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Karandasch und anere Clowns in der Sowjetunion - Wisent Reisen

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sowjetischen Zirkus e<strong>in</strong>en Namen hatten. Doch diese beiden prom<strong>in</strong>enten Possenreißer<br />

wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> belgischen Presse nicht e<strong>in</strong>mal erwähnt.<br />

Das Popow-Echo lockte englische <strong>und</strong> französische Veranstalter nach Brüssel. Die<br />

Moskauer Kulturfunktionäre erteilten die Genehmigung zu weiteren Gastspiel-<br />

Verträgen, <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zirkus reiste nach Frankreich weiter. In Paris erreichte die Popow -<br />

Manie bizarre Ausmaße: Man sprach von dem "Zirkus-Poeten, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Grazie<br />

e<strong>in</strong>er Elfe bewegt" <strong>der</strong> "ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Verlangen hat, als zu leben, zu we<strong>in</strong>en, zu vergehen<br />

<strong>und</strong> wie<strong>der</strong> zu erstehen, um <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en rollenden achatblauen Augen die Lichter unserer<br />

Stadt wie<strong>der</strong>zuf<strong>in</strong>den".<br />

Die Kunstzeitschrift "L'Art" nannte ihn, nach <strong>der</strong> Gestalt e<strong>in</strong>es Pariser Straßenjungen<br />

aus den "Elenden" von Victor Hugo, e<strong>in</strong>en verträumten russischen "Gavroche"; an<strong>der</strong>e<br />

Kritiker sprachen von "Titi" - <strong>der</strong> Figur e<strong>in</strong>es Halbwüchsigen vom Montmartre, die <strong>der</strong><br />

Komiker Porto nach dem Ersten Weltkrieg <strong>in</strong> Paris berühmt gemacht hatte.<br />

Die Poesie se<strong>in</strong>es russischen "Gavroche", so w<strong>und</strong>erten sich die Pariser Kritiker über<br />

Popow, könne ihm <strong>der</strong> "diszipl<strong>in</strong>ierte, automatisierte, mechanisierte" Staatszirkus nicht<br />

e<strong>in</strong>gebläut haben: "Er muß Phantasie besitzen, an<strong>der</strong>s ist se<strong>in</strong>e Meisterschaft nicht zu<br />

erklären."<br />

Beson<strong>der</strong>es Interesse für Popow zeigte <strong>der</strong> Mime Marcel Marceau, <strong>der</strong> 1947 mit se<strong>in</strong>er<br />

Pantomime "Bip" e<strong>in</strong>en zeitgenössischen Helden des mimischen Theaters kreierte. Er<br />

widmete Popow unter dem Titel "E<strong>in</strong> Triumph <strong>der</strong> Pantomime" e<strong>in</strong>en Artikel, <strong>in</strong> dem er<br />

über den Sowjet-Clown urteilte: "Se<strong>in</strong> Humor ist naiv, sanft <strong>und</strong> verträumt; Bosheit o<strong>der</strong><br />

Grausamkeit kennt er nicht. Man kann sich wohl vorstellen, daß Popow e<strong>in</strong>e Gestalt aus<br />

e<strong>in</strong>er Posse von Molière, aus e<strong>in</strong>er Komödie von Gogol o<strong>der</strong> Shakespeare sei... Wir<br />

haben bisher immer gedacht, <strong>Clowns</strong> müßten unbed<strong>in</strong>gt schreien, sich mit<br />

Narrenstückchen produzieren, alles mögliche effektvolle Beiwerk benutzen, mit Witzen<br />

nur so um sich werfen; hier aber sahen wir re<strong>in</strong>e Situationskomik, die augenblicklich den<br />

Kontakt zum Publikum herstellte."<br />

Nach dem Gastspiel des Russen-Zirkus <strong>in</strong> London me<strong>in</strong>te <strong>der</strong> "Observer", Popow sei <strong>der</strong><br />

"am wenigsten neurotische" Clown, den es bisher gab: "Grock war mürrisch, e<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

Rivel-Brü<strong>der</strong> (Charlie Rivel) sah aus wie e<strong>in</strong> nach Luft schnappen<strong>der</strong> südamerikanischer<br />

Staatsmann am Vorabend e<strong>in</strong>er Revolution." Der sowjetische Clown aber gleiche e<strong>in</strong>em<br />

sanften, verwöhnten neunzehnjährigen Darl<strong>in</strong>g, <strong>der</strong> sich mit Rahmmilch <strong>und</strong> Weißbrot<br />

ernährt, me<strong>in</strong>te das Blatt, obgleich Popow längst Vater (e<strong>in</strong>es Töchterchens namens<br />

Olga) geworden war. Die Englän<strong>der</strong> tauften Popow "Sunny Clown"; e<strong>in</strong> Kosename, <strong>der</strong><br />

<strong>in</strong> Moskau mit Wohlgefallen aufgenommen wurde. Das staatliche "Mosfilm"-Studio<br />

adoptierte den Slogan als Titel für e<strong>in</strong>en Film, <strong>in</strong> dem Oleg Popow die Hauptrolle<br />

spielen wird.<br />

Zwei Jahre nach se<strong>in</strong>er Gastspielreise <strong>in</strong> den Westen erschien <strong>der</strong> Moskauer Zirkus<br />

während <strong>der</strong> Weltausstellung zum zweiten Mal <strong>in</strong> Brüssel. Belgische Zeitungen<br />

witzelten, daß die Verdammung des Persönlichkeits-Kultes für Clown Popow offenbar<br />

ke<strong>in</strong>e Gültigkeit habe: Im sowjetischen Pavillon verteilte man Broschüren, die e<strong>in</strong>e<br />

idealisierte Popow-Biographie enthielten; <strong>in</strong> <strong>der</strong> gläsernen Mausoleums-Halle h<strong>in</strong>g e<strong>in</strong><br />

Popow-Bild.<br />

Der belgische Impresario Verbeek, <strong>der</strong> den russischen Zirkus betreute, will bemerkt<br />

haben, daß Popow vom Ruhm "angekränkelt" wurde. Ursprünglich reagierte<br />

<strong>der</strong> Clown mürrisch auf die Wünsche von Pressephotographen, doch als ihm für die<br />

Aufnahmen Geld geboten wurde, ließ er sich willig <strong>in</strong> allen gefor<strong>der</strong>ten Posen<br />

photographieren - zum Beispiel biertr<strong>in</strong>kend für e<strong>in</strong>e belgische Brauerei, die ihm e<strong>in</strong>e<br />

hohe Summe für das Reklamebild zahlte. Verbeek: "Popow hat begriffen, was im<br />

Westen e<strong>in</strong> Star ist."<br />

Die Moskauer Kulturfunktionäre honorierten den Prestige-Gew<strong>in</strong>n, den Popow ihnen<br />

auf <strong>der</strong> Brüsseler Weltausstellung verschaffte, durch e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> höchsten Ehrungen, die sie<br />

zu vergeben haben: Sie ernannten ihn zum "Volkskünstler <strong>der</strong> RSFSR"*; die<br />

Titelverleihung war mit e<strong>in</strong>er stattlichen Geldprämie verb<strong>und</strong>en. Während des Brüsseler<br />

Auftritts erwies sich auch, daß sich <strong>der</strong> fahle Te<strong>in</strong>t Popows ke<strong>in</strong>eswegs aus <strong>der</strong>

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