13.11.2012 Aufrufe

Tagebuch Satz Internet - gerling-heidelberg.de

Tagebuch Satz Internet - gerling-heidelberg.de

Tagebuch Satz Internet - gerling-heidelberg.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Richtung Sinsheim und dann zieht sich’s…<br />

ORIENTierung 2009<br />

Pilgerreise mit <strong>de</strong>m Motorrad<br />

nach Jerusalem<br />

Das <strong>Tagebuch</strong> von Klaus Gerling<br />

2


Richtung Sinsheim und dann zieht sich’s…<br />

ORIENTierung 2009<br />

Pilgerreise mit <strong>de</strong>m Motorrad nach Jerusalem<br />

Text und Fotos: Klaus Gerling<br />

E-Mail: klaus@<strong>gerling</strong>-<strong>hei<strong>de</strong>lberg</strong>.<strong>de</strong><br />

Druck: K+K-Copy-Druck-Service GmbH Hei<strong>de</strong>lberg<br />

© Klaus Gerling 2010<br />

3


Vorwort<br />

„Motorrad-Wallfahrt durch <strong>de</strong>n Orient nach Jerusalem“. Diese Meldung auf <strong>de</strong>r<br />

Homepage www.motorradgottesdienste.<strong>de</strong> trifft mich wie ein Donnerschlag. Der<br />

Zusatz „Ausgebucht“ dämpft allerdings sofort meine Euphorie.<br />

Stefan von Rü<strong>de</strong>n, Klinikseelsorger im Psychiatrischen Zentrum in Wiesloch, Kilian<br />

Stark, Regionalreferent bei <strong>de</strong>r Katholischen Regionalstelle Rhein-Neckar, und Kalle<br />

Richstein, Klinikseelsorger in Langensteinbach, Villingen und Tannheim, veranstalten<br />

seit neun Jahren drei Mal im Jahr Motorradgottesdienste in Wiesloch. Daraus ist die<br />

Organisation von Motorradpilgerreisen entstan<strong>de</strong>n, zum Beispiel nach Vézelay, Assisi,<br />

Rom o<strong>de</strong>r nach Trier und Köln.<br />

Ausgebucht! Na ja, wäre ein schöner Traum gewesen, ein Mal die total an<strong>de</strong>re Reise<br />

zu machen, viele Facetten zu vereinen. Eine richtig große Motorradreise, fast fünf<br />

Wochen mit elf Menschen, eigentlich fremd, aber mit einem Ziel unterwegs. Zeit und<br />

Muße zu haben, über meine religiöse Orientierung nachzu<strong>de</strong>nken und als i-Tüpfelchen<br />

in Israel meine Freun<strong>de</strong> Margo und Chanoch zu treffen.<br />

Ausgebucht! Na ja, macht nichts. So lange kann ich sowieso nicht weg von meiner<br />

Arbeit, meinen Pflichten und meiner Verantwortung. Ich nehme mir aber vor, die Reise<br />

im <strong>Internet</strong> zu verfolgen und mitzuerleben. Damit ist die Sache für mich erst mal<br />

abgehakt.<br />

„Hallo Klaus, möchtest Du noch mitfahren“, fragt mich Stefan am Telefon. So komme<br />

ich als Nachrücker in <strong>de</strong>n „Kreis <strong>de</strong>r Zwölf“. Kribbeln im Bauch und große Aufgeregtheit<br />

begleiten die Monate <strong>de</strong>r Vorbereitung. Oft <strong>de</strong>nke ich, lieber Gott, sei mit uns, damit die<br />

Reise einen glücklichen Verlauf nimmt.<br />

ORIENTierung 2009, <strong>de</strong>r Reisename entstand aus <strong>de</strong>m Zwang, das Reiseziel Israel<br />

und Jerusalem geheim zu halten, um die Ausstellung <strong>de</strong>r Visa für Syrien und Jordanien<br />

nicht zu gefähr<strong>de</strong>n. Auf <strong>de</strong>r Fahrt hatten wir keinerlei Unterlagen dabei, die auf das<br />

Reiseziel hin<strong>de</strong>uten könnten.<br />

4


Donnerstag, 14. Mai 2009, 1. Tag<br />

Weh’ <strong>de</strong>nen, die Böses gut und Gutes böse nennen,<br />

die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen!<br />

Jesaja 5,20<br />

Morgens: Wiesloch, Kirche Heilig Kreuz<br />

Abends: Österreich, Wagna, Hotel Neuhold<br />

725 km<br />

Wenn ich sie Dicke nenne, ist das nicht abfällig gemeint. Aber BMW K 1200 LT klingt<br />

so technisch, so ganz ohne Gefühl.<br />

Eigentlich habe ich gut geschlafen. Wissend, Papiere, Visa, Geld, Ausrüstung, alles<br />

zigfach überdacht und kontrolliert. Als ich das Hoftor öffne, stehen Christel, Werner,<br />

Günther, Werner und Bärbel Essig und Lucca zum Abschied Spalier. Diese allerletzten<br />

Wünsche füllen <strong>de</strong>n Sack guter Wünsche nun ganz voll. In <strong>de</strong>r Heilig-Kreuz-Kirche im<br />

Psychiatrischen Zentrum in Wiesloch lässt es sich Klaus Rapp, Regional<strong>de</strong>kan und<br />

selbst Biker, nicht nehmen, uns mit diesem Irischen Reisesegen zu entlassen:<br />

Der Herr sei vor dir, um dir <strong>de</strong>n rechten Weg zu zeigen.<br />

Der Herr sei neben dir, um dich in die Arme zu schließen und dich zu schützen.<br />

Der Herr sei hinter dir, um dich zu bewahren vor <strong>de</strong>r Heimtücke böser Menschen.<br />

Der Herr sei unter dir, um dich aufzufangen, wenn du fällst und dich aus <strong>de</strong>r Schlinge zu ziehen.<br />

Der Herr sei in dir, um dich zu trösten, wenn du traurig bist.<br />

Der Herr sei um dich herum, um dich zu verteidigen, wenn an<strong>de</strong>re über dich herfallen.<br />

Der Herr sei über dir, um dich zu segnen.<br />

So segne dich <strong>de</strong>r gütige Gott.<br />

Oh je, jetzt fängt das schon an: Augen feucht, Klos im Hals, aber auch das Gefühl,<br />

dass uns Zwölf, wie wir jetzt im Halbkreis um <strong>de</strong>n Altar stehen und uns an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n<br />

fassen, nichts mehr aufhalten kann.<br />

5


Petra, die Harley-Fahrerin aus Östringen, lässt je<strong>de</strong>n von uns einen Kieselstein aus<br />

einem roten Samtsäckchen nehmen. Ich ertaste einen run<strong>de</strong>n, flachen,<br />

fünfmarkstückgroßen Rheinkiesel aus Speyer, wie Petra erklärt. Je<strong>de</strong>r solle seinen<br />

Stein an einem beson<strong>de</strong>ren und starken Ort ablegen, ihr einen Stein von dort<br />

mitbringen und ihr davon erzählen o<strong>de</strong>r es beschreiben.<br />

„Yallah, yallah“, ruft Kilian. Jetzt aber los. Die Fahrt geht „Richtung Sinsheim und dann<br />

zieht sich’s“, wie mein Freund Toni seine Reisewünsche so treffend formuliert hat. Wir<br />

wer<strong>de</strong>n in drei Gruppen eingeteilt, das macht die Fahrt übersichtlich. Stefan führt<br />

Renate, mich und Winfried, an. Diese Reihenfolge halten wir während <strong>de</strong>r ganzen<br />

Reise ein. Von Kilian wer<strong>de</strong>n Erna, Martin und Walter geleitet und hinter Kalle reihen<br />

sich Berith, Thomas und Markus ein.<br />

Die Luftfeuchtigkeit erreicht bald die 100-Prozent-Marke, und es wird mit 9° saukalt. In<br />

Regensburg fahren wir von <strong>de</strong>r Autobahn ab in Richtung Dom. In seinem Lokal, ganz<br />

in Domnähe, will uns doch tatsächlich <strong>de</strong>r „Dampfnu<strong>de</strong>l-Ulli“ erklären, dass ein salziges<br />

Füßchen an <strong>de</strong>n Dampfnu<strong>de</strong>ln eine Pfälzer Unart sei. Keine Ahnung hat <strong>de</strong>r Mann. In<br />

seinem Mehlspeisentempel hängen Fotos von Franz-Josef Strauß, Franziska van<br />

Almsick und an<strong>de</strong>re Bekanntheiten an <strong>de</strong>n Wän<strong>de</strong>n. Mit ihren Autogrammen haben die<br />

Promis bestätigt, dass ihnen die ausschließlich süß servierten Kugeln geschmeckt<br />

haben.<br />

Für einen Dombesuch bleibt keine Zeit mehr. Das fängt ja gut an mit <strong>de</strong>m „keine Zeit<br />

haben“.<br />

„Schnürlregen ist Gartensegen“, so empfängt uns Österreich, aber an Motorradfahrer<br />

<strong>de</strong>nkt dieses Sprichwort nicht. In <strong>de</strong>r äußersten Südost-Ecke von Ösiland schlagen wir<br />

in Wagna auf. Drei Bronzesterne schmücken das Biker-Hotel Neuhold. Der Genuss<br />

von Bärlauchsuppe und Hähnchenbrustsalat wird uns mangels Rauchverbot etwas<br />

verlei<strong>de</strong>t. Das Zimmer teile ich mit Walter. Wie ich doch über seinen mehr als perfekten<br />

Ordnungssinn staune. Und ich freue mich für ihn, als er am ersten Abend in <strong>de</strong>r<br />

Frem<strong>de</strong> eine kuvertierte Liebeserklärung seiner Karin fin<strong>de</strong>t. Um zehn nach zehn fallen<br />

mir die mü<strong>de</strong>n Äuglein zu.<br />

6


Freitag, 15.Mai 2009, 2. Tag<br />

Die Wege <strong>de</strong>s HERRN sind richtig,<br />

und die Gerechten wan<strong>de</strong>ln darauf;<br />

aber die Übertreter kommen auf ihnen zu Fall.<br />

Hosea 14,10<br />

Morgens: Österreich, Wagna, Hotel Neuhold<br />

Abends: Serbien, Jagodina, Hotel Jagodina<br />

669 km / 1394 km<br />

Dreiviertel fünf. Raus aus <strong>de</strong>r Kiste. Walter und ich sind halt noch ein bisschen<br />

aufgeregt. Ich weiß, mein Spruch „Nur <strong>de</strong>r frühe Vogel fängt <strong>de</strong>n Wurm“ wird gerne<br />

gekontert mit „Und wer etwas Besseres möchte, schläft lieber länger“. Großes<br />

Frühstück mit allem, was mir lieb ist: Pfefferminztee, Ei, Tomaten, Paprika.<br />

Plötzlich ist mein Navi gefragt. Aber ich bin mit <strong>de</strong>m neuen Teil noch nicht so fit, als<br />

dass ich auf die Schnelle eine Route durch Slowenien planen könnte. Um halb neun<br />

Abfahrt. Kilians Gruppe kauft im Supermarkt für ein Picknick ein. Die Grenze nach<br />

Slowenien ist offen, ist ja EU-Land. Wir fahren auf <strong>de</strong>r Landstraße, um fünfunddreißig<br />

Euro für die Autobahn-Vignette zu sparen.<br />

Eine Vesperpause mit anschließen<strong>de</strong>m Morgengebet im Rund machen wir auf einer<br />

Wiese. Auf <strong>de</strong>m Navi sehe ich, dass keine 100 Meter entfernt ein Stauseeufer ist, das<br />

uns einen schöneren Picknickplatz geboten hätte. Aber <strong>de</strong>r Konjunktiv „hätte“ ist kein<br />

guter Begleiter auf einer Reise in dieser Form. Viel zu schnell und spontan müssen<br />

Entscheidungen getroffen wer<strong>de</strong>n.<br />

Um zwölf sind wir an <strong>de</strong>r Grenze zu Kroatien. Die erste Passkontrolle <strong>de</strong>r Tour,<br />

vorgenommen von einer verdammt hübschen Zöllnerin, erinnert uns daran, dass wir<br />

jetzt die EU verlassen. Angenehm gewärmt vom beginnen<strong>de</strong>n Frühsommer, rollen wir<br />

7


auf guten Autobahnen an Zagreb vorbei auf <strong>de</strong>n Balkan. Um fünf Uhr am Nachmittag<br />

stehen wir an <strong>de</strong>r Grenze zu Serbien. Dort Kontrolle von Pass und grüner<br />

Versicherungskarte. Auf <strong>de</strong>r Fahrt durch Serbien habe ich <strong>de</strong>n Eindruck, man habe die<br />

Uhr um einige Jahrzehnte zurückgedreht. Die Gebäu<strong>de</strong>, die Landwirtschaft, die<br />

Alltagskleidung <strong>de</strong>r Leute am Wegesrand, wie in alten Filmen. An <strong>de</strong>n Tankstellen und<br />

Raststätten haben wir oft sehr netten Kontakt zu an<strong>de</strong>ren Reisen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r zum<br />

Personal. Wir sind aber auch alle sehr gut „druff“, soll heißen, wir gehen auf die Leute<br />

zu, machen ein Scherzchen, das überträt sich und kommt zurück. Oft wer<strong>de</strong>n wir<br />

gefragt, woher wir kommen und wohin die Reise gehen wird. Natürlich wer<strong>de</strong>n wir<br />

fotografiert.<br />

Über die Schnellstraße und Stadtautobahn geht es im Freitagabendstau durch Belgrad.<br />

Auf mehreren Hügeln erbaut, bestimmen die vielen hochhausgroßen Plattenbeton-<br />

Wohnblocks das Stadtbild. Durch <strong>de</strong>n Stop-and-Go-Verkehr wird die Fahrt fast zu einer<br />

Sightseeingtour. Hinter Belgrad lassen wir’s auf super Autobahnen noch mal<br />

hun<strong>de</strong>rtfünfzig Kilometer laufen und kommen bis Jagodina.<br />

An <strong>de</strong>r Autobahnabfahrt mit <strong>de</strong>r Mautstelle, es ist schon dunkel, reicht es uns für heute.<br />

Die Gruppe bleibt stehen, und Kalle fährt in die Stadt, um „Quartier zu machen“. Dieses<br />

System <strong>de</strong>r Unterkunftssuche klappt gut. Er kommt mit Eve und Marco auf einer<br />

weißen Renn-Honda im Schlepptau zurück. Marco hat letztes Jahr das Schwarze Meer<br />

umrun<strong>de</strong>t und dabei einen Film gedreht. Eve sollte eigentlich nur <strong>de</strong>n Film fürs<br />

Fernsehen bearbeiten. Jetzt sind die bei<strong>de</strong>n zusammen.<br />

Das hilfsbereite Paar bringt uns ins Hotel Jagodina, ein Bonzenschuppen mit 145<br />

Zimmern, 1979 gebaut. Wahrscheinlich von einer DDR-Firma erstellt und seither nichts<br />

mehr daran gemacht. Die Mopeds stellen wir in die baufällige Tiefgarage, in <strong>de</strong>r sonst<br />

nur Gerümpel liegt. Das Hotel überragt die Stadt, eine dunkelbraune Alufront mit<br />

großen Fenstern, etwa 10 Stockwerke hoch mit einem großen Atrium und umlaufen<strong>de</strong>n<br />

Fluren. Der Teppichbo<strong>de</strong>n gibt einen guten Einblick in die Teppichherstellungstechnik,<br />

weil man je<strong>de</strong> Schicht <strong>de</strong>s abgetretenen Bo<strong>de</strong>nbelags erkennen kann. An vielen<br />

Stellen geht es sogar in die Estrichkun<strong>de</strong> über. Das Hotel ist mit einigen Schulklassen<br />

Neun- bis Vierzehnjähriger belegt, die für eine lebhafte Geräuschkulisse sorgen.<br />

8


Das Zimmer teile ich wie<strong>de</strong>r mit Walter. Er bekennt sich als „Rotelianer“. Das sind<br />

Menschen, die mit <strong>de</strong>m Rotel-Bus, halb Reisebus, halb Wohnwagen, auf Reisen sind.<br />

Walter haben diese Fahrten bis nach Afrika und Asien gebracht. Dabei hat er sich auch<br />

die vielen Kniffe angeeignet, zum Beispiel die Reisewaschmaschine. Man nehme eine<br />

Einkaufstüte, gebe die verschmutzte Wäsche, etwas Shampoo, wenn man kein<br />

Waschmittel hat, und einen Liter Wasser hinein, blase die Tüte wie einen Luftballon<br />

auf, knote sie zu und schüttle das Ganze. Bald ist die Wäsche sauber. Wirkt nebenbei<br />

noch wie Gymnastik.<br />

Das Beson<strong>de</strong>re an unserem Hotelzimmer ist die Nasszelle: dunkelbraune 80er-Jahre-<br />

Fliesen mit einem lockeren Wasserhahn am Waschbecken. Das Wasser lässt man so<br />

lange laufen, bis die Braunfärbung nachlässt, aber die Temperatur noch nicht wie<strong>de</strong>r<br />

im Kaltbereich angekommen ist. Dann schnell rein. Mit geschlossenem Mund, habe ich<br />

gelesen, soll man das machen. Mein Duschgel, eigentlich ein Duschöl, mit Sheabutter<br />

und Aganöl riecht <strong>de</strong>rmaßen intensiv, dass es je<strong>de</strong>s noch so muffige Ba<strong>de</strong>zimmer<br />

überduftet. Dieses Ritual mit <strong>de</strong>m speziellen Geruch und <strong>de</strong>r anschließend so weichen<br />

Haut, wird für mich auf dieser Reise zu einer Art Refugium wer<strong>de</strong>n. Dann bin ich für<br />

mich, dann bin ich privat, dann bin ich sauber, dann fühle ich mich einfach gut.<br />

Der Koch vom Hotelrestaurant im Erdgeschoss wirft extra für uns <strong>de</strong>n Herd noch<br />

einmal an. Zum Essen gibt es Grillteller mit viel Fleisch, Pommes und Salat. Kaltes Bier<br />

spült das Ganze runter. Alle sind lustig und gelöst. Haben wir doch die zweite große<br />

Etappe geschafft.<br />

Nur Thomas vermisst seinen Geldbeutel mit ein paar hun<strong>de</strong>rt Euro und Kreditkarte, er<br />

ist etwas bleich und appetitlos. Walter war übrigens mit Winfried und an<strong>de</strong>ren Leuten<br />

für eine halbe Stun<strong>de</strong> im Lift stecken geblieben.<br />

Nach Slibowitz aus <strong>de</strong>m Wasserglas - Marco und Eve, die Kellnerinnen und <strong>de</strong>r Koch<br />

trinken aus purer Solidarität kräftig mit - geht’s um dreiundzwanzig Uhr ins Bett.<br />

9


Samstag, 16. Mai 2009, 3. Tag<br />

Der Herr sprach zu Paulus:<br />

Ich bin dir erschienen, um dich zu erwählen<br />

zum Diener und zum Zeugen für das, was du von mir<br />

gesehen hast und was ich dir noch zeigen will.<br />

Apostelgeschichte 26,16<br />

Morgens: Serbien, Jagodina, Hotel Jagodina<br />

Abends: Bulgarien, südlich von Povdiv, Bachkova-Kloster, Pension<br />

424 km / 1818 km<br />

Schock! Wo ist mein Reisepass? Mir kommt es vor, als müsse ich auf tausend Sachen<br />

aufpassen: Brustbeutel, Geldbeutel, Schlüssel, Navi, Fernbedienung für die<br />

Alarmanlage <strong>de</strong>r Dicken, Taschen, Gepäckrolle und vieles mehr. Ein christlicher<br />

(besser orthodox-christlicher) Witz zwischendurch? Was be<strong>de</strong>ut es, sich zu<br />

bekreuzigen, wenn man aus <strong>de</strong>m Haus geht? Die Berührung <strong>de</strong>r Stirn kontrolliert:<br />

„Habe ich an alles gedacht?“. Die Berührung <strong>de</strong>s Bauchs kontrolliert: „Hosenla<strong>de</strong>n<br />

zu?“. Die doppelte Berührung <strong>de</strong>r Brust kontrolliert: „Brieftasche und Geldbeutel<br />

eingesteckt?“. Wegen <strong>de</strong>s Reisepasses grüble ich eine Stun<strong>de</strong>, bis ich schließlich<br />

Walter frage. Er erlöst mich mit <strong>de</strong>m Hinweis: „Na, <strong>de</strong>r liegt doch an <strong>de</strong>r Rezeption.“<br />

Das können nur die Slibowitze gewesen sein.<br />

Das Frühstück ist nichts Beson<strong>de</strong>res, aber ausreichend. Tee gibt es aus großen<br />

Blechkannen. Kaffee gibt es keinen. Den vermisse ich auch nicht. Auf Kalles Bitte hin,<br />

beschalle ich die Tiefgarage mit gregorianischen Gesängen von Maria Laach, die auf<br />

CD im rechten Koffer <strong>de</strong>r Dicken auf Abruf zur Verfügung stehen. Die Betonhöhle hat<br />

eine Akustik wie eine Kathedrale. Auch wenn es für ein paar zu laut ist. Unsere<br />

Gruppenreise verlangt viel Toleranz.<br />

12


Noch besser als die Musik fin<strong>de</strong>t Thomas, dass er seine Wertsachen unberührt auf<br />

<strong>de</strong>m staubigen Bo<strong>de</strong>n unter seiner roten BMW, seinem „Schnabeltier“, fin<strong>de</strong>t. Die BMW<br />

hat ein Schutzblech über <strong>de</strong>m Vor<strong>de</strong>rrad, das an ein solches Tier erinnert.<br />

Das Aufstellen <strong>de</strong>r Motorrä<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Straße vor <strong>de</strong>m Hotel provoziert gleich einen<br />

mittleren Auflauf. Die Männer sind alle freundlich und zurückhaltend. Auf Autobahnen<br />

fahren wir durch serbische, später bulgarische Landschaften. Mir kommen<br />

Kindheitserinnerungen an <strong>de</strong>n noch armen O<strong>de</strong>nwald, an Lobenfeld, an Sulzbach vor<br />

vierzig Jahren o<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n Film „Ich <strong>de</strong>nke oft an Piroschka“. Bauern und Bäuerinnen<br />

stehen auf winzigen Fel<strong>de</strong>rn und bearbeiten die Scholle von Hand mit Hacke und<br />

Spaten und mähen mit <strong>de</strong>r Sense. Durch das Brummen <strong>de</strong>r Motorrä<strong>de</strong>r aufmerksam<br />

gewor<strong>de</strong>n, blicken sie auf und winken uns freudig zu.<br />

In Südserbien fahren wir in die Stadt Pirot, um eine Pause zu machen und ein bisschen<br />

Unterwegsverpflegung einzukaufen. Alle vor mir sind schon durch, da schaltet die<br />

Ampel auf Rot. Und ehe ich mich versehe, stürmt <strong>de</strong>r mit Mehl bestäubte Bäcker aus<br />

seiner Backstube an <strong>de</strong>r Kreuzung und legt mir und Winfried je ein noch warmes, frisch<br />

gebackenes Brot in <strong>de</strong>n Schoß. „Sretno“, viel Glück und „stetan put“, gute Reise, ruft er<br />

uns zu, um genau so schnell wie<strong>de</strong>r in seiner Bäckerei zu verschwin<strong>de</strong>n wie er<br />

gekommen war. „Hvala“, danke!<br />

Der Grenzübertritt vierzig Minuten später von Serbien nach Bulgarien dauert eine halbe<br />

Stun<strong>de</strong>. An <strong>de</strong>r ersten Station bekommt je<strong>de</strong>r einen USB-Stick mit <strong>de</strong>m Scan seines<br />

Reisepasses. Dann Gesundheitskontrolle wegen Schweinegrippe, dann grüne<br />

Versicherungskarte für die Dicke, dann Zoll und letztlich Straßenbenutzungsgebühr,<br />

die aber für Motorrä<strong>de</strong>r nicht anfällt. Danach gibt man <strong>de</strong>n Stick mit <strong>de</strong>n Einträgen<br />

wie<strong>de</strong>r ab.<br />

Schlagartig wer<strong>de</strong>n die Straßen schlechter, aber wie<strong>de</strong>rum nicht so schlecht wie<br />

befürchtet o<strong>de</strong>r in Reiseberichten beschrieben. Wir entschei<strong>de</strong>n, die bulgarische<br />

Hauptstadt Sofa zu umfahren und brauchen dazu eine Stun<strong>de</strong>. Unterwegs passieren<br />

wir etliche Polizeikontrollen. Die Beamten tolerieren unsere Geschwindigkeit und<br />

winken uns sogar freundlich zu.<br />

13


Dann verlassen wir die Ebene <strong>de</strong>s Maritsa-Flusses, um nach Sü<strong>de</strong>n in Richtung<br />

Griechenland in das Rhodopengebirge zu fahren. Dass die Temperatur von 29° auf 25°<br />

fällt, ist sehr angenehm. Hier sieht es aus wie im Schwarzwald, nur dass wir hier auf<br />

<strong>de</strong>m Balkan sind. Das enge Tal führt zum Bachkova-Kloster, ausgesprochen wird es<br />

„Batschkowa“. Vorbei an Devotionalienhändlern, die die Auffahrt zu <strong>de</strong>m Kloster<br />

säumen, gelangen wir zu <strong>de</strong>r imposanten Anlage. Das zweitgrößte Kloster Bulgariens<br />

hat Wurzeln bis ins Jahr 1083. Doch schon <strong>de</strong>r Kirchendiener in seiner grauen Kutte ist<br />

nicht wirklich freundlich zu uns. Die Mönche verhalten sich nicht an<strong>de</strong>rs. Und bei ihrer<br />

orthodoxen Abendandacht singen sie grottenschlecht. Alles in <strong>de</strong>m Gotteshaus müffelt<br />

stockig und klamm. Wenn unsere Zimmer so riechen, dann gute Nacht. Berith ist<br />

schlichtweg entsetzt, als sie hinter <strong>de</strong>r Kirche einen Karton voller Pornohefte und je<strong>de</strong><br />

Menge leerer Alkoholflaschen fin<strong>de</strong>t. Selbst das viersprachige Empfehlungsschreiben<br />

unseres Freiburger Erzbischofs Robert Zollitsch öffnet keine Herzen und vor allem<br />

keine Türen. Auf unsere Bitte nach Übernachtung gehen sie überhaupt nicht ein. Ein<br />

merkwürdiger Verein.<br />

Vor <strong>de</strong>r Klostermauer machen wir ein Picknick mit allem, was die verschie<strong>de</strong>nen<br />

Packtaschen noch hergeben. Meine Massai-Decke kommt auf die Mauer und alles<br />

Essbare darauf. „So wur<strong>de</strong>n alle von <strong>de</strong>n nicht einmal fünf Broten und <strong>de</strong>n weniger als<br />

zwei Fischen satt.“ Das kühle Brunnenwasser ist eigentlich die einzige Labsal, die das<br />

Kloster uns spen<strong>de</strong>t.<br />

Stefan und Kilian machen vier Kilometer talauswärts in einer Pension Quartier. Schlicht<br />

und einfach, Zimmer mit Doppelbett, eine „Duschtoilette“ wie auf <strong>de</strong>r Segelyacht. Der<br />

Wirt bemüht sich extrem um uns und grillt Forellen, Schweinefleisch und Hühnchen.<br />

Ich trinke serbischen Chardonnay, vollmundig mit einem ganz leichten Harz-<br />

Geschmack wie beim Retsina.<br />

Zwischen spannen<strong>de</strong>n Gesprächen und schlichter Müdigkeit wird es dreiundzwanzig<br />

Uhr. Augen zu. Vor meinem inneren Auge zieht die Landschaft als weites Panorama<br />

vorbei. Der Frühsommer schenkt <strong>de</strong>n Pflanzen Kraft und Farbe. Ebenen von Hügeln<br />

gerahmt, im Hintergrund Schneeberge. Tiere wei<strong>de</strong>n, ein Muli zieht <strong>de</strong>n Karren,<br />

Freundlichkeit, wohin man schaut. Das hast Du gut gemacht, lieber Gott, <strong>de</strong>nke ich mir<br />

noch, bevor ich zufrie<strong>de</strong>n einschlafe.<br />

14


Sonntag, 17.Mai 2009, 4.Tag<br />

Er dachte an uns, als wir unterdrückt waren,<br />

<strong>de</strong>nn seine Güte währet ewiglich.<br />

Psalm 136, 23<br />

Morgens: Bulgarien, südlich von Povdiv, Bachkova-Kloster, Pension<br />

Abends: Türkei, Schwarzmeerküste, 3 km östlich von Sile, Beduinenzelt<br />

415 km / 2233 km<br />

Ich glaube, ich bin wie<strong>de</strong>r als Erster wach. So schleiche ich mich aus <strong>de</strong>m Haus und<br />

stromere herum. Der Wirt hat extra seinen alten 190er Benz quer in die<br />

Parkplatzeinfahrt gestellt, damit unseren Mopeds auch ja nichts passiert. Aus Lust und<br />

Langeweile putze ich alle Windschil<strong>de</strong>r. Dann lege ich noch je<strong>de</strong>m ein blühen<strong>de</strong>s<br />

Zweiglein auf die Sitzbank, mir ist danach. Später lerne ich, dass meine Mitreisen<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>n Dreck voller Stolz an <strong>de</strong>n Motorrä<strong>de</strong>rn lassen. Für meine Dicke ist das nichts. Die<br />

muss halbwegs sauber sein und immer schön glänzen.<br />

Es gibt ein leckeres Frühstück, aber wie<strong>de</strong>r viel zu wenig zu trinken. Ich nehme mir vor,<br />

bei Gelegenheit heftig Wasser „abzulittern“. Wir fahren auf kleinen Bergsträßchen zur<br />

Autobahn. Hier ist kaum Verkehr. Zwar LKWs, die von <strong>de</strong>r Türkei nach Westeuropa<br />

und zurück fahren, aber wenig PKWs. Zwei Gruppen von Bikern überholen uns, jeweils<br />

drei BMWs aus Berlin und aus Italien. Die brettern <strong>de</strong>utlich schneller als wir mit<br />

unseren hun<strong>de</strong>rtfünf Stun<strong>de</strong>nkilometern.<br />

Als wir auf die Grenze zufahren, sehen wir auf bulgarischer Seite ein etwa zwanzig<br />

Meter hohes Kreuz, und beim Blick nach rechts auf türkischer Seite das hohe Minarett<br />

einer Moschee, obwohl hier weit und breit keine rechte Siedlung ist. Hier will wohl<br />

je<strong>de</strong>s Land zeigen, wer Chef im Haus ist.<br />

Wir sind im Dreilän<strong>de</strong>reck Bulgarien, Griechenland, Türkei. Die Grenzstation, ein<br />

Neubau mit riesigen Dimensionen, sieht wie ein Flughafenterminal aus.<br />

15


Die Grenzanlage ist etwa einen Kilometer lang und hat auf bulgarischer Seite drei<br />

Stoppstellen, auf türkischer Seite vier. Alle Beamtinnen und Beamten sind<br />

ausgesprochen freundlich und nett. Auch hier gilt offensichtlich, wie man in <strong>de</strong>n Wald<br />

ruft, so schallt es heraus. Wir selbst tragen unsere Freu<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Reise nach außen<br />

und versuchen, die Leute zu emotionieren! Dieses Wort, das von Petra<br />

(Harley/Östringen) häufig benutzt wird, gefällt mir irgendwie, auch wenn es in diesem<br />

Sinn nicht sehr gebräuchlich ist.<br />

Ein Grenzer isst von einem Zweig, <strong>de</strong>r auf seinem Schreibtisch liegt, kleine grüne<br />

Beeren. Ich frage ihn, ob es gut schmeckt, schon schenkt er mir lachend <strong>de</strong>n Zweig.<br />

Da ich <strong>de</strong>r türkischen Sprache nicht mächtig bin und er nicht <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen, spricht<br />

je<strong>de</strong>r einfach seine Sprache. Mimik und Gestik reichen völlig aus, um sich zu<br />

verstehen. Am Zweig sind übrigens unreife Kirschen, <strong>de</strong>r Stein ist noch nicht<br />

ausgehärtet. Schmecken herb, aber erfrischend. Sie sind tropfnass und kalt. Renate,<br />

mit <strong>de</strong>r ich die gute Gabe teile, stimmt mir zu, dass es mit unseren<br />

