leistung<br />
der modifizierten Zelle zunächst höher.<br />
Die Kurven laufen ca. 137 Stunden annähernd<br />
parallel mit einem leichten Leistungsabfall.<br />
Danach sinkt die Leistung<br />
der modifizierten Zelle innerhalb von<br />
20 Stunden von 1 mW auf 0,073 mW. 34<br />
Stunden später nimmt auch die Leistung<br />
der normalen Zelle von 0,5 mW innerhalb<br />
von ca. 23 Stunden auf 0,016 mW<br />
ab.<br />
Dieses Ergebnis zeigt, dass die Modifizierung<br />
der Elektroden eine deutlich höhere<br />
Leistung mit sich bringt. Dadurch<br />
wird die Zelle natürlich schneller entladen.<br />
Dies kann man an dem früheren<br />
Leistungsabfall erkennen. Die relative<br />
Abnahme der Leistung liegt bei beiden<br />
Zellen in derselben Größenordnung.<br />
5.5. Technische Daten unserer Zellen<br />
Nun versuchten wir einige wichtige technische<br />
Daten unserer Redox-Flow-Zelle
Innovative Experimente, wissenschaftliche Beiträge und spannende Ergebnisse:<br />
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Neuer Zollhof 3, 40221 Düsseldorf<br />
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Die Mindestdauer für ein Abonnement beträgt ein Jahr. Sollte das<br />
Patenschaftsabonnement nicht acht Wochen vor Ablauf der Mindestdauer<br />
schriftlich gekündigt werden, verlängert sich das Abonnement automatisch<br />
um ein Jahr. Das Abonnement ist nach Erhalt der Rechnung fällig und sofort<br />
zahlbar. Individuell gewünschte Schulansprachen sowie damit zusammenhängende<br />
Beratungsleistungen des Verlages <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> Athanasios<br />
Roussidis werden gegen Aufpreis vorgenommen. Gerichtsstand ist Düsseldorf.<br />
Es ist ausschließlich deutsches Recht anwendbar.
Jugend forscht<br />
56<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 92 // 2011<br />
zu ermitteln. Zunächst ermittelten wir aus<br />
mehreren Entladeversuchen die Energiedichte.<br />
Dazu ermittelten wir die Fläche<br />
unter dem Graphen des P-t-Diagramms.<br />
Diese Fläche stellt die abgegebene Energie<br />
dar. Danach setzten wir diese Energie<br />
mit der Menge der von uns verwendeten<br />
Elektrolytlösung in Beziehung. Die<br />
Energiedichte ist aber direkt von der<br />
Menge an Vanadium abhängig. Also<br />
bezogen wir auch unsere Konzentration<br />
mit in diese Rechnung ein. So kamen wir<br />
auf eine Energiedichte von 9,3 Wh/mol<br />
Vanadium.<br />
Unsere bisher höchste maximale Leistung<br />
liegt bei 50 mW beim Entladen einer<br />
Zelle über einen 22 Ohm Widerstand.<br />
Nach einigen Lade- und Entlademessungen<br />
konnten wir einen Wirkungsgrad<br />
von 66 % ermitteln. Dazu verglichen wir<br />
die Energie, die wir beim Aufladen in die<br />
Zelle hineinsteckten und die Energie, die<br />
beim Entladen freigesetzt wurde.<br />
Bei diesen Versuchen trieben wir die<br />
Rührer mit einer kleinen Solarzelle<br />
an. Zudem ist im Entladevorgang der<br />
Abb. 9: Plan der integrierten Zelle mit erhöhter<br />
Leistung<br />
Rührer nicht zwingend erforderlich, da<br />
durch Konvektion eine ausreichende Bewegung<br />
der Flüssigkeiten gegeben ist.<br />
5.6. Beispiele für die Leistung unserer<br />
Zelle<br />
Um zu sehen was unsere Zelle leisten<br />
kann, testeten wir sie zunächst an kleinen<br />
Motoren mit Propellern. Diese liefen<br />
ohne Probleme. Danach wollten wir die<br />
Zelle vor größere Aufgaben stellen.<br />
Wir versuchten ein Auto einer Carrerabahn<br />
mit der Zelle zu betreiben. Allerdings<br />
war dafür der Reibungswiderstand<br />
zu groß; der Motor lief mit der Zelle,<br />
aber leider nicht auf der Bahn. Als wir ein<br />
Modellboot fanden, versuchten wir dieses<br />
mit der Zelle anzutreiben. Und tatsächlich<br />
das Boot lief (siehe Abb. 6.6.2).<br />
Dies überraschte uns, da das Boot doch<br />
recht groß war (40 cm lang, 14 cm breit,<br />