Hygienevorsichtsmaßnahmen nicht weit her ist.<br />

Auf super ausgebauten Autobahnen rauscht unser Zug in Richtung Istanbul. Die Rast<br />

auf einem Parkplatz haut einige von uns sofort zum Tiefschlaf ins Gras. Ein<br />

Polizeistreifenwagen rollt langsam heran. Ob alles in Ordnung sei, will <strong>de</strong>r ältere<br />

Offizier wissen. Und schon gibt es einen Plausch mit <strong>de</strong>r Eröffnungsfrage nach <strong>de</strong>m<br />

Woher und Wohin. Als er erfährt, dass wir ans Schwarze Meer wollen, meint er, dass<br />

sein Cousin sich dort gut auskenne. Also ruft er ihn ganz spontan an - in Pforzheim<br />

wohlgemerkt - und fragt ihn nach Unterkünften. Das sehr lustige Meeting dauert über<br />

eine Stun<strong>de</strong> - einfach nur köstlich.<br />

Es geht weiter bis zu Europas En<strong>de</strong>. Elf Fahrspuren breit ist die Mautabfertigung an<br />

<strong>de</strong>r Bosporusbrücke. Kolonnen von Autos, hinter <strong>de</strong>nen wir uns einreihen. Da kommen<br />

doch tatsächlich unsere Polizeifreun<strong>de</strong> mit einer für uns nicht verständlichen<br />

Lautsprecherdurchsage, geben Zeichen, und schon sind wir an <strong>de</strong>r Autoschlange<br />

vorbei. Der Cousin aus Pforzheim wäre bestimmt sehr stolz. An <strong>de</strong>n Schaltern zahlen<br />

wir problemlos mit <strong>de</strong>r EC-Karte, wie mittlerweile eigentlich fast überall. Hier gibt es<br />

sogar eine Guthabenkarte für die Autobahnen.<br />

16


Schon sind wir auf <strong>de</strong>r Brücke. Sie ist eineinhalb Kilometer lang und vierundsechzig<br />

Meter hoch. Außer uns fahren an einem Tag wie heute 180.000 Fahrzeuge darüber.<br />

Einfach nur Wahnsinn, <strong>de</strong>r Blick über das Gelän<strong>de</strong>r. Tief unten herrlich blaues Meer<br />

mit Fähren, Yachten, Strandhotels, Buchten - wun<strong>de</strong>rschön. Links das Schwarze<br />

Meer, rechts das Marmarameer. Ganz schnell sind wir mit <strong>de</strong>m eigenen Motorrad von<br />

Europa nach Asien gefahren. Vor lauter grenzenloser Begeisterung übersehen wir <strong>de</strong>n<br />

Panoramaparkplatz am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Brücke. Deshalb erhaschen wir nur noch wenige<br />

Blicke auf die Altstadt Istanbuls.<br />

Die Autobahn schwenkt sich durch die Berge nach Nor<strong>de</strong>n. Am traurigsten darüber,<br />

dass wir in Istanbul nicht Station machen konnten, ist Kalle. Man merkt ihm an, dass es<br />

ihn viel Kraft kostet, seine eigenen Wünsche für die <strong>de</strong>r Gruppe zurückzustellen. Er ist<br />

ein rechter Feingeist und Individualist. Für ihn scheint das lange Zusammensein in <strong>de</strong>r<br />

Gruppe wirklich zu einer Grenzerfahrung zu wer<strong>de</strong>n.<br />

Wir erreichen Sile, ein Seebad am Schwarzen Meer. Dort sind je<strong>de</strong> Menge Baustellen<br />

von neuen Hotels. Na, wenn es da nur mal genügend Gäste gibt für solche<br />

Kapazitäten. Das „Schwarz“ im Begriff „Schwarzes Meer“ kommt übrigens von Sulfat<br />

reduzieren<strong>de</strong>n Bakterien, die das Wasser dunkel, eben schwarz färben.<br />

Kilian und Kalle machen Quartier. Sie kommen zurück und schil<strong>de</strong>rn die Ent<strong>de</strong>ckung<br />

eines Schlafzeltes aus Tausendun<strong>de</strong>iner Nacht auf einer Halbinsel drei Kilometer<br />

östlich. Nur mit <strong>de</strong>n Motorrä<strong>de</strong>rn könne man nicht bis ganz hin fahren. Geht nicht, gibt’s<br />

nicht. Wir können doch, und zwar alle, wenn auch nicht ganz ohne Probleme. Etwa<br />

nach einem halben Kilometer geht von <strong>de</strong>r kleinen Straße <strong>de</strong>r schmale Feldweg steil<br />

bergab. Dabei ist <strong>de</strong>r Feldweg weniger das Problem, als vielmehr eine dreißig Meter<br />

lange, schlammige Rinne, die sehr tief ausgefahren ist. Da rutscht das Hinterrad in<br />

eine Furche und kommt nicht mehr <strong>de</strong>m Vor<strong>de</strong>rrad hinterher, und schon liegt die ganze<br />

Chose auf <strong>de</strong>m Koffer. Und jetzt die Dicke. Ich probiere es mit recht hoher<br />

Geschwindigkeit. Schlingere, aber zum Glück nach links an einem Gestrüpp entlang,<br />

das zwar einen Sturz verhin<strong>de</strong>rt, doch die Fahrt abrupt bremst. Der Zusatzscheinwerfer<br />

am linken Sturzbügel ist verbogen. Später sehe ich, dass die Schraubenaufnahme<br />

gebrochen ist. Da ist ein super Kleber, <strong>de</strong>n Stefan dabei hat, gefragt.<br />

17


Dann stehen wir alle auf <strong>de</strong>m Plateau. Und da steht auch ein Zelt, ein Beduinenzelt,<br />

dunkelbraun, etwa zwanzig mal sieben Meter groß, nur ein Dach und eine Wand über<br />

die lange Seite zum Berg hin. Zum Meer geht die Aussicht auf eine kleine Insel, sonst<br />

300° Meerblick. Zum Ufer sind es zwanzig Meter die Kante runter. Das Zelt wird wohl<br />

von Tagestouristen als Sonnenschutz und zum Teetrinken und Shisha rauchen<br />

benutzt. In <strong>de</strong>r Abendfeuchtigkeit müffelt <strong>de</strong>r Wollstoff wie ein feuchter Pullover.<br />

Zwei Jungs, die einen recht bekifften Eindruck machen, entzün<strong>de</strong>n ein Lagerfeuer und<br />

machen Tee. Berith, die Wasserratte, schwimmt im Schwarzen Meer. Wir essen, was<br />

die verschie<strong>de</strong>nen Restetüten hergeben, trinken diverse Schnapssorten, natürlich nur<br />

<strong>de</strong>r Gesundheit wegen, und rollen unsere Schlafsäcke aus. Ich schlafe sehr gut an <strong>de</strong>r<br />

frischen Luft, aber nicht sehr lange.<br />

18


Montag, 18. Mai 2009, 5. Tag<br />

Johannes sprach zu <strong>de</strong>n Zöllnern: For<strong>de</strong>rt nicht mehr,<br />

als euch vorgeschrieben ist!<br />

Lukas 3,13<br />

Morgens: Türkei, Schwarzmeerküste, 3 km östlich von Sile, Beduinenzelt<br />

Abends: Türkei, Kappadokien, Uchisar, Hotel Les Terrasses<br />

820 km / 3053 km<br />

Nach <strong>de</strong>m Hellwer<strong>de</strong>n klettere ich <strong>de</strong>n Hang hinter unserem Plateau hinauf zum<br />

Fotografieren. Da ist alles schon planiert, um weitere Bauplätze zu schaffen. Oh je, wo<br />

sollen nur die Touristen herkommen, <strong>de</strong>nke ich wie<strong>de</strong>r. Tee gibt es, aber kein<br />

Frühstück.<br />

Winfried und Walter machen sich mit einer Schaufel in Pionierarbeit an <strong>de</strong>n<br />

Straßenbau. Mit großer Wirkung. Das Durchfahren <strong>de</strong>r Schlammstelle geht sehr viel<br />

besser. Allerdings trage ich mein Gepäck vorneweg, nach<strong>de</strong>m ich die Erfahrung<br />

gemacht habe, dass mit <strong>de</strong>r Gepäckrolle auf <strong>de</strong>m Topcase <strong>de</strong>r Schwerpunkt so<br />

verdammt hoch ist, dass das massive Nachteile mit sich bringt.<br />

Pech hat lei<strong>de</strong>r Erna. Sie wählt für die Durchfahrt genau <strong>de</strong>n Moment, als keiner an <strong>de</strong>r<br />

Stelle ist, um ihr die günstigste Spur zu zeigen. Sie rutscht mit ihrem „Mädchen“, wie<br />

sie ihre rote F 800 nennt, weg und klemmt sich <strong>de</strong>n Knöchel ein. Verbogene Fußraster<br />

und Blinker sind nebensächlich. Als alle an <strong>de</strong>r Straße angelangt sind, zieht Erna <strong>de</strong>n<br />

Stiefel aus. Man erkennt schon eine beginnen<strong>de</strong> Schwellung. Salbe von Berith, Bin<strong>de</strong><br />

von Renate, <strong>de</strong>n Tipp, das Ganze mit Klebeband zu tapen von mir, das silberne<br />

Panzerband von Martin, die heilen<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong> von Kalle - und schon passt <strong>de</strong>r Fuß<br />

wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Stiefel. In diesem Moment ist mir Erna wirklich ein Vorbild, das<br />

Unabwendbare zu akzeptieren, die Zähne zusammenzubeißen und dabei noch zu<br />

lachen.<br />

19


Unter<strong>de</strong>ssen wehrt sich Stefan gegen die Abzocke unseres „Vermieters“ Mustafa, <strong>de</strong>r<br />

über Nacht mal so eben seinen Preis verdoppeln will. Sie einigen sich etwa in <strong>de</strong>r<br />

Mitte. Nur blöd, dass wir ihm damit zusätzliche Joints finanzieren.<br />

Wir fahren auf kleinsten Straßen an <strong>de</strong>r Küste entlang. In Karakakoy frühstücken wir in<br />

einem Strandimbiss. Faszinierend, mit welchem Talent und mit welcher Freundlichkeit<br />

die Betreiber völlig unvorbereitet aus <strong>de</strong>m Nichts heraus ein Dutzend hungrige Mäuler<br />

stopfen. Mit <strong>de</strong>r Aussicht auf das Schwarze Meer feiern wir eine schöne<br />

Morgenandacht.<br />

Durch eine sattgrüne Berglandschaft geht’s weiter nach Sü<strong>de</strong>n bis zur Autobahn.<br />

Zwischendurch schaffe ich mich mal nach vorne und halte an, um die vorbeifahren<strong>de</strong><br />

Gruppe zu fotografieren. Die Autobahn spült uns in Richtung Ankara, eine Silhouette<br />

mit Hochhaussiedlungen in harmonischen ocker- und rostbraunen Farben in <strong>de</strong>r Ferne.<br />

Den Hintergrund bil<strong>de</strong>n die schneebe<strong>de</strong>ckten Berge Anatoliens.<br />

An Tankstellen wer<strong>de</strong>n wir oft von Deutschtürken angesprochen. Einer beschenkt uns<br />

mit Süßigkeiten und verspricht einen Eintrag im Gästebuch unserer Homepage. Das<br />

Einkaufsverhalten in <strong>de</strong>r Gruppe hat sich seit unserem Start völlig verän<strong>de</strong>rt. Waren es<br />

in <strong>de</strong>n ersten Tagen Cola und süße Riegel, stehen jetzt Chips und Salzstangen hoch<br />

im Kurs. Der Körper verlangt eben, was er braucht.<br />

In Ankara tanken wir mitten in <strong>de</strong>r nachmittäglichen Rushhour. Es ist schon siebzehn<br />

Uhr, und wir haben noch dreihun<strong>de</strong>rtvierzig Kilometer vor uns. Von <strong>de</strong>r Autobahn geht<br />

es auf eine vierspurige Schnellstraße, die wir uns mit allen Arten von<br />

Fortbewegungsmitteln teilen. Die Fahrroutine ist mittlerweile in Fleisch und Blut<br />

übergegangen. Alles läuft wie am Schnürchen. Und doch wird diese Routine immer<br />

wie<strong>de</strong>r unterbrochen.<br />

„Schnell, schnell, Stefan, Winfried, <strong>de</strong>r macht eure Mopeds platt.“ Nach <strong>de</strong>m Tanken<br />

hatten die bei<strong>de</strong>n ihre Maschinen so fünfzehn Meter hinter einem großen Kieslaster<br />

abgestellt. Plötzlich rollt das führerlose Ungetüm ganz langsam, aber unaufhörlich<br />

zurück. Der Fahrer hat die Feststellbremse vergessen. Lautes Geschrei, und drei<br />

Männer hechten zu ihren Vehikeln. Gera<strong>de</strong> noch mal gut gegangen.<br />

20


Es wird dunkel. Und dann im Pulk mit über hun<strong>de</strong>rt Stun<strong>de</strong>nkilometern dahin zu<br />

brettern, halte ich für irrsinnig gefährlich, bin aber auch nicht so konsequent, das zu<br />

sagen. Um einundzwanzig Uhr erreichen wir endlich Uchisar in Kappadokien. Stefan<br />

fin<strong>de</strong>t mit traumwandlerischer Sicherheit das Hotel inmitten <strong>de</strong>s Straßengewirrs. Es<br />

kommt mir vor, als habe er während <strong>de</strong>r monatelangen Reiseplanung alle<br />

Informationen einschließlich Google-Maps im Kopf abgespeichert und könne jetzt Datei<br />

für Datei abrufen. Dass er um diese perfekte Routenplanung überhaupt kein Aufheben<br />

macht, zeichnet ihn obendrein aus.<br />

Im Hotel Les Terrasses sind die Zimmer in <strong>de</strong>n Fels gehauen. Je<strong>de</strong>r Raum hat sein<br />

eigenes Flair. Marco, <strong>de</strong>r französische Wirt, führt sein Haus mit viel Liebe fürs Detail.<br />

Mein Zimmer, o<strong>de</strong>r soll ich besser sagen, meine Höhle, teile ich mit Markus, Winfried<br />

und Walter. Ich schlafe mit <strong>de</strong>r Schulter an <strong>de</strong>r Felswand. Obwohl es schon spät ist,<br />

schlemmen wir heute Abend mit vier Gängen so richtig.<br />

21


Dienstag, 19. Mai 2009, 6. Tag<br />

Der Herr hat Geduld mit euch und will nicht,<br />

dass jemand verloren wer<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn dass<br />

je<strong>de</strong>rmann zur Buße fin<strong>de</strong>.<br />

2. Petrus 3, 9<br />

Morgens: Türkei, Kappadokien, Uchisar, Hotel Les Terrasses<br />

Abends: Türkei, Kappadokien, Uchisar, Hotel Les Terrasses<br />

0 km Ruhetag<br />

Das ist mein Morgen. Als ich um halb sechs aufstehe, muss ich von innen die Hoteltür<br />

aufschließen. Nach unserer nächtlichen Ankunft offenbart die Helligkeit nun erst die<br />

Schönheit unseres Aufenthaltsortes. Die Pflasterstraße vor <strong>de</strong>m Hotel bietet auf einer<br />

Seite unseren Motorrä<strong>de</strong>rn Platz zum Parken, daneben verläuft ein Gehweg und<br />

dahinter fällt <strong>de</strong>r Hang steil ab. Über zum Teil zerfallene Häuser blickt man in ein Tal<br />

mit <strong>de</strong>n für Kappadokien so typischen geologischen Formationen, <strong>de</strong>n Kopjes. Links<br />

im Dunst liegt Göreme und dahinter <strong>de</strong>r schneebe<strong>de</strong>ckte Vulkan Ercivas dagi,<br />

immerhin 3.916 Meter hoch.<br />

Auf zum Morgenspaziergang, die Nikon im Anschlag. Was ist <strong>de</strong>nn das, was da aus<br />

<strong>de</strong>m Dunst auf mich zukommt? Ich zähle geschlagene 36 Heißluftballons, die von<br />

Göreme aufgestiegen sind und jetzt genau auf Uchisar zufahren, ein absolut<br />

gigantischer Anblick.<br />

Die Bäuerin, die zu so früher Stun<strong>de</strong> zwei Wuschel-Schafe zum Wei<strong>de</strong>n führt, möchte<br />

nicht fotografiert wer<strong>de</strong>n. Aber für einen Dollar „Unterstützung“ gibt sie die leben<strong>de</strong>n<br />

Wollknäuel als Mo<strong>de</strong>ls frei.<br />

Nach <strong>de</strong>m Frühstück führt uns Marco, unser Wirt, über zwei Stun<strong>de</strong>n lang durch das<br />

Tal und erklärt uns die Beson<strong>de</strong>rheiten dieses einzigartigen Landstrichs.<br />

22


Das schreibt <strong>de</strong>r Reiseführer dazu:<br />

Im Herzen Anatoliens, zwischen Nevsehir, Kayseri und Nig<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> vor etwa drei Millionen<br />

Jahren durch Vulkanausbrüche die ganze Hochebene mit Tuff be<strong>de</strong>ckt, einem weichen Stein<br />

aus Lava, Asche und Schlamm. Wind und Regen haben daraus eine surrealistisch anmuten<strong>de</strong><br />

Landschaft aus bizarren Felsen und Schluchten geschaffen, <strong>de</strong>ren Farben von einem<br />

leuchten<strong>de</strong>n Rot über gelb-ocker-bräunliche Töne bis zum Graugrün reichen. Man fühlt sich wie<br />

in eine bizarre Mondlandschaft versetzt. Durch die lokal unterschiedlich intensive Abtragung <strong>de</strong>s<br />

Tuffmaterials entstan<strong>de</strong>n die charakteristischen Pyrami<strong>de</strong>n, die sogenannten "Feenkamine", die<br />

heute <strong>de</strong>n Reiz <strong>de</strong>r kappadokischen Landschaft ausmachen. Das historische Kappadokien<br />

bleibt <strong>de</strong>m Auge jedoch vorerst verborgen. Menschen haben in dieser Region schon 4000 v.<br />

Chr. Felsenhöhlen in <strong>de</strong>n weichen Tuffstein gehauen. Im 4. Jahrhun<strong>de</strong>rt war dieses Gebiet<br />

Anatoliens Mittelpunkt <strong>de</strong>r Christianisierung. Die von <strong>de</strong>n Römern bedrohten Einsiedler bauten<br />

ihre klösterlichen Anlagen und über 600 Kirchen in <strong>de</strong>n weichen Tuffstein. Die in diesen<br />

Räumen entstan<strong>de</strong>nen Fresken haben bis heute nichts von ihrer Farbenpracht verloren. Als im<br />

7. Jahrhun<strong>de</strong>rt arabische Raubzüge das Leben unmöglich machten, entstan<strong>de</strong>n mehr als 36<br />

unterirdische Städte. Manche von ihnen beherbergten mehr als 20.000 Bewohner.<br />

Den Nachmittag verbummle ich beim Wäschewaschen und beim „Power relaxing“. Vor<br />

<strong>de</strong>m Essen fin<strong>de</strong>n wir uns auf <strong>de</strong>r Hotelterrasse zu einem Gruppengespräch<br />

zusammen. Neben <strong>de</strong>n positiven Facetten, wird nur wenig Negatives angesprochen.<br />

Kilian reklamiert die Fahrdisziplin, vor allem beim Überholen. Ich erinnere an unsere<br />

Verabredung, keine Nachtfahrten zu machen. Trotz<strong>de</strong>m sind es nun schon drei<br />

gewor<strong>de</strong>n. Immer Glück gehabt, dass alles gut ging.<br />

23


Mittwoch, 20. Mai 2009, 7. Tag<br />

Lasst uns <strong>de</strong>m nachstreben, was zum Frie<strong>de</strong>n dient<br />

und zur Erbauung untereinan<strong>de</strong>r.<br />

Römer 14,19<br />

Morgens: Türkei, Kappadokien, Uchisar, Hotel Les Terrasses<br />

Abends: Syrien, Aleppo, Hotel Al Boustan<br />

691 km 3744 km<br />

Mein Gepäck habe ich schon gestern Abend aus <strong>de</strong>m Zimmer in die Lobby gestellt. Ich<br />

treffe mich mit Kalle um halb sechs. Wir fahren nach Göreme zum Startplatz <strong>de</strong>r<br />

Heißluftballons. So viele auf ein Mal habe ich noch nie gesehen. Und groß sind die. Mit<br />

Körben, in <strong>de</strong>nen 10 bis 16 Passagier Platz fin<strong>de</strong>n (von wegen größter Ballon <strong>de</strong>r Welt<br />

in <strong>de</strong>r Serengeti). Ich bringe die Dicke in Position und klick, klick, klick, wer<strong>de</strong>n Fotos<br />

gemacht. Einen solchen Hintergrund gibt es nur hier. Wir haben netten Kontakt zu <strong>de</strong>r<br />

Bo<strong>de</strong>ncrew von „Sultan Ballon“, die gera<strong>de</strong> einen Ballon mit einem Korb voller<br />

jauchzen<strong>de</strong>r asiatischer Touristen in die Luft entlassen hat. Ein Poloshirt in<br />

Knallorange für meinen Ballonfan Christel springt bei <strong>de</strong>m Plausch heraus.<br />

Plötzlich ist die Batterie am Motorrad leer. Alle Lampen, <strong>de</strong>r CD-Player und was die<br />

Technikpalette sonst noch so alles zu bieten hat, waren eingeschaltet, das ist zuviel für<br />

Standgas. Zum Glück stehe ich etwas abschüssig und kann unsere 460 Kilogramm<br />

ohne frem<strong>de</strong> Hilfe anschieben.<br />

Zum Frühstück sind wir wie<strong>de</strong>r im Hotel. Vorher gibt es noch ein wohltuen<strong>de</strong>s<br />

Morgenlob in <strong>de</strong>r klaren, frischen Morgenluft und mit <strong>de</strong>r einmaligen Aussicht.<br />

Aufsatteln <strong>de</strong>r Dicken, Handschlag mit Marco. Mehmet, <strong>de</strong>r Koch, ein kleiner,<br />

gedrungener Türke mit lustigen, dunklen Knopfaugen hat mir über Nacht eine CD mit<br />

seinen Lieblingslie<strong>de</strong>rn gebrannt und schenkt sie mir zum Abschied. Jetzt freut er sich<br />

riesig, bei unserer Abfahrt seine Musik aus <strong>de</strong>n Lautsprechern <strong>de</strong>r LT zu hören.<br />

26


Und ab geht’s nach Sü<strong>de</strong>n. Durch das Taurusgebirge zieht sich eine nagelneue<br />

Autobahn mit tollen Brücken, Tunnels und einer Infrastruktur, die man sich auch auf<br />

heimischen Straßen wünscht. Es geht in Richtung Mittelmeer nach Adana.<br />

In weiten Schwüngen fällt die E 90 <strong>de</strong>m Meer entgegen. Der Wind nimmt zu und<br />

das Kurven fahren wird eine kippelige Angelegenheit. Renate in ihrer blauen<br />

Jacke, mit <strong>de</strong>n fetten Alukoffer an ihrer silbernen GS 1150, fährt souverän wie<br />

gewohnt vor mir her. Die Geschwindigkeit, mit <strong>de</strong>r die Kolonne unterwegs ist,<br />

beträgt so zwischen hun<strong>de</strong>rtzehn und hun<strong>de</strong>rtzwanzig Stun<strong>de</strong>nkilometern. Das ist<br />

genau das Tempo <strong>de</strong>r Autos und <strong>de</strong>r Trucks. Die Fahrer scheinen <strong>de</strong>n<br />

Tempomaten einzuschalten und es dann laufen zu lassen. Wenn was quer kommt,<br />

warten sie bis zum allerletzten Moment, bis sie sich aus <strong>de</strong>r Ruhe bringen lassen.<br />

Wenn wir also auf Autos o<strong>de</strong>r LKW auflaufen, ist unsere Geschwindigkeit nur<br />

gering höher als die <strong>de</strong>r Dosen. Die Ersten beschleunigen dann ein wenig, um zu<br />

überholen. Wenn sie vorbei sind, scheren sie sofort wie<strong>de</strong>r nach rechts ein und<br />

reduzieren das Tempo. Für die Fahrer ab Position 4 o<strong>de</strong>r 5 bleibt dann oft kein<br />

Platz mehr, um ebenfalls vor <strong>de</strong>m Überholten wie<strong>de</strong>r einzuscheren. Das ist dann<br />

ziemlich ärgerlich.<br />

Hier ist die Situation ein wenig an<strong>de</strong>rs. Wir fahren auf <strong>de</strong>r rechten Spur an ein Auto<br />

heran. Kalle überholt. Ich als letzter <strong>de</strong>r Fünfergruppe sehe hinter mir auf <strong>de</strong>r<br />

Überholspur einen riesigen Scania-Truck, einen leeren Tiefla<strong>de</strong>r, wie er für<br />

Baumaschinen genutzt wird. Renate beschleunigt, zieht raus. Ich will nicht hinter<br />

<strong>de</strong>m Auto und neben <strong>de</strong>m Tiefla<strong>de</strong>r eingeklemmt wer<strong>de</strong>n und beschleunige auch.<br />

Da sehe ich <strong>de</strong>n dunklen Fleck am Übergang <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Fahrspuren. So drei Meter<br />

breit und unendliche dreißig Meter lang, vom En<strong>de</strong> her zu Reifenspuren<br />

ausgefahren. Beim Näherkommen wird <strong>de</strong>r Fleck immer größer, schwärzer und<br />

glänzen<strong>de</strong>r. Da muss ein Motor geplatzt sein. Eine an<strong>de</strong>re Erklärung habe ich nicht<br />

für die Öllache. Renate gelingt es, noch vor <strong>de</strong>m Fleck einen Schlenker zu fahren.<br />

Sie fährt schon wie<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong>aus, als sie durch die öligen Reifenspuren kommt.<br />

Ich hingegen steuere beim Wechseln <strong>de</strong>r Fahrbahn mitten in <strong>de</strong>n Fleck hinein und<br />

somit mitten in die Gefahr. Die Reifenhaftung zum Asphalt geht verloren. Es fühlt<br />

sich an wie Aquaplaning.<br />

27


Diese Richtung kann ich nicht beibehalten, sonst geht’s schnurstracks in die<br />

Mittelleitplanke. Also muss ich nach rechts, um wie<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> zu kommen. Aber<br />

wie? Ein leichter Druck am Lenker nach links und mein Gewicht nach rechts (Biker<br />

verstehen das). Keine Reaktion. Die Neigung nach rechts wird durch das<br />

Wegrutschen <strong>de</strong>s Vor<strong>de</strong>rrads verstärkt und schon bricht das Hinterrad nach links<br />

aus. Vor meinen Augen wer<strong>de</strong>n die Leitplankenpfosten monstergroß. Der rote<br />

Truck, beim Ausscheren vielleicht noch fünfzig Meter zurück, dröhnt nun<br />

Rückspiegel füllend hinter mir. Der kann doch niemals ausweichen, wenn ich jetzt<br />

stürze. Endlich läuft das Vor<strong>de</strong>rrad wie<strong>de</strong>r auf trockenen Grund. Durch die extreme<br />

Schräglage kommt unveröltes Reifenprofil auf <strong>de</strong>n Asphalt und das Rad fin<strong>de</strong>t<br />

seine Spur. Ein kräftiger Ruck unter meinem Allerwertesten, und das Motorradheck<br />

kommt hinterher. Nun gebe ich aber so was von Gas, um von hier weg zu kommen.<br />

Mein Mund und meine Kehle kleben vor Trockenheit. Ich habe Sodbrennen und<br />

friere, gleichzeitig rinnt <strong>de</strong>r Schweiß in Strömen. Oh, ist mir elend. Bei <strong>de</strong>r<br />

Weiterfahrt schreie ich in <strong>de</strong>n Wind „Bewahre uns Gott, behüte uns Gott, sei mit<br />

uns auf unseren Wegen …“ Dabei verschwimmt Renates Silhouette in meinen<br />

Tränen, die ich mir unter <strong>de</strong>r Sonnenbrille aus <strong>de</strong>n Augen wische.<br />

Unser nächster Stopp nach diesem Erlebnis <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Art ist erst wie<strong>de</strong>r ein<br />

Autobahnrastplatz hinter Adana. Dort heißt es Essen fassen. Es gibt Shish kebab.<br />

Metallspieße wie Schwerter wer<strong>de</strong>n mit Lamm-Hackfleisch umwickelt. Dadurch ist die<br />

Hackfleischschicht nicht dick und schnell durchgegart. Gegessen wird mit <strong>de</strong>n Fingern.<br />

Vom Brotfla<strong>de</strong>n ein Stück abgerissen, Fleisch und Salat darauf, zugeklappt und ab in<br />

<strong>de</strong>n Mund. Obwohl mir noch flau im Magen ist, baut mich die Mahlzeit auf.<br />

Die Kellner sind super nett, schenken unseren Mä<strong>de</strong>ls Rosen, und zum Abschied gibt<br />

es einen Spritzer Limettenlotion in die Hän<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>r man Stirn und Nacken kühlen<br />

kann.<br />

Beim letzten gemeinsamen Tanken in <strong>de</strong>r Türkei singen wir noch „Fahr mit uns“, dann<br />

teilt sich die Gruppe. Kalle, Renate, Erna, Thomas und ich fahren nach Osten Richtung<br />

Aleppo. Der Rest <strong>de</strong>r Gruppe fährt am Meer entlang nach Latakia.<br />

28


Die Straßen wer<strong>de</strong>n schmaler. Dann kommt rechts ein mächtiger, kilometerlanger<br />

Zaun, die Grenze zu Syrien. Dort, wo <strong>de</strong>r Zaun nach rechts abknickt, am Checkpoint,<br />

zunächst ein Vorposten. Nach <strong>de</strong>r Passkontrolle dürfen wir in die eigentliche türkische<br />

Grenzanlage. Dann Stationen 2 bis 4, und wir verlassen die Türkei. Wer jetzt <strong>de</strong>nkt, es<br />

kommt die syrische Kontrolle - weit gefehlt. Eine kleine, staubige Straße führt zwei<br />

Kilometer über einen kleinen Pass. Rechts und links in diesem Niemandsland liegt<br />

Schrott von Militärfahrzeugen herum und es gibt je<strong>de</strong> Menge Unterstän<strong>de</strong> und<br />

Sandsackbarrieren.<br />

Irgendwann scheinen wir auf syrischem Territorium zu sein. Schon wie<strong>de</strong>r ein<br />

Vorposten, <strong>de</strong>r für uns ein schweres Gittertor aufschiebt, das ist Station 5. Wir fahren in<br />

die syrische Kontrollanlage. Seitenweise haben wir bei <strong>de</strong>n Vorbereitungen über die<br />

Tücken und Schikanen bei <strong>de</strong>r Einreise nach Syrien gelesen. Für die Frage nach<br />

unserem Reiseziel haben wir die Antwort „Jordanien und wie<strong>de</strong>r zurück“ verabre<strong>de</strong>t.<br />

Extra haben wir das teure Visum, das die Rückreise ermöglicht hätte, beantragt. Kein<br />

Schriftstück, das auf unser Ziel Israel hingewiesen hätte, ist im Gepäck.<br />

Etwas aufgeregt und verschüchtert betreten wir das imposante Abfertigungsgebäu<strong>de</strong>.<br />

Schon am ersten Schalter stellt sich uns ein adretter junger Mann in gutem Englisch<br />

vor. Er freue sich, uns auf <strong>de</strong>m Weg durch <strong>de</strong>n Behör<strong>de</strong>ndschungel zu helfen. Da sind<br />

wir erst mal baff. Also weiter. Station 6 Passkontrolle, 7 Visakontrolle, 8 Laufzettel<br />

kaufen, 9 Kontrolle <strong>de</strong>r Fahrzeugpapiere, 10 Geldumtausch, um die Gebühren<br />

bezahlen zu können, 11 Kfz-Versicherung abschließen, 12 Carnet <strong>de</strong> Passage. Unser<br />

Helfer lehnt Lohn o<strong>de</strong>r Trinkgeld kategorisch ab. „Shukron“, danke, ist mein erstes<br />

arabisches Wort an ihn. An Station 13 sind wir wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Abfertigungsspur, dort<br />

Vollständigkeitskontrolle <strong>de</strong>r Papiere und dann noch Eintragung aller Pass-,<br />

Registrierungs-, Kfz-Fahrgestell- und Führerschein-Nummern.<br />

Der Grenzer, ein kleiner Mann in seiner etwas schmud<strong>de</strong>ligen Uniform, sitzt in<br />

Ermangelung eines Stuhls auf einem alten Eisenbett. Der Matratzenbezug ist total<br />

zerrissen und gibt <strong>de</strong>n verschlissenen Schaumstoff frei. Haare gegelt, Schnurrbart<br />

penibel geschnitten, gewissenhaft schreibt er endlosen Zahlenkolonnen in<br />

großformatige Klad<strong>de</strong>n.<br />

29


Der liebe Gott und Allah wer<strong>de</strong>n wissen, was mit diesen Büchern passiert. Aber <strong>de</strong>r<br />

gute Mann ist sehr lustig drauf, entschuldigt sich mit Handschlag und einem Keks bei<br />

je<strong>de</strong>m von uns für das lange Warten.<br />

Gleich dahinter an Station 14 wartet eine Medizinerin mit weißem Mundschutz und<br />

Fieberthermometer in <strong>de</strong>r Hand, um uns zu befragen, uns tief in die Augen zu schauen<br />

und eine Information über die Grippewelle auszugeben. An Station 15 fahren wir durch<br />

eine Furt mit Desinfektionslösung und an <strong>de</strong>r endgültig letzten Station 16 will ein<br />

Grenzoffizier noch einmal alle Pässe sehen. Erst jetzt wird wie<strong>de</strong>r ein großes Metalltor<br />

zur Seite gerollt.<br />

Die ganze aufwändige Prozedur hat dreieinhalb Stun<strong>de</strong>n gedauert. „Welcome to Syria“,<br />

steht in großen Lettern am Straßenrand. Es ist spät gewor<strong>de</strong>n.<br />

Kalle versucht noch, das Simeonskloster Qal'at Seman zu fin<strong>de</strong>n. Nach einer Irrfahrt<br />

durch ein armseliges Dorf mit abgrundtiefen Schlaglöchern und Jugendlichen, die aus<br />

lauter Neugier<strong>de</strong> gefährlich nah vor unsere Motorrä<strong>de</strong>r rennen, fällt die Entscheidung<br />

für Aleppo. Später erfahren wir, dass nur Schil<strong>de</strong>r in arabischer Sprache <strong>de</strong>n Weg zu<br />

<strong>de</strong>r Ruine weisen.<br />

Kalle fährt etwa eine Stun<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Dunkelheit auf die Stadt zu. In <strong>de</strong>r Innenstadt halten<br />

wir an und in schon bewährter Manier sucht Kalle ein Hotel. Vier Biker stehen mit ihren<br />

Maschinen am Straßenrand in Aleppo. Sofort kommen Jungs und junge Männer<br />

neugierig zu uns. Ich freun<strong>de</strong> mich mit einem etwa Zwölfjährigen an, <strong>de</strong>r vor seinen<br />

Kumpels mit seinen Englischkenntnissen prahlt. Die Dicke ist wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Star. Als wir<br />

dann an einem belebten Platz vor <strong>de</strong>m Hotel Al Boustan das Gepäck abla<strong>de</strong>n, gibt es<br />

wie<strong>de</strong>r einen Menschenauflauf. Alle sind neugierig, aber keineswegs aggressiv. Wir<br />

fühlen uns nie bedroht o<strong>de</strong>r in irgen<strong>de</strong>iner Art gefähr<strong>de</strong>t.<br />

Die Motorrä<strong>de</strong>r fahren wir über <strong>de</strong>n Al-Midan-Platz in die Tiefgarage <strong>de</strong>s Vier-Sterne-<br />

Sheraton-Hotels. Das Parken zwischen <strong>de</strong>n schwarzen und schneeweißen Limousinen<br />

<strong>de</strong>r Scheichs kostet für die fünf Motorrä<strong>de</strong>r 80 Dollar, die Übernachtung gegenüber für<br />

uns fünf kostet genauso viel.<br />

30


Wir Jungs haben ein Dreibettzimmer, die Mä<strong>de</strong>ls über <strong>de</strong>m Flur eine kleine Zweibett-<br />

Kemenate. Spät am Abend hole ich noch in <strong>de</strong>m kleinen Lokal um die Ecke etwas zu<br />

Essen. Für 500 Schilling, das sind ungefähr zehn Euro, gibt es für uns Kebab,<br />

Lammkoteletts und Salat, dazu Coca-Cola. Gegessen wird im Jungs-Zimmer,<br />

gemütlich auf <strong>de</strong>n Betten sitzend mit Tischgebet vorneweg und Verdauungsschnaps<br />

hinterher.<br />

Was für ein Tag. Mü<strong>de</strong> nach anstrengen<strong>de</strong>n 700 Kilometern, stun<strong>de</strong>nlangem<br />

Aufenthalt an <strong>de</strong>r Grenze und mit meinem Öllachen-Erlebnis falle ich schließlich<br />

hun<strong>de</strong>mü<strong>de</strong> ins Bett.<br />

31


Donnerstag, 21. Mai 2009, 8. Tag, Christi Himmelfahrt<br />

Der Engel <strong>de</strong>s HERRN lagert sich um die her,<br />

die ihn fürchten, und hilft ihnen heraus.<br />

Psalm 34,8<br />

Morgens: Syrien, Aleppo, Hotel Al Boustan<br />

Abends: Syrien, Al Nadara, Hotel Al-Wadi<br />

253 km 3998 km<br />

Der Verkehrslärm mit <strong>de</strong>m unentwegten Hupen hat erst sehr spät in <strong>de</strong>r Nacht<br />

aufgehört. In unserem Dreibettzimmer habe ich trotz<strong>de</strong>m prächtig geschlafen und<br />

genieße schon ein Vollbad, noch bevor Kalle und Markus aufstehen. Später packen wir<br />

und stellen unsere Sachen im Treppehaus ab.<br />

Zu Fuß geht es Richtung Altstadt. Auf <strong>de</strong>m Weg wechseln wir Geld in einer Bank. Zu<br />

<strong>de</strong>n Syrischen Pfund gibt es Kaffee von <strong>de</strong>r hübschen Bankmitarbeiterin.<br />

Gleich beim Betreten <strong>de</strong>r Altstadt spricht mich ein etwa 65jähriger Herr in einem <strong>de</strong>r<br />

pittoresken Innenhöfe an. Ihm ist mein Kreuz aufgefallen, das ich an einem<br />

Le<strong>de</strong>rbändchen um <strong>de</strong>n Hals trage. Ich habe es mal in Maria Laach gekauft. Es ist ein<br />

Taukreuz aus Olivenholz und hat die Form eines „T“. Der Name Taukreuz leitet sich<br />

vom 19. Buchstaben <strong>de</strong>s griechischen Alphabets Tau bzw. vom letzten Buchstaben<br />

<strong>de</strong>s hebräischen Alphabets Taw ab. Für mich ist das Kreuz fest mit dieser Pilgerfahrt<br />

verbun<strong>de</strong>n, es wird mich immer daran erinnern. Der elegant geklei<strong>de</strong>te Herr möchte<br />

wissen, ob ich Christ sei. Er lauscht sehr interessiert meiner Geschichte und erzählt<br />

dann, dass die jungen Christen hier lei<strong>de</strong>r fast keine Chancen hätten, um Karriere zu<br />

machen und eigentlich alle auswan<strong>de</strong>rn wollten. Er hingegen habe seinen Platz als<br />

Händler schon seit vielen Jahren hier, sei fest eingebun<strong>de</strong>n und wolle Aleppo nicht<br />

verlassen. Mit einem herzlichen „God bless you“ umarmen wir uns zum Abschied.<br />

34


Aleppo hat knapp 1,7 Millionen Einwohner (2008) und ist damit die<br />

bevölkerungsreichste Stadt Syriens noch vor Damaskus. Sie gilt als eine <strong>de</strong>r ältesten<br />

Städte in <strong>de</strong>r Region und nimmt einen wichtigen strategischen Punkt zwischen <strong>de</strong>m<br />

Mittelmeer und <strong>de</strong>m Euphrat ein. Ursprünglich wur<strong>de</strong> sie auf einer Hügelgruppe in<br />

einer fruchtbaren Senke auf bei<strong>de</strong>n Seiten <strong>de</strong>s Flusses Quwaiq erbaut. Die Mehrheit<br />

<strong>de</strong>r Bevölkerung bil<strong>de</strong>n Araber und Kur<strong>de</strong>n. Daneben gibt es noch Türken, Aramäer<br />

und Armenier sowie an<strong>de</strong>re kleinere Volksgruppen. Etwa fünfzehn bis zwanzig Prozent<br />

<strong>de</strong>r Einwohner sind Christen verschie<strong>de</strong>ner Konfessionen.<br />

Die Zita<strong>de</strong>lle von Aleppo thront auf einem kegelförmigen Berg über <strong>de</strong>r Stadt. Eine<br />

Treppenrampe führt durch eine fast labyrinthartige Eingangshalle hinauf. Dahinter liegt<br />

die antike Stadt, in <strong>de</strong>r 4.500 Menschen gelebt haben sollen. Das Theater scheint noch<br />

aktiv genutzt zu wer<strong>de</strong>n. Zurück im Suq, fin<strong>de</strong>n wir dort die tollsten Fotomotive:<br />

Gewürze, Stoffe, Seife, Duftrosen, alles bunt und fremd.<br />

Bevor wir so um die Mittagszeit die Mopeds aus <strong>de</strong>r Tiefgarage <strong>de</strong>s Sheraton-Hotels<br />

holen, nutzen wir noch die Möglichkeit, die Marmortoiletten mit Trockengebläse im<br />

Vier-Sterne-Luxushotel zu benutzen. Dann richten wir uns für die Weiterfahrt. Fünfzig<br />

o<strong>de</strong>r sogar mehr Männer sind es, die dabei sein möchten. Am häufigsten wer<strong>de</strong> ich<br />

nach <strong>de</strong>m Wert <strong>de</strong>r Dicken gefragt. Der Einfachheit halber antworte ich immer mit „ten<br />

thousand dollar“. Das ist für die Syrer so unvorstellbar viel, dass erst mal Sen<strong>de</strong>pause<br />

ist, bevor sie um Erklärung aller Bedienknöpfe <strong>de</strong>s Motorrads bitten.<br />

Für die Fahrt aus <strong>de</strong>r Stadt heraus sperrt <strong>de</strong>r Polizist, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Auflauf aufmerksam<br />

beobachtet hat, <strong>de</strong>n Hauptplatz, so können wir gut als Kolonne zusammen bleiben.<br />

Die weltgrößten Wasserrä<strong>de</strong>r von Hama haben wir lei<strong>de</strong>r verpasst. Das Verkehrsschild<br />

war nicht zu ent<strong>de</strong>cken. Wir verpassen auch auf <strong>de</strong>r weiteren Reise viele<br />

Sehenswürdigkeiten, weil wir keine Zeit haben, weil wir sie nicht fin<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r weil es<br />

gera<strong>de</strong> so gut läuft. Scha<strong>de</strong>. Die Kreuzritterburg Crac <strong>de</strong>s Chevaliers fin<strong>de</strong>n wir<br />

hingegen gleich. In steilen Serpentinen geht es <strong>de</strong>n Berg hinauf.<br />

Die Freun<strong>de</strong>, die am Mittelmeer in Latakia übernachtet hatten, wer<strong>de</strong>n heute Apamea,<br />

die Ruinenstadt aus griechisch-römischer Perio<strong>de</strong>, anschauen.<br />

35


Für uns heißt das zu warten, einen Platz fürs Aben<strong>de</strong>ssen zu fin<strong>de</strong>n und Quartier zu<br />

machen. Ein Restaurant ist gleich neben <strong>de</strong>r Burg gefun<strong>de</strong>n. Übernachten wer<strong>de</strong>n wir<br />

ein paar Kilometer entfernt im Tal „Al Nadara“, im Tal <strong>de</strong>r Christen. Das Hotel Al-Wadi<br />

ist eine Art Ferienclub inmitten von Obst- und Olivengärten. Dreiunddreißig Zimmer,<br />

Computer mit <strong>Internet</strong>anschluss, Swimmingpool. Und wir die einzigen Gäste.<br />

Zum Aben<strong>de</strong>ssen ist unsere Gruppe wie<strong>de</strong>r komplett. Bei einem mehrgängigen Menü<br />

haben wir viel Spaß, auch wegen <strong>de</strong>s sehr „extrovertierten“ Kellners, <strong>de</strong>r stolz auf<br />

seine paar Brocken Deutsch ist, die er beherrscht.<br />

Vor <strong>de</strong>m Schlafengehen wird bei einer Schnapsrun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Tag reflektiert und<br />

anschließend gebetet. Das Gebet nutze ich dafür, um zu danken, dass ich mein<br />

Öllachen-Erlebnis unbescha<strong>de</strong>t überstan<strong>de</strong>n habe.<br />

36


Freitag, 22. Mai 2009, 9. Tag<br />

Fürchtet euch nicht, wenn euch die Leute schmähen,<br />

und entsetzt euch nicht, wenn sie euch verhöhnen!<br />

Jesaja 51,7<br />

Morgens: Syrien, Al Nadara, Hotel Al-Wadi mit Pool<br />

Abends: Syrien, Damaskus, Haus <strong>de</strong>r Familie Sandouk<br />

215 km 4213 km<br />

Verglichen mit unseren an<strong>de</strong>ren Quartieren, ist das hier Luxus. Thomas, Kalle und ich<br />

teilen uns ein Dreibettzimmer, das durch eine Diele, eine Küchenecke und ein großes<br />

Bad eigentlich mehr ein Appartement ist. Ich gönne mir wie<strong>de</strong>r die Ba<strong>de</strong>wanne,<br />

vermisse aber <strong>de</strong>rzeit meinen Kulturbeutel, <strong>de</strong>r dann später beim Packen unter allen<br />

Taschen ganz unten wie<strong>de</strong>r auftauchen wird. Könnte mir nicht vielleicht Walter etwas<br />

von seinem Ordnungssinn abgeben?<br />

Heute feiern wir ein Morgenlob über Christi Himmelfahrt. Meine Öllachendurchfahrt ist<br />

Thema. Danach geht es wie<strong>de</strong>r drei Kilometer zur Crac <strong>de</strong>s Chevaliers, <strong>de</strong>r riesigen<br />

Kreuzritterburg. Crac be<strong>de</strong>utet Festung. Mit Vorburg, Gräben, Burg, Ställen, Kapelle,<br />

also allem, was eine Ritterburg haben muss, diente sie 1091 im ersten Kreuzzug unter<br />

Raimund von Saint-Gilles als Zwischenstation. Kalle hat sich toll vorbereitet und ist <strong>de</strong>r<br />

perfekte Reiseleiter. Berith wird von arabischen Touristen bestaunt ob ihrer<br />

Hautverzierungen. Man hat <strong>de</strong>n Eindruck, sie genießt es sogar. Aus dieser Frau soll<br />

einer schlau wer<strong>de</strong>n.<br />

In <strong>de</strong>r Kapelle <strong>de</strong>r Burg singen wir die Lau<strong>de</strong>s. Die auffallend gute Akustik in <strong>de</strong>m<br />

Gewölbe kann nicht darüber hinweg täuschen, dass es schrecklich klingt. Motorrad<br />

fahren können wir ein<strong>de</strong>utig besser als singen.<br />

Winfried berichtet von Problemen mit <strong>de</strong>m Anlasser. Da wir am steilen Berg sind, ist<br />

Anrollen kein Problem.<br />

37


Auf einer guten Autobahn fahren wir Richtung Damaskus. An einer großen Tankstelle<br />

ist für die gelbe GS 1150 erst mal Schluss. Walter und Winfried prüfen, schrauben -<br />

ohne Erfolg. Telefonat mit Marko Stilgenbauer in Heppenheim: „Versucht, einen<br />

französischen Valeo-Anlasser zu fin<strong>de</strong>n. Der wird auch in kleine Mo<strong>de</strong>lle von Renault<br />

und Peugeot eingebaut.“ Der Tipp soll sich noch als goldrichtig erweisen. Anschieben<br />

klappt je<strong>de</strong>nfalls nicht. Anziehen mit <strong>de</strong>m Rollla<strong>de</strong>ngurt klappt zwar, aber Winfried hätte<br />

sich um ein Haar die Bremsleitungen seiner gelben 1150er abgerissen.<br />

Eine Vierergruppe fährt in Sachen Anlasser direkt nach Damaskus. Der Rest biegt<br />

rechts ab. Noch über einen Hügel hinweg, dann sind wir in <strong>de</strong>r Wüste! Dieser Moment<br />

ist atemberaubend im wahrsten Sinn <strong>de</strong>s Wortes. Diese Weite, die Leere, die<br />

Schlichtheit, die Einfachheit, das Gefühl, ganz viel Platz zu haben. Ich genieße das<br />

ruhige Dahingleiten sehr, bin zum Weinen glücklich und dankbar.<br />

Wir erreichen das Kloster <strong>de</strong>s heiligen Sergius in Maalula. Der Besuch <strong>de</strong>s Cafés vor<br />

<strong>de</strong>r Klosterkirche ist ein kleiner weltlicher Höhepunkt. Alles blitzblank, eine Kühltheke<br />

mit <strong>de</strong>r besten Schokola<strong>de</strong>n-Mandarinen-Sahne-Torte südlich von Wien, dazu drei<br />

Tassen Nescafé für mich. Die jüngere Schwester <strong>de</strong>r Café-Betreiberin, bei<strong>de</strong>n<br />

schmeckt <strong>de</strong>r eigene Kuchen offensichtlich auch gut, führt uns in die Kirche. Die junge<br />

Frau verfügt über eine große Herzlichkeit und Innigkeit und zieht uns total in ihren<br />

Bann. Nach<strong>de</strong>m sie uns die Kirche und die Ikonen erklärt hat, dürfen wir in <strong>de</strong>n<br />

Altarraum, <strong>de</strong>r in orthodoxen Kirchen hinter einer Holzwand liegt. Wir stellen uns im<br />

Kreis um <strong>de</strong>n 2000 Jahre alten Altarstein auf. Dann betet die junge Frau das<br />

Vaterunser in aramäischer Sprache:<br />

Abwûn d'bwaschmâja<br />

Nethkâdasch schmach<br />

Têtê ma lkuthach<br />

Nehwê tzevjânach aikâna d'bwaschmâja af b'arha<br />

Hawvlân lachma d'sûnkanân jaomâna<br />

Waschboklân chaubên (wachtahên) aikâna daf chnân schvoken l'chaijabên<br />

Wela tachlân l'nesjuna ela patzân min bischa<br />

Metol dilachie malkutha wahaila wateschbuchta l'ahlâm almîn<br />

Amen<br />

38


Die <strong>de</strong>utsche Version <strong>de</strong>s Gebetes aller Gebete ist unsere Antwort und unser Dank.<br />

Die Einheit im Gespräch mit Gott, Hand in Hand mit <strong>de</strong>n Motorradfreun<strong>de</strong>n, mit <strong>de</strong>r<br />

Frau, die gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Sprache Jesus’ gebetet hat, die gefühlte Verbun<strong>de</strong>nheit mit<br />

allen Lieben zu Hause, das ist mein persönlicher Höhepunkt <strong>de</strong>r Pilgerreise, mein<br />

Höhepunkt von ORIENTierung 2009!<br />

Vom ersten Kloster in Maalula fahren wir durch eine enge Schlucht in <strong>de</strong>n im Tal<br />

liegen<strong>de</strong>n Ort. Hier schmiegt sich das zweite Kloster von Maalula an <strong>de</strong>n Berg, das<br />

Mar Tekla, das <strong>de</strong>r heiligen Tekla geweiht und über <strong>de</strong>ren Grab erbaut ist.<br />

Yallah, wir müssen weiter. In engen Serpentinen fahren wir die sechzig Kilometer in<br />

Richtung Damaskus. Kalle, als Vorausfahren<strong>de</strong>r, bemerkt nicht, dass wie<strong>de</strong>r so ein<br />

Heißsporn, <strong>de</strong>r es mit seinem Auto mit uns aufnehmen will, dabei ist zu überholen. Er<br />

sucht die Herausfor<strong>de</strong>rung. Bereits an allen vorbei, ist er mit seinem Kotflügel genau<br />

auf Kalles Höhe, als <strong>de</strong>r einen kleinen Ausweichschlenker macht. Oberschenkel gegen<br />

Kotflügel o<strong>de</strong>r Kotflügel gegen Oberschenkel. Bei<strong>de</strong> Fahrer lenken vor Schreck zurück<br />

und in <strong>de</strong>n Staub. Von hinten sieht man nur noch eine Staubwolke. Kalle fängt sich<br />

schneller, <strong>de</strong>r Heißsporn stellt sich mit seinem Auto vor <strong>de</strong>m Abhang quer, schleu<strong>de</strong>rt<br />

auf die Straße zurück, gibt Gas, winkt uns tatsächlich noch zu und braust davon. Was<br />

bleibt, ist ein gehöriger Schrecken und die riesige Staubwolke.<br />

Je näher wir nach Damaskus kommen, umso glatter wer<strong>de</strong>n irgendwie die Straßen. Ich<br />

vermute, dass Öl und Diesel, abgetropft von alten Autos und Lastern, für <strong>de</strong>n<br />

spiegelglatten Asphalt und <strong>de</strong>n Schmierseifeneffekt verantwortlich sind. Beim Bremsen<br />

macht das ABS <strong>de</strong>r Dicken oft auf, und die Fuhre geht für ein paar Sekun<strong>de</strong>nbruchteile<br />

ungebremst weiter. Je<strong>de</strong>s Mal ein kleiner Adrenalinstoß. Auf das Auslesen <strong>de</strong>s<br />

Fehlerspeichers im Bordcomputer bin ich gespannt. In <strong>de</strong>r freundlichen BMW-<br />

Werkstadt wird man später je<strong>de</strong>s riskante Fahrmanöver erkennen können.<br />

Der Verkehr nimmt zu. Ich bin platt von <strong>de</strong>r Hitze und <strong>de</strong>r ungewohnten<br />

Großstadthektik. Kilian führt uns in die hinterste Ecke <strong>de</strong>r Altstadt, als ob er dort zu<br />

Hause wäre. „Polter, schepper, peng“, wenige Meter vor Martin kracht ein<br />

umgestürztes Baugerüst auf die Straße. Willkommen im Herzklopfen-Club.<br />

39


Jetzt noch um eine Ecke, und wir sind am Ziel. In <strong>de</strong>r Nachbarschaft zu unserem<br />

Wohnhaus wird extra ein Lager mit einem Metallrollla<strong>de</strong>n davor frei geräumt als<br />

Garage - nur für die Dicke. Die fin<strong>de</strong>t’s klasse und kann sich jetzt mal so richtig<br />

ausruhen. Morgen Ist doch Ruhetag. Ich muss mich auch erst mal setzen. Nach so<br />

vielen Emotionen am heutigen Tag bin ich ziemlich durcheinan<strong>de</strong>r.<br />

Wir wohnen in einem <strong>de</strong>r typischen Stadthäuser. Durch das Eingangstor führt ein Gang<br />

in <strong>de</strong>n quadratischen Innenhof. Ein run<strong>de</strong>r Springbrunnen, Fliesenbo<strong>de</strong>n, Schatten von<br />

zwei Man<strong>de</strong>lbäumen, seitlich hohe Mauern zu <strong>de</strong>n Nachbarn, vorne und hinten je ein<br />

Gebäu<strong>de</strong>, so sieht es hier aus. Im Vor<strong>de</strong>rhaus gibt es zum Gang hin eine Toilette, die<br />

Werkstatt eines Zahntechnikers und ein großes Zimmer, in <strong>de</strong>m die Möbel zur Seite<br />

geschoben sind, um auf <strong>de</strong>m Teppich Platz zum Schlafen zu haben. Geht man die<br />

eiserne Freitreppe hoch, kommt man in ein Zimmer mit zwei Betten und einem alten<br />

Schrank, <strong>de</strong>m die Türen abhan<strong>de</strong>n gekommen sind. Gegenüber einer zweiten Toilette<br />

befin<strong>de</strong>t sich ein Verschlag mit <strong>de</strong>r Dusche. Vor <strong>de</strong>m hinteren Hausteil gibt es noch<br />

einen hässlichen neueren Anbau, so eine Art Container. Darin sind eine Küche und<br />

eine Dusche mit Toilette untergebracht - für die Mä<strong>de</strong>ls. Vor <strong>de</strong>m Aufbruch zum<br />

Aben<strong>de</strong>ssen treffen wir noch Vorbereitungen für das Schlafen im Hof. Das Haus gehört<br />

<strong>de</strong>r Familie von Maher Sandouk. Das ist <strong>de</strong>r Lehrer aus Mannheim, bei <strong>de</strong>m Renate<br />

und Stefan ein bisschen Arabisch gelernt haben. Der Onkel von Maher, für uns Onkel<br />

Chaled, ist unser „Guter Geist“ in Damaskus.<br />

Onkel Chaled führt ganz in <strong>de</strong>r Nähe einen kleinen Lebensmittella<strong>de</strong>n. Am Abend<br />

bringt er uns in ein großes Restaurant in einem Innenhof, nach oben offen bis zum<br />

Sternenhimmel, ringsum schöne arabische Dekorationen, die Kulisse aus<br />

Tausendun<strong>de</strong>iner Nacht. Um halb neun abends sind wir dort die ersten Gäste. Wir<br />

essen je<strong>de</strong> Menge Vorspeisen, die hier Mezze heißen. Auf <strong>de</strong>m langen Tisch reiht sich<br />

Schälchen an Schälchen: Hummus, pürierte Kichererbsen; Babaganusch, Paste aus<br />

gegrillter Aubergine; Mutabel, gegrillte Aubergine; Saitun, eingelegte Oliven, Tomaten<br />

und Paprika; Labne bil Achiar, Joghurt mit Gurken; Magdus, kleine Auberginen, gefüllt<br />

mit einer Walnuss-Paprikapaste; Falafel, frittierte Bällchen aus Kichererbsen; Fataiir,<br />

Blätterteig gefüllt mit Spinat; Warak Dawali, gefüllte Weinblätter. Ich habe doch nichts<br />

vergessen?<br />

40


Zu <strong>de</strong>n Hauptgerichten kommen wir dann je<strong>de</strong>nfalls nicht mehr. Getrunken wird Nana-<br />

Tee mit frischer Minze o<strong>de</strong>r Coca-Cola. Zum Nachtisch verzichten wir auf die<br />

köstlichen Baqlaua und nehmen nur Banane.<br />

Zwei Männer machen Musik. Der Ältere spielt die Laute, die Oud, <strong>de</strong>r Jüngere das<br />

Tanbarin, das Riqq und die Trommel, die Darabukka. Der Ältere ist gleichzeitig Sänger,<br />

<strong>de</strong>r Geschichten in <strong>de</strong>m für uns ungewohnten melodiösen Vierteltongesang erzählt.<br />

Viele Gäste rauchen die Shisha, auch an unserem Tisch wird geraucht. Wer sich bis<br />

jetzt noch nicht mit Allahs Rache infiziert hat, zieht fest am Mundstück.<br />

Als wir in unsere Unterkunft zurückkommen, sind die Stu<strong>de</strong>nten, die längerfristig in<br />

<strong>de</strong>m Haus wohnten noch auf. Wir setzen uns auf einen Plausch zusammen. Just in<br />

diesem Moment läuft eine handgroße, gelbe Spinne durch <strong>de</strong>n Hof und verschwin<strong>de</strong>t<br />

im Dunkeln.<br />

Dazu: Eine in <strong>de</strong>n Wüstengebieten häufig vorkommen<strong>de</strong> und mit vielen Gerüchten behaftete<br />

Spinne ist die zur Familie <strong>de</strong>r Walzenspinnen zählen<strong>de</strong> nachtaktive Kamelspinne. Sie besitzt<br />

sehr kräftig ausgeprägte Beißwerkzeuge (Cheliceren), mit <strong>de</strong>nen sie <strong>de</strong>n Panzer von<br />

Skorpionen knacken kann. Sie ernährt sich aber auch von Insekten, Ei<strong>de</strong>chsen und selten mal<br />

sogar von kleineren Nagetieren. Bei einer Größe von etwa 6 cm erreichen die Beine die<br />

erstaunliche Länge von ca. 15 cm, was die Spinne größer wirken lässt, als sie eigentlich ist. Als<br />

wechselwarmes Tier kann sie Geschwindigkeiten von bis zu 16 km/h erreichen. Giftig ist die<br />

Kamelspinne nicht, ihre Bisse können allerdings noch wochenlang ziemlich schmerzen.<br />

Die Dauerbewohner erzählen auch von Kakerlaken und Skorpionen. Jetzt wird uns<br />

klar, weshalb es im Erdgeschosszimmer so stark nach Insektengift riecht. Ein paar<br />

Leute aus <strong>de</strong>r Stu<strong>de</strong>ntengemeinschaft reisen in <strong>de</strong>r Nacht ab und fliegen nach<br />

Deutschland. „Wenn Du willst, kannst du da oben in meinem Bett schlafen“. Das hat<br />

<strong>de</strong>r Gute noch nicht zu En<strong>de</strong> gesprochen, liegen Isomatte und Schlafsack auf <strong>de</strong>m<br />

Bett. Ich schlafe beruhigt ein.<br />

Das Gemäuer erinnert mich irgendwie an das alte Haus von Tante Kätchen am<br />

Hei<strong>de</strong>lberger Neckarmünzplatz - nur sauberer war es dort. Die Gassen <strong>de</strong>r Altstadt<br />

selbst sind sehr sauber. Die Müllabfuhr kommt stündlich rund um die Uhr, kein Scherz.<br />

41


Samstag, 23. Mai 2009, 10. Tag<br />

Alles Volk suchte Jesus anzurühren;<br />

<strong>de</strong>nn es ging Kraft von ihm aus und er heilte sie alle.<br />

Lukas 6,19<br />

Morgens: Damaskus, Haus <strong>de</strong>r Familie Sandouk<br />

Abends: Damaskus, Haus <strong>de</strong>r Familie Sandouk<br />

0 km Ruhetag<br />

Als ich aufwache, sondiere ich erst mal die Lage. Obwohl ein zweites Bett im Zimmer<br />

steht, hat sich <strong>de</strong>ssen niemand bemächtigt. Ich schleiche ein bisschen auf <strong>de</strong>m<br />

Anwesen herum und mache meine Morgentoilette. Das Klo oben wird mit einem<br />

Wasserschlauch gespült. Hoffentlich übersteht diese Toilette die Durchfallfraktion - und<br />

umgekehrt. Das Wasser aus <strong>de</strong>r Dusche ist kalt o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> so warm, wie es <strong>de</strong>r<br />

Solartank auf <strong>de</strong>m Dach zulässt. Dank <strong>de</strong>s intensiven Geruchs meines Duschöls ist<br />

sogar dieses Duschen für mich eine sinnliche Freu<strong>de</strong>.<br />

Ein Freund von Onkel Chaled bringt die Frühstückszutaten. Sie unterschei<strong>de</strong>n sich nur<br />

unwesentlich vom abendlichen Vorspeisenbuffet. Doch! Marmela<strong>de</strong> gibt’s noch, und<br />

zwar Rosenmarmela<strong>de</strong>. Ich könnte mich reinsetzen. An<strong>de</strong>re fin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Geschmack zu<br />

parfümiert, zu seifenartig. Im Hof steht eine Waschmaschine, die aussieht wie eine<br />

Wäscheschleu<strong>de</strong>r. So ist bei vielen von uns heute Waschtag angesagt.<br />