über 1 kg schwer und 2 cm Tiefgang).<br />
Damit haben wir eine sehr leistungsfähige<br />
Zelle gebaut.<br />
6. Sicherheit für den mobilen Einsatz<br />
Die Redox-Flow-Zelle wird bisher nur<br />
im stationären Bereich angewendet. Allerdings<br />
besteht auch die Möglichkeit,<br />
die Redox-Flow-Zelle für zukünftige<br />
Elektroautos zu verwenden. Ein zentrales<br />
Problem ist dabei die Sicherheit.<br />
Wenn es zu einem Unfall kommt, darf<br />
die Schwefelsäure mit dem Vanadium<br />
auf keinen Fall in die Umwelt gelangen.<br />
Um dies zu verhindern, suchten wir ein<br />
Material, das die Flüssigkeit absorbiert.<br />
Ideal wäre es zudem, wenn sich dieses<br />
Material ausdehnt und somit das Leck<br />
im Tank wieder verschließt. Zunächst<br />
verwendeten wir Superabsorber, wie sie<br />
auch in Windeln vorkommen, für unsere<br />
Versuche. Allerdings können diese<br />
Superabsorber Lösungen mit hohem<br />
Salzgehalt nicht aufnehmen.<br />
Dann stießen wir auf Zeolith. Dieses<br />
Material kann große Mengen Wasser<br />
aufnehmen. Es besteht aus AlO 4 und<br />
SiO 4 Tetraedern. An die negativ geladenen<br />
AlO 4 Tetraeder sind Alkali- oder<br />
Erdalkalimetallionen gebunden. Diese<br />
Kationen werden bei der Reaktion mit<br />
Schwefelsäure durch die H + Ionen der<br />
Säure ausgetauscht. Die (Erd-)Alkalimetallkationen<br />
bilden mit dem Sulfation<br />
die jeweiligen Salze wie zum Beispiel<br />
Kaliumsulfat. So bildet sich ein Feststoff,<br />
der das Leck abdichtet und auch<br />
in unseren Versuchen über circa fünf<br />
Stunden dicht blieb.<br />
7. Zusammenfassung und Ausblick<br />
Wir konnten in dieser Arbeit die Redox-Flow-Zelle<br />
verbessern und haben<br />
einige Kernprobleme gelöst. So entwickelten<br />
wir eine dichte Zelle, die ohne<br />
Schutzgasspülung auskommt. Dadurch<br />
konnten wir die Kosten eines Redox-<br />
Flow-Systems deutlich senken, da weder<br />
eine teure Pumpe noch eine Schutzgasspülung<br />
benötigt werden. Des Weiteren<br />
konnten wir die Leistung unserer Zelle<br />
deutlich steigern.<br />
Nachdem wir nun eine funktionstüchtige<br />
und leistungsfähige Zelle gebaut<br />
haben, wollen wir nun eine Zelle entwickeln,<br />
die die vierfache Leistung unserer<br />
bisherigen Versuchszelle haben<br />
soll, dabei jedoch kaum mehr Platz<br />
benötigt. Zudem soll diese Zelle keine<br />
Dichtungen benötigen. Dies möchten<br />
wir durch einen speziellen Aufbau gewährleisten<br />
(siehe Abb. 9). Die Tanks<br />
werden bei dieser Zelle ineinander gesetzt.<br />
Außen befindet sich nur ein Plexiglasquader.<br />
Somit gibt es keine Stellen<br />
mehr, die durch Gummis abgedichtet<br />
werden müssen. Im Innern befindet sich<br />
ein kleinerer Plexiglaswürfel, welcher<br />
einen Boden, jedoch keine Wände oder<br />
einen Deckel besitzt, sodass er an den<br />
vier Außenseiten mit der Nafionmembran<br />
beklebt werden kann. Die Elektroden<br />
werden durch Schlitze in einem<br />
Deckel membrannah fixiert, der außerdem<br />
noch Öffnungen für Rührer, bzw.<br />
für den Befüllungsprozess der Zelle aufweist.<br />
Da nun keine Elektrolytflüssigkeit<br />
nach außen austreten kann, da der<br />
äußere Plexiglasquader absolut dicht ist,<br />
wird die Sicherheit des Systems enorm<br />
gesteigert.<br />
Erste Versuche zeigten, dass auch bei<br />
diesem neuen Zellenkonzept Schwierigkeiten<br />
auftauchen. Die Membran, die<br />
wir auf die Außenseiten unserer Zelle<br />
geklebt haben, saugt sich mit Wasser<br />
(welches auch zum Teil in der Schwefelsäure<br />
vorhanden ist) voll. Dadurch<br />
ändert sich ihre Größe. Die Membran<br />
wellt sich, wodurch die Klebestellen<br />
aufreißen. Daher versuchten wir durch<br />
einen weiteren Rahmen, welcher auf die<br />
Membranaußenseite geklebt wird, einen<br />
Gegendruck zu erzeugen und so ein<br />
Aufreißen der Klebestellen zu verhindern.