Kilian gestaltet ein äußerst gelungenes und umfangreiches Morgenlob. Diese<br />

morgendliche Andachtsfeier tut mal wie<strong>de</strong>r gut.<br />

Aus unserem Domizil raus, um zwei Ecken und schon sind wir im ersten Suq. Es sind<br />

viele Frem<strong>de</strong> Pilger in <strong>de</strong>r Stadt, vorrangig Muslime, nur wenig westliche Touristen. Im<br />

großen Suq gibt es immer Gruppen von Stän<strong>de</strong>n mit gleichem Angebot, zehn Händler<br />

mit Gewürzen, mehrere Lä<strong>de</strong>n mit Teppichen o<strong>de</strong>r Posamenten. Für mich ist das ein<br />

bisschen wie auf <strong>de</strong>r Frankfurter Heimtextil-Messe in <strong>de</strong>r Halle 6.<br />

42


Damaskus ist UNESCO-Weltkulturerbe und gehört wie Aleppo zu <strong>de</strong>n ältesten Städten<br />

<strong>de</strong>r Welt. Aus ägyptischen Papyri aus <strong>de</strong>m Jahr 1500 vor Chr. kennt man <strong>de</strong>n Ort am<br />

Schnittpunkt wichtiger Han<strong>de</strong>lsstrassen. Fast alle be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Völker <strong>de</strong>s Altertums,<br />

von <strong>de</strong>n Persern bis zu <strong>de</strong>n Römern, kämpften um diese Stadt und beherrschten sie<br />

zeitweise. Das Damaskus-Erlebnis <strong>de</strong>s Apostels Paulus ist in <strong>de</strong>r Apostelgeschichte<br />

9,3 nachzulesen (Sturz vom Pferd, Blindheit, Wan<strong>de</strong>l vom Saulus zum Paulus etc.).<br />

Die darin erwähnte „Gera<strong>de</strong> Strasse“ gibt es heute noch in <strong>de</strong>r Altstadt. Und dann<br />

stehen wir - aus <strong>de</strong>m Gewirr <strong>de</strong>r Einkaufsgassen kommend - genau vor ihr, vor <strong>de</strong>r<br />

Umayya<strong>de</strong>n-Moschee.<br />

Die Umayya<strong>de</strong>n-Moschee (arabisch ريبكلا ةيمأ ينب عماج Dschām banī Umaya al-kabīr) in <strong>de</strong>r<br />

syrischen Hauptstadt Damaskus ist eine <strong>de</strong>r ältesten Moscheen überhaupt und war Grundlage<br />

für die Entwicklung eines eigenen Baustils für Moscheen, <strong>de</strong>n Pfeilerhallenmoscheen. In<br />

vorislamischer Zeit wur<strong>de</strong> sie als Johannis-Kathedrale errichtet. In <strong>de</strong>r Altstadt gelegen, wur<strong>de</strong><br />

sie von <strong>de</strong>m Umayya<strong>de</strong>n-Kalifen Al-Walid nach zehnjähriger Bauzeit im Jahre 705 n. Chr. fertig<br />

gestellt. Die gesamten Außenmauern stammen jedoch von einem antiken Heiligtum und wur<strong>de</strong>n<br />

nicht von <strong>de</strong>n Arabern errichtet. Beson<strong>de</strong>rs auf <strong>de</strong>r Außenseite <strong>de</strong>r Südmauer sind neben<br />

griechischen Ornamenten auch noch griechische Inschriften und in einigen Metern Höhe ein<br />

antikes Relief mit ausgekratztem Gesicht zu sehen. Ebenfalls erhalten sind mehrere Säulen <strong>de</strong>s<br />

größeren antiken Heiligtums außerhalb <strong>de</strong>r Moschee, am eindrucksvollsten auf <strong>de</strong>r Westseite.<br />

Die Moschee misst 157 x 97 m und gehört zum Basilikatypus und erinnert stark an eine<br />

christliche Kirche. Sie hat vier Tore und drei später errichtete Minarette in verschie<strong>de</strong>nen<br />

Baustilen. Das Ostminarett trägt <strong>de</strong>n Namen "Jesusminarett". Viele Muslime glauben, an<br />

diesem Ort wer<strong>de</strong> am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Welt Jesus erscheinen, um mit <strong>de</strong>m Antichristen zu kämpfen.<br />

Die Moschee umschließt einen großen Innenhof mit drei kleinen Nebengebäu<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m<br />

Schatzhaus, <strong>de</strong>m Uhrenhaus und einem Brunnenhaus. In <strong>de</strong>r weitläufigen, 140 m langen<br />

Gebetshalle, mit <strong>de</strong>r über 45 m hohen Al-Nissr-Kuppel (Adler) befin<strong>de</strong>t sich ein Schrein, <strong>de</strong>n<br />

Christen wie Muslime gleichermaßen verehren und <strong>de</strong>r das Haupt Johannes <strong>de</strong>s Täufers<br />

bergen soll. Die Moschee ist mit farbigen Mosaiken verziert, die von byzantinischen<br />

Baumeistern gefertigt wur<strong>de</strong>n. Beson<strong>de</strong>rs prächtig sind die Mosaiken in <strong>de</strong>n Arka<strong>de</strong>ngängen,<br />

die das Paradies darstellen – mit gol<strong>de</strong>nem Himmel und 22 verschie<strong>de</strong>nen Grüntönen für das<br />

Laub <strong>de</strong>r Bäume. Neben <strong>de</strong>r großen Gebetshalle sind noch vier größere Hallen vorhan<strong>de</strong>n. In<br />

einer davon befin<strong>de</strong>t sich ein Schrein, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kopf Husseins enthalten soll, <strong>de</strong>m Enkel<br />

Mohammeds. Der Schrein ist ein wichtiges Pilgerziel für Schiiten.<br />

43


Der Innenraum ist in eine Männer- und Frauenabteilung unterglie<strong>de</strong>rt. Besucher<br />

können sich barfuß auf <strong>de</strong>m Teppichbo<strong>de</strong>n frei bewegen. Die Schuhe trägt man in <strong>de</strong>r<br />

Hand. Unsere Mä<strong>de</strong>ls müssen sich eine braune Kutte, <strong>de</strong>n Tschador, überziehen.<br />

Kin<strong>de</strong>r spielen ungezwungen am Grab <strong>de</strong>s Täufers. Es herrscht eine fröhliche,<br />

friedliche, fast heitere Stimmung. Ich fühle mich ruhig und beschwingt. Wir liegen auf<br />

<strong>de</strong>m Teppich rum, plau<strong>de</strong>rn und erleben das Mittagsgebet.<br />

Danach gon<strong>de</strong>ln Renate und ich durch die Gassen. Uns fällt eine recht ungezwungene<br />

Offenheit und Liberalität auf. Von westlich sexy bis hoch verschleiert reicht die<br />

Damenmo<strong>de</strong>. Alkohol gibt es nur im christlichen Viertel zu kaufen. Die Händler, bei<br />

<strong>de</strong>nen wir zum Beispiel Parfüm o<strong>de</strong>r eine CD einkaufen, sind stets korrekt. Renate<br />

kann ich gera<strong>de</strong> noch davon abhalten, eine große Trommel zu erstehen.<br />

Zurück in unserem Stadthaus, genießen wir einen ruhigen Abend. Es gibt ja auch so<br />

viel zu erzählen. Da tut es gut, verständnisvolle, liebe Freun<strong>de</strong> um sich zu haben.<br />

Auch Winfrieds Anlasser-Problem ist mittlerweile gelöst. Durch Vermittlung von Onkel<br />

Chaled wird ein Taxi-Fahrer aufgetrieben, <strong>de</strong>r unseren BMW-Schrauber zu<br />

verschie<strong>de</strong>nen Kfz-Gebrauchtteile-Händlern bringt. Im vierten La<strong>de</strong>n langt <strong>de</strong>r<br />

Verkäufer ins Regal und übergibt <strong>de</strong>n passen<strong>de</strong>n Anlasser. Neunzig syrische Pfund,<br />

das sind siebzehn Euro, wechseln <strong>de</strong>n Besitzer. Winfried ist glücklicherweise in <strong>de</strong>r<br />

Lage, <strong>de</strong>n Starter selbst einzubauen.<br />

An einem Imbissstand, <strong>de</strong>r sich auch hier Take away nennt, wer<strong>de</strong>n Hähnchen und<br />

Fisch mit Pommes und Salat besorgt. Kalle, Stefan, Kilian und Thomas essen nicht mit.<br />

Vor <strong>de</strong>m Zubettgehen liest Markus aus Rafik Schamis „Das Geheimnis <strong>de</strong>s<br />

Kalligraphen“. Damit folgt er <strong>de</strong>r uralten syrischen Tradition <strong>de</strong>s Geschichtenerzählens.<br />

Ich darf Markus mit <strong>de</strong>r Taschenlampe das Buch beleuchten und amüsiere alle, als ich<br />

mit <strong>de</strong>m Lichtstrahl in <strong>de</strong>r Hand einnicke. Das liegt aber ganz bestimmt nicht an<br />

Markus, da er <strong>de</strong>r beste Vorleser ist, <strong>de</strong>n ich kenne.<br />

44


Sonntag, 24. Mai 2009, 11. Tag<br />

Wehe <strong>de</strong>nen, die ein Haus zum an<strong>de</strong>rn bringen<br />

und einen Acker an <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn rücken,<br />

bis kein Raum mehr da ist und sie allein das Land besitzen!<br />

Jesaja 5,8<br />

Morgens: Damaskus, Haus <strong>de</strong>r Familie Sandouk<br />

Abends: Jordanien, Madaba, Hotel Ayola<br />

343 km 4556 km<br />

Rrrrrrrrrrrrt, ich schiebe <strong>de</strong>n Metallrollla<strong>de</strong>n „meiner“ Garage nach oben, um mein<br />

Motorrad die hun<strong>de</strong>rt Meter zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Maschinen <strong>de</strong>r Gruppe zu fahren. Schock!<br />

Von <strong>de</strong>r Dicken tropft Benzin ab, es kommt aus <strong>de</strong>r Verkleidung unter <strong>de</strong>m Motorblock.<br />

Nicht viel, fünf Tropfen vielleicht. Das Problem kenne ich. Zweimal schon musste <strong>de</strong>r<br />

Tank ausgebaut und wie<strong>de</strong>r eingebaut wer<strong>de</strong>n. Dazu war es je<strong>de</strong>s Mal notwendig, die<br />

komplette Verkleidung zu <strong>de</strong>montieren. Im Tank steckt die Benzinpumpe, und aus<br />

<strong>de</strong>ren Dichtung „sifft“ das Benzin heraus. Das Kuriose war, dass nie ein Fehler<br />

gefun<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>. Ausbauen, wie<strong>de</strong>r einbauen, dicht, zumin<strong>de</strong>st eine Zeitlang. Wenn<br />

das jetzt wie<strong>de</strong>r notwendig wer<strong>de</strong>n sollte, geht min<strong>de</strong>stens ein halber Tag drauf. Ich<br />

nehme es gerne vorweg: Nicht ein weiterer Tropfen Benzin ist nachgekommen, und die<br />

Dicke hat keinerlei Probleme mehr gemacht.<br />

Die Ausfahrt aus Damaskus ist <strong>de</strong>r absolute Hit. Mit <strong>de</strong>m Daumen auf <strong>de</strong>r Hupe, geht<br />

es durch <strong>de</strong>n Verkehrsdschungel. Zuerst erwischen wir die falsche Ausfallstraße, die<br />

uns zwar noch einen Blick auf <strong>de</strong>n Präsi<strong>de</strong>ntenpalast schenkt, aber in die falsche<br />

Richtung führt. So müssen wir dreißig Kilometer quer fahren, um dann endlich auf die<br />

richtige Straße nach Sü<strong>de</strong>n zur jordanischen Grenze zu gelangen.<br />

Wie<strong>de</strong>r so ein Zwischenfall: Auf seinem alten Mofa quert ein kräftiger Mann die<br />

Kreuzung, ohne auf uns zu achten. Am rechten Alu-Koffer von Stefans schwarzer<br />

BMW bleibt er hängen, um sich vor Renate in <strong>de</strong>n Straßenstaub zu legen.<br />

47


Ich male mir gera<strong>de</strong> das komplizierte Proze<strong>de</strong>re einer Unfallaufnahme in Syrien aus,<br />

als <strong>de</strong>r sichtlich verdutzte Mann schon wie<strong>de</strong>r steht. Er wun<strong>de</strong>rt sich ein wenig über<br />

einen weiteren Riss in seiner Hose, biegt dies und das an seinem Mofa zurecht, setzt<br />

sich drauf, winkt und knattert davon. Da haben wir mal wie<strong>de</strong>r großes Glück gehabt.<br />

Vor <strong>de</strong>r Grenze biegen wir ab nach Isua o<strong>de</strong>r Izra, <strong>de</strong>m Heimatort von Najib, <strong>de</strong>m<br />

Küster <strong>de</strong>r Heilig-Kreuz-Gemein<strong>de</strong> im PZN in Wiesloch. Am Ortseingang <strong>de</strong>r 14.000-<br />

Einwohner-Stadt erkennt uns ein Taxifahrer und bringt uns direkt zum Gemein<strong>de</strong>haus<br />

von Pfarrer Elias Hanout. In Win<strong>de</strong>seile spricht sich unsere Anwesenheit herum.<br />

Neben einem Dutzend Kin<strong>de</strong>r kommen Familienangehörige und Freun<strong>de</strong> von Najib<br />

dazu. „515 in byzantinischer Zeit wur<strong>de</strong> unsere Kirche St. Georg auf <strong>de</strong>n Fundamenten<br />

eines römischen Tempels erbaut. Seit dieser Zeit ist sie ein christliches Gotteshaus“,<br />

erläutert Pfarrer Elias, verheiratet, fünf Kin<strong>de</strong>r. 2.500 Gläubige hat seine Gemein<strong>de</strong>. Als<br />

wir <strong>de</strong>r neunzigjährigen Mutter <strong>de</strong>s Küsters Post und etwas Geld von ihrem Sohn<br />

überreichen, ist die Rührung bei allen sehr groß, und die Tränen fließen reichlich. Najib<br />

war als Oppositioneller im Gefängnis und konnte dann nach Deutschland fliehen. Es ist<br />

sehr fraglich, ob er seine Mutter und seine Geschwister je wie<strong>de</strong>r sehen wird. Von<br />

Pfarrer Elias gesegnet, verlassen wir eine viel zu kurze Begegnung mit guten und<br />

warmherzigen Menschen.<br />

Dann zur Grenze zwischen Syrien und Jordanien. Alle sind sehr freundlich und wie<strong>de</strong>r<br />

gelingt es uns, gute Laune zu verbreiten. Am längsten dauert wie immer die Einfuhr <strong>de</strong>r<br />

Motorrä<strong>de</strong>r. Die Einreise <strong>de</strong>r Personen ist dank <strong>de</strong>s Visums, das mit bunten Marken<br />

und Stempeln im Pass eingedruckt ist, kein Problem. Für die Motorrä<strong>de</strong>r muss eine<br />

Versicherung abgeschlossen wer<strong>de</strong>n, eine Zoll<strong>de</strong>klaration ausgefüllt wer<strong>de</strong>n und, und,<br />

und…. Mit zwei Stun<strong>de</strong>n sind wir gut dabei.<br />

Ein Offizier <strong>de</strong>r Touristenpolizei spricht mich an. Ich <strong>de</strong>nke, jetzt kommen wie<strong>de</strong>r die<br />

üblichen Fragen. Als <strong>de</strong>r Polizeiobere aber erklärt, dass Motorradfahren in Jordanien<br />

ein Privileg <strong>de</strong>s Königs und seiner Clique sei, verweise ihn doch lieber an Stefan. Eine<br />

so große Motorradgruppe wie unsere könne er keinesfalls einreisen lassen. Außer<strong>de</strong>m<br />

müsse je<strong>de</strong> Reisegruppe von seiner Touristenpolizei begleitet wer<strong>de</strong>n. Nach langer<br />

Diskussion steigt weißer Rauch auf. Aber wir erhalten die Auflage, die Touristenpolizei<br />

ständig über unseren Aufenthaltsort zu informieren.<br />

48


Als wir schließlich von <strong>de</strong>r Grenzanlage auf die Autobahn fahren, setzt sich ein<br />

Polizeiauto mit Blau-/Rotlicht und Sirene vor Kilian, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Tross anführt. Schikane?<br />

Weit gefehlt! Eine Eskorte begleitet uns von <strong>de</strong>r Grenze bis nach Amman. Wir kommen<br />

uns überaus wichtig vor, wenn uns die Leute am Straßenrand winken o<strong>de</strong>r gar<br />

salutieren. Jordaniens Autofahrer sind viel disziplinierter als in Syrien. Hier muss man<br />

nicht ganz so auf <strong>de</strong>r Hut sein, abgeschossen zu wer<strong>de</strong>n. Durch Amman geht es nur<br />

schleppend, hier ist ein Stau wegen eines Open-Air-Konzertes. Wir fin<strong>de</strong>n schnell <strong>de</strong>n<br />

Abzweig nach Südwesten, nach Madaba. Zuerst fahren wir aber noch auf <strong>de</strong>n Mount<br />

Nebo zum Sonnenuntergang. Wir sehen <strong>de</strong>n Jordangraben und die Lichter von Jericho<br />

und von Jerusalem. Beim Gedanken, in dieser Abendstimmung im Kreis meiner<br />

Freun<strong>de</strong> einen solch starken Ort erreicht zu haben, bekomme ich eine Gänsehaut.<br />

Vom Infobüro im Touristenzentrum wird nach einem Hotel telefoniert. Ein Mitarbeiter<br />

geleitet uns schließlich mit <strong>de</strong>m Auto nach Madaba ins Hotel Queen Ayola. Hotel klingt<br />

gut, ist aber die letzte Absteige mit zusammengenagelten Betten und verschimmelten<br />

Mini-Duschbä<strong>de</strong>rn. Ich rolle meine Isomatte auf <strong>de</strong>m Bettzeug aus, das sicher<br />

irgendwann mal sauber war, und verkrieche mich im Schlafsack. In <strong>de</strong>n schmalen<br />

Gang zwischen <strong>de</strong>m Bett von Thomas und meinem wird noch eine Matratze für Martin<br />

gelegt. Zum Essen gehe ich heute Abend nicht mit, son<strong>de</strong>rn dusche und gehe gleich<br />

schlafen. Ich bin einigermaßen sauer - auf mich selbst.<br />

Genau vor <strong>de</strong>m Hotel befin<strong>de</strong>t sich eine Baustelle auf <strong>de</strong>r Straße, durch die wir<br />

durchfahren müssen. In <strong>de</strong>r letzten Kurve rutsche ich bei Schrittgeschwindigkeit mit<br />

<strong>de</strong>m Hinterrad über einen Stein und falle nach rechts um. Mich selbst kann ich gera<strong>de</strong><br />

noch elegant abrollen, aber die Dicke hat lei<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n üblichen Stellen, am Sturzbügel<br />

mit <strong>de</strong>r schwarzen Kappe über <strong>de</strong>m Motor und an <strong>de</strong>r silbernen Zierleiste am Koffer,<br />

einige Kratzer abbekommen. Man könnte meinen, dass die Reise auch für sie<br />

manchmal beschwerlich ist. Die Beanspruchung ist enorm. Die hohen Temperaturen<br />

machen <strong>de</strong>r Kupplung und mehr noch <strong>de</strong>m Getriebe zu schaffen. Das Getriebeöl wird<br />

anscheinend zu flüssig. Beim Schalten muss ich genau bei <strong>de</strong>r richtigen Drehzahl<br />

Zwischengas geben, um <strong>de</strong>n nächsten Gang in die Zahnrä<strong>de</strong>r zu legen. Staub und<br />

Sand setzen <strong>de</strong>r Metallic-Lackierung zu. Hier ein Anboxen, da ein Kratzerchen, das<br />

liebt die Dicke überhaupt nicht.<br />

49


Montag, 25. Mai 2009, 12. Tag<br />

Gott hat uns dazu bestimmt, das Heil zu erlangen<br />

durch unsern Herrn Jesus Christus.<br />

1. Thessalonicher 5,9<br />

Morgens: Jordanien, Madaba, Hotel Ayola<br />

Abends: Jordanien, Dana, Naturreservat<br />

169 km 4725 km<br />

An diesem Morgen will ich nur raus aus <strong>de</strong>m „Siff“-Zimmer. Ich packe leise meine<br />

Sachen, steige an Thomas vorbei und über Martin drüber. Lei<strong>de</strong>r vergesse ich meine<br />

blau-rot karierte Decke, die schöne Massai-Decke aus Tansania. Scha<strong>de</strong> drum. Im<br />

Frühstücksraum sehe ich, dass unsere drei Gui<strong>de</strong>s zwischen <strong>de</strong>n Tischen und Stühlen<br />

auf <strong>de</strong>m Fußbo<strong>de</strong>n schlafen. Für das Trio gab es we<strong>de</strong>r Zimmer noch Betten.<br />

Vor <strong>de</strong>r Tür erwacht die Baustelle und schon bald wird mit Presslufthämmern<br />

gearbeitet. Auf <strong>de</strong>m schmalen Gehweg sitzt Winfried inmitten <strong>de</strong>s Baulärms und rasiert<br />

sich in aller Seelenruhe. Ich frage ihn schon gar nicht, wo und wie er geschlafen hat.<br />

Mein Spaziergang führt mich zu einem Souvenirgeschäft. Hier fin<strong>de</strong> ich zwei<br />

Halskettchen als Mitbringsel und für mich ein Armband, ziseliertes Silber mit<br />

schwarzen Holzscheiben. Später bringe ich Renate und Berith zu <strong>de</strong>m Händler, die<br />

auch kräftig einkaufen.<br />

Unter Kalles Anleitung besichtigen wir die Kirche St. Georg mit <strong>de</strong>m berühmten<br />

Bo<strong>de</strong>nmosaik von Palästina aus <strong>de</strong>m Jahr 560. Es misst 15,7 mal 5,6 Meter und ist<br />

aus zwei Millionen Steinchen zusammengesetzt.<br />

Dann geht es noch einmal hinauf zum Mount Nebo. Gleich unterhalb <strong>de</strong>r<br />

Touristenanlage halten wir auf einem Plateau neben <strong>de</strong>r Straße. Ich stelle mein<br />

Motorrad auf <strong>de</strong>m Straßenasphalt ab und laufe lieber zu unserer Morgenandacht. Ich<br />

möchte nicht schon wie<strong>de</strong>r die Offroad-Eignung testen.<br />

50


In <strong>de</strong>r kargen Landschaft setzen wir uns auf <strong>de</strong>n staubigen Bo<strong>de</strong>n, nur vom Geräusch<br />

<strong>de</strong>s Win<strong>de</strong>s umgeben, mit Blick auf das Tote Meer, <strong>de</strong>n Jordangraben und auf Israel.<br />

Zu unserem Morgenlob liest Markus absolut brillant das Evangelium. Diesen Text am<br />

Original-Schauplatz zu hören, ist sehr ergreifend.<br />

Dtn 34,1-12<br />

Aus <strong>de</strong>m Deuteronium<br />

Mose stieg aus <strong>de</strong>n Steppen von Moab hinauf auf <strong>de</strong>n Nebo, <strong>de</strong>n Gipfel <strong>de</strong>s Pisga gegenüber<br />

Jericho, und <strong>de</strong>r Herr zeigte ihm das ganze Land. Er zeigte ihm Gilead bis nach Dan hin,<br />

ganz Naftali, das Gebiet von Efraim und Manasse, ganz Juda bis zum Mittelmeer, <strong>de</strong>n Negeb<br />

und die Jordangegend, <strong>de</strong>n Talgraben von Jericho, <strong>de</strong>r Palmenstadt, bis Zoar. Der Herr sagte<br />

zu ihm: Das ist das Land, das ich Abraham, Isaak und Jakob versprochen habe mit <strong>de</strong>m<br />

Schwur: Deinen Nachkommen wer<strong>de</strong> ich es geben. Ich habe es dich mit <strong>de</strong>inen Augen schauen<br />

lassen. Hinüberziehen wirst du nicht.<br />

Danach starb Mose, <strong>de</strong>r Knecht <strong>de</strong>s Herrn, dort in Moab, wie es <strong>de</strong>r Herr bestimmt hatte.<br />

Man begrub ihn im Tal, in Moab, gegenüber Bet-Pegor. Bis heute kennt niemand sein Grab.<br />

Mose war hun<strong>de</strong>rtzwanzig Jahre alt, als er starb. Sein Auge war noch nicht getrübt, seine<br />

Frische war noch nicht geschwun<strong>de</strong>n.Die Israeliten beweinten Mose dreißig Tage lang in <strong>de</strong>n<br />

Steppen von Moab. Danach war die Zeit <strong>de</strong>s Weinens und <strong>de</strong>r Klage um Mose been<strong>de</strong>t. Josua,<br />

<strong>de</strong>r Sohn Nuns, war vom Geist <strong>de</strong>r Weisheit erfüllt, <strong>de</strong>nn Mose hatte ihm die Hän<strong>de</strong> aufgelegt.<br />

Die Israeliten hörten auf ihn und taten, was <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>m Mose aufgetragen hatte.<br />

Niemals wie<strong>de</strong>r ist in Israel ein Prophet wie Mose aufgetreten. Ihn hat <strong>de</strong>r Herr Auge in Auge<br />

berufen. Keiner ist ihm vergleichbar, wegen all <strong>de</strong>r Zeichen und Wun<strong>de</strong>r, die er in Ägypten im<br />

Auftrag <strong>de</strong>s Herrn am Pharao, an seinem ganzen Hof und an seinem ganzen Land getan hat,<br />

wegen all <strong>de</strong>r Beweise seiner starken Hand und wegen all <strong>de</strong>r furchterregen<strong>de</strong>n und großen<br />

Taten, die Mose vor <strong>de</strong>n Augen von ganz Israel vollbracht hat.<br />

Die Luft beginnt in <strong>de</strong>r Hitze leicht zu flirren. Da vorne, bewegt sich da nicht eine<br />

Menschengruppe, o<strong>de</strong>r sind es Lasttiere? Sind sie auf <strong>de</strong>m Zug von Ost nach West?<br />

Sind sie auf <strong>de</strong>m Zug von hier nach da? Erreichen sie ihr Ziel? Kennen sie ihr Ziel?<br />

Jetzt beruhigt sich <strong>de</strong>r Luftzug wie<strong>de</strong>r. Die Sicht ist wie<strong>de</strong>r klar in die Jordan-Ebene.<br />

Fast habe ich geglaubt, etwas ganz An<strong>de</strong>res zu sehen.<br />

51


Hier möchte ich gerne <strong>de</strong>n Stein von Petra, <strong>de</strong>r Harley-Petra aus Östringen, ablegen. Ich<br />

nehme dafür einen Steinsplitter eines Vulkansteins mit. Der Splitter ist an <strong>de</strong>r Außenseite<br />

schlicht und unscheinbar. Innen aber ist ein harter Kern, <strong>de</strong>r fast wie ein Halbe<strong>de</strong>lstein<br />

schimmert. Zersplittert o<strong>de</strong>r aufgerissen wie hier die Region. Vieles sieht nach außen sprö<strong>de</strong><br />

und unscheinbar aus. Beschäftigt man sich damit, offenbart sich erst die Schönheit. Und Petra<br />

hat sich einen Ort für <strong>de</strong>n Stein gewünscht, <strong>de</strong>r es lohnt, dass sie selbst einmal dorthin kommt.<br />

Also hierher zu kommen, wünsche ich ihr von ganzem Herzen.<br />

Von <strong>de</strong>m Plateau geht es in schönen Schwüngen hinab zum Toten Meer. Jetzt sind wir<br />

400 Meter unter <strong>de</strong>m Meeresspiegel. Ein Stück fahren wir am Ufer entlang. Der See ist<br />

von einem weißen Saum umgeben. Das sind keine schäumen<strong>de</strong>n Wellen, das ist<br />

pures Salz in schönsten kristallinen Formen. Die Temperaturanzeige zeigt 34°, die Luft<br />

ist schwer, und die Lippen schmecken salzig. Die Landschaft ist bizarr und unwirtlich,<br />

aber grandios. Nach ein paar Kilometern geht es links ab in die östlichen Randgebirge<br />

<strong>de</strong>s Jordanbruchs. Wir fin<strong>de</strong>n perfekte, nagelneue Straßen vor. Papst Benedikt war nur<br />

wenige Wochen vor uns hier und hat sozusagen die Vortour für uns gemacht. Deshalb<br />

wur<strong>de</strong>n die Straßen neu hergerichtet. Es ist nicht viel Verkehr, dafür diese unglaubliche<br />

Landschaft mit tief eingeschnittenen Creeks. Wun<strong>de</strong>rschöne Farben, braun, rot, ocker,<br />

grau, tausendfach variiert, man kann nicht genug bekommen davon.<br />

In einem Ausflugslokal mit Panoramablick auf das Tote Meer serviert man uns<br />

ausgefallene Mezze zu kommo<strong>de</strong>n Preisen. Von hier oben kann ich Chanoch über ein<br />

israelisches Telefonnetz erreichen. Ist das aufregend, mit seinem besten Freund zu<br />

telefonieren und schon ganz in seiner Nähe zu sein. Chanoch rät uns, alle Daten zu<br />

übermitteln, damit er die Einreise nach Israel vorbereiten kann. Das fin<strong>de</strong>t bei <strong>de</strong>n<br />

Gui<strong>de</strong>s lei<strong>de</strong>r wenig Gehör. Ich versuche das mehrfach zu initiieren. Chanoch ist sehr<br />

aufgeregt ob unseres Besuchs. Ich kann ihm nur schwer vermitteln, dass er <strong>de</strong>n Ball<br />

flach halten soll und dass die Gruppe keine Vollplanung <strong>de</strong>s Geschehens wünscht.<br />

Dann geht es auf <strong>de</strong>m berühmten Kings Way nach Sü<strong>de</strong>n. Auch hier ein unglaubliches<br />

Cruisen. Die super Straßen wer<strong>de</strong>n zu ebenso super Sträßchen, und Kilian führt uns<br />

zielsicher in das Naturreservat Dana. Ein trutziger Turm bietet eine wun<strong>de</strong>rbare<br />

Aussicht über eine endlose Berglandschaft, die in <strong>de</strong>r Abendsonne vor sich hinglüht.<br />

Die Weite und Ruhe dieser kargen Landschaft überträgt sich in mein Inneres, wenn <strong>de</strong>r<br />

Blick in die Ferne schweift.<br />

52


Hinter <strong>de</strong>m Turm steht ein Beduinenzelt mit kleiner Küche, Feuerplatz und einem<br />

Sitzrund aus Matratzen, die mit Kelims bezogen sind. Das macht doch schon mal einen<br />

anheimeln<strong>de</strong>n Eindruck. Bald dampft <strong>de</strong>r Tee in <strong>de</strong>n Gläsern.<br />

Nun kommt auch <strong>de</strong>r Rest unserer Gruppe mit Stefan an, <strong>de</strong>r gleich mit <strong>de</strong>m<br />

orientalischen Verhan<strong>de</strong>ln beginnt. „Nein, wir möchten nicht in das Tented Hotel für<br />

sechzig Dollar die Nacht, wir möchten hier am o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Turm schlafen.“ Geht<br />

nicht, geht doch, kostet so viel, zu teuer, dann so viel, o.k. So viel und mit Frühstück,<br />

nein, Frühstück extra, ja gut, aber nur für so viel mehr. Und dann zum Abschluss <strong>de</strong>r<br />

Verhandlungen ganz auf Kurpfalz-Arabisch: Handschlag und ALLA GUT.<br />

Am Abend entfacht sich pure Pfadfin<strong>de</strong>rromantik. Das Lagerfeuer wirft seinen<br />

flackern<strong>de</strong>n Feuerschein an die Zeltwand, Markus macht im Licht <strong>de</strong>r Taschenlampe<br />

seine <strong>Tagebuch</strong>eintragung. Kalle summt ein Lied an und leise erhebt sich ein Chor<br />

„.....wo wir uns fin<strong>de</strong>n, wohl unter Lin<strong>de</strong>n zur Abendzeit“. Nach dieser Mußestun<strong>de</strong><br />

verteilen sich alle auf ihre Schlafplätze. Ich ziehe das Matratzenlager im schützen<strong>de</strong>n<br />

Zelt vor.<br />

53


Dienstag, 26. Mai 2009, 13. Tag<br />

Der Storch unter <strong>de</strong>m Himmel weiß seine Zeit,<br />

Turteltaube, Kranich und Schwalbe halten die Zeit ein,<br />

in <strong>de</strong>r sie wie<strong>de</strong>rkommen sollen;<br />

aber mein Volk will das Recht <strong>de</strong>s HERRN nicht wissen.<br />

Jeremia 8,7<br />

Morgens: Jordanien, Dana Naturreservat<br />

Abends: Jordanien, Wadi Rum, Zelt Camp Zawei<strong>de</strong>h<br />

160 km 4885 km<br />

In unserem Beduinenzelt vermischen sich am Morgen alle Gerüche <strong>de</strong>s Orients. Es<br />

fängt mit <strong>de</strong>m Geruch <strong>de</strong>s taufeuchten Wollgewebes <strong>de</strong>s Zelttuchs an. Dazu kommt<br />

<strong>de</strong>r Geruch <strong>de</strong>r nicht ganz so taufrischen, ungewaschenen Motorradpilger. Abgerun<strong>de</strong>t<br />

wird die Mixtur vom kalten Rauch <strong>de</strong>r erloschenen Feuerstelle.<br />

Bei meinem Morgenspaziergang bin ich überrascht, wie die Camp Grounds rund um<br />

das Reservat zugemüllt sind. Da gibt es noch viel Bewusstsein zu wecken. Ich<br />

ent<strong>de</strong>cke aber schöne blühen<strong>de</strong> Pflanzen, die <strong>de</strong>r unwirtlichen Umgebung trotzen,<br />

schöne Fotomotive.<br />

Das Frühstück servieren uns die Park-Ranger auf einer Steinmauer: Tee, Unmengen<br />

von Fla<strong>de</strong>nbrot, Naturjoghurt, „Eckles“-Käse, Gurken und Tomaten. Natürlich wer<strong>de</strong>n<br />

von <strong>de</strong>n Einheimischen, die neugierig in großer Zahl aufgetaucht sind, wie<strong>de</strong>r Fotos<br />

vor, hinter und auf <strong>de</strong>r Dicken geknipst. Ich nehm’s mittlerweile gelassen.<br />

Der Schäfer, <strong>de</strong>r sich mit seiner Her<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Ausfahrt <strong>de</strong>s Naturparks nie<strong>de</strong>rgelassen<br />

hat, schert gera<strong>de</strong> eines seiner Tiere in ganz traditioneller Art und Weise. Dazu benutzt<br />

er eine fe<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Schere, die aus einem durchgehen<strong>de</strong>n Blech geschmie<strong>de</strong>t ist. Er<br />

arbeitet schnell und konzentriert. Das Schaf ergibt sich ruhig <strong>de</strong>r Prozedur. Der Anblick<br />

dieses Bil<strong>de</strong>s hat etwas sehr Archaisches.<br />

54


Der Kings Way, diese grandiose Straße, liegt vor <strong>de</strong>m Vor<strong>de</strong>rrad. Der kärgliche<br />

Bewuchs am Straßenrand, meist verkrüppelte Kiefern die sich nach Osten beugen,<br />

<strong>de</strong>utet auf häufige Seitenwin<strong>de</strong> hin. An<strong>de</strong>re Motorradfahrer haben von 40° heißem<br />

Wind berichtet, <strong>de</strong>r so stark wehen soll, dass eine <strong>de</strong>utliche Schräglage erfor<strong>de</strong>rlich ist,<br />

um das auszugleichen. Dazu könne eine erhebliche Sandfracht in <strong>de</strong>r Luft sein, die die<br />

Haut malträtiert. Sollen wir traurig sein, das nicht zu erleben? Wohl kaum.<br />

Die Städtenamen Petra und Akaba stehen auch für uns lesbar zwischen <strong>de</strong>n<br />

arabischen Schriftzeichen auf <strong>de</strong>n Verkehrsschil<strong>de</strong>rn. Natürlich biegen wir nach Petra<br />

ab. „Petra ist <strong>de</strong>r herrlichste Ort <strong>de</strong>r Welt“, schrieb Thomas Edward Lawrence<br />

(Lawrence von Arabien) in seinem Buch „Die sieben Säulen <strong>de</strong>r Weisheit“.<br />

Der junge Parkwächter lässt uns am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Busparkplatzes die Bikes abstellen<br />

und in seinem Häuschen Jacken und Stiefel <strong>de</strong>ponieren. Als er die Parkgebühr nennt<br />

und die Wechselrate, wittert unsere Reiseleitung Nepp. Man fährt in die Stadt, um eine<br />

Bank zu suchen. Die Zeit verrinnt. High Noon nähert sich, die „i<strong>de</strong>ale“ Tageszeit, um<br />

das glühend heiße Petra zu besichtigen. Na, ja, was soll’s. Bevor die Geldwechsler<br />

zurück kommen, gehen Martin, Walter, Thomas, Berith und ich auf Wan<strong>de</strong>rschaft in<br />

das Weltkulturerbe.<br />

Lawrence hat recht. Die "Rosarote Felsenstadt" <strong>de</strong>s frühen arabischen Händlervolks<br />

<strong>de</strong>r Nabatäer zählt zu <strong>de</strong>n eindrucksvollsten Ruinenstädten <strong>de</strong>r Welt. Sie vereinigt auf<br />

rund 40 km² nicht weniger als 800 Bau<strong>de</strong>nkmäler, direkt aus <strong>de</strong>m Buntsandstein eines<br />

Talkessels herausgearbeitet, <strong>de</strong>r nur durch die zwei Kilometer lange Siq-Schlucht (an<br />

ihrer schmalsten Stelle vier Meter breit!) erreichbar war. Die wohlhaben<strong>de</strong> Stadt -<br />

30.000 Menschen lebten hier zur Zeitenwen<strong>de</strong> - stand in engem Kontakt zur<br />

hellenistisch-römischen Welt. Sie wur<strong>de</strong> im 2. Jahrhun<strong>de</strong>rt römisch, verfiel seit <strong>de</strong>m<br />

7. Jahrhun<strong>de</strong>rt und wur<strong>de</strong> erst 1812 auf abenteuerliche Weise wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckt. Hinter<br />

je<strong>de</strong>r Felsnase kommt ein neues Wowh, so einmalig sind die Ansichten, so einmalig ist<br />

die Steinmetzkunst. Nach <strong>de</strong>m anstrengen<strong>de</strong>n Marsch runter und wie<strong>de</strong>r rauf wird<br />

gleich mal eine große Flasche Wasser „abgelittert“.<br />

55


Und weiter geht’s gen Sü<strong>de</strong>n. Wir gleiten auf <strong>de</strong>m Asphaltband durch die Wüste,<br />

natürlich mit Panoramablick. Die große Cee-Bailey-Scheibe in ice-blue nach unten<br />

gestellt, das Visier <strong>de</strong>s Schubert J1 bis zum Kinnbügel zugeklappt, dazu eine Mozart-<br />

Einspielung <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>lberger Sinfoniker aus vier Lautsprechern. Der Tempomat ist auf<br />

angenehme neunzig Stun<strong>de</strong>nkilometer eingestellt, <strong>de</strong>r Sieben-Zoll-Bildschirm <strong>de</strong>r<br />

Garmin Navigation 500 zeigt in roter Farbe die Trasse <strong>de</strong>r jordanischen A 5. Im<br />

Handschuhfach bewahre ich die Menthos aus <strong>de</strong>r Türkei mit <strong>de</strong>m scharfen<br />

Minzgeschmack auf und die Salzstangen von <strong>de</strong>r Tankstelle bei Amman. Rechts<br />

zwischen Koffer und Gepäckrolle ist die Wasserflasche eingeklemmt. Oft geübt,<br />

beherrsche ich nun das Kunststück, die Wasserflasche zu greifen, zu öffnen und mit<br />

<strong>de</strong>m Helm auf <strong>de</strong>m Kopf zu trinken. Nur das Gegenteil vom Trinken verkneife ich mir<br />

während <strong>de</strong>r Fahrt. Dafür halten wir auch ausreichend oft an.<br />

Auf <strong>de</strong>m nächsten Schild lesen wir Wadi Rum. „Unermesslich, vom Echo wi<strong>de</strong>rhallend<br />

und göttlich“, schrieb Lawrence von Arabien über die Gegend um das Wadi Rum.<br />

Unglaublich, dass wir hier sind. Nach <strong>de</strong>r Kreuzung gleich am Anfang <strong>de</strong>s Tales halten<br />

wir in einer kleinen Siedlung an. Stefan und Kalle machen Quartier.<br />

Und schon sind sie wie<strong>de</strong>r da, die Jungs je<strong>de</strong>n Alters. Und wie sie strahlen. Mir hat es<br />

<strong>de</strong>r Kleinste angetan, drei Jahre alt vielleicht, löchrige Jogginghöschen und ein<br />

Sweatshirt, kohlrabenschwarze Haare und ein süßes Stupsnäschen. So schaut er mich<br />

mit seinen großen braunen Augen an. Aber schüchtern ist er und will erst gar nicht auf<br />

<strong>de</strong>n Motorradsitz. Genießt es aber dann umso mehr, weil ich das nur ihm erlaube. Die<br />

Mädchen aus <strong>de</strong>r Sippe kichern aus sicheren zwanzig Metern Entfernung beim<br />

Beobachten <strong>de</strong>r Szene. Unvorstellbar für sie, auch zu uns zu kommen.<br />

Plötzlich erscheint <strong>de</strong>r große Bru<strong>de</strong>r, noch ein Pickelgesicht, aber aufrecht und stolz,<br />

ganz in Schwarz geklei<strong>de</strong>t. Er fragt uns, ob er uns helfen könne. Natürlich zählt er<br />

gleich Cousins und Onkels auf, die ein Hotel haben o<strong>de</strong>r eine Jeeptour anbieten.<br />

Neben uns halten riesige GMC-Pickups an. Die Fahrer öffnen die verdunkelten<br />

Seitenscheiben und stecken uns ebenfalls Visitenkarten von Cousins und Onkels mit<br />

Hotels und Jeeptouren zu.<br />

56


Die Gui<strong>de</strong>s kommen zurück. In einem Seitental <strong>de</strong>s Wadi Rum kommen wir im Zelt-<br />

Camp Zawei<strong>de</strong>h unter. Am Rand <strong>de</strong>s Tales gelegen, sucht das Zeltdorf Schutz am<br />

Fuße gewaltiger, roter Felsen. Die Mopeds parken im Wirtschaftshof zwischen <strong>de</strong>r<br />

Küche und <strong>de</strong>m Wohngebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Angestellten. In einem Karree stehen je<strong>de</strong> Menge<br />

Zelte, wie in einem Militärlager. Außen die Schlafzelte. Thomas und ich beziehen eines<br />

davon. Zwei Meter entfernt, auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>s Sandweges steht das<br />

Mä<strong>de</strong>lszelt und Tuch an Tuch zu unserem die nächsten Jungenszelte. Im Innern <strong>de</strong>s<br />

Gevierts stehen dann die Zelte mit Tischen und Bänken, <strong>de</strong>r Essbereich. Und noch<br />

weiter innen befin<strong>de</strong>t sich ein quadratischer Hof als „Eventfläche“ für Lagerfeuer, Musik<br />

und Tanz. Zum Berg hin gibt es sogar noch eine Chillout-Zone mit gemütlichen<br />

Sitzgruppen. Die Gäste wer<strong>de</strong>n hier aus einer Bar mit Getränken und Wasserpfeifen<br />

versorgt. Etwas abseits ist <strong>de</strong>r Sanitärbereich untergebracht, auf <strong>de</strong>m Felsen darüber<br />

ein Wassertank, <strong>de</strong>m man die Leere förmlich ansieht. Aus <strong>de</strong>r Dusche kommt wirklich<br />

nur tröpfchenweise das kostbare Nass. Aber auch hier bewahrheitet sich die alte<br />

Seglerweisheit, dass man mit einem Liter Wasser duschen, Haare waschen und auch<br />

noch die Zähne putzen kann.<br />

Zum Nachtessen gibt es Hammelfleisch und Kartoffeln aus <strong>de</strong>m Erdofen. Dazu wird ein<br />

Erdloch gegraben und mit Glut und <strong>de</strong>m Gargut befüllt. Beson<strong>de</strong>rs gut schmecken die<br />

Fleischstückchen, die zwischen <strong>de</strong>m verkohlten und <strong>de</strong>m rohen Hammelfett liegen.<br />

Nach <strong>de</strong>m Essen frage ich mich, wo die an<strong>de</strong>ren sogar am dreizehnten Tag unserer<br />

Reise noch <strong>de</strong>n Schnaps für eine gesun<strong>de</strong> Verdauung hernehmen.<br />

Zur traditionellen arabischen Musik wird dann um das Lagerfeuer getanzt. Ich gönne<br />

Stefan die Ausgelassenheit als Ventil für die tägliche Anstrengung als Tourgui<strong>de</strong>.<br />

Spruch von Markus, nach<strong>de</strong>m ihm <strong>de</strong>r Kulturbeutel heruntergefallen ist: „Zum Glück<br />

gibt es die Schwerkraft, sonst wür<strong>de</strong> alles nach oben fliegen und du müsstest ständig<br />

eine Leiter holen.“<br />

57


Mittwoch, 27. Mai 2009, 14. Tag<br />

Als <strong>de</strong>r Aussätzige Jesus sah, fiel er nie<strong>de</strong>r auf sein<br />

Angesicht und bat ihn und sprach: Herr, willst du, so kannst<br />

du mich reinigen. Und er streckte die Hand aus und rührte<br />

ihn an und sprach: Ich will's tun, sei rein!<br />

Lukas 5,12-13<br />

Morgens: Jordanien, Wadi Rum, Zelt-Camp Zawei<strong>de</strong>h<br />

Abends: Jordanien, Akaba, Hotel Coral Beach im Königlich Jordanischen Tauchclub<br />

315 km 5.200 km<br />

Es dämmert, mich hält nichts mehr in <strong>de</strong>r Horizontalen. Was für ein Licht, klar, blau,<br />

rot, Farben aus <strong>de</strong>m Schulmalkasten Gottes. Leise hole ich die Dicke vom Parkplatz<br />

und fahre ganz langsam weiter ins Tal. Der Helm hängt am Topcase, <strong>de</strong>r Wind spielt<br />

mit <strong>de</strong>n Haaren (vielmehr mit <strong>de</strong>m, was beim 9-mm-Vorsatz am Haarschnei<strong>de</strong>r meiner<br />

türkischen Friseurin in Eppelheim noch geblieben ist).<br />

Schon um halb sechs Uhr morgens bietet <strong>de</strong>r Tag etwas Neues. Mitten im roten Sand<br />

steht ein Tor, ein arabisches Stadttor. Aber ohne Stadt. Ich baue die Dicke fotogen auf<br />

und klick, klick, klick. Da hält ein Mann in einem alten Pickup und fragt, ob ich mich für<br />

Kamelrennen interessiere. Ich <strong>de</strong>nke nicht lange nach und antworte, dass ich mich für<br />

nichts mehr interessiere als für Kamelrennen. Ob das glaubwürdig klingt? Je<strong>de</strong>nfalls<br />

lädt mich mein neuer Freund zum Mitfahren ein. Er ist <strong>de</strong>r Betreiber <strong>de</strong>r hier mitten in<br />

<strong>de</strong>r Wüste erbauten Kamelrennbahn (mit Empfangstor!). Bezahlt wur<strong>de</strong> die Einrichtung<br />

von saudischen Investoren. Vier Millionen Dollar haben sie dafür locker gemacht.<br />

Jetzt am Morgen ist Training. Durch <strong>de</strong>n Sand schleu<strong>de</strong>rnd, erreichen wir <strong>de</strong>n<br />

Trainingsort an <strong>de</strong>r Rennbahn. Zwei Kamele, Mutter und Fohlen, sind auf <strong>de</strong>r Bahn.<br />

Das Fohlen ist noch zu jung, um alleine bewegt zu wer<strong>de</strong>n. Einen Jockey darf es<br />

wegen <strong>de</strong>s Gewichts noch nicht tragen. Deshalb befin<strong>de</strong>t sich zwischen seinen<br />

Höckern eine Art Roboter, <strong>de</strong>r per Funkbefehl eine kleine Peitsche aktiviert.<br />

60


Urplötzlich großes Gejohle, alle springen ins Auto, o<strong>de</strong>r wie ich, auf die La<strong>de</strong>fläche,<br />

und los geht’s auf die vier Kilometer lange Strecke um das Oval <strong>de</strong>r Rennbahn. „Du<br />

musst am nächsten Wochenen<strong>de</strong> kommen, dann sind zweihun<strong>de</strong>rt Kamele am Start.“<br />

Das nenne ich mal eine Einladung. Lei<strong>de</strong>r muss ich ablehnen. Ein wenig enttäuscht,<br />

bringt er mich zu meinem „Kamel“ zurück.<br />

So komme ich gera<strong>de</strong> noch rechtzeitig ins Camp, um <strong>de</strong>n ungarischen Piloten eines<br />

Ultraleichtflugzeuges kennen zu lernen. Er bietet Rundflüge von zwanzig Minuten für<br />

vierzig Dollar an. Bei fünfunddreißig Dollar beißt ein Teil <strong>de</strong>r Motorradpilger an. Wollen<br />

die <strong>de</strong>m Himmel jetzt schon näher sein? Nee, die wollen einfach nur diese einmalige<br />

Landschaft von oben sehen.<br />

Den restlichen Vormittag nutze ich für mich. Ich cruise „lonesome“ durch die Wüsten-<br />

Creeks. Am Wadi Rum gibt es ein Visitors Center. Die spannen<strong>de</strong> Architektur passt gut<br />

in die Landschaft. Ich liebe solche Gegensätze von Natur und mo<strong>de</strong>rnen Bauten. Am<br />

En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Straße, dort wo wir, die Dicke und ich, uns mit unseren fast 500 Kilo nicht in<br />

<strong>de</strong>n Sand trauen, lerne ich zwei Trainees kennen. Die Englän<strong>de</strong>rin und die Japanerin<br />

arbeiten in einem Tented Hotel und freuen sich über die Abwechslung beim Einkauf im<br />

Dorf. Die bei<strong>de</strong>n Damen können es einfach nicht glauben, dass es Verrückte wie uns<br />

gibt, die eine so weite Strecke mit <strong>de</strong>m Motorrad zurücklegen, um an einen so<br />

unwirtlichen Ort zu gelangen. Unsere Reiseart privilegiert uns gegenüber <strong>de</strong>n<br />

Pauschal-Touristen, weil wir schnell mit Einheimischen o<strong>de</strong>r Angestellten <strong>de</strong>r<br />

verschie<strong>de</strong>nen Einrichtungen in Kontakt kommen. „Hey Mister, wollen Sie eine<br />

Jeeptour machen? Nur dreißig Dollar!“ Das höre ich mir ein paar Mal an. Als <strong>de</strong>r<br />

nächste junge Wüstensohn auf mich zukommt, rufe ich ihm, noch bevor er selbst etwas<br />

sagen kann, entgegen, “Hey my friend, willst du mit mir auf <strong>de</strong>m Motorrad durch die<br />

Wüste fahren? Nur dreißig Dollar!“ Er schmeißt sich fast weg vor lachen, und wir sind<br />

ein Herz und eine Seele.<br />

Die Pergola-Balken <strong>de</strong>s Restaurants ganz in <strong>de</strong>r Nähe sind aus Bahnschwellen <strong>de</strong>r<br />

berühmten Hedjaz-Eisenbahn gezimmert, die vor hun<strong>de</strong>rt Jahren <strong>de</strong>n Reisen<strong>de</strong>n die<br />

Fahrt von Damaskus nach Mekka erleichtern sollte. Ein alter Wagon im Hintergrund<br />

zeugt von dieser Ära. Hier könnte ich sitzen bleiben und mich an Pfefferminztee<br />

„dabbisch saufen“.<br />

61


Als Abfahrtszeit ist zwölf Uhr verabre<strong>de</strong>t. Aber wie so oft, wird es dann doch viel<br />

später. Zum Glück sind es nach Akaba nur neunzig Kilometer. Wir lassen die Stadt<br />

jedoch erst mal rechts liegen und fahren weiter nach Sü<strong>de</strong>n. Unser Pilot hat uns eine<br />

Empfehlung für das Hotel im Königlich Jordanischen Tauchklub gegeben. Am<br />

bewaffneten Torwächter vorbei, sind wir in einer an<strong>de</strong>ren Welt, einer Urlaubs-, Sonne-,<br />

Strand- und Meer-Welt. „Wie teuer ist das Zimmer?“. „Und mit <strong>de</strong>r Empfehlung vom<br />

Piloten?“. „Und als Motorradfahrer?“. „Und für diese zwei BMW-Pins?“. „ALLA GUT“,<br />

mit Kurpfälzisch klappt’s auch hier.<br />

Vier Sterne, Laundry Service, was für ein Luxus. Schnorchel und Flossen sind zu<br />

leihen für acht Dollar. Dafür gibt es Seeanemonen, bunte Fische und Seesterne gleich<br />

fünf Meter neben <strong>de</strong>m Ba<strong>de</strong>steg, Cocktails am Swimmingpool, Liegen aus Bambusholz<br />

unter Sonnenschirmen aus Palmblättern. Die Heppenheimer Langnese heißt hier<br />

Algida-Eiscreme.<br />

Berith, Kilian und ich fahren noch die letzen drei Kilometer bis zum Grenztor zu Saudi-<br />

Arabien. Das ist nun wirklich <strong>de</strong>r südlichste Punkt unserer Reise. Ein guter Ort, einen<br />

Moment innezuhalten und dafür zu danken, dass bis hierher kein ernstes Vorkommnis<br />

unsere Reise belastet hat. „Von guten Mächten wun<strong>de</strong>rvoll getragen…“ In meinem<br />

kleinen Hirn lässt sich das fast nicht zusammenfügen, was wir an je<strong>de</strong>m einzelnen Tag<br />

seit unserer Abreise erlebt haben. Ich komme mir wie in einer Zeitmaschine vor.<br />

Martins Kommentar zu unserem Aufenthalt in diesem ungewohnten Luxus bei Königs:<br />

„Auf einer Pilgerreise muss man auch einmal auf ein Opfer verzichten können.“ Beim<br />

Aben<strong>de</strong>ssen, Durchfall längst passé, verlustiere ich mich am Buffet im Zelt am Strand<br />

und fühle mich schon wie<strong>de</strong>r wie in Tausendun<strong>de</strong>iner Nacht. Auf langen Tischen ist auf<br />

gül<strong>de</strong>nen Messingplatten <strong>de</strong>r kulinarische Reichtum <strong>de</strong>s Orients angerichtet. Die Tafeln<br />

sind mit schweren Samt- und Brokatstoffen <strong>de</strong>koriert. Die Kellner erheben uns mit ihrer<br />

dienen<strong>de</strong>n Höflichkeit min<strong>de</strong>stens in <strong>de</strong>n Stand von Großwesiren. Gegessen wird vor<br />

<strong>de</strong>m Zelt. Die Zehen spielen im Sand <strong>de</strong>s Stran<strong>de</strong>s vom Roten Meer. Die Lichter von<br />

Eilat in Israel zur Rechten und von <strong>de</strong>n ägyptischen Küstenorten zur Linken funkeln mit<br />

<strong>de</strong>m Sternenzelt über uns um die Wette.<br />

62


Vor <strong>de</strong>m Essen gab es eine Gesprächsrun<strong>de</strong>, bei <strong>de</strong>r auch über die nächsten Tage<br />

gesprochen wur<strong>de</strong>. Wie soll die Reise in Israel weitergehen? Totes Meer, Negev,<br />

Masada o<strong>de</strong>r direkt nach Jerusalem? Viele unterschiedliche Meinungen. Mit <strong>de</strong>m<br />

Übertritt von <strong>de</strong>r islamischen Welt nach Israel beginnt ein weiterer Abschnitt unserer<br />

Pilgerreise, <strong>de</strong>r uns <strong>de</strong>m Ziel Jerusalem immer näher bringt. Beschlossen wur<strong>de</strong> dann,<br />

direkt nach Jerusalem zu fahren und allenfalls auf <strong>de</strong>m Weg Masada und das Tote<br />

Meer zu sehen.<br />

Kalle und Thomas sind heute Abend nicht dabei, sie möchten eine einsame Nacht<br />

unter <strong>de</strong>m Sternendach <strong>de</strong>r Wüste erleben.<br />

63


Donnerstag, 28. Mai 2009, 15. Tag<br />

Jesus sprach: Ich aber sage euch,<br />

dass ihr nicht wi<strong>de</strong>rstreben sollt <strong>de</strong>m Übel, son<strong>de</strong>rn:<br />

wenn dich jemand auf <strong>de</strong>ine rechte Backe schlägt,<br />

<strong>de</strong>m biete die an<strong>de</strong>re auch dar.<br />

Matthäus 5,39<br />

Morgens: Jordanien, Akaba, Hotel Coral Beach im Königlich Jordanischen Tauchklub<br />

Abends: Israel, Tel Aviv, Lippermans House (Gruppe: Jerusalem Paulus-Haus)<br />

300 km 5500 km<br />

Obwohl Chanoch wie<strong>de</strong>rholt dazu geraten hatte, so früh wie möglich an die Grenze zu<br />

fahren, wird erst mal ausgiebig gefrühstückt, dann ein Morgenlob gefeiert, Fotos<br />

wer<strong>de</strong>n gemacht und an <strong>de</strong>r Tanke letztes jordanisches Geld in Coke umgesetzt. So ist<br />

es bereits halb elf, als wir an <strong>de</strong>n jordanischen Checkpoint für die Ausreise rollen. Der<br />

Weg zur Grenze, ein kleines Sträßchen, ist nicht leicht zu fin<strong>de</strong>n. Kein Verkehrsschild<br />

weist auf <strong>de</strong>n Grenzübergang hin.<br />

Die Ausreise klappt ja noch recht flott. Aber die Einreise nach Israel! Eine Vorkontrolle,<br />

bevor sich <strong>de</strong>r erste Schlagbaum hebt. Junge, so zwanzig- bis fünfundzwanzigjährige<br />

Frauen und Männer in lockerem Zivil, aber das Sturmgewehr über <strong>de</strong>r Schulter,<br />

interviewen je<strong>de</strong>n von uns. Woher, wohin, wo übernachtet, wen getroffen, von wem<br />

etwas erhalten, es sind bestimmt fünfzig Fragen. Jetzt dürfen wir immerhin schon mal<br />

in die eigentliche Grenzanlage. Hier heißt es, das Gepäck abzula<strong>de</strong>n. Jacken, Helme<br />

und Stiefel, hm wie lecker, wer<strong>de</strong>n auf das Transportband gestellt und durchleuchtet.<br />

Wenn etwas nicht plausibel ist, heißt es Auspacken. Am härtesten trifft es Erna mit<br />

ihren Motorra<strong>de</strong>rsatzteilen wie Radspeichen o<strong>de</strong>r Gummischläuchen.<br />

64


Jetzt geht es zur Personenkontrolle. Name <strong>de</strong>s Vaters, <strong>de</strong>r Mutter mit Geburtsdaten,<br />

teils <strong>de</strong>r Großeltern, Wohnadresse in Deutschland, woher, wohin, als ob wir das noch<br />

nicht gehabt hätten. Dann wird <strong>de</strong>r Pass gestempelt.<br />

Nun kommt das Motorrad dran. Genau diese komplizierte und langwierige Abwicklung<br />

wollte <strong>de</strong>r gute Chanoch vorbereiten. Dazu hatte er extra mit <strong>de</strong>m Chef <strong>de</strong>r Grenzstelle<br />

die Zusendung unserer Daten vereinbart. Aber das hielt unsere Reiseleitung lei<strong>de</strong>r für<br />

nicht notwendig. Jetzt sitzt ein Versicherungsagent an seinem Schreibtisch, die Beine<br />

übereinan<strong>de</strong>r geschlagen, und tippt seelenruhig alle Namen, die Motorraddaten mit<br />

Fahrgestellnummern, Zulassungen und allem, was man nur erfassen kann, in seinen<br />

PC. Und jetzt kommt’s, das Ganze im Ein-Finger-Adler-Suchsystem. Für je<strong>de</strong>n<br />

Ausdruck läuft er auf die an<strong>de</strong>re Seite seines Büros, um ein Blatt Papier in <strong>de</strong>n Drucker<br />

einzulegen. Dann läuft er zurück, um <strong>de</strong>n Druckbefehl zu geben und wie<strong>de</strong>r zum<br />

Drucker, um <strong>de</strong>n Ausdruck zu holen. Und das bei je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r drei Formulare und für alle<br />

zwölf Biker. Als das Druckerpapier zwischendurch zu En<strong>de</strong> geht, verschwin<strong>de</strong>t er mal<br />

eben für eine Viertelstun<strong>de</strong>. Die Motorrä<strong>de</strong>r müssen dann noch in eine Halle gefahren<br />

wer<strong>de</strong>n. Rolltore schließen sich, um zehn Minuten später wie<strong>de</strong>r nach oben zu rattern.<br />

Während <strong>de</strong>r Prozedur ruft laufend Chanoch an. Er wartet mit Christel und seinen<br />

Freun<strong>de</strong>n am südlichen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Toten Meers. Christel hat die Gelegenheit genutzt<br />

und ist auf das Drängen unserer lieben Freun<strong>de</strong> Margo und Chanoch, die in Tel Aviv<br />

leben, dorthin geflogen. So sehr sie sich einerseits über dieses Treffen und, so <strong>de</strong>nke<br />

ich, über das Treffen mit mir freut, so unwohl ist ihr bei <strong>de</strong>m Gedanken, mit meiner<br />

Pilgergruppe zusammen zu treffen. Wie mag das ankommen? Sieht das nicht nach<br />

Überwachung, nach protzigem Hinterherfliegen o<strong>de</strong>r nach Eindringen in eine<br />

verschworene Gruppe aus? Christel hat halt so ihre Ahnungen und Be<strong>de</strong>nken. Deshalb<br />

haben wir verabre<strong>de</strong>t, dass ich für zwei Tage nach Tel Aviv komme und dort bei<br />

unseren Freun<strong>de</strong>n wohnen wer<strong>de</strong>.<br />

Es wird schließlich halb drei, bis die Einreiseformalitäten endlich abgeschlossen sind.<br />

Zwischen Kalle und mir kommt es zu einem Disput, weil ich beanstan<strong>de</strong>, dass <strong>de</strong>r Tag<br />

so daneben geplant ist, die Fahrt am Nachmittag <strong>de</strong>shalb ein Gehetze geben wird und<br />

die Verabredung mit Chanoch und seinen Freun<strong>de</strong>n nun platzen wird. Darauf<br />

bezeichnet er <strong>de</strong>n „Chanoch-Kontakt“ für die Gruppe als eher schädlich <strong>de</strong>nn hilfreich.<br />

65


Mir zeigt sich hier mal wie<strong>de</strong>r sehr <strong>de</strong>utlich die Uneinigkeit unserer Reiseleitung.<br />

Während Stefan schon lange vor Antritt <strong>de</strong>r Reise über die tollen Chancen gesprochen<br />

hat, die uns die Begegnung mit israelischen Motorradfahrern bieten wer<strong>de</strong>n, empfin<strong>de</strong>t<br />

Kalle dies nun als Behin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Reise. Über seine Reaktion bin ich <strong>de</strong>rmaßen<br />

enttäuscht, dass ich mich von <strong>de</strong>r Gruppe verabschie<strong>de</strong> und alleine gen Nor<strong>de</strong>n fahre,<br />

wohl wissend, dass ich das ersehnte Ereignis, die gemeinsame Ankunft in Jerusalem,<br />

nun versäumen wer<strong>de</strong>.<br />

Obwohl ich Zorn, Frust und Trauer in mir spüre, gewinne ich <strong>de</strong>r Alleinfahrt auch<br />

schöne Seiten ab. Meine eigene Geschwindigkeit, meine eigenen Stopps, meine<br />

eigenen Pausenzeiten. Das hat auch was. Ich fahre die A 90 nach Nor<strong>de</strong>n. Die<br />