Jugend forscht<br />
Dies klappt in der Praxis auch sehr gut.<br />
Allerdings hatten wir durch die zusätzlich<br />
verwendeten Rahmen viel weniger<br />
Freiraum in der äußeren Halbzelle als<br />
geplant, so dass wir die Grafitstückchen<br />
nicht zwischen Membran und Elektrode<br />
geben konnten.<br />
Danksagung<br />
Abschließend möchten wir uns bei allen,<br />
die uns während unserer Jugend-forscht-<br />
Arbeit unterstützten, recht herzlich bedanken,<br />
insbesondere bei unserer Betreuungslehrerin<br />
Veronika Stein, bei Thorsten<br />
Hickmann von der Firma Eisenhuth für<br />
die Elektroden sowie der Firma Creaplex,<br />
die uns die Zellen nach unseren Plänen<br />
baute. Außerdem gilt unser Dank Dr.<br />
Martin Metzger von der Firma Lanxess.<br />
Des Weiteren bedanken wir uns natürlich<br />
bei unseren Eltern, die uns in jeder Situation<br />
unterstützten und regelmäßig Taxi<br />
spielten.<br />
Literatur-und Linkliste<br />
[1] http://www.heise.de/tr/artikel/<br />
Lebensverlaengerung-fuer-den-<br />
Tankwart-821340.html<br />
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/<br />
Vanadium<br />
[3] http://www.isea.rwth-aachen.de/<br />
eess/technology/redox-flow<br />
[4] http://de.wikipedia.org/wiki/<br />
Redox-Flow-Zelle<br />
[5] http://www.bayern-innovativ.de/<br />
ib/site/documents/<br />
media/690a7c5e-c0ef-3e32-606c-<br />
6b892e8e5551.pdf/09_Jossen.pdf<br />
Richtlinien für Beiträge<br />
Die <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> veröffentlicht Originalbeiträge junger Autoren bis zum<br />
Alter von 23 Jahren. Für die allermeisten jungen Autoren ist dies die erste<br />
wissenschaftliche Veröffentlichung. Die Einhaltung der folgenden Richtlinien hilft<br />
allen – den Autoren und dem Redaktionsteam:<br />
Die Beiträge sollten nicht länger als 15 Seiten mit je 35 Zeilen sein. Hierbei sind<br />
Bilder, Grafiken und Tabellen mitgezählt.<br />
Formulieren Sie eine eingängige Überschrift, um bei den Lesern Interesse für<br />
Ihre Arbeit zu wecken. Diese Überschrift erscheint über der eigentlichen,<br />
wissenschaftlichen Überschrift.<br />
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Die Beiträge sollen in der üblichen Form gegliedert sein, d. h. Einleitung,<br />
Erläuterungen zur Durchführung der Arbeit sowie evtl. Überwindung von<br />
Schwierigkeiten, Ergebnisse, Schlussfolgerungen, Diskussion, Liste der zitierten<br />
Literatur. In der Einleitung sollte die Idee zu der Arbeit beschrieben und die<br />
Aufgabenstellung definiert werden. Außerdem sollte sie eine kurze Darstellung<br />
schon bekannter, ähnlicher Lösungsversuche enthalten. Am Schluss des Beitrages<br />
kann ein Dank an Förderer der Arbeit, z. B. Lehrer und Sponsoren, mit vollständigem<br />
Namen angefügt werden. Für die Leser kann ein Glossar mit den wichtigsten Fachausdrücken<br />
hilfreich sein.<br />
Alle Bilder nummerieren und eine zugeordnete Bildunterschriftenliste beifügen.<br />
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Version ein. Für die weitere Bearbeitung und die Umsetzung in das Layout der<br />
<strong>Junge</strong>n <strong>Wissenschaft</strong> ist ein Word Dokument mit möglichst wenig Formatierung<br />
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und noch nicht an anderer Stelle veröffentlicht wurde (außer im Zusammenhang<br />
mit „Jugend forscht“ oder einem vergleichbaren Wettbewerb). Ebenfalls ist zu<br />