Negevwüste ist noch bizarrer als die Landschaft in Syrien und Jordanien. Der<br />

Straßenverkehr unterschei<strong>de</strong>t sich total von <strong>de</strong>n arabischen Län<strong>de</strong>rn. Eher<br />

amerikanisch, diszipliniert und <strong>de</strong>fensiv. Manchmal spürt man bei <strong>de</strong>n Autofahrern<br />

auch hier die Unsicherheit Motorradfahrern gegenüber.<br />

An <strong>de</strong>r Ha Arava Junction mache ich einen Abstecher zum Toten Meer nach Neve<br />

Zahor. Hier wird das Salzwasser in Pools gestaut. In <strong>de</strong>r Nachbarschaft wird Salz für<br />

industrielle und kosmetische Zwecke gewonnen. An einer öffentlichen Ba<strong>de</strong>anstalt<br />

halte ich und traue mich ins Wasser. Der Salzgehalt ist so hoch, als ob man in eine<br />

Achtzig-Liter-Ba<strong>de</strong>wanne dreißig Kilogramm Salz rühren wür<strong>de</strong>. Fast ölig auf <strong>de</strong>r Haut,<br />

sehr angenehm. Die große Tafel mit <strong>de</strong>n Verhaltensregeln besagt, dass man je<strong>de</strong>s<br />

Spritzen vermei<strong>de</strong>n soll, nicht kraulen und am besten auf <strong>de</strong>m Rücken liegen soll. Das<br />

ist dann auch die bekannte Haltung, halb sitzend, halb in Rückenlage und die Zeitung<br />

vor sich. Schwimmbewegungen erübrigen sich.<br />

Von hier fahre ich südlich <strong>de</strong>s Palästinensergebiets von Hebron über Be’er Sheva an<br />

Ashdod vorbei in Richtung Tel Aviv. Die jungen Männer, die mir an <strong>de</strong>r Tankstelle<br />

helfen, mit <strong>de</strong>r Hightech-Zapfsäule zu recht zu kommen, sind Palästinenser, sehr<br />

freundlich und sehr interessiert. In Tel Aviv angekommen, rufe ich Lippermans von<br />

einem großen Platz aus an, damit sie mich abholen können. Chanoch kommt mit<br />

Christel. Wir fallen uns in die Arme. Die Dusche bei Lippermans, das gemeinsame<br />

Aben<strong>de</strong>ssen, das Bett, hier fühle ich mich wirklich zu Hause.<br />

66


Freitag, 29. Mai 2009, 16. Tag<br />

Der Vater sprach: Lasst uns essen und fröhlich sein!<br />

Denn dieser mein Sohn war tot und ist wie<strong>de</strong>r lebendig<br />

gewor<strong>de</strong>n; er war verloren und ist gefun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n.<br />

Lukas 15,23-24<br />

Morgens: Israel, Tel Aviv, Lippermans House (Gruppe: Jerusalem, Paulus-Haus)<br />

Abends: Israel, Tel Aviv, Lippermans House (Gruppe: Jerusalem, Paulus-Haus)<br />

0 km Ruhetag<br />

Zu viert erkun<strong>de</strong>n wir das alte Viertel von Tel Aviv. Chanoch erklärt uns begeistert die<br />

für israelische Verhältnisse alten Häuser. Die Stadt feiert in diesem Jahr erst ihren 100.<br />

Geburtstag. Wir sehen auch das Haus, in <strong>de</strong>m Gen Gurion 1948 die Unabhängigkeit<br />

Israels erklärte. Einige Gebäu<strong>de</strong> wur<strong>de</strong>n im Bauhausstil errichtet.<br />

Den Nachmittag haben Christel und ich am Strand für uns. Wir genießen die<br />

Zweisamkeit, aber auch das quirlige Strandleben und das Schwimmen im warmen<br />

Mittelmeer sehr. Der Mittelmeerstrand von Tel Aviv erstreckt sich von Jaffa, <strong>de</strong>m Ort<br />

mit <strong>de</strong>n Orangen, über vier Kilometer bis zum Kraftwerk im Nor<strong>de</strong>n. Von hier sind es<br />

gera<strong>de</strong> einmal drei Kilometer zu Lippermans.<br />

Zum Aben<strong>de</strong>ssen sind wir bei Chanochs Schwester Sarik eingela<strong>de</strong>n. Wir müssen eine<br />

ganze Strecke mit <strong>de</strong>m Auto fahren. Auf <strong>de</strong>m Rücksitz lege ich <strong>de</strong>n Kopf an die<br />

Scheibe und genieße <strong>de</strong>n Ausblick auf die mo<strong>de</strong>rne Architektur <strong>de</strong>r Großstadt. Sarik<br />

wohnt mit ihrer Familie in einem Satellitenvorort von Tel Aviv, in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s<br />

Flughafens. Das Penthouse im 9. Stock ist über zwei Etagen angelegt. Alles ist<br />

zweckmäßig eingerichtet. Durch eine Schiebetür betritt man die große Dachterrasse.<br />

Mir ist, als inszeniere man gera<strong>de</strong> ganz speziell für uns <strong>de</strong>n allerschönsten<br />

Sonnenuntergang überhaupt.<br />

67


Fürs Buffet hat je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gäste etwas mitgebracht. Sarik hat extra unseretwegen<br />

„Gefillten Fisch“ zubereitet.<br />

Für die Zubereitung, die <strong>de</strong>m Gericht seinen Namen gegeben haben dürfte, wird ein Karpfen,<br />

Hecht, Weißfisch o<strong>de</strong>r ein an<strong>de</strong>rer geeigneter koscherer Fisch geputzt und sorgfältig enthäutet.<br />

Das Fischfleisch wird von allen Gräten befreit, gehackt o<strong>de</strong>r gewolft und mit Zwiebeln,<br />

eingeweichtem Brot o<strong>de</strong>r Matzemehl, Eiern, Salz, Pfeffer und Zucker vermengt. Mit dieser<br />

Farce wird die Fischhaut gefüllt. Danach wird <strong>de</strong>r gefüllte Fisch in Fischbrühe pochiert. Der<br />

fertige Fisch wird mit Fischfond übergossen o<strong>de</strong>r nappiert, mit Karottenscheiben garniert und<br />

gekühlt. Als Beilage wird meist mit Roter Bete gemischter geriebener Meerrettich (jiddisch ןיירכ<br />

(chrein)) serviert.<br />

Die Atmosphäre ist völlig unkompliziert, wir fühlen uns sehr willkommen. Neben<br />

Chanochs Mutter und Tante und Onkel mit <strong>de</strong>r Ferienwohnung im Schwarzwald, sind<br />

viele Verwandte da. Von <strong>de</strong>r Herzlichkeit her sind mir alle sehr vertraut, nur die vielen<br />

frem<strong>de</strong>n Namen kann ich mir einfach nicht merken.<br />

68


Samstag, 30. Mai 2009, 17. Tag<br />

Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt,<br />

so sind's achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint,<br />

ist doch nur vergebliche Mühe.<br />

Psalm 90,10<br />

Morgens: Israel, Tel Aviv, Lippermans House (Gruppe: Jerusalem, Paulus-Haus)<br />

Abends: Israel, Jerusalem, Paulus-Haus<br />

Chanoch hat einige seiner Motorradfreun<strong>de</strong> zusammengetrommelt. Zusammen fahren<br />

wir durch schöne Landschaften auf für hiesige Verhältnisse kurvigen Straßen nach Bar<br />

Bahar, <strong>de</strong>m israelischen Johanniskreuz. Bei strahlend blauem Himmel sind hier alle<br />

Typen von Motorrä<strong>de</strong>rn, dazugehörige Fahrer und auch einige Fahrerinnen<br />

versammelt. In <strong>de</strong>m Ausflugslokal gibt es ein spätes Frühstück. Auf <strong>de</strong>m Rückweg<br />

nach Tel Aviv erwischt es doch glatt die blaue K 1300 GT mit einem platten Hinterrad.<br />

Bei einer Ausflugsfahrt um ein paar Ecken passiert das, wovon wir auf unserer großen<br />

Tour verschont geblieben sind.<br />

Zurück in Tel Aviv, gibt es eine „Schlafstun<strong>de</strong>“, wie Margo und Chanoch so süß sagen.<br />

Am Nachmittag fahren wir nach Jerusalem zu Ruben und Noga, Freun<strong>de</strong> von<br />

Lippermans. Rubens ältere Schwester Leah und Schwager Moshe berichten als<br />

Zeitzeugen von ihren Erinnerungen an Italien und von <strong>de</strong>r Ankunft in Palästina. Wir<br />

sind sehr beeindruckt. Ein leckeres Buffet run<strong>de</strong>t <strong>de</strong>n überaus interessanten Abend ab.<br />

Heute wird Erntedank gefeiert. Die Hausmusik und die melancholischen Lie<strong>de</strong>r<br />

verpasse ich lei<strong>de</strong>r. Ich verabschie<strong>de</strong> mich von Christel und <strong>de</strong>r Clique.<br />

Chanoch eskortiert mich nach Ost-Jerusalem, und ich fin<strong>de</strong> das Paulus-Haus sofort.<br />

Walter und Martin kommen gera<strong>de</strong> vom Toten Meer zurück und nehmen mich mit<br />

durch das große Einfahrtstor auf das Gelän<strong>de</strong>.<br />

71


Hier sind wir in einer <strong>de</strong>utschen Bastion gelan<strong>de</strong>t. Das Haus wur<strong>de</strong> zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

vorletzten Jahrhun<strong>de</strong>rts gebaut und erinnert mich an ein großes Hospital, etwa an das<br />

St.-Anna-Pflegeheim, in <strong>de</strong>m meine Mama jahrelang als Nachtschwester gearbeitet<br />

hat. Im Zimmer von Markus und Winfried hat man mir ein Bett freigehalten.<br />

Aben<strong>de</strong>ssen gibt es ganz <strong>de</strong>utsch um 18.00 Uhr. Die anschließen<strong>de</strong> Andacht in <strong>de</strong>r<br />

Hauskapelle tut mir sehr gut. Ich bin zurück im Kreis <strong>de</strong>r Motorradpilger. Singen<br />

können wir jedoch noch immer nicht.<br />

Nach <strong>de</strong>r Andacht spreche ich mich mit Kalle aus. Nach Darlegung unserer Ansichten<br />

verzieht sich das emotionale Gewitter. In <strong>de</strong>n paar Tagen in Israel hat man Abstand zu<br />

<strong>de</strong>n Ereignissen gewonnen. Die ganze Atmosphäre ist nach <strong>de</strong>n Anspannungen und<br />

Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r Reise viel entspannter. Mit Jerusalem ist das Ziel erreicht. Ab<br />

jetzt sind die Unterkünfte gebucht und damit sind keine grundlegen<strong>de</strong>n<br />

Entscheidungen mehr zu treffen.<br />

Lange sitzt ein Teil unserer Gruppe auf <strong>de</strong>r Dachterrasse zusammen. Wir reflektieren<br />

unsere Erlebnisse. Nach über drei Wochen <strong>de</strong>s Zusammenseins tut es gut, das warme<br />

Vertrauen zu spüren, das sich unter uns eingestellt hat. Wir kennen mittlerweile die<br />

eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Macke, die je<strong>de</strong>r hat, und tolerieren sie. Das überwiegen<strong>de</strong> Gefühl<br />

ist, dass die Reise nicht nur mir gut tut, son<strong>de</strong>rn dass sie eine Bereicherung für uns alle<br />

ist.<br />

72


Sonntag, 31. Mai 2009, 18. Tag, Pfingstsonntag<br />

Als <strong>de</strong>r Pfingsttag gekommen war,<br />

waren die Jünger alle an einem Ort beieinan<strong>de</strong>r.<br />

Es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel.<br />

Und sie wur<strong>de</strong>n alle erfüllt von <strong>de</strong>m Heiligen Geist.<br />

Apostelgeschichte 2,1 - 2,4<br />

Morgens: Israel, Jerusalem, Paulus-Haus<br />

Abends: Israel, Jerusalem, Paulus-Haus<br />

Nach einem „<strong>de</strong>utschen“ Frühstück mit Graubrot und Müsli fängt <strong>de</strong>r Pfingstsonntag<br />

mit einer schönen Andacht in <strong>de</strong>r Kapelle <strong>de</strong>s Paulus-Hauses an.<br />

Heute gehen die Teilnehmer unterschiedliche Wege. In <strong>de</strong>r Nacht waren Kalle, Erna<br />

und an<strong>de</strong>re in <strong>de</strong>r Grabeskirche. Die wollen jetzt schlafen. Walter und Berith gehen in<br />

die <strong>de</strong>utsche evangelische Kirche, Stefan geht in <strong>de</strong>n französischen Gottesdienst.<br />

Ich verbringe <strong>de</strong>n Vormittag auf <strong>de</strong>r gigantischen Terrasse <strong>de</strong>s Paulus-Hauses mit<br />

Blick über die ganze Altstadt Jerusalems und bestaune die unzählbar vielen Kuppeln,<br />

Türme und Kreuze <strong>de</strong>r Kirchen und Moscheen.<br />

Allen, die mir gute Reisewünsche mitgegeben haben, schreibe ich eine Postkarte aus<br />

Israel. Das hatte ich mir fest vorgenommen. Es wer<strong>de</strong>n einige Dutzend. Aber es ist<br />

eine sehr schöne Aufgabe.<br />

Am Mittag streife ich alleine durch die Altstadt, Fotos machen, die Stimmung auf mich<br />

wirken lassen. Bei zufälligen Begegnungen komme ich mit Menschen ins Gespräch.<br />

Ich erkenne, dass man auch an einem solchen Ort Ruhe und Muße fin<strong>de</strong>n kann, wenn<br />

man <strong>de</strong>n Touri-Termin-Stress ablegt.<br />

73


Montag, 01. Juni 2009, 19. Tag, Pfingstmontag<br />

Wie ein Hirte seine Schafe sucht,<br />

wenn sie von seiner Her<strong>de</strong> verirrt sind,<br />

so will ich meine Schafe suchen.<br />

Hesekiel 34,12<br />

Morgens: Israel, Jerusalem, Paulus-Haus<br />

Abends: Israel, Jerusalem, Paulus-Haus<br />

Um halb fünf ist es schon hell, na ja, fast hell. Einen Hausschlüssel, um aus <strong>de</strong>m<br />

Gelän<strong>de</strong> zu kommen, habe ich. Ich will gleich in die Altstadt. Im Hof bittet mich eine<br />

junge polnische Pilgerin, die mit einer Londoner Gruppe hier ist, sie mitzunehmen. Ihr<br />

ist es lieber, zu dieser frühen Morgenstun<strong>de</strong> nicht alleine durch die Altstadt laufen zu<br />

müssen. Wir haben dasselbe Ziel, die Via Dolorosa und die Grabeskirche. Um fünf Uhr<br />

in <strong>de</strong>r Frühe herrscht nur wenig Betrieb. Die Gassen sind sauber und teils mit Wasser<br />

besprengt, hie und da wer<strong>de</strong>n schon die Auslangen <strong>de</strong>r Geschäfte hergerichtet.<br />

In <strong>de</strong>r Grabeskirche sind wir aber beileibe nicht die Einzigen. Pilgergruppen aus aller<br />

Herren Län<strong>de</strong>r halten schon in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Sprachen ihre Gottesdienste ab.<br />

Trotz<strong>de</strong>m kann ich in aller Ruhe vor <strong>de</strong>m Golgata-Felsen, <strong>de</strong>r Station XI <strong>de</strong>s<br />

Kreuzweges, beten. Natürlich muss ich die Gunst <strong>de</strong>r frühen Stun<strong>de</strong> zum Fotografieren<br />

nutzen und einfach die Aura dieses ganz speziellen Gotteshauses auf mich wirken<br />

lassen. Der Ort polarisiert. Es ist ein starker Ort. Das Berühren <strong>de</strong>r Felsen, <strong>de</strong>s Steins<br />

und die Vorstellung, dass sich hier Szenen aus <strong>de</strong>m Neuen Testament abspielten,<br />

ziehen auch mich in ihren Bann.<br />

Natürlich ist auch das Beobachten <strong>de</strong>s Geschehens in <strong>de</strong>r Kirche interessant,<br />

beispielsweise am Salbungsfelsen. Auf <strong>de</strong>m Stein befin<strong>de</strong>t sich ein dünner Film<br />

Kon<strong>de</strong>nswasser (warme, feuchte Luft, auf kaltem Fels). Das versuchen die Pilger als<br />

Holy Water zu gewinnen. Da wird mit Papiertaschentüchern und sogar mit<br />

Injektionsspritzen gearbeitet.<br />

74


Um die Ädicula, das ist die Kapelle über <strong>de</strong>m heiligen Grab im Zentrum <strong>de</strong>r<br />

Grabeskirche, brennen Hun<strong>de</strong>rte von Opferkerzen. Rauch und Ruß wer<strong>de</strong>n mit<br />

Dunstabzügen, auf die je<strong>de</strong> Hotelküche stolz wäre, abgesaugt. Und das in großen<br />

Mengen abtropfen<strong>de</strong> Wachs muss von <strong>de</strong>n Kirchendienern mit Hilfe von Blecheimern<br />

aus <strong>de</strong>n Auffangtrögen geschöpft und nach draußen gebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Auf <strong>de</strong>m Weg zurück, gehe ich an <strong>de</strong>r Westmauer, <strong>de</strong>r Klagemauer, vorbei und wer<strong>de</strong><br />

durch das Marokkanertor auf <strong>de</strong>n Tempelberg gelassen. Hier, am einzigen Zugang für<br />

An<strong>de</strong>rsgläubige, befin<strong>de</strong>t sich eine polizeiliche Kontrollstelle, die <strong>de</strong>n Zutritt zu <strong>de</strong>m<br />

sensiblen Bereich häufig und mit <strong>de</strong>n unterschiedlichsten Grün<strong>de</strong>n untersagt. Doch<br />

nun, so früh am Morgen, bin ich mit <strong>de</strong>r Putzfrau und einem Wachmann am<br />

drittwichtigsten Heiligtum <strong>de</strong>r Muslime nach Mekka und Medina alleine. Von <strong>de</strong>r Al-<br />

Aqsa-Moschee laufe ich zum Felsendom mit seiner weithin sichtbaren gol<strong>de</strong>nen<br />

Kuppel. In die Gebäu<strong>de</strong> darf man nicht hinein.<br />

Auf <strong>de</strong>m Rückweg in die Oststadt quere ich die Via Dolorosa am Suq Kah ez-Zeit. Das<br />

Betrachten <strong>de</strong>s uralten Pflasters, die Kalksteine sind so 60 mal 40 Zentimeter groß,<br />

versetzt mich in längst vergangene Zeiten. Auf <strong>de</strong>m Randstein sitzend, träume ich eine<br />

Straßenszene von vor 2010 Jahren. Als ich wie<strong>de</strong>r „aufwache“, steht ein vielleicht<br />

zwölfjähriger Bursche vor mir, aber nicht mit seinem Esel, son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>m BMX-Rad<br />

auf <strong>de</strong>m eiligen Weg zur Schule.<br />

Zum Frühstück bin ich wie<strong>de</strong>r im Paulus-Haus. Heute fahren wir nach Bethlehem.<br />

Chanoch hat mich extra angerufen und mir <strong>de</strong>n Tipp gegeben, die Israelflagge am<br />

Motorrad abzunehmen. Palästina hat ein eigenes Nationalsymbol, schwarz-weiß-grün<br />

und von links ein rotes Dreieck eingeklinkt.<br />

Unsere Kolonne fährt im alltäglichen Stau durch Jerusalem. Mitten durch die Stadt wird<br />

eine U-Bahn gebaut. Nur fünfzehn Kilometer vom Zentrum entfernt, erhebt sich eine<br />

gigantische Mauer, THE WALL. Dagegen war die Berliner Mauer ein Gartenzaun. So<br />

schützt sich Israel vor <strong>de</strong>n Palästinenseranschlägen. Die Grenzkontrolle verläuft<br />

schnell. Wir rollen in eine an<strong>de</strong>re Welt. Hier sind wir wie<strong>de</strong>r in Arabien.<br />

75


Nur ein o<strong>de</strong>r zwei Kilometer nach <strong>de</strong>r „Grenze“ ist schon das Bethlehem Children’s<br />

Hospital erreicht. Wir wer<strong>de</strong>n von Anna Beck, <strong>de</strong>r Nichte <strong>de</strong>s Grün<strong>de</strong>rs Pater Ernst<br />

Schnydrig, empfangen. Ein ausführlicher Rundgang mit hoch interessanten<br />

Erklärungen über die medizinische Versorgung, über das Krankenhaus, aber auch<br />

über die Lage <strong>de</strong>r Palästinenser eröffnet uns völlig neue Einsichten. Die Freu<strong>de</strong> über<br />

die Geldspen<strong>de</strong>, die Stefan von <strong>de</strong>n Motorradpilgern und an<strong>de</strong>ren Wieslocher Gruppen<br />

überreicht, ist groß. Zu einem Fototermin stellen wir die Mopeds vor das neue<br />

Behandlungsgebäu<strong>de</strong>.<br />

Lustig wird’s, als kleine Patienten eine Run<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n Motorrä<strong>de</strong>rn drehen wollen. Bei<br />

mir möchte eine junge Kin<strong>de</strong>rärztin mitfahren. „Oh wie schön, da springt sogar mein<br />

Baby im Bauch“, jauchzt sie vor Vergnügen. Meine Güte, jetzt ist die auch noch<br />

schwanger. Es ist ja nur ganz wenig Platz auf <strong>de</strong>m Klinikgelän<strong>de</strong>, zum Tor, dort<br />

wen<strong>de</strong>n, zu <strong>de</strong>n Müllcontainern, wen<strong>de</strong>n und zurück zum Hauptgebäu<strong>de</strong>. Ganz<br />

langsam fahren und wen<strong>de</strong>n, genau das, was mit <strong>de</strong>r Dicken eigentlich so gar nicht<br />

geht. Da bin ich dann doch erleichtert, als meine schwangere Mitfahrerin wie<strong>de</strong>r<br />

abgestiegen ist. „All the best for you and your baby. God bless you!”<br />

Zur Innenstadt von Bethlehem ist es nicht weit. Nach Diskussionen mit ganz wichtigen<br />

Uniformierten parkt unsere Flotte vor <strong>de</strong>r Geburtskirche. Kalle mit seinen profun<strong>de</strong>n<br />

Kenntnissen ist wie<strong>de</strong>r unser Gui<strong>de</strong>.<br />

Vor einem Stän<strong>de</strong>r mit vielen Opferkerzen steht eine Pilgerin, Amerikanerin, Anfang<br />

zwanzig vielleicht, mit langen Zöpfen und einem wallen<strong>de</strong>n weißen Kleid mit einem<br />

Spitzenschleier. Der jungen Frau fällt das warme Kerzenlicht in Gesicht und spiegelt<br />

sich in ihren Augen wi<strong>de</strong>r. Dazu ihr verklärter Gesichtsausdruck, da bin ich mir sicher,<br />

dass genau so die Mutter Maria ausgesehen haben muss.<br />

Mittags fahren Markus, Thomas und ich zur Holocaust-Ge<strong>de</strong>nkstätte Yad Vachem. Wir<br />

nehmen ein Taxi, das erst mal im Stau stecken bleibt. Dann sind wir an diesem sehr<br />

speziellen Ort auf <strong>de</strong>m „Berg <strong>de</strong>r Erinnerung“. Schon beim Durchschreiten <strong>de</strong>s<br />

Eingangs überkommt mich eine eigenartige Stimmung. Der Museumshügel ist eine<br />

ganz außeror<strong>de</strong>ntliche Verbindung zwischen spannen<strong>de</strong>r Architektur und <strong>de</strong>r<br />

Landschaft.<br />

76


Das Museum wur<strong>de</strong> 2005 durch einen spektakulären Neubau <strong>de</strong>s Architekten Moshe<br />

Safdie erweitert. Kunstwerke sind so in die Natur gestellt, dass ihre Wirkung erst durch<br />

ihren Standort komplettiert wird. Ich schreite über Kopfsteinpflaster und Gleise, auf<br />

<strong>de</strong>nen Menschen ihres jüdischen Glaubens wegen in Konzentrationslager gebracht<br />

wur<strong>de</strong>n, vorbei an Güterwagons, in die Deportierte wie Vieh gepfercht waren. Aus <strong>de</strong>n<br />

Lautsprechern schrille Heil-Hitler-Rufe, auf <strong>de</strong>n Monitoren und Fotowän<strong>de</strong>n wird <strong>de</strong>r<br />

Schrecken <strong>de</strong>s Holocausts allgegenwärtig. Tausend Lichter leuchten in <strong>de</strong>n dunklen<br />

Hintergrund <strong>de</strong>r Halle „Zur Erinnerung an die Kin<strong>de</strong>r“. Mit monotoner Stimme wer<strong>de</strong>n<br />

die Vornamen und das Alter ermor<strong>de</strong>ter Kin<strong>de</strong>r vorgelesen. Dutzen<strong>de</strong> um Dutzen<strong>de</strong>,<br />

Hun<strong>de</strong>rte um Hun<strong>de</strong>rte, Tausen<strong>de</strong> um Tausen<strong>de</strong>. Die Stimme hört einfach nicht auf.<br />

Das wird mir dann doch zuviel, und ich fin<strong>de</strong> in Thomas einen guten Gesprächspartner,<br />

um die Eindrücke zu verarbeiten.<br />

Der Tag ist noch nicht zu En<strong>de</strong>. Mit Stefan, Kalle, Thomas und Berith gehe ich<br />

aramäisch Essen. Frage mich zwar, was das Aramäische an <strong>de</strong>m Essen sein soll, aber<br />

die Dekoration <strong>de</strong>s Lokals und die schmackhafte Mahlzeit sind <strong>de</strong>n Besuch wert. Und<br />

als ob die Welt ein Dorf wäre, kommen wir mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen Paar am Nachbartisch<br />

ins Gespräch. „Ach, mit <strong>de</strong>m Kilian habe ich studiert, sagt ihm viele Grüße und Gottes<br />

Segen für eure Weiterreise.“<br />

Auf <strong>de</strong>m Rückweg lan<strong>de</strong>n wir im christlichen Viertel vor einem Liquer Shop, ein<br />

Geschäft, in <strong>de</strong>m man alkoholische Getränke kaufen kann. Es hat noch zu dieser<br />

späten Stun<strong>de</strong> geöffnet. Eine kleine Flasche Whiskey wollen wir uns als Nachttrunk<br />

gönnen. In <strong>de</strong>r Südwest-Ecke <strong>de</strong>r Altstadt, beim Davidstor, sitzen wir auf <strong>de</strong>r<br />

Aussichtsterrasse Ha Armenim auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n. Mit Blick auf das YMCA-Building und<br />

das King-David-Hotel lassen wir die Flasche kreisen. Die 70er-Jahre-Musik kommt aus<br />

Stefans Handy, zwei Stun<strong>de</strong>n Hippie sein, ist auch mal ganz lustig.<br />

77


Dienstag, 02. Juni 2009, 20. Tag<br />

Er macht's, wie er will,<br />

mit <strong>de</strong>n Mächten im Himmel und mit <strong>de</strong>nen,<br />

die auf Er<strong>de</strong>n wohnen.<br />

Und niemand kann seiner Hand wehren<br />

noch zu ihm sagen: Was machst du?<br />

Daniel 4,32<br />

Morgens: Israel, Jerusalem, Paulus-Haus<br />

Abends: Israel, Kibbuz Inbar<br />

Mal früh loszufahren, ist einfach nichts für unsere Pilgergruppe. Frühstücken, Packen,<br />

Tanken, fürs Foto aufstellen - das dauert ewig. Westlich raus aus Jerusalem, zuerst<br />

Richtung Tel Aviv, dann die A 1 nach Nor<strong>de</strong>n bis zur Autobahnraststätte. Hier wartet<br />

Eliko Alagem, Präsi<strong>de</strong>nt <strong>de</strong>s Israelischen Motorcycle Clubs, mit ein paar Freun<strong>de</strong>n und<br />

mit Chanoch.<br />

Ich stelle Chanoch meinen elf Mitfahrern vor. Ab diesem Zeitpunkt beginnt innerhalb<br />

unserer Gruppe ein interessanter Prozess. Aussagen wie „Der ist aber interessant“<br />

o<strong>de</strong>r „Ach, ist <strong>de</strong>r gut aussehend“ o<strong>de</strong>r „Wie die sich Mühe geben“, und, und, und. Ich<br />

muss ein wenig in mich hinein schmunzeln und empfin<strong>de</strong> auch eine gute Portion<br />

Genugtuung, zu sehen, wie schnell die Ressentiments fallen.<br />

Die Motorrä<strong>de</strong>r sind das verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Element. Zum Beispiel be<strong>de</strong>uten zwei o<strong>de</strong>r vier<br />

gestreckte Finger die Frage, ob <strong>de</strong>r Boxermotor <strong>de</strong>r BMW noch aus <strong>de</strong>r Zwei- o<strong>de</strong>r<br />

schon aus <strong>de</strong>r Vier-Ventil-Generation stammt. Alles klar? Klar doch!<br />

In großer Formation mit über zwanzig Motorrä<strong>de</strong>rn geht es nach Nor<strong>de</strong>n, vorbei an <strong>de</strong>n<br />

West Banks, in Richtung Galiläa. Der massive Zaun, <strong>de</strong>r das Palästinensergebiet von<br />

Israel abriegelt, wur<strong>de</strong> hier mit viel Mühe begrünt.<br />

80


Megiddo ist <strong>de</strong>r nächste Halt. Auf <strong>de</strong>m Parkplatz wartet schon David Lev mit seinem<br />

Motorrad. Der Architekt hatte sein Kommen in unserem Gästebuch angekündigt. Und<br />

er hat Kaffee für uns dabei, mit Kardamom gewürzt, the best coffee, I have ever had.<br />

Walter beweist mal wie<strong>de</strong>r, dass er auf alle Situationen perfekt vorbereitet ist. Bei einer<br />

Temperatur von in <strong>de</strong>r Mittagszeit so um die 35° zie ht er seine Motorradhose aus und<br />

was trägt er darunter? Schwarze Radlerhosen, also stets korrekt geklei<strong>de</strong>t.<br />

Megiddo (hebr. ודיגמ ), auch Tell el-Mutesellim (arabisch ملستملا لت , DMG Tall al-Mutasallim;<br />

altägyptisch Meketi; assyrisch magidū) war in <strong>de</strong>r Antike eine Stadt in <strong>de</strong>r Jesreelebene im<br />

nördlichen Palästina bzw. in Israel an <strong>de</strong>r alten Han<strong>de</strong>lsstraße Via Maris von Ägypten nach<br />

Syrien. Durch wie<strong>de</strong>rholte Bebauung entwickelte sich ein Tell. Zur Unterscheidung zum nahe<br />

gelegenen Kibbuz Megiddo wird die archäologische Stätte häufig auch als Tel Megiddo<br />

bezeichnet.<br />

Weiter geht’s dann in ein Weingut zum Essen. Lustige Bikergeschichten machen die<br />

Run<strong>de</strong>. Motorradwitze über „Japanische Reiskocher“ und „Eisenhaufen aus<br />

Milwaukee“ sind halt international. Eliko, <strong>de</strong>r Verbandspräsi<strong>de</strong>nt, schenkt je<strong>de</strong>m von<br />

uns ein dunkelblaues Poloshirt mit <strong>de</strong>m Wappen „ISRAEL MOTORCYCLE CLUB“ auf<br />

<strong>de</strong>r Brust. Und für das Wieslocher Pfarrhaus übergibt er eine gold glänzen<strong>de</strong><br />

Erinnerungsplakette an Stefan.<br />

Die Reise mit <strong>de</strong>r nun internationalen Gruppe geht weiter nach Nor<strong>de</strong>n. Am Mount<br />

Tabor besuchen wir die Verklärungskirche. 588 m erhebt sich <strong>de</strong>r Vulkankegel über die<br />

Ebene.<br />

Der Berg Tabor ist sowohl für das Ju<strong>de</strong>ntum als auch für das Christentum von Be<strong>de</strong>utung.<br />