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Der Verlag <strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> Athanasios Roussidis behält sich am Layout der<br />
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Neulingen im Publizieren werden als Vorbilder andere Publikationen, z. B. hier in<br />
der <strong>Junge</strong>n <strong>Wissenschaft</strong>, empfohlen. Noch eine Anmerkung: eine hochgestochene<br />
und gedrechselte Ausdrucksweise ist kein Merkmal besonderer <strong>Wissenschaft</strong>lichkeit.<br />
Neue Ideen, die noch nicht erschöpfend bearbeitet sind, trotzdem aber schon vorgestellt<br />
werden sollen, sind als Kurzmitteilungen an den Herausgeber willkommen.<br />
57<br />
Young Researcher<br />
Anschrift für die Einsendung der Beiträge:<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong><br />
Dr.-Ing. Sabine Walter<br />
Paul-Ducros-Straße 7<br />
30952 Ronnenberg<br />
s.walter@verlag-jungewissenschaft.de
Magazin<br />
60<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 92 // 2011<br />
<strong>Wissenschaft</strong>sjahr Gesundheitsforschung<br />
Die Medizin der Zukunft<br />
Die individualisierte Medizin birgt großes Potential für die Gesundheitsforschung: Sie zielt auf eine präzisere<br />
Diagnostik und darauf aufbauend gezieltere Vorbeugung, Therapie und Rehabilitation. Dies soll<br />
die gesundheitliche Versorgung für jede Patientin und jeden Patienten in Zukunft effektiver machen.<br />
Gleichzeitig wirft sie Fragen auf, die auch im <strong>Wissenschaft</strong>sjahr 2011 – Forschung für unsere Gesundheit<br />
auf breiter gesellschaftlicher Basis diskutiert werden.<br />
Für viele Menschen klingt der Begriff<br />
„individualisierte Medizin“ wie ein<br />
Versprechen: „Patienten verstehen darunter<br />
meist eine persönliche, zugewandte<br />
Behandlung. Dass der Arzt sich<br />
für sie mehr Zeit nimmt und ihnen<br />
alles gut erklärt“, berichtet Professor<br />
Jochen Vollmann, Leiter des Instituts<br />
für Medizinische Ethik und Geschichte<br />
der Medizin an der Ruhr-Universität<br />
Bochum. Doch diese Vorstellung hat<br />
mit der wissenschaftlichen Bedeutung<br />
wenig gemein.<br />
Die Bevölkerung über die Ziele, Chancen,<br />
aber auch Herausforderungen der<br />
individualisierten Medizin aufzuklären,<br />
ist ein Ziel des <strong>Wissenschaft</strong>sjahres<br />
2011 – Forschung für unsere Gesundheit.<br />
„In der naturwissenschaftlichen<br />
Forschung wird unter individualisierter<br />
Medizin eine molekular-genetische<br />
Subgruppen-Medizin verstanden“, erklärt<br />
Jochen Vollmann. Anders gesagt:<br />
Patientinnen und Patienten werden anhand<br />
ihrer Gene in Untergruppen unterteilt,<br />
um speziell auf sie abgestimmte<br />
Therapien bekommen zu können.<br />
Passendere Medikamente<br />
Bislang ist das nämlich nicht üblich.<br />
Bei der Entwicklung neuer Medikamente<br />
orientiert sich die Forschung<br />
am statistischen Durchschnitt der<br />
Erkrankten. Bevor ein Arzneimittel<br />
auf den Markt kommt, muss es in<br />
klinischen Studien seine Wirkung beweisen.<br />
Doch wie jemand am Ende<br />
auf eine Behandlung anspricht, ist von<br />
Patient zu Patient verschieden. Ebenso<br />
individuell und unterschiedlich sind<br />
die Nebenwirkungen, die auftreten<br />
können.<br />
Nebenwirkungen in Zukunft zu verringern,<br />
ist ein Ziel der individualisierten<br />
Medizin. Das Alter ist nur eines<br />
der zahlreichen Merkmale, die die<br />
Wirkung von Therapien beeinflussen.<br />