Bei<strong>de</strong> Testamente schil<strong>de</strong>rn Ereignisse, die dort stattgefun<strong>de</strong>n haben. Für die Christen ist <strong>de</strong>r<br />

Berg Tabor auch <strong>de</strong>r Schauplatz <strong>de</strong>r Verklärung Christi, die in <strong>de</strong>n Evangelien geschil<strong>de</strong>rt wird.<br />

Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, <strong>de</strong>ssen<br />

Bru<strong>de</strong>r, und führte sie allein auf einen hohen Berg. Und er wur<strong>de</strong> verklärt vor ihnen, und sein<br />

Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Klei<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n weiß wie das Licht. Und siehe, da<br />

erschienen ihnen Mose und Elia; die re<strong>de</strong>ten mit ihm. Petrus aber fing an und sprach zu Jesus:<br />

Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia<br />

eine. Als er noch so re<strong>de</strong>te, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine<br />

Stimme aus <strong>de</strong>r Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an <strong>de</strong>m ich Wohlgefallen habe;<br />

81


<strong>de</strong>n sollt ihr hören. Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr.<br />

Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Als sie<br />

aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und als sie vom Berg<br />

herabstiegen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung nieman<strong>de</strong>m<br />

sagen, bis <strong>de</strong>r Menschensohn von <strong>de</strong>n Toten auferstan<strong>de</strong>n ist."(Matthäus 17, 1-13)<br />

Schon früh wur<strong>de</strong>n <strong>de</strong>shalb auf <strong>de</strong>m Berg Tabor die ersten Kirchen erbaut. Tabor war auch <strong>de</strong>r<br />

Sitz eines Bischofs. In <strong>de</strong>r Kreuzfahrerzeit wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Berg Tabor ein Wallfahrtsort und eine<br />

Festung, die 1191 von Saladin nicht eingenommen wer<strong>de</strong>n konnte, 1263 jedoch vom Sultan<br />

Baibars zerstört wur<strong>de</strong>.1631 übergaben die Drusen diesen Ort <strong>de</strong>n Franziskanern, die dort bis<br />

heute Land besitzen. Ihre Kirche wur<strong>de</strong> 1921 bis 1923 erbaut. Die Eliaskirche <strong>de</strong>r Griechisch-<br />

Orthodoxen wur<strong>de</strong> 1911 errichtet.<br />

In großen Schwüngen geht es von <strong>de</strong>m Hügel bergab. Da tut sich die ganze<br />

Landschaft vor uns auf. Der leuchtend blaue Saphir in <strong>de</strong>r staubigen Umgebung ist <strong>de</strong>r<br />

See Genezareth, <strong>de</strong>r 200 Meter unter <strong>de</strong>m Meersspiegel liegt. Zuerst erreichen wir die<br />

Stelle, an <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Jordan aus <strong>de</strong>m See fließt. Hier wur<strong>de</strong> am Ufer eine große Anlage<br />

geschaffen, die vor allem von Baptisten als (Wie<strong>de</strong>r)-Taufstelle genutzt wird. Die nette<br />

Frem<strong>de</strong>nführerin, die von Chanoch schon gebrieft wor<strong>de</strong>n war, kümmert sich ganz lieb<br />

um uns. Obwohl die Einrichtung eigentlich schon geschlossen ist, ermöglichte sie<br />

Walter und Berith an <strong>de</strong>r Taufstelle ins Wasser einzutauchen. Die bei<strong>de</strong>n strahlen<br />

Stun<strong>de</strong>n später noch vor Glück wie geputzte Blecheimer.<br />

Ein irres Gefühl! Wir cruisen am See von Galiläa entlang. Nördlich von Tiberias biegen<br />

wir nach links ab und fin<strong>de</strong>n nach weiteren zwanzig Kilometern <strong>de</strong>n Kibbuz Inbar. Die<br />

Häuserreihen mit je sieben Appartements sind in hügelige Olivenhaine eingebettet. Am<br />

unteren Rand <strong>de</strong>r Anlage sind die Gemeinschaftseinrichtungen wie Küche,<br />

Speiseraum, Turnhalle und ein großer Hof. Eine Stimmung von „Flower-Power“ und<br />

„Wir haben uns alle ganz doll lieb“ liegt in <strong>de</strong>r Luft. Die wenigen an<strong>de</strong>ren Gäste<br />

schweben sozusagen an uns vorbei.<br />

Mit Thomas teile ich mir <strong>de</strong>n großen Raum. Im Handumdrehen sind einige<br />

Kleidungsstücke gewaschen und aufgehängt, man ist geduscht, hat Zeit für einen<br />

Plausch. Die Abläufe sind mittlerweile so gut eingespielt, so dass man die Reise<br />

problemlos verlängern könnte. Vor <strong>de</strong>m Schlafengehen sitzen wir im Kreis bei<br />

Kerzenlicht, Gitarrenmusik und Sternezählen.<br />

82


Mittwoch, 03. Juni 2009, 21. Tag<br />

Du erfreust mein Herz,<br />

ob jene auch viel Wein und Korn haben.<br />

Psalm 4,8<br />

Morgens: Israel, Kibbuz Inbar<br />

Abends: Israel, Kibbuz Inbar<br />

Mensch Dicke, was machst du <strong>de</strong>nn da. Ich hatte sie am Abend auf <strong>de</strong>n Hauptstän<strong>de</strong>r<br />

vor unserem Appartement im Gras abgestellt. Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Rasensprenger in <strong>de</strong>r<br />

Nacht die Wiese durchweicht hat, liegt sie jetzt auf <strong>de</strong>r Seite. Spiegel ab, eine Macke<br />

im Koffer. „Dumm geloffe“. Dabei kann sie überhaupt nichts dafür.<br />

Ein absolut gesun<strong>de</strong>s Frühstück gibt es hier im Kibbuz, wie alle Mahlzeiten fleischlos,<br />

mit je<strong>de</strong>r Menge Kräutern, Körnern und Korinthen. Wir nehmen uns Zeit dafür und für<br />

ein Morgenlob und zum Besprechen <strong>de</strong>s Tages.<br />

Es wer<strong>de</strong>n „Neigungsgruppen“ gebil<strong>de</strong>t. Ich führe eine Fünfergruppe vom Kibbuz<br />

zunächst zur Brotvermehrungskirche. Die Brotvermehrungskirche gilt als <strong>de</strong>r Ort, an<br />

<strong>de</strong>m die Speisung <strong>de</strong>r Fünftausend (Matth. 14,13-21) stattfand. Das heutige<br />

Kirchengebäu<strong>de</strong> mit Atrium und Narthex wur<strong>de</strong> 1980 bis 1982 von <strong>de</strong>n Kölner<br />

Architekten Anton Goergen und Fritz Baumann auf <strong>de</strong>n Grundmauern aus <strong>de</strong>m<br />

5. Jahrhun<strong>de</strong>rt errichtet. Das bekannteste Detail <strong>de</strong>r Kirche ist das Bo<strong>de</strong>nmosaik vor<br />

<strong>de</strong>m Altar mit <strong>de</strong>n fünf Broten und <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Fischen.<br />

In Capernaum, an <strong>de</strong>r Nordspitze <strong>de</strong>s Sees, besichtigen wir die Petruskirche und die<br />

Ausgrabungen aus <strong>de</strong>m 5 Jahrhun<strong>de</strong>rt.<br />

Weiter geht es in die Golanhöhen. Hier fahren wir eingerahmt von Minenfel<strong>de</strong>rn,<br />

Unterstän<strong>de</strong>n und Schutzgräben. In regelmäßigen Abstän<strong>de</strong>n sind Röhren unter <strong>de</strong>r<br />

Straße vergraben, in <strong>de</strong>nen man bei einem Raketenangriff Schutz fin<strong>de</strong>n soll.<br />

83


Alle paar Kilometer steht eine Ge<strong>de</strong>nkstätte für gefallene Soldaten. Wir sind in<br />

Sichtweite <strong>de</strong>r syrischen Grenze. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit, fühlt man doch<br />

gera<strong>de</strong>zu die militärische Spannung zwischen <strong>de</strong>m arabischen und jüdischen Staat.<br />

Wir kennen so etwas nicht mehr und können uns kaum vorstellen, unter diesen<br />

Umstän<strong>de</strong>n Normalität zu leben.<br />

Von <strong>de</strong>r syrischen Grenze im Nordosten fahren wir an <strong>de</strong>n See Genezareth zurück und<br />

statten einem Strandbad unseren Besuch ab. Schwimmen im See Genezareth, wie<strong>de</strong>r<br />

so ein Highlight. Und hier erleben wir ein Phänomen, wie es in <strong>de</strong>r Bibel beschrieben<br />

wird. In kürzester Zeit kommt Wind auf und bringt das Wasser von öliger Trägheit zu<br />

kabbeliger Aufgeregtheit mit sich brechen<strong>de</strong>n Wellen.<br />

Die Jünger hatten Jesus mit ins Boot genommen, um <strong>de</strong>n See zu überqueren, als plötzlich ein<br />

heftiger Sturm aufkam. Von Furcht erfasst, weckten sie Jesus, <strong>de</strong>r hinten im Boot auf einem<br />

Kissen schlief: «Meister, wir gehen unter. Kümmert dich das nicht?» Da sprach Jesus ein<br />

Machtwort zum Sturm und es wur<strong>de</strong> ganz still. «Warum habt ihr Angst? Wieso habt ihr kein<br />

Vertrauen?», sagte ihnen Jesus.<br />

Auf <strong>de</strong>r Weiterfahrt kommt uns eine <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren „Neigungsgruppen“ entgegen. Der<br />

bekannte Motorradfahrergruß macht <strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong>n gegenüber noch mehr Spaß. Beim<br />

Umrun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Sees von Genezareth kommen wir noch nach Tiberias. Dort gönnen wir<br />

uns eine Pause in einer Eisdiele. Die klassische Eisdiele hat auch in Israel italienische<br />

Züge. Gelati gibt es wohl überall und Eiskaffee auch. Im Nachbargeschäft kaufe ich<br />

noch eine teure Flasche Wein von <strong>de</strong>n Golan Hights.<br />

Unter <strong>de</strong>n Weinreben <strong>de</strong>r Pergola im Kibbuz gibt es ein koscheres vegetarisches<br />

Aben<strong>de</strong>ssen und wegen <strong>de</strong>r unterschiedlichen Tagesunternehmungen viel zu<br />

Erzählen.<br />

84


Donnerstag, 04. Juni 2009, 22. Tag<br />

Jesus sprach: Wenn <strong>de</strong>r Hirte das Schaf fin<strong>de</strong>t,<br />

wahrlich, ich sage euch:<br />

Er freut sich darüber mehr als über die neunundneunzig,<br />

die sich nicht verirrt haben. So ist's auch nicht <strong>de</strong>r Wille<br />

bei eurem Vater im Himmel, dass auch nur eines von diesen<br />

Kleinen verloren wer<strong>de</strong>.<br />

Matthäus 18,13-14<br />

Morgens: Israel, Kibbuz Inbar<br />

Abends: Israel, Tel Aviv, Jugendherberge Münchner Haus<br />

Siehe da, wenn es sein muss, geht es doch. Um halb sieben sitzen wir schon im Sattel.<br />

Die Jungs und Mä<strong>de</strong>ls im Kibbuz haben uns extra früh ein Abschiedsfrühstück<br />

gemacht.<br />

Auf Autobahnen wie bei uns mit Baustellen wie bei uns, geht es fast durch ganz Israel<br />

nach Südwesten. Ashdod heißt die Hafenstadt zwischen Tel Aviv und Gaza. Nach<br />

Haifa befin<strong>de</strong>t sich hier <strong>de</strong>r zweitgrößte Hafen Israels. Die Zufahrt ist schnell gefun<strong>de</strong>n.<br />

Es ist dreiviertel neun, und wer steht strahlend auf <strong>de</strong>m Parkplatz? Chanoch, unser<br />

Mann für alle Fälle.<br />

Chanoch hat mit seinem phänomenalen Organisationstalent schon alle Kontakte<br />

geknüpft. Er holt Sandra, die hübsche Agentin von Rosenfeld, <strong>de</strong>r Firma, die auch die<br />

Grimaldi-Lines vertritt. Sandra gibt uns <strong>de</strong>n Weg vor, und wir fahren zum Schlagbaum.<br />

Nach Vorzeigen <strong>de</strong>s Passes dürfen wir dreißig Meter fahren und stehen nun in einer<br />

Art Kontrollstelle. Drei, vier sehr junge Leute in Zivil, keine Ahnung, ob es Polizisten,<br />

Zöllner, Geheimdienstler o<strong>de</strong>r was immer, sind, beginnen mit <strong>de</strong>n Befragungen. Je<strong>de</strong>r<br />

von uns wird einzeln befragt, woher, wohin, wo die letzte Zeit verbracht, welche<br />

Kontakte in Israel und so weiter. Wir kennen das ja schon.<br />

85


Nur mit <strong>de</strong>m Unterschied, dass wir hier in <strong>de</strong>r sengen<strong>de</strong>n Sonne stehen zwischen<br />

Sand, Staub und Abfall. Der Sunnyboy mit Sonnenbrille und riesigem Sturmgewehr im<br />

Arm hat uns stets im Blick. Und das Ganze dauert. Nach eineinhalb Stun<strong>de</strong>n gehe ich<br />

zu <strong>de</strong>r Chefin. Lange, blon<strong>de</strong> Haare, gera<strong>de</strong> mal Mitte zwanzig, hat sie nur ein<br />

Schulterzucken auf meine eindringliche Frage, wie man mit uns, die wir als Freun<strong>de</strong><br />

Israels hier sind, umgeht. Beschleunigt hat meine Intervention das Proze<strong>de</strong>re nicht.<br />

Chanoch ist das Ganze peinlich, für Sandra ist’s normal. Es kommt noch eine<br />

Gepäckkontrolle und Fahrzeugkontrolle. Hier hilft es wohl, dass ich in sehr lautem Ton<br />

frage, warum wir so behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n.<br />

Quer über das Hafengelän<strong>de</strong>, an Containern und fußballfeldgroßen Parkflächen für<br />

neue Autos vorbei, geht es zu einer Zollhalle mit einem Verschlag aus Maschendraht.<br />

Das ist <strong>de</strong>r Standort unserer Motorrä<strong>de</strong>r für die nächsten drei Tage. Die Zollvorschrift<br />

will es so. Wir müssen auch die Motorradschlüssel abgeben, damit im Notfall die<br />

Mopeds aus <strong>de</strong>r Halle gefahren wer<strong>de</strong>n könnten. Das wollte ich sehen. Nun geht’s zu<br />

Sandra in das vierstöckige Bürogebäu<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n Hafenagenten. Und bei Sandra wird<br />

es dann richtig teuer. Für Hafengebühren, Ausreisesteuer und Lohn für <strong>de</strong>n Agenten<br />

wird je<strong>de</strong>r 300 Dollar los. Nach sage und schreibe sechs Stun<strong>de</strong>n im Hafen, sind die<br />

endlich mit <strong>de</strong>r ganzen Prozedur fertig. Auch wir sind fertig - fix und fertig.<br />

Chanoch hat seinen Freund Yossi herbeitelefoniert. Die bei<strong>de</strong>n bringen uns acht<br />

motorradlose Biker nach Tel Aviv in die Jugendherberge. Das Hostel Bnei Dan nennt<br />

sich auch Münchner Haus. Nach <strong>de</strong>m Attentat auf die israelische Olympiamannschaft<br />

1972 wur<strong>de</strong> die Begegnungsstätte mit <strong>de</strong>utschen Mitteln erbaut. Das Haus liegt am<br />

Rand <strong>de</strong>s Hayarcon-Parks mit einem Fluss, auf <strong>de</strong>m geru<strong>de</strong>rt wird. Mit Thomas und<br />

Martin teile ich das saubere Zimmer. Die große Dusche genießen wir alle. Chanoch<br />

holt mich später ab. Mit ihm, Margo und Tochter Hadas genieße ich ein tolles<br />

Aben<strong>de</strong>ssen.<br />

86


Freitag, 05. Juni 2009, 23. Tag<br />

Entheiliget nicht meinen heiligen Namen.<br />

3. Mose 22,32<br />

Morgens: Israel, Tel Aviv, Jugendherberge Münchner Haus<br />

Abends: Israel, Tel Aviv, Jugendherberge Münchner Haus<br />

Am Ufer <strong>de</strong>s Flüsschens vor <strong>de</strong>r Jugendherberge feiern wir heute ein ausge<strong>de</strong>hntes<br />

Morgenlob. Das tut wie immer gut. Die Stimmung in <strong>de</strong>r Gruppe hat sich mittlerweile<br />

noch mehr gewan<strong>de</strong>lt. Alles Verpflichten<strong>de</strong>, das anstrengen<strong>de</strong> Fahren, einfach alles,<br />

was hintergründig doch manchmal belastend im Kopf war, und Gedanken wie<br />

„hoffentlich passiert nichts“ liegen hinter uns. Durch die Gewissheit, dass unser<br />

Unterfangen ohne ernsthafte Probleme geklappt hat, macht sich ungeheuere<br />

Erleichterung breit.<br />

Total befreit wirkt Stefan. Sein Job ist getan. Nach <strong>de</strong>r Andacht laufen wir zum Strand,<br />

um ausgiebig im Meer zu ba<strong>de</strong>n. Um zwölf erscheinen Chanoch und Yossi, unsere<br />

„Taxifahrer“. Wir sind von Eliko, <strong>de</strong>m Präsi<strong>de</strong>nten <strong>de</strong>s Motorradclubs, zu einem<br />

Bikerfestival eingela<strong>de</strong>n. Nach etwa fünfzig Kilometern in Richtung Jerusalem, in <strong>de</strong>r<br />

Nähe von Latrun, stoßen wir mitten im Wald auf so ungefähr zweihun<strong>de</strong>rt Motorrä<strong>de</strong>r,<br />

harte Rockmusik und je<strong>de</strong> Menge abgedrehter Biker.<br />

Von <strong>de</strong>r sexy Harley-Lady bis zum lustigen Tanzbär, hat sich hier ein buntes Völkchen<br />

versammelt. Da fällt unsere Berith gar nicht auf. Wir dürfen umsonst essen und trinken,<br />

soviel wir möchten. Am Grillstand gibt’s keine Thüringer mit Senf, son<strong>de</strong>rn Pitataschen.<br />

Die Teigtaschen wer<strong>de</strong>n nach Belieben gefüllt. Dann gibt es noch frisch gegrillte<br />

Hackfleischbällchen, gehackte Tomaten und Paprika und ganz viel verschie<strong>de</strong>ne<br />

Saucen mit Yoghurt und Hummus.<br />

Für eine Spen<strong>de</strong>nsammlung, mit <strong>de</strong>ren Einnahmen die Biker benachteiligte Kin<strong>de</strong>r<br />

unterstützen, geben wir 150 Euro. Ob das an <strong>de</strong>r Spen<strong>de</strong>nbüchse liegt o<strong>de</strong>r mehr am<br />

Dekolleté von Inbal, die das Geld einsammelt?<br />

87


Am Abend sind wir bei Yossi und Elia eingela<strong>de</strong>n. Sie geben uns zu Ehren eine Party.<br />

Eine etwas amerikanisch anmuten<strong>de</strong> Veranstaltung mit vielen unterschiedlichen<br />

Speisen, kalten Getränken und großem Interesse auf bei<strong>de</strong>n Seiten. Chanoch und<br />

Margo sind mit Hadas, Gil und Gili da. Drei weitere Paare aus Chanochs Clique sind<br />

ebenfalls Gäste. Es wird heftig über Politik und Gesellschaft diskutiert. Für die Meisten<br />

von uns kein leichtes Unterfangen, auch wegen unserer Be<strong>de</strong>nken, dass es durch die<br />

teils überschaubaren Englischkenntnisse zu Missverständnisse kommen könnte.<br />

Get together. Ist das nicht das Schönste und Wichtigste auf einer Reise? „Steine und<br />

Zahlen wirst Du vergessen, aber die Menschen, die du auf einer Reise triffst, wirst Du<br />

in Erinnerung behalten“, so o<strong>de</strong>r so ähnlich hat Chanoch es einmal ausgedrückt.<br />

88


Samstag, 06. Juni 2009, 24. Tag<br />

Meine Sün<strong>de</strong>n haben mich ereilt;<br />

ich kann sie nicht überblicken.<br />

Eile, HERR, mir zu helfen!<br />

Psalm 40,13.14<br />

Morgens: Israel, Tel Aviv, Jugendherberge Münchner Haus<br />

Abends: Israel, Tel Aviv, Jugendherberge Münchner Haus<br />

Bei unserem letzten Morgenlob fällt mir einmal mehr auf, wie gut wir uns doch<br />

inzwischen kennen, zumin<strong>de</strong>st was so die kleinen Auffälligkeiten betrifft. Martin kommt<br />

als Letzter, Berith vermittelt nur die körperliche Anwesenheit, Thomas hat sein<br />

Pilgerbüchlein vergessen, Markus braucht einen Platz im Schatten. Je<strong>de</strong>r pflegt so<br />

seine Eigenarten, ganz wie in einer Familie.<br />

Mit <strong>de</strong>m Taxi fahren Walter, Kilian, Martin und ich nach Jaffa, <strong>de</strong>r Altstadt von Tel Aviv.<br />

Wir suchen nach <strong>de</strong>m Christlichen Kolleg, das aber lei<strong>de</strong>r geschlossen ist und uns so<br />

nur die Architektur vermittelt. Dann streifen wir durch das Viertel und laufen zum<br />

Strand. Unter einem Strohdach fin<strong>de</strong>n wir Sonnenschutz. Wir sehen alle recht lustig<br />

aus in unseren Ba<strong>de</strong>hosen. Braune Hän<strong>de</strong>, braune Gesichter, brauner Hals und <strong>de</strong>r<br />

Rest käseweiß. So bräunen Motorradfahrer. Das Multikulti-Leben Tel Avivs wird am<br />

Strand über<strong>de</strong>utlich. Orthodoxe Frauen jüdischen Glaubens ba<strong>de</strong>n wie muslimische<br />

Frauen in langen Klei<strong>de</strong>rn, daneben westlich geprägte Mädchen im Bikini, wobei die<br />

nicht so knapp und aufreizend sind wie bei uns. Weniger als Bikini gibt es nicht.<br />

Auf <strong>de</strong>m Rückweg habe ich mich mit <strong>de</strong>r Zeit verschätzt und komme glatt zu unserer<br />

letzten gemeinsamen Gesprächsrun<strong>de</strong> zu spät. Heute soll je<strong>de</strong>r die Möglichkeit haben,<br />

ein Resümee zu ziehen. Es wird <strong>de</strong>utlich, wie ereignisreich die Zeit war. Da gibt es so<br />

viel zu sortieren, was noch ungeordnet in <strong>de</strong>n Köpfen umherschwirrt. Durchgängig ist<br />

die Dankbarkeit, dass die Reise so glücklich verlaufen ist. Da erscheinen Mankos im<br />

Ablauf o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>r Zeiteinteilung, die ich reklamiere, fast kleinlich.<br />

89


Ich bin mir nicht sicher, ob Harmonie <strong>de</strong>r richtige Ausdruck dafür ist, um unser<br />

Zusammensein in <strong>de</strong>n letzten Wochen zu beschreiben. Auf je<strong>de</strong>n Fall ist eine gehörige<br />

Portion Höflichkeit und Respekt dabei. Wir haben untereinan<strong>de</strong>r keine wirklich sehr<br />

tiefe Verbindung gefun<strong>de</strong>n, dafür hat es aber auch keine ernsthaften Konflikte<br />

gegeben. Das hält sich so irgendwie die Waage.<br />

Abends treffen wir uns mit Margo, Chanoch, Elia und Yossi in einem In-Lokal am<br />

Strand von Tel Aviv. In <strong>de</strong>r untergehen<strong>de</strong>n Sonne wer<strong>de</strong>n die Gesichtszüge meiner<br />

Reisegefährtinnen und Reisegefährten melancholisch weich. Da hängt eine große<br />

Portion Abschiedsschmerz in <strong>de</strong>r Luft. Wir lassen uns aber die Stimmung nicht trüben,<br />

we<strong>de</strong>r von wehmütigen Gedanken noch von <strong>de</strong>n hohen Preisen fürs Essen und <strong>de</strong>r<br />

flapsigen Bedienung. Dafür sitzen wir in <strong>de</strong>r ersten Reihe am hippen Boardwalk von<br />

Tel Aviv.<br />

Vorm Heimgehen spielen die Zehen noch im Sand einer coolen Beachbar. Die<br />

Kellnerin mit Stiefeln, Hotpants und Bikini-Dekolleté muss sich immer ganz tief zu <strong>de</strong>m<br />

niedrigen Tisch herunterbeugen.<br />

90


Sonntag, 07. Juni 2009, 25. Tag<br />

Jesus sprach zu Petrus:<br />

Ich habe für dich gebeten,<br />

dass <strong>de</strong>in Glaube nicht aufhöre.<br />

Lukas 22,32<br />

Morgens: Israel, Tel Aviv, Jugendherberge Münchner Haus<br />

Abends: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Alle sitzen wir noch einmal am Picknicktisch im Park zusammen, Zeit für ein Te Deum.<br />

Der bevorstehen<strong>de</strong> Abschied stimmt traurig. Vier von uns, Stefan, Berith, Renate und<br />

Winfried bleiben ja noch eine Woche in Israel, um mit <strong>de</strong>m nächsten Schiff <strong>de</strong>r Grimaldi<br />

Lines in Richtung Italien zu fahren.<br />

Diese Form <strong>de</strong>r Ausreise aus Israel ist <strong>de</strong>r politischen Lage geschul<strong>de</strong>t. Mit unserem<br />

bunt gestempelten Pass haben wir keine Chance, über arabische Län<strong>de</strong>r, die nun mal<br />

Israel umschließen, auszureisen. Also bleiben nur Flugzeug o<strong>de</strong>r Schiff. Und das<br />

Schiff, das wir nach einigen Fahrplanän<strong>de</strong>rungen gebucht haben, hat keinen Platz<br />

mehr für alle zwölf, daher die Teilung <strong>de</strong>r Gruppe.<br />

Pünktlich wie Jekkes sind Chanoch und Yossi in <strong>de</strong>r Jugendherberge. Mit unserer<br />

Achtergruppe fahren sie Richtung Ashdod Hafen. Einerseits bin ich traurig, einen Teil<br />

<strong>de</strong>r Freun<strong>de</strong> zurück lassen zu müssen und mich von meinem Freund Chanoch<br />

verabschie<strong>de</strong>n zu müssen, an<strong>de</strong>rerseits ungeheuer gespannt auf <strong>de</strong>n nächsten<br />

Reiseabschnitt. Das wird eine richtige Kreuzfahrt durch das östliche Mittelmeer.<br />

In Ashdod wer<strong>de</strong>n wir schon erwartet und passieren relativ schnell die<br />

Sicherheitsschleuse, um anschließend von einem Hafenagenten zu <strong>de</strong>n Motorrä<strong>de</strong>rn<br />

gefahren zu wer<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>r Dicken gleite ich im Schritttempo durch <strong>de</strong>n Hafen -<br />

unglaublich.<br />

93


Das gelbe Schiff wird bei <strong>de</strong>r Annäherung immer größer. An <strong>de</strong>r Rampe angekommen,<br />

liegt sie hochhausgroß vor uns, die Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>. „Welcome on board“, die Offiziere<br />

und die Crew empfangen uns überaus herzlich. Die freuen sich auf so<br />

außergewöhnliche Passagiere. Auf Deck sechs (von zwölf) laschen die philippinischen<br />

Matrosen die Motorrä<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>n gelben Spanngurten fest. Wir und unser Gepäck<br />

wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Fahrstuhl zum Deck zwölf, also in die oberste Etage, gebracht. Es ist<br />

genau zwölf Uhr. Mister Bokk, unser Steward, stellt sich vor und lädt auch gleich zum<br />

Lunch in die Offiziersmesse ein. Wie künftig je<strong>de</strong>n Mittag, gibt es vier Gänge mit Suppe<br />

o<strong>de</strong>r Salat, Pasta, Fleisch o<strong>de</strong>r Fisch und ein Dessert. Josef, <strong>de</strong>r Koch, tischt<br />

italienische Hausmannskost auf, immer ausreichend und ausnahmslos lecker. Zum<br />

Essen gibt es Wasser zu trinken und für je<strong>de</strong>n ein Bier o<strong>de</strong>r eine kleine Flasche Wein.<br />

Alkohol ist an Bord streng reglementiert.<br />

Nach <strong>de</strong>m Essen wer<strong>de</strong>n uns die Kabinen zugewiesen. Thomas und ich ziehen zu<br />

zweit in eine Dreibettkabine ein, 3,60 mal 5,50 Meter groß. Die Kabinen sind innen<br />

liegend ohne Fenster o<strong>de</strong>r Bullauge. Durch die äußerst gute Lüftung, die wir sogar<br />

zurückstellen müssen, hat man aber nie ein beklemmen<strong>de</strong>s Gefühl. Und wir sind<br />

sowieso nur zum Schlafen hier. Teppichbo<strong>de</strong>n, holzgemusterte Möbel, für je<strong>de</strong>n ein<br />

großer Schrank, ein Nachttisch und unter <strong>de</strong>m Bett eine große Schubla<strong>de</strong>, völlig<br />

ausreichend. Ein Schreibtisch mit Bürostuhl davor und die drei Quadratmeter große<br />

Nasszelle mit Dusche, Waschbecken, Spiegel mit Ablage und einer Vakuumtoilette<br />

komplettieren unser Reich.<br />

Der 1. und <strong>de</strong>r 3. Offizier machen uns mit <strong>de</strong>n Sicherheitsbestimmungen vertraut. Wie<br />

wird alarmiert, wo ist die Masterstation, wo sind die Sammelpunkte, wie funktionieren<br />

Schwimmwesten und Feuerlöscher, wie besteigt man das Rettungsboot und, und, und.<br />

Und dann haben wir frei.<br />

Frei, um auch gleich das Schiff zu erkun<strong>de</strong>n. Von <strong>de</strong>r Brücke läuft man über<br />

einhun<strong>de</strong>rtfünfzig Meter bis zum Heck, das Schiff ist immerhin einhun<strong>de</strong>rteinundachtzig<br />

Meter lang. Dabei kommt man an <strong>de</strong>r Be- und Entlüftung und am Schornstein <strong>de</strong>s<br />

Schiffes vorbei. Hier ist es sehr laut. Dafür hat man aus dreiunddreißig Metern Höhe<br />

einen grandiosen Rundblick. So erleben wir das Auslaufen aus Ashdod Harbour.<br />

94


Der Blick zurück, zeigt uns die Wasserfront Israels, im Sü<strong>de</strong>n Ashkelon bei Gaza bis<br />

zur Silhouette von Tel Aviv im Nor<strong>de</strong>n.<br />

Hier oben ist allerdings auch <strong>de</strong>r windigste Standort. Durch die Geschwindigkeit von<br />

19,5 Knoten, das sind 35 Stun<strong>de</strong>nkilometer, wird die Luft, die sich am schrägen Bug<br />

staut, in Starkwindstärke nach oben geleitet. Martin macht es einen Hei<strong>de</strong>nspaß, sich<br />

mit ausgebreiteten Armen gegen <strong>de</strong>n Wind zu stemmen. Spontan tun wir es ihm gleich<br />

und singen, ja brüllen, so laut wir nur können, gegen <strong>de</strong>n Wind und in <strong>de</strong>n<br />

Sonnenuntergang:<br />

Großer Gott, wir loben dich!<br />

Herr, wir preisen <strong>de</strong>ine Stärke!<br />

Vor dir neigt die Er<strong>de</strong> sich<br />

Und bewun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>ine Werke.<br />

Wie du warst vor aller Zeit,<br />

So bleibst du in Ewigkeit.<br />

Alles, was dich preisen kann,<br />

Cherubim und Seraphinen,<br />

Stimmen dir ein Loblied an,<br />

Alle Engel, die dir dienen,<br />

Rufen dir stets ohne Ruh:<br />

Heilig, heilig, heilig zu.<br />

Auf <strong>de</strong>m ganzen Er<strong>de</strong>nkreis<br />

Loben Grosse und auch Kleine<br />

Dich, Gott Vater; dir zum Preis<br />

Singt die heilige Gemein<strong>de</strong>,<br />

Sie verehrt auf seinem Thron<br />

Deinen eingebornen Sohn.<br />

Stehe <strong>de</strong>nn, o Herr, uns bei,<br />

Die wir dich in Demut bitten,<br />

Die <strong>de</strong>in Blut dort machte frei,<br />

Als du für uns hast gelitten.<br />

Nimm uns nach vollbrachtem Lauf<br />

Zu dir in <strong>de</strong>n Himmel auf.<br />

95


Montag, 08. Juni 2009, 26. Tag<br />

Paulus schreibt:<br />

Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen<br />

als allein Jesus Christus, <strong>de</strong>n Gekreuzigten.<br />

1. Korinther 2,2<br />

Morgens: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Abends: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Ich habe sehr gut geschlafen und fühle mich frisch und munter. Also raus aus <strong>de</strong>r Koje.<br />

Die Räume, die uns auf <strong>de</strong>m Offiziers<strong>de</strong>ck zur Verfügung stehen, sind mehr als üppig.<br />

Im Büro, in <strong>de</strong>m die jungen Offiziere ihre Dienstpläne o<strong>de</strong>r La<strong>de</strong>listen bearbeiten,<br />

dürfen wir beispielsweise <strong>de</strong>n Fotokopierer und einen PC benutzen. Ein<br />

Besprechungsraum mit Platz für zwanzig Leute grenzt an das Gym, <strong>de</strong>n Fitnessraum<br />

mit Fitnessgeräten und Tischtennisplatte und mit <strong>de</strong>m wichtigsten Freizeitvergnügen,<br />

einem Kickertisch. Wir sind für unsere italienischen Freun<strong>de</strong> i<strong>de</strong>ale Gegner beim table<br />

soccer, weil wir recht leicht zu besiegen sind. Die Crew scheint einen gewissen<br />

Trainingsvorsprung zu haben. Dann gibt es ein großes „Wohnzimmer“ mit<br />

Couchgarnitur und run<strong>de</strong>m Tisch, <strong>de</strong>r sich zum Würfeln o<strong>de</strong>r Karteln eignet. Hier<br />

stehen auch <strong>de</strong>r Fernseher mit DVD und eine Stereoanlage. Der Speiseraum liegt<br />

daneben. Über <strong>de</strong>m Flur befin<strong>de</strong>t sich die große Bordküche mit einer kleineren<br />

Kaffeeküche daneben, wo wir uns selbst je<strong>de</strong>rzeit Kaffee, Tee o<strong>de</strong>r Espresso machen<br />

dürfen.<br />

Mister Bokk, <strong>de</strong>r Steward, bietet uns seinen Waschservice an. Perfekt gebügelt legt er<br />

die Sachen zurück aufs Bett. Aber wir können auch selbst in die Bordwäscherei. Da<br />

steht eine riesige Waschmaschine, die meine komplette Motorradausrüstung, also<br />

Motorradhose, Jacke und Stiefel aufnimmt und nach einer Stun<strong>de</strong> wohlriechend (sind<br />

das noch meine Sachen?) wie<strong>de</strong>r frei gibt.<br />

Die meiste Zeit verbringe ich aber an Deck o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Brücke. Sonne pur, leichter<br />

Fahrtwind, ringsum blaues Meer. Das ist die Kreuzfahrt <strong>de</strong>r Motorradpilger.<br />

96


Mittags fin<strong>de</strong> ich ein Blatt Papier, das jemand unter <strong>de</strong>r Kabinentür durchgeschoben<br />

hat. Auf einem kartengroßen Zuschnitt aus einer Original-Seekarte steht geschrieben,<br />

dass sich Kapitän und Crew die Ehre geben, uns um 19.30 Uhr zu einer Pizzaparty<br />

auf <strong>de</strong>m Wetter<strong>de</strong>ck einzula<strong>de</strong>n.<br />

Wir fühlen uns wirklich sehr geehrt, sehen wir doch, dass es sich um keine<br />

Routineveranstaltung han<strong>de</strong>lt. Schon am Nachmittag bauen die Italiener mit Stangen<br />

und langen Leinen einen Rahmen, <strong>de</strong>r mit Wimpelketten geschmückt wird. Zentral<br />

hängen die Flaggen Italiens, Deutschlands und <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>rei. Wir erscheinen pünktlich<br />

und adrett in unseren dunkelblauen Polos. Die Offiziere tragen khakifarbene Uniformen<br />

und die wichtigsten Personen, <strong>de</strong>r Käpt’n, Koch Josef und Steward Bokk, sind in<br />

elegantes Weiß gewan<strong>de</strong>t.<br />

Ganz stilecht, gibt es roten Aperto als Aperitif, später Bier mit und ohne Alkohol. Nur<br />

wir Passagiere haben das Privileg, zu je<strong>de</strong>r Mahlzeit ein Bier o<strong>de</strong>r eine kleine Flasche<br />

Wein genießen zu können. Für die Crew herrscht auf <strong>de</strong>m Schiff strenges<br />

Alkoholverbot.<br />

Jetzt wird Pizza aufgefahren. Blechweise Köstlichkeiten. Die Raffinierteste ist die mit<br />

Auberginen und Speck. Und die Pizza-Blech-Stafette nimmt kein En<strong>de</strong>, als ob wir alle<br />

Entbehrungen einer Pilgerreise ausgleichen müssten. Wir möchten ja höflich sein. Also<br />

ein Stück geht noch.<br />

Kalle hat unser Dankeschön vorbereitet. Wir revanchieren uns mit einem<br />

Pantomimespiel. Auf große Blätter schreiben wir Begriffe in <strong>de</strong>utscher und italienischer<br />

Sprache, zum Beispiel Seekarte - carta nautiche o<strong>de</strong>r Kabine - cabina. Zwei<br />

Kandidaten stehen mit <strong>de</strong>m Rücken zu <strong>de</strong>m Schild, damit sie <strong>de</strong>n Begriff nicht lesen<br />

können. Die Meute steht gegenüber und muss pantomimisch die Begriffe erklären, bis<br />

die Kandidaten die Lösung erraten. Es ist nicht gera<strong>de</strong> leicht, <strong>de</strong>r italienischen<br />

Mannschaft klar zu machen, dass während <strong>de</strong>s Spiels eigentlich nicht gesprochen<br />

wer<strong>de</strong>n darf. Wie sollen die Südlän<strong>de</strong>r das mit ihrem Temperament vereinbaren. Die<br />

Stimmung schlägt je<strong>de</strong>nfalls weit höhere Wellen als das Meer dreißig Meter unter uns.<br />

Und rein zufällig en<strong>de</strong>t das Spiel mit einem Remis.<br />

97


Dienstag, 09. Juni 2009, 27. Tag<br />

Wohlan, mache dich ans Werk,<br />

und <strong>de</strong>r HERR wird mit dir sein!<br />

1. Chronik 22,16<br />

Morgens: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Abends: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Wenn man sich kurz vor <strong>de</strong>m Wachwechsel auf <strong>de</strong>m Kommandostand einfin<strong>de</strong>t,<br />

stehen die Chancen gut, einen Espresso zu bekommen. Es ist so üblich, dass <strong>de</strong>r<br />

Bootsmann als letzte Handlung vor seiner Freiwache für seine Kollegen, die<br />

anschließend Dienst haben, das italienische Lebenselixier kocht.<br />

Der Bootsmann auf <strong>de</strong>r Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong> teilt sich die Wache mit zwei Offizieren, die für<br />

Navigation und Kommunikation zuständig sind. Von <strong>de</strong>r verglasten Brücke aus wird <strong>de</strong>r<br />

Seeraum ständig mit Ferngläsern 50 x 8, also mit achtfacher Vergrößerung bei einer<br />

50-mm-Linse, beobachtet. Die wichtigsten Bildschirme, die überwacht wer<strong>de</strong>n, sind<br />

Kombinationen aus Radar, Seekarte und GPS-Karte. Hier wird die Position unseres<br />

Schiffes, unsere Geschwindigkeit und natürlich unser Kurs angezeigt. Die<br />

Reisegeschwindigkeit beträgt 19,5 Knoten. Die geplante Route zum nächsten<br />

Waypoint und alle an<strong>de</strong>ren Schiffe o<strong>de</strong>r Gegenstän<strong>de</strong>, wie Bojen und Netze, die sich in<br />

unserer Richtung befin<strong>de</strong>n, sind in je<strong>de</strong>m Detail zu sehen. Auf einem weiteren<br />

Bildschirm sind alle Schiffe in <strong>de</strong>r Umgebung mit ihrem Namen, <strong>de</strong>r Richtung und <strong>de</strong>r<br />

Geschwindigkeit angezeigt. Ein großer Computerbildschirm zeigt <strong>de</strong>n Ist-Zustand<br />

unseres Schiffes. Hier können alle Informationen abgerufen wer<strong>de</strong>n, die Angaben aus<br />

<strong>de</strong>m Maschinenraum, die Tanks für Treibstoff, Wasser, Balastwasser und vieles mehr.<br />

Manchmal läuft leise Musik im Hintergrund, immer krächzt Kanal 16, <strong>de</strong>r Notruf- und<br />

Ansprechkanal <strong>de</strong>s UKW-Seefunks. Der Kommandoraum ist dreiunddreißig Meter breit<br />

und zehn Meter lang. Dahinter befin<strong>de</strong>t sich das Büro <strong>de</strong>s Kapitäns, ein Funkraum und<br />

ein Bordhospital.<br />

98


„Möchtet ihr <strong>de</strong>n Maschinenraum besichtigen?“ Und ob wir das möchten. Mit<br />

Gehörschutz ausgestattet, geht es im Gänsemarsch in die Eingewei<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gran<strong>de</strong><br />

Ella<strong>de</strong>. Der zweite Bordingenieur wür<strong>de</strong> uns am liebsten je<strong>de</strong> Schraube erklären, so<br />

stolz ist er auf „seine“ 21.000-PS-Maschine. Der Siebenzylin<strong>de</strong>r hat gigantische<br />

Ausmaße, ein Kolben Ölfassdimension. Der Verbrauch liegt bei 58 Tonnen Schweröl<br />

pro Tag. Das sind 2,5 Tonnen je Stun<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r 8.012 Liter Schweröl auf 100 Kilometer.<br />

Die 361 Autotransporter auf <strong>de</strong>r Autobahn, die unsere Kapazität ersetzen könnten,<br />

wür<strong>de</strong>n etwa 10.800 Liter Diesel verbrauchen, aber eine viel weitere Reise über Land<br />

unternehmen. Die Antriebswelle, die sich unter unseren Füßen Öl glänzend dreht, hat<br />

bestimmt einen halben Meter Durchmesser.<br />

„Bei <strong>de</strong>r Firma Deutz, <strong>de</strong>m Maschinenhersteller, habe ich mal gearbeitet.“ Der<br />

Maschinist schaut Markus ungläubig an, erhebt ihn dann aber innerlich zum Beinahe-<br />

Konstrukteur <strong>de</strong>s Schiffes. Eine ähnlich gute Figur macht Kilian, als er uns Bikern einen<br />

Schnellkurs in Navigation und Kartenkun<strong>de</strong> gibt. Lucca, <strong>de</strong>r dritte Offizier, ist dann aber<br />

doch beruhigt, als Kilian seine Bleistiftstriche wie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Seekarte ausradiert,<br />

gera<strong>de</strong> noch rechtzeitig, bevor Kapitän Giovanni Battista Sirabella die Brücke betritt. Er<br />

hat eine Überraschung für uns. „Wenn ihr wollt, könnt ihr noch drei Tage an Bord<br />

bleiben und bis nach Salerno bei Genua weiterfahren. Ihr seid von Grimaldi Lines<br />

eingela<strong>de</strong>n.“ Na, wenn das mal kein Angebot ist. Die Zusage kommt schnell und<br />

einstimmig.<br />

Kapitän Battista ist auf <strong>de</strong>n Monat gleich alt wie ich und trägt auch ein Taukreuz aus<br />

Olivenholz um <strong>de</strong>n Hals. „Das Kreuz ist ein Geschenk meines Schwiegervaters. Ich bin<br />

zwar seit einem Jahr geschie<strong>de</strong>n, aber das Kreuz lege ich trotz<strong>de</strong>m nicht ab.“<br />

Den Abend eines erfüllten Tages beschließen wir mit einer Interpretation <strong>de</strong>s Titelbilds<br />

unseres Pilgerbüchleins.<br />

99


Mittwoch, 10. Juni 2009, 28. Tag<br />

Denn wer da bittet, <strong>de</strong>r empfängt; und wer da sucht,<br />

<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>t; und wer da anklopft, <strong>de</strong>m wird aufgetan.<br />

Lukas 11,10<br />

Morgens: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Abends: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Hatten wir in <strong>de</strong>n vergangenen Tagen nur selten an<strong>de</strong>re Schiffe gesehen, ist heute<br />

Morgen richtig viel Verkehr.<br />

Dort im Dunst backbord voraus taucht plötzlich <strong>de</strong>r Ätna auf. Wir steuern in die Straße<br />

von Messina, die Meerenge zwischen Sizilien und Kalabrien, Stetto genannt. Vom<br />

Lotsen, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>m Piloti-Boot zum Schiff gebracht wird, erfahren unsere<br />

Marinefreun<strong>de</strong> alle Neuigkeiten. Während <strong>de</strong>r Steuermann unser „Parkhaus“ sicher<br />

durch das Gewusel von Segelbooten und Fähren manövriert, sehen wir ganz spezielle<br />

Fischerboote. „Feluche“ nennt man diesen Bootstyp in <strong>de</strong>r Gegend. Ganz vorne auf<br />

<strong>de</strong>r Spitze von Bugspieren o<strong>de</strong>r Laufstegen, doppelt so lange wie die Boote selbst,<br />

halten die Fischer Ausschau nach Schwertfischen.<br />

Nun geht es nach Nor<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r gebirgigen Küste entlang. „Oh wie süß“, alle paar<br />

Minuten stößt <strong>de</strong>r Vulkan Stromboli Rauch aus, und jetzt hat das Wölkchen sogar eine<br />

Herzform angenommen. Ein paar Stun<strong>de</strong>n später läuft die Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Hafen<br />

von Salerno ein. In <strong>de</strong>r Umgebung von an<strong>de</strong>ren Schiffen, Yachten und <strong>de</strong>r<br />

Hafenanlage wird die gigantische Größe unseres Schiffes noch einmal richtig <strong>de</strong>utlich.<br />

Sind die drei, vier Damen, die auf das Herablassen <strong>de</strong>r Rampe warten, von <strong>de</strong>r<br />

Hafenbehör<strong>de</strong>? Dann hätten sie vermutlich nicht so kurze Röckchen angezogen und<br />

nicht so viel Schmuck angelegt. Also, heute Abend sollten wir keine Fragen mehr an<br />

<strong>de</strong>n Master haben.<br />

100


Donnerstag, 11. Juni 2009, 29. Tag<br />

Gott, du kennst meine Torheit,<br />

und meine Schuld ist dir nicht verborgen.<br />

Psalm 69,6<br />

Morgens: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Abends: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Was für ein Privileg. Ohne jegliche Kontrolle dürfen wir von Bord fahren, um einen<br />

Ausflug entlang <strong>de</strong>r wun<strong>de</strong>rschönen Amalfiküste zu machen. Salerno, Maiori, Amalfi,<br />

Conca <strong>de</strong>i Marini, Positano, Sorrent lesen wir auf <strong>de</strong>n Ortsschil<strong>de</strong>rn. Je<strong>de</strong>r Meerblick<br />

ist hier einen eigenen Urlaub wert. Auf <strong>de</strong>r Küstenstraße erreichen wir einen<br />

Geschwindigkeitsschnitt von gera<strong>de</strong> mal zwanzig Stun<strong>de</strong>nkilometern. So eng ist das<br />

Sträßchen, das sich um je<strong>de</strong> Klippe an <strong>de</strong>r Steilküste entlang win<strong>de</strong>t.<br />

Markus, Thomas, Walter und ich essen inmitten eines Zitronenhains in Sorrento zu<br />

Mittag. Da schmeckt ein Glas mit frisch gepresstem Zitronensaft gut. Zum Essen gibt<br />

es Kalbfleisch mit einem köstlichen Ratatouille. Zurück in Salerno, lassen wir uns noch<br />

ein fettes Gelato in einer typisch italienischen Eisdiele schmecken.<br />

Tuut, tuut, tuut, dreimal erklingt unser Schiffshorn, das Signal für „Maschine läuft<br />

rückwärts“. Wir laufen aus <strong>de</strong>m Hafen von Salerno aus nach Nordwesten in einen<br />

wun<strong>de</strong>rbaren Abend. Die Sonne färbt sich halbtonweise von Gold in ein tiefes<br />

Magmarot. Langsam löst sie sich aus <strong>de</strong>m Firmament, sinkt <strong>de</strong>m Meer entgegen, um<br />

genau hinter <strong>de</strong>r braunschwarzen Silhouette <strong>de</strong>r Insel Capri unterzugehen. Bei diesem<br />

an Romantik nicht zu überbieten<strong>de</strong>n Anblick fällt mir etwas Lustiges ein. Was antwortet<br />

ein „Monnemer“, wenn er nach seinem Musikwunsch gefragt wird? Na, „Wonn bei“<br />

natürlich! Und was meint er damit? Ist doch klar: „Wenn bei Capri die rote Sonne im<br />

Meer versinkt…“.<br />

101


Freitag, 12. Juni 2009, 30. Tag<br />

Paulus sagte:<br />

Ich achte mein Leben nicht <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> wert,<br />

wenn ich nur meinen Lauf vollen<strong>de</strong> und das Amt ausrichte,<br />

das ich von <strong>de</strong>m Herrn Jesus empfangen habe,<br />

zu bezeugen das Evangelium von <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> Gottes.<br />

Apostelgeschichte 20, 24<br />

Morgens: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Abends: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Um drei Uhr morgens weckt mich nicht etwa ein Geräusch, son<strong>de</strong>rn das Fehlen eines<br />

Geräuschs. Die Maschine steht. Das Schiff macht keine Fahrt. Die Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong> treibt<br />

vier Stun<strong>de</strong>n manövrierunfähig im Tyrrhenischen Meer auf <strong>de</strong>r Höhe von Rom. Der<br />

Computerbildschirm zeigt dramatisch mit drei roten Balken an, dass drei von <strong>de</strong>n<br />

sieben Zylin<strong>de</strong>rn ausgefallen sind.<br />

Auf <strong>de</strong>r Brücke wird hektisch beraten und mit <strong>de</strong>r Ree<strong>de</strong>rei telefoniert, ob die eigene<br />

Kraft zum Weiterfahren ausreicht, ob es nach Rom o<strong>de</strong>r doch nach Genua gehen soll<br />

o<strong>de</strong>r ob es eines Schleppers bedarf. Der Fischer, <strong>de</strong>r sich über Funk lautstark<br />

beschwert, dass unser Schiff in seine Netze getrieben ist und diese für ihn verloren<br />

sind, fin<strong>de</strong>t fast kein Gehör.<br />

Nach Stun<strong>de</strong>n geht die Fahrt dann mit halber Geschwindigkeit weiter nach Nor<strong>de</strong>n,<br />

unserem Ziel entgegen.<br />

In <strong>de</strong>m ganzen Durcheinan<strong>de</strong>r und bei <strong>de</strong>r großen Anspannung, die man natürlich<br />

auch <strong>de</strong>m Schiffspersonal anmerkt, zaubert Koch Josef eine tolle Überraschung auf<br />

<strong>de</strong>n Mittagstisch, nämlich Zitronenfleisch, carne di manzo con limone.<br />

102


Und hier ist da Rezept:<br />

Zutaten für 4 Portionen:<br />

800 g Rindfleisch, 4 Zitronen (wenn möglich schöne reife aus Italien), 4 Zwiebeln,<br />

Rosmarin, Salz, Pfeffer.<br />

Rindfleisch in 1 cm dicke Scheiben schnei<strong>de</strong>n (besser vom Metzger schnei<strong>de</strong>n lassen).<br />

Die unbehan<strong>de</strong>lten Zitronen und die Zwiebeln ebenfalls in Scheiben schnei<strong>de</strong>n. In<br />

einen Bräter (o<strong>de</strong>r Römertopf) lagenweise Fleisch-, Zitronen- und Zwiebelscheiben<br />

schichten. Da die Zitronen und die Zwiebeln sehr viel Würze geben, nur wenig<br />

zusätzlich würzen. Gegart wird das Fleisch bei kleiner Hitze etwa zwei Stun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />

länger. Zum Zitronenfleisch passt Reis sehr gut. Damit kann man schön die Sauce<br />

auftunken. Und jetzt „Buon appetito“.<br />

Am Abend versucht die Sonne hinter <strong>de</strong>r Insel Elba eine Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r Capri-<br />

Inszenierung. Wissend, dass es <strong>de</strong>r letzte Abend an Bord ist und <strong>de</strong>r letzte Abend, an<br />

<strong>de</strong>m wir zusammen sind, wird es mir trotz <strong>de</strong>r abendlichen Kühle ganz warm ums Herz.<br />

„Was waren für Dich die Höhepunkte unserer Pilgerreise?“, mo<strong>de</strong>riert Kalle die<br />

Gesprächsrun<strong>de</strong>. Acht Antworten, acht Beweggrün<strong>de</strong>. Jetzt, bei letzter Gelegenheit,<br />

fluten Tränen eine ganze Lebensgeschichte heraus. O<strong>de</strong>r die Vorstellung von <strong>de</strong>r<br />

Rückkehr in eine ungelöste heimische Situation reduziert die Äußerung auf „Ich weiß<br />

gar nicht, was ich jetzt sagen soll.“ Sehr aufgewühlt verhole ich mich mit einer<br />

Mischung aus Traurigkeit über das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Reise und <strong>de</strong>r ehrlichen Freu<strong>de</strong> auf zu<br />

Hause in die Koje.<br />

103


104


105


Samstag, 13. Juni 2009, 31. Tag<br />

Christus spricht im Gleichnis:<br />

Wenn <strong>de</strong>r Hirte alle seine Schafe hinausgelassen hat,<br />

geht er vor ihnen her, und die Schafe folgen ihm nach;<br />

<strong>de</strong>nn sie kennen seine Stimme.<br />

Johannes 10,4<br />

Morgens: Gran<strong>de</strong> Ella<strong>de</strong>, Grimaldi Lines<br />

Abends: Zu Hause in Eppelheim<br />

Die sieben Sachen gepackt, frisch gewaschenes Biker Outfit an. Wir scharren wie die<br />

Rennpfer<strong>de</strong>, um aus Moby Dicks Bauch entlassen zu wer<strong>de</strong>n. Der Stalltrieb hat schon<br />

gestern Abend eingesetzt.<br />

Kalle verabschie<strong>de</strong>t sich als Erster, um nun wenigstens die letzte Etappe selbst<br />

bestimmt fahren zu können. Keine Pass- o<strong>de</strong>r Zollkontrolle, da fehlt uns richtig was.<br />

Wir durchqueren die Hafenstadt Savona am Golf von Genua und rollen auf <strong>de</strong>r<br />

Autostrada durch dichten Verkehr nach Nor<strong>de</strong>n. Alexandria, Milano, Como, Lugano,<br />

Bellinzona, das ist ja noch einmal wie eine Reise für sich.<br />

An <strong>de</strong>r Zapfsäule <strong>de</strong>r Tankstelle in Airolo umarmen mich Erna und Kilian zum<br />

Abschied, sie nehmen die Expressroute durch <strong>de</strong>n Gotthardtunnel. Wir entschei<strong>de</strong>n<br />

uns für das Val di Tremola, das Tal <strong>de</strong>s Zitterns. Diese Bezeichnung stammt allerdings<br />

nicht aus einem Karl-May-Roman, gemeint ist vielmehr die alte, <strong>de</strong>nkmalgeschützte<br />

Südauffahrt zum Gotthardpass. Einer vierspännigen Postkutsche begegnend, win<strong>de</strong>n<br />

sich die letzten fünf Mohikaner die kopfsteingepflasterten Kehren auf 2091 Meter<br />

empor - o<strong>de</strong>r so ähnlich.<br />

Klick, klick, das obligatorische Foto vor <strong>de</strong>m Passschild, und die Gruppe reduziert sich<br />

wie bei <strong>de</strong>n kleinen Negerlein auf drei. Markus und Walter suchen am Grimselpass<br />

noch eine Nacht Schonfrist vor <strong>de</strong>r endgültigen Heimkehr.<br />

106


Thomas, Martin und ich kurven nach Göschenen, dann weiter nach Basel und auf <strong>de</strong>r<br />

heimischen Rüttelstrecke A 5 in Richtung Heimat.<br />

Dem Heiligen Sankt Christophorus ist die Autobahnkirche bei Ba<strong>de</strong>n-Ba<strong>de</strong>n geweiht.<br />

Dort möchten wir uns verabschie<strong>de</strong>n, und ich möchte meinen bei<strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong>n ein<br />

Jerusalem-Motiv als Glasfenster zeigen. Die Kirche mit <strong>de</strong>n auffallen<strong>de</strong>n Fenstern<br />

wur<strong>de</strong> 1976 - 1978 nach <strong>de</strong>n Plänen <strong>de</strong>s Architekten Friedrich Zwingmann errichtet.<br />

Die gesamte künstlerische Konzeption stammt von Emil Wachter, <strong>de</strong>r auch die<br />

Fensterfront <strong>de</strong>r Christkönigkirche in Eppelheim gestaltet hat.<br />

Hier, genau vor <strong>de</strong>r Autobahnkirche, soll sich in <strong>de</strong>r allerletzten Minute unseres<br />

Zusammenseins nach nun 31 Tagen noch ein sehr intensives Gespräch ergeben. Zum<br />

Zuhören ist es nie zu spät.<br />

Ab Ettlingen sind die Dicke und ich ganz allein. Was soll ich zuerst erzählen? O<strong>de</strong>r soll<br />

ich gleich ein paar Fotos zeigen? Was es wohl zum Aben<strong>de</strong>ssen gibt?<br />

107


108


109


Nachwort<br />

„Ihr geht heute auf Pilgerfahrt, und ihr wer<strong>de</strong>t nicht als die zurückkommen, als die ihr<br />

jetzt loszieht.“ Diese Worte von Dekan Klaus Rapp in <strong>de</strong>r kleinen Heilig-Kreuz-Kirche in<br />

Wiesloch hatten mich ein wenig erschreckt.<br />

Bin ich als ein An<strong>de</strong>rer zurückkommen? Hat mich die Reise verän<strong>de</strong>rt?<br />

Na ja, ein An<strong>de</strong>rer bin ich wohl nicht gewor<strong>de</strong>n nach meiner Rückkehr. Zumin<strong>de</strong>st<br />

erkennen mich all meine Lieben wie<strong>de</strong>r. Verän<strong>de</strong>rt habe ich meine Einstellung zu sehr<br />

vielen Dingen im Leben und im Zusammenleben. Die Erfahrung, mit freundlicher, gar<br />

fröhlicher Offenheit auf Frem<strong>de</strong> zuzugehen und das ebenso offene Echo zu<br />

empfangen, klappt auch zu Hause.<br />

„Ich will dorthin, wo Jesus gelebt hat“, wie es Renate so einfach ausgedrückt hat. Die<br />

Steine in Jerusalem und um <strong>de</strong>n See Genezareth strahlen die Frie<strong>de</strong>nsbotschaft<br />

unseres Heilands aus. Ich habe die Botschaft aufgesogen und mit nach Hause<br />

genommen. Dabei geht es nicht um <strong>de</strong>n Weltfrie<strong>de</strong>n, diese Baustelle ist mir zu groß,<br />

aber Frie<strong>de</strong> im Alltag, daran will ich arbeiten.<br />

Manchmal frage ich mich, weshalb wir oft so reserviert und misstrauisch sind. So will<br />

ich mir nun <strong>de</strong>n Mut nicht nehmen lassen, meinem Gegenüber zu vermitteln, dass wir<br />

aus unserer Begegnung das Beste machen sollten. Die Zeit ist viel zu kostbar, um sie<br />

mit Misstrauen zu vergeu<strong>de</strong>n.<br />

110


O Herr, bewahre mich vor <strong>de</strong>r Einbildung, bei je<strong>de</strong>r Gelegenheit und zu je<strong>de</strong>m Thema etwas<br />

sagen zu müssen.<br />

Erlöse mich von <strong>de</strong>r großen Lei<strong>de</strong>nschaft, die Angelegenheiten an<strong>de</strong>rer ordnen zu wollen.<br />

Lehre mich, nach<strong>de</strong>nklich (aber nicht grüblerisch), hilfreich (aber nicht diktatorisch) zu sein. Bei<br />

meiner ungeheuren Ansammlung an Weisheit erscheint es mir ja scha<strong>de</strong>, sie nicht<br />

weiterzugeben – aber du verstehst, o Herr, dass ich mir auch ein paar Freun<strong>de</strong> erhalten<br />

möchte.<br />

Lehre mich schweigen über meine Krankheiten und Beschwer<strong>de</strong>n. Sie nehmen zu – und die<br />

Lust, sie zu beschreiben, wächst von Jahr zu Jahr.<br />

Ich wage nicht, die Gabe zu erflehen, mir Krankheitsschil<strong>de</strong>rungen an<strong>de</strong>rer mit Freu<strong>de</strong><br />

anzuhören, aber lehre mich, sie geduldig zu ertragen.<br />

Ich wage auch nicht, um ein besseres Gedächtnis zu bitten – nur um etwas mehr<br />

Beschei<strong>de</strong>nheit und etwas weniger Bestimmtheit, wenn mein Gedächtnis nicht mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren übereinstimmt.<br />

Lehre mich die wun<strong>de</strong>rbare Weisheit, dass ich mich irren kann.<br />

Erhalte mich so liebenswert wie möglich. Ich möchte kein Heiliger sein – mit ihnen lebt es sich<br />

so schwer – aber ein alter Griesgram ist das Krönungswerk <strong>de</strong>s Teufels.<br />

Lehre mich, an an<strong>de</strong>ren Menschen unerwartete Talente zu ent<strong>de</strong>cken und verleihe mir, o Herr,<br />

die schöne Gabe, sie auch zu erwähnen.<br />

111


112


Danke, lieber Gott, dass du mich und meine Mitreisen<strong>de</strong>n beschützt und gestärkt hast.<br />

Danke, Christel, dass Du mir zugere<strong>de</strong>t hast, die Reise zu machen und dass Du mir<br />

über die lange Zeit <strong>de</strong>n Rücken frei gehalten hast – und dass Du mir bei diesem Buch<br />

geholfen hast..<br />

Danke, Euch Mitpilgern und Mitpilgerinnen, für das Zuhören und für das Dasein.<br />

Danke, Stefan, Kilian und Kalle, für die Organisation und die viele Geduld.<br />

113


114


Hat Ihnen das Lesen Spaß gemacht?<br />

Das Buch ist unverkäuflich. Von <strong>de</strong>n Lesern <strong>de</strong>s Buches erbitte ich eine Spen<strong>de</strong>. Die<br />

Spen<strong>de</strong>n sammle ich für das Baby-Hospital in Bethlehem. Wie wir auf <strong>de</strong>r Reise selbst<br />

erleben konnten, ist das Krankenhaus mehr als eine einzigartige und hervorragen<strong>de</strong><br />

medizinische Versorgungsstation. Es ist eine Oase <strong>de</strong>r Zuneigung und <strong>de</strong>r Zuversicht<br />

in einer sonst schroffen Umgebung. Hier wird auch eine Mütter- und Pflegeschule<br />

unterhalten, und in <strong>de</strong>r Sozialarbeit wer<strong>de</strong>n Projekt für Kin<strong>de</strong>r, Mütter und Familien<br />

auch außerhalb Bethlehems unterstützt. Für diese wertvolle Arbeit ist je<strong>de</strong>r Betrag<br />

willkommen. Vergelt’s Gott dafür!<br />

Konto Nummer: 100 172 239 1<br />

Bankleitzahl: 672 500 20<br />

Sparkasse Hei<strong>de</strong>lberg<br />

„Baby Hospital Bethlehem“<br />

115

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!