Auch das Geschlecht, der Lebensstil<br />
und die Umwelt sind wichtige Faktoren<br />
– ebenso wie genetische Veranlagungen.<br />
Diesen Unterschieden will die<br />
individualisierte Medizin Rechnung<br />
tragen.<br />
Schneller zur richtigen Diagnose<br />
Dabei profitiert sie von neuen Erkenntnissen<br />
der Genomforschung und<br />
Biotechnologie, die in den vergangenen<br />
Jahrzehnten große Fortschritte gemacht<br />
haben: Forscherinnen und Forscher<br />
haben herausgefunden, dass das<br />
menschliche Genom aus etwa 22.500<br />
Genen besteht, die wiederum etwa drei<br />
Milliarden Bausteine enthalten.<br />
Etwa jeder tausendste dieser Bausteine<br />
ist bei jedem Menschen verschieden-<br />
„Die genetische Disposition ist allerdings<br />
nur eine mögliche Ursache für<br />
eine Erkrankung“, erklärt Medizin-
Magazin<br />
– und neue Erkenntnisse gewonnen<br />
werden, wie Krankheiten individuell<br />
vermieden werden können.<br />
61<br />
Ein Ziel der individualisierten Medizin ist es, Patienten anhand ihrer Gene in Untergruppen zu<br />
unterteilen, um ihnen speziell auf sie abgestimmte Therapien zu ermöglichen.<br />
ethiker Jochen Vollmann. „Hinzu<br />
kommen Umweltfaktoren, die insbesondere<br />
bei den häufigen und kostspieligen<br />
Zivilisationskrankheiten wie<br />
Diabetes oder Adipositas eine wichtige<br />
Rolle spielen.“<br />
Doch besonders bei den so genannten<br />
Seltenen Erkrankungen sind die<br />
Gene entscheidend. In Deutschland<br />
leiden etwa vier Millionen Menschen<br />
an einer seltenen vererbten Krankheit,<br />
wie zum Beispiel von der Chronischen<br />
Myeloischen Leukämie (CML), an<br />
der jährlich circa 1.200 Deutsche neu<br />
erkranken. Eine Krankheit gilt dann<br />
als „selten“, wenn weniger als 5 von<br />
10.000 Menschen betroffen sind. Weil<br />
die Symptome der „Seltenen“ auch vielen<br />
Medizinerinnen und Medizinern<br />
kaum bekannt sind, erhalten Betroffene<br />
oft jahrelang Fehldiagnosen und<br />
dann auch falsche Behandlungen.<br />
Mit entsprechenden Gentests könnte<br />
die richtige Diagnose künftig weit<br />
schneller gestellt werden. Der Gesundheitsforschung<br />
ist es mittlerweile<br />
gelungen, knapp die Hälfte der Gene<br />
zu identifizieren, die Seltene Erkrankungen<br />
auslösen. Das gilt auch für<br />
das „Philadelphia-Chromosom“, das<br />
CML verursacht. Dessen Diagnose<br />
kam für die Betroffenen noch vor<br />
15 Jahren einem Todesurteil gleich.<br />
Dank molekular-genetischer Forschungsergebnisse<br />
existieren jedoch<br />
mittlerweile Therapien, die ganz gezielt<br />
diese Genveränderung und damit die<br />
ungebremste Zellteilung blockieren.<br />
Ein Großteil der CML-Patienten kann<br />
somit heute ein weitgehend normales<br />
Leben führen.<br />
Auch für andere so genannte monogene<br />
Erbkrankheiten, die durch die Mutation<br />
eines einzelnen Gens verursacht<br />
werden, sind einige Auslöser bereits bekannt.<br />
Das gilt etwa für eine Variante<br />
des Gens BRCA1, die das Brustkrebsrisiko<br />
stark erhöht. So können familiär<br />
vorbelastete Frauen ihr Gefährdungspotenzial<br />
heute mit Hilfe eines Gentests<br />
bestimmen lassen.<br />
Worüber die Gesellschaft diskutieren<br />
muss<br />
Diese Art prädiktive Diagnostik wirft<br />
aber auch ethische Fragen auf: Könnte<br />
sich dadurch unser aller Selbstbild verändern<br />
Und gibt es auch ein Recht<br />
auf „Nicht-Wissen“ Das sind einige<br />
der Fragen, die im <strong>Wissenschaft</strong>sjahr<br />
Gesundheitsforschung mit Bürgerinnen<br />
und Bürgern diskutiert werden. Klar<br />
ist: Ob eine Krankheit allein aufgrund<br />
einer genetischen Veranlagung am Ende<br />
auch tatsächlich ausbricht, ist keineswegs<br />
sicher.<br />
Könnten somit Menschen mit einer<br />
genetischen Vorbelastung bald zur<br />
Vorsorge „gezwungen“ werden, etwa<br />
indem sie ihre Ernährung umstellen<br />
oder das Rauchen aufgeben müssen,<br />
um diese Risikofaktoren zu minimieren<br />
„Auf keinen Fall“, ist Jochen<br />
Vollmann überzeugt. Es gebe ja auch<br />
aus guten Gründen keinen Zwang zu<br />
Vorsorgeuntersuchungen. Die Gesundheitsforschung<br />
möchte aktuell ohnehin<br />
erst einmal das Zusammenspiel der<br />
Gene und der Umweltfaktoren besser<br />
verstehen lernen. Erst dann können<br />
aus den Forschungsergebnissen neue<br />
medizinische Anwendungen für die jeweiligen<br />
Patientengruppen entwickelt<br />
Zwar gibt es heute erste Anwendungen<br />
der individualisierten Medizin in der<br />
Therapie und in der Diagnostik in<br />
Form von Markern für Erkrankungen,<br />
Krankheitsrisiken und Arzneimittelwirkungen<br />
und -verträglichkeiten. Bis aber<br />
in diesen Bereichen flächendeckende<br />
Fortschritte erreicht werden können,<br />
wird es Fachleuten zufolge noch mindestens<br />
15 bis 20 Jahre dauern. Zeit<br />
genug also für die Gesellschaft darüber<br />
zu diskutieren: Wie viel individuelles<br />
Wissen brauchen – und wollen – wir<br />
für unsere Gesundheit<br />
Redaktionsbüro <strong>Wissenschaft</strong>sjahr 2011 -<br />
Forschung für unsere Gesundheit<br />
Vorschau: <strong>Wissenschaft</strong>sjahr 2012<br />
Young Researcher<br />
Das <strong>Wissenschaft</strong>sjahr 2012 – Zukunftsprojekt<br />
ERDE steht im Zeichen der Forschung<br />
für nachhaltige Entwicklungen.<br />
Klimawandel, Bevölkerungswachstum oder<br />
Biodiversitätsverlust – das sind globale<br />
Herausforderungen, die in den nächsten<br />
Jahren zu meistern sind. Über Lösungen,<br />
die <strong>Wissenschaft</strong>ler aus unterschiedlichsten<br />
Disziplinen hierfür bereit halten, wird die<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> berichten.<br />
Die <strong>Wissenschaft</strong>sjahre sind eine Initiative<br />
des Bundesministeriums für Bildung<br />
und Forschung (BMBF) gemeinsam mit<br />
<strong>Wissenschaft</strong> im Dialog (WiD). Seit 2000<br />
dienen sie als Plattform für den Austausch<br />
zwischen Öffentlichkeit und <strong>Wissenschaft</strong><br />
entlang ausgewählter Themen.<br />
Weitere Informationen unter<br />
www.forschung-fuer-unsere-gesundheit.de
B20396F<br />
fasziniert<br />
Magazin<br />
75<br />
Designergold München, www.designergold.de<br />
Young Researcher<br />
MaxPlanckForschung 3.2011 MIGRANTEN<br />
Das <strong>Wissenschaft</strong>smagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3.2011<br />
FOKUS<br />
Die <strong>Wissenschaft</strong> integriert Zuwanderer als Thema<br />
ASTRONOMIE<br />
MEDIZIN<br />
INFORMATIK<br />
Turbulente<br />
Gene, die in die Bilder nehmen<br />
Sterngeburten Knochen fahren Formen an<br />
Das Magazin der Max-Planck-Gesellschaft<br />
– viermal im Jahr mit Essays, Reportagen<br />
und Berichten aus der <strong>Wissenschaft</strong>.<br />
Leseprobe anfordern unter<br />
www.magazin-dt.mpg.de oder<br />
Fax 089 2108-1405.
Magazin<br />
76<br />
<strong>Junge</strong> <strong>Wissenschaft</strong> 92 // 2